Prävention

Ermächtigung der Menschen mit Behinderungen

Um sich potentiellen Gewalterfahrungen entgegenstellen zu können, um für eigene Rechte und Selbstbestimmung eintreten zu können und um ein Bewusstsein für Widerstand zu entwickeln braucht es  Schutzräume und eine respektvolle Unterstützung, die Kompetenzerweiterung bzgl Sexualität und Beziehungen, Gewalt und Gewaltschutz miteinschließt. Die Entwicklung "zu einem Mehr an Selbstbestimmung, zu einem Mehr an eigenmächtigem Handeln und Gestalten"  (KRAFTWERK) stützt sich auf folgende Faktoren:

  • Persönliche Sicherheit
  • Informationen über persönliche Rechte
  • Sorgsamer Umgang mit persönlichen Rechten
  • Informationen über Sexualität und Körpergrenzen
  • Selbswirksamkeit
  • Sensible Sprache
  • Kommunikation
  • Partizipation
  • Selbstbestimmung
  • Empowerment
  • Trainieren von Selbstbehauptung und Durchsetzungsvermögen
  • Gemeinschaft

Ermächtigung beschreibt einen Prozess, in dem subjektive Gefühle der Macht- und Einflusslosigkeit überwunden, Handlungsräume verstärkt wahrgenommen und Ressourcen freigelegt und genutzt werden. Selbstbestimmung und Empowerment sind Teilaspekte von Ermächtigung. Der Prozess der Ermächtigung beginnt mit Spüren und findet den Weg über das Wahrnehmen und Erkennen zum Erleben von Selbstwirksamkeit.

Um aus Gewaltkreisläufen auszusteigen, ist es notwendig zu Hilfe von außerhalb zu gelangen. In Tirol gibt es Gewaltschutzeinrichtungen, die mittels Beratungs- und Begleitungsangeboten, teilweise durch vorübergehender Bereitstellung von Wohnmöglichkeiten, Unterstützung bei der Antragsstellung und in der Prozessbegleitung bieten.

Unterstützer_innen und Einrichtungsstrukturen sind verpflichtet, leicht zugängliche Informationen zu Gewalt und Zugänge zu Notruf und Gewaltschutzeinrichtungen einfach und unkompliziert bereit zu stellen. Gewaltschutzeinrichtungen sind dringend aufgefordert, barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen und Kontakt zu Einrichtungen der Behindertenhilfe aufzunehmen.

Die inhaltlichen Inputs diese Seite wurden anhand eines Expertinnen-Interviews mit dem Team von Ninlil- Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderungen, Wien erstellt. bidok bedankt sich für die feinspürigen und wertvollen Informationen.

 

 

Täter_innen unfreundliche Strukturen schaffen

Täter_innen bevorzugen Institutionen und Strukturen, in denen sie möglichst lange unerkannt bleiben. Besonders attraktiv sind:

 

  • Institutionen und Strukturen mit unklaren und diffusen Regeln, die nicht für alle transparent sind und innerhalb deren Leitungskompetenzen und Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind.
  •  Institutionen und Strukturen, in denen Leitungsfunktionen sehr autoritär gehandhabt werden, sodass Mitarbeiter_innen keine Motivation haben, ihrerseits Verantwortungen zu übernehmen.
  • Institutionen und Strukturen, in denen fachliche Argumente geringgeschätzte Positionen einnehmen.
  • Institutionen und Strukturen, in denen sexuelle Übergriffe, Gewalt und Missbrauch wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden und wenig Wissen darüber vorhanden ist.
  • Institutionen und Strukturen, in denen keine Konzepte für Grenzen und respektierende Haltungen und somit keine gemeinsamen Bezugspunkte vorhanden sind, auf die sich alle beziehen können.
  • Institutionen und Strukturen, in denen es unüblich ist, dass sich Kolleg_innen fachliche Feedbacks geben und Handlungen auch kritisiert werden dürfen.

 

"Wenn wir uns mit Täter_innen und Täter_innenstrategien beschäftigen wird deutlich, dass es nicht ausreicht, die Last für ihren Schutz Menschen mit Behinderungen alleine zuzuschreiben." (UNTERSTALLER 2008)

 

Prävention bedeutet auch Unterstützer_innen, leitende Personen und Träger_innen von Einrichtungen der Behindertenhilfe für den Schutz der Nutzer_innen in die Verantwortung nehmen, indem sie 

  •  den Alltag von Menschen mit Behinderungen zu Hause, in Institutionen und Bildungseinrichtungen so gestalten, dass er keine Anknüpfungspunkte für Täter_innenstrategien liefert.
  •  Menschen ansprechen, wenn sie die (Körper-)Grenzen von Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend respektieren oder ignorieren.
  •  das Wissen über Täter_innenstrategien bei sich selbst erhöhen und dies den unterstützten Menschen und dem Personal ermöglichen.
  •  stattfindenden Missbrauch und Gewalt so schnell wie möglich wahrnehmen und melden.

