erschienen in: Beltz GmbH, Julius, ISBN: 3-407-56162-8
Inhaltsverzeichnis
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1. Ambulantes Arbeitstraining, Integrationspraktikum und das System der beruflichen Rehabilitation
- 1.1 Das System der beruflichen Rehabilitation
- 1.2 Paradigmenwechsel in Behindertenhilfe und -politik
- 1.3 Supported Employment - Unterstützte Beschäftigung
- 1.4 Arbeit, Krise der Arbeit und Umbruchssituation in der Landschaft der beruflichen Rehabilitation
- 1.5 Lokalisierung des Ambulanten Arbeitstrainings und Integrationspraktikums
- 1.6 Die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz
- 2. Anlage der Evaluation
- 3.Befragung der TeilnehmerInnen
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4. Intensivbefragung zur Situation von TeilnehmerInnen
- 4.1 Anliegen und Fragestellung
- 4.2 Methodische Überlegungen
- 4.3 Stichprobe
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4.4 Ergebnisse
- 4.4.1 Frau A: »Das macht voll Bock!«
- 4.4.2 Herr B: »Ich muss das alles besser in Griff kriegen«
- 4.4.3 Frau C: »Dass ich jetzt in dem Call-Center sitze, das finde ich richtig gut«
- 4.4.4 Herr D: »Ich bin auch bereit, meinen Traum so in Wirklichkeit umzusetzen«
- 4.4.5 Herr E: »Wie mich jemand reingeschoben hat - hab' ich richtig Horror gehabt«
- 4.4.6 Frau F: »Also eigentlich allgemein bin ich ja zufrieden ... und irgendwann werd' ich auch versuchen, hier rauszugehen«
- 4.4.7 Herr G: »Ich weiß gar nicht, was ich will - entweder ich bleib' in der Töpferei oder ich werd' draußen arbeiten«
- 4.4.8 Herr H: »Ich hab' mir eigentlich was anderes gewünscht«
- 4.4.9 Frau I: »Ich bin an der richtigen Stelle eigentlich«
- 4.4.10 Frau J: »Letztendlich bin ich nicht unzufrieden, aber ... wenn es für mich die Möglichkeit gäbe, dann würde ich auch gern was anderes machen, und auch gern außerhalb der Werkstatt«
- 4.5 Zusammenfassende Bemerkungen
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5. Befragung der AssistentInnen und GruppenleiterInnen
- 5.1 Anliegen und Fragestellung
- 5.2 Stichprobe und methodische Überlegungen
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5.3 Ergebnisse
- 5.3.1 Konzept und Praxis der Maßnahmen
- 5.3.2 Eigene Tätigkeit und Rolle
- 5.3.3 Personenkreis der BewerberInnen
- 5.3.4 Einbindung in Kooperationsstrukturen
- 5.3.5 Vermutete Sichtweisen von ArbeitgeberInnen und die Situation in den Betrieben
- 5.3.6 Berufsberatung durch das Arbeitsamt
- 5.3.7 Berufsschulunterricht
- 5.3.8 Perspektiven
- 5.3.9 Resümees
- 5.4 Zusammenfassung
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6. Befragung von Vorgesetzten in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes
- 6.1 Anliegen und Fragestellung
- 6.2 Methodische Überlegungen und Stichprobenbildung
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6.3 Ergebnisse
- 6.3.1 Chefin A: »Ich habe in der Anfangsphase auch jeden Tag gemerkt, wie wir lernen, sensibler zu werden«
- 6.3.2 Chef B: »Ich tue es eigentlich gerne, auch wenn ich deswegen Schwierigkeiten habe«
- 6.3.3 Chefin C: »Für mich ist es ein schönes Gefühl, sie ist hier, und ich weiß, dass es auch anderen so geht - und das ist es halt«
- 6.3.4 Chef D: »Er ist ein fester Bestandteil durch das, was er kann«
- 6.3.5 Chef E: »Das sehe ich auch als wirkliche Hilfe an, nicht nur als kleine soziale Gefälligkeit, sondern als echte Hilfe für uns«
- 6.3.6 Chefin F: »Sie ist so mit im Team integriert, das macht keinen Unterschied«
- 6.3.7 Chefs G: »Der eine hat vielleicht geistig nicht so viel drauf, aber bringt tolle Arbeit, und den kann man besser integrieren als jemanden, der vielleicht viel mehr drauf hat, aber nichts leistet«
- 6.4 Zusammenfassung
- 7. Befragung der Reha-BeraterInnen des Arbeitsamtes
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8. Befragung der BerufsschullehrerInnen
- 8.1 Anliegen und Fragestellung
- 8.2 Methodische Überlegungen
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8.3 Ergebnisse
- 8.3.1 Zugänge zur Tätigkeit
- 8.3.2 Konzeptmerkmale und Profile des Berufsschultages und Passung mit dem Konzept des Ambulanten Arbeitstrainings
- 8.3.3 Kooperationsbeziehungen
- 8.3.4 Blick auf die SchülerInnen und Effekte von Unterricht und Arbeitstraining
- 8.3.5 Kritische Stellungnahmen und Würdigungen
- 8.3.6 Zusammenfassung
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9. Gesamtbetrachtung der Untersuchungsergebnisse
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9.1 Wesentliche Ergebnisse
- 9.1.1 Langfristige Orientierungen der TeilnehmerInnen und ihres Umfeldes
- 9.1.2 Prozesse in Arbeitstraining und Integrationspraktikum und Effekte
- 9.1.3 Rolle und Arbeitssituation von ArbeitsassistentInnen und GruppenleiterInnen
- 9.1.4 Erfolgsfaktoren und Erfolgshemmnisse
- 9.1.5 Berufsberatung aus der Perspektive des Ambulanten Arbeitstrainings
- 9.1.6 Berufsschulunterricht aus der Perspektive des Ambulanten Arbeitstrainings
- 9.1.7 Individualorientierung versus Gruppenorientierung
- 9.1.8 Entwicklungslogik versus Zuweisungslogik
- 9.2 Positionen zum Ambulanten Arbeitstraining und Integrationspraktikum
- 9.3 Diskussion unter theoretischen Perspektiven
- 9.4 Handlungsbedarfe und offene Fragen
- 9.5 Schluss
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9.1 Wesentliche Ergebnisse
- Literatur
- 11. Anhang I
- 12. Anhang II
Inhaltsverzeichnis
- 1.1 Das System der beruflichen Rehabilitation
- 1.2 Paradigmenwechsel in Behindertenhilfe und -politik
- 1.3 Supported Employment - Unterstützte Beschäftigung
- 1.4 Arbeit, Krise der Arbeit und Umbruchssituation in der Landschaft der beruflichen Rehabilitation
- 1.5 Lokalisierung des Ambulanten Arbeitstrainings und Integrationspraktikums
- 1.6 Die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz
Im einleitenden Kapitel dieser Untersuchung wird zunächst dargestellt, innerhalb welchen Systems mit welchem Aufbau sich die beiden zu evaluierenden Maßnahmen befinden. Dabei ist von hoher Bedeutung, dass sich in den letzten Jahren in diesem Feld beachtliche Veränderungen ereignet haben; nicht zuletzt durch neue Projekte zur beruflichen Integration mit einer veränderten Sichtweise und einem unterschiedlichen Vorgehen in Relation zum Bisherigen haben offensichtlich neue Möglichkeiten geschaffen. Dies hat sich innerhalb von nur zehn Jahren bis in die gesetzliche Ebene hinein ausgewirkt und ist etwa an der Neufassung des Schwerbehindertengesetzes vom Jahr 2000 abzulesen (vgl. ARBEITSGEMEINSCHAFT DER DEUTSCHEN HAUPTFÜRSORGESTELLEN 2000).
Mit diesen Veränderungen zeigt sich nun auch im System der beruflichen Rehabilitation eine grundlegende Umbruchssituation, wie sie schon seit längerer Zeit im Bereich von Frühförderung, Schule und Wohnen zu sehen ist. Zurückgeführt werden kann sie auf einen - seit langem diskutierten - Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe (vgl. hierzu u.a. GRUBMÜL-LER, HINZ, LOEKEN & MOSER 1999, ALBRECHT, HINZ & MOSER 2000). Eine besondere Bedeutung hat dabei für den Bereich der Arbeit der Ansatz der Unterstützten Beschäftigung, der als ›Supported Employment‹ in Nordamerika schon seit längerer Zeit praktiziert wird (vgl. PERABO 1993, BARLSEN & BUNGART 1995, SCHARTMANN 1995b, DOOSE 1997b, FEHRE 1997, JUNKER 1997).
Im folgenden wird daher zunächst in das System der beruflichen Rehabilitation eingeführt, im zweiten Schritt auf den Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe eingegangen, zum dritten der Ansatz von Supported Employment als wesentlichem Anstoß im Bereich der Beschäftigung nachgezeichnet, viertens die Umbruchssituation in der Landschaft der beruflichen Rehabilitation umrissen, fünftens der Lokalisierung der beiden Maßnahmen nachgegangen, die in der vorliegenden Studie evaluiert werden, und schließlich sechstens die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz skizziert.
Berufliche Rehabilitation ist Teil des umfassenden Systems der Rehabilitation, das Prozesse der Wiederherstellung körperlichen und seelischen Wohlbefindens und weitestgehender sozialer Reintegration zum Ziel hat. Dabei stehen personale und soziale Anteile gleichwertig nebeneinander: Ein »Leben nach ihren Neigungen und Fähigkeiten gestalten« (BMA 2000, 17) zu können, ist ebenso wichtig wie das Ziel der »vollen sozialen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben« (ebd.). Innerhalb dieses Gesamtprozesses wird zwischen medizinischen, beruflichen, schulischen und sozialen Anteilen unterschieden (vgl. CLOERKES 1997, 34).
Das System der Rehabilitation stellt vielfältige Hilfen und Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen bereit. Dabei handelt es sich entsprechend den juristischen Festlegungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei »Behinderten im Sinne der A Reha (Anordnung Reha der BA, § 2; d. Verf.) um körperlich, geistig oder seelisch behinderte Personen, deren Aussichten, beruflich eingegliedert zu werden oder zu bleiben, infolge der Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind, und die deshalb besonderer Hilfe bedürfen. Gleichgestellt sind Menschen, denen eine Behinderung mit den genannten Folgen droht« (BA 1997, 43). Als benachteiligt gelten ausländische Auszubildende, lernbeeinträchtigte deutsche Auszubildende, sozial benachteiligte deutsche Auszubildende, junge Spätaussiedler mit Sprachschwierigkeiten und im Ausnahmefall auch weitere Personen, »wenn sich eine soziale Benachteiligung stichhaltig begründen lässt« (BA 1997, 79).
Die Maßnahmen und Hilfen für Menschen mit Behinderungen werden im folgenden den administrativen Regelungen und Begrifflichkeiten entsprechend überblickartig dargestellt (vgl. BA 1997 sowie FORSTER 1998, Kap. 4). Damit wird das Nachvollziehen der Wege der TeilnehmerInnen am Ambulanten Arbeitstraining und Integrationspraktikum erleichtert.
Menschen mit Behinderungen stehen im Prinzip alle Ausbildungs-, Umschulungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten offen. Um ein Ausbildungsverhältnis einzugehen, ist jedoch in der Regel ein anerkannter Schulabschluss notwendig (Haupt- oder Realschulabschluss, z.T. auch fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife). Da die Abschlüsse der Schulen für Lern- und Geistigbehinderte keine anerkannten Schulabschlüsse sind, erfüllen ihre AbgängerInnen diese Zugangsvoraussetzung nicht. Spezielle berufsvorbereitende Maßnahmen sollen daher Jugendlichen mit Behinderungen den Einstieg in berufliche Bildung und Beschäftigung er-leichtern; dabei wird zwischen der schulischen Berufsvorbereitung und den berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen unterschieden.
Zur schulischen Berufsvorbereitung gehören das überwiegend an Berufsschulen angebotene Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), die sich jedoch in den Bundesländern in ihren Regelungen, Bezeichnungen und Formen unterscheiden. Zielgruppen sind in der Regel SchülerInnen ohne Hauptschulabschluss oder AbgängerInnen der Förderschule. Darüber hinaus gibt es auch schulische Vollzeitlehrgänge im elften und zwölften Schuljahr nach Ablauf der Pflichtschulzeit (vgl. BA 1997, 108, 119 sowie GINNOLD 2000, 139).
Als berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen werden verschiedene Möglichkeiten angeboten:
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Förderlehrgang (F): Der F-Lehrgang dient der intensiven Vorbereitung auf Ausbildung und Beruf. Er ist in verschiedene Formen ausgestaltet, um dem differenzierten Förderbedarf des Personenkreises Rechnung zu tragen, auch in zeitlicher Hinsicht:
-F1 für Menschen mit Behinderung, für die eine Berufsausbildung in Betracht kommt, die jedoch wegen ihrer in einer nicht nur vorübergehenden Behinderung begründeten Lernerschwernis einer besonderen Förderung bedürfen (bis 12 Monate),
-F2 für Menschen mit Behinderung, die aufgrund deren Art und Schwere für eine Berufsausbildung nicht in Betracht kommen (bis 24 Monate),
-F3 für Menschen mit Behinderung, die durch die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte unterfordert wären (bis 36 Monate) und
-F4: für Menschen mit Behinderung, die wegen ihrer medizinischen Rehabilitation nicht mehr wettbewerbsfähig sind (bis 6 Monate) (vgl. BA 1997, 168)
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Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE)
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tip-Lehrgang (testen, informieren, probieren)
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Grundausbildungslehrgang (G)
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Maßnahmen im Eignungsverfahren und Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte; dabei wird der Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte seitens der Berufsberatung denjenigen angeboten, »die wegen Art und Schwere einer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.« Dies betrifft in der Regel vor allem Menschen mit geistiger, psychischer oder umfänglicher Lernbehinderung. Das Ziel ist dabei, nach dem Durchlaufen eines Grund- und Aufbaukurses von insgesamt maximal zwei Jahren Dauer eine Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen (vgl. BAG UB 1999, 56).
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Blindentechnische und vergleichbare Grundausbildung
Für die Berufsvorbereitung junger Erwachsener mit Behinderung stehen meist nur die F2- und F3-Lehrgänge und der Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte offen (vgl. auch GINNOLD 2000, 118). Berufliche Trainingszentren (BTZ) bieten darüber hinaus Berufsvorbereitungsmaßnahmen für Menschen mit psychischen Behinderungen an (vgl. ebd.).
Für Berufsausbildung und Umschulung stehen Menschen mit Behinderungen unter-schiedliche Wege offen:
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betriebliche Berufsausbildung im dualen System;
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Berufsausbildung für SchulabgängerInnen in Berufsbildungswerken (BBW); Zielgruppe sind Jugendliche mit Lernbehinderungen, aber auch körperlichen, neurologischen, sensorischen oder psychischen Behinderungen, die in dieser Ausbildungsstätte eine Erstausbildung in unterschiedlichen Berufsbereichen absolvieren;
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Fortbildung und Umschulung in Berufsförderungswerken (BFW); dies sind Einrichtungen zur beruflichen Wiedereingliederung, also für Menschen mit Behinderungen, die aufgrund des Eintritts einer Behinderung bzw. einer zunehmenden Einschränkung durch eine Behinderung nicht mehr in der Lage sind, den erlernten Beruf auszuüben; in begründeten Einzelfällen kann auch eine berufliche Erstausbildung in einem BFW bewilligt werden;
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Berufsausbildung in anderen überbetrieblichen Einrichtungen (BüE); die Zielgruppe sind benachteiligte Auszubildende, der die Aufnahme einer Berufsausbildung im Sinne des dualen Systems und deren Fortsetzung in einem Ausbildungsbetrieb ermöglicht werden soll;
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Berufsausbildung an Berufsschulen, z.B. für Pflege- und Erziehungsberufe (vgl. BA 1997, 82, 85, 90, 100, 105 sowie BAG UB 1999, 57-59).
An die Berufsvorbereitung und Berufsausbildung soll sich möglichst die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anschließen. Die staatliche Gesetzgebung hält eine Vielzahl von Eingliederungshilfen bereit, die dies erleichtern sollen. Grundsätzlich sind die folgenden Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen zu unterscheiden: Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, Beschäftigung in Integrationsfirmen oder Integrationsabteilungen, Beschäftigung in Werkstätten für Behinderte und Betreuung in Tagesförderstätten.
Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Mit der Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehen den Menschen mit Behinderungen verschiedene Eingliederungshilfen zur Verfügung. Zunächst einmal sind dies finanzielle Hilfen (vgl. GINNOLD 2000, 126f.): Zuschüsse an ArbeitgeberInnen für Probebeschäftigungen von Menschen mit Behinderungen, auf maximal drei Jahre befristete Lohnkostenzuschüsse, Übernahme der Kosten für die Einrichtung behindertengerechter Arbeitsplätze und Finanzierung von Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung (vgl. BMA 2000).
Die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt wird von Integrationsfachdiensten vorbereitet und begleitet (vgl. Kap. 1.4). Diese Dienste unterscheiden sich in ihrer Ausstattung und Arbeitsweise (Personalschlüssel und Dauer der Begleitung), in ihrer Einbindung in das regionale Rehabilitationssystem und in der Qualifikation der MitarbeiterInnen. Auch ihre Zielgruppen sind mitunter sehr verschieden; während einige Dienste sich auf einzelne Formen von Behinderungen konzentrieren (müssen), stehen andere für alle Menschen mit Behinderungen offen.
Beschäftigung in Integrationsfirmen und Integrationsabteilungen
Als Integrationsfirmen werden Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes bezeichnet, in denen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten, »wobei der Anteil der Menschen mit Behinderung je nach Branche und Größe des Betriebes zwischen 40 und 80 Prozent liegt« (GINNOLD 2000, 129). Neben der Bezeichnung ›Integrationsfirmen‹ werden auch die Begriffe ›integrative Zweckbetriebe‹, ›Selbsthilfefirmen‹ oder ›soziale Betriebe‹ (vgl. CHRISTE 1997) verwandt. Ziel ist es, durch den Absatz von Dienstleistungen und Produkten unter Einbeziehung von zur Verfügung gestellten Zuschüssen wirtschaftlich zu arbeiten. Im Vordergrund steht dabei nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit und ohne Behinderung. Häufig halten diese Betriebe spezifische »Angebote in Marktnischen« (HINZ & LÜTTENSEE 1997, 2) bereit. Üblicherweise werden reguläre Arbeitsverhältnisse unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eingegangen, es gibt eine ortsübliche Tarifentlohnung und es bestehen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Integrationsfirmen sind seit den 70er Jahren als Folge der Psychiatriereform zu-erst vor allem für Menschen mit psychischen Behinderungen gegründet worden und später auch auf andere Personenkreise ausgeweitet worden (vgl. GRAUMANN 1998). Ein bekanntes Beispiel für einen Integrationsbetrieb ist das rollstuhlgerechte ›Stadthaus-Hotel‹ in Hamburg, das von einer Elterninitiative 1993 gegründet wurde und Arbeitsplätze für Menschen mit (geistiger) Behinderung bietet (vgl. BOBAN & HINZ 1995, BOBAN, HINZ, LÜTTENSEE & POKO-JEWSKI 1997) und seit 2000 im Rahmen eines größeren Trägers auch ein Café gemeinsam mit suchtkranken Menschen betreibt.
Weitere Arbeitsformen im Bereich der Integrationsfirmen stellen Zuverdienstarbeitsplätze, also Arbeitsangebot im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung oder Teilzeitarbeit, und gemeinnützige Leiharbeit dar, deren Intention es ist, Hemmschwellen für ArbeitgeberInnen zur Einstellung von Menschen mit Behinderungen zu senken, indem sie das ›Risiko‹ bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Krankheiten etc. übernehmen. Ziel ist dabei die Übernahme in eine Daueranstellung.
Von den Integrationsfirmen sind die Integrationsabteilungen zu unterscheiden. Bei ihnen handelt es sich um geschützte Abteilungen in Betrieben, »in denen Menschen mit Behinderungen unter besonderer Anleitung im Rahmen regulärer Arbeitsverhältnisse arbeiten« (BAG UB 1999, 62). In der DDR stellten Integrationsabteilungen eine weit verbreitete Form von ›geschützter Arbeit‹ dar, nach dem Beitritt zur Bundesrepublik wird ein Großteil dieser Abteilungen geschlossen, im Gegenzug dazu werden die Werkstätten für Behinderte in großem Maße ausgebaut. Nach Angabe des BMA gibt es im Jahre 1996 in Deutschland lediglich 25 solcher Integrationsabteilungen (vgl. ebd.).
Beschäftigung in Werkstätten für Behinderte
Für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr oder noch nicht eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können, ist die berufliche Rehabilitation in einer Werkstatt für Behinderte vorgesehen. Dabei müssen die behinderten MitarbeiterInnen »gemeinschaftsfähig,« und sie dürfen »nicht außerordentlich pflegebedürftig« sein (SEYL 1996, 538). Zunächst wird ein bis zu zwei Jahre dauernder Förderungsprozess, der Arbeitstrainingsbereich, durchlaufen mit dem Ziel, »ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich der Werkstatt zu erbringen« (BMA 1998, 76f.). Der Arbeitstrainingsbereich soll darüber hinaus berufliche Bildung vermitteln. Die MitarbeiterInnen haben einen Rechtsanspruch auf »Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes am Arbeitsleben, insbesondere in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte« (BSHG §40, 41) mit der entsprechenden Betreuung und Begleitung durch qualifiziertes Personal. Die Werkstatt für Behinderte muss, da sie nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiert ist und ein unter-nehmerisches Profil aufweist, wirtschaftliche Arbeitsergebnisse erzielen. Ihre Wirtschaftlichkeit ist Voraussetzung, um den »behinderten Beschäftigten im Arbeitsbereich ein ihren Leistungsvoraussetzungen möglichst angemessenes Entgelt zahlen zu können« (BA 1997, 411). Dabei stützen sich die Werkstätten für Behinderte auf drei ökonomische Standbeine: Auftragsarbeiten, Eigenproduktionen und Dienstleistungen. Ihre typischen Arbeitsfelder liegen in den Bereichen Verpackung, Montage, Versand, Druck, Holzverarbeitung, aber auch Garten- und Landschaftspflege sowie Küchenservice und Wäscherei (vgl. ebd.).
Für die behinderten Beschäftigten in der Werkstatt für Behinderte werden Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, nicht jedoch Arbeitslosenversicherung, da davon ausgegangen wird, dass sie nicht arbeitslos werden können. Sie haben keinen Arbeitnehmerstatus, seit 1996 befinden sie sich in einem »arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis« (SchwbG § 54b). Gesetzliche Aufgabe der Werkstatt für Behinderte ist es, behinderte oder gesundheitlich eingeschränkte Menschen für einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten (SchwbG § 52) und dorthin zu vermitteln (SchwbG § 54). Damit ist das Ziel der Werkstatt für Behinderte, »Menschen mit Behinderungen ins Arbeitsleben einzugliedern, ihnen die Möglichkeiten zu bieten, ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen« (BA 1997, 408). Die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann auch durch die Einrichtung ausgelagerter Arbeitsplätze vorbereitet werden. So wird als Erfolg angesehen, dass im Jahr 1994 »mehr als 2.300 Werkstattbeschäftigte auf Außenarbeitsplätze vermittelt werden konnten, auf Arbeitsplätze also, die die Erwerbswirtschaft den Werkstätten zeitweise zur Verfügung stellt« (ANDERS 1996, 558). Einigen Werkstätten sind Vermittlungsdienste angegliedert, die die behinderten MitarbeiterInnen bei der Suche nach einem regulären, tarifentlohnten Arbeitsplatz außerhalb der Werkstatt für Behinderte durch eine entsprechende Fachkraft unterstützen (vgl. KRATZER-MÜLLER 1997, perspektivisch auch HANNEMANN 2001).
Betreuung in Tagesförderstätten
In Tagesförderstätten werden Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen betreut, die nicht im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt werden: »Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein außerordentlicher Pflegebedarf besteht und ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann. Vielfach sind die Förderstätten der WfB angegliedert« (BA 1997, 382). Tagesförderstätten haben vor allem die soziale Integration von Menschen mit Behinderungen als Aufgabe, sie bieten eine feste Tagesstruktur im Sinne des Normalisierungsprinzips. Menschen, die in Tagesförderstätten betreut werden, haben keinen Anspruch auf Arbeitsentgeld, sie besitzen auch keinen arbeitnehmerähnlichen Status und sind somit auch nicht in das System der Sozialversicherung einbezogen. Nach Möglichkeit sollen sie auf eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte, z.B. eine Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich, vorbereitet werden. Die Angliederung an die Werkstatt für Behinderte soll diese Möglichkeiten erleichtern.
Die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen ist entsprechend dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMA) Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Integration, da die Arbeit Menschen mit Behinderungen ermöglicht, »entsprechend ihrer Fähigkeiten zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen« (BMA 1998, 74). Dennoch hat sich, wie von mancher Seite kritisiert wird, das System der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Beschäftigungssystems zu einem eigenständigen, abgegrenzten Bereich entwickelt. Ausgehend vom Prinzip ›erst qualifizieren, dann platzieren‹ findet die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen, so diese Kritik, zumeist in speziellen Institutionen, wie Berufsbildungswerken, Berufsförderungswerken oder Werkstätten für Behinderte, getrennt vom realen Arbeitsleben statt. Von diesen verschiedenen besonderen Institutionen aus sind zwar prinzipiell Möglichkeiten zur Integration vorgesehen (vgl. ZINK & DIERY 1996) und es gibt vielfältige Bemühungen um integrative Anschlüsse (vgl. ELLGER-RÜTTGART & BLUMENTHAL 1997), jedoch in der Realität mit eher zweifelhaftem Erfolg. Zudem wird an den Arbeitsfeldern, die z.B. von Werkstätten für Behinderte angeboten werden, kritisiert, dass sie auf einige wenige ›behinderungsspezifische‹ Bereiche beschränkt sind und in der überwiegenden Zahl einseitige und wenig komplexe Arbeitstätigkeiten, z.B. Montage-, Verpackungs-, Tischler- und Näharbeiten bieten. Diese standardisierten Beschäftigungsmöglichkeiten erscheinen KritikerInnen jedoch kaum geeignet, die Lern- und Entwicklungsfähigkeiten der dort arbeitenden Menschen anzuregen und zu fördern, geschweige denn, sie auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten (vgl. TROST & SCHÜLLER 1992, 46).
Zudem wird kritisch gesehen, dass der Lohn, den die Beschäftigten in der Werkstatt für Behinderte erhalten, sehr gering ist, denn er entspricht »eher einem Taschengeld als einem Beitrag zur Sicherung der Existenzgrundlage« (JACOBS 1988, 193). Für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung führt der Weg der beruflichen Rehabilitation fast alternativlos in die Werkstatt für Behinderte: »Ganz gleichgültig, welche individuellen Eigenheiten und Entfaltungsmöglichkeiten eine Persönlichkeitsstruktur mit besonderen Lebenserschwernissen hat, wirkt die institutionelle Zwangsläufigkeit und trägt gleichzeitig die Rehabilitationslogik in sich: Schülerschaft auf der Schule für Geistigbehinderte zieht Mitarbeiterschaft in der WfB nach sich« (ebd., 183; vgl. auch empirische Belege bei TROST 1997).
Die Werkstätten für Behinderte sind innerhalb des Arbeitsmarktes ein eigener »geschlossener Arbeitsmarkt« geworden (WAGNER 1993, 269, vgl. auch TROST & SCHÜLLER 1992, 46). Das Ausbilden von individuellen Fähigkeitsprofilen und dementsprechende Arbeitsplätze wird, so die Kritik, weitgehend verfehlt. Damit ist der Übergang in Arbeitsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwer möglich, und die angestrebte berufliche Eingliederungsmaßnahme führt real in die gesellschaftliche Ausgliederung - mit einer Übergangsquote aus der Werkstatt für Behinderte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt von unter einem Prozent (vgl. DÜRR 1996, 209, JÄHNERT 1997a). Seit die Werkstatt für Behinderte betriebswirtschaftlich orientiert arbeiten soll (vgl. JACOBS 1988, 184), gerät sie zunehmend in einen Interessenkonflikt, denn gerade »leistungsfähige Beschäftigte, die fähig wären, auf dem freien Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden, erhöhen die Wirtschaftlichkeit der WfB« (ebd., 193).
Die etablierten Angebote des Systems der beruflichen Rehabilitation, so die Kritik zusammenfassend, könnten lediglich in dem Sinne als integrativ bezeichnet werden, als sie ein entsprechendes Ziel formulieren; sie gehen jedoch nicht einen integrativen Weg, sondern wählen in der Regel den Weg durch spezielle Institutionen mit je unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen und Anschlüssen. Dies geschieht in Abhängigkeit von der jeweiligen Schädigung der RehabilitandInnen, und es geschieht mit eher geringem Erfolg, wenn man die Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zum Ziel erklärt. Zudem stellt sich die Problematik, dass konkrete Personen nicht immer in die institutionell vorgegebenen Kategorien ›passen‹, sondern als »schwer vermittelbar« (SPECK 1992) in einer »Grauzone« (ebd., 11) oder als ›Grenzfälle‹ zwischen die Stufen des differenzierten - man könnte auch sagen: separierten - Systems beruflicher Rehabilitation geraten. Dieser Weg und seine Gestaltung auf der Grundlage eines ›Defizit-Modells‹ von Behinderung tragen KritikerInnen zufolge sogar eher dazu bei, das Erreichen dieses Ziels zu verhindern: »Das in der institutionalisierten Heil- und Sonderpädagogik und für den Sonderarbeitsmarkt typische leitende Bemühen, ›Defekte‹ zu kompensieren, schafft und konserviert durch die Bedingungen und Art und Weise, wie dies geschieht, genau das, was zu bessern oder gar aufzuheben vorgegeben wird« (FEUSER 2000b, 7f.). So wird von KritikerInnen die von EBERWEIN auf die Schule bezogene Feststellung auf die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen übertragen: »Die Auffassung, soziale Integration durch schulische Separation bewirken zu können, wurde empirisch widerlegt. Eingliederung kann nicht durch Ausgliederung erreicht werden« (1999b, 54). Gleichzeitig wird auch der - gerade für den hier diskutierten Bereich - »z.T. zum nichtssagenden Schlagwort verkommene Begriff der Integration« kritisch beleuchtet (FORSTER 1998, 348). Solche Begriffsunklarheiten und -verwirrungen können u.a. auch Ausdruck einer Umbruchssituation sein, um die es im folgenden Abschnitt geht.
Seit etwa 25 Jahren wird in Behindertenhilfe und -politik darüber diskutiert, ob es einen Paradigmenwechsel gebe, er sich schon vollzogen habe oder notwendig sei. Dies scheint Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels zu sein, der von Krisenphänomenen und Verunsicherung begleitet ist (vgl. SPECK 1996, BLEIDICK 1999); von anderen wird dagegen vermutet, es könnte sich eher um ›Krisengerede‹ handeln (vgl. FEUSER 2000a).
Worum geht es dabei? Ein Paradigma besteht nach KUHN (1973), der in der Regel zu dieser Frage herangezogen wird, in einem grundlegenden gemeinsamen Verständnis, das eine wissenschaftliche Gemeinschaft hat und das für eine gewisse Zeit nicht mehr diskutiert werden muss. Es handelt sich also quasi um ein gemeinsames, geklärtes Grundverständnis über die wissenschaftliche Sicht einer Disziplin. Wissenschaft entwickelt sich nicht durch ein kontinuierliches additives Mehr an Erkenntnis, sondern durch grundsätzliche Revisionen, also durch »wissenschaftliche Revolutionen« (KUHN 1973), also jene »Wendepunkte in der wissenschaftlichen Entwicklung, die mit den Namen Kopernikus, Newton, Lavoisier und Einstein verbunden sind« (ebd., 23). Diese Beispiele machen deutlich, dass die Ablösung eines Paradigmas nur über den Entwurf eines neuen erfolgen kann (ebd., 90).
Ein Paradigma ist also etwas weitaus Grundlegenderes als eine Theorie; insofern ist die auf BLEIDICK zurückgehende, zunehmende Inflationierung des Paradigmabegriffs in der Sonderpädagogik als zunehmend sinnentleerte Übernahme einer Begriffshülse zu sehen, mit der anscheinend für jeden neuen Ansatz Bedeutung erlangt werden soll (vgl. auch FEUSER 2000a). Vor dem KUHNschen Hintergrund erscheinen die Plädoyers verschiedener AutorInnen für Paradigmenpluralismus (SPECK 1996, 32) und Paradigmenverknüpfung (BLEIDICK 1999, 67) wenig überzeugend.
Ein Blick in die Geschichte der Heil-/Sonder-/Behinderten- oder Rehabilitationspädagogik zeigt, dass sie sich seit ihrer Entstehung auf ein Paradigma bezieht: die Spezifik ihrer Klientel und die Spezifität ihrer Institutionen (vgl. GRUBMÜLLER, HINZ, LOEKEN & MOSER 1999). Der Begriff der Behinderung bzw. seine Vorläuferbegriffe wie ›Seelenschwäche‹ oder der ›innere Halt‹ bilden die individuumsbezogene Dimension und die Sonderinstitution wie die Hilfsschule die institutionelle Dimension des sonderpädagogischen Paradigmas, das sich in erster Linie aus dem Bereich der Schule herleitet. Dieses individuums- und institutionsbezogene Paradigma ist seit den 70er Jahren zunehmend irritiert worden, vor allem durch die Integrationsbewegung und die sich entwickelnde Integrationspädagogik. Das institutionelle Paradigma ist spätestens mit den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz »zur sonderpädagogischen Förderung von Kindern und Jugendlichen in Schulen der Bundesrepublik Deutschland« (KMK 1994) stark verunsichert, mit der das institutionelle Monopol der Sonderschulen für die spezielle Förderung der Klientel auch administrativ gebrochen wurde; lediglich durch die modernisierte Institution des sonderpädagogischen Förderzentrums kann es möglicherweise weitergeführt werden. Ob die Ablösung des Begriffs der Sonderschulbedürftigkeit durch den des sonderpädagogischen Förderbedarfs und die Ablösung des Begriffs der Behinderungs- bzw. Sonderschulart durch den des Förderschwerpunktes eher als paradigmatische Modernisierung oder als Veränderungen zu sehen sind, wird sich zeigen müssen.
Wesentliche Impulse für das Aufweichen bisher selbstverständlicher Orientierungen verbinden sich nicht nur mit den zunehmenden institutionellen Veränderungen im Zuge der Gemeinsamen Erziehung, sondern auch mit den zunehmenden Diskussionen um Dekategorisierung und Nichtetikettierung, also um die individuumsbezogene Dimension (vgl. BENKMANN 1994, WOCKEN 1996). Es geht dabei um die Kritik an den bisherigen Kategoriensystemen in Fachrichtungen bzw. Behinderungsarten und ihrer Orientierung an tradierten medizinischen Vorstellungen, meist verbunden mit einer deutlichen Defizit- und Defektorientierung. Hierbei stehen weniger die Probleme der Zuordnung im Zentrum der Diskussion, sondern vielmehr die Frage nach ihrer Sinnhaftigkeit.
Wie sich indessen ein neues, konkurrierendes Paradigma gestalten könnte, ob es angesichts der Diskussionen im englischsprachigen Raum um ›Integration‹ und ›Inclusive Education‹ (vgl. HINZ 2000a) in der institutionellen Dimension als ›Schule für alle‹ bzw. als allgemeine, d.h. für alle offene Institution und in ihrer individuumsbezogenen Dimension als ›Sicherung von Heterogenität‹ beschrieben werden kann, es demnach also als Integrations- bzw. Heterogenitätsparadigma zu verstehen ist, erscheint eher noch als Option (vgl. GRUBMÜLLER, HINZ, LOEKEN & MOSER 1999, 292).
Es scheint jedoch in der Literatur eine deutliche Tendenz zu geben, von einer Paradigmenkonkurrenz bzw. einem Paradigmenwechsel zwischen zwei unterschiedlich bezeichneten Paradigmata auszugehen: von der selektierenden und segregierenden Behindertenarbeit zur bio-graphisch und subjektwissenschaftlich orientierten Behindertenpädagogik (FEUSER 2000b, 14), von einer defektologischen zur dialogischen Haltung (BOBAN & HINZ 1993, HINZ 1996a) oder vom sonderpädagogisch-rehabilitativen zum Integrationsparadigma (vgl. BARLSEN & HOHMEIER 1997). Diese beiden abgrenzbaren Grundverständnisse werden immer wieder in Gegenüberstellungen beschrieben, sie implizieren auch unterschiedliche Verständnisse von Behinderung und Integration (vgl. etwa BOBAN & HINZ 1993, HINZ 1996a). Gleichwohl sind beide Grundverständnisse in der Regel in widersprüchlichen alltagstheoretischen Anteilen in einer Person vorhanden. Das Polaritätenmodell mit rehabilitativ-sonderpädagogischem und integrativem Paradigma (Tab. 1.1) schließt an die genannten Gegenüberstellungen an.
Tab. 1.1: Sonderpädagogisch-rehabilitatives und integratives Paradigma
Rehabilitativ-sonderpädagogisches Paradigma |
Integratives Paradigma |
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Grundlage |
-Theorie der Andersartigkeit |
dialektische Theorie von Gleichheit und Verschiedenheit |
Menschenbild |
-Anderswertigkeit -Primat v. Defizit und Passivität -›behindert‹ sein (und bleiben) -(Hirnorganischer) Defekt, Schaden, ('IQ'-) Mangel, (Entwicklungs-)Defizit -ganz andere Bedürfnisse -Fürsorge, Stellvertretung, Abhängigkeit |
-Gleichwertigkeit -Primat v. Kompetenz und Aktivität -(in der Entwicklung) ›behindert‹ werden -auf sich wechselseitig beeinflussenden inneren und äußeren Bedingungen basierende Entwicklung -gleiche und verschiedene Bedürfnisse -Selbstbestimmung und Abhängigkeit (bei allen) |
Lernen und Entwicklung |
-Primat der Förderbedürftigkeit -pädagogische Führung und Betreuung -pädagogische Aggressivität -Lernen nur von spezialisierten Erwachsenen -Arbeit an Problemen, Therapie -Ticks, Stereotypien |
-Balance von Akzeptanz und Entwicklungspotential -pädagogische Assistenz und Begleitung -pädagogische Zurückhaltung -Anregung durch Gleichaltrige und Erwachsene -Unterstützung von Entwicklung, evtl. auch durch Therapie -sinnvolle, logische (Re-)Aktion |
Folgen für Bildung und Erziehung |
-Schutz in der Gruppe Gleicher -möglichst homogene Lerngruppen -Verpflichtung zu zielgleichem Lernen -gezielte, individuelle optimale Förderung -Wissen, was das Beste ist -didaktische Reduzierung, ›Prinzip der kleinen Schritte‹ -Maßnahmen und Regelungen durch andere |
-Reibung in der Gruppe Verschiedener -möglichst heterogene Lerngruppen -Offenheit für zielgleiches und zieldifferentes Lernen -gemeinsame Lernsituationen mit individualisierten Angeboten -Beobachten, auf der Welle mitgehen -Offenheit für gemeinsame Situationen und Erfahrungen -individuelle Maßstäbe, individuelle Schritte |
Folgen für das Bildungssystem |
-(differenzierte) Integration von Behinderten in die allgemeine Schule -Sonderpädagogische Förderzentren mit stationären und ambulanten Aufgaben -sonderpädagogischer Förderbedarf als individueller Begriff -Zuweisung von Ressourcen zu Personen -Sonderpädagogik als spezielle, ausdifferenzierte Pädagogik |
-gemeinsames Leben und Lernen für alle in heterogenen Lerngruppen -Sonderpädagogische Förderzentren als ambulanter integrationsunterstützender Dienst -sonderpädagogischer Förderbedarf als systemischer Begriff -Zuweisung von Ressourcen zu Institutionen -Sonderpädagogik als spezielle, komplementäre und subsidiäre Pädagogik |
Folgen für Interaktion |
-klare Machtverteilung -Denken und Arbeiten für... -Entscheidungen durch Fachleute -Stellvertretung, Fremdbestimmung -Tabuisierung des Themas ›Behinderung‹ -Elternarbeit |
-Empathie und Dialog -Reflexion und Gespräch mit... -gemeinsame Entscheidungen -Unterstützung bei Selbstbestimmung -Zeugenschaft für Bearbeitung des Themas ›Behinderung‹ -Kooperation mit Eltern |
Folgen für Diagnostik |
-Feststellung objektiver Gegebenheiten -Status klären -Entwicklung erfassen -hierarchische Testsituation -Planung von Maßnahmen Plazierungsentscheidungen |
-Einigung über Erfahrungen -Zugang finden -Logik verstehen -Einschätzung des Unterstützungsbedarfs -Planung von Aktivitäten -persönliche Zukunftsplanung |
Auf die jeweils grundlegende Theorie der Andersartigkeit von Menschen mit Behinderungen oder eine dialektischen Theorie von Gleichheit und Verschiedenheit aller Menschen bauen unterschiedliche Orientierungen und Rollenvorstellungen in vielen Bereichen auf. So finden sich auch unterschiedliche Behinderungsbegriffe: auf der einen Seite ein - wissenschaftlich veralteter - psychiatrisch-medizinischer, der sich ausschließlich an der Person selbst festmacht, auf der anderen Seite ein ökosystemischer Begriff, der nicht nur die Person und ihre inneren Voraussetzungen, sondern ebenso die Beziehungen zwischen Person und Umwelt in die Betrachtung einbezieht (vgl. SANDER 1999). Dies führt zu Folgen für Erziehung und Bildung, auch für die Struktur des Bildungswesens im Spannungsfeld von Generalisierung und Differenzierung, und das jeweilige Verständnis hat auch unmittelbare Folgen für Interaktion und Diagnostik. Zentral ist dabei jeweils eine unterschiedliche Gestaltung von Prozessen: im ersten Fall hierarchische Strukturen, die Menschen mit Behinderungen zum Objekt von Förderung, Therapie, Zuweisungen und Förderplänen machen, im zweiten Fall der Versuch, zu gleichberechtigter, kooperativer Beratung mit Unterstützung, Assistenz und Begleitung zu kommen.
Aufschlussreich ist bei der Paradigmendiskussion, dass über die institutionelle Dimension vehement gestritten wird - etwa am Beispiel der sonderpädagogischen Förderzentren und ihres weiten konzeptionellen Spektrums - und auf dieser Ebene Veränderungen deutlich sichtbar sind (vgl. z.B. WOCKEN 1996). Man könnte fast sagen, dass auf dieser Ebene paradigmatische Veränderungen in Gang gekommen sind. Auf der individuumsbezogenen Ebene dagegen stehen Veränderungen - wenn man über die allseitigen Lippenbekenntnisse, natürlich nicht mehr defektologisch und defizitorientiert zu denken und zu handeln, sondern zu dialogischem Denken und Handeln überzugehen (vgl. BOBAN & HINZ 1993) hinaussieht - bestenfalls am Beginn. Die Diskussion erscheint mitunter in einem Licht, als ob man sich über die individuumsbezogene Dimension so lange wenig Gedanken machen zu müssen glaubt, wie man über institutionelle Gegebenheiten und Strukturen hoch engagiert streiten kann.
Die Paradigmendiskussion im Bereich der Disziplin Sonderpädagogik hat eine hohe Bedeutung für die Behindertenhilfe und -politik insgesamt, denn auch für sie geht es um Fragen grundsätzlicher Orientierungen: Wie werden Menschen mit Behinderungen gesehen - als primär aktive Subjekte ihrer Entwicklung, die eigene Interessen und Wünsche einbringen, oder eher als passive Objekte der Zuweisungsmechanismen von nichtbehinderten ExpertInnen, die vor allem mit Blick auf ihre Schädigung entsprechenden Maßnahmen zugewiesen werden? Wie gestaltet sich die Rolle der nichtbehinderten Professionellen - eher als fördernde und betreuende Instanz oder eher als assistierende und begleitende Unterstützung? Dies sind Fragen, die auch für die vorliegende Evaluation von zentralem Interesse sind.
Kontroversen darüber, welche Unterstützungsleistungen konkrete Menschen mit Behinderungen brauchen, sind auch immer vor diesem Hintergrund des Wandels grundsätzlicher Orientierungen zu sehen. Ein wesentlicher Impuls für die berufliche Rehabilitation ist im amerikanischen Ansatz des ›Supported Employment‹ zu sehen, das - neben allgemeinen krisenhaften Entwicklungen in der Arbeitsgesellschaft - maßgeblich zu einer Umbruchssituation im Feld der beruflichen Rehabilitation beigetragen hat. Deshalb beschäftigen sich die beiden nächsten Abschnitte mit diesen beiden Fragen.
Im folgenden Abschnitt wird zunächst auf die Entstehung des Ansatzes Unterstützter Beschäftigung eingegangen, bevor seine Grundprinzipien und Erfahrungen in Deutschland dargestellt werden.
Unterstützte Beschäftigung ist die deutsche Übersetzung für den amerikanischen Begriff ›Supported Employment‹. Dieser Begriff bezeichnet ein Konzept, das in den USA in der Folge von Bürgerrechtsbewegungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt wurde. Dabei ist dieser Begriff nicht mit der Lernbehinderung im deutschen Sprachraum gleichzusetzen, sondern umfasst darüber hinaus auch Menschen, die hier als geistig behindert bezeichnet werden - was in den USA als diskriminierender Begriff abgelehnt wird. Supported Employment ist dort nach einer Reihe von Modellprojekten seit 1984 gesetzlich verankert (vgl. hierzu DOOSE 1997b, 266f.). Es ist
-
bezahlte Beschäftigung für Menschen mit Lernschwierigkeiten (developmental disabilities), für die eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für oder oberhalb des Mindestlohnes unwahrscheinlich ist, und die langfristige Unterstützung benötigen, um arbeiten zu können,
-
in einer Vielzahl von Konstellationen möglich, in denen Menschen ohne Behinderung beschäftigt sind,
-
Unterstützung durch alle Aktivitäten, die dazu beitragen, bezahlte Arbeit zu erhalten, einschließlich Anleitung, Qualifizierung und die Fahrt von und zur Arbeit« (Developmental Disabilities Assistance and Bill of Rights Act of 1984, Public Law 98-527; zit. in BAG UB 1999, 70).
Das Konzept des Supported Employments wird inzwischen in vielen anderen Ländern rezipiert (etwa in Kanada, Australien, Großbritannien, Norwegen, Holland, Italien, Spanien, Österreich; vgl. SCHÖLER 1996, LEICHSENRING & STRÜMPEL 1997, WETZEL & WETZEL 2001 sowie IMPULSE 1999). So wurden die World Association of Supported Employment (WASE), die European Union of Supported Employment (EUSE) und in Deutschland 1994 die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung (BAG UB) gegründet. Ihr gehören vor allem jene Integrationsfachdienste an, die sich um die Fortsetzung »integrativer Prinzipien und Prozesse aus der Schule in das Arbeitsleben« bemühen (GINNOLD 2000, 154).
Das Konzept der Unterstützten Beschäftigung wird als Teil der Bewegung für Integration und gegen Aussonderung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen verstanden: »Unterstützte Beschäftigung basiert auf der Überzeugung, dass Arbeit ein wesentlicher Teil unseres Lebens und unseres sozialen Status ist. Gleichwertige, gleichberechtigte Teilhabe an den zentralen Lebensbereichen setzt ein kommunikatives, zwischenmenschliches Miteinander voraus. Ausgrenzung, egal in welchem Lebensbereich, macht diese Kommunikation unmöglich. Menschen mit Behinderung dürfen daher nicht gegen ihren Willen von diesem wichtigen Lebensbereich ausgeschlossen werden« (DOOSE 1997b, 264).
Ähnlich wie in den USA, wo die Unterstützung von Menschen mit Lernschwierigkeiten den Ausgangspunkt von Supported Employment bildet, wendet sich das Konzept der Unterstützten Beschäftigung insbesondere an Menschen mit Behinderungen, die im gängigen Rehabilitationssystem bisher als nicht vermittlungsfähig gelten. »Die Möglichkeit, Menschen mit einer Behinderung durch individuelle Unterstützung und Begleitung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, ist aber nicht auf eine Behinderungsart beschränkt« (DOOSE 1997b, 275). Als Zielgruppen von erfolgreicher Unterstützter Beschäftigung werden mittlerweile folgende Personengruppen genannt:
-
Menschen mit einer Lern- oder geistigen Behinderung, einschließlich Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung,
-
Menschen mit psychischen Behinderungen,
-
Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung,
-
Menschen mit Autismus,
-
Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (vgl. BAG UB 1999, 73).
Durch die erfolgreiche Vermittlung von Menschen mit schweren Behinderungen in integrative Arbeitsverhältnisse soll auch die berufliche Integration von Menschen mit leichteren Behinderungen bedeutende Impulse erhalten (vgl. DOOSE 1997b, 275f.).
Für die Aufnahme und Weiterentwicklung des amerikanischen Ansatzes des ›Supported Employments‹ als deutsches Modell der Unterstützten Beschäftigung lassen sich mit DOOSE vier verschiedene Herkunftsbereiche unterscheiden (vgl. BAG UB 1999, 77f.):
-
Die Entwicklung im Bereich der beruflichen Integration ist auf das Engagement der Elternbewegung für Integration zurückzuführen, die sich für ihre Kinder für Möglichkeiten zur Fortsetzung der schulischen Integration im Arbeitsleben einsetzt. Diese Elternbewegung findet im Supported Employment in den USA und im Projekt ›Open Road‹ in Irland ihre Vorbilder. Dies gilt etwa für die Hamburger Arbeitsassistenz (vgl. BEHNCKE, CIOLEK & KÖRNER 1993) und den Verein ›Cooperative Beschützende Arbeitsstätten‹ (CBA) in München.
-
Eine weitere Bewegung kommt aus dem Bereich der Sonderschulen, die die Situation ihrer Schüler im Hinblick auf das Leben und den Übergang in die Arbeitswelt verbessern wollen (so Projekte in Donaueschingen und Pforzheim; vgl. TROST 1994, BÖHRINGER 2000).
-
Eine dritte Herkunftsrichtung leitet sich von engagierten Trägern aus dem Bildungsbereich ab, die nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Werkstatt für Behinderte suchen, wie etwa das Modellprojekt der Evangelischen Fachhochschule in Reutlingen, Arbeit und Bildung in Marburg und die Gesellschaft für Integration, Sozialforschung und Betriebspädagogik (ISB) in Berlin (vgl. SCHUMANN 1995, 1998, GEHRMANN 1998).
-
Eine vierte Bewegung kommt von den Psychosozialen Diensten (PSD), die seit Mitte der 80er Jahre im Auftrag der Hauptfürsorgestellen zur Betreuung und Begleitung von Menschen mit zumeist psychischen Behinderungen gegründet werden.
Von daher ist festzustellen, dass es »kein einheitliches Konzept und keine einheitliche Praxis der hier tätigen Integrationsfachdienste« gibt (GINNOLD 2000, 156, vgl. auch BUNGART 1997). Darüber hinaus unterscheiden sie sich auch im Hinblick auf ihre Trägerschaft. Neben den Diensten, die den etablierten Einrichtungen der Behindertenhilfe angehören, insbesondere der Werkstatt für Behinderte, gibt es Integrationsfachdienste in unabhängiger Trägerschaft, die sich, wie GINNOLD (2000, 157) betont, in bewusster Abgrenzung von etablierten Sondereinrichtungen gründen - so auch die Hamburger Arbeitsassistenz, die von dem Verein ›Eltern für Integration‹ 1992 initiiert wird.
Unterstützte Beschäftigung ist ein Synonym für »integrierte Arbeitsplätze in regulären Betrieben geworden, in denen Menschen mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung zusammenarbeiten und die notwendige individuelle Unterstützung erhalten, um dauerhaft er-folgreich arbeiten zu können« (BAG UB 1999, 71). Diesem Konzept folgend verläuft die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen in einem Prozess, der sich in fünf Phasen teilen lässt (BEHNCKE & CIOLEK 1997, 223, vgl. auch HORIZON-ARBEITSGRUPPE 1995, BARLSEN & HOHMEIER 1997, DOOSE 1997b):
1. Erstellen eines Fähigkeitsprofils als individuelle Berufsplanung,
2. Akquisition eines Arbeitsplatzes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,
3. Arbeitsplatzanalyse,
4. Arbeitsbegleitung und Qualifizierung und
5. Krisenintervention, Nachsorge und dauerhafte Begleitung
In allen Phasen werden die Menschen mit Behinderungen von ArbeitsassistentInnen beraten und unterstützt.
Darüber hinaus lassen sich folgende Prinzipien der Unterstützten Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen nennen (vgl. BAG UB 1999, 97f.):
Integration
Unterstützte Beschäftigung ist nicht nur auf die Vermittlung eines Beschäftigungsverhältnisses auf den allgemeinen Arbeitsmarkt begrenzt, sie bemüht sich darüber hinaus um die Integration von Menschen mit Behinderungen in innerbetriebliche Abläufe und das Zustandekommen persönlicher Beziehungen zu ArbeitskollegInnen, d.h. um die Teilhabe der unterstützten ArbeitnehmerInnen an Pausen, Betriebsfeiern und -ausflügen und außerbetrieblichen Unternehmungen sowie um die Bewältigung gemeinsamer Arbeitswege. Intendiert ist somit auch ihre soziale Integration (vgl. GINNOLD 2000, 158). Dabei ist wichtig, dass Unterstützte Beschäftigung allen Menschen mit Behinderungen offen stehen soll.
Bezahlte und reguläre Arbeit
Im Unterschied zu den Beschäftigungsverhältnissen in der Werkstatt für Behinderte und den Tagesförderstätten wird bei Unterstützter Beschäftigung versucht, eine tarifliche Entlohnung - häufig in Teilzeitform - in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes zu ermöglichen. Etwaige Minderleistungen können dabei durch Lohnkostenzuschüsse oder durch Angleichung der Löhne an die reale Arbeitskraft ausgeglichen werden.
Training on the Job - ›erst platzieren, dann qualifizieren‹
Dieses Prinzip steht im Gegensatz zum gängigen Ansatz der Rehabilitationspraxis, die die Menschen mit Behinderungen ›erst qualifizieren, dann platzieren‹ will; in einer langfristigen Vorbereitungsphase außerhalb der realen Situation von Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf deren Anforderungen hin qualifiziert werden soll, können Sinn und Bedeutung der Qualifizierungsmaßnahme kaum vermittelt werden. Bei Unterstützter Beschäftigung wird dagegen im Prozess der Arbeitsplatzanalyse nicht der Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz, sondern der Arbeitsplatz an dessen Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasst und entsprechend modifiziert. Gemäß des ›Trainings on the job‹ setzen sich Menschen mit Behinderungen mit den Anforderungen eines Arbeitsplatzes in der betrieblichen Realität auseinander und lernen dabei direkt in ihrer Arbeitstätigkeit. Es werden dabei verschiedene Organisationsformen von Unterstützter Beschäftigung unterschieden:
-
Beschäftigung in Integrationsfirmen oder Integrationsabteilungen, wobei die Anzahl nicht mehr als acht Personen mit Behinderungen umfassen darf, um als Unterstützte Beschäftigung zu gelten. Die Begrenzung der Gruppengröße ist für den Erfolg der beruflichen Integration von entscheidender Bedeutung, um innerbetriebliche Separierung zu vermeiden.
-
Beschäftigung in mobilen Dienstleistungsgruppen, die bestimmte Arbeiten in Regionen anbieten, etwa Gartenarbeiten oder das Reinigen von Sammelcontainern.
-
Unterstützte Einzelarbeitsplätze als häufigste Form Unterstützter Beschäftigung (80% der unterstützten Arbeitsplätze in den USA); dies sind Arbeitsplätze in regulären Betrieben, an denen Arbeitnehmer mit Behinderungen durch ArbeitsassistentInnen (›job coaches‹) oder KollegInnen (›natural support‹, vgl. SCHARTMANN 1995a) unterstützt werden (vgl. DOOSE 1997b, 276-278).
Flexible, individuelle und zeitlich unbegrenzte Unterstützung
Menschen mit Behinderungen haben unterschiedliche Bedarfe nach individuellen Hilfen und Unterstützungen. Diese individuelle und flexible Unterstützung beinhaltet »alle Hilfen, die für eine erfolgreiche Arbeit im Betrieb notwendig erscheinen« (GINNOLD 2000, 159). Dabei muss die zeitliche Unbegrenztheit dieser Unterstützung gewährleistet sein.
Wahlmöglichkeiten und Förderung der Selbstbestimmung
Das Konzept der Unterstützten Beschäftigung versucht, Menschen mit Behinderungen ein breites Spektrum alternativer Arbeitsmöglichkeiten anzubieten und so Wahlmöglichkeiten bei der Aufnahme einer Beschäftigung zu schaffen. Sie tragen bei zur Förderung der Selbstbestimmung, der zufolge die Menschen mit Behinderungen selbst in den beruflichen Integrationsprozess aktiv mit einbezogen werden; dabei spielen die Partizipation an der Entscheidung über die Verwendung von Eingliederungshilfen und die Berücksichtigung persönlicher Interessen und Neigungen durch individuelle Berufsplanung und »persönliche Zukunftskonferenzen« (BOBAN & HINZ 1999, vgl. auch VAN KAN & DOOSE 1999) eine zentrale Rolle. »In diesem Sinne eröffnet das Konzept Unterstützte Beschäftigung Menschen mit Beeinträchtigungen die Selbstbestimmung und steht in engem Zusammenhang mit den Forderungen nach Integration und Gleichberechtigung« (TROST 1997, 45).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Konzept der Unterstützten Beschäftigung Menschen mit Behinderungen Alternativen vor allem zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte bieten will, indem es ihnen Perspektiven der beruflichen Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eröffnet. Das ist nach dem Verständnis seiner VertreterInnen »mehr als eine neue Rehabilitationsmaßnahme. Es ist eine veränderte Sichtweise, die zu einer veränderten Praxis führt. Gemeinsames Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderungen als Ziel, die Fähigkeiten und Wünsche eines Menschen als Ausgangspunkt, echte Wahlmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Kontrolle des Menschen mit Behinderung als Wegweiser und ambulante, individuelle, flexible Unterstützung als Methode sind Eckpfeiler von Unterstützter Beschäftigung« (DOOSE 1997a, 88). Dezidiert wird die Veränderung der grundsätzlichen Orientierung betont: »Ohne eine derart veränderte Perspektive werden auch Integrationsfachdienste nur eine Fortsetzung des alten Maßnahmeparadigmas mittels einer neuen Maßnahme sein« (DOOSE 1997b, 286). Hierauf gilt es die Evaluation des Ambulanten Arbeitstrainings und des Integrationspraktikums zuzuschneiden.
Eine erste übergreifende Untersuchung in Deutschland von 80 Menschen mit Lernschwierigkeiten auf unterstützten Arbeitsplätzen, die von fünf Integrationsfachdiensten unterstützt werden, fördert folgende Ergebnisse zutage (vgl. DOOSE 1996, 1997b, 282-285):
-
»Die in die Untersuchung einbezogenen unterstützten Arbeitnehmer haben zu über 80% eine Lern- oder geistige Behinderung.
-
Für zwei Drittel der unterstützten Beschäftigten ist dies das erste reguläre Arbeitsverhältnis.
-
Die Hälfte der unterstützten Arbeitnehmer wird mindestens einmal wöchentlich am Arbeitsplatz direkt vom Fachdienst unterstützt. Meist ist die direkte Unterstützung am Arbeitsplatz am Anfang stärker und lässt im Laufe der Zeit nach.
-
Die Arbeitsplätze werden am häufigsten im Produktions- und Montagebereich, im Gastronomie- und Küchenbereich und im Lagerbereich gefunden.
-
Die unterstützten Arbeitsplätze werden überwiegend in kleineren Betrieben gefunden. So haben 72% der Betriebe weniger als 50 Beschäftigte und 46% sogar weniger als 15 Angestellte« (DOOSE 1997b, 282).
Seiner Untersuchung zufolge sieht DOOSE folgende wesentliche Barrieren für die berufliche Integration in Deutschland:
-
»Wirtschaftliche Situation mit hoher Arbeitslosigkeit,
-
mangelndes Interesse von Arbeitgebern, Menschen mit einer erheblichen Behinderung einzustellen,
-
geringe Qualifikation der Bewerber mit Behinderungen (Lücke zwischen der benötigten Qualifikation und der in der Schule und WfB erhaltenen),
-
inflexibles Förderungsrecht,
-
keine Unterstützung von Werkstätten für Behinderte« (1997b, 283).
Als Erfolgsfaktoren für berufliche Integration erscheinen demgegenüber:
-
»Individuelle Unterstützung am Arbeitsplatz durch den Arbeitsbegleiter,
-
Lohnkostenzuschüsse,
-
gute regionale Kontakte der Fachdienstmitarbeiter,
-
hohe Motivation der Menschen mit Behinderung,
-
positive Einstellung von Arbeitgebern« (DOOSE 1997b, 284).
In Deutschland wird Unterstützte Beschäftigung von vielen als ein Konzept zur Ergänzung des klassischen Systems der beruflichen Rehabilitation betrachtet, nicht aber »als grundlegende Veränderung dieses Systems begriffen« (GINNOLD 2000, 167). Dies macht einen wichtigen Unterschied zu den USA aus, wo die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen als notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Integration von Menschen mit geistiger Behinderung geschaffen worden sind (vgl. SCHARTMANN 1995b, 73). VertreterInnen des Konzepts der Unterstützten Beschäftigung monieren, dass seine Umsetzung sich nicht auf systemimmanente Bemühungen im Sinne einer Weiterentwicklung bereits bestehender organisatorischer und methodischer Formen der Rehabilitation beschränken darf. Sie fordern dagegen, dass es vielmehr eine »selbstverständliche und wählbare Alternative für alle Menschen mit Behinderungen werden sowie gesetzlich verankert sein« muss (GINNOLD 2000, 168, vgl. auch BARLSEN & HOHMEIER 1997, 56). Dabei werden über bisherige konzeptionelle Entwicklungen hinaus im Berliner Projekt »SprungBRETT« die Konzepte der Unterstützten Beschäftigung und der Alltagsbegleitung (HILLER) kombiniert, so dass die berufliche und die soziale Seite des Erwachsenenlebens für junge Menschen mit Behinderungen zusammengeführt werden (vgl. GINNOLD & RADATZ 2000).
Mit dem Verständnis Unterstützter Beschäftigung als grundlegend neuem Weg zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen und in Anlehnung an die Entwicklung in den USA wird für Deutschland eine Reihe konkreter Maßnahmen gefordert:
-
Gesetzliche Förderbestimmungen müssen flexibler gestaltet werden.
-
Finanzielle Mittel für eine lebenslange Beschäftigung innerhalb einer Werkstatt für Behinderte müssen auch im Rahmen Unterstützter Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
-
Eine Absicherung des Lebensunterhaltes von Arbeitnehmern mit Behinderung durch Sozialhilfe oder Erwerbsunfähigkeitsrente ist sicherzustellen (vgl. GINNOLD 2000, 168).
-
Finanzierung darf nicht zeitlich begrenzt werden, nur weil sie nicht an eine bestimmte Institution gebunden ist.
-
Sämtliche Hilfen müssen Menschen mit Behinderungen, die im Rahmen Unterstützter Beschäftigung tätig sind, direkt zugute kommen, um ihnen volle Selbstbestimmung in Bezug auf ihre Arbeitsplatzwahl zu ermöglichen.
Abschließend ist somit aus der Perspektive der VertreterInnen Unterstützter Beschäftigung festzuhalten: Mit diesem Konzept scheint »das integrative Leitbild nun auch den Bereich der beruflichen Eingliederung und Rehabilitation erreicht zu haben, insofern es hier nicht mehr ausschließlich um die Ausdifferenzierung des vorhandenen Systems geht, sondern eher um die Suche nach alternativen Lösungswegen für gewiss nicht neue Probleme« (BARLSEN & HOHMEIER 1997, 57). Damit können die Forderungen von VertreterInnen des Konzepts Unterstützter Beschäftigung als Forderungen nach einem Paradigmenwechsel im System der beruflichen Rehabilitation begriffen werden. Das Ambulante Arbeitstraining und das Integrationspraktikum müssen in diesem Zusammenhang betrachtet werden.
Um einen weiteren allgemeinen Hintergrund zumindest andeutungsweise zu beleuchten, widmet sich der folgende Abschnitt der Frage nach der Bedeutung von Arbeit, die diesbezüglichen Entwicklungen der letzten Jahre, die mit dem Begriff der Krise der Arbeitsgesellschaft verbunden werden, und dem Zusammenhang mit Veränderungen im Feld der beruflichen Rehabilitation und seiner Widersprüchlichkeit.
Unter dem Begriff ›Arbeit‹ wird heute die Lohn- und Erwerbsarbeit in Form von Berufen verstanden. Erwerbsarbeit ist dabei eine auf die Einkommenserzielung gerichtete Tätigkeit, sei es in einem abhängigen Arbeitsverhältnis als monetäre Erwerbsarbeit oder in selbständiger Tätigkeit. Erwerbsarbeit bzw. Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat in unserer Gesellschaft große Bedeutung gewonnen. Als ›arbeitslos‹ bezeichnet man gewöhnlich nur denjenigen, der keiner Erwerbsarbeit nachgeht, auch wenn er stattdessen noch so viel unentgeltliche Arbeit erbringt. Diese Formen von Arbeit, die vor allem in Familien oder als ehrenamtliche Tätigkeit erbracht wird, können auch im Rahmen von Erwerbsarbeit durchgeführt werden, so kann etwa die Pflege eines Kranken zu Hause von einem Familienangehörigen (unentgeltliche Arbeit) oder von bezahltem Pflegepersonal (Erwerbsarbeit) durchgeführt werden.
Der Motivation, eine Arbeit aufzunehmen und auszuüben, liegen Bedürfnisse zugrunde, die in der Arbeit zu befriedigen versucht werden und die Arbeit einen individuellen Sinn verleihen. ZWIERLEIN (1997, 20) stellt im Anschluss an das bedürfnistheoretische Modell der ›MASLOW-Pyramide‹ für die Arbeit fünf Motiv- und Sinndimensionen heraus, die verschiedenen Bedürfnissen zugeordnet sind:
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Physiologische Bedürfnisse: Auf dieser Ebene entspricht Arbeit dem Bedürfnis nach materieller Existenzsicherung, d.h. Arbeit dient zur Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse.
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Sicherheitsbedürfnisse: In Bezug auf Bedürfnisse nach Schutz, Ordnung, Stabilität, Vorsorge und Angstfreiheit soll Arbeit zur Sicherung des Lebens beitragen. Aber erst ein gesicherter Arbeitsplatz wird dieses Bedürfnis erfüllen.
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Bedürfnisse nach Kommunikation und Kooperation: Die Arbeit konstituiert und strukturiert zwischenmenschliche Kontakte und Begegnungen.
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Bedürfnisse nach Anerkennung und Geltung: Durch Möglichkeiten von Leistungserfolgen und Leistungsachtung ergeben sich Chancen zur Steigerung der Selbstachtung.
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Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung: Der Mensch hat das Verlangen, seine potentiellen Fähigkeiten und Möglichkeiten entfalten zu können. Er kann sich durch Arbeit in dem Produkt widerspiegeln, das er durch seine Anstrengung und persönliche Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt hervorgebracht hat.
Aus den genannten Motiv- und Sinndimensionen ergeben sich die Bedeutungs- und Erlebnisinhalte von Arbeit, die für den Menschen durch das alltägliche Nachgehen einer Arbeit relevant sind. JAHODA beschreibt diese Bedeutungs- und Erlebnisinhalte in fünf Kategorien, un-abhängig von der Qualität und Art der Arbeitserfahrung (1984, 11ff.):
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Arbeit konstituiert ein für sie charakteristisches Zeiterlebnis, sie teilt die Zeit und das Leben in Perioden von Freizeit und Arbeitszeit ein.
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Arbeit erweitert den sozialen Horizont über Familie, Nachbarschaft und Freunde hinaus.
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Da Arbeit kollektiv organisiert ist, bringt sie den Menschen dazu, sich als soziales Wesen zu erleben, in Kooperation mit anderen tätig zu sein, in Arbeitsabläufe eingebunden zu sein und Zusammenhänge zu erkennen.
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Arbeit beeinflusst maßgeblich die Identität und den Status eines Menschen in der Gesellschaft. Zwischen der im Arbeitsleben eingenommen Position und der gesellschaftlichen Position besteht eine enge Korrelation.
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Erwerbsarbeit ermöglicht dem Menschen eine »regelmäßige, systematische Tätigkeit, deren Zweck über persönliche Zwecke hinausgeht und den Arbeitenden an die soziale Realität bindet« (JAHODA 1984, 13).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass den verschiedenen Erlebnisinhalten und Funktionsbereichen von Arbeit prinzipiell sowohl positive als auch negative Qualitäten zueigen sein können (hoch und niedrig bezahlte Arbeit, erfreuliche und unerfreuliche soziale Kontakte). Diese »Ambivalenz, die Zwiespältigkeit und Janusköpfigkeit« (ZWIERLEIN 1997, 18) der Arbeit ist immer in jeder Erwerbsarbeit enthalten.
Aus den bisher genannten Bedeutungen von Arbeit ergibt sich, dass dem Wert der Arbeit eine zentrale Stellung in der heutigen Gesellschaft zukommt und sie zu Recht als ›Arbeitsgesellschaft‹ bezeichnet wird. Dabei hat sich im Laufe der Zeit ihre Bedeutung gewandelt: »Früher galt es häufig als Privileg, nicht arbeiten zu müssen, heute gilt es eher als Privileg, arbeiten zu dürfen« (ZWIERLEIN 1997, 18). Erwerbsarbeit wird zunehmend zum knappen Gut, und immer mehr Menschen, die nicht den sich rasant ändernden Anforderungen der Arbeitswelt entsprechen, werden aus ihr hinausgedrängt. Aufgrund von Automatisierung und Computerisierung wird eine geringere Arbeitsmenge für die gleiche Produktionsmenge gebraucht, Konsumbedürfnisse sind im Vergleich zur Nachkriegszeit zu weiten Teilen befriedigt, die Nachfrage ist nicht mehr unbegrenzt steigerbar. Jedoch gehört der Mechanismus, immer mehr zu produzieren, um mehr zu arbeiten, zur Basis der Arbeitsgesellschaft, um Vollbeschäftigung für alle zu ermöglichen (vgl. GORZ 1989, 308). Die Arbeitsgesellschaft steckt in einer Krise: Nach STORZs ›These von der Einfünftelgesellschaft‹ kommt das globale Wirtschaftssystem mittelfristig mit einem Fünftel aller Arbeitssuchenden aus, »um alle Waren zu produzieren und die hochwertigen Dienstleistungen zu erbringen, die die Weltgesellschaft benötigt. (...) Die Ausgrenzungsbewegungen richten sich schon jetzt gegen die wirtschaftlich schwachen Gruppen: Ausländer, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Behinderte, Jugendliche ohne Ausbildung und Frauen« (STORZ 1997, 400).
Diese Krise bewirkt eine Veränderung der Bedeutung und des Wertes der Arbeit in der Gesellschaft. Bereits BECK (1986, 220ff.) weist darauf hin, dass durch den Mangel an klassischer Erwerbsarbeit Normen aufgebrochen und die Formen der Erwerbsarbeit vielfältiger werden (müssen). Die herkömmliche Form der Erwerbsbiographie ändert sich zunehmend, und eine immer größer werdende Menge an Menschen ist von partieller Arbeits- bzw. Erwerbslosigkeit in ihren Biographien betroffen. Diese Prozesse werden durch neoliberale Tendenzen der Deregulierung maßgeblich verstärkt. Auch wenn GORZ betont, dass die Krise der Arbeitsgesellschaft dazu zwinge, »woanders als in der Arbeit Quellen für persönliche Identität und soziale Zugehörigkeit zu suchen« (1989, 147), treten heute bestenfalls schemenhaft »Konturen einer neuen Tätigkeitsgesellschaft« (STORZ 1999, 39) hervor, die »als Tätigkeitsgemisch marktentlohnter und nicht marktvermittelter Arbeit, aus formeller und informeller Arbeit, aus Erwerbs-, Bürger- und Eigenarbeit« (ebd.) gedacht wird.
Die Situation auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt verschärft sich seit Beginn der 90er Jahre alarmierend. Immer mehr Menschen sind - vorübergehend oder dauerhaft - von Arbeitslosigkeit betroffen. Die wichtigsten Verursachungsdimensionen sind die schnell wachsende Internationalisierung der Wirtschafts- und Wettbewerbsverflechtungen (Globalisierung) sowie die sich dadurch verschärfende Standortkonkurrenz einerseits und die durch den Einsatz neuer Technologien bewirkten Rationalisierungsmaßnahmen und Freisetzungseffekte andererseits: »Überall in der westlichen Welt wurde Arbeit in den letzten Jahrzehnten zu einem unsicheren Faktor, da die alten Arbeitsstrukturen zerfielen: Vollzeit-Arbeitsplätze werden abgebaut, es gibt ein dramatisches Anwachsen von (schein-)selbständiger Arbeit und Teilzeitarbeit; viele Unternehmen bieten zeitlich begrenzte Verträge an« (WILKINSON 1997, 104, zit. in JÄHNERT 1997b, 34).
Dabei ist eine Verschiebung der Arbeit in den ökonomischen Sektoren und zwischen Betriebsgrößen festzustellen: »Industrielle Großunternehmen im produzierenden Gewerbe haben rapide Arbeitsplätze abgebaut, während Klein- und Mittelbetriebe ihr Arbeitsplatzangebot im wesentlichen aufrechterhalten haben. Im Dienstleistungsbereich hat es ein mildes Wachstum gegeben, das vor allem von der positiven Entwicklung im Gesundheitswesen ..., in der Rechts- und Wirtschaftsberatung ... und bei den sonstigen Dienstleistungen getragen wird« (SEYD 1997, 18). Auf der Basis dieser Situation sind prognostische Aussagen über weitere Perspektiven höchst unsicher, da einerseits eine Verlagerung von Arbeit in den tertiären und quartären Sektor angenommen wird, andererseits auch in jenen Bereichen zumindest in Großunternehmen massive Rationalisierungswellen zu beobachten sind (vgl. SEYD 1997, 20-22).
In Deutschland gibt es fast vier Millionen Arbeitslose, die Arbeitslosenquote beträgt im Dezember 2000 bundesweit 9,3%. Unter diesen schwierigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt erscheint es beinahe aussichtslos, eine Gruppe von Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt integrieren zu wollen, die anscheinend in einer schlechten Ausgangslage sind und somit wenig Chancen haben: Menschen mit Behinderungen. Ende 1996 gibt es in Deutschland etwa 6,6 Millionen anerkannte Schwerbehinderte, d.h. acht Prozent der Bevölkerung. Davon sind 5,5 Millionen aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr im Arbeitsleben. Im Oktober 1997 liegt die Arbeitslosenquote der Schwerbehinderten bei 17,9 Prozent, rund 196.260 Menschen sind arbeitslos gemeldet (BMA 1998, 69f.). Die Arbeitslosenquote Schwerbehinderter übersteigt damit deutlich die der allgemeinen Arbeitslosigkeit von Menschen ohne Behinderungen (ebd., 70). In Hamburg etwa liegt 1996 die Vermittlungschance für schwerbehinderte Arbeitslose nur bei etwa einem Sechstel der allgemeinen Vermittlungschancen; diese Differenz ist lang-jährig zu beobachten (vgl. RITZ 1997, 50f.).
Eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, wird immer schwieriger, »weil Nischenarbeitsplätze, einfache und ungelernte Tätigkeiten wegfallen. Es findet ein Verdrängungswettbewerb von oben nach unten statt. Die Verlierer sind die ›Schwächsten der Gesellschaft‹: niedrig qualifizierte und ungelernte Menschen sowie sogenannte Randgruppen ohne Lobby. Das trifft gerade auch Menschen mit Behinderungen« (GINNOLD 2000, 17).
Angesichts dieser schwierigen Situation versucht der Staat über eine Reihe von Maßnahmen, die Integration von Menschen mit Behinderungen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes zu fördern, insbesondere über Regelungen des bisherigen Schwerbehindertengesetzes. Nach MONTADA (1997, 4f.) gehören dazu
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die Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderungen, d.h. 6% der Arbeitsplätze in Betrieben über 16 MitarbeiterInnen müssen mit Schwerbehinderten besetzt sein. Ist dies nicht der Fall, müssen die Betriebe eine monatliche Ausgleichsabgabe von 200 DM pro unbesetzter Stelle zahlen;
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der besondere Kündigungsschutz, d.h. der Arbeitgeber darf nur mit vorheriger Zustimmung der Hauptfürsorgestelle eine Kündigung aussprechen, sowie eine Reihe weiterer Schutzvorschriften (Zusatzurlaub, Befreiung von Mehrarbeit); entstehende Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen;
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die Förderung von Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter durch finanzielle Zuschüsse oder in Form von Leistungen der begleitenden Hilfe;
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die besondere Interessenvertretung der Schwerbehinderten im Betrieb (vgl. BMA 1998, 69ff.).
Trotz dieser Regelungen und Maßnahmen sinkt die Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten kontinuierlich von 5 % im Jahr 1982 auf 3,9 % im Jahr 1986 (TROST & SCHÜLLER 1992, 40; vgl. auch ECKERT 1996). Der private Sektor erfüllt im Oktober 1996 die Quote mit 3,5 % noch weniger als der öffentliche Sektor mit 5,2 % (BMA 1998, 69ff.). Lediglich der öffentliche Dienst des Bundes erfüllt 1996 mit 6,9 % seine Beschäftigungspflicht und nimmt im öffentlichen Sektor eine Vorbildfunktion ein.
Die Zahlen und Quoten zur Beschäftigungspflicht relativieren sich weiter, wenn man berücksichtigt, dass 80% der beschäftigten Schwerbehinderten nicht als Schwerbehinderte neu eingestellt werden, sondern während eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen, zumeist mit dem Einverständnis ihrer Arbeitgeber, die damit Ausgleichszahlungen vermeiden wollen. »So entsteht eine große Gruppe beschäftigter Schwerbehinderter - ›intern rekrutierte Schwerbehinderte‹ oder auch ›schwerbehinderte Insider‹ genannt - , ohne dass viele Menschen von außen eine Chance auf Einstellung bekommen« (GINNOLD 2000, 19). Offensichtlich können weder finanzielle Anreize noch gesetzliche Auflagen wie die Ausgleichsabgabe, die eigentlich der Unterstützung der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt dienen sollen, dazu beitragen, in nennenswertem Maße schwerbehinderte Menschen einzustellen. Zu diesem Bild steht die Feststellung von FRICK & SADOWSKI mit Blick auf die ›intern rekrutierten Schwerbehinderten‹ in einem eigentümlichen Kontrast, es könne nicht von einer systematischen Benachteiligung gesprochen werden, sondern es sei vielmehr so, »dass eine erfolgreiche Integration nicht nur möglich, sondern auch bereits in großem Umfang realisiert ist« (1996, 477).
Im Oktober 2000 kommt es zu einer Novellierung des Schwerbehindertengesetzes, demzufolge die Pflichtquote befristet auf 5 % abgesenkt und die Ausgleichsabgabe gestaffelt wird (vgl. BMA 2000, 78):
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200 DM monatlich bei einer Beschäftigungsquote von 3% bis unter 5%,
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350 DM monatlich bei einer Beschäftigungsquote von 2% bis unter 3%,
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500 DM monatlich bei einer Beschäftigungsquote von 0% bis unter 2%.
Es bleibt abzuwarten, ob mit diesen Neuregelungen das ehrgeizige Ziel von 50.000 neuen Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte erreicht werden kann.
Im Schwerbehindertengesetz von 2000 werden erstmalig auch Integrationsfachdienste gesetzlich verankert (vgl. AG DER DEUTSCHEN HAUPTFÜRSORGESTELLEN 2000). Nach §37a sollen sie im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit mit Mitteln der Ausgleichsabgabe vor allem für Schwerbehinderte tätig werden. So sollen sie nach § 37b (1) »die Schwerbehinderten beraten, unterstützen und auf geeignete Arbeitsplätze vermitteln und die Arbeitgeber informieren, beraten und Hilfe leisten.« Zu ihren weiteren Aufgaben nach § 37b (2) »gehört es,
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die Fähigkeiten der zugewiesenen Schwerbehinderten zu bewerten und einzuschätzen und dabei ein individuelles Fähigkeits-, Leistungs- und Interessenprofil zur Vorbereitung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in enger Kooperation mit dem Schwerbehinderten, dem Auftraggeber und der abgebenden Einrichtung der schulischen oder beruflichen Bildung, Rehabilitation oder Eingliederung zu erarbeiten,
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geeignete Arbeitsplätze ... auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erschließen,
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die Schwerbehinderten auf die vorgesehenen Arbeitsplätze vorzubereiten,
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die Schwerbehinderten solange erforderlich am Arbeitsplatz oder beim Training der berufspraktischen Fähigkeiten am konkreten Arbeitsplatz zu begleiten,
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die Mitarbeiter im Betrieb oder in der Dienststelle über Art und Auswirkung der Behinderung und über entsprechende Verhaltensregeln zu informieren und zu beraten,
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eine Nachbetreuung, Krisenintervention oder psychosoziale Betreuung durchzuführen sowie
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als Ansprechpartner für die Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen« (AG DER DEUTSCHEN HAUPTFÜRSORGESTELLEN 2000, 70f.).
Weiterhin werden Beauftragung und Verantwortlichkeit, fachliche Anforderungen, finanzielle Leistungen und Ergebnisbeobachtung geregelt. Wie die zitierten Passagen deutlich machen, finden sich im neuen SchwbG Begrifflichkeiten und konzeptionelle Merkmale der Unterstützten Beschäftigung wieder. Letztlich werden für die Praxis vor allem die finanziellen Bedingungen darüber entscheiden, welcher Personenkreis in welchem Umfang und mit welchen Rahmenbedingungen auf dieser Rechtsgrundlage unterstützt werden kann.
Gleichwohl gibt es keinen Konsens darüber, auf welcher konzeptionellen Grundlage und mit welchem Selbstverständnis Integrationsfachdienste tätig werden sollen. Vielmehr scheinen sich zwei recht unterschiedliche Modelle abzuzeichnen, wie mehrfach in der Literatur gezeigt wird (vgl. DEUSCH 1998, BURTSCHER 2001, 40-45). So stellt BURTSCHER zwei Arbeitsassistenz-Modelle in Österreich gegenüber (vgl. Tab. 1.2).
Tab. 1.2: Zwei Modelle von Arbeitsassistenz (BURTSCHER 2001, 40)
Modell A |
Modell B |
Fürsorgeeinrichtung; Anlehnung an Versorgungseinrichtungen |
Anbieten von Dienstleistungen; Anlehnung an Selbstbestimmt-Leben-Grundsätze |
Begünstigte bzw. begünstigbare Behinderte; Eingegrenzte Zielgruppe |
Menschen mit besonderen Bedürfnissen; keine Einschränkung |
Pflicht zur Arbeit |
Recht auf Arbeit |
Mindestleistungspotentiale beim Behinderten |
gemeinsam 100 % Leistungsfähigkeit |
Beratung primär im Bereich Erwerbsarbeit |
erweitertes Beratungsverständnis |
Diagnostik - Vergangenheit: Was konnte bisher geleistet werden? Anpassung an vorhandene Leistungen/Erfahrungen |
Schwerpunkt Zukunft: Welche Wünsche hat der/die Betroffene? Entwicklung von neuen Perspektiven/Utopien |
Qualifizierung ergibt Arbeit |
erst plazieren, dann qualifizieren |
Ergänzung zu bestehenden Einrichtungen (z.B. Geschützte Werkstätten) |
Alternative zu Geschützten Werkstätten |
unpolitisch |
aktiv politische Arbeit |
Erfolgsmessung: quantitativ |
Erfolgsmessung: qualitativ |
Vermittlungsdruck |
Bedürfnisorientiert; Versuch eines flexiblen Zeitrahmens, auch längerfristig |
Modell A steht in der Tradition von Versorgungseinrichtungen, die für eine definierte bzw. abgrenzbare Zielgruppe arbeiten, meist in einem großinstitutionellen Rahmen, wodurch schon strukturell Phänomene der Fremdbestimmung immanent sind. Hier dominieren ein Verständnis von einer Pflicht zur Arbeit und Erwartungen an Mindestleistungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung, da sie nach Beratung und Vermittlung möglichst schnell ohne weitere Unterstützung am Arbeitsplatz zurechtkommen sollen; Hilfen für andere Lebensbereiche sind nicht vorgesehen. Hohen Stellenwert hat die Diagnostik vorhandener Qualifikationen, um daraufhin gezielt einen Arbeitsplatz zu akquirieren. Als Ergänzungsleistung zur Werkstatt für Behinderte (in Österreich: Geschützte Werkstätten) oder zusätzliche Maßnahme im System der beruflichen Rehabilitation gesehen, stellt Modell A das System nicht in Frage, sondern stabilisiert es. Da der Erfolg solcher Arbeitsassistenz nach Vermittlungszahlen gemessen wird, steht man hier unter einem Druck, der dazu führt, dass Menschen mit schwierigeren Startbedingungen eher nicht unterstützt werden.
Modell B bietet demgegenüber Dienstleistungen an und agiert den Kundeninteressen entsprechend: Die Selbstbestimmung der Menschen - unabhängig von Form und Ausmaß von Behinderungen und Unterstüzungsbedarfen - definiert die Formen und Dauer der Unterstützung. Das Recht auf ungeteilte Integration und Arbeit für alle Menschen wird als politisches Leitmotiv gesehen, das intensive, langfristige und u.U. dauerhafte Begleitungsformen erfordert. Gegebenenfalls führt nur die durchgängige Assistenz zur Ergänzung von 100 % der Arbeitsleistung; ein erweitertes Beratungsverständnis nimmt umfassend alle Lebensbereiche mit in den Blick. Über die individuelle Zukunftsplanung, bei der Wünsche, Stärken und Entwicklungspotentiale, aber auch das soziale Netz im Vordergrund stehen, wird die Arbeitsplatzakquisition vorbereitet. Ohne Qualifikationen als Bedingung vorauszusetzen, wird ein geeignetes Arbeitsumfeld zur Platzierung und dann erfolgenden Qualifizierung in regulären Kontexten geschaffen. Modell B wird als Alternative zur Werkstatt für Behinderte verstanden; politisches Ziel ist es, Partizipation und tarifliche Entlohnung zu ermöglichen und auch arbeits-marktpolitisch innovativ zu wirken. Arbeitsassistenz nach diesem Modell verlangt nach einer Erfolgsmessung, die die Qualität von Prozessen statt reiner Vermittlungszahlen beachtet und bewertet. Die Heterogenität der Situationen, Personen und Entwicklungsverläufe benötigt veränderte Förderregelungen, die flexible Formen und Intensitäten der Begleitung zulassen. BURTSCHER bezieht deutlich Stellung für das Modell B, denn »Unterstützte Beschäftigung ohne Emanzipation ist ein Missverständnis« (BURTSCHER 1998).
In diese konzeptionelle Kontroverse ist ein Aspekt eingebunden, der in Deutschland im Vorfeld der gesetzlichen Regelung heftig diskutiert wird: Ob Integrationsfachdienste eher als ergänzendes Element im bestehenden Rehabilitationssystem agieren und sich vorwiegend den Personen im Übergangsbereich zwischen Förderlehrgängen und Werkstatt für Behinderte, also den ›schwer vermittelbaren Grenzfällen‹ widmen sollen oder ob sich eher als alternatives Angebot zum gestuften Rehabilitationssystem, insbesondere zur Werkstatt für Behinderte, verstehen und für alle Personen offen sein wollen, die sich für Unterstützte Beschäftigung entscheiden (vgl. hierzu ERNST 1998, BAG INTEGRATIONSFIRMEN, BAG UB, SOZIALVERBAND REICHSBUND 1998).
Für die schon länger etablierten Institutionen bringen neue Entwicklungen und Umbrüche Verunsicherung und neue Herausforderung mit sich. Wie üblich bei Veränderungen wird darauf unterschiedlich reagiert: Erfolge auf neuen Wegen werden geleugnet (so etwa LÜHR 2000) oder es werden Schreckensszenarien gemalt, etwa mit dem Motto: ›Sich ändern oder untergehen.‹ (ELBE-WERKSTÄTTEN 1999, sicherlich eine der innovativen Werkstätten für Behinderte in Hamburg). Gemeinsamkeit und Differenzen von verschiedenen Konzepten und Institutionen auslotende Betrachtungen werden in der Regel erst später formuliert (so z.B. bei HANNE-MANN 2001, der Potentiale von Integrationsfachdiensten und Werkstätten für Behinderte in einem gestuften Gesamtkonzept zu verbinden versucht). Dies sind exakt die Reaktionen, die im Sonderschulbereich in der Anfangsphase der schulischen Integration auftraten und die in der Regel verständlicherweise auf Innovationen folgen (vgl. SCHLEY 1990).
Ebenso wie nach einiger Zeit der Verunsicherung und Abwehr Sonderschulen begannen, durch kooperative Modelle mit allgemeinen Schulen mit eigener institutioneller Weiterentwicklung auf die kritische Herausforderung durch integrative Entwicklungen in allgemeinen Schulen identitätssichernd zu reagieren, sichern nun auch Werkstätten für Behinderte auf die von außen herangetragene Herausforderung der beruflichen Integration ebenfalls mit eigener institutioneller Weiterentwicklung ihre Identität: Sie bemühen sich, von der Sozialverwaltung unterstützt, verstärkt um Außenarbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dem rechtlichen Dach der Werkstatt für Behinderte. So wird im Hamburger ›Aktionsprogramm zur Integration von Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt‹ (BAGS 1999b) an erster Stelle genannt, dass »die Beschäftigung von möglichst vielen Menschen mit Behinderungen aus den Werkstätten für Behinderte in Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf ausgelagerten Arbeitsplätzen (Außengruppen) erfolgen« soll (ebd., 17).
Die Werkstätten für Behinderte in Hamburg haben bereits auf diese Herausforderung insofern reagiert, in dem sie eine Reihe von ausgelagerten Projekten begonnen haben, etwa ein Café, eine Fahrradwerkstatt oder eine Maßnahme für HelferInnen in Kindertagesstätten. Nicht abzusehen ist allerdings, wie es um die Qualität dieser Projekte bestellt ist, ob sie etwa bei der Strukturqualität entsprechend den Prinzipien Unterstützter Beschäftigung den Status als ArbeitnehmerIn, tarifliche Bezahlung und Sozialversicherung enthalten oder ob nach wie vor der Status von MitarbeiterInnen der Werkstatt mit der dortigen geringen Bezahlung gilt und ob im Sinne von Prozessqualität eine entsprechende Unterstützungsdichte wie bei den Praktika der Arbeitsassistenz gewährleistet werden kann. Es scheint sich bisher eher um ein freies Feld pragmatischer Schritte als um eine konzeptionell ausgearbeitete Entwicklung zu handeln - obwohl die entsprechenden Konzepte seit vielen Jahren in Hessen entwickelt sind und praktiziert werden (vgl. etwa ARBEITSGRUPPE AUSSENARBEITSPLÄTZE IN HESSEN 1989, KRATZER-MÜLLER 1997).
Ebenso wie bei schulischen Kooperationsmodellen stellt sich auch im Arbeitsbereich eine gewisse Ambivalenz ein, da einerseits die Öffnung in Richtung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine positive und zu unterstützende Tendenz ist, andererseits diese Schritte in ihrer Tragweite und Tragfähigkeit deutlich begrenzter sind als andere Formen mit den genannten Qualitätsmerkmalen. Hier können neue Konkurrenzsituationen entstehen, etwa wenn einem Arbeitgeber einerseits ein unterstütztes Arbeitsverhältnis mit ortsüblichem Tariflohn und Kündigungsschutz und andererseits ein ausgelagerter Werkstatt-Arbeitsplatz mit Taschengeld und ohne weitere rechtliche Verpflichtung angeboten wird - dessen Entscheidung ist sicherlich absehbar (vgl. auch HANNEMANN 2001). Dies kann in der Realität zum Ende innovativer Maßnahmen mit höherer Strukturqualität führen, jedenfalls dann, wenn der Außenarbeitsplatz das Ziel der Bemühungen bildet und nicht als eine Übergangsform in ein tarifentlohntes Arbeitsverhältnis verstanden wird.
Festzuhalten bleibt, dass im Bereich der beruflichen Rehabilitation ein Entwicklungsprozess begonnen hat, der von innovativen Projekten mit dem Ansatz der Unterstützten Beschäftigung ausgegangen ist und inzwischen das System der beruflichen Rehabilitation als Ganzes in Bewegung gebracht und auf verschiedenen Ebenen, auch in den etablierten Institutionen, Veränderungen nach sich gezogen hat. Dies ist insofern als widersprüchliche Entwicklung zu verstehen, als einerseits die tradierten Strukturen, Institutionen und Finanzierungswege weiterbestehen, andererseits jedoch neue hinzukommen, die eigentlich nicht bruchlos in die bisherigen Strukturen hineinpassen. So entstehen diverse Widersprüche, die nur historisch zu erklären sind, etwa die Dauersubventionierung der Werkstätten für Behinderte und deren zeitliche Befristung bei betrieblichen Maßnahmen oder die Bildung des Rentenversicherungsbetrages bei realer Anrechnung des höheren Verdienstes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gegenüber einer fiktiven Anrechnung des geringeren Verdienstes in der Werkstatt für Behinderte - beides führt real zu Benachteiligungen von Personen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten, und es stellt den rehabilitativen Grundsatz des Vorrangs ambulanter vor stationären Maßnahmen auf den Kopf.
Um die beiden Maßnahmen einordnen zu können, ist es sinnvoll, das strukturelle Umfeld und die Zugangs- und Anschlussmodalitäten in die Betrachtung einzubeziehen.
Wenn die jungen Menschen aus den verschiedenen Formen allgemeinbildender Schulen in Hamburg kommen - seien es Integrationsklassen in Gesamt- bzw. Haupt- und Realschulen, seien es die verschiedenen Sonderschulen - , stehen ihnen unterschiedliche schulische und außerschulische Möglichkeiten der Berufsvorbereitung zur Verfügung (vgl. BSJB 1997 sowie Kap. 1.1.1):
Das Berufsvorbereitungsjahr kann in verschiedenen Formen absolviert werden (BSJB 1997, 6-11):
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als in der Regel einjähriges BVJ für AbgängerInnen aus Haupt-, Gesamt- und Förderschulen (für Lernbehinderte) mit verschiedenen Schwerpunkten,
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als in der Regel einjähriges behinderungsspezifisches BVJ für Blinde und Sehbehinderte oder für Körperbehinderte mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung,
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als behinderungsspezifisches BVJ-TQ für lern- und geistigbehinderte Jugendliche mit Teilqualifizierung, das mit den Schwerpunkten Ernährung, Hauswirtschaft und Gesundheit speziell auf die Perspektive integrativer Zweckbetriebe ausgerichtet ist (vgl. KINDT & KÜHL 1997) und zwei vollzeitschulische Jahre und ein drittes Jahr in Teilzeitform umfasst, oder
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als integratives BVJ-i für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag (einjährig, vollzeitschulisch) und für Jugendliche mit Behinderungen aus Integrationsklassen (dreijährig), das mit den Schwerpunkten Gartenbau und Floristik (vgl. KROHN 1997) oder Wirtschaft und Verwaltung angeboten wird.
Mit Zuweisung durch das Arbeitsamt können verschiedene von ihm finanzierte Maßnahmen durchlaufen werden (BSJB 1997, 14-19):
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F-Lehrgänge mit den üblichen zeitlichen Abstufungen (vgl. Kap. 1.1.1) als duale Maßnahmen mit wöchentlich drei Tagen in Betrieben und zwei Tagen Berufsschule, wenn eine Körper-, Sinnes oder Lernbehinderung festgestellt worden ist,
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die duale Berufsvorbereitung ›Qualifizierung und Arbeit für Schulabgänger‹ (QuAS), die als gemeinsame Maßnahme von Arbeitsamt und Schulbehörde die Chancen auf einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag verbessern soll,
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einjährige Lehrgänge zur beruflichen und betrieblichen Eingliederung (BBE) für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen mit wöchentlich drei Tagen im Betrieb und zwei Tagen Berufsschule; auf diese Lehrgänge gibt es keinen Rechtsanspruch,
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eine integrative Berufsvorbereitung (BBE-i), in der BBE-TeilnehmerInnen (einjährig) gemeinsam mit AbgängerInnen mit geistiger Behinderung aus Integrationsklassen (zweijährig sowie drittes Förderungsjahr nach Einzelfallprüfung) in Projekten mit Ernstcharakter in den Bereichen Wirtschaft, Verwaltung und Hauswirtschaft tätig sind (vgl. GLENZ, SCHULZE & STURM 1997); verzahnt ist das BBE-i mit der Berufsorientierung in einer Gesamtschule (vgl. ROGAL, STURM & VONDAY 1997) sowie nach dem Jahrespraktikum im dritten Jahr mit dem Integrationspraktikum der Hamburger Arbeitsassistenz.
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Ein maximal zweijähriges Arbeitstraining für Jugendliche mit Behinderungen in Trägerschaft der Werkstätten für Behinderte mit einem wöchentlichen Berufsschultag; entweder in der Form des Arbeitstrainingsbereichs der Werkstätten für Behinderte oder in der Form des Ambulanten Arbeitstrainings in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes, durchgeführt von der Hamburger Arbeitsassistenz.
Die Einbindung beider Maßnahmen in den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt stellt sich zusammenfassend folgendermaßen dar (vgl. Abb. 1.1):

Abb. 1.1: Übergang von der Schule in die Arbeitswelt in Hamburg (HAA 2001, 8)
Die Hamburger Projekte der integrativen Berufsvorbereitung haben bundesweit Orientierung für Anschlüsse an allgemeine integrative Schulen gegeben (vgl. z.B. MOHR-HERRLITZ & GÖRGEN 1997, WIENERS & DECKERS 1997).
Zugänge zum Ambulanten Arbeitstraining können also erfolgen von verschiedenen Sonderschulformen oder aus Integrationsklassen und Berufsschulprojekten (BVJs), aber auch als Wechsel aus Förderlehrgängen oder aus dem Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte. In das Integrationspraktikum können im Anschluss an die berufliche Ersteingliederung also AbsolventInnen des BBE-i oder des Ambulanten Arbeitstrainings übergehen, die noch keinen Arbeitsvertrag bekommen haben, aber auch MitarbeiterInnen aus dem Beschäftigungsbereich der Werkstatt für Behinderte.
Im abschließenden Abschnitt des einführenden Kapitels wird die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz unter zwei Aspekten beschrieben: zum einen unter dem Aspekt der angebotenen Maßnahmen und zum anderen unter dem Aspekt der erzielten Effekte, so wie sie von der Arbeitsassistenz selbst beschrieben werden.
Die Hamburger Arbeitsassistenz wurde 1992 von der Landesarbeitsgemeinschaft ›Eltern für Integration‹ gegründet, einer Interessengruppe, die sich für die Integration von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen einsetzt (vgl. CIOLEK 1995). Sie bietet inzwischen vier unterschiedliche Maßnahmen zur beruflichen Integration an (da die Maßnahmen vor den gesetzlichen Veränderungen begonnen haben, wird hier die bisherige Rechtskonstruktion angegeben):
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Eingliederungspraktika stehen für Personen zur Verfügung, die aufgrund Art und Schwere ihrer Behinderung als auf dem Arbeitsmarkt nicht, noch nicht oder nicht mehr als vermittelbar gelten (BSHG § 39ff.). Diese Praktika können einen bis sechs Monate dauern und werden vom überörtlichen Sozialhilfeträger auf der Grundlage von BSHG § 39ff. und Leistungsvereinbarungen nach BSHG § 93 finanziert. Die Leistungsvereinbarungen enthalten eine Vermittlungserfolgsquote (50 %) und Kooperationsvereinbarungen mit den Werkstätten für Behinderte. Die Leistungsvereinbarungen beinhalten die Erstellung individueller Fähigkeitsprofile, die Akquisition von Praktikumsstellen mit Option der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis und die personelle Unterstützung während des Praktikums.
Mittels dieser Maßnahme werden in der Modellphase 1992 - 1994 54 Personen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse vermittelt (vgl. BAGS 1999a, 130-135, HAA 2001, 6).
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Unterstützung am Arbeitsplatz wird für anerkannte Schwerbehinderte gewährt, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und Bedarf an Unterstützung am Arbeitsplatz haben. Diese Maßnahme dauert in der Regel zwei, maximal drei Jahre mit degressivem Stundeneinsatz. Finanziert wird diese Maßnahme über die Hauptfürsorgestelle (SchwbG § 31 in Verbindung mit SchwbG AV § 27) mittels einer Vereinbarung über Intensität, Dauer und Stundenhonorare für die Arbeitsbegleitung.
1994 werden insgesamt 7.142 Stunden Betreuung geleistet, 1995 10.650 Stunden, der Kostenaufwand liegt dabei individuell zwischen 16.500 DM und 39.500 DM (BAGS 1999a, 135).
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Das Ambulante Arbeitstraining bezieht sich seit April 1996 auf Personen, die von der Berufsberatung des Arbeitsamtes für den Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte empfohlen werden. Es dauert maximal zwei Jahre und wird als Maßnahme zur beruflichen Ersteingliederung finanziert über die Bundesanstalt für Arbeit (SGB III) und über Vereinbarungen mit den regionalen Werkstätten für Behinderte über Quoten und Kostensätze (90 %; vgl. hierzu HAA 1997a, 2000, 4f.). Die Hamburger Arbeitsassistenz kann wegen der Bedingungen des SGB III § 107, der diese Förderungsmaßnahme in Folge der Werkstättenverordnung an eine anerkannte Werkstatt für Behinderte bindet, nicht direkter Träger der Maßnahme sein. Somit sind die TeilnehmerInnen am Ambulanten Arbeitstraining rechtlich MitarbeiterInnen einer Werkstatt für Behinderte, ohne jedoch in ihr tätig zu sein. Wechsel zwischen beiden Formen des Arbeitstrainings sind jederzeit möglich.
In einem ersten Bericht (GRUND & BEHNCKE 1996) wird ausgesagt, dass die Unterstützung durch ArbeitsassistentInnen aufgrund des Kostenrahmens etwa ein Drittel der Arbeitszeit des unterstützten Praktikanten ausmacht.
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Das Integrationspraktikum kann seit August 1998 von Personen genutzt werden, die einen Förderungsanspruch nach BSHG § 39ff. und einen Bedarf an betrieblicher Orientierung und Qualifizierung haben. Es folgt also auf eine Förderung zur beruflichen Ersteingliederung, etwa für AbsolventInnen des BBE-i nach dem dritten Förderungsjahr oder des Ambulanten Arbeitstrainings, kann aber auch von BewerberInnen aus der Werkstatt für Behinderte in Anspruch genommen werden, die noch keine hinreichenden Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben machen können. Mit maximal einjähriger Dauer wird es vom überörtlichen Sozialhilfeträger nach BSHG § 39ff. mittels einer Leistungsvereinbarung nach BSHG § 93 über Tageskostensätze finanziert (vgl. hierzu HAA 2000, 6f.). Die Zugangsvoraussetzungen und die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen sind analog zu dem sogenannten Arbeits- bzw. Produktionbereich in einer Werkstatt für Behinderte.
Das Ambulante Arbeitstraining und das Integrationspraktikum werden strukturell als duale Maßnahmen durchgeführt: Die Qualifizierung erfolgt in der betrieblichen Situation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Hilfe von ArbeitsassistentInnen, zusätzlich findet beim Ambulanten Arbeitstraining ein wöchentlicher Berufsschultag statt (vgl. hierzu ROGAL 2000). Im Unterschied zur beruflichen Ausbildung wird eine berufliche Orientierung mit Erfahrungen in verschiedenen Feldern angestrebt, die notwendigerweise Wechsel von Praktikumsplätzen einschließt; zudem schließen die Maßnahmen mit einem Zertifikat ab, in dem die individuellen Teilqualifikationen beschrieben werden (vgl. HAA 2001, 8).
Die Effekte bei der beruflichen Integration insgesamt werden offenbar sehr unterschiedlich wahrgenommen. So wird die Tätigkeit der Hamburger Arbeitsassistenz von der Hamburger Sozialbehörde als »erfolgreich auf einem sehr hohen Niveau« bezeichnet (BAGS 1999a, 139): »Im Laufe der Jahre seit 1992 wurde eine differenzierte Förder- und Betreuungsstruktur entwickelt, in der Sozialhilfeträger, Hauptfürsorgestelle und Arbeitsamt mit der Hamburger Arbeitsassistenz zusammenarbeiten. Jährlich werden mit Hilfe von Praktika, befristeter Lohnkostenförderung und Job-Coaching jeweils etwa 20 schwerbehinderte Menschen aus der Werkstatt für Behinderte oder vergleichbarer Vorbeschäftigung in den Hamburger ersten Arbeitsmarkt auf sozialversicherungspflichtige und ortsüblich entlohnte Arbeitsverhältnisse integriert. Erfreulich ist die relativ hohe Stabilität der Integration: Von den seit 1992 so vermittelten ca. 200 schwerbehinderten Menschen sind Anfang 2001 noch 119 in einem Arbeitsverhältnis des ersten Arbeitsmarktes« (BAGS 2001, 10). Andererseits stellt der Vorsitzende der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte fest: »Echte Fortschritte sind, nachhaltig ideellen und finanziellen Förderungen sowie vielfachen Appellen zum Trotz, nicht zu verzeichnen« (LÜHR 2000, 2).
Wie steht es also mit den Effekten der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz bei den beiden zu evaluierenden Maßnahmen? Nach deren neuesten Angaben beginnen von April 1996 bis Ende des Jahres 2000 65 Personen das Ambulante Arbeitstraining; dabei überwiegen männliche Teilnehmer deutlich (40 gegenüber 25 weiblichen). Dies hat für die Arbeitsassistenz mit den Anteilen bei den BewerberInnen zu tun, jedoch auch aufgrund der Quotierung durch die Kooperationsverträge mit den Werkstätten für Behinderte mit den engen Grenzen des Aufnahmeverfahrens (vgl. HAA 2001, 15f.). Die Nachfrage liegt nach Angaben der Arbeitsassistenz weit über den durch die Kooperationsverträge mit den Werkstätten für Behinderte definierten Aufnahmemöglichkeiten von 15 TeilnehmerInnen pro Jahr; am Ende der Modellversuchsphase liegen der Arbeitsassistenz etwa 20 Bewerbungen für diese Maßnahme vor (vgl. HAA 2001, 17).
Ein Integrationspraktikum beginnen von August 1998 bis Ende des Jahres 2000 35 Personen, 23 von ihnen haben es bereits beendet; hierbei bilden 19 weibliche gegenüber 16 männlichen TeilnehmerInnen die Mehrheit. Dass der geplante Verlauf der Teilnehmerzahlen - jährlich zehn TeilnehmerInnen - zu verschiedenen Zeitpunkten nicht erreicht werden kann, führt die Arbeitsassistenz auf verschiedene äußere Bedingungen zurück, die phasenweise die notwendige Planungssicherheit beeinträchtigen (vgl. HAA 2001, 19).
Die Zugänge zum Ambulanten Arbeitstraining erfolgen bei 31 Personen direkt aus dem schulischen Bereich (49%), 16 Personen kommen aus dem Arbeitstraining der Werkstätten für Behinderte (25%), sieben Personen wechseln aus Förderlehrgängen (11%), zehn kommen aus mindestens einjähriger Arbeitslosigkeit (15%; vgl. HAA 2001, 20f.). Ins Integrationspraktikum kommen neun TeilnehmerInnen nach Beendigung des Ambulanten Arbeitstrainings (26%) und sieben aus dem BBE-i (20%), zehn sind vorher nach einer Empfehlung zur Werkstatt für Behinderte, in der sie jedoch nicht zu arbeiten begonnen haben, erwerbslos gewesen (29%), jeweils vier (11%) wechseln vom Produktionsbereich der Werkstätten für Behinderte oder aus Förderlehrgängen ins Integrationspraktikum und lediglich eine Person (3%) kommt aus einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis (vgl. HAA 2001, 21).
Für beide Maßnahmen stellt die Hamburger Arbeitsassistenz bis Ende 2000 bei 89 TeilnehmerInnen Orientierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen an etwa 200 Orten in verschiedenen Branchen bzw. Arbeitsbereichen bereit, die bei extremer Variabilität durchschnittlich fünf Monate dauern (vgl. HAA 2001, 22). Das Spektrum der Qualifizierungsorte erstreckt sich vom Garten- und Landschaftsbau über Büro-, Hausmeister-, Lager- und Pförtnertätigkeiten, Arbeiten in Einzelhandel, Wäscherei und an Tankstellen, weiter über Recycling, Metallbau, Lackiererei, Tischlerei, Bäckerei und E-Montage bis hin zu Hauswirtschaft, Küche, Restaurant und Hotel.
Was den Verbleib der TeilnehmerInnen angeht, so zeigen die neuesten Angaben der Hamburger Arbeitsassistenz für das Ambulante Arbeitstraining folgendes Bild (vgl. HAA 2001, 27): Von 65 TeilnehmerInnen befinden sich 14 noch in der Maßnahme, 51 haben sie abgeschlossen. Von ihnen wiederum sind 29 in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse eingetreten (57%), zehn in das Integrationspraktikum gewechselt (20%), je vier in das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte oder in die Erwerbslosigkeit gegangen (je 8%) und je zwei in schulische Qualifizierungsmaßnahmen des BVJ und auf einen Außenarbeitsplatz einer Werkstatt für Behinderte übergegangen (je 4%). Welche Aspekte dabei eine Rolle gespielt haben, wird von der Hamburger Arbeitsassistenz detailliert dargestellt (vgl. HAA 2001, 28f.).
Bedeutsam erscheint dabei, dass bei sechs Arbeitsverhältnissen die Lohnkostenförderung bereits ausgelaufen ist und sie alle weiterbestehen. Von den 29 unterstützten Arbeitsverhältnissen insgesamt bestehen 25; bei den vier beendeten Arbeitsverhältnissen handelt es sich um zwei Kündigungen durch die MitarbeiterInnen zugunsten von berufsschulischen Maßnahmen mit dem Angebot der Wiedereinstellung durch den Arbeitgeber, eine Kündigung in beiderseitigem Einvernehmen, auf die der Übergang in eine Werkstatt und zwischenzeitlich ein Eingliederungspraktikum mit der Option auf Einstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt folgt, sowie eine Kündigung in beiderseitigem Einvernehmen mit dem Anschluss eines Integrationspraktikums sowie eines neuen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses (vgl. hierzu die detaillierte Darstellung in Kap. 4.4.4).
Der Verbleib der TeilnehmerInnen des Integrationspraktikums stellt sich nach Angaben der Hamburger Arbeitsassistenz dar wie folgt (vgl. HAA 2001, 30): Von 35 TeilnehmerInnen befinden sich Ende des Jahres 2000 zwölf noch in der Maßnahme, 23 haben sie abgeschlossen. Von ihnen sind 18 (78%) in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse übergegangen, vier sind erwerbslos geworden (17%), ein Teilnehmer ist in die Werkstatt für Behinderte gewechselt (5%). Dabei wird lediglich eine durchschnittliche Förderdauer von acht Monaten in Anspruch genommen; bei drei TeilnehmerInnen schließt sich allerdings ein Eingliederungspraktikum an, bevor es zu einem unterstützten Arbeitsverhältnis kommt.
Zusammenfassend geht die Hamburger Arbeitsassistenz davon aus, dass insofern »von einer Vermittlungserfolgsquote in (unterstützte) Arbeitsverhältnisse aus den Maßnahmen von über 85% gesprochen werden« (HAA 2001, 32) kann, als zusätzlich zu den direkten Vermittlungen von 57% beim Ambulanten Arbeitstraining und von 78% beim Integrationspraktikum zu berücksichtigen ist, dass
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weitere 20% der TeilnehmerInnen aus dem Ambulanten Arbeitstraining und Integrationspraktikum wechseln,
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die Hälfte der TeilnehmerInnen, die in die Erwerbslosigkeit gegangen sind, nur kurz in den Maßnahmen gewesen sind,
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einige TeilnehmerInnen durch den Übergang in vollzeitschulische Qualifizierungsmaßnahmen ihre Ansprüche auf berufliche Erstrehabilitation weiterhin behalten.
Nach Angaben der Hamburger Arbeitsassistenz verdienen die ehemaligen TeilnehmerInnen bei ihren ortsüblich bzw. tarifentlohnten, unterstützten Arbeitsverhältnissen durchschnittlich im Monat etwa 1750 DM (vgl. HAA 2001, 32). Der überwiegende Teil der unterstützten ArbeitnehmerInnen arbeitet im Rahmen von Teilzeitverhältnissen, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit beträgt etwa 27 Stunden, der durchschnittliche Stundenlohn liegt bei etwa 14,50 DM brutto (vgl. ebd.).
Bis auf zwei Ausnahmen werden alle unterstützten Arbeitsverhältnisse durch Lohnkostenzuschüsse und durch begleitende Hilfen am Arbeitsplatz gefördert. Letzteres geschieht in einem individuell sehr unterschiedlichen Maße, jedoch im Vergleich zu den Eingliederungspraktika auf insgesamt niedrigerem Niveau, da die Phase intensiver Einarbeitung bereits im Ambulanten Arbeitstraining und/oder Integrationspraktikum erfolgt ist. Die Hamburger Arbeitsassistenz gibt als durchschnittliche monatliche Förderungskosten bei den unterstützten Arbeitsverhältnissen insgesamt - also für Lohnkostenzuschüsse und arbeitsbegleitende Hilfen am Arbeitsplatz - für das erste Beschäftingungsjahr ca. 2.300 DM, für das zweite 1.900 DM und für das dritte Beschäftigungsjahr ca. 1.000 DM an. »Im Vergleich zur Förderungshöhe in der Werkstatt für Behinderte (Kostensatz BSHG + Sozialversicherungsbeiträge nach SGB V) ist dieser finanzielle Mitteleinsatz sehr gering« (HAA 2001, 36). Zusätzlich wäre ein höheres Nettoeinkommen der unterstützten Personen zu berücksichtigen, was wiederum Spareffekte für Sozialhilfe- und Wohngeldleistungen mit sich bringt (vgl. hierzu auch die Berechnungen der Hamburger Arbeitsassistenz zum Finanzeinsatz bei ihren Maßnahmen Unterstützter Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in den ersten fünf Jahren ihrer Tätigkeit in HAA 1997c).
Inhaltsverzeichnis
Mit dem Ambulanten Arbeitstraining und dem Integrationspraktikum, den beiden Maßnahmen der Hamburger Arbeitsassistenz, die hier evaluiert werden, werden nicht nur zwei weitere Elemente innerhalb des Systems der beruflichen Rehabilitation für AbgängerInnen aus Sonderschulen und Integrationsklassen erprobt, sondern es wird auch die bisher bestehende Lücke zwischen dem Gemeinsamen Unterricht in allgemeinen und berufsbildenden Schulen und der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt geschlossen (vgl. HINZ 1998, BAGS 1999a, 136). Damit ist Hamburg das einzige Bundesland, das ein durchgängig gemeinsames Aufwachsen, Lernen und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderungen strukturell ermöglicht. Mittlerweile gibt es am Ambulanten Arbeitstraining orientierte Projekte in Bremen auf Landes- und in Erlangen auf städtischer Ebene. Von bundesweiter Bedeutung ist an diesem Vorhaben darüber hinaus, dass erstmalig ein Vergleich zwischen schon länger etablierten, separierten Ansätzen (Arbeits- und Trainigsbereich der Werkstatt für Behinderte) und neuen, integrativen Ansätzen (Ambulantes Arbeitstraining, Integrationspraktikum) des Übergangs Schule-Beruf bei Menschen mit Behinderungen vorgenommen werden kann.
Mit dem Aufbau entsprechender Strukturen ist allerdings noch nicht ihre Funktionalität gegeben, d.h. es ist noch nicht gesichert, dass sie auch zu den gewünschten Prozessen und Effekten führen. In welchem Maße die entwickelten Strukturen ihren Auftrag auch erfüllen, dies ist Gegenstand der vorliegenden Evaluation.
Wünschenswert wäre es gewesen, die beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum tatsächlich begleitend verfolgen zu können, so wie es ursprünglich mit der Zeitspanne 1998-2000 vorgesehen war. Dies ist aufgrund der äußerst späten Vergabe des Auftrags zur externen Evaluation im April 2000 nicht möglich (vgl. HAA 2000, 36f.). Stattdessen kann Evaluation in der verbleibenden Zeit nur bedeuten, aus einer distanzierten, nicht direkt beteiligten Perspektive die beobachtbaren Effekte zu erheben und die zugrunde liegenden Prozesse retrospektiv zu erschließen.
Nachdem bereits nach fünf Monaten in einem internen Zwischenbericht im September 2000 erste Ergebnisse präsentiert wurden (vgl. HINZ 2000b sowie 2001), basiert der vorliegende Endbericht auf dem Zeitrahmen von Mai 2000 bis Ende März 2001, also einem Zeitraum von elf Monaten. Innerhalb dessen wurden die verschiedenen Teiluntersuchungen geplant, durchgeführt und ausgewertet. Realisiert werden konnte dies nur mittels eines Werkvertrages mit einer Person, die sich in der entsprechenden ›Hamburger Szene‹ auskennt und insofern keine Einarbeitungszeit mehr benötigte. Darüber hinaus wäre die Untersuchung in dieser Form auch nicht möglich gewesen ohne zwei Forschungsseminare an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in deren Rahmen eine ganze Reihe von Studierenden sich mit hohem Engagement einschließlich mehrerer Reisen nach Hamburg und eminentem Zeitaufwand an den Untersuchungen beteiligt und so nicht nur über Forschung gesprochen, sondern sie real erlebt und betrieben haben - mit allen Untiefen und Schwierigkeiten, aber auch mit Erfolgserlebnissen und Spaß. Unter anderem sind im Zusammenhang dieses Evaluationsvorhabens zwei Examensarbeiten entstanden, deren Ergebnisse sich im wesentlichen in den Kapiteln 6 und 7 wiederfinden, jedoch auch in das erste Kapitel eingeflossen sind (vgl. BÖGER 2001, WEZEL 2001).
Bei dieser Evaluation wird von einem systemischen Ansatz ausgegangen, dem entsprechend die TeilnehmerInnen der beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum innerhalb ihres Umfeldes betrachtet werden (vgl. BRONFENBRENNER 1989). Somit stellt sich die Notwendigkeit, die TeilnehmerInnen selbst zu Wort kommen zu lassen. Damit wird sowohl inhaltlich als auch methodisch Neuland betreten, denn es gibt bisher in der Literatur nur sehr wenige Beispiele, in denen Interviews mit Menschen mit geistiger Behinderung einen hohen Stellenwert haben. Zudem muss auch ihr Umfeld eruiert werden. Erst wenn diese u.U. unterschiedlichen Wahrnehmungen der gleichen Situationen und ihrer Vorgeschichten in Beziehung gesetzt werden, kann davon ausgegangen werden, dass ein einigermaßen vollständiges und durch die unterschiedlichen Perspektiven validiertes Bild entsteht.
Der Ansatz dieser Evaluationsstudie misst notwendigerweise subjektiven Theorien einen hohen Stellenwert bei, denn aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen sind keine Verfahren realisierbar, mit denen z.B. aus der Außenperspektive strukturierte Beobachtungen erhoben werden könnten. Die wesentlichen Erkenntnisquellen sind somit die subjektiven Wahrheiten der Beteiligten, ihre Bewertungen und Einschätzungen. Sie werden jeweils in zwei Richtungen befragt: in Richtung auf die wahrgenommenen Prozesse und Effekte und in Richtung auf ihre Haltungen zu wahrgenommenen Prozessen und Effekten. Dies ist wissenschaftlich in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus auch insofern legitim und aus-sagefähig, als insbesondere in den letzten Jahren in der Soziologie wie in der Psychologie die hohe Bedeutung subjektiver Theorien mehr und mehr erkannt worden ist, denn sie sind letztlich für alle Beteiligten handlungsleitend (vgl. FLICK 1995, 29-32).
Im Rahmen des Gesamtkonzepts der Evaluation (vgl. Abb. 2.1) wird zunächst von der Gesamtheit der aktuellen und ehemaligen TeilnehmerInnen an den beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum ausgegangen. Sie werden ebenso wie eine Vergleichsgruppe in Werkstätten für Behinderte befragt (vgl. Kap. 3). Dies geschieht mittels eines im Gespräch ausgefüllten Fragebogens und ist eher quantitativ orientiert. Das Anliegen richtet sich hierbei auf die Repräsentativität der Aussagen von möglichst allen TeilnehmerInnen.
Aus den Ergebnissen wird im zweiten Schritt eine kleine Stichprobe von RepräsentantInnen für verschiedene Subgruppen ausgewählt, die dann exemplarisch mittels qualitativer Interviews intensiver befragt werden und ihre spezifische Sicht der Dinge differenzierter darstellen können (vgl. Kap. 4). Dies sind in beiden Gruppen jeweils sechs Personen, die nach inhaltlichen Kriterien als »typische Fälle« (LAMNEK 1988, 178) ausgewählt werden. Ihre Sichtweisen und Aussagen werden dabei mit denen weiterer unmittelbar Beteiligter in Beziehung gesetzt: mit denen von Eltern bzw. anderen Vertrauenspersonen wie Wohngruppenbetreuer oder Ehepartner, weiter mit denen ihrer AssistentInnen und mit denen ihrer Vorgesetzten bzw. in der Werkstattgruppe mit den Aussagen von Eltern oder Vertrauenspersonen und mit denen der GruppenleiterInnen. Diese zweite, intensivere Befragungsrunde wird in der Grafik als jeweils sechs kleine Kreise dargestellt.
Flankierend werden darüber hinaus weitere Personengruppen zu ihrer Einschätzung der beiden Maßnahmen, zur Tragfähigkeit, zu Stärken und Problemen etc. befragt:
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Die AssistentInnen selbst sind eine wichtige Gruppe, die Aussagen zur Qualität der beiden Maßnahmen machen kann. Diese 17 Personen werden alle befragt, und zwar in schriftlicher Form mittels eines umfangreichen Fragebogens, der eine Mischung aus geschlossenen und offenen Fragen enthält (vgl. Kap. 5). Ergänzend wird auch wiederum eine Parallelgruppe von GruppenleiterInnen aus dem Arbeitstrainingsbereich der Werkstätten einbezogen, wohl wissend, dass sich institutionelle Rahmenbedingungen, Funktionen und Rollen beider Gruppen deutlich unterscheiden. Dass dies schriftlich geschieht, ist dem engen Zeitbudget geschuldet und scheint dieser Gruppe auch am ehesten zumutbar; zudem kommen auch eine Reihe von Personen aus beiden Gruppen bei der Intensivbefragung in Interviews zu Wort (vgl. Kap. 4).
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Als quasi zweite Kundengruppe der Arbeitsassistenz müssen auch Vorgesetzte zu Wort kommen. Dies geschieht anhand einer kleinen Auswahl von sieben Betrieben, die über die eigenen Erfahrungen mit beruflicher Integration wie über die Kooperation mit der Arbeitsassistenz mündlich Auskunft geben (vgl. Kap. 6).

Abb. 2.1: Konzept der Evaluation des Ambulanten Arbeitstrainings und Integrationspraktikums (HINZ 2001, 21)
Über diese beiden unmittelbar beteiligten Gruppen hinaus werden (im größten Kreis auf der Grafik) zwei weitere in die Untersuchung einbezogen:
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Die Reha-BeraterInnen des Arbeitsamtes für die Ersteingliederung sind als zuweisende Stelle die Gruppe, die ein Bild von den Möglichkeiten des Ambulanten Arbeitstrainings - das vom Arbeitsamt finanziert wird - sowie eine Einschätzung von deren bisherigen Erfolgen und Problemen hat. Die Reha-BeraterInnen werden alle mündlich befragt. Hinzu kommt ein Gespräch mit dem psychologischen Fachdienst, der an der Berufsberatung über Fachgutachten beteiligt ist (vgl. Kap. 7).
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Eine weitere Gruppe, die direkt mit der Arbeitsassistenz kooperiert und die über deren Arbeit als kritische BegleiterInnen Auskunft geben kann, sind die BerufsschullehrerInnen, die die TeilnehmerInnen am Ambulanten Arbeitstraining an einem Tag in der Woche in Be-rufsschulklassen unterrichten. Hier werden je zwei KollegInnen aus den beiden beteiligten Berufsschulen mündlich befragt, wobei zwei von ihnen nur über Klassen im Ambulanten Arbeitstraining und zwei auch über Klassen im Arbeitstraining der Werkstätten Auskunft geben können, so dass auch hier eine gewisse Parallelisierung der Erfahrungen möglich ist (vgl. Kap. 8).
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Evaluation ihren Schwerpunkt auf die Wahrnehmung der Beteiligten legt, und dies größtenteils in der Form von Interviews. Dadurch soll auch gesichert werden, dass nicht nur Fragen der Untersuchenden, sondern auch die Anliegen und Botschaften der Untersuchten in die Untersuchungsergebnisse eingehen. Schriftliche Formen der Befragung werden nur an den Stellen eingesetzt, wo dies einerseits der Personengruppe zumutbar erscheint und andererseits der Arbeitsaufwand aufgrund größerer Befragtenzahlen im Rahmen der vorhandenen Ressourcen nicht mehr leistbar ist.
In der Durchführung dieser Evaluationsstudie kommt es insofern zu geringen Veränderungen bei der Intensivbefragung, als zwei der zwölf Personen bekunden, nicht befragt werden zu wollen. Da dies natürlich zu akzeptieren ist, gibt es in der Intensivbefragung der TeilnehmerInnen und ihres Umfeldes lediglich zehn Einzelstudien. Somit werden die Ergebnisse dieser Studie gespeist aus der Kombination der Aussagen von insgesamt
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112 TeilnehmerInnen an den beiden Formen des Arbeitstrainings bzw. Integrationspraktikums in mündlich erhobener Fragebogenform, sowie
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zehn TeilnehmerInnen in mündlicher Form, die gekoppelt werden mit den ebenfalls mündlichen Aussagen von
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sechs Elternteilen,
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einem Ehemann,
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fünf ArbeitsassistentInnen,
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vier Vorgesetzten aus Betrieben des ersten Arbeitsmarktes sowie
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sechs GruppenleiterInnen in Werkstätten, zudem den Interviews mit
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sieben Vorgesetzten (hier sind die vier schon genannten enthalten),
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acht BerufsberaterInnen und zwei Psychologen,
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vier BerufsschullehrerInnen und den schriftlichen Äußerungen von
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14 ArbeitsassistentInnen mit Erfahrungen im Ambulanten Arbeitstraining / Integrationspraktikum und
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11 GruppenleiterInnen des Arbeitstrainingsbereiches der Werkstätten.
Methodisch ist eine Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren notwendig, um einerseits die Breite der Erfahrungen erfassen und aufgrund harter empirischer Daten allgemeine Aussagen machen zu können, andererseits aber auch die Spezifik und Tiefe subjektiver Erfahrung abbilden zu können (vgl. LAMNEK 1988, FRIEDRICHS 1990, FLICK 1995).
Dabei stellte sich eine zweifache Herausforderung: Zum einen sind keine Befragungen zu diesem Thema bekannt - denn es gibt diese konkreten Maßnahmen in der Republik außer in Hamburg erst seit kurzer Zeit in Bremen und Erlangen. Zum anderen sind auch Befragungen des im Mittelpunkt der Betrachtung stehenden Personenkreises sehr wenig verbreitet: In der Literatur finden sich im wesentlichen zwei Beispiele, in denen Menschen mit geistiger Behinderung selbst zu Wort kommen, beide Male Frauen: zum einen Interviews (vgl. FRISKE 1995), zum anderen ein Bericht über eine Diskussionsgruppe (vgl. HOFMANN U.A. 1996), der jedoch eine bemerkenswert defizitorientierte Beschreibung der beteiligten Frauen enthält. Darüber hinaus findet sich eine Reihe von internen Befragungen von MitarbeiterInnen in Werkstätten für Behinderte, meist mit geschlossenen Fragen zur Zufriedenheit mit einem ›ja-nein-?-Modus‹ oder einem ›1-2-3-Antwortmodus‹ (vgl. WERKSTATT BREMEN 1999, BUNDESVEREI-NIGUNG LEBENSHILFE 2000, deutlich differenzierter OPPOLZER o.J.).
Die vorliegende Evaluation bewegt sich also in gewisser Weise auf dünnem Eis, jedenfalls dann, wenn man massive Schwierigkeiten sieht, die befragten Personen, die in traditioneller Kategorisierung als geistig behindert bezeichnet werden, als kompetente ExpertInnen für ihre Situation anzuerkennen. In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung fähig dazu sind, über ihre Erfahrungen und Situation Auskunft zu geben und sie zu reflektieren; eine Sicht, die durch Erfahrungen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Gemeinsamen Unterrichts bestärkt worden sind (vgl. BOBAN & HINZ 1993, HINZ 1996a). In Zeiten der Betonung von Selbstbestimmung (BUNDESVEREINIGUNG LEBENS-HILFE 1996) kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden, dass Menschen, auch wenn sie als geistig behindert bezeichnet werden, über sich und ihre Vergangenheit, ihre Erfahrungen, ihre gegenwärtige Situation und ihre Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft kompetent Auskunft geben können. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, wie weit Menschen ohne die Zuschreibung einer Behinderung - gerade als forschende WissenschaftlerInnen - in der Lage sind, Zugänge zu diesem kompetenten Wissen zu finden, es wahrzunehmen, zu verstehen und angemessen sichtbar zu machen.
Aufgrund der beschriebenen, vor allem der zeitlichen Rahmenbedingungen können eine Reihe von ursprünglich gewünschten Fragestellungen nicht bearbeitet und beantwortet werden (vgl. HAA 1999, 30 sowie 2000, 36f.):
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Die Entwicklung der Bedarfsstrukturen auf schulischem Hintergrund - im Sonderschul- wie im Integrationsbereich - muss sowohl im Rückblick als auch perspektivisch außer Acht bleiben, da nach Rückmeldung durch die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung keine nutzbaren Statistiken vorliegen und ihre Erstellung arbeitsökonomisch nicht leistbar ist.
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Gleiches gilt für Aussagen über Zuweisungen des Arbeitsamtes zu verschiedenen Rehabilitationsmaßnahmen und Trägern in den vergangenen Jahren. Auch hierzu liegen nach Aussagen des Arbeitsamtes keine nutzbaren Statistiken vor.
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Ebenso können keine konzeptionellen oder empirischen Aussagen gemacht werden über die Entwicklung der Förderung von Außenarbeitsplätzen in den Werkstätten für Behinderte. Eine Anfrage zu diesem Themenbereich, insbesondere zur Leistungsvereinbarung nach BSHG § 39, an die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales blieb unbeantwortet.
Insofern ist die Bestandsaufnahme der regionalen Gesamtstruktur des Rehabilitationsangebotes im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt nicht nur unter zeitlichen Aspekten deutlichen Einschränkungen unterworfen.
Trotzdem wird mit dieser Evaluationsstudie eine Fülle von Ergebnissen vorgelegt, die sich in weitestgehendem Neuland bewegen und hoffentlich Nahrung für weiterführende Diskussionen geben werden.
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Mit der Befragung der TeilnehmerInnen des Ambulanten Arbeitstrainings und des Integrationspraktikums wird deren Beurteilung der Maßnahmen erhoben. Die Aussagen derer, für die diese Maßnahmen angeboten werden, sind ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Datum. Dies gilt um so mehr, als in den letzten Jahren mit dem Paradigmenwechsel (vgl. Kap. 1.2) von einer institutionellen zur personalen Orientierung (u.a. in der Hilfe für Menschen mit Behinderungen) eine deutliche Aufwertung der Fähigkeiten und Kompetenzen des Personenkreises verbunden ist, seine Situation einzuschätzen, sie auch kritisch zu reflektieren und sich Gedanken über Zukunftsperspektiven zu machen. Die Einschätzung der TeilnehmerInnen ist also ein hartes Erfolgskriterium der Maßnahmen; sollten sie durch die Bank mit der Situation unzufrieden sein, wäre dies ein hartes Argument gegen die weitere Existenz der Maßnahmen, eine positive Stellungnahme würde die Maßnahmen deutlich bestätigen und Überlegungen zu zukünftigen Perspektiven wie einen quantitativen und/oder qualitativen Ausbau nahelegen.
Die anstehende Fragestellung, wie die TeilnehmerInnen die Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum einschätzen, kann sinnvoll nur in einer Vollbefragung beantwortet werden. So sollen möglichst alle Personen befragt werden, die jemals an einer der beiden Maßnahmen teilgenommen haben. Um einen zusätzlichen Bezugspunkt zu haben, mit dem die Aussagen der MaßnahmeteilnehmerInnen verglichen werden können, bietet es sich an, eine Parallelgruppe von TeilnehmerInnen am Arbeitstraining in den Werkstätten für Behinderte zu befragen, denn es ist die seit langem etablierte Form der beruflichen Vorbereitung für Menschen mit Behinderungen, zu der das Ambulante Arbeitstraining nun eine Alternative bietet. Bei dem Vergleich werden an sehr vielen Stellen statistische Signifikanzprüfungen durchgeführt. Dabei wird überprüft, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass vorhandene Unterschiede zufällig oder systematisch bedingt und damit überzufällig sind. Mit Hilfe des nichtparametrischen Chi-Quadrat-Tests wird differenziert zwischen nicht signifikanten, also zufälligen Unterschieden (p > 0.10), tendenziell statistisch bedeutsamen Unterschieden (p < 0.10), signifikanten Unterschieden (p < 0.05), die mit 95%iger Wahrscheinlichkeit nicht zu-fällig sind, und schließlich sehr signifikanten Unterschieden (p < 0.01), die mit 99%iger Wahrscheinlichkeit systematisch bedingt sind. Im folgenden Text werden die Wahrscheinlickeiten nur angegeben, wenn Tendenzen oder Signifikanzen vorliegen.
Noch eine begriffliche Anmerkung: Wenn im folgenden Text von ›den beiden Maßnahmen‹ gesprochen wird, so sind das Ambulante Arbeitstraining und das Integrationspraktikum gemeint. Wenn dagegen von ›den beiden Gruppen‹ die Rede ist, dann bezieht sich dies auf eben den Vergleich zwischen der von der Assistenz unterstützten Personen einerseits und auf behinderte MitarbeiterInnen in den Werkstätten für Behinderte, denn der Vergleich der Situationen dieser beiden Gruppen ist ein zentraler Teil dieser Evaluation.
Eine Befragung in schriftlicher Form droht an den (nicht) vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der zu befragenden Personengruppe zu scheitern. Von daher muss es sich in der Praxis um eine Mischform handeln, die zwar in Form eines Fragebogens erhoben wird, jedoch mündlich erfolgt. Das hat drei Vorteile: Zum ersten ist mit dem Vorlesen und Aufschreiben durch andere die Abhängigkeit von den Lese- und Schreibfähigkeiten der Befragten aufgehoben, zum zweiten kann in der Befragungssituation nachgefragt werden, wenn die Vermutung besteht, dass etwas nicht verstanden worden ist, und zum dritten können zusätzliche Kommentare mit aufgezeichnet werden.
Darüber hinaus ergibt sich die Herausforderung, dass einerseits die Fragen einfach formuliert sein müssen, andererseits bei einer stark strukturierten Befragung im wesentlichen jedoch nur die Fragen in den Köpfen der BefragerInnen zur Sprache kommen. Insofern wird im Fragebogen eine Mischung aus drei Fragetypen versucht (vgl. Fragebögen für die Assistenz- und die Werkstatt-Gruppe in Anhang 11.1 und 11.2):
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Ein Fragetypus zielt auf den Antwortmodus: ja - nein - Fragezeichen.
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Ein zweiter Typus zielt auf die Einschätzung diverser Sachverhalte mittels einer fünfstufigen Skala: sehr gut, gut, mittel, schlecht und sehr schlecht. Diese Skala wird illustriert mit einer Figur, die von einem breiten Lachen bis zum Entsetzen unterschiedliche Gesichtsausdrücke zeigt.
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Ein dritter Fragetypus besteht aus offenen Informationsfragen, deren Antworten stichwort-artig notiert werden.
Durch die Mischung dieser drei Fragetypen wird versucht, einerseits von möglichst allen Befragten Antworten zu erhalten und andererseits ihre Aussagen, Sichtweisen und Einschätzungen deutlich werden zu lassen. Möglicherweise entstehende größere Anteile von fehlenden Angaben werden in Kauf genommen zugunsten differenzierterer Aussagen.
Die Befragung von TeilnehmerInnen wird in Tandems durchgeführt, so dass eine Person die Fragen vorlesen und Blickkontakt halten kann, während die zweite die Antworten notiert. Die jeweils zweite Person sind Studierende der Rehabilitationspädagogik an der Universität Halle-Wittenberg, die im Rahmen eines Forschungsseminars den Fragebogen mit erarbeitet haben, also in das Projekt eingearbeitet sind und die Befragungssituation trainiert haben (vgl. Kap. 2.1). Aus Zeitgründen ist leider kein Probelauf möglich, so dass die Befragung unmittelbar erfolgen muss, auch wenn dies mit einem gewissen Risiko verbunden ist.
Die Befragung findet in der Zeit vom 19. 6. bis 25. 8. 2000 statt, der größte Teil vor Beginn der Sommerferien bzw. der Urlaubszeit; die meisten Befragungen erfolgen in den Räumen der Hamburger Arbeitsassistenz, eine Reihe am Arbeitsplatz oder in den Wohnungen der Befragten. Die Befragung der Vergleichsgruppe wird vom 17. bis 26. 7. in den vier Werkstätten durchgeführt.
Wie bereits oben gesagt, soll es sich um eine Vollbefragung aller aktuellen und früheren TeilnehmerInnen der beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum handeln. Da eine Vergleichsgruppe in den Werkstätten für Behinderte befragt werden soll, müsste diese Gruppe ebenso groß sein wie die Untersuchungsgruppe.
In den folgenden Abschnitten wird zunächst der Kreis der Befragten in beiden Gruppen beschrieben, nachfolgend werden allgemeine Merkmale zur Einordnung betrachtet unter Fragestellungen, wie hoch etwa der Anteil der TeilnehmerInnen aus anderen Kulturen bzw. mit anderer Erstsprache ist, aus welcher sozialen Situation die TeilnehmerInnen kommen und anderes.
Bis zum Beginn der Befragung haben am Ambulanten Arbeitstraining und am Integrationspraktikum insgesamt 68 Personen teilgenommen (Stand Juni 2000; vgl. HAA 2000, 22). Von ihnen können 56 Personen, d.h. 82 % befragt werden. Sechs Personen verweigern die Befragung und weitere sechs Personen sind entweder extrem kurz im Arbeitstraining gewesen (vier Personen, ein bis drei Monate) oder es scheint entsprechend der Einschätzung der Arbeitsassistenz bzw. einer Werkstatt für Behinderte aufgrund einer sehr labilen psychischen Verfassung eine Befragung nicht angebracht (bei zwei Personen). Die Stichprobe der Arbeitsassistenz zeigt Tab. 3.1.
Tab. 3.1: Stichprobe der Hamburger Arbeitsassistenz
Hamburger Arbeitsassistenz |
Anzahl der Unterstützten |
Befragt Verweigert gestrichen |
56 6 6 |
Summe |
68 |
Für eine Vergleichsgruppe von MitarbeiterInnen aus den Werkstätten für Behinderte können nach Einzelgesprächen mit den Reha- oder Abteilungsleitungen alle vier Hamburger Werkstätten gewonnen werden. Dabei erweist sich das zunächst angestrebte Zufallsprinzip als nicht durchführbar, da der Aufwand an Vorbereitungen und die Störungen im Betriebsablauf als zu hoch angesehen wird. Insofern wird den Werkstätten die Auswahl der Befragten überlassen, verbunden mit einigen Bitten, nämlich
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dass das Arbeitstraining nicht zu lange her sein sollte,
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dass Männer und Frauen zu gleichen Teilen vertreten sein sollten,
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dass je ein Mitglied des Werkstattrates beteiligt sein sollte,
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dass Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und aus verschiedenen Produktionsbereichen bzw. Abteilungen vertreten sein sollten und
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dass in jeder Werkstatt drei Personen des Arbeitstrainingsbereichs beteiligt sein sollten.
Selbstverständlich ist die Teilnahme an der Befragung freiwillig. Aus Datenschutzgründen tragen die BefragerInnen in den Werkstätten nicht die Namen der Befragten auf den Fragebögen ein, sondern nur eine Nummer, zu der die Liste mit den entsprechenden Namen in den Werkstätten bleibt, so dass die Rekonstruktion für die zweite Befragung gesichert ist.
Entsprechend der Stichprobe der Arbeitsassistenz muss die Stichprobe der Werkstätten für Behinderte ebenfalls 56 Personen umfassen. Da die dortige Befragung zur Befragung der Arbeitassistenzgruppe zeitlich parallel erfolgt, werden gemäß Tab. 3.2 folgende Personen in folgenden Werkstätten befragt und folgende Fragebögen ausgewertet:
Tab. 3.2: Stichprobe der Werkstätten für Behinderte
Werkstatt für Behinderte |
befragt |
ausgewertet |
Alsterdorfer Werkstätten Elbe-Werkstätten Hamburger Werkstätten Winterhuder Werkstätten |
15 15 15 16 |
13 14 15 14 |
Summe |
61 |
56 |
Zur Angleichung der Stichprobengröße werden nach den Kriterien Alter (lange zeitliche Distanz zum Arbeitstraining; Alter 50 - 64) und Informationsgehalt (Häufigkeiten von ›keine Angabe‹, ›weiß ich nicht‹ u.ä.; zwei Befragte waren gar nicht im Arbeitstraining gewesen, wie sich während der Befragung herausstellte) fünf Befragte aus der Auswertung herausgenommen, so dass die Kontrollgruppe ebenfalls 56 Befragte umfasst.
Zwar ist mit dieser Kontrollgruppe statistisch keine Repräsentativität für alle MitarbeiterInnen in Werkstätten für Behinderte gegeben, jedoch sind die Untersucher an der Stichprobenbildung nicht beteiligt, so dass von ihrer Seite keine systematischen Verzerrungseffekte vorliegen und von dieser Befragtengruppe sehr wohl vorsichtig verallgemeinerbare Hinweise auf ihre Wahrnehmung der Situation in den Werkstätten und das dortige Arbeitstraining zu erhalten sind.
Im Fragebogen sind einige Fragen enthalten, die zusätzliche Informationen über den Hintergrund der Befragten ermöglichen. Sie werden im folgenden unter den Begriffen geschlechtliche, biographische, kulturelle und soziale Heterogenität sowie die Heterogenität der Interessen und Freizeitaktivitäten zusammengefasst. Mit ihrer Hilfe lässt sich zudem vergleichen, ob es strukturelle Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gibt, die sich systematisch auf die Ergebnisse auswirken könnten.
Die geschlechtliche Heterogenität der Befragten stellt Tab. 3.3 dar (alle folgenden Tabellen sind im Internet nachzulesen; die Adresse findet sich im Vorwort). Demnach besteht die Assistenz-Gruppe aus gleich viel Männern und Frauen, bei der Werkstatt-Gruppe ist ein Übergewicht von Männern zu sehen, das etwa 5 % nach oben ausmacht; dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant.
Biographische Heterogenität leitet sich aus der Altersstruktur der Befragten ab. Die Ergebnisse in fünfjähriger Gruppierung hierzu zeigt Tab. 3.4. Während bei der Assistenz-Gruppe die größte Gruppe der Befragten zwischen 21 und 25 Jahre alt ist, gibt es bei der Werkstattgruppe keine so deutliche Dominanz einer Altersgruppe. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist signifikant (chi2 = .033).Vergleicht man die Mittelwerte (Arbeitsassistenz: 24,5 Jahre, Werkstätten: 28,3 Jahre), so wird das Ergebnis bestätigt, dass die Werkstatt-Gruppe älter ist als die Assistenz-Gruppe. Überdies ist die Werkstatt-Gruppe deutlich jünger als die Gesamtgruppe aller Beschäftigten in Werkstätten für Behinderte in Hamburg, deren Altersdurchschnitt 1997 mit 38,4 Jahren mehr als zehn Jahre höher liegt (BAGS 1999a, 121) - eine Differenz, die durch die Stichprobenkriterien bedingt und gewollt ist.
Kulturelle Heterogenität wird abgeleitet aus den Fragen nach dem Geburtsort der Befragten und ihrer Eltern sowie nach der Sprache, die in der Familie gesprochen wird. Tab. 3.5 zeigt die Ergebnisse (4 = deutsche Familie, 8 = im Ausland geborene Familie mit anderer Erstsprache): In beiden Gruppen ist der größte Teil der Befragten deutscher Herkunft, die Anteile der aus dem Ausland zugezogenen Familien liegen bei beiden Gruppen unter 10 %. Es gibt keine überzufälligen Unterschiede zwischen den Gruppen. Vergleicht man die Mittelwerte, so gibt es auch hier keine deutlichen Unterschiede (Arbeitsassistenz: 4,79, Werkstätten: 4,46). Folgte man der Hypothese, dass ausländische Jugendliche größere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche hätten, so ergäbe sich hier ein Nachteil für die Arbeitsassistenz-Gruppe, der jedoch kein gravierender sein dürfte.
Soziale Heterogenität ist in diesem Zusammenhang eine Sache eher ungenauer Einschätzungen. Sie macht sich fest an den Berufen von Vater und Mutter sowie den Berufen der Geschwister, so weit sie in die Skalierung von ungelernten ArbeiterInnen, FacharbeiterInnen, Angestellten, AkademikerInnen einzuordnen sind. Die entsprechenden Mittelwerte für die beiden Gruppen zeigen einen geringen, nicht gegen den Zufall zu sichernden Vorteil für die Assistenz-Gruppe (Mittelwert: 2,41) gegenüber der Werkstatt-Gruppe (Mittelwert: 2,32).
Die Heterogenität der Freizeitaktivitäten schließlich ergibt sich aus den genannten Lieblingsbeschäftigungen während der Freizeit. Die Antworten werden dabei systematisiert nach den Kriterien der Außengerichtetheit und des Aktivitätsgrades: An erster Stelle stehen Bildungstätigkeiten (Lesen, Schreiben, PC- und andere Kurse), gefolgt von Treffen mit FreundInnen (Ausgehen, Kino, Tanzen), eher aktiven Tätigkeiten (Sport, Musik machen, Basteln, kreativ sein), eher passiven Tätigkeiten (Fernsehen, Video, Musik hören), Erholung (Entspannung, Ausruhen, mit Haustier spielen) und schließlich sonstigem. Entsprechend dieser Reihung werden Werte von 1 - 6 vergeben und durch die Anzahl der angegebenen Aktivitäten geteilt, so dass sich vergleichbare Werte ergeben. Der Vergleich der Mittelwerte der Gruppen zeigt, dass es nur einen sehr kleinen, nicht signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen gibt zugunsten der Assistenz-Gruppe (Mittelwert: 3,29) gegenüber der Werkstatt-Gruppe (Mittelwert: 3,39). Was den Grad von Freizeitaktivitäten angeht, gibt es praktisch keinen Unterschied zwischen den Gruppen.
Insgesamt lässt sich also feststellen, dass hinsichtlich verschiedener Heterogenitätsdimensionen wenig Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von Befragten finden. Lediglich ein Altersunterschied von knapp vier Jahren ist signifikant, ansonsten enthält die Assistenz-Gruppe etwas mehr Frauen, etwas mehr Mitglieder ausländischer Herkunft, ihre Mitglieder haben einen etwas höheren sozialen Status und sie sind etwas freizeitaktiver als die der Werkstatt-Gruppe. Systematische verzerrende Einflüsse durch die hier betrachteten strukturellen Hintergründe dürften nicht gegeben sein, zumal die geringen Unterschiede auch nicht gleichsinnig wirksam sind.
Wichtig ist als Voraussetzung für das Arbeitstraining, welchen schulischen Weg die Befragten hinter sich haben und wie sie ihre Schulzeit einschätzen. Dabei wird nach den üblichen zeitlichen Abschnitten vorgegangen: Zuerst wird die allgemeinbildende Schule beleuchtet, dann nach Zukunftsperspektiven und der Beratung im Arbeitsamt gefragt und schließlich die Zeit zwischen allgemeiner Schule und Arbeitstraining betrachtet.
3.3.1.1 Allgemeinbildende Schule, Betriebspraktika und Zukunftswünsche
Zunächst ist von Interesse, welche allgemeinbildenden Schulen die Befragten besucht haben. Da hier erhebliche Bewegungen zwischen verschiedenen Schulformen zu verzeichnen sind, beschränkt sich die Darstellung auf den zuletzt besuchten allgemeinbildenden Schultyp (vgl. Tab. 3.6). Von den 56 Befragten der Assistenz-Gruppe hat ein Viertel Integrationsklassen besucht, jeweils ein Fünftel Schulen für Geistigbehinderte und Förderschulen, kleinere Anteile Schulen für Körper- und für Sinnesbehinderte und schließlich 15 % allgemeine Schulen ohne Integration - hierbei handelt es sich um Personen mit später entstandenen Behinderungen. Bei der Werkstatt-Gruppe dominiert dagegen die Schule für Geistigbehinderte mit einem Drittel der Befragten, gefolgt von je einem Viertel aus Körperbehinderten- und Förderschulen. Diese Unterschiede könnten statistisch nicht größer sein (chi2 = .000). Ein Stück mehr vergleichbar wären sie, wenn bei den früheren SchülerInnen aus Integrationsklassen bekannt wäre, welcher Sonderschulform sie sonst zuzuordnen gewesen wären. Dies lässt sich jedoch nicht genau rekonstruieren; ein sehr hoher Anteil von SchülerInnen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist jedoch anzunehmen (vgl. KÖBBERLING & SCHLEY 2000).
Die Frage nach der Schulfreude wird von beiden Gruppen übereinstimmend (Tab. 3.7) beantwortet: Zwei Drittel der Befragten sind gern zur Schule gegangen, 17 % dagegen nicht, der Rest hat keine Angaben gemacht oder konnte sich nicht entscheiden. Die weitere Frage nach noch vorhandenen FreundInnen aus der Schulzeit beantworten die Befragten ebenfalls sehr ähnlich (Tab. 3.8): Knapp die Hälfte haben noch Kontakt zu SchulfreundInnen, die andere Hälfte verneint dies oder kann sich nicht entscheiden. Sehr große Unterschiede (chi2 = .000) gibt es jedoch bei der Schulfreude in den verschiedenen Schulformen (vgl. Tab. 3.9). Hier geben etwa drei Viertel der ehemaligen SchülerInnen aus Integrationsklassen, etwa die Hälfte aus Förderschulen und Schulen für Geistigbehinderte, jedoch nur ein Viertel aus Schulen für Körperbehinderte an, gern zur Schule gegangen zu sein.
Etwas anders sieht es bei den Betriebspraktika aus, auch wenn hier keine signifikanten Unterschiede vorliegen (Tab. 3.10): Hier sind es etwas über 10 % der Befragten mehr, die in der Assistenz-Gruppe angeben, ein Betriebspraktikum während der Schulzeit gemacht zu haben, als dies in der Werkstatt-Gruppe der Fall ist. Sehr deutlich werden die Unterschiede bei der Frage nach dem Ort des Betriebspraktikums (Tab. 3.11; chi2 = .000): Der deutlichste Unterschied liegt darin, dass fast die Hälfte der Werkstatt-Gruppe ihr Betriebspraktikum ausschließlich in der Werkstatt für Behinderte gemacht hat, während die Assistenz-Gruppe höhere Anteile von Praktika im Dienstleistungsgewerbe und an verschiedenen Orten aufweist. Dies legt die Annahme nahe, dass die Assistenz-Gruppe schon während der Schulzeit stärker auf den ersten Arbeitsmarkt orientiert war als die Werkstatt-Gruppe, es sich also nicht um kurzfristige Entscheidungen handelt, sondern um langfristige Orientierungen, wer in das Ambulante Arbeitstraining oder in das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte geht.
Die Frage, ob die Befragten während der Schulzeit eine Idee ihrer beruflichen Zukunft hatten, fördert ebenso sehr signifikant unterschiedliche Ergebnisse zutage (Tab. 3.12; chi2 = .007): Während etwas mehr als die Hälfte der Werkstatt-Gruppe dies bejaht, tun dies mehr als drei Viertel der Assistenz-Gruppe. Auch bei den Ideen selbst gibt es Unterschiede zwischen den Gruppen (Tab. 3.13, chi2 = .010): Während in der Assistenz-Gruppe der Schwerpunkt mit fast der Hälfte der Ideen im Dienstleistungsbereich liegt und Industrie/Handwerk, Landwirtschaft und Sonstiges mit je reichlichen 10 % vertreten sind, rangieren bei der Werkstatt-Gruppe Industrie/Handwerk und Dienstleistung mit je 20 % ganz vorn; weitere Alternativen dazu werden kaum gesehen.
Diese Ergebnisse können verstanden werden als deutliche Tendenz zu ausgeprägteren Wünschen der Befragten der Assistenz-Gruppe bezüglich ihrer späteren Tätigkeit; das breitere Spektrum entspricht dabei dem breiteren Erfahrungsfeld der betrieblichen Praktikumserfahrungen.
Eine weitere Frage zielt auf GesprächspartnerInnen bezüglich der Zukunft und ihre Empfehlungen. Hier finden sich eher ähnliche Antworten in beiden Gruppen (vgl. Tab. 3.14): Eltern und LehrerInnen in der Schule sind die dominierenden GesprächspartnerInnen, wobei der Anteil von Empfehlungen, die nur durch LehrerInnen erfolgen, bei der Werkstatt-Gruppe etwas höher ist als bei der Assistenz-Gruppe.
Hinsichtlich der Empfehlungen selbst gibt es jedoch sehr signifikant unterschiedliche Angaben bei beiden Gruppen (vgl. Tab. 3.15; chi2 = .000): Bei fast 70 % fehlenden Angaben teilt sich der Rest der Empfehlungen sehr polarisiert auf: Bei der Assistenz-Gruppe findet sich keine einzige Empfehlung von Eltern und/oder LehrerInnen für den Sonderarbeitsmarkt, sondern meist wird für den ersten Arbeitsmarkt votiert oder für eine Qualifizierungsmaßnahme, während die Eltern und/oder LehrerInnen der Werkstatt-Gruppe fast ausschließlich für den Sonderarbeitsmarkt votieren.
Es scheint eine Tendenz zu zwei getrennten Gruppen mit langfristigen Orientierungen zu geben: Angehörige der Assistenz-Gruppe sind während der Schulzeit bereits breiter auf den ersten Arbeitsmarkt orientiert, stellen sich mehr und unterschiedlichere Tätigkeiten im späteren Berufsleben vor und werden vom Umfeld darin bestärkt; Angehörige der Werkstatt-Gruppe werden dagegen während der Zeit in Sonderschulen eher auf die Werkstatt für Behinderte orientiert und ebenfalls von ihrem Umfeld darin unterstützt. Andersherum formuliert hieße dies, dass die entsprechenden schulischen und umfeldbezogenen Orientierungen dazu führen, dass die Befragten sich dann auch im jeweiligen Arbeitstraining befinden.
3.3.1.2 Berufsberatung durch das Arbeitsamt
Eine wichtige Etappe für die Berufsfindung dürfte die Berufsberatung des Arbeitsamtes darstellen. Hierzu werden verschiedene Fragen gestellt. Zunächst wird nach der Berufsberatung überhaupt gefragt (vgl. Tab. 3.16): Während bei der Assistenz-Gruppe 77 % bejahen und 13 % verneinen, bei der Berufsberatung gewesen zu sein, liegen die Anteile bei der Werkstatt-Gruppe bei 61 % und 25 % - kein signifikanter Unterschied. Offenbar sind - da alle Befragten bei der Berufsberatung gewesen sein müssen - die Erinnerungen unterschiedlich.
Sehr signifikante Differenzen zwischen den Gruppen gibt es bei dem Inhalt der Empfehlung durch die BerufsberaterInnen (vgl. Tab. 3.17; chi2 = .001): Zwar liegen die fehlenden Angaben bei etwas über der Hälfte der Befragten, weshalb die Ergebnisse mit Vorsicht zu werten sind, jedoch unterscheiden sich die angegebenen Empfehlungen derart, dass für die Werkstatt-Gruppe die Empfehlungen in Sonderinstitutionen wie die Werkstatt für Behinderte dominieren, während bei der Assistenz-Gruppe der größte Anteil der Empfehlungen sich auf den ersten Arbeitsmarkt bezieht und von Qualifizierungsmaßnahmen und relativ wenig Sonderinstitutionen gefolgt wird. Die Reha-BeraterInnen des Arbeitsamtes haben offenbar von den beiden Gruppen ein unterschiedliches Bild, dem die unterschiedlichen Zuweisungen dann auch entsprechen.
Die Frage danach, wie die Beratung den Befragten gefallen hat, weist ebenfalls einen hohen Anteil von über 40 % fehlender Angaben auf. Dennoch können die gegebenen Antworten, wenngleich die Mittelwerte zwischen ›gut‹ und ›mittel‹ dicht beieinander liegen (bei der Assistenz-Gruppe mit 2,68 geringfügig besser als bei der Werkstatt-Gruppe mit 2,77), signifikant unterschiedliche Tendenzen deutlich machen (vgl. Tab. 3.18; chi2 = .020): Während die Angaben der Werkstatt-Gruppe sich der Normalverteilung entsprechend im mittleren Bereich konzentriert und nur vereinzelte Extremvoten (›sehr gut‹, ›sehr schlecht‹) vorkommen, weicht das Profil der Assistenz-Gruppe insofern davon ab, als die mittleren Voten (›mittel‹, ›schlecht‹) weniger vorkommen, dafür aber das Votum ›sehr schlecht‹ häufiger vertreten ist. Die Streuung der Antworten ist bei der Assistenz-Gruppe deutlich größer als bei der Werkstatt-Gruppe, die Zufriedenheit ist eher extrem hoch oder extrem niedrig.
Die letzte Frage zur Berufsberatung bezieht sich schließlich auf die Information durch die BeraterInnen über die Existenz der Arbeitsassistenz und des Ambulanten Arbeitstrainings. Hierbei zeigen sich keine großen Unterschiede zwischen den Gruppen, jedoch zeigen die Antworten kein positives Bild der gegebenen Informationen (Tab. 3.19): Lediglich 20 % der Befragten können sich erinnern, über die Existenz von Arbeitsassistenz und Ambulantem Arbeitstraining informiert worden zu sein, fast 40 % verneinen dies explizit. Wenngleich hier mit über 40 % ein erheblicher Unsicherheitsfaktor über die Repräsentativität der Antworten gegeben ist und in Betracht gezogen werden muss, dass das Ambulante Arbeitstraining erst seit 1996 besteht und vor dieser Zeit nicht darüber informiert werden konnte, so ist dies doch kein positives Ergebnis, wenn man der Information über alle Möglichkeiten innerhalb der Reha-Beratung einen hohen Stellenwert gibt.
Zusammenfassend kann aus den Ergebnissen zur Berufsberatung geschlossen werden, dass sie beiden getrennten Gruppen aus der Schulzeit sich auch bei der Berufsberatung fortsetzen: Wer auf den ersten Arbeitsmarkt will, bekommt offenbar auch in der Regel den Hinweis auf das und die Zuweisung zum Ambulanten Arbeitstraining, jedoch teilweise nach einer als extrem gut oder schlecht wahrgenommenen Beratung. Wer dagegen aus verschiedenen Sonderschulen den bewährten Weg in das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte wählt, hat bei der Beratung weder extreme Probleme noch extreme Freude - er läuft allerdings Gefahr, gar nicht zu erfahren, dass es auch das Ambulante Arbeitstraining der Hamburger Arbeitsassistenz gibt.
3.3.1.3 Berufsorientierung
Eine weitere Frage richtet sich auf den unmittelbaren Anschluss nach Ende der Schule. Die Antworten sind sehr vielfältig, so wie offenbar auch die Wege der Befragten (vgl. Tab. 3.20): Innerhalb der Assistenz-Gruppe geht ein Drittel in integrative Berufsschulprojekte (BVJ-i bzw. BVJ-TQ und BBE-i; vgl. hierzu Kap. 1.5), ein weiteres Drittel geht in andere berufs-schulische Qualifizierungsmaßnahmen, während jeweils unter 10 % direkt in das Ambulante oder das Arbeitstraining der WfB oder in die Arbeitslosigkeit gehen oder Sonstiges tun. In der Werkstatt-Gruppe dominiert demgegenüber mit fast zwei Dritteln das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte, gefolgt von einem Achtel berufsschulischer Qualifizierungsmaßnahmen und Sonstigem. Integrative Angebote der Berufsschulprojekte oder das Ambulante Arbeitstraining sind hier nur wenig vertreten - was wiederum für zwei fast getrennte Gruppen und Wege spricht, was aber auch die Folge davon sein kann, dass ehemalige SonderschülerInnen in der Regel bereits 13, ehemalige IntegrationsklassenschülerInnen dagegen meist erst zehn Schulbesuchsjahre hinter sich haben.
Diese eher berufsvorbereitend orientierte Phase bekommt überwiegend positive Rückmeldungen von den Befragten, ohne nennenswerte Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.21): Die gleichsinnige Richtung der Beurteilung gilt, wenngleich die Mittelwerte der Gruppen zwischen ›gut‹ und ›mittel‹ zeigen, dass die Werkstatt-Gruppe ihre nachschulischen Angebote etwas positiver wahrnimmt (Mittelwert: 2,17) als die Assistenz-Gruppe (Mittelwert: 2,42). Dies dürfte auf den etwas höheren Anteil der sehr guten Beurteilungen bei der Werkstatt-Gruppe zurückzuführen sein. Auch die Betrachtung der wahrgenommenen Qualität der verschiedenen Angebote führt nicht zu signifikanten Ergebnissen; negative Stellungnahmen sind ohnehin die Ausnahme, und selbst die Arbeitslosigkeit wird mit dem gesamten Spektrum von sehr gut bis sehr schlecht wahrgenommen.
Die bisher dargestellten Ergebnisse lassen das folgende Zwischenfazit zu: Wir haben es mit zwei unterschiedlich orientierten Gruppen zu tun, was während der Schulzeit bereits in unterschiedlichen Berufspraktika deutlich wurde, deren Zufriedenheit mit der Berufsberatung sich durchaus unterschiedlich darstellt, die jedoch mit den verschiedenen Möglichkeiten der Berufsorientierung ähnlich zufrieden sind (vgl. Kap. 1.5).
Ein zentraler Teil der Befragung beschäftigt sich mit dem Arbeitstraining selbst. Hierzu werden insgesamt 27 Fragen gestellt, die in der folgenden Darstellung teilweise zusammengefasst werden.
Im Vorgriff auf Kap. 3.3.2.8 erscheint es bereits hier wichtig darauf hinzuweisen, dass trotz unterschiedlicher Funktion und Finanzierung beide Maßnahmen, das Ambulante Arbeitstraining wie das Integrationspraktikum, von den TeilnehmerInnen in sehr ähnlicher Weise wahrgenommen werden und sehr ähnliche Strukturen aufweisen. Da für beide Maßnahmen die gleichen Fragen gestellt werden, werden sie im folgenden zusammengefasst und mit dem Arbeitstraining der Werkstätten für Behinderte vergleichen. Lediglich die Einschätzung des Berufsschulunterrichts, der während des Integrationspraktikums nicht angeboten wird, bezieht sich ausschließlich auf das Ambulante Arbeitstraining. Die bestehenden Unterschiede zwischen Ambulantem Arbeitstraining und Integrationspraktikum werden im Kap. 3.3.2.8 aufgeführt.
3.3.2.1 Vorkenntnisse und Startsituation
Begonnen wird mit zwei Fragen nach der Kenntnis der beiden Möglichkeiten des Arbeitstrainings. Demnach kennen alle Befragten der Werkstatt-Gruppe und ein großer Teil der Assistenz-Gruppe (88 %) die Werkstätten für Behinderte - 10 % der Assistenz-Gruppe kennen sie jedoch nicht (vgl. Tab. 3.22). Auf die Frage, wie sie sie kennengelernt haben, gibt es sehr signifikant unterschiedliche Antworten (vgl. Tab. 3.23; chi2 = 000): Angehörige der Assistenz-Gruppe kennen die Werkstatt für Behinderte zu jeweils etwa einem Viertel von dortiger Arbeit, vom Praktikum oder von Besuchen; die Werkstatt-Gruppe hat die Werkstatt für Behinderte demgegenüber ebenfalls zu je einem Viertel durch Praktika und BerufsberaterInnen sowie zu je einem Zehntel durch Schule und das persönliche Umfeld kennengelernt - all dies sind keine überraschenden Ergebnisse.
Die Arbeitsassistenz und das Ambulante Arbeitstraining kennt die Assistenz-Gruppe logischerweise vollständig, jedoch nur 60 % der Werkstatt-Gruppe - ein sehr signifikanter Unterschied (vgl. Tab. 3.24; chi2 = .000) und wiederum kein Zeichen für einen guten Kenntnisstand über die Arbeitsassistenz.
Auch bei der Frage, woher die TeilnehmerInnen die Arbeitsassistenz kennen, gibt es sehr signifikant unterschiedliche Antworten, was schon im hohen Anteil der Werkstatt-Gruppe ohne Kenntnis begründet ist (vgl. Tab. 3.25; chi2 = .000): Bei der Assistenz-Gruppe fällt die breite Verteilung der Informationswege auf: Zu etwa gleichen Teilen sind die TeilnehmerInnen in den Schulen, über die BerufsberaterInnen, durch die Eltern, durch Personal der Werkstätten für Behinderte, durch Eigenaktivitäten der Arbeitsassistenz und auf sonstigen Wegen auf die Arbeitsassistenz gestoßen. Dagegen sind für die Werkstatt-Gruppe das Personal der Werkstatt für Behinderte und Sonstige die primären Informationswege.
Darüber hinaus werden die TeilnehmerInnen nach ihren Hoffnungen und nach ihrem Gefühl am Beginn des Arbeitstrainings befragt.
Die Gefühle am Beginn sind in beiden Gruppen sehr vielfältig und zwischen ihnen signifikant unterschiedlich (Tab. 3.26; chi2 = .026): Fasst man sie in positiven und negativen Kategorien zusammen, so überwiegen in beiden Gruppen die positiven gegenüber den negativen Gefühlen. Für beide Gruppen gilt, dass sie mit gemischten Gefühlen in das Arbeitstraining gehen.
Ähnliches gilt auch für die Hoffnungen am Beginn des Arbeitstrainings, nach denen offen gefragt wird (Tab. 3.27; chi2 = .004): Am häufigsten wird ›nichts Konkretes‹ genannt; bei der Assistenz-Gruppe gefolgt von der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz und darauf, sich zu bewähren, während in der Werkstatt-Gruppe das Dazulernen und der Arbeitsplatz, möglichst außerhalb der Werkstatt für Behinderte eine Rolle spielt. Sicher tragen die hohen Anteile nicht gegebener Antworten zum sehr signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen bei.
3.3.2.2 Tätigkeiten
Die Fragen nach den Tätigkeiten im Arbeitstraining umfasst die unmittelbaren Bereiche der Arbeit.
Die erste, offen gestellte und nachträglich systematisierte Frage richtet sich auf den Beschäftigungsbereich des Arbeitstrainings, wobei die beiden Gruppen ein äußerst unterschiedliches Beschäftigungsprofil zeigen (vgl. Tab. 3.28; chi2 = .000): Demnach arbeitet fast die Hälfte der Assistenz-Gruppe im weitesten Sinne in der Gastronomie (z.B. Restaurant, Hotel, Küche, Kantine), gefolgt von einem Viertel im Dienstleistungsgewerbe (Call-Center, Kindergarten, Altersheim, Gericht, Hausmeisterei etc.). Büro, Industrie und Handwerk spielen eine untergeordnete Rolle. Deutliche Unterschiede zur Werkstatt-Gruppe bestehen zum einen in der dortigen Dominanz der Bereiche Industrie und Handwerk und dem relativ hohen Anteil verschiedener Bereiche im Arbeitstraining.
Hieraus lässt sich zweierlei folgern: Zum einen nennen die Befragten offenbar häufig die eine dominierende, evtl. schönste oder längste Tätigkeit, obwohl sie zumindest in der Werkstatt alle durch verschiedene Abteilungen laufen dürften, zum anderen gibt es aber auch zwei sehr deutlich unterschiedliche Profile der Tätigkeitsbereiche.
Ein weiterer sehr signifikanter Unterschied zeigt sich in den Antworten auf die Frage, ob der Arbeitsplatz den eigenen Wünschen entsprochen hat (vgl. Tab. 3.29; chi2 = .001). Während der Arbeitsplatz in der Assistenz-Gruppe zu 60 % eigenen Wünschen entspricht, ist dies in der Werkstatt-Gruppe nur zu 40 % der Fall; bestärkt wird dies durch die negativen Aussagen, die bei 25 % und 55 % liegen. Offenbar folgen die Arbeitstrainingsplätze in der Assistenz-Gruppe in höherem Maße den individuellen Wünschen, was dem Vorgehen der Arbeitsassistenz mit der Entwicklung eines individuellen Interessen- und Fähigkeitsprofils auch entspricht.
Aufgrund der möglichen Kritik am Ambulanten Arbeitstraining, dort werde nur mit einer sehr geringen Breite auf einen spezifischen Arbeitsplatz hin qualifiziert, wird nach verschiedenen Arbeitsbereichen gefragt, in denen im Arbeitstraining Erfahrungen gemacht werden - mit einem überraschenden Ergebnis, da die Gruppen keine deutlichen Unterschiede zeigen (vgl. Tab. 3.30): Die Befragten geben tendenziell die gleiche Anzahl von unterschiedlichen Bereichen an, in denen sie Erfahrungen sammeln, wobei die Häufigkeit bei mehr als drei Bereichen stark abnimmt. Bei einem Vergleich der Mittelwerte zeigt sich, dass die Assistenz-Gruppe in etwas weniger Bereichen Erfahrungen gesammelt hat als die Werkstatt-Gruppe (Assistenz: 2,1 Bereiche, Werkstatt: 2,4 Bereiche), jedoch ist auch dies statistisch nicht signifikant. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass eine Reihe von Befragten ihre Arbeitstrainings noch nicht beendet hat, die Erfahrungsbreite über den Gesamtzeitraum also noch zunehmen dürfte. Die Kritik an einer schmalen Qualifizierung im Ambulanten Arbeitstraining geht diesen Aussagen zufolge ins Leere.
Sehr signifikant unterschiedliche Aussagen gibt es jedoch auf die Frage nach der Anzahl der Betriebe, in denen Arbeitstraining stattgefunden hat - was angesichts der verschiedenen Konstellationen nicht überrascht (vgl. Tab. 3.31; chi2 = .000): Während drei Viertel der Werkstatt-Gruppe das Arbeitstraining - wie vorgesehen - in einem Werkstatt-Betrieb absolviert hat und immerhin ein Viertel die Werkstatt für Behinderte gewechselt hat, ist es bei der Assistenz-Gruppe - ebenfalls wie vorgesehen - umgekehrt: Je ein Viertel ist in einem, in zwei, in drei und in vier Betrieben im Arbeitstraining gewesen. Dies bestätigen auch die Mittelwerte, nach denen das Arbeitstraining in der Werkstatt durchschnittlich in 1,37 Betrieben, das Ambulante Arbeitstraining dagegen in 2,41 Betrieben stattfindet - ein sehr signifikanter Unterschied (.000). Für die Assistenz-Gruppe wird weiter ausgesagt, dass in den verschiedenen Betrieben darüber hinaus zu zwei Dritteln unterschiedliche Tätigkeitsbereiche anzutreffen sind (vgl. Tab. 3.32).
In einer weiteren Frage geht es um die Unterstützungspersonen am Arbeitsplatz; hierbei gibt es ebenfalls ein signifikant unterschiedliches Bild (vgl. Tab. 3.33; chi2 = .072): Wenig überraschend erscheint die hohe Dominanz der GruppenleiterInnen mit über 80 % Anteil in den Werkstätten für Behinderte, die nur in geringem Umfang durch andere - wie die KollegInnen - ergänzt wird; hier ergibt sich bei der Assistenz-Gruppe insofern ein anderes Bild, als die AssistentInnen zwar mit zwei Dritteln ebenfalls dominieren, jedoch andere Beteiligte wie Chefs und KollegInnen in höherem Maße unterstützend wahrgenommen werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Tätigkeiten weisen in beiden Gruppen höchst unterschiedliche Profile auf, die beim Ambulanten Arbeitstraining in höherem Maße den individuellen Wünschen entsprechen als in der Werkstatt für Behinderte. Das Ambulante Arbeitstraining bietet ein ebenso breites Erfahrungsfeld wie die Werkstatt für Behinderte, keine Schmalspurqualifizierung, und umfasst mehr unterschiedliche Betriebe; zudem sind die Unterstützungspersonen im Ambulanten Arbeitstraining weiter gefächert, während es sich in der Werkstatt vor allem um die GruppenleiterInnen handelt.
3.3.2.3 Soziale Situation
Mit der sozialen Situation im Arbeitstraining beschäftigen sich zwei Fragen: das Auskommen mit den KollegInnen und die Frage nach neu gewonnenen FreundInnen.
Das Auskommen mit den KollegInnen wird in einer fünfstufigen Skala eingeschätzt; dabei weichen die Ergebnisse wenig voneinander ab (vgl. Tab. 3.34): Zunächst ist festzuhalten, dass etwa drei Viertel der TeilnehmerInnen ihr Auskommen mit den KollegInnen - einerseits in der Werkstatt für Behinderte, andererseits im Betrieb des ersten Arbeitsmarktes - als ›gut‹ oder ›sehr gut‹ bezeichnen, der Rest verteilt sich auf die übrigen Antwortmöglichkeiten. Dabei ergeben die Mittelwerte, die bei beiden Gruppen zwischen ›sehr gut‹ und ›gut‹ liegen, ein etwas günstigeres, jedoch nicht signifikant unterschiedliches Bild für die Werkstatt- als für die Assistenz-Gruppe (1,85 gegenüber 1,91). Dennoch, dass die TeilnehmerInnen das Auskommen mit KollegInnen in den Betrieben des ersten Arbeitsmarktes sehr ähnlich gut wahrnehmen wie es in den Werkstätten für Behinderte geschieht, ist ein Beleg für die Tragfähigkeit sozialer Netzwerke auf dem ersten Arbeitsmarkt und ein Beleg gegen die These, dass dort Hänseleien und Mobbing durchgängig an der Tagesordnung wären.
Sehr signifikante Unterschiede (chi2 = .000) zeigen sich dagegen bei der Frage nach neuen FreundInnen (vgl. Tab. 3.35): Zwar sagt jeweils ein Viertel beider Gruppen, dass die TeilnehmerInnen keine neuen FreundInnen gewonnen hätten. Die Frage wird dagegen von zwei Dritteln der Werkstatt-Gruppe, jedoch nur von einem Drittel der Assistenz-Gruppe bejaht, von der sich ein weiteres Drittel nicht festlegt. Auffällig sind an dieser Stelle eine Vielzahl von nachfragenden Kommentaren, woran sich denn ein Freund festmachen würde u.ä. Festzuhalten bleibt das Ergebnis, dass ein fast doppelt so großer Teil der Werkstatt-Gruppe neue Freundschaften bestätigt.
Die Ergebnisse zur sozialen Situation legen nahe, von einem Gefühl guten Eingebundenseins in die Betriebe auszugehen, die jedoch auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht in gleichem Maße wie in den Werkstätten zu neuen Freundschaften führt.
3.3.2.4 Verhältnis zu AssistentInnen und GruppenleiterInnen
Der Bezug zu ArbeitsassistentInnen bzw. GruppenleiterInnen ist ein weiterer Schwerpunkt der Befragung. Hier schätzen die TeilnehmerInnen in einer dreistufigen Skala ein, in welchem Maß sie ihre AssistentInnen bzw. GruppenleiterInnen als freundlich, unterstützend und erreichbar wahrnehmen. Bei keinem der Werte gibt es signifikante Unterschiede zwischen der Wahrnehmung der AssistentInnen und der GruppenleiterInnen. Mal sind die AssistentInnen etwas freundlicher und unterstützender, mal sind die GruppenleiterInnen besser erreichbar, auch das Gegenteil kommt vor; von daher kann auf die detaillierte Darstellung verzichtet werden, zumal diese Werte gemeinsam mit anderen in einen AssistentInnen-/GruppenleiterInnen-Index eingehen, der später dargestellt wird.
Ergänzend werden drei Fragen gestellt: nach vorkommendem Ärger, nach Wünschen und nach der Rolle der unterstützenden Personen.
Bei vorkommendem Ärger zeigt sich ein gerade eben signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.36; chi2 = .097): Hier gibt es einen 10%-Unterschied zwischen beiden Gruppen, mit einem guten Drittel wird in der Assistenz-Gruppe mehr Ärger angegeben als mit einem Viertel in der Werkstatt-Gruppe. Die unentschiedenen und unterbliebenen Antworten können jedoch das Bild deutlich verändern, je nachdem, in welche Richtung tendiert würde; von daher sollten diese Unterschiede nicht überbewertet werden.
Einen gewissen Widerspruch bilden die geäußerten Wünsche an die UnterstützerInnen (vgl. Tab. 3.37), wo zwar 10% der Werkstatt-Gruppe mehr keine Angaben machen, die Assistenz-Gruppe jedoch mit einem Drittel explizit Wunschloser vorne liegt. Sie wünscht sich Diverses von ihren UnterstützerInnen - u.a. mehr und weniger Unterstützung, besseres Eingehen - in eher geringem Maße, wogegen bei der Werkstatt-Gruppe der Wunsch nach besserem Eingehen mit fast 30 % dominiert. Zwar fällt hier die Signifikanz deutlicher aus (chi2 = .047), jedoch sollten auch hier die hohen Anteile unterbliebener Antworten vor vorschnellen Interpretationen bewahren.
Als weiterer Aspekt wird nach der Rolle der Unterstützenden gefragt, ob sie eher wie Berater, Lehrer, Chefs oder Freunde seien. Hierauf geben die Gruppen sehr signifikant unter-schiedliche Antworten (vgl. Tab. 3.38; chi2 = .000): Da das Spektrum der Antworten deutlich über die vorgeschlagenen Rollen hinausgeht, tauchen in der Tabelle weitere Kategorien auf. In der Assistenz-Gruppe werden die AssistentInnen vor allem - mit der Hälfte der Nennungen - in einer beratenden, begleitenden, unterstützenden und betreuenden Rolle wahrgenommen. Andere Rollen wie FreundIn oder ChefIn kommen weitaus seltener vor. In der Werkstatt-Gruppe finden sich dagegen zwei dominierende Rollendefinitionen: Zu einem reichlichen Drittel werden die GruppenleiterInnen als ChefInnen wahrgenommen, gefolgt von der Rolle von FreundInnen mit einem Viertel; begleitende und beratende Rollen kommen demgegenüber weitaus weniger vor.
Damit können deutlich unterschiedlich wahrgenommene Rollen festgehalten werden, die mit den unterschiedlichen Konstellationen zu tun haben dürften: GruppenleiterInnen sind real die Chefs ihrer MitarbeiterInnen, sie können dies allerdings auf der Beziehungsebene unter-schiedlich ausgestalten, während dies für AssistentInnen explizit nicht zutrifft - sie sind von der Stellung im Betrieb her keine ChefInnen, von daher sollten sie es auch nicht im Verhältnis zu den Unterstützten sein, und sie werden auch nicht so wahrgenommen.
Zum Komplex des Verhältnisses zu den unterstützenden Personen wird zusammenfassend ein Index gebildet, in den die Fragen nach Freundlichkeit, Unterstützung und Erreichbarkeit sowie vorhandene oder nicht vorhandene Wünsche und unterschiedliche Rollenwahrnehmungen - eher hierarchisch oder beratend - eingehen. Wenn man aus jedem Fragebogen diesen Index extrahiert, lassen sich Mittelwerte für die beiden Gruppen bilden. Diesem Index zufolge gibt es einen gerade noch signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (.091) zugunsten der Assistenz-Gruppe (Mittelwert: 1,38) gegenüber der Werkstatt-Gruppe (Mittelwert: 1,51). Die Rollendefinition der AssistentInnen wird also in einem gewissen, nicht mehr ganz zufälligen Maß von den TeilnehmerInnen als partnerschaftlicher und positiver als die der GruppenleiterInnen wahrgenommen.
Zusammengefasst zeigen sich im Verhältnis zu AssistentInnen und GruppenleiterInnen tendenzielle Unterschiede, insgesamt ist jedoch ein gutes Verhältnis zu attestieren. In der Assistenz-Gruppe gibt es im Arbeitstraining mehr Ärger, dagegen aber weniger Veränderungswünsche, die sich zudem auf Diverses beziehen. In der Werkstatt-Gruppe gibt es weniger Ärger, aber die vorhandenen Veränderungswünsche konzentrieren sich vor allem auf ein besseres Eingehen der GruppenleiterInnen. Die Rollen des Personals sind sehr verschieden, dies hat einen realen Hintergrund aufgrund unterschiedlicher Konstellationen: GruppenleiterInnen werden vor allem als Chefs oder FreundInnen wahrgenommen, AssistentInnen vor allem als beratend und begleitend.
3.3.2.5 Einschätzung des Berufsschulunterrichts
Zum Berufsschulunterricht werden nur die aktuellen oder früheren AbsolventInnen des Arbeitstrainings befragt; die TeilnehmerInnen des Integrationspraktikums haben keinen Anspruch mehr auf Berufsschulunterricht. Die drei Fragen zu diesem Thema beziehen sich auf Stellungnahmen zum Berufsschultag, zu bestehender Vorfreude und zu den BerufsschullehrerInnen.
Die erste Frage zielt auf eine Einschätzung des Berufsschultages anhand einer fünfstufigen Skala. Nimmt man die Mittelwerte zur Hilfe, so gibt es eine Einschätzung, die im Durchschnitt einen guten Berufsschultag rückmeldet (Assistenz-Gruppe: 2,20, Werkstatt-Gruppe: 2,14). Dabei erstreckt sich die Bewertung durchaus über alle Bewertungsmöglichkeiten, jedoch ohne feststellbare Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.39): Wie die Mittelwerte bereits gezeigt haben, liegen die meisten Bewertungen im Bereich von ›sehr gut‹ bis ›mittel‹, kritische Bewertungen sind eher selten.
Mit der gleichen Konstruktion schätzen die Befragten auch ihre BerufsschullehrerInnen ein; sie bekommen bessere Mittelwerte als der Berufsschultag, vor allem von der Assistenz-Gruppe (Assistenz-Gruppe: 1,87, Werkstatt-Gruppe: 2,06). Das Bild der einzelnen Antworten entspricht in weiten Strecken dem der Einschätzung des Berufsschultages, wiederum ohne feststellbare Gruppenunterschiede (vgl. Tab. 3.40): Auch hier kommen kritische Bewertungen eher selten vor; bemerkenswert ist, dass immerhin 40 % der Assistenz- und 30 % der Werkstatt-Gruppe ihren BerufsschullehrerInnen attestieren, sie seien ›sehr gut‹.
Auch auf die Frage, worauf sich die TeilnehmerInnen beim Berufsschultag freuen, gibt es eher einheitliche Antworten (vgl. Tab. 3.41). Die Botschaft ist eindeutig: Die Befragten freuen sich auf MitschülerInnen und Unterricht, nur wenige freuen sich weder auf das eine noch auf das andere.
Abschließend werden die beiden Fragen nach dem Gefallen des Berufsschultages und nach der Einschätzung der LehrerInnen zu einem Berufsschulzufriedenheits-Index zusammengefasst. Beide Fragen werden auf einer fünfstufigen Skala beantwortet, so dass sich ein Ge-samtwert zwischen 1 und 5 ergibt. Die Mittelwerte der Gruppen liegen auch hier wieder dicht beieinander (Assistenz-Gruppe: 2,04, Werkstatt-Gruppe: 2,08).
Insgesamt wird dem Berufsschultag ein ›gutes‹ Zeugnis ausgestellt, die LehrerInnen schneiden dabei noch besser ab als der Berufsschultag selbst.
3.3.2.6 Einschätzung des Arbeitstrainings
Eine Reihe von Frage beziehen sich auf die Einschätzung des Arbeitstrainings durch die TeilnehmerInnen, teils bezogen auf konkrete Tätigkeiten und Arbeitsplätze, teils bezogen auf das Arbeitstraining insgesamt.
Zunächst wird anhand einer fünfstufigen Skala gefragt, wie gut oder schlecht den TeilnehmerInnen der konkrete Arbeitsplatz gefällt; dies ergibt signifikant unterschiedliche Antworten (vgl. Tab. 3.42; chi2 = .014): Die Antworten zeigen, dass die Arbeitsplätze den TeilnehmerInnen im Ambulanten Arbeitstraining deutlich besser gefallen als denen im Arbeitstrainings-Bereich der Werkstätten für Behinderte. Nimmt man die Mittelwerte der Antworten, so schneidet das Ambulante Arbeitstraining hoch signifikant besser ab (1,73 gegenüber 2,22 bei einem Spektrum von 1 bis 5; .004).
Diese Linie setzt sich bei den beiden offenen Fragen nach den gern und ungern ausgeführten Tätigkeiten fort (vgl. Tab. 3.43, 3.44; in beiden Fällen chi2 = .000): In der Assistenz-Gruppe machen gern ausgeübte ›zentrale Tätigkeiten‹ und ›alles‹ zwei Drittel aller Antworten aus, ungern wird bei einem Drittel ›nichts‹ getan. Positiv wichtig sind darüber hinaus bei einem Fünftel die Kontakte, negativ werden Reinigungsarbeiten sowie seltener die Monotonie der Arbeit empfunden. Demgegenüber sind bei der Werkstatt-Gruppe gern ausgeübte ›zentrale Tätigkeiten‹ mit der Hälfte der Voten vertreten sowie ›Verschiedenes‹, also nicht so zentrale Tätigkeiten, die auch anfallen; Verschiedenes taucht ebenso negativ als ungern ausgeübte Tätigkeiten bei 30 % der Voten auf, jedoch werden hier auch ›zentrale Tätigkeiten‹ mit 15 % genannt.
Ableitbar erscheint hier zweierlei: Die Assistenz-Gruppe sagt dezidierter, mit welchen Tätigkeiten sie sehr zufrieden und sehr unzufrieden ist, als die Werkstatt-Gruppe dies tut, wobei ihr Gesamtbild deutlich positiver ausfällt.
Auf das Arbeitstraining als Ganzes bezogen wird pauschal gefragt, ob es Spaß macht bzw. gemacht hat. Auch hier gibt es sehr signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.45; chi2 = .006): Spaß haben 90 % der Assistenz-, jedoch nur 60 % der Werkstatt-Gruppe; dezidiert verneinen dies 2 % der Assistenz- und 18 % der Werkstatt-Gruppe, von der sich 18 % nicht entscheiden. Dies ist insgesamt ein überaus positives Bild, für die Assistenz-Gruppe noch ein ganzes Stück positiver als für die Werkstatt-Gruppe.
Einen gewissen Kontrast zu diesem Bild zeigen die Antworten auf die Frage, ob auch Probleme im Arbeitstraining vorkommen; hier gibt es keine überzufälligen Unterschiede zwischen beiden Gruppen (vgl. Tab. 3.46): Hier zeigen die Antworten der Werkstatt-Gruppe mit fast je 10 % mehr Verneinungen und weniger Bejahungen, dass das Arbeitstraining von der Werkstatt-Gruppe insgesamt als weniger problematisch wahrgenommen wird, nämlich von einem Drittel als problematisch und von mehr als der Hälfte als unproblematisch, als von der Assistenz-Gruppe, die diese Frage zu fast gleichen Teilen bejaht und verneint.
Die offene Antwortmöglichkeit zu den Problemen nutzen sehr viel mehr Befragte der Assistenz- als der Werkstatt-Gruppe (vgl. Tab. 3.47; chi2 = .000): Dort wird deutlich, dass Probleme mit KollegInnen in der Werkstatt doppelt so häufig wahrgenommen werden wie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (14 % bzw. 7 %), dagegen werden von dort mehr Probleme mit Stress (12 % bzw. 2 %) und eigenen Fehlern (7 % bzw. 4 %) berichtet. Vergleicht man die Probleme mit den GruppenleiterInnen mit denen von AssistentInnen und ChefInnen, dann ergibt sich ein genauer Gleichstand der Anteile dieser Probleme - in der Werkstatt für Behinderte und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Ein genau entsprechendes Bild zeichnen die Antworten auf die Frage, ob es im Arbeitstraining manchmal zu anstrengend (gewesen) sei (vgl. Tab. 3.48): Zwar gibt es statistisch keinen signifikanten Unterschied, jedoch findet sich hier der gleiche 10 %-Unterschied wie bei den Problemen: Das Arbeitstraining sehen mehr TeilnehmerInnen der Assistenz-Gruppe zeitweilig als zu anstrengend an als in der Werkstatt-Gruppe. Dies entspricht auch den Problembenennungen aus Tab. 3.46.
Zusammenfassend zeichnet sich die Einschätzung des Ambulanten Arbeitstrainings in Relation zum Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte durch zwei Charakteristika aus: Es macht mehr Spaß und gefällt noch besser, und es ist ein Stück weit anstrengender und schwieriger; dabei gibt es weniger Probleme mit KollegInnen als in der Werkstatt und gleich viel mit AssistentInnen und ChefInnen, aber mehr Stress.
3.3.2.7 Fazit und Änderungswünsche
Als Fazit wird zum einen herangezogen, welche der anfänglichen Hoffnungen sich im Arbeitstraining erfüllt haben. Zum anderen wird ein Zufriedenheits-Index gebildet, in den alle Aspekte der Zufriedenheit mit dem Arbeitstraining eingehen.
Bezüglich der erfüllten Hoffnungen zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.49). Gleichwohl zeigt sich doch, dass fast die Hälfte der Assistenz-Gruppe ihre Hoffnungen erfüllt sieht, während dies nur bei einem knappen Drittel der Werkstatt-Gruppe der Fall ist - trotz garantierten Übergangs in den Beschäftigungsbereich der Werkstatt für Behinderte, jedoch ohne Garantie auf einen Arbeitsvertrag nach dem Ambulanten Arbeitstraining. Hier spielen sicherlich auch die hohen Werte unentschiedener oder ausgebliebener Antworten eine Rolle. Klammert man sie aus, dann zeigen auch die Mittelwerte der verbleibenden Antworten (1 = ja, 2 = teilweise, 3 = nein), dass sich die Hoffnungen der Assistenz-Gruppe (Mittelwert: 1,39) in höherem Maße erfüllt haben als bei der Werkstatt-Gruppe (Mittelwert: 1,67), was allerdings ebenfalls nicht statistisch signifikant ist.
Am Schluss dieses Fragebogenteils wird die offene Frage danach gestellt, was anders oder besser werden müsste beim Arbeitstraining, worauf lediglich etwa zwei Drittel der Befragten, gleichwohl in beiden Gruppen recht unterschiedlich, antworten (vgl. Tab. 3.50; chi2 = .023): An den Antworten fällt zunächst auf, dass ein Drittel der Assistenz-Gruppe ›nichts‹ antwortet, dagegen nur ein Sechstel der Werkstatt-Gruppe. Letztere äußert dagegen als wichtigsten Wunsch, mehr Bereiche kennenzulernen - ein bemerkenswertes und verwunderliches Votum angesichts des Konzepts, ihnen verschiedene Arbeitsbereiche in der Werkstatt für Behinderte zu erschließen. Aus den verbleibenden Angaben erscheint ein Datum als bedeutsam, dass nämlich nur ein sehr geringer Teil beider Gruppen von je 4 % ›weniger Stress‹ wünscht - angesichts der 12,5 %, die in der Assistenz-Gruppe Stress und Überforderung als Problem angeben. So dramatisch scheint die Situation doch nicht zu sein, denn mit mehr Leidensdruck hätte sich ein höherer Anteil von Wünschen nach Stressabbau ergeben müssen.
Verrechnet man abschließend alle generell einschätzenden Antworten der TeilnehmerInnen in einem gemeinsamen Index, so lässt sich eine generelle Aussage über deren Zufriedenheit mit dem Arbeitstraining machen. Hier gehen also die Antworten über das Gefallen, den Spaß, bestehende Probleme, übergroße Anstrengung und das Auskommen mit den KollegInnen ein. So ergibt sich lediglich eine kleine, nicht signifikante Differenz zwischen den Gruppen: Die Assistenz-Gruppe ist im Durchschnitt ein kleines bisschen zufriedener (Mittelwert: 1,49) als die Werkstatt-Gruppe (Mittelwert: 1,56). Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass beide Gruppen in einem recht hohen Maße mit ihrem Arbeitstraining zufrieden sind.
3.3.2.8 Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum im Vergleich
Wie bereits angedeutet, gibt es in der Praxis wie in der Einschätzung zwischen dem Ambulanten Arbeitstraining und dem Integrationspraktikum wenig bedeutende Unterschiede. Dies ist der Grund dafür, dass beide Maßnahmen gemeinsam ausgewertet werden. In diesem Abschnitt kommen nun jedoch die Unterschiede zur Sprache.
Einen ersten Unterschied gibt es bei dem Weg des Kennenlernens der Arbeitsassistenz (vgl. Tab. 3.51; chi2 = .054): Während die Personen im Ambulanten Arbeitstraining vor allem durch BerufsberaterInnen, Werkstatt-MitarbeiterInnen, Sonstige und die Schule mit der Arbeitsassistenz bekannt wurden, sind für die Personen im Integrationspraktikum vor allem die Eltern und die Schule wichtig, während BerufsberaterInnen und Werkstatt-MitarbeiterInnen an Bedeutung verlieren.
Weiter gibt es einen Wechsel in der Bedeutung von Hoffnungen (vgl. Tab. 3.52): Steht im Ambulanten Arbeitstraining neben anderem das Dazulernen im Vordergrund, so kommt dies im Integrationspraktikum gar nicht vor; dafür steht das Sich-Bewähren stark im Vordergrund - ein nachvollziehbarer Wechsel, da in vielen Fällen das Integrationspraktikum eine zusätzliche Bewährungszeit bedeutet, die zum Arbeitsvertrag führen soll.
Auch die Arbeitsplätze gestalten sich unterschiedlich (vgl. Tab. 3.53; chi2 = .086). Im Ambulanten Arbeitstraining gibt es deutlich mehr von ihnen im Dienstleistungsbereich, dagegen weniger als im Integrationspraktikum im Handwerk und in der Gastronomie. Dies kann als Beleg für eine individuellere Suche für einzelne Personen im Integrationspraktikum genommen werden.
An mehreren Stellen drängt sich der Eindruck auf, dass die Situation im Integrationspraktikum gezielter sowie integrativer gestaltet ist und differenzierter wahrgenommen wird als die im Ambulanten Arbeitstraining: So führt die Gruppe im Integrationspraktikum tendenziell mehr ›zentrale Tätigkeiten‹ gern durch, mag aber weniger ›alles‹ am Arbeitsplatz (vgl. Tab. 3.54), lehnt entsprechend auch mehr Tätigkeiten wie Reinigungsarbeiten ab, tut deutlich weniger ›nichts‹ ungern (vgl. Tab. 3.55). Was den Rahmen von Unterstützung im Betrieb angeht, so nimmt bei der Gruppe im Integrationspraktikum die Bedeutung von anderen zu, während die der AssistentInnen tendenziell abnimmt (vgl. Tab. 3.56). In der Wahrnehmung der Gruppe im Integrationspraktikum gibt es darüber hinaus weniger Probleme im Betrieb als beim Ambulanten Arbeitstraining (vgl. Tab. 3.57), sie kommt mit den KollegInnen etwas schlechter aus (vgl. Tab. 3.58), gibt auch mehr Probleme mit ihnen an, dagegen keine Probleme mehr mit Chefs, AssistentInnen und keine eigene Unsicherheit mehr (vgl. Tab. 3.59). Dies wird dadurch bestätigt, dass die Gruppe im Integrationspraktikum weniger Ärger mit den AssistentInnen anzeigt (vgl. Tab. 3.60). Allerdings nimmt die Gruppe im Integrationspraktikum die Arbeitssituation als anstrengender wahr (vgl. Tab. 3.61), und sie bezieht sich auch auf weniger Erfahrungsbereiche und signifikant weniger Betriebe als im Ambulanten Arbeitstraining (vgl. 3.62, 3.63).
Die Gruppe im Integrationspraktikum meldet weniger Wünsche für Veränderungen an (vgl. Tab. 3.64), ist mit ihren AssistentInnen noch etwas zufriedener (vgl. Tab. 3.65; Mittelwert 1,35 gegenüber 1,39) und meint, dass sich die Hoffnungen in höherem Maße realisieren als die Gruppe im Ambulanten Arbeitstraining angibt (vgl. Tab. 3.66). Insgesamt ist die Gruppe im Integrationspraktikum mit ihrer Maßnahme etwas weniger zufrieden als die Gruppe im Ambulanten Arbeitstraining mit ihrer (vgl. Tab. 3.67; Mittelwert 1,54 gegenüber 1,47) - hier mag sich auch der zunehmende Erfolgsdruck mit der kürzeren Förderungsdauer auswirken.
Die Unterschiede sind durchweg eher gradueller Natur, als dass sie substantiell wären. Die andere Unterstützungssituation im Betrieb und die Verschiebung der Problembeziehungen zeigen ein höheres Maß an betrieblicher Normalität und Gewöhnung an. Hier mag sich auch auswirken, dass die TeilnehmerInnen am Integrationspraktikum älter und erfahrener sind als die am Ambulanten Arbeitstraining. Das positive Bild, das sich bei der Betrachtung im bisherigen Abschnitt ergibt, gilt in ähnlichem Maße für das Ambulante Arbeitstraining wie für das Integrationspraktikum.
Ein großer Teil der AbsolventInnen des Arbeitstrainings und des Integrationspraktikums sind zum Zeitpunkt der Befragung bereits in Beschäftigungsverhältnisse übergegangen. Im folgenden werden deren Rahmenbedingungen, die konkreten Tätigkeiten, die dortige soziale Situation, die Zufriedenheit, bestehende Änderungswünsche und schließlich zukünftige Perspektiven betrachtet. Zunächst wird jedoch insgesamt die aktuelle Situation im Sommer 2000 betrachtet.
3.3.3.1 Aktuelle Situation
Die aktuelle Situation zum Zeitpunkt der Befragung zeigt, mit welchem Status die Befragten tätig sind - mit sehr signifikanten Unterschieden zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.68; chi2 = .000): Während drei Viertel der Werkstatt-Gruppe einen Arbeitsplatz in der Werkstatt für Behinderte und das vierte Viertel einen Arbeitsplatz in dessen Arbeitstrainingsbereich hat, stellt sich die Situation in der Assistenz-Gruppe deutlich heterogener dar: Über die Hälfte der Gruppe arbeitet in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Knappe 10 % sind noch im Integrationspraktikum, knappe 20 % befinden sich noch im Ambulanten Arbeitstraining. Geringe Anteile der Gruppe sind in die Werkstatt für Behinderte übergegangen, ein Teil zudem auf einen Außenarbeitsplatz der Werkstatt, in eine vollzeitschulische Qualifizierung, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder in die Arbeitslosigkeit.
Es wäre eine differenziertere Betrachtung notwendig, um genauer einschätzen zu können, wie die Übergänge in die Werkstatt für Behinderte, in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder in die Arbeitslosigkeit zu bewerten sind; dies erfolgt teilweise in Kap. 4. Dominierend ist jedoch das positive Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Personen aus dem Ambulanten Arbeitstraining und Integrationspraktikum ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis aufnehmen konnte. Damit ist zum einen noch nicht gesagt, dass die Betreffenden auch über Jahre dort bleiben und in diesem Betrieb zufrieden sind - ebenso wie für nicht behinderte MitarbeiterInnen auf dem ersten Arbeitsmarkt und für behinderte MitarbeiterInnen in der Werkstatt. Zum anderen muss auch gesehen werden, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt, die unter Umständen schnellen Veränderungen unterworfen ist; dies machen auch die Einzelstudien in Kap. 4 deutlich, bei denen sich teilweise die Situation innerhalb weniger Wochen - auch zwischen der ersten und zweiten Befragung - massiv verändert hat.
3.3.3.2 Rahmenbedingungen
Die erfragten Rahmenbedingungen beziehen sich auf die Fahrt zum Arbeitsplatz, die Wohnsituation, die wöchentliche Arbeitszeit, den Monatsverdienst und die Zufriedenheit mit ihm.
Bei der Fahrt zum Arbeitsplatz gibt es sehr signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.69; chi2 = .002): Während 90 % der Assistenz-Gruppe mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, sind es bei der Werkstatt-Gruppe zwei Drittel. Von ihr fährt ein Viertel mit dem Fahrdienst zur Werkstatt, was nur für eine Person aus der Assistenz-Gruppe gilt, die inzwischen in einer Werkstatt arbeitet. Dieser Befund kann nur in Teilen geklärt werden. Eine Rolle spielt sicherlich dabei, dass im Ambulanten Arbeitstraining und im Integrationspraktikum kein Fahrdienst finanziert werden kann - im Gegensatz zur Situation im unterstützten Beschäftigungsverhältnis, bei dem die Kosten vom Arbeitsamt übernommen werden. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass die Assistenz-Gruppe insgesamt über höhere Fähigkeiten im öffentlichen Verkehr verfügt, es könnte auch einen höheren Anteil von RollstuhlfahrerInnen und/oder weitere Wege durch die Stadt in der Werkstatt-Gruppe geben.
Sehr signifikante Unterschiede gibt es auch bei der Wohnsituation der Befragten (vgl. Tab. 3.70; chi2 = .004): Der Anteil der Assistenz-Gruppe, der noch bei den Eltern wohnt, ist mit 60 % fast doppelt so hoch wie in der Werkstatt-Gruppe. Dafür wohnt mit 40 % ein mehr als doppelt so hoher Anteil der Werkstatt-Gruppe in einer Wohngruppe. Es kann wiederum nur spekuliert werden, ob sich hier der Altersunterschied von vier Jahren bemerkbar macht oder welche Faktoren sonst zu diesen Unterschieden führen. So mag es eine Rolle spielen, dass beim Wohnen integrative Formen erst entwickelt werden müssen.
Zentral ist die Betrachtung der wöchentlichen Arbeitszeit. Auch hier gibt es sehr signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.71; chi2 = .004): Auf den ersten Blick wird eine deutlich flexiblere Wochenarbeitszeit bei der Assistenz-Gruppe deutlich. Ein Zehntel liegt bei einer halben Stelle, ein Viertel bei einer drei-Viertel-Stelle (hier sind auch Personen mit ihrem zusätzlichen Berufsschultag enthalten), und lediglich ein Viertel gibt eine volle Stelle als Arbeitszeit an - abgesehen von einem Drittel, das sich nicht geäußert hat. In der Werkstatt-Gruppe kommt nur die dreiviertel Stelle - ebenfalls mit dem zusätzlichen Berufsschultag - und die volle Stelle vor.
Ebenfalls zentral ist auch der monatliche Verdienst für die Arbeit; hierbei wurde dies nicht mit der Wochenarbeitszeit in Bezug gesetzt, sondern als real zur Verfügung stehender Betrag genommen. Auch hier gibt es extrem signifikante Unterschiede (vgl. Tab. 3.72; chi2 = .000): Auch hier fällt auf den ersten Blick das große Gefälle zwischen den Gruppen ins Auge: Während der Verdienst bei der Werkstatt-Gruppe unter 200 DM beginnt und bei unter 1000 DM endet, beginnt er bei der Assistenz-Gruppe unter 500 DM und reicht bei 15 % der TeilnehmerInnen bis über 1500 DM. Lediglich der Teilnehmer am Ambulanten Arbeitstraining, der in die Werkstatt übergegangen ist, verdient unter 200 DM. Auch wenn kein Zweifel darüber bestehen dürfte, dass der Bedarf des täglichen Lebens auch mit den höheren Verdiensten der Assistenz-Gruppe nicht vollständig zu bestreiten ist und die Abhängigkeit von Leistungen der Sozialhilfe weiterbesteht, so ist dieses Ergebnis ein dramatisches. Auffällig ist darüber hinaus, dass ein Drittel der Werkstatt-Gruppe keine Angaben über ihr Einkommen macht, der größte Teil davon weiß nicht, wieviel Geld er verdient.
Dieses Gefälle spiegelt sich in der Zufriedenheit mit dem Verdienst wider, die sich ebenfalls zwischen den Gruppen sehr signifikant unterscheidet (vgl. Tab. 3.73; chi2 = .003): Während zwei Drittel der Assistenz-Gruppe mit ihrem Verdienst zufrieden sind, ist es bei der Werkstatt-Gruppe knapp die Hälfte. Dagegen ist ein Drittel der Werkstatt-Gruppe und ein Sechstel der Assistenz-Gruppe unzufrieden. Ein gewisser Anteil der Werkstatt-Gruppe ist offenbar mit dem Verdienst zufrieden, obwohl er ihn nicht kennt.
Zusammenfassend gibt es bezüglich der Rahmenbedingungen der Beschäftigung im Anschluss an das Arbeitstraining und Integrationspraktikum durchgängig deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen: Ein wesentlich höherer Anteil der Assistenz-Gruppe fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit und nicht mit einem Fahrdienst. Ebenfalls wohnt ein wesentlich größerer Anteil der Assistenz-Gruppe noch bei den Eltern, nicht in Wohngruppen. Die Arbeitszeiten gestalten sich im Anschluss an das Ambulante Arbeitstraining und Integrationspraktikum wesentlich flexibler und der Verdienst ist wesentlich höher; und auch die Zufriedenheit mit dem Verdienst ist deutlich höher.
3.3.3.3 Tätigkeiten und soziale Situation
Aufgrund der wenigen Fragen werden die beiden Aspekte der Tätigkeiten und der sozialen Situation zusammen dargestellt.
Ebenso wie beim Arbeitstraining werden auch die Tätigkeiten im Beschäftigungsverhältnis erhoben, wiederum im Vergleich der Gruppen, der hoch signifikante Unterschiede zeigt (vgl. Tab. 3.74; chi2 = .000): Während die Tätigkeiten der Werkstatt-Gruppe sich fast ausschließlich auf den Bereich Industrie/Handwerk konzentrieren, zeigt sich bei der Assistenz-Gruppe das aus dem Arbeitstraining bekannt Profil, bei dem 80 % in Dienstleistung und Gastronomie liegen. Alle anderen Bereiche haben nur kleine Anteile.
Auch im Beschäftigungsbereich wird zum einen nach neu gewonnenen Freunden gefragt, wiederum mit sehr signifikantem Unterschied (vgl. Tab. 3.75; chi2 = .001): Hier zeigt sich das Bild, das schon im Arbeitstraining anzutreffen war: 80 % der Werkstatt-Gruppe bejahen die Frage, 10 % verneinen sie und 10 % entscheiden sich nicht. Dagegen verneinen fast 20 % der Assistenz-Gruppe die Frage, lediglich fast die Hälfte bejaht sie, und ein Viertel beantwortet sie gar nicht.
Zum anderen wird hier auch nach subjektiv wahrgenommenen Unterstützungsstrukturen gefragt, von wem sich nämlich die Befragten Hilfe erwarten, wenn es Schwierigkeiten gibt oder sie Probleme haben. Hier gibt es wiederum sehr signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.76; chi2 = .001): Für über die Hälfte der Werkstatt-Gruppe sind die GruppenleiterInnen primäre AnsprechpartnerInnen, jedoch werden auch von einem Drittel mehrere Personen angesprochen. In der Assistenz-Gruppe wird von fast der Hälfte ebenfalls auf mehrere Personen gesetzt, dem folgt jedoch eine differenziertere Aufstellung von möglichen HelferInnen: Von jedem sechsten Befragten der Gruppe werden die AssistentInnen genannt, von einigen auch Sonstige, ChefInnen und KollegInnen, vereinzelt Eltern und Geschwister. Einige wollen Schwierigkeiten ohne Unterstützung durchstehen und niemanden zur Hilfe holen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich hier das aus dem Arbeitstraining bekannte Bild fortsetzt: Die Tätigkeitsprofile beziehen sich in der Werkstatt für Behinderte wiederum auf Industrie und Handwerk, auf dem ersten Arbeitsmarkt liegen sie im Dienstleistungs- und Gatronomiebereich. Freunde werden in der Werkstatt für Behinderte mehr gefunden, und Unterstützung erhoffen sich die Befragten in der Werkstatt für Behinderte vor allem von den GruppenleiterInnen, während auf dem ersten Arbeitsmarkt auf viele verschiedene UnterstützerInnen gesetzt wird.
3.3.3.4 Zufriedenheit und Änderungswünsche
Drei Fragen beziehen sich auf die Zufriedenheit der Befragten mit ihrer Beschäftigung, zum einen die allgemeineren Frage, ob sie gern dort sind und wie gut oder schlecht sie ihre momentane Situation finden, und zum anderen die speziellere Frage, ob sie ihre Tätigkeiten dort mögen. Hier schließt sich dann auch gleich die Frage nach Änderungswünschen an, die indirekt ebenfalls Aussagen zur Zufriedenheit ermöglicht.
Zunächst einmal ist für beide Gruppen festzuhalten, dass mehr als vier Fünftel der Befragten gern am Ort ihrer Beschäftigung sind (vgl. Tab. 3.77). Die Zufriedenheit ist also in beiden Gruppen sehr hoch. Dabei ist die Assistenz-Gruppe insofern ausgeprägter in den Antworten, als die Anteile von Bejahung wie Verneinung höher sind als in der Werkstatt-Gruppe. Der gerade noch signifikante Unterschied zwischen den Gruppen dürfte auf die unterschiedlichen Anteile der Unentschiedenen zurückgehen (chi2 = .094).
Bestätigt wird die unterschiedlich ausgeprägte Prägnanz bei der Frage, wie die momentane Situation eingeschätzt wird (vgl. Tab. 3.78): Die Anteile der extremen Bewertungen sind bei der Assistenz-Gruppe höher als bei der Werkstatt-Gruppe. So kommt es zu einem signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (chi2 = .060), der jedoch bei deren Mittelwerten nicht mehr vorhanden ist. Die Assistenz-Gruppe schätzt ihre Situation im Durchschnitt - allerdings nicht signifikant - besser ein als die Werkstatt-Gruppe (Assistenz-Gruppe: 2,05, Werkstatt-Gruppe: 2,26), was auch daran deutlich wird, dass die positiven Voten bei der Assistenz-Gruppe fast drei Viertel ausmachen, bei der Werkstatt-Gruppe knapp zwei Drittel.
Die dritte Frage nach der Zufriedenheit richtet sich auf die konkreten Tätigkeiten (vgl. Tab. 3.79): Auch bei den konkreten Tätigkeiten zeigt sich ein Bild großer Zufriedenheit - und das ohne signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Drei Viertel der Werkstatt- und sogar 85 % der Assistenz-Gruppe mögen ihre konkreten Aufgaben. Die unzufriedenen Aussagen kommen jeweils von unter 10 % der Befragten in den Gruppen.
Bei allgemein hoher Zufriedenheit gibt es bei vier Fünfteln der Befragten ein Potential an Wünschen nach Veränderungen am Arbeitsplatz, ohne Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Antworten auf diese offene Frage werden systematisiert (vgl. Tab. 3.80): Ein Drittel der Assistenz- und ein Viertel der Werkstatt-Gruppe meinen, es solle nichts verändert werden - dies ist die Gruppe der Hochzufriedenen. Bei den angegebenen Wünschen der Assistenz-Gruppe dominieren die nach einer anderen Arbeit und nach Weiterqualifizierung mit zusammen fast einem Viertel der Voten vor anderen Dingen wie mehr Unterstützung, mehr Geld, mehr Arbeit (mit mehr Wochenstunden), ein anderer Betrieb und personelle Veränderungen (hier geht es um einen Vorgesetzten). In der Werkstatt-Gruppe gibt es sehr ähnliche Wünsche: zu etwa 10 % jeweils eine andere Arbeit, Weiterqualifizierung, mehr Geld, personelle Veränderungen (hier geht es um behinderte KollegInnen) und eine Arbeit außerhalb der Werkstatt. Diese Wünsche sind durch die Bank nachvollziehbar, sie bewegen sich - bis auf die Arbeitsplätze außerhalb der Werkstatt - im Rahmen dessen, was auch sonst ArbeitnehmerInnen als Forderungen aufstellen.
3.3.3.5 Perspektiven
Zu möglichen zukünftigen Perspektiven werden drei Fragen gestellt, zwei davon als offene, die im nachhinein kategorisiert werden. Zunächst geht es darum, in welchem Tätigkeitsbereich die Betreffenden später einmal arbeiten möchten - diese Frage wird bewusst in sehr offener Formulierung gestellt, so dass die Befragten alle Freiheiten für ihre Ideen für weitere Perspektiven haben (vgl. Tab. 3.81): Ein Drittel der Assistenz- und ein Fünftel der Werkstatt-Gruppe möchte da bleiben, wo es heute arbeitet. Dies dürften wiederum zum großen Teil die Hochzufriedenen sein, die auch keine Änderungswünsche haben. Soweit jedoch andere Perspektivwünsche geäußert werden, fallen besonders zwei Daten auf, die sicherlich auch maßgeblich für den insgesamt sehr signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen sind (chi2 = .000): Bei der Assistenz-Gruppe will ein knappes Viertel in den Dienstleistungsbereich gehen, und in der Werkstatt-Gruppe gibt ein Drittel an, außerhalb der Werkstatt arbeiten zu wollen, obwohl dies keineswegs durch die Frage provoziert war.
Ergänzend sollen die Befragten angeben, von wem sie sich Unterstützung bei der Realisierung dieser Perspektiven erhoffen - wiederum mit sehr signifikant unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Tab. 3.82; chi2 = .006): Die Unterschiede beginnen bereits dort, wo keine Angaben gemacht werden - bei einem Viertel der Assistenz- und knapp der Hälfte der Werkstatt-Gruppe. Soweit jedoch Aussagen dazu gemacht werden, fällt auf, dass die Werkstatt-Gruppe zu einem Fünftel auf die GruppenleiterInnen, einem Zehntel auf sich selbst und zu weiteren kleinen Teilen auf den sozialpädagogischen Dienst und Sonstige vertraut - die Personengruppen vor allem, die in der Werkstatt vor Ort anwesend sind. Die Assistenz-Gruppe geht über diesen Rahmen, innerhalb dessen die AssistentInnen mit über einem Viertel am wichtigsten sind, hinaus, indem auch Geschwister, Eltern und Sonstige einbezogen werden.
Schließlich wird als letzte Frage des Bogens ganz allgemein nach sonstigen Wünschen für die Zukunft gefragt, eine Frage, die von 85 % der Befragten beantwortet wird, mit signifikanten Unterschieden zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 3.83; chi2 = .027): Hier kommen sehr unterschiedliche Wünsche zur Sprache, die zu Kategorien zusammengefasst werden. Dies beginnt mit einem sehr zufriedenen knappen Fünftel in beiden Gruppen, das explizit keine Wünsche für die Zukunft hat. Nimmt man die Voten dazu, nach denen alles so bleiben soll wie es ist, steigt dieser Anteil bei der Assistenz-Gruppe auf über ein Viertel, das offenbar den ›harten Kern‹ der äußerst Zufriedenen ausmacht.
Einige Relevanz haben Wünsche wie die eigene Weiterentwicklung, so der Auszug von den Eltern, der Aufbau einer Partnerschaft. Die eigene Weiterbildung ist überwiegend, einen Führerschein zu machen, ist fast nur in der Assistenz-Gruppe wichtig, außerhalb der Werkstatt für Behinderte arbeiten zu können, logischerweise nur in der Werkstatt-Gruppe. Vereinzelt kommen auch Wünsche vor, die eher allgemein sind und über das Individuelle hinausgehen, so beispielsweise der Wunsch, dass es keine Kriminalität und keine Kriege mehr geben soll oder dass es eine bessere Unterstützung für Obdachlose und Drogenabhängige geben müsste.
Dass bei dieser Frage wiederum fast 10 % der Werkstatt-Gruppe den Wunsch nach einer Arbeit außerhalb der Werkstatt für Behinderte äußern und dies schon bei zwei anderen Fragen auftaucht, veranlasst dazu nachzuprüfen, ob es die gleichen Personen sind, die diesen Wunsch als ›harter kritischer Kern‹ mehrfach äußern, oder ob es sich um verschiedene Personen handelt. Dabei wird deutlich, dass lediglich drei Personen diesem Wunsch an zwei Stellen Ausdruck geben, es sich also insgesamt um 23 Personen handelt, d.h. 41 % der Werkstatt-Gruppe möchten eines Tages außerhalb der Werkstatt für Behinderte arbeiten.
Dabei werden Aussagen mit unterschiedlichem Konkretheitsgrad gemacht: Während die von zwei Personen eher auf diffuser Ebene anzusiedeln sind (»außerhalb der WfB, Bereich ist relativ egal«), beziehen sich die Aussagen von neun Befragten auf Branchen (»Büroarbeit«, »Maler«, »Metall« etc.) und die von zwölf Befragten auf konkrete Arbeitsplätze (»Altersheim«, »bei Lau«, »bei Papa in der Druckerei«, »Videothek« usw.); aus jeder dieser drei Ebenen hat eine Person sich bereits bei der Arbeitsassistenz beworben und steht auf deren Warteliste. Dies ist ein Ergebnis, das so nicht zu erwarten war, und das nach Interpretationen verlangt, die auf der vorliegenden Datenbasis jedoch nicht sicher geleistet werden können.
Leitungspersonen aus den Werkstätten zeigen sich im Gespräch über diesen Punkt teilweise ebenfalls überrascht von diesem Ergebnis. Dabei werden verschiedene Erklärungstendenzen genannt, nach denen ein Teil der MitarbeiterInnen tatsächlich auf der Warteliste der Arbeitsassistenz steht, ein zweiter Teil zwar den Wunsch hat, außerhalb zu arbeiten, jedoch bei konkreten Perspektiven eher zurückweicht, wenn etwa für Außenarbeitsplätze geworben wird; bei einem dritten Teil werden die Wünsche eher für unrealisierbare Traumvorstellungen nach dem Muster von Lokomotivführer oder Pilot gehalten.
Von den bisher insgesamt 68 TeilnehmerInnen am Ambulanten Arbeitstraining und Integrationspraktikum wurden 56 über ihre Erfahrungen in den Maßnahmen sowie vorherige und nachfolgende Wege befragt. Als Parallelgruppe dazu wurden in allen vier Hamburger Werkstätten für Behinderte ebenfalls 56 Personen befragt. Die Ergebnisse lassen sich in den folgenden Punkten zusammenfassen:
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Was den von ihnen angegebenen sozialen, kulturellen Status und das Freizeitverhalten der Befragten angeht, so ergeben sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Gruppen. Es gibt lediglich zwei andere Unterschiede: Die Werkstatt-Gruppe ist im Durchschnitt knappe vier Jahre älter und zu ihr gehören mehr Männer ist als zur Assistenz-Gruppe. Diese Unterschiede haben jedoch keinen systematisch und gleichsinnig verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse.
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Während der aktuelle Status der Befragten (Stand: Juli 2000) in der Werkstatt-Gruppe sich ausschließlich auf einen Platz im Arbeitstrainings- oder Beschäftigungsbereich der Werkstatt für Behinderte bezieht, zeigt sich bei der Assistenz-Gruppe ein breiteres Spektrum: Über die Hälfte ihrer Mitglieder befindet sich inzwischen in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen, ein Viertel ist noch im Ambulanten Arbeitstraining oder Integrationspraktikum, kleinere Gruppen sind in die Werkstatt übergegangen oder arbeitslos, befinden sich in Arbeitsbeschaffungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen oder haben einen Werkstatt-Außenarbeitsplatz. Für über die Hälfte der AbsolventInnen der beiden Maßnahmen ist also die Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt gelungen, bei einem Fünftel ist dies vorerst nicht der Fall, bei einem Viertel ist dies noch offen, da die Maßnahmen noch laufen. Diese Momentaufnahme verändert sich allerdings sehr schnell, da inzwischen u.a. eine Reihe von Arbeitsverträgen abgeschlossen worden sind.
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Es gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass unterschiedliche langfristige Orientierungen bei den Gruppen bestehen: Bereits während der Schulzeit orientieren sich die Mitglieder der Assistenz-Gruppe auf den ersten Arbeitsmarkt, indem sie eher dort ihre Betriebspraktika machen und darin auch vom Umfeld (Eltern, LehrerInnen) bestärkt werden. Demgegenüber machen die Mitglieder der Werkstatt-Gruppe ihre Betriebspraktika eher - und zum Teil ausschließlich - in der Werkstatt für Behinderte, auch sie werden darin vom Umfeld bestärkt.
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Die unterschiedlichen Orientierungen setzen sich durch die Berufsberatung hindurch fort, indem die jungen Leute auch die entsprechenden Zuweisungen bekommen. Dabei fällt die Zufriedenheit mit der Berufsberatung durchaus unterschiedlich aus: In der Assistenz-Gruppe findet sich sehr große Zufriedenheit, aber auch sehr große Unzufriedenheit, wobei die Gründe offen bleiben; in der Werkstatt-Gruppe finden sich dagegen vor allem mittlere Bewertungen, allerdings läuft man in dieser Gruppe Gefahr, über die Existenz des Ambulanten Arbeitstrainings nichts zu erfahren.
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Über die Phase der Berufsorientierung in unterschiedlichsten Maßnahmen - von integrativen oder anderen Berufsschulprojekten über die beiden Formen des Arbeitstrainings bis zu sonstigen Maßnahmen - äußern sich die Befragten größtenteils positiv.
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Generell zeigen die Aussagen in den verschiedenen Maßnahmen und Phasen - Arbeitstraining, Integrationspraktikum und Beschäftigung - einen recht hohen Grad von Zufriedenheit.
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In einer Reihe von Bereichen gibt es breite Übereinstimmung oder vergleichbare Angaben der Gruppen: im positiven Verhältnis zu den AssistentInnen bzw. GruppenleiterInnen, bei der positiven Einschätzung des Berufsschultags und der BerufsschullehrerInnen, beim Auskommen mit den KollegInnen und in der Breite der Erfahrungsmöglichkeiten im Arbeitstraining. Die beiden letzten Punkte erscheinen insofern bedeutsam, als hiermit zwei kritische Vorbehalte gegenüber dem Ambulanten Arbeitstraining deutlich in Frage gestellt werden: Die TeilnehmerInnen bestätigen weder eine Schmalspurqualifizierung im Arbeitstraining, noch fühlen sie sich im Betrieb von ihren KollegInnen gemobbt oder ausgeschlossen; im Gegenteil werden sogar nur halb so viel Probleme mit KollegInnen angegeben wie in der Werkstatt für Behinderte.
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Im Vergleich zwischen den beiden Gruppen zeigen sich eine Reihe von positiveren Bewertungen bei der Assistenz-Gruppe: Ihre Mitglieder lernen im Arbeitstraining mehr Betriebe kennen, haben mehr Spaß, finden ihre Tätigkeiten besser, führen mehr von ihnen gern und weniger ungern aus, schätzen ihre AssistentInnen etwas positiver ein, geben ein höheres Maß an erfüllten Hoffnungen an und sind insgesamt zufriedener. In der nachfolgenden Beschäftigung haben sie flexiblere Arbeitszeiten, verdienen wesentlich mehr und sind zufriedener damit (ein erheblicher Anteil der Werkstatt-Gruppe weiß dagegen nicht, was er verdient), sind auch insgesamt mit der Beschäftigungssituation zufriedener, haben zu einem höheren Anteil keine Änderungswünsche und setzen auf ein breiteres Spektrum von unterstützenden Personen für die Realisierung ihrer gewünschten Zukunftsperspektiven.
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Dagegen finden sich positivere Bewertungen bei der Werkstatt-Gruppe in den Punkten, dass sie im Arbeitstraining weniger Ärger und Probleme haben, es als weniger anstrengend empfinden und sie im Arbeitstraining und in der Beschäftigung mehr Freunde gewinnen.
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Unterschiedliche Profile zeigen beide Gruppen bei mehreren Punkten, ohne dass von einem Mehr oder Weniger gesprochen werden könnte: In den Tätigkeiten des Arbeitstrainings und der Beschäftigung dominiert bei der Assistenz-Gruppe der Bereich von Dienstleistung und Gastronomie, während dies bei der Werkstatt-Gruppe für Industrie und Handwerk gilt. Weiter wird die Rollen der unterstützenden Personen unterschiedlich wahrgenommen: AssistentInnen werden vorwiegend als BeraterInnen und BegleiterInnen, GruppenleiterInnen teils als FreundInnen und teils als ChefInnen gesehen. Und während die Unterstützung in der Werkstatt nahezu ausschließlich durch die GruppenleiterInnen erfolgt, bezieht sie sich auf dem ersten Arbeitsmarkt auch zunächst auf die AssistentInnen, bezieht aber stärker ChefInnen und KollegInnen im Betrieb mit ein. Dies setzt sich bei Änderungswünschen für das Arbeitstraining fort, bei denen in der Werkstatt für Behinderte ein besseres Eingehen auf die MitarbeiterInnen dominiert, dagegen auf dem ersten Arbeitsmarkt Unterschiedliches ohne deutlich Dominanz gewünscht wird. Hier zeigt sich ein vielfältigeres soziales Netz in der Arbeitssituation auf dem ersten Arbeitsmarkt.
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Praxis und Einschätzung des Ambulanten Arbeitstrainings und des Integrationspraktikums durch die TeilnehmerInnen zeigen große Übereinstimmungen; es gibt lediglich graduelle Unterschiede in der insgesamt ausgesprochen als positiv wahrgenommenen Praxis und Einschätzung, die in einer Tendenz zu größerer individueller Gezieltheit und Integriertheit, Gewöhnung und betrieblicher Normalität sowie noch größerer Zufriedenheit zusammengefasst werden kann.
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Von den 56 Befragten der Werkstatt-Gruppe äußern 23 (= 41 %) bei drei allgemein gestellten, offenen Fragen (›Was würden Sie am liebsten an Ihrer Situation verändern?‹ - ›In welchem Tätigkeitsbereich möchten Sie später arbeiten?‹ - ›Welche Wünsche haben Sie sonst für die Zukunft?‹) von sich aus, dass sie die Werkstatt verlassen und auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen.
Inhaltsverzeichnis
- 4.1 Anliegen und Fragestellung
- 4.2 Methodische Überlegungen
- 4.3 Stichprobe
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4.4 Ergebnisse
- 4.4.1 Frau A: »Das macht voll Bock!«
- 4.4.2 Herr B: »Ich muss das alles besser in Griff kriegen«
- 4.4.3 Frau C: »Dass ich jetzt in dem Call-Center sitze, das finde ich richtig gut«
- 4.4.4 Herr D: »Ich bin auch bereit, meinen Traum so in Wirklichkeit umzusetzen«
- 4.4.5 Herr E: »Wie mich jemand reingeschoben hat - hab' ich richtig Horror gehabt«
- 4.4.6 Frau F: »Also eigentlich allgemein bin ich ja zufrieden ... und irgendwann werd' ich auch versuchen, hier rauszugehen«
- 4.4.7 Herr G: »Ich weiß gar nicht, was ich will - entweder ich bleib' in der Töpferei oder ich werd' draußen arbeiten«
- 4.4.8 Herr H: »Ich hab' mir eigentlich was anderes gewünscht«
- 4.4.9 Frau I: »Ich bin an der richtigen Stelle eigentlich«
- 4.4.10 Frau J: »Letztendlich bin ich nicht unzufrieden, aber ... wenn es für mich die Möglichkeit gäbe, dann würde ich auch gern was anderes machen, und auch gern außerhalb der Werkstatt«
- 4.5 Zusammenfassende Bemerkungen
Bei der Vollbefragung der aktuellen und ehemaligen TeilnehmerInnen des Ambulanten Arbeitstrainings und Integrationspraktikums sowie der entsprechenden Parallelgruppe in den Werkstätten für Behinderte steht die Breite der erhobenen Daten im Vordergrund. Von möglichst vielen Menschen sollen Daten zu bestimmten Fragen erhoben werden. Dies geht jedoch unter Umständen auf Kosten der Tiefe der erhobenen Informationen. Bei der ersten Befragung werden dem konzipierten Fragebogen folgend die gleichen Informationen abgerufen - es wird aber nicht im Einzelfall nachgefragt, worum es im einzelnen und genau dabei geht.
An dieser Begrenzung setzt die zweite Befragung an. Am Beispiel einzelner Personen aus der ersten Befragung wird nun genauer eruiert, womit genau die Person zufrieden oder unzufrieden ist, wie sich das Verhältnis zu den AssistentInnen oder GruppenleiterInnen im einzelnen gestaltet, welche individuellen Entwicklungen zu verzeichnen sind und ähnliches mehr. Dabei wird auch die zeitliche Perspektive geweitet, denn sowohl die Wege vor als auch nach dem Arbeitstraining bzw. Integrationspraktikum werden in die Betrachtung einbezogen. Damit kann die Bedeutung der beiden Maßnahmen in der Biographie der TeilnehmerInnen ausgelotet werden. Die Zielsetzung dieser Befragung ist somit eine andere als bei der Vollbefragung: Nicht allgemeine, repräsentative Aussagen für die Gesamtgruppe gilt es zu treffen, sondern am Beispiel einzelner RepräsentantInnen gilt es bestimmte Verläufe oder bestimmte Positionen nachzuvollziehen - statt quantitativer Repräsentanz wird also qualitative Repräsentanz angestrebt.
Hierbei haben die Aussagen der Personen selbst wiederum einen hohen Stellenwert. Sie werden ergänzt durch die Sichtweisen anderer, die an der Situation in unterschiedlichen Funktionen beteiligt sind: Dies betrifft selbstverständlich die AssistentInnen bzw. GruppenleiterInnen, unter Umständen - und so weit die Personen selbst dies befürworten - auch Elternteile oder andere Vertrauenspersonen, bei der Assistenz-Gruppe gilt dies auch für die Vorgesetzten, so weit die Befragten sich inzwischen in Arbeitsverhältnissen befinden.
Zielsetzung dieser zweiten Befragung ist also eine differenziertere Betrachtung unter-schiedlicher Situationen und Verläufe. Mit ihrer Hilfe soll geklärt werden, was die zentralen Herausforderungen bei eher problematischen wie bei eher erfolgreichen Verläufen sind und welche Faktoren entscheidend zu ihnen beitragen.
Für die Interpretation der Studien werden zwei theoretische Folien genutzt: Die Stigma-Theorie GOFFMANs (1967) und die Theorie integrativer Prozesse (REISER 1991, HINZ 1993, 1996b). Sie heranzuziehen liegt insofern nahe, als beide Theorien spezifische Aspekte der zu interpretierenden Situationen beleuchten: Zum einen geht es zentral um Prozesse, die mit Stigmata, Stigmatisierung und Entstigmatisierung zu tun haben, also um gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse, zum anderen besteht das Ziel der beruflichen Integration, für dessen Erreichung integrative Prozesse notwendig sind.
Gemäß der Stigma-Theorie besteht ein Stigma nach GOFFMAN (1967, 11) in einer zugeschriebenen »Eigenschaft einer Person, die zutiefst diskreditierend ist,« also einem »Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, daß wir uns bei der Begegnung mit diesem Individuum von ihm abwenden,« denn »es ist in unerwünschter Weise anders, als wir es antizipiert hatten« (ebd., 13). Damit ist nicht die Eigenschaft an sich, sondern unsere Sichtweise von ihr - oder unser negatives Vorurteil ihr gegenüber - entscheidend.
Nach GOFFMAN (ebd., 14) bedeutet es einen wichtigen Unterschied, ob eine Person entweder eine Diskreditierte ist, also jemand, dessen Stigma für jeden sofort offensichtlich ist, etwa bei einer physischen Auffälligkeit oder einem definierten Syndrom. Von diesem äußerlichen Merkmal wird dann auf die ganze Person geschlossen, das Stigma also als ›master-status‹ generalisiert. Oder eine Person gehört zu den Diskreditierbaren, also zu jenen, deren Stigma sich nicht jedem sofort erschließt, sondern jeweils situativ entdeckt werden kann. Die jeweilige Zuordnung legt unterschiedliche Strategien des Stigma-Managements nahe: So birgt die notgedrungene ständige Auseinandersetzung mit dem Stigma einer diskreditierten Person eine größere Wahrscheinlichkeit, dass sie sich regressiv zurückzieht, evtl. im Rahmen einer Institution, oder dass sie gerade offensiv mit diesem Stigma umgeht - im Kontext des Umfeldes, in dem sie sich befindet. Eine diskreditierbare Person hingegen hat sich stärker mit der Frage des Entdeckt-Werdens auseinanderzusetzen, ihr liegen Strategien des Geheimhaltens und Kompensierens näher. Die Grundsituationen und damit die Startpunkte für die aktive Verarbeitung des Stigmas sind also durchaus verschiedene.
HOHMEIER unterschiedet auf der individuellen Mikroebene und auf der gesellschaftlichen Makroebene unterschiedliche Funktionen von Stigmata. Da hier die individuelle Ebene von Zuschreibungsprozessen im Vordergrund steht, wird die Makroebene vernachlässigt. Auf der Mikroebene sieht HOHMEIER (1975, 10-12, vgl. auch CLOERKES 1997, 148f.) drei Funktionen:
-
Die Orientierungsfunktion ermöglicht die Vorausstrukturierung sozialer Situationen und dadurch die Verringerung von Unsicherheiten.
-
Die Entlastungsfunktion ermöglicht die Projektion eigener verdrängter Bedürfnisse auf selektiv und verzerrt wahrgenommene ›Sündenböcke‹.
-
Die Identitätsstrategie schließlich ermöglicht die Wiederherstellung des gefährdeten psychischen Gleichgewichts durch Abgrenzung gegenüber Andersartigkeit.
Unter diesem Aspekt stehen alle Menschen in der Gefahr, zum Objekt von Stigmatisierungsprozessen zu werden. Am geringsten, so GOFFMAN (1967, 158), ist diese Gefahr in den USA für das einzig voll akzeptierte Wesen: »ein junger, verheirateter, weißer, städtischer, nord-staatlicher, heterosexueller, protestantischer Vater mit Collagebildung, voll beschäftigt, von gutem Aussehen, normal in Gewicht und Größe und mit Erfolg im Sport« - und natürlich nicht behindert.
Wie HOHMEIER aufzeigt, sind die Folgen für Stigmatisierte tiefgreifend (1975, 12-14): Die Interaktion orientiert sich am Stigma, wird so durch Spannungen, Unsicherheit und Angst erschwert, und die Biographie wird unter diesem Vorzeichen umdefiniert. Gesellschaftliche Teilhabe wird massiv erschwert, stattdessen droht Diskriminierung, Kontaktverlust, Isolation und Aussonderung.
Der Prozess der Stigmatisierung kann bei sichtbaren Stigmata bereits die Kindheitssozialisation bestimmen, setzt sich in der Interaktion mit den ›Normalen‹ fort und führt zur Rolle als Klient in speziellen Organisationen, in denen eine neue soziale Identität konstruiert wird. Diese Einrichtungen fungieren als »Instanzen sozialer Kontrolle« (CLOERKES 1997, 150), in denen »Experten, die in der kritischen Literatur auch als ›Zuschreibungsspezialisten‹ bezeichnet werden,« das offizielle Ziel einer möglichst effektiven »Rehabilitation bzw. Resozialisierung innerhalb eines zweckbestimmten, formalisierten und bürokratisierten Rahmens« (ebd.) verfolgen - genau das also, was GOFFMAN als ›totale Institution‹ bezeichnet. In ihr wird vom Einzelfall abstrahiert und das Individuum wird alltagstheoretisch pathologisiert, so dass »Eigenschaften ..., die man in unserer Gesellschaft als besonders negativ bewertet (personorientiertes Paradigma, medizinisches Modell)« in den Vordergrund rücken. »Der Definitionsmacht der Organisationen haben die Betroffenen im allgemeinen nichts entgegenzusetzen. Der meist niedrige sozioökonomische Status unterstreicht noch die Aussichtslosigkeit, sich den Zuschreibungen der Kontrollinstanzen zu entziehen« (ebd.). So übernehmen sie selbst angesichts der bestehenden Machtverhältnisse das zugeschriebene Stigma als Teil ihrer Identität, und gemäß dem Prozess der selbst erfüllenden Prophezeiung realisiert es sich dann auch und verhindert andere Entwicklungschancen.
Im Feld der Unterstützten Beschäftigung liegt eine zentrale Funktion von Integrationsfachdiensten darin, das Stigma-Management, also das Bemühen um Normalität, mit der unterstützten Person gemeinsam zu reflektieren und möglichst Prozesse der Entstigmatisierung einzuleiten (vgl. GEHRMANN & RADATZ 1997, MARKOWETZ 2000).
Zum anderen kann mit Hilfe der Theorie integrativer Prozesse - ursprünglich für den Bereich des Kindergartens und der Schule entwickelt - beleuchtet werden, in welchem Maße es gelingt, Integration zu realisieren. Dabei wird Integration nicht als ein Zustand verstanden, der irgendwann erreicht wird, sondern es geht um Prozesse, die sich zwischen den widersprüchlichen Polen der Gleichheit und der Verschiedenheit in einer dynamischen Balance von Annäherung und Abgrenzung vollziehen sollen. Bei diesen Prozessen lassen sich in Anlehnung an die Themenzentrierte Interaktion verschiedene Ebenen unterscheiden, die miteinander verwoben sind und aufeinander einwirken (vgl. Tab. 4.1; zum folgenden vgl. HINZ 1993, 42-54, 1996b).
Tab. 4.1: Ebenen integrativer Prozesse auf der Basis einer dynamischen Balance von Gleichheit und Verschiedenheit (HINZ 1993, 53)
Spannungsfeld -> |
Verschiedenheit |
<---Balance---> |
Gleichheit |
|Ebenen| Prozesse -> |
Abgrenzung |
<---Einigung---> |
Annäherung |
Innerpsychisch |
Verfolgung |
Akzeptanz |
Verleugnung |
Interaktionell |
Distanzierung |
Begegnung |
Verschmelzung |
Handlungsbezogen |
Verweigerung |
Kooperation |
Vereinnahmung |
Institutionell |
Aussonderung |
Gemeinsamkeit |
Anpassung |
Gesellschaftlich |
Exotisierung |
Normalisierung |
Kolonialisierung |
Auf der innerpsychischen Ebene geht es um die Herausforderung, nicht nur die ›Hochglanz-Seiten‹ der eigenen Person wahrzunehmen, mit denen wir uns gerne nach außen präsentieren, sondern sich auch den ›dunklen Seiten‹, den eigenen Seiten der Kleinheit, des Zweifelns, des Nicht-Könnens, der Ratlosigkeit zuzuwenden. Häufig versuchen wir diese Seiten aggressiv von uns zu weisen (und bei anderen um so schärfer zu verfolgen) oder sie zu verleugnen und uns auf die ›angenehmen Seiten‹ zu fixieren. Beide Strategien ermöglichen jedoch nicht Akzeptanz der eigenen Person. Es gilt also, sich hinzuwenden zum ›Fremden‹ in der eigenen Person und es als zu uns zugehörig zu akzeptieren.
Auf der interaktionellen Ebene liegt die Herausforderung entsprechend der innerpsychischen Ebene darin, zu einer Begegnung, zu einem Dialog zu kommen, in dem wir uns der anderen Person in ihrer Ganzheit und Widersprüchlichkeit zuwenden und in diesem Dialog die andere verstehen und uns selbst treu bleiben. Häufig tendieren wir dazu, uns bei Kontroversen schnell voll und ganz von anderen zu distanzieren und uns bei Übereinstimmungen mit anderen stark zu verbinden und individuell Unterschiedliches verschmelzend zu übersehen. Beide Verhaltensstrategien sind gleich darin, dass sie Homogenität anstreben. Ein ganzheitlicher Dialog im Sinne BUBERs wird so nicht entstehen können, denn wenn wir gleich und verschieden sind, gehören zu ihm immer Konsens und Dissens und damit auch harmonische und konflikthafte - oder zumindest nicht verstehende - Anteile.
Auf der handlungsbezogenen Ebene stellt sich die Herausforderung, zwischen den beteiligten Personen Kooperation zu ermöglichen - in Kindergarten und Schule zwischen Kindern und PädagogInnen, bei der Arbeit zwischen KollegInnen. Weder sollen sie in Situationen der Verweigerung noch in Situationen der Vereinnahmung geraten. Gemeinsames Handeln soll bei gleichzeitiger Wahrung der Gemeinsamkeit auf die Voraussetzungen und Möglichkeiten aller Beteiligten eingehen. Dementsprechend kann es nicht darum gehen, verschiedene individuelle Anteile zu entwickeln, sondern die Herausforderung liegt vielmehr gerade im gemeinsamen Tun, die die Unterschiedlichkeit der Beteiligten berücksichtigt.
Auf der institutionellen Ebene gilt es, ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit in Unterschiedlichkeit zu ermöglichen und Anpassungsdruck und Aussonderungsdrohung zu überwinden. Dazu bedarf es vielfältiger Prozesse administrativer Öffnung durch die Überwindung von zeitlichen, räumlichen und effektbezogenen Begrenzungen durch individuelle Unterstützung sowie der Erweiterung der Möglichkeiten zur Entwicklung eines integrativen Profils und eines integrativen Selbstverständnisses für die einzelne Institution. Generell gilt es, in Konflikten zwischen hierarchischen Entscheidungs- und Verkündungsstrukturen einerseits und kooperativen Beratungsprozessen unmittelbar Beteiligter andererseits den kooperativen Beratungsergebnissen den Vorrang zu geben.
Auf der gesellschaftlichen Ebene und ihrer Normen schließlich stellt sich die Herausforderung der Normalisierung - nicht etwa in dem Sinne, dass alle ›normal werden‹ sollen, sondern dass der Begriff von Normalität ein erweitertes Spektrum von Menschen, ihren Verhaltensweisen, Einstellungen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten umfasst. Hier gilt es, normativ ausgrenzende Prozesse der Exotisierung wie unterdrückende Prozesse der Kolonialisierung zu überwinden. Dieses schließt insbesondere die Kritik an allen Konzepten von Normalität ein, die alle Menschen an einem Maßstab messen, damit eine ›Normalität‹ und gleichzeitig damit eine Hierarchie von Wertigkeiten schaffen und Ausgrenzung und Abwertung produzieren.
Den Aussagen Beteiligter in den Studien können Hinweise entnommen werden, in welchem Maße deren jeweilige berufliche Situationen integrative Momente enthalten in dem Sinne, dass auf der Basis prinzipieller Gleichheit individuelle Unterschiede wahrgenommen und akzeptiert werden (vgl. hierzu auch HINZ & LÜTTENSEE 1997).
Damit Situationen und Verläufe differenziert erfasst werden können, kommt methodisch nur das Interview in Frage (vgl. FLICK 1995, 94ff.). Nur bei ihm gibt es die Möglichkeit, in ein Gespräch einzusteigen, so dass sich bei den BefragerInnen ein Bild von der Situation ergibt. Wichtig ist darüber hinaus, dass den Befragten »das Wort gegeben wird« (BOURDIEU 1997), d.h. nicht die Fragen der BefragerInnen sind vorrangig wichtig, sondern die Sicht, die Akzente und die subjektive Wahrheit der Befragten sollen im größtmöglichen Maße zur Geltung kommen können. Das bedeutet u.a., dass die BefragerInnen das Machtgefälle in der Interviewsituation, bei der sie die Regeln bestimmen, reflektieren müssen (vgl. BOURDIEU 1997, 781). Die Interviews orientieren sich also an dem Gütekriterium von BOURDIEU, das darin besteht, »eine Beziehung des aktiven und methodischen Zuhörens zu schaffen, das vom reinen Laisser-faire des nicht-direktiven Interviews genauso weit entfernt ist wie vom Dirigismus eines Fragebogens« (1997, 782). Da es außerordentlich schwierig werden würde, einem weiteren anzustrebenden Arrangement BOURDIEUs nachzukommen, nämlich die Befragten von gesellschaftlich möglich nahestehenden Personen interviewen zu lassen - also etwa Schwarze in Harlem durch Schwarze in Harlem (vgl. 1997, 784) oder in diesem Feld z.B. Menschen mit geistiger Behinderung durch Menschen mit geistiger Behinderung - , ist die Fähigkeit des Interviewers um so zentraler, seinem Gegenüber »das Gefühl (zu) geben, mit gutem Recht das zu sein, was er ist, wenn er ihm durch seinen Tonfall und vor allem durch den Inhalt seiner Fragen vermittelt, daß er sich gedanklich in ihm hineinversetzen kann« (1997, 786, Hervorhebung i. O.), auch wenn dadurch die bestehende gesellschaftliche Distanz und die damit verbundene Asymmetrie der Situation nicht verleugnet werden soll.
Die folgenden Interviews versuchen, - mit BOURDIEU gesprochen - Menschen eine Stimme zu geben, die in der Öffentlichkeit bisher nicht gehört werden und auch in der Fachdiskussion, trotz aller Beschwörungen der Selbstbestimmung, nur eingeschränkt zu Wort kommen - Menschen mit Behinderung.
Obwohl es wünschenswert und nach BOURDIEU (1997, 797-802) notwendig wäre, können aus Raumgründen nicht die vollständigen Interviews wiedergegeben werden. Vielmehr werden ihre zentralen Aussagen zusammengefasst, weitestmöglich mit wörtlichen Zitaten. Grundlagen hierfür sind zum einen die vollständig transkribierten Interviews und zum anderen ein Katalog von neun Leitfragen:
-
Welche Sätze charakterisieren die Situation und eignen sich für den Titel?
-
Welches sind Stärken und Schwächen der Person?
-
Was sind wichtige Entwicklungen (Erfolge, Probleme)?
-
Was macht die Person (und ihr Umfeld) zufrieden und was macht sie unzufrieden?
-
Welche Rolle spielt für die Person die Arbeitsassistenz bzw. die Gruppenleitung?
-
Was wäre, wenn es die Arbeitsassistenz nicht gäbe? (nur Assistenz-Gruppe)
-
Welche Rolle spielt die Person in dem Betrieb (oder Betrieben)?
-
Welche Zukunftsperspektiven hat die Person?
-
Was sind spezifische Aspekte bei dieser Person und Situation?
Dieses geschieht aufgrund des Studiums der Interviews als kommunikativer Prozess im Rahmen eines Forschungsseminars, in dem die jeweils vorhandenen bis zu vier Perspektiven mit dem Blick auf eine Situation - die der Person selbst, die eines Elternteils, die einer Assistentin und die eines Vorgesetzten - von unterschiedlichen Personen studiert und gemeinsam diskutiert werden; so treten Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den verschiedenen Perspektiven deutlicher hervor.
Eine weitere wichtige methodische Voraussetzung ist, dass die Menschen mit den vier verschiedenen Perspektiven zum großen Teil mit den gleichen Impulsen konfrontiert werden - wenngleich sie in den Interviews primär zunächst von je ihnen wichtigen Fragestellungen und Erfahrungen berichten können sollen. Der Interviewleitfaden (vgl. Anhang 11.3) umfasst insofern für alle Befragten einen großen Teil gleicher Stichwörter, zu einzelnen Perspektiven kommen spezifische Aspekte hinzu.
Die Interviews werden im Zeitraum von Oktober 2000 bis Februar 2001 von der gleichen Person geführt, jeweils mit Einverständnis der Befragten auf Kassette aufgezeichnet, voll-ständig transskribiert, in der Forschungsgruppe diskutiert und schließlich in einer Kurzfassung dokumentiert. Ein in der Gruppe als zentral empfundenes Originalzitat bildet den Titel der Einzelstudien (vgl. BOURDIEU 1997, 800). Sie werden in der folgenden Darstellung durch einen kurzen Text mit äußeren Daten eingeleitet, am Schluss zusammengefasst und mit Hilfe der beiden Bezugstheorien analysiert. Den Schluss des Kapitels bildet eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse aller zehn Studien.
Um die Bedeutung der beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum retrospektiv betrachten zu können, werden nur Personen ausgewählt, die sie bereits hinter sich haben und mit folgender Praxis vergleichen können. Darüber hinaus sind Auswahlkriterien in der Assistenz-Gruppe die Anschluss- und Zugangswege der TeilnehmerInnen: Es sollen erfolgreich erscheinende Beispiele (im Sinne eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses), weniger erfolgreich erscheinende Beispiele (im Sinne von Arbeitslosigkeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Abbruch und Übergang in die Werkstatt für Behinderte) sowie ein Beispiel eines Schwebezustandes (Beendigung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses und Einstieg in das Integrationspraktikum) enthalten sein. Darüber hinaus sollen verschiedene Einstiegswege repräsentiert sein (aus der Werkstatt für Behinderte, aus Sonderschulen und aus Integrationsklassen). Dementsprechend werden die in Frage kommenden Personen gruppiert. Ergänzend werden andere Merkmalen hinzugezogen: unterschiedliche soziale Hintergründe und Geschlechtszugehörigkeit, verschiedene Grade von Zufriedenheit mit dem Arbeitstraining und - bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen - mit der Beschäftigungssituation sowie unterschiedliche Tätigkeitsbereiche. Nach diesen Kriterien werden sechs Personen mit unterschiedlichen Merkmalen ausgewählt (vgl. Tab. 4.2).
Tab. 4.2: KandidatInnen der Assistenz-Gruppe für die Intensivbefragung
Vorwege |
Geschlecht |
Sozialer Status |
Zufriedenheit AT/IP |
Bereich Beschäftigung |
Zufriedenheit Beschäftigung |
Arbeitslosigkeit |
männlich |
mittel |
hoch |
- |
- |
Übergang in WfB |
männlich |
niedrig |
sehr hoch |
Handwerk |
mittel |
Abbruch d. Arbeitsverhältnisses |
männlich |
hoch |
hoch |
Handwerk |
mittel |
aus Int.-Klasse |
weiblich |
niedrig |
hoch |
Gastronomie |
hoch |
Aus WfB |
männlich |
mittel |
hoch |
Dienstleistung |
sehr hoch |
Aus Sonderschule |
weiblich |
mittel |
hoch |
Dienstleistung |
sehr hoch |
Mit dieser Auswahl sind die wesentlichen Verläufe vertreten. In der Durchführung zeigt sich allerdings, dass die vorgesehene Person, die zur Zeit arbeitslos ist, mehrfach zu verabredeten Terminen nicht erscheint, bevor sie schließlich mitteilt, dass sie sich nicht interviewen lassen möchte; insofern muss dieses Beispiel außerhalb der Betrachtung bleiben.
Bei der Werkstatt-Gruppe gibt es keine explizit qualitativen Kriterien im Sinne spezifischer Zugangs- oder Anschlusswege. Insofern ist das entscheidende Kriterium die Zufriedenheit mit der Situation in Arbeitstraining und Beschäftigung.
Voraussetzungen für die Aufnahme in die Subgruppe für die zufriedenen Befragten sind mindestens zwei der folgenden vier Aussagen, wenngleich die vierte Aussage auch Ausdruck einer fatalistischen und nicht unbedingt einer zufriedenen Grundhaltung sein könnte:
-
eine sehr hohe Zufriedenheit mit Arbeitstraining und Beschäftigung,
-
der Wunsch, dass explizit nichts bei der aktuellen Beschäftigung verändert werden soll,
-
der Wunsch, dass die Person im Hinblick auf spätere Beschäftigungsperspektiven bleiben will, wo sie ist und/oder
-
die Aussage, dass die Person keinerlei Zukunftswünsche hat.
Unzufriedene qualifizieren sich für die Aufnahme in die Subgruppe entsprechend durch zumindest zwei von vier Aussagen:
-
eine sehr niedrige Zufriedenheit mit Arbeitstraining und Beschäftigung,
-
der Wunsch, die aktuelle Beschäftigung so zu verändern, dass die Person außerhalb der Werkstatt für Behinderte arbeitet,
-
der Wunsch, dass die Person im Hinblick auf spätere Beschäftigungsbereiche außerhalb der Werkstatt für Behinderte arbeiten will und/oder
-
die Aussage, dass die Person als Wunsch für die Zukunft eine Arbeit außerhalb der Werkstatt für Behinderte formuliert.
Aus diesen beiden Gruppierungen, den extrem Zufriedenen und den extrem Unzufriedenen, werden je zwei Personen ausgewählt, die ein möglichst weites Spektrum bei den ergänzenden Merkmalen (besuchte Schulform, Geschlecht, sozialer Status) abbilden sollen. Zu diesen vier Personen kommen zwei mit mittlerer Zufriedenheit hinzu, davon eine Person, die eine Zeit lang von der Arbeitsassistenz unterstützt wird und danach in die Werkstatt für Behinderte zurückkehrt (vgl. Tab. 4.3).
Tab. 4.3: KandidatInnen aus der Werkstatt-Gruppe für die Intensivbefragung
aus der Schule für |
Geschlecht |
Sozialer Status |
Zufriedenheit Arbeitstraining |
Zufriedenheit Beschäftigung |
Geistigbehinderte |
weiblich |
niedrig |
hoch |
sehr hoch |
Geistigbehinderte |
weiblich |
niedrig |
sehr hoch |
hoch |
Körperbehinderte |
männlich |
mittel |
niedrig |
niedrig |
Geistigbehinderte |
männlich |
niedrig |
niedrig |
mittel |
Körperbehinderte |
weiblich |
hoch |
mittel |
mittel |
Lernbehinderte |
männlich |
niedrig |
mittel |
mittel |
In der Durchführung der Untersuchung stellt sich heraus, dass die letztgenannte Person ebenfalls nicht interviewt werden möchte; insofern muss auch hier ein Beispiel außerhalb der Betrachtung bleiben.
Damit ergibt sich eine Stichprobe von insgesamt zehn Personen, die mündlich befragt werden, sowie eine davon abhängig große Gruppe von Personen, die in die Situation der zehn Befragten involviert sind (vgl. Tab. 4.4).
Tab. 4.4: In terviews im Rahmen der zweiten Befragung
Person |
Eltern |
Assistent |
Vorgesetzter |
|
1 |
X |
X |
X |
X |
2 |
X |
X |
X |
X |
3 |
X |
X |
X |
X |
4 |
X |
X |
X |
X |
5 |
X |
X |
X |
Gruppenleiter |
6 |
X |
X |
Gruppenleiter |
Gruppenleiter |
7 |
X |
Gruppenleiter |
Gruppenleiter |
|
8 |
X |
Gruppenleiter |
Gruppenleiter |
|
9 |
X |
Gruppenleiter |
Gruppenleiter |
|
10 |
X |
Ehemann |
Gruppenleiter |
Gruppenleiter |
Im Folgenden werden die Studien einzeln vorgestellt, jeweils eingeleitet von einem kurzen Text, der den Weg der betreffenden Person und weitere Informationen umfasst. Die Darstellung der Einzelstudien orientiert sich an den Leitfragen (vgl. Kap. 4.2), anhand derer die unterschiedlichen Perspektiven diskutiert worden sind. Bei dem folgenden Text werden die wörtlichen Zitate kursiv wiedergegeben, darüber hinaus gibt es in Klammern gesetzte
-
kursive Wörter, die grammatikalische Ergänzungen sind,
-
Wörter in Normalschrift, die Situationsattribute wie (seufzend) oder erklärende Kommentare enthalten sowie
-
kursive Namen, die die konkreten Namen der Person anonymisieren.
Für jede einzelne Studie werden die wesentlichen Aspekte zusammengefasst und unter den beiden theoretischen Blickwinkeln betrachtet.
Frau A, 20 Jahre alt, befindet sich seit kurzem in einem tarifentlohnten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis und arbeitet mit ca. 30 Wochenstunden in einem Gästehaus. Dort ist sie im Küchenbereich tätig, betreut einen als Cafeteria bezeichneten Aufenthaltsraum und pflegt die Grünpflanzen im ganzen Haus. Aus einer Familie stammend, in der die Eltern FacharbeiterInnen sind, besucht Frau A Integrationsklassen in der Grund- und Gesamtschule und verbringt danach zwei Jahre in einem integrativen Berufsvorbereitungsjahr (BVJ-i). Von dort wechselt sie in das Ambulante Arbeitstraining, das sie 18 Monate in vier verschiedenen Betrieben, jeweils im Küchenbereich, absolviert. Frau A's eigentlicher Berufswunsch ist laut Aussagen ihrer Mutter »immer Kindergarten. Sie wollte immer mit Kindern irgendwie was zu tun haben. Und da waren wir beide eigentlich sehr fixiert drauf. Aber mit (dem Gästehaus) ... hat sie alles bekommen was sie wollte.«
Mit Ausnahme des Berufsschulunterrichts äußert sich Frau A in der ersten Befragung hoch zufrieden über ihren bisherigen Weg und ihre gegenwärtige Situation: die integrative schulische Laufbahn, den Berufsberater, das Arbeitstraining und ihre Beschäftigung. An ihrer Situation möchte Frau A nichts verändern, es ist »alles in Ordnung«, »ich will da bleiben.«
Im Rahmen der zweiten Befragung findet das Interview mit Frau A zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in der kürzlich neu bezogenen eigenen Wohnung bei Kaffee und Kuchen statt, separat werden ihre Vorgesetzte, ausgebildete Hauswirtschaftsmeisterin, im Betrieb und ihre Assistentin, ausgebildete Krankenschwester und Arbeitserzieherin, in den Räumen der Arbeitsassistenz befragt.
Über ihre Stärken und Schwächen äußert sich Frau A nicht explizit, ihre differenzierte Wahrnehmung von Situationen und das selbständige Wohnen lässt den Rückschluss zu, dass sie zu realistischen Einschätzungen fähig ist und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten besitzt. Dies wird auch in ihrer Reflexion über Unterschiede der Situation von ihr und den Zivildienstleistenden im Betrieb deutlich, wenn sie u.a. sagt: »Ich sehe: Das ist mein Arbeitsplatz, und die bleiben nur 'ne kurze Zeit. Nett sind die aber.« Dieses Reflexionsvermögen wird auch von ihrer Mutter angesprochen in dem Zusammenhang, dass Frau A bei früheren Praktikumsstellen zu Hause genau beschreibt, was ihr etwa am Verhalten eines Küchenchefs nicht passt oder wie sie die problematische Kommunikationsstruktur in einem Kindergarten wahrnimmt: »Es wurde da immer über Personen gesprochen, die gerade nicht anwesend waren, und sie stand da immer irgendwie zwischen.« Ansonsten schildert die Mutter ihre Tochter im vertrauten Rahmen als redefreudig, bei Fremden dagegen »richtig ruhig und still.« Den Äußerungen der Mutter zufolge ist Frau A in der Großstadt mobil: »Sie düst quer durch Hamburg, das kann sie richtig gut.«
Auch die Chefin und die Assistentin sehen viele Stärken: Frau A wird als »sehr lern- und leistungsbereit erlebt« (Assistentin), »sie entwickelt Ehrgeiz in ihrer Arbeit« (Chefin), arbeitet nach Anweisungen sehr systematisch und konsequent: »Sie ist die einzige, bei der sich das Einräumen von Tellern so anhört, als wenn jemand rhythmisch Schreibmaschine schreiben kann« (Chefin), was insofern erstaunlich erscheint, als sie zudem als Linkshänderin Abläufe bewältigt, die »für einen Rechthänder eigentlich konzipiert« sind. Die Assistentin beschreibt Frau A's Haltung, die sie als »großes Plus« empfindet: »Ich will das! Ich finde das klasse! Ich will auch was lernen! ... Da sticht sie total raus, fast unheimlich.« Ihre Chefin bemerkt darüber hinaus bereits während eines ersten Praktikums direkt nach der Schulzeit, als Frau A ihr »sehr schüchtern, scheu und unerfahren« erscheint: »Sie hat aber eine ganz tolle Stärke da schon gehabt, das war ihr soziales Engagement, dass sie nämlich das Nicht-Können von der S. (eine ebenfalls unterstützte Kollegin, d. Verf.) durch so viel Mehrarbeit kompensiert hat, dass wir nicht gemerkt haben, wie schlecht es S. geht.« Zudem beschreiben mehrere Gesprächspartnerinnen eine große »verbale Stärke« (Assistentin): Der Chefin hat Frau A »neulich sehr schön von ihrer Schulzeit erzählt, was das so für sie bedeutete, eine Gesamtschule zu besuchen und eine Integrationsklasse zu haben. Sie kann ja auch sehr gut mit der Sprache umgehen, das ist natürlich beeindruckend, dass sie frei erzählen kann, Situationen beschreiben kann.«
In früheren Praktikumsstellen gerät Frau A, wie sie berichtet, bei Stress- und Konfliktsituationen unter Druck, reagiert psychosomatisch und zieht sich zurück: »Also der Küchenchef, der war widerlich. ... Ich hab morgens Magenschmerzen gehabt, Kopfschmerzen gehabt. Also wenn ich schon wusste, ich muss da hin, und dann hat der nur rumgeschimpft da.« Mit ihrer jetzigen Chefin ist Frau A in gutem Kontakt, aber »mit dem konnte man überhaupt nicht sprechen. ... Und ich dann mit Magenschmerzen wieder nach Hause und meiner Mutter erzählt.« Die Mutter stellt dies ebenfalls fest: »Sie brachte es einfach nicht fertig zu sagen, also das und das ist nicht richtig.« Auch die Assistentin sieht die regressive Reaktion bei Konflikten als Problem: Zunächst meldet Frau A entsprechend einem eigenen »Erfolgsdruck« zurück, es sei »prima, alles wunderbar: ›Ich bin toll.‹ Kommt mit allem klar. Und dann war das im Kindergarten so: Zack - sprang das um, von einem Tag auf den anderen sagte sie, sie will das hier nicht weitermachen, sie hält das nicht aus.« Der Assistentin erscheint Frau A's Wahrnehmung in einem Dualismus gefangen: »Nett und nicht nett, und wenig Differenzierungsmöglichkeiten so zwischendrin oder so differenziertere Wahrnehmung.« Die Assistentin vermutet, »dass sie sehr abhängig von Urteilen von außen ist.« Ihrer Wahrnehmung nach braucht Frau A viel Bestätigung und Anerkennung, so dass »sie in sich dann doch wenig Sicherheit hat, was sie kann. ... Und wenn eine sagt, du bist zu langsam, dann ist sie verzweifelt.«
Die Assistentin benennt als zweites Problem das Phänomen, dass bei Frau A die äußere Wirkung teilweise nicht der inneren Haltung entspricht: Die Assistentin erlebt sie zunächst als »reserviert, aber sehr zugänglich trotz allem.« Frau A ist darauf angewiesen, dass Menschen »sie locken und Fragen stellen. Sie ist nicht so eine, die drauflosplappert.« Bedingt mag dies auch sein durch das eher »amimische« Verhalten, also eine wenig ausdrucksvolle Mimik, und verstärkt noch durch ein sehr langsames Arbeitstempo, was ihr in früheren Praktikumsstellen »ausgelegt worden (ist) als: ›Die ist ja unlustig, die will ja gar nicht.‹ Und wir (die AssistentInnen; d. Verf.) dachten: ›Das ist doch genau das Gegenteil: Die will doch total! Sehen die das denn gar nicht?‹«
Ein drittes Problem bildet das anfänglich »fehlende räumliche Empfinden«, wie die Chefin dies formuliert, bzw. das »Figur-Grund-Problem«, das die Assistentin vor allem im Hinblick auf das Abwischen von Tischen als bedeutsam ansieht: »Sie hat keine Vorstellung von der Fläche und kann nicht sagen: ›Das ist rund, das macht den Kreis oder diese runde Fläche aus, und da gehe ich jetzt so heran und strukturiere mir das.‹« Die Assistentin sieht dies als große Herausforderung: »Da haben wir uns manchmal die Zähne ausgebissen, so einen Raum wischen oder einen Tisch abwischen. Sechs Wochen haben wir qualifiziert, und dann konnte sie einen trapezförmigen Tisch abwischen. Einen runden Tisch - da mussten wir dann wieder neu anfangen. Das war wirklich ganz harte Arbeit. Und das wird eine Grenze bleiben, denke ich.« Die Chefin bestätigt und widerspricht zugleich: »Die waren manchmal ganz kaputt, die Arbeitsassistentinnen, weil sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie irgendwann in der Lage sein wird, diesen Raum so folgerichtig zu reinigen - und das kann sie jetzt.«
Deutliche Entwicklungen zu mehr Selbstsicherheit und Offenheit bestätigt Frau A: »Ja, das hat das gebracht.« Auch ihre um einige Jahre jüngere Schwester sieht deutliche Entwicklungen: »Ja, also sie hat sich total geändert, vom Typ her auch, höflicher. ... Also das ist schon, was sie alles da gelernt hat, weil früher, da hab ich denn gesagt: ›Lass mich das mal machen.‹ Und ich hab sie da immer unterschätzt. Und jetzt sagt sie: ›Ich kann das selber!‹« Die Mutter sieht, dass ihre Tochter »fröhlicher, selbstbewusster und ordentlicher« geworden ist: »Dieses Training, was sie da gehabt hat, das hat sie in Einigem weitergebracht. ... Das sehe ich auch hier jetzt an ihrer Wohnung, also sie macht das alleine und das hätte sie zu Hause nicht so gebracht.«
Die Assistentin sieht zunächst eine massive Veränderung der eigenen Wahrnehmung: »Als Vorinformation hörte ich, sie sei schwach.« Zumal nach einem Fachgutachten des Arbeitsamtes denkt sie: »O je, was erwartet mich da für eine Frau?« Dort heißt es unter anderem, Frau A sei »deutlich unter dem Durchschnitt der Population einer WfB.« Im Gespräch über die Situation beim psychologischen Dienst des Arbeitsamtes erkennt die Assistentin nach den Schilderungen von Mutter und Tochter: »Das muss ja zu so einem Ergebnis führen, das ist ja grässlich. Sie war von vornherein verschreckt.« Trotzdem ist Frau A vom Berufsberater zum Ambulanten Arbeitstraining der Arbeitsassistenz zugewiesen worden, worüber Frau A's Mutter sehr froh ist. Der Berater »ist wirklich ein Mann, der sich auch einsetzt, muss ich sagen. Also der hat uns auch Tipps gegeben, wie wir das angehen können, damit das alles klappt. Also der ist wirklich am richtigen Punkt da im Arbeitsamt.« Um so mehr hat die Assistentin im Rückblick das Bedürfnis, einen Film zu drehen und dem Gutachter zu zeigen, wie Frau A beispielsweise »diese riesengroße Spülmaschine« bedient, »die ist schon kompliziert. Und die muss man auf- und abbauen jeweils vor und nach dem Spülen - und das kann sie!« Gleichwohl räumt die Assistentin ein: »Ja, das ist wirklich manchmal so, dass du als Assistentin vor einem Ding stehst und denkst: ›O Gott, ich weiß auch nicht, ob wir das schaffen, versuchen wir es - versuchen wir unser Glück.‹« Sie resümiert: »Du kannst ja lange irgendwie sagen: ›kognitiv schwach‹ oder was weiß ich, aber was das im einzelnen bedeutet - das sagt eigentlich nix.« Ansonsten ist Frau A den Aussagen der Assistentin zufolge in die betriebliche Situation hineingewachsen, auch hat sie eine andere soziale Rolle erlangt in Relation zu den KollegInnen, und sie ist mittlerweile »eine absolut wertvolle Mitarbeiterin.«
Die Chefin stellt fest: »Es ist wirklich schön, jetzt ist sie vier Monate an Bord und ich denke, dass sie zunehmend lernt und wächst.« Aber auch die Akzeptanz von Frau A im Betrieb hat »sich also sehr gut entwickelt.« Sie profitiert wie jeder Mensch auch davon, »für Menschen tätig zu sein, der (Dienstleistungsbereich) gibt ja eine ganz starke Selbstbestätigung so in der sozialen Entwicklung. Und das ist bei ihr so auffällig, dass sie da wirklich jeden Tag ein Stückchen wächst.« Die Chefin ist »überrascht: Das hat eigentlich die Erwartungen übertroffen, was in ihr steckt.« Frau A ist inzwischen nicht mehr nur eine Kollegin, die Anweisungen entgegennimmt, sondern sie gibt auch welche: »Ich habe sie heute morgen gebeten, bei dem neuen Zivildienstleistenden doch darauf zu achten, dass er ordentlich aufräumt.«
Frau A's Zufriedenheit resultiert ihren eigenen Aussagen zufolge vor allem daraus, dass sie diesen Arbeitsplatz hat. Weder fehlt ihr etwas, noch macht sie sich wegen irgend etwas Sorgen, noch wünscht sie sich etwas Spezifisches für die Zukunft. Ihr Leben findet sie insgesamt »so jetzt in Ordnung, mit dem Arbeitsplatz.« Frau A ist so zufrieden, dass ihre Assistentin eine andere Frau im Ambulanten Arbeitstraining bei ihr hospitieren lässt, »weil ich dachte, also diesen Drive, den sie so hat, so nach dem Motto: Ich will hier irgendwie was machen und ich finde das auch ganz klasse so.« Nach einer eigentlich unlösbaren Aufgabe - es geht um das Eindecken von 60 Plätzen, wobei Frau A nicht bis 60 zählen kann - , die sie mit Assistenz bewältigt, sagt Frau A: »›Das macht voll Bock!‹ - so richtig aus dem Bauch heraus.«
Maßgeblich für die hohe Zufriedenheit ist sicherlich auch die Chefin, mit der Frau A, wie sie betont, im Unterschied zu früheren Chefs »sprechen« kann. Auch die Mutter hält die Rolle der Chefin für wichtig: »Das ist ja auch eine ganz liebe.« Bestätigt wird dies durch die Assistentin, für die die Chefin »das einfach super kompetent« macht. Eine Schlüsselstellung hat dabei nach den Beobachtungen der Assistentin das morgendliche »Arbeitsfrühstück, das wird auch bezahlt. Also das gilt als Arbeitszeit, nicht als Pause. Und dann macht sie da so Ansagen. ... So habe ich noch nie eine Chefin oder Chef agieren sehen mit seinem Team.« Die Chefin ihrerseits ist mit Frau A sehr zufrieden, »in jedem Fall über 90 % und ausbaufähig.« Wie stark die Überzeugung ist, auf einem erfolgreichen Weg zu sein, wird auch darin deutlich, dass die Chefin überlegt, die Zivildienststellen nach und nach in unterstützte Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln: »Es ist auf Dauer sinnvoller, es so zu besetzen als durch diese ständig wechselnden und Unruhe stiftenden anderen jungen Mitarbeiter, die immer in einer großen Mehrzahl auftreten und auch ein anderes Abhängigkeitsverhältnis vom Staat haben und so selbstgewählt nicht an die Arbeit herangehen.«
Zur Rolle der Arbeitsassistenz merkt Frau A an, sie habe »mitgeholfen und gesagt, wie ich was machen muss. ... Das hat mich weitergebracht. Also es hat mich wirklich weitergebracht.« Für die Mutter ist die Arbeitsassistentin vor allem wichtig als Ansprechpartnerin, »also die hatte wirklich Zeit und hat sich mit mir auch unterhalten. ... Das läuft schon sehr gut, muss ich sagen. Nun mag ich sie auch gerne, das ist eine ganz niedliche, und ich denke auch, das könnte gar nicht besser laufen.«
Die Assistentin selbst sieht einen Schwerpunkt ihrer Rolle darin, zunächst Situationen zu analysieren: »Wo ist das Problem eigentlich, was macht es ihr jetzt schwer?« Nachfolgend ist es die Aufgabe der Assistentin, konkrete Abläufe und Tätigkeiten zu systematisieren, kleinschrittig zu üben und Transferleistungen zu ermöglichen. Dies gilt für das Abwischen der Tische oder bei der Bedienung der Spülmaschine, aber auch sonst: »Wenn du ein Teil in der Hand hast, und gehst dann damit rüber, und da stehen noch sieben Teile, die auch mit rüber müssen, und wenn du die andere Hand dann frei hast, dann musst du sagen: ›Hier ist etwas falsch.‹ So habe ich versucht, ihr das beizubringen: ›Das muss dir ein Signal sein, da fehlt noch etwas und da muss jetzt auch etwas rein, dann kann ich losgehen.‹« Dass Transfers möglich sind, stellt die Assistentin z.B. fest, als Frau A genau dieses wörtlich so an ihre hospitierende Kollegin weitergibt. Der zweite Schwerpunkt der Arbeit mit Frau A ist »die Geschichte mit der sogenannten sozialen Wahrnehmungsfähigkeit.« Hier geht es darum, gemeinsam Alternativen zum bestehenden Dualismus (nett - nicht nett) zu entwickeln.
Für die Chefin sind die Arbeitsassistentinnen vor allem wichtig, »weil sie detaillierter auf den Menschen eingehen können. Also die Einarbeitung in dem Umfang, wie sie wichtig ist bei jemandem, der kein räumliches Empfinden hat, das zu trainieren, das habe ich auch gelernt in der Zusammenarbeit, welche Schritte notwendig sind, um das jemandem deutlich zu machen. Das halte ich schon für immens wichtig, dieses Trainieren, das Bestätigen.« Im Fall von Frau A schafft dies »eine Präzision in den Arbeitsabläufen, wie sie wünschenswert sind, wie sie aber kein herkömmlicher Mitarbeiter eigentlich abgeben will.«
Ohne die Arbeitsassistenz, sagt Frau A sehr klar, wäre sie in der Werkstatt für Behinderte: »Es gab ja nichts anderes und da hatte man immer gesagt: ›Ja, in die Werkstätte.‹ ... Ich weiss das gar nicht mehr, wer das gesagt hat, aber auf jeden Fall ...« Dazu meint die Mutter: »Ich habe dann immer gesagt: ›Also Werkstätte nicht.‹ Dann hätte ich sie zu Hause behalten. Weil sie schon als kleines Kind - sie ist sich ja ziemlich spät bewusst geworden, dass sie anders ist als andere Kinder - und da hat sie dann immer gesagt: ›Also wenn ich mal groß bin, da will ich nicht hin.‹ Das hat sie schon immer gesagt. Und da habe ich zu ihr gesagt: ›Musst du auch nicht.‹«
Die Assistentin erinnert sich mit verblüfftem Gesichtsausdruck an eine Besuchssituation, in der Frau A die Frage, ob sie das auch ohne die Arbeitsassistenz geschafft hätte, bejaht. »Da habe ich gedacht: Ah ja, gut, okay.« Angesichts des psychologischen Fachgutachtens vom Arbeitsamt wäre Frau A jedoch nach Meinung der Assistentin bestenfalls in die Werkstatt für Behinderte aufgenommen worden, da sie wie schon erwähnt in dessen Wahrnehmung »so deutlich unter dem Durchschnitt der Population der WfB« gelegen hätte.
Zur konkreten Konsequenz für Frau A äußert sich deren Chefin nicht, jedoch steht auch ihr die Werkstatt für Behinderte vor Augen, da eine frühere Mitarbeiterin aufgrund einer Erkrankung dorthin freiwillig zurückgewechselt ist, obwohl »sie es draußen sehr schön fand. Draußen - so ein Begriff. ... Also draußen ist wirklich jenseits alles Trennenden. Ich denke, dass da einfach zu große Zäune gezogen sind über Jahrzehnte. Und: Das ist eure Welt, das ist unsere Welt - und das ist nicht in Ordnung.«
Zur eigenen Rolle im Betrieb lässt sich aus Frau A's Aussagen schließen, dass sie sich in früheren Praktikumsbetrieben vorgekommen ist wie ein Störfaktor, der nicht schnell genug ist, oder teilweise wie ein Sündenbock, bei dem allgemeiner Frust abgeladen wird. Im jetzigen Betrieb wird sie dagegen akzeptiert und respektiert: »Das klappt alles, wie das jetzt läuft.« Weder mit KollegInnen noch mit Gästen sind kränkende Situationen vorgekommen: »Nee, habe ich noch nicht erlebt.« Ihre Mutter zieht die Parallele: »Wie eine Familie ist das da.«
Im Kolleginnenkreis hat die Assistentin Frau A »als zwar still, aber dann doch offen für Kontakt erlebt. So eine ganz ruhige Art irgendwie und so abwartend freundlich.« Weiter betont sie wiederum die steuernde Funktion der Chefin, die die Rollen klärt: »Sie sagt dann: ›Das ist eine Praktikantin und die ist von der Arbeitsassistenz, und was das ist, erkläre ich auch noch mal gerne; und dann wird sie hier sein für so und so lange und sie möchte auch einen Arbeitsvertrag‹. ... So 'n bisschen: ›Dass euch das klar ist und dass ihr da alle mit in die Verantwortung gerufen seid.‹ Das fand ich ganz gelungen immer, ja wirklich, das öffnet auch die Leute.« Diese eindeutige Klärung stärkt auch Frau A darin, sich gegenüber mütterlichen Ambitionen anderer Mitarbeiterinnen abzugrenzen: Wenn jemand »so mütterlich: ›Ach dutschi dutschi ..., unsere kleine Behinderte‹« eingestellt ist, das lässt sich Frau A »natürlich gar nicht gefallen.« Und so »ist sie anders angesprochen. Das macht die (Chefin) klasse. Und die hat dann auch gleich gesagt: ›Das ist Arbeitsassistenz und darum geht es. Die sind auch hier und arbeiten mit, aber nicht um mitzuarbeiten, sondern um (Frau A) einzuarbeiten oder zu qualifizieren und so weiter.‹ Also sie hat das gut erklärt und wir haben unseren Platz an dem Tisch.« Frau A nimmt nach Meinung der Assistentin einerseits die Rolle einer kompetenten »Mitarbeiterin, wie die anderen auch« ein, mit einem eigenen »Aufgabenbereich, von dem auch alle wissen, den sie hundert Prozent erledigt.« Andererseits ist sie »auf jeden Fall schon eine, auf die man aufmerksam wird. Sie ist schon eine besondere - klar, das schon.«
Die Chefin sieht nicht nur die Assistentinnen und sich als Anleiterinnen, sondern »in der Küche, denke ich, machen das alle Kollegen, auch auf einer sehr netten kollegialen Ebene.« Für neue KollegInnen ist »sie ja diejenige, die schon da ist. Und damit behauptet sie ihren Arbeitsplatz ganz stark.« Auch »Menschen, die bisher selten mit behinderten Menschen, geistig behinderten Menschen, zusammengearbeitet haben, ... merken sehr schnell, dass (Frau A) einfach mehr praktische Erfahrungen hat. (Sie) macht das auch deutlich. Doch, das macht sie außergewöhnlich gut.« Frau A »wird von allen sehr geschätzt, weil sie auch jemand ist, der sehr lieb ist, sie ist sehr gleichmäßig, nie launisch. Diesen Arbeitsbereich füllt sie als ganzer Mensch aus, sie ist immer sachlich und nett zu allen Kollegen. ... Alles solche Dinge, also solch eine Loyalität, die ist ja so viel ausgeprägter als bei vielen anderen Menschen. Das schätze ich auch sehr, das schafft auch eine Ruhe im Arbeitsbereich, wenn da (Frau A) steht wie ein Fels in der Brandung.«
Dezidierte Zukunftsperspektiven hat Frau A nicht: »Weiß ich nicht, lass ich auf mich zukommen.« Ihre Schwester hofft, »dass für sie alles so weiterläuft, wie es jetzt ist. Ja, und dass sie halt auch mehr Kontakt hat.« Auch Frau A will die neuen Freundschaften aus dem Berufsschulunterricht des Ambulanten Arbeitstrainings weiter pflegen. Die einzige Zukunftsangst der Mutter war, »dass sie wirklich in der Behindertenwerkstätte hätte landen müssen, was ich nicht gemacht hätte. Ja, die Zukunftsträume an sich, dass sie das weiterhin so meistert wie jetzt auch und dass sie vielleicht auch noch irgendwann noch mal mehr Kontakt zur Außenwelt kriegt. Da ist sie noch nicht so bereit zu. ... Und dass vielleicht irgendwann noch mal eine Partnerschaft oder so da ist, dass du (zu Frau A, die lacht; d. Verf.) nicht immer alleine bleiben musst. Das wäre noch mal so eine Krönung.«
Die Assistentin sieht als Problem heraufziehen, dass Frau A »keine rückenschonende Arbeitsweise« praktiziert; hier besteht Handlungsbedarf. Weiter betreibt sie die Flexibilisierung der Arbeitsprozesse für Frau A: Neben der Grünpflanzenpflege und der Spülküche soll sie verstärkt in die Bereiche der Wäscherei und der Zimmerpflege eingeführt werden, so dass sie vielseitiger und »flexibler einsetzbar ist.« Auch wenn es mal zu einem Wechsel der Leitung kommen sollte und mit dem Chef vieles »steht und fällt«, sieht die Assistentin deutlich mehr Chancen als Gefahren. Hierfür stehen auch vermehrte Assistenzstunden zur Verfügung.
Für die Chefin ist letztlich entscheidend: »Die Behinderung, wie auch immer sie geartet ist, tritt ja irgendwann zurück, die nimmt man ja gar nicht mehr wahr. Man hört die Stimme von demjenigen oder merkt eben sein angenehmes Auftreten, die Beständigkeit in der Arbeit, ja, die Ruhe und die Identifizierung mit dem Arbeitsplatz. Das sind alles so Dinge, die in den Vordergrund gehen.« Darüber hinaus setzt sich die Chefin dafür ein, dass sie keine Ausgleichsabgabe mehr abführen muss: »Wenn ich als kleine Einrichtung in meinem Betrieb drei Menschen mit Behinderung beschäftige, dann möchte ich nicht, dass ich zusätzlich an der Ausgleichsabgabenumlage beteiligt werde.«
Wichtige Aspekte bei Frau A
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Frau A lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Es wird eine sehr frühe, klare integrative Orientierung deutlich, die bereits in der Jugendzeit besteht und von der Familie und dem Umfeld getragen wird.
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Die Berufsberatung im Arbeitsamt wird von Frau A und ihrer Mutter als extrem gut und kundenorientiert beschrieben, obwohl ein anders orientierendes psychologisches Fachgutachten zumindest die Assistentin stark irritiert.
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Herausragend erscheint die hohe, für die Assistentin fast unheimliche Arbeitsmotivation von Frau A.
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Ein Widerspruch zwischen unterschiedlichen Sichtweisen besteht darin, dass die Assistentin Frau A als Folge wenig differenzierter sozialer Wahrnehmungsfähigkeit eine hohe Abhängigkeit von der Bestätigung bei anderen zuschreibt, während die Chefin gerade das differenzierte Einfühlungsvermögen von Frau A heraushebt.
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Hoch bedeutsam schließlich ist auch die deutlich steuernde Funktion der Chefin im Betrieb, die in ihrer sozial-integrativen Grundhaltung für ihren Betrieb die soziale Erfahrung von Unterschiedlichkeit bewusst als Bereicherung anstrebt. Die Veränderungen betrieblicher Abläufe und Aufgaben nach Maßgabe von Frau A's Interessen, Zeit- und Rückzugsbedarfen zeugen davon.
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Schließlich ist festzustellen, dass - anders als in der ersten Befragung - bei Frau A nicht nur eine hohe, sondern eine sehr hohe Zufriedenheit mit der momentanen Situation besteht, die auch von allen Beteiligten geteilt wird.
Ansätze zur Interpretation
Gemäß der Stigma-Theorie ließe sich Frau A als Diskreditierte beschreiben. Offenbar hat sich dies jedoch trotzdem nur in geringem Maße auf ihr Selbstbewusstsein ausgewirkt; welchen Stellenwert dabei der integrative Weg durch die Schule hat, muss offen bleiben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sie in der ersten Befragung lediglich den Berufsschulunterricht während des Ambulanten Arbeitstrainings, also diejenige schulische Situation als schlecht angibt, bei der sie ausschließlich mit anderen Menschen mit Behinderung unterrichtet wird. Da das Stigma von Frau A in diesem Umfeld, im Unterschied zu früheren Praktikums-betrieben, keine negativen Auswirkungen nach sich zieht, können sich die Assistentinnen ganz auf die Unterstützung von Lernprozessen im Tätigkeitsfeld von Frau A konzentrieren, denn Entstigmatisierungsprozesse sind nicht notwendig.
Der Theorie integrativer Prozesse zufolge ließe sich Frau A als Person mit hoher Selbstakzeptanz beschreiben, die weiß, was sie will und was sie nicht will. Die Dialektik zwischen Gleichheit und Differenz kommt hier voll zum Tragen, wenn sie einerseits anerkannte Kollegin ist, zugleich aber mit besonderem Augenmerk gesehen wird. Es wird eine Situation echter Begegnung deutlich. Integrative Prozesse auf der institutionellen Ebene, dass also ›zwei Seiten‹ sich aufeinander beziehen und aufeinander zu bewegen und so ein neues Ganzes werden, sorgt für die hohe Zufriedenheit aller Beteiligten. Hier können durch die Balance von Verschiedenheit und Gleichheit Einigungsprozesse auf allen Ebenen als gelungen als gelingend wahrgenommen werden. Aufgrund der stabilen, willensstarken Haltung von Frau A, der deutlichen Integrationsorientierung der Chefin und dem offenen und veränderungsbereiten Arbeitsumfeld kommt den Arbeitsassistentinnen in diesem Betrieb also vorrangig eine auf Fertigkeiten hin qualifizierende Aufgabe zu.
Herr B, 18 Jahre alt, arbeitet seit drei Monaten auf der Grundlage eines befristeten Probevertrages mit ca. 30 Wochenstunden auf einer Esso-Tankstelle. Dort ist er dafür zuständig, Regale und Kühlgeräte im Ladenbereich zu bestücken und den Hof und den Sanitärbereich in Ordnung zu halten. Die über lange Zeit alleinerziehende Mutter von Herrn B arbeitete als Erzieherin in Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen. Sie erkämpft eine Integrationsklasse in Schleswig-Holstein für die Grundschulzeit, die jedoch nicht im Sekundarbereich fortgesetzt wird. Vom Ministerium wird ihr Sohn amtlich für geistig behindert erklärt und soll in die entsprechende Sonderschule eingewiesen werden. Nachdem die Mutter sich massiv, aber vergeblich dagegen wehrt, geht er ab dem fünften Schuljahr in eine Hamburger Förderschule. Von dort wechselt er - eigentlich wieder gegen den Willen seiner Mutter, die im Rückblick immer für alles hat kämpfen müssen und sich von Professionellen allein gelassen fühlt - in ein Berufsbildungswerk und schließlich in den Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte. Für die vier letzten Monate geht er, nachdem die Arbeitsassistenz in der Werkstatt für Behinderte über ihre Möglichkeiten informiert hat, in deren Ambulantes Arbeitstraining über, in dem er zunächst im Hol- und Bringedienst eines Krankenhauses und später auf der Esso-Tankstelle arbeitet. Diese Tätigkeit setzt er acht Monate in der Form des Integrationspraktikums fort, das in einen sechsmonatigen Probevertrag mündet. Herrn B's eigentlicher Berufswunsch ist, Kfz-Mechaniker zu werden, zumal er während der Schulzeit ein Betriebspraktikum in einer Kfz-Werkstatt gemacht hat.
In der ersten Befragung äußert sich Herr B über seine Schulzeit eher negativ, seine Zeit in der Werkstatt für Behinderte lässt er unkommentiert und die Berufsschule bekommt ein mittelmäßiges Prädikat. Das Ambulante Arbeitstraining und das Integrationspraktikum schätzt Herr B positiv, seine Beschäftigungssituation sogar sehr positiv ein.
Die zweite Befragung findet mit Herrn B und seiner Mutter in deren Wohnung statt, der Assistent, ausgebildeter Sozialpädagoge, wird im Büro der Arbeitsassistenz und der Vorgesetzte und seine Frau, die Pächter der Tankstelle, im Verkaufsraum ihres Betriebes interviewt. Zum Zeitpunkt der Interviews wird der Probevertrag zwar nicht in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis übergeleitet, aber nach vielen Schwierigkeiten auch nicht beendet, sondern vielmehr um ein weiteres halbes Jahr verlängert.
Stärken und Schwächen werden von Herrn B, der eher wortkarg und auf den ersten Blick um Coolness bemüht wirkt, selbst nicht explizit als solche thematisiert. Vielmehr betont er Tätigkeiten, die den Zuhörer dann auf Fähigkeiten schließen lassen können, wie das Mofa-, Trecker- oder Rasenmäher-Fahren oder seine Mitarbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr. Zudem demonstriert er - zumal während der Befragungen im Betrieb - durch sehr schnelle Zwischendurch-Aktivitäten (diverse kleine Erledigungen), dass er vieles im Blick hat, Bescheid weiß und sehr schnell ist. Anderseits antwortet er auf die Frage nach Wünschen für die nächste Zeit, »dass alles klappt, wie ich es mir eigentlich vorgenommen habe ... Aber das wird irgendwie nix.«
Seiner Mutter fällt auf, dass er bei diesen Äußerungen Tränen in den Augen hat. Sie ist überrascht, »dass er überhaupt etwas gesagt hat hier auf diese Fragen. Als wir die ersten Gespräche bei der Hamburger Arbeitsassistenz geführt haben, hat er gar nichts gesagt. Da hat er gegähnt und dann nicht geantwortet und so, war ganz unsicher. Also, das ist schon erstaunlich, dass er überhaupt etwas gesagt hat, und dann auch noch passend ... Das fand ich schon ganz toll.« Sie beschreibt eine grundsätzliche Ambivalenz, die »sich so durch sein ganzes Leben zieht: Er ist ein sehr herzlicher Mensch, so liebevoll. Er unterstützt mich zum Beispiel hier jetzt sehr.« Sie weist auf den Säugling in ihrem Arm. »Da ist er rührend: ›Kann ich dir etwas abnehmen, kann ich dies, kann ich das?‹ Aber sowie ich etwas von ihm fordere, ... das kriegt er nicht hin. Und wenn ich dann aber einen festen Termin mit ihm abmache, ... dann rast er durch das Haus wie ein wildgewordener Handfeger ... anstatt das mal kontinuierlich zu machen ... Nein, fünf Minuten vor Toresschluss rast er wie ein Irrer hier rum«. Weiter stellt sie heraus: »Das Schwierige ist mit Sicherheit, eine Konstanz zu halten. Er ist hochmotiviert, wenn eine Männlichkeitsseite in ihm angesprochen wird, also ... zum Beispiel hier, als mein Mann damals auszog, war er der Mann im Haus und dann lief alles bestens. Und kaum war er jetzt die zweite Geige wieder, ... lässt er das fallen. Und genauso ist das auch in der Firma, habe ich das Gefühl. Also, als (der Chef) mal nicht da war und er von dieser Seite so angesprochen wird: ›Du bist jetzt hier eine wichtige Kraft, Du musst (der Chefin) helfen‹, dann ging das gut. Da hat er ganz toll drei Wochen durchgehalten, aber dann kommen Einbrüche aus unerfindlichen Gründen.« Sie bedauert, »das ist leider so der Punkt, dass er dann glaubt, er muss dann vor irgendwelchen Leuten irgend etwas beweisen ... Wenn er so ein bisschen Kontinuität leisten könnte. Das kriegt er nicht hin.« Und bezogen auf seine Arbeitsassistenten und seine KollegInnen sieht sie bei ihrem Sohn das Problem, dass er deren Haltung »auch nicht richtig einschätzen« kann: »Er denkt immer, die wollen ihm irgendwie seinen Job ankreiden oder sie wollen ihm sagen, dass er das nicht gut macht. Er hat eine sehr geringe Frustrationstoleranz, ausgesprochen gering. Und er versteht anscheinend nicht, dass die eigentlich helfen wollen oder seine Hilfe brauchen. Nun muss ich sagen, schon seit mein Sohn auf der Welt ist, muss man immer den richtigen Ton treffen.« Einen anderen Aspekt sieht die Mutter von Herrn B darin, das richtige Maß zu finden, zum Beispiel wenn es darum geht, KollegInnen oder FreundInnen etwas zu spendieren. Ihr Sohn »ist in solchen Sachen so unsicher, ... überhaupt all diese Dinge, die damit zu tun haben, mit der Lebensveränderung durch diesen Job. ... Es verändert sich das Leben nämlich, weil sie mit einem Mal Geld in den Händen haben. Also mindestens die Hälfte seines Geldes lässt er dort auf der Tankstelle, weil er sich dort ernährt.« In seinem Freizeitumfeld lässt er »sich das Geld von anderen aus der Tasche ziehen. Für ... Big Macs und solche Sachen.« Für die Mutter ist klar, »er wird jetzt 19, aber er ist ja nicht 19. Das ist es ja. Vielleicht ist er so wie sein Bruder mit 14. Und die sind einfach noch unreif und unsicher in vielen Sachen, sehr jung halt noch.«
Dieses bestätigt auch der Assistent von Herrn B, wenn er seinen ersten Eindruck von ihm erinnert: »O Gott, der soll jetzt schon arbeiten?« Zu Beginn »war er ein sehr ruhiger, sehr stiller, noch Junge. ... Trotz seiner Ruhe auch noch irgendwie sehr verspielt.« Als weiteres Grundproblem nimmt er an, »vielleicht ist es das ›zwischen-Baum-und-Borke-Hängen‹.« Er sieht ihn eher als »Grenzfall«, bei dem einerseits die Kompetenzen klar im Machen liegen. Während der Assistent anderen genau zeigen muss, »wie dieser Arbeitsschritt zu machen ist,« braucht er das bei Herrn B nicht. »Da muss man sagen: ›Okay, das steht jetzt an, das musst du irgendwie so machen, leg mal los‹. Dann hat er losgelegt.« Die Schwächen aber liegen bei Herrn B andererseits darin, »dass er wirklich Kleinigkeiten zu etwas Großen macht, um da irgendwie so 'n Selbstwert anderen gegenüber aufzubauen.« Das führt mehr und mehr dazu, »dass er auf andere und auch auf uns immer unglaubwürdig wirkt.« Eigentlich hätte er es nicht nötig, »Geschichten zu so etwas Tollem zu machen, denn was er kann und was er leistet, ist schon toll genug. Aber das ist für ihn ganz schwierig umzusetzen.« In Hinblick auf Kooperationsprobleme im Betrieb überlegt der Assistent, »ob 's wirklich so was Behinderungsbedingtes ist, wo er dann auch wirklich nicht was dafür kann in solchen Situationen, dass er dann irgendwie ganz schräg reagiert, wenn seine Kollegen ihn bitten, irgend eine Arbeit zu machen und er dann sagt: ›Nö, mach' ich nicht!‹« Dies führt immer wieder zu Schwierigkeiten, denn Herr B »wirkt ja erst mal in seinem Auftreten sehr souverän und dem sieht man erst mal nicht an, dass er vielleicht irgendwo Defizite hat. So war das dann auch schon mal irritierend.«
Der Chef von Herrn B konstatiert: »Er ist interessiert, ja, wir sind noch dabei, ihn weiter zu interessieren. ... Wir haben ihm einen Tätigkeitsbereich gegeben, und den hat er auch ganz gut gemacht. Und dann haben wir gesagt, gut, darauf können wir möglicherweise aufbauen für weitere Tätigkeiten, denn er ist ein junger Mann, machte auf uns den Eindruck, dass er plietsch (schlau, d. Verf.) ist, gar nicht so doof aussieht oder so eine Behinderung hat, wie man es sich vorstellen kann.« Im Kundenkontakt spielt es auch eine Rolle für den Chef, dass Herr B »ja auch so vom Äußerlichen her nicht gerade den behinderten Eindruck« macht: »Jeder, der esso-mäßig aussieht, der wird von den Kunden auch angesprochen. Das bekommt er hin. Er wird angesprochen und sagt dann immer gleich: ›Ich hole mal jemanden, der ihnen weiterhelfen kann!‹ Und das kommt eigentlich sehr gut rüber. Da kann ich mich überhaupt nicht beschweren, das kriegt er gut hin.« Wegbeschreibungen zu Straßen in unmittelbarer Nähe gibt er Kunden eigenständig, »das kann er ihnen gut erklären.« Die Kooperation mit den KollegInnen dagegen funktioniert aus Sicht der Vorgesetzten nicht angemessen, denn »wenn die irgendwelche Anweisungen für ihn haben, dann sind die über seine Routinearbeiten hinaus. Er hat Routinearbeiten und ... auch freie Zeit, und die nutzen wir für andere Dinge, für einfache Dinge, die er dann auch bewältigen kann. So, und diese Anweisungen kommen dann von den Mitarbeitern. Sie sind von uns ja auch aufgefordert, ihn da zu integrieren ... es geht ja auch immer darum, seinen Arbeitsplatz zu sichern ... nur der liebe (Herr B) versteht es nicht.« Der Chef vermutet dahinter eine Strategie: Herr B »ist intelligent. Er weiß sehr genau, was er tun muss, damit ihn keiner anspricht - nach dem Motto: Wenn ich mich jetzt doof anstelle, dann sprechen die mich nicht an und ich bekomme keine weitere Arbeit.«
In den voranstehenden Beschreibungen werden bereits wichtige Entwicklungen im Positiven wie im Negativen und auch Stagnationen sichtbar. Herr B ist zwar der Meinung, »viel« gelernt zu haben, seit er auf der Tankstelle tätig ist, denn »ich hab nie gewusst, wie ich Kisten zum Beispiel stapele oder Paletten oder sowas in der Art« und auch »mit Kunden nett umzugehen.« Gleichwohl stellt er resümierend fest: »Ich muss das alles besser in Griff kriegen.« Seine Mutter meint, »dass er, als er das Arbeitstraining begonnen hat, sehr unreifwar und nichtsahnend, was Berufswelt meint oder was es bedeutet, ... einmal im Krankenhaus und einmal in der Tankstelle. Dass es ihn reifer gemacht hat, so mit Menschen umzugehen, die - er sagt immer - nicht behindert sind. Das hat bei ihm also wirklich einen großen Schub ausgelöst, muss ich sagen. Auch so, dass er teilweise wortgewandter geworden ist.« Sie findet auch, dass der selbständige Umgang mit dem selbstverdienten Geld ihn stärkt und dass er in letzter Zeit anders damit umgeht, denn »jetzt ist er großartig mal losgegangen und hat sich Pullover gekauft und: ›Mama, du brauchst das nicht zahlen‹ und ... hat sich ganz stolz zwei neue Paar Schuhe gekauft. Er schleudert sein Geld nicht raus, sondern guckt wirklich, ... kauft dann auch nicht merkwürdige Sachen.«
Der Assistent von Herrn B sieht anfänglich klare Entwicklungsschritte, denn am Anfang gibt es häufig »Situationen, wo er ... überfordert war, vielleicht kurz 'n Ausraster hatte, so gegen irgendwas gegengetreten ist oder irgendwas von sich geschmissen hatte, sich zehn Meter entfernte und dann still ins Nichts guckte. ›Solche Situationen‹ haben sich deutlich minimiert, ... noch so zwei bis drei am Tag vielleicht.« Seitdem sieht der Assistent jedoch eher eine generelle Stagnation, die er in vier Facetten beschreibt: Zum ersten wendet Herr B bei Konflikten nach Meinung des Assistenten immer wieder die gleiche Strategie an, »in dem Moment aus der Situation herauskommen zu wollen mit der Methode, alles andere zu versprechen, Besserung zu geloben oder was auch immer. Das ist genau der Punkt, mit dem er arbeitet und mit dem er offensichtlich auch immer durchgekommen ist. ... Er hat nie gelernt, für sein Verhalten auch mal eine negative Konsequenz zu spüren. ... Er hat heute alles das bekommen, was er wollte: sein Mofa, sein Handy, sein neues Handy, den Pullover oder weiß der Geier was, ohne wirklich was dafür tun oder seine Versprechungen einlösen zu müssen.« Zum zweiten wird Herr B »immer lockerer und fing dann an, immer mehr zu erzählen von sich und eben diesen Geschichten. Und vieles war für uns dann auch erst mal schwierig, ihm da noch zu glauben, wenn man weiß, im Grunde genommen stimmt davon - wenn überhaupt - die Hälfte nur.« Diese zunehmenden Schwierigkeiten in der Kommunikation wirken sich zum dritten auch auf die Kooperation mit den KollegInnen aus: »Die anderen haben sich zunehmend zurückgezogen. ... Und ich glaube schlicht und einfach, er hat ab da auf sein Glück vertraut, wie er es ja immer hatte.« Im Betrieb macht sich gerade auch auf dem Hintergrund der problematischen Situationen, wenn KollegInnen Herrn B Anweisungen geben, eine fast resignierte Haltung breit: »Es sind von den Kollegen Rückmeldungen: ›Dem brauchst du nichts zu sagen, der macht das eh nicht, mit dem hab ich gar kein Bock mehr zusammenzuarbeiten.‹ ... Das bricht ihm da das Genick.« Und viertens auch »diese Kavalier-Masche, gentlemanlike da irgendwie den weiblichen Kollegen mal zur Hilfe zu gehen, ... also ich hab das auch so nicht immer erlebt und auch nicht von den Kollegen gehört.« Hier gibt es eine Diskrepanz zu den Schilderungen der Mutter.
Der Chef bestätigt die zunehmenden Schwierigkeiten: »Zu Beginn hatten wir natürlich einen guten Kontakt. ... Das sage ich ganz ehrlich: Viele Dinge unterschätzt man auch bei solchen Leuten, und es ist eine große Erfahrung gewesen, wie man mit sowas umgeht und händelt. Und wie geht der Betrieb, das heißt die anderen Mitarbeiter, mit solchen Menschen um? Wie wird er integriert? ... Das war erst sehr gut. Aber es gab doch Schwierigkeiten mit Arbeitsanweisungen, also er hat angefangen, nur Arbeitsanweisungen von uns (Chefs, d. Verf.) anzunehmen. ... Das stört sehr stark.«
Zu seiner eigenen Zufriedenheit äußert sich Herr B im Unterschied zur ersten Befragung nicht; ob dies mit einer Veränderung der Arbeitssituation zu tun hat oder worin dies sonst begründet sein mag, muss offen bleiben. Im Gespräch zuckt er eher etwas ratlos mit den Schultern: »Mir springt nichts ins Gehirn.« Nach Meinung seiner Mutter resultiert die Zufriedenheit bei Herrn B vor allem aus der Selbständigkeit, der finanziellen Unabhängigkeit und dem damit verbundenen Status, vor allem vor seinen 13- bis 16jährigen Freunden: »Er hat es geschafft, da als Tankwart unterzukommen.« Müsste Herr B zurück in die Werkstatt für Behinderte, hätte er »Panik, dass sie ihn dann fallen lassen. ... Das bedeutet für ihn ja auch wieder eine ganz starke Lebensveränderung, d.h. er muss sein MofaFahren aufgeben, er kann nicht mehr rauchen, das Geld hat er ja alles nicht mehr.« Allerdings ist er von seinem Chef begeistert, denn der »hat den richtigen Ton, der hat eben dieses Herzliche, männliche Derbe, so, das gefällt ihm, mit solchen Leuten kommt er super klar.« Und auch über seine KollegInnen »erzählt er immer furchtbar nette Sachen.«
Dass sich die Zufriedenheit von Herrn B dennoch vorwiegend aus dem Status herleiten könnte, auf der Tankstelle zu arbeiten, legen auch die Schilderungen seines Assistenten nahe. Da sich dies jedoch nicht in konkreten Handlungen zeigt, fällt es dem Assistenten zunehmend schwer, Herrn B über konkrete Tätigkeiten zu motivieren. Auch übergeordnete Aspekte wie »ein Mofa unterhalten zu können oder sich mal eine eigene Wohnung leisten zu können, ... diesen normalen Weg halt zu gehen, wie seine anderen Feuerwehrkumpels halt auch«, zeigen immer weniger die erhoffte Wirkung. Letztlich kommt der Assistent zu dem Punkt, an dem er Herrn B sehr ernsthaft mit Konsequenzen konfrontiert: »›Wenn du nicht annähernd das zeigst, was du kannst, was du hier schon gezeigt hast‹ - dann kann er davon ausgehen, dass er die Probezeit nicht überlebt, so, und er hat uns da nicht sehr ernstgenommen.« Die Zufriedenheit des Chefs liegt sowohl bei den Leistungen von Herrn B als auch bei seiner eigenen Entscheidung, sich auf das unterstützte Beschäftigungsverhältnis einzulassen, bei jeweils 50%.
Die Rolle der Arbeitsassistenz scheint für Herrn B keine eindeutige oder aber eine ambivalente zu sein: Einerseits haben sie »mir sehr viel geholfen, ... dass ich jetzt an der Tankstelle bin halt.« Dies sieht auch die Mutter, z.B. auch dadurch, dass sich die Assistenten mit Herrn B geduzt und ihn so gestärkt haben. Andererseits hat Herr B erst »ziemlich spät erkannt, dass die beiden Herren von der Hamburger Arbeitsassistenz auf seiner Seite sind. Ich glaube, er hat zuerst immer gedacht, sie wollen ihm das Leben da schwer machen. ... Er hat dann einfach so gesagt: ›Ja, der war schon wieder da, und heute mussten wir schon wieder einen neuen Plan ändern.‹ Die haben halt alles immer auf den Kopf gestellt. ... Und er kam dann: ›Oh, schon wieder, das kann doch nicht wahr sein. Jetzt muss ich schon wieder - dann reden sie immer mit dem Chef.‹ ... Er hat nicht verstanden, dass sie ihm eigentlich so helfen wollen und dass sie ihn so auf den Weg bringen.« Gleichwohl zieht die Mutter ein positives Fazit über die beiden von ihr als »nett«, »herzlich«, »ausgesprochen liebevoll«, »freundlich« und »sympathisch« beschriebenen Assistenten: »Die haben bestimmt den richtigen Weg gefunden zu ihm. Aber sie müssen eben auch hart sein, und das ist eben der Punkt, deshalb sind sie natürlich nicht ganz so beliebt, ganz klar. Und für mich waren sie ... ganz tolle Berater. ... Sie hatten sehr viel Verständnis dafür, dass ich manchmal gesagt habe: ›Ich kann einfach nicht mehr.‹ ... Da haben sie sehr viel Einfühlungsvermögen für Eltern gezeigt, das muss ich sagen.«
Der Assistent hebt drei Aspekte hervor, die im Vordergrund stehen: Zum ersten braucht Herr B ihn, »um dort eine Struktur hinzubekommen, ... also Aufgaben, denen er gewachsen ist,« zum zweiten versuchen die Assistenten »ihn daran zu erinnern, dass er jetzt ja auch erwachsen ist oder erwachsen wird, (sich) in dem Prozess auch mal anders mit schwierigen Situationen auseinandersetzen sollte ... und dass wir dann auch da sind und dass er sich nicht irgendwie schämen bräuchte.« In Problemsituationen, wenn es etwa etwas zu Lesen gilt, will Herr B »nicht als dummer Junge dastehen« und vermeidet es, um Hilfe zu bitten, was mitunter bei Abwesenheit der Assistenten dazu führt, »dass er sich heulend auf den Boden« wirft. Zum dritten bilden sie auch ein Stück weit die Brücke zu den KollegInnen: »Das war schon ein Schwerpunkt, den wir am Anfang gesetzt haben, ... die auch auf ihn einzustellen. ... Obwohl die offen waren, hatten die auch schon Fragen.« Die Arbeitsassistenten sind dort »eher so quasi wie Kollegen für die anderen, also das war nicht so wie: ›Ach, (Herrn B's) Betreuer ist wieder da‹, sondern: ›Ach, hallo, wie geht es dir, alles klar?‹« Diese Atmosphäre ist etwas, »was ich sonst an Arbeitsplätzen selten erlebe, dass wir, wenn wir kommen, erst mal gefragt werden, wie es uns geht.« Später verlagern sich die Schwerpunkte mehr auf die zunehmenden Konfliktsituationen.
Für den Chef ist die Arbeitsassistenz zunächst der Initiator dieses unterstützten Beschäftigungsverhältnisses, der auf ihn zugegangen ist und ihn informiert hat. Danach bildet sie eine zeitlich abnehmende Begleitung - erst täglich, später zweimal in der Woche - , die er als hilfreich empfindet: »Die haben sich schnell eingefuchst in das Tankstellenleben.« Ihre wichtigste Leistung liegt für ihn in der »Unterstützung bei der täglichen Arbeit in der Einweisung der Arbeiten, die (Herr B) ausführen müsste.«
Ohne die Arbeitsassistenz wäre Herr B seiner eigenen Einschätzung nach »immer noch in der WfB«, das wäre »beschissen, würde ich sagen, ja, aber volles Pfund.« Seine Mutter hätte zwar, wie sie meint, als »sehr aktiver Mensch ... versucht, irgendwie einen Job zu finden für (Herrn B). Jemanden zu finden, der sich den Behinderten verschreibt wie (sein Chef) zum Beispiel, und sagt, also er möchte das probieren, und sich darauf einlässt, auf dieses Experiment. ... Und ob das geklappt hätte, das ist eine zweite Frage, weil ich hätte ihn ja nicht begleiten können.« Von seiner ersten Zeit in der Werkstatt für Behinderte erinnert seine Mutter, dass er sich »zurückentwickelt« hat, »da hat er sich häufig an die Wand gestellt und hat dann so gemacht, so wie die Mongoloiden zum Beispiel. Er hat Verhaltensweisen angenommen von denen und war eben nicht so weit, wie er jetzt ist.« Für seinen Chef ist vollkommen klar, dass ohne die Arbeitsassistenz und ohne die finanziellen Zuschüsse kein Mensch mit Behinderung bei ihm im Betrieb tätig wäre.
Herr B selbst sagt wenig zu seiner Rolle im Betrieb. Er sieht jedoch, dass die Situation auf der Kippe steht: »Ich muss das alles besser in den Griff kriegen.« Gleichzeitig bezweifelt er jedoch selbst, ob das gelingen kann: »vielleicht, vielleicht auch nicht.« Der Assistent betont, dass die KollegInnen Herrn B »anfangs eben auch sehr offen aufgenommen haben, sehr freundlich mit ihm waren, also mehr als ich das je an Arbeitsplätzen kannte, auch in seinem Alter sind ... , sich für ihn interessiert haben. ... Also von daher waren die Voraussetzungen gut gegeben. Er selbst ist da auch schnell reingekommen und hat sich auch von seiner Seite sehr schnell geöffnet, leider auch mit dem Problem dieser Geschichten, oder dass er so kleine Punkte immer wiederholt hat und die Kollegen dann irgendwann tierisch genervt hat, so dass der Stand heute ist, dass sie eigentlich eher mit (Herrn B) nicht so gerne zusammenarbeiten wollen. ... Gekippt ist das wirklich mit dem Punkt, wo er sich zunehmend verweigerte, in diesem Team mitzuarbeiten. So nenne ich das, was der Chef als Anweisungen meint. Ich nenne das Verweigerung von Teamarbeit.« Herr B zeigt seinen KollegInnen gegenüber ein widersprüchliches Verhalten: Immer wieder versucht er, mit ihnen in Kontakt zu kommen und nimmt an ihnen und ihrer Situation Anteil. Er weigert sich einerseits zunächst, ihnen zu seinem Einstand »einen auszugeben«, schwenkt dann jedoch um und will kalte Platten und zehn Flaschen Sekt mitbringen - für fünf Personen. »Dieses Fingerspitzengefühl, das fehlt ihm da so ein bisschen,« findet die Mutter. Zum 18. Geburtstag lädt Herr B alle KollegInnen zu einer Feier ein, aber, so der Assistent, »das Problem war, dass er jeden Tag die Leute genervt hat mit seinem 18. Geburtstag, ... und ob sie nun kommen. ... Die waren alle so abgegessen nachher, dass sie keine mehr Lust hatten, zu diesem Geburtstag zu gehen, und sich nicht mehr trauten, ihm das auch noch zu sagen. Die Folge war: Keiner ist gekommen und keiner hat abgesagt.« Der Chef vertritt Herrn B gegenüber einen klaren Gleichheitskurs: »Den können wir wirklich behandeln wie jeden anderen Mitarbeiter eigentlich auch. Das tun wir auch. Er wird nicht bevorzugt, er kriegt genau so zwischen die Hörner wie die anderen und er muss auch seine Leistung bringen. Heute wissen wir, wenn er den Traurigen macht, das könnte Absicht sein.«
Bezüglich seiner Zukunftsperspektiven macht Herr B sich »Sorgen, ja, dass ich da bleiben darf.« Alle anderen Beteiligten bestätigen diesen Grund zur Sorge. So sagt der Chef: »Er ist schon zu lange hier, behaupte ich mal, er weiß gar nicht mehr, wie schwer es ist, etwas zu bekommen. ... Es ist unheimlich schwierig, ihn dazu zu bekommen, dass er das Verständnis bekommt, dass das nicht so einfach ist, einen Job zu bekommen und dass er was tun muss, mehr tun muss.« Dennoch gibt ihm der Chef die Verlängerung des Probevertrages, bei der auch der Assistent sehr »zwiegespalten« ist, da er sich einerseits für Herrn B freut, andererseits »habe ich manchmal gedacht: Er hat diese Chance nicht verdient, weil er hat alles dafür getan, sie nicht zu bekommen.« Der Assistent sieht schon die Probezeit ambivalent: »Natürlich mag ich (Herrn B) gerne und denk, mein Gott, ist auch schön, dass er die Chance doch noch mal hat, sich zu bewähren - allein, ich glaub nicht mehr so richtig dran.« Obwohl noch Förderzeiten im Integrationspraktikum zur Verfügung stehen und auch ein Eingliederungspraktikum möglich wäre, würde der Assistent es befürworten, »dass er zuhause (bleiben) bzw. schon auch mal in die Werkstatt gehen sollte. Sonst, wenn wir ihm gleich wieder was anbieten, dann bestätigt sich ja wieder, was er immer auch schon gelernt hat. ... Letztendlich, klar, soll das der Abschreckung dienen. Logisch, das soll schon auch für ihn so etwas Motivationsstiftendes sein.« Diese letzte Möglichkeit findet der Assistent selbst »schrecklich, irgendwie eine Werkstatt dazu - in Anführungsstrichen - zu benutzen, jemandem so was Negatives zu verkaufen, aber ich bin ehrlich gesagt inzwischen an so einem Punkt, weil mir fällt da nichts anderes mehr ein.« Diese Konsequenz würde Herrn B »sehr hart ankommen, wäre für ihn sehr schlimm«, meint dazu die Mutter, die diese Überlegung der Assistenten nicht mittragen will. »Ich weiss - im Gegensatz zu den Herren - , wie er war« in der Werkstatt für Behinderte. »Deshalb glaube ich, ... da bricht eine Welt zusammen. Ja, also das weiß ich mit Sicherheit, weil er fühlt sich da so wohl und redet da nur von dieser Tankstelle und wie toll das ist.« Auch träumt die Mutter eigentlich davon, dass ihr Sohn »irgendwann mal für sich selbst sorgen kann.« Realistischerweise wird er ihrer Einschätzung nach jedoch »in irgendeiner Behindertenwohneinheit leben und wird wahrscheinlich auch keinen festen Job haben. ... Weil diese Betreuungskapazität eben einfach zu gering ist. Nicht dass sie das falsch verstehen, die beiden haben ihren Job super gemacht, aber es müsste halt weitergehen, die brauchen länger Zeit. ... Oder es muss eben anders herum sein, dass man noch mal - gerade wenn die jungen Leute noch so jung sind wie (Herr B) - eine Zwischenstation hat, bevor sie zur Arbeitsassistenz kommen können und in die Arbeitswelt geworfen werden.« In der Werkstatt für Behinderte, so befürchtet die Mutter, ist dann für jemanden wie ihren Sohn mit seiner Behinderung »nämlich ein Rückschritt wieder da, und sie lassen dann wieder alle Fünfe gerade sein und sagen: ›Na ja, brauch' ich ja nicht - hier kommt es ja nicht so darauf an.‹ Das merken die ja sofort und haben einen Riecher dafür.« Und die Rückkehr in die Werkstatt für Behinderte wirkt sich auf sein ohnehin geringes Selbstwertgefühl nochmals kränkend aus: »Wenn er da in der beschützenden Werkstatt ist, dann kriegt er da seine 103 oder 105 Mark. ... Das bedeutet ja auch wieder für ihn: Nichts ist. ... Alle selbständigen Sachen, die gehen wieder zurück.«
Wichtige Aspekte bei Herrn B
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Herrn B lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Die Mutter von Herrn B kämpft im Laufe der Jahre immer wieder für integrative Wege für ihren Sohn. Dabei verliert sie diese Kämpfe mehrfach: bei der Einweisung in die Schule für Lernbehinderte und beim Arbeitstraining in der Werkstatt für Behinderte. Vor diesem Hintergrund sähe sie ein von ihr so empfundenes ›Ende‹ ihres Sohnes in der Werkstatt für Behinderte als Fiasko.
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Herr B wird als Grenzfall empfunden, dem man seine Behinderung nicht ansieht.
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Die primären Interessen von Herrn B gehen nicht in Richtung Arbeitswelt, sondern eher in Richtung attraktiver Freizeitbeschäftigungen, für die er durch Arbeit einen notwendigen finanziellen Hintergrund schaffen kann.
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Die Personen im Betrieb gehen zunächst sehr aufgeschlossen auf Herrn B zu, ziehen sich aber mehr und mehr zurück, nachdem Herr B sich immer wieder eigentümlich verhält, bis Chefs und KollegInnen schließlich eher von ihm genervt sind. Wie weit die Motivation von Herrn B - sein Berufswunsch ist Kfz-Mechaniker - mit seinen konkreten Tätigkeiten in einem Missverhältnis steht, das ihn frustriert und so zu seinen Verhaltensweisen maßgeblich beiträgt, kann nur als Frage gestellt werden.
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Herr B pendelt zu Hause wie im Betrieb zwischen einem jungenhaften (›dummer Junge‹) und einem eher erwachsenen Verhalten (›großer Kavalier‹) - mit allen Brüchen und Verwerfungen.
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Der Arbeitsassistent ist angesichts dieser immer schwierigeren und nach wie vor inkonsistenten Situation zunehmend ratlos. Ebenso wie die anderen Beteiligten ist er unsicher, welche Anteile von Herrn B's Verhalten behinderungsbedingt, altersbedingt oder sozialisationsbedingt sind - oder wie weit Herr B sein Verhalten bewusst einsetzt.
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Das überaus positive Bild hoher Zufriedenheit, das Herr B in der ersten Befragung gezeichnet hat, muss angesichts der verschiedenen Perspektiven der Beteiligten deutlich revidiert werden, denn es handelt sich hier vielmehr um eine Situation hoher Problematik.
Ansätze zur Interpretation
Ein mögliches Erklärungsmodell wäre gemäß der Stigma-Theorie, dass es sich bei Herrn B um einen Diskreditierbaren handelt: Sein Stigma ist für ihn und andere nicht eindeutig definierbar und sein ganzes Handeln ist insofern auf die Geheimhaltung dieses Stigmas ausgerichtet. Seine größte Angst besteht in der Entdeckung - offenbar weniger im Kundenkontakt, eher im Kontakt zu den fast gleichaltrigen Kolleginnen und in spezifischer Weise gegenüber männlichen Kollegen und Assistenten. Damit wäre die eher negative Einschätzung der (Förder-)Schulzeit und des Berufsbildungswerkes, das positive Bild der Zeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt in der ersten Befragung, seine Wahrnehmung der Arbeitsassistenz als Kontrolle in der ersten Zeit und die Scham, um Hilfe zu bitten, schlüssig zu erklären. Dieses auf das Kaschieren setzende Stigma-Management führt so auch bei einer Befragungssituation wie der ersten zu einem Hochglanzbild; erst durch die Einbeziehung des Umfeldes kann aus der Oblate eine realistischere Situationsbeschreibung entwickelt werden, zu der Herr B sich in der zweiten Befragung vorsichtig bekennt. Die Versuche der Arbeitsassistenten, eine Vertrauensbasis aufzubauen und gemeinsam mit Herrn B ein adäquateres Stigma-Management zu entwickeln, beispielsweise über eine Vielzahl von Gesprächen, führen nicht zu einem Erfolg, der sich in einer Verhaltensveränderung bei Herrn B zeigt.
Der Theorie integrativer Prozesse folgend wird die Selbstakzeptanz in seiner gesamten Biographie neben anderen Faktoren immer wieder durch widersprüchliche, ihn verwirrende direkte und indirekte Rückmeldungen erschwert, wenn er nach dem Besuch einer Integrationsklasse amtlich als geistig behindert erklärt wird und damit seine Überweisung in die Sonderschule begründet wird, er in Gegengutachten lediglich Wahrnehmungsprobleme attestiert bekommt, auf Umwegen in die Förderschule, später dennoch in die Werkstatt für Behinderte kommt und dann doch die Chance zur Arbeit im regulären Betrieb bekommt. Prozesse der Verfolgung der ›fremden/anderen/unterscheidenden‹ Anteile und die Fixierung auf die ›guten/gleichen‹ wären so eine logische Folge auf der innerpsychischen Ebene. Chefs und KollegInnen gehen zu Beginn mit Enthusiasmus auf Herrn B zu, reagieren aber zunehmend auf Verschmelzungswünsche von ihm mit Abgrenzung und Abstoßung, und je mehr bei Herrn B Schwierigkeiten, zu angemessener Kooperation zu kommen, deutlich werden, nehmen auf beiden Seiten Verweigerungstendenzen zu. Eine Schieflage der Balance zum Pol der Gleichheit zeigt sich beispielsweise deutlich, wenn Herr B behandelt werden soll wie andere auch; wie und in welchem Maß aber Differenz zur Geltung kommen können sollte, ist für das Umfeld unsicher. In diesem Fall zeigt sich die Gefahr eines Anpassungsdrucks, der zu Kolonialisierung führen könnte - und bei deren Nichtgelingen als deren Gegenpol Aussonderung und Exotisierung droht. So wäre ggf. ein ›Ende‹ in der Werkstatt für Behinderte für Herrn B tatsächlich ein Fiasko, da er dann erneut eine Bezugsgruppennorm nahegelegt bekommt, die ihm aufzeigt, dass sein Ringen um Normalisierung gescheitert und er demnach folgerichtig - da man ihm ja viel zusätzliche Zeit eingeräumt hat, ein erwünschtes Verhalten zu zeigen - selbstverschuldet auszuschließen ist. Auszuloten bliebe, inwieweit hier auch auf Seiten der Arbeitsassistenten die Arbeit an Herrn B, die vom Betrieb erwünschten Verhaltensweisen zu zeigen, ein Übergewicht hat gegenüber der Arbeit an einem anderen Zuschnitt der Tätigkeiten und an Erwartungshaltungen innerhalb des Betriebes, also ob es mehr Bemühungen bedurft hätte, Teambildungsprozesse mit ihren logischen, immanenten Krisen zu unterstützen - und ob diese Ausrichtung dem Repertoire der Tätigkeiten von ArbeitsassistentInnen entspricht.
Frau C, 24 Jahre alt, hat vor vier Monaten einen Arbeitsvertrag bekommen und ist mit knappen 30 Wochenstunden in einem Call-Center beschäftigt. Dort nimmt sie Anrufe für Zeitungs- und Zeitschriftenabonnements entgegen und gibt die Daten in einen Computer ein. Aus einer Angestelltenfamilie stammend, besucht sie den Lernbehindertenzweig der Schule für Sehbehinderte und Blinde. Während der Schulzeit absolviert sie ein Betriebspraktikum in einer Werkstatt für Behinderte. Die Berufsberatung hält aufgrund von Berichten der Schule für Frau C nur die Werkstatt für Behinderte für möglich; darüber kommt es mit der Familie C zu heftigen Kontroversen. Für zwei Jahre geht Frau C in ein Berufsbildungszentrum in einer anderen Stadt, kehrt dann nach Hamburg zurück, nimmt privat PC-Kurse, lernt Punktschrift, macht auf Initiative des Vaters etwa acht unbegleitete Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt - auch im Betrieb, in dem er selbst tätig und der gleichzeitig von Schließung bedroht ist. Dazwischen hat Frau C, wie sie sagt, »die ganze Zeit zuhause rumgehangen.« Nach einem zweiten Anlauf beim Arbeitsamt, bei dem ihr Wunsch, eine Telefonistenausbildung zu machen, abgelehnt und wiederum nur die Werkstatt für Behinderte für möglich gehalten wird und sie dies erneut verweigert, meldet sich eine Arbeitsassistentin bei Frau C, woraufhin es zu einem gemeinsamen Termin mit dem Berufsberater kommt, bei dem Frau C zunächst misstrauisch bleibt, weil sie sich nun doch offiziell bei einer Werkstatt für Behinderte anmelden soll. Sie durchläuft zwei Jahre das Ambulante Arbeitstraining in vier Betrieben und erhält danach den Arbeitsvertrag im Call-Center. Ihr ursprünglicher Berufswunsch ist Bürotätigkeit oder Phonotypistin; ihre jetzige Tätigkeit liegt also im gleichen Bereich. Bei den äußeren Daten gibt es allerdings eine Uneindeutigkeit insofern, als nach anderen Informationen das Arbeitsamt durchaus für das Ambulante Arbeitstraining votiert hat, dagegen der Sozialhilfeträger Frau C massiv zur Werkstatt für Behinderte gedrängt hat.
In der ersten Befragung zeichnet Frau C über ihre Schulzeit ein ambivalentes Bild, die Berufsberatung empfindet sie als sehr schlecht (s.o.), das Berufsbildungswerk zunächst als gut, jedoch mit stark abfallender Tendenz. Das Ambulante Arbeitstraining gefällt Frau C sehr schön, es erscheint aber auch als sehr komplex und anstrengend; auch den Berufsschulunterricht bewertet sie sehr positiv. Ihre AssistentInnen nimmt Frau C sehr unterschiedlich wahr, ihre Beschäftigungssituation bewertet sie als sehr gut und verändern will sie »erstmal nix.«
Bei der zweiten Befragung findet das Interview mit Frau C allein bei ihr zu Hause statt, der Vater wird an seinem Arbeitsplatz, die Assistentin, gelernte Heilerzieherin, in den Räumen der Arbeitsassistenz, und die Chefin, gelernte Friseurin und Teamleiterin des betreffenden Projekts im Call-Center, in den Räumen des Betriebes befragt.
Von ihren Stärken und Schwächen hat Frau C ein dezidiertes Bild, das im übrigen mit allen anderen Beteiligten übereinstimmt: Stärken sieht sie darin, dass sie »ziemlich viel« macht, vielseitig interessiert und kontaktfreudig ist, genau ihre Wünsche kennt und sie auch gegen andere verteidigt. Dies tut sie etwa bei dem Berufsberater bzw. Sozialhilfeträger, der »gesagthat, ich soll in die behinderte Werkstatt gehen und sonst kann er nichts für mich tun. Und da habe ich gesagt, dass ich das nicht mache. Und das hat er ja in die Unterlagen reingeschrieben und dann hat sich (eine Arbeitsassistentin) bei mir gemeldet.« In der Werkstatt für Behinderte hat Frau C drei Wochen im Schreibbüro gearbeitet, das fand sie auch »eigentlich ganz gut, aber dann waren wir in der Pause mit ganz vielen anderen Behinderten zusammen, die richtig stark behindert waren, und dann haben sie rumgeschrien. ... Da stand jemand neben mir und - das konnte ich nicht sehen - hat auf einmal laut geschrien. Ich habe mich so fürchterlich erschrocken und die konnte ja nichts dafür, weil die war wirklich geistig krank. ... Da habe ich gleich gesagt: ›So. Nee, das mache ich nicht, das ist für mich zu schrecklich, ich habe Angst vor den Leuten.‹ ... Die taten mir auch leid, natürlich.« Schulisch sieht sich Frau C als gut in Mathe, »da war ich in der Hauptschulgruppe«, jedoch zwei Klassenstufen tiefer, und »in Deutsch war ich eigentlich auch ganz gut.« Ihre schulischen Schwächen sieht sie in den sachkundlich-gesellschaftlichen Fächern, und generell meint Frau C: »Ich weiß, dass ich eine Lernbehinderung habe, und ich weiß, dass ich Sachen auch leicht vergesse. Und ich hab' ein gutes Langzeitgedächtnis, aber ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis.«
Ähnlich sieht dies auch der Vater von Frau C, der seine Tochter als selbstsicher, mutig, offensiv und zunehmend selbständig beschreibt, bei ihr eine verbale Stärke und ein gutes Durchhaltevermögen sieht, also die Fähigkeit, »sich irgendwo durchzuboxen. ... Sie wollte es auch durchstehen, sie wollte was schaffen.« Zudem betont er eine hohe kommunikative und sprachliche Kompetenz: »Ihre Ausdrucksweise, die war immer sehr gewählt. ... Fremde, die stellen schon fast hohe Ansprüche, was sie denn ist und ob sie die höhere Schule getätigt hat oder ob sie studiert und so.« Zudem ist Frau C »sehr höflich und zuvorkommend«, was für ihre Tätigkeit besonders hilfreich ist. Andererseits ist sie insgesamt eher langsam im Lernen, auch im Schreiben »nicht so gewandt. ... Aber das Zehn-Finger-System hat sie trotzdem gelernt. Nicht schnell, aber sie kann mit zehn Fingern schreiben.«
Die Langsamkeit im Lernen bestätigt auch die Assistentin: »Es dauert sehr sehr lange, bis sie Sachen verinnerlicht hat. Sie vergisst häufig Sachen wieder, Dinge, die sie sich eigentlich merken sollte.« Die Assistentin erklärt sich »die große Vergesslichkeit« wie »ein Loch, wo diese ganzen Informationen immer durchfallen. Und es ist so wie eine Vene, die sich langsam zusetzt. Es bleibt aber irgendwann mal ein Stück hängen und irgendwann ist dieses Loch zu und dann sitzt es und es geht nie wieder auf.« Die berufliche Tätigkeit wird durch einen Tunnelblick erschwert, der nur ein Feld von der Größe eines Stecknadelkopfes scharf sehen lässt und jedes räumliche Sehvermögen verhindert. So muss Frau C »eine Bildschirmmaske auswendig« lernen, die »sie dann systematisch abtastet.« Als besonders wesentliche Stärke sieht die Assistentin: »Sie ist unheimlich willig und stark. Sie will etwas schaffen und sie hat sich das vorgenommen mit Unterstützung, und ja, die Unterstützung von zuhause ist auch ganz wichtig. ... Sie kann sich auch ziemlich gut selber einschätzen und sagen: ›Okay, ich schaff' das‹, oder dann auch sagen: ›Ich schaff' es nicht.‹« Auch die Assistentin hebt hervor, dass Frau C »sich auch gut präsentieren (kann), sie kann sehr gut reden.« Aufgrund der vielen Etappen und Institutionen, mit denen sie zu tun hatte, ist Frau C sehr flexibel, und »sie ist ein neugieriger Mensch, sie lernt gerne Menschen kennen, sie lernt gerne Umgebungen kennen.«
Die Chefin nennt als herausragende Eigenschaft von Frau C »Freundlichkeit auf jeden Fall, dann hat sie wirklich eine sehr schöne Stimme und sie ist ruhig, also sie würde ja nie austicken. Also das würde ja nie passieren. Sie hat einfach eine bestimmte Ruhe.« Auch würde Frau C nie eine falsche Auskunft geben. Als unbedingte Voraussetzung für ihre Tätigkeit im Call-Center sieht die Chefin, dass Frau C lesen und schreiben kann. Schwierigkeiten gibt es anfangs, als der große Bildschirm mit den großen Buchstaben für sie eingerichtet wird, aber den Notwendigkeiten ihres Tunnelblicks widerspricht: »Dann habe ich natürlich alles erst in großen Buchstaben daran gehängt, das war ja völlig falsch, weil (Frau C) sieht ja eher die kleinen als die großen, aber ich dachte, mach sie mal lieber groß. Dann musste ich alles wieder klein machen.«
Entwicklungen sieht Frau C vor allem in einer zunehmenden Zufriedenheit bei angemesseneren Anforderungen: Während es in den ersten Praktikumsstellen aufgrund hoher Komplexität zeitweise Überforderungen gibt und sie nur noch Teilarbeiten ausführen darf, passen die Arbeiten später immer besser zu ihren Fähigkeiten. Zudem entwickelt Frau C eine größere Flexibilität und Adäquanz in der Telefoniersituation. Problematische, total verpatzte Situationen hat sie noch nicht erlebt, stattdessen fallen ihr »gute Situationen« ein.
Diese stetige Aufwärtsentwicklung bestätigt auch der Vater, der bemerkt, dass Frau C »eigentlich immer sehr gerne zur Arbeit gegangen ist. ... Ja, sie hat es mit Liebe und richtig Lust getan, und jetzt, seitdem sie (im Call-Center) angefangen ist, hat sie für meine Begriffe ein humorvolles Wesen oder Auftreten und auch ein gutes Selbstvertrauen bekommen, also ein stärkeres, sage ich mal.«
Die Assistentin betont: »Sie ist ein Stück weit selbstsicherer geworden. ... Sie hat inzwischen gelernt, auch aufgrund der Vielfalt ihrer Arbeit, sich Kunden besser zu erwehren. Sie ist sehr geduldig am Telefon, sie lässt es auch nicht zu nah herankommen, wenn Kunden mal meckern, die dort anrufen. Aber sie sagt dann auch schon mal: ›Nein, nein, so ist das nicht, ich weiß genau, dass das so ist.‹ ... Und - ganz wichtig - sie holt sich Hilfe auch von Kollegen.« Diesen Stand zu erreichen, ist jedoch ein äußerst mühsamer Prozess mit vielen kleinen Schritten, bei dem es vor allem um das »schlichte Erlernen des Arbeitsinhaltes (geht). Weil die ganzen sozialen Kompetenzen, das alles hat sie mitgebracht, und bei ihr ist es wirklich der Inhalt der Arbeit, dass sie einfach Kunden so beraten kann, wie es sein soll.«
In der Anfangszeit stellt auch die Chefin einen sehr großen Unterstützungsbedarf fest: »Ich hatte zu dem Zeitpunkt viel Zeit und einer von den Betreuern war ja auch immer da. Wir haben sehr viel trainiert. ... Wir haben eine Woche bestimmt trainiert, also, dass sie