Prävention für Menschen mit Behinderungen darf nicht mit Beschränkung, Einengung und Kontrolle verwechselt werden, im Gegenteil. Prävention geht einher mit einer Steigerung der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung, mit Empowerment, Wissenserweiterung und Barrierefreiheit von Menschen mit Behinderungen.

Um Gewaltsituationen vorzubeugen und in Gewaltsituationen intervenieren zu können, braucht es Schulungen in interdisziplinären Teams zu präventiven Handlungsabläufen. Sie umfassen:

  • Fallbesprechungen sowie der reflektierte Umgang mit der Thematik Gewalt und Gewaltprävention
  • Regelmäßige Schulungen zu gewaltfreier Kommunikation oder Deeskalation
  • Sensibilisierung für das Erkennen von Risikopotentialen
  • Förderung von gezielten Beobachtungen - nach dem Motto „Wenn man weiß, wonach man sucht, wird man es eher finden“
  • Aufklärung von Bewohner_innen, Pflegepersonen und Heimpersonal darüber, an wen involvierte Personen sich wenden können, um über Beobachtungen und Erfahrungen zu sprechen.
  • Festlegung und Einforderung von klaren Handlungsleitlinien in Gewaltsituationen für die gesamte Einrichtung

 

Quelle: Adelheid Unterstaller: Wie lässt sich sexuelle Gewalt verhindern? Prävention auf allen Ebenen. In: AMYNA e.V.: Sexualisierte Gewalt verhindern, Norderstedt 2008

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Empfehlungen für Einrichtungen

Leicht zugängliche Informationen

Hier sind Anlaufstellen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen aufgefordert, entsprechende Informationen in geeigneter barrierefreier und entsprechend leicht zugänglicher Form zur Verfügung zu stellen und zugleich das Wissen um Formen von Gewalt und Möglichkeiten der Gewaltprävention im institutionellen Alltag zu verankern.

 Thematisierung von Gewalt

Gewalterlebende fühlen sich oft einsam und allein gelassen - besonders dann, wenn „Gewalt“ als Thema im Betreuungskontext nie angesprochen wird. Nur dort, wo das Sprechen über schwierige Themen angstfrei möglich ist, können betroffene Menschen auch gezielt nach Unterstützung fragen.

 Trainings und Fortbildungen für leitende und angestellte Mitarbeiter_innen und Nutzer_innen der Einrichtung

Das Thema Gewalt muss in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen thematisiert werden. Wenn alle Mitglieder des Systems auf dem gleichen Wissens- und Informationsstand zum Thema Gewalt und Gewaltprävention sind, kann am raschestens Gewalt vermindert werden. Regelmäßige Fortbildungs-, Trainings- und Reflexionsangebote und gemeinsam partizipativ erstellte Leitlinien sowohl für den Umgang mit Verdachtsfällen, als auch für Handlungsabläufe bei Gewaltsituationen, ermöglichen eine Veränderung im Umgang mit Gewalt.

 Vernetzung mit Beratungseinrichtungen

Nach wie vor gibt es zu wenig Austausch zwischen Dienstleistungseinrichtungen des Behindertenbereichs und Opferschutz- und Beratungsstellen. Ein konkretes Ziel solcher Vernetzungen können etwa inklusive Empowermentangebote sein oder das Bereitstellen einer externen Beratung in Form von regelmäßigen Sprechstunden in der Einrichtung. Wichtig ist in jedem Fall, so weit im Austausch zu sein, dass im Anlassfall eine gute Zusammenarbeit im Sinn der gewalterlebenden Personen möglich wird. Durch verstärkte Vernetzung und Kooperation können die Kompetenzen auf beiden Seiten gestärkt werden.

 Verankerung von Vertrauenspersonen in Einrichtungen

Menschen, die speziell für diese Aufgabe geschult und beauftragt sind, können eine wichtige erste Anlaufstelle für gewaltbetroffene Menschen sein. Ideal besetzt ist diese Funktion durch einer Person mit Behinderung, um den Zugang zu Gewaltformen im Zusammenhang mit Behinderungen zu gewährleisten. Diese Vertrauenspersonen können gezielt mit Gewaltschutzeinrichtungen zusammenarbeiten.

 Verankerung einer Kultur der nichtakzeptierten Gewalt

Die Umsetzung der entwickelten Leitlinien zu Gewaltabläufen, regelmäßige Fortbildungen sowie die Schaffung einer generellen Einrichtungskultur des Hinsehens sind aktiv durch die Leitungsebene zu unterstützen und in den Organisationsstrukturen zu verankern.

 (UDL 2014)

Literatur

Elisabeth Udl (2014): Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen. Ergebnisse und Empfehlungen. http://bidok.uibk.ac.at/library/udl-empfehlungen.html

 

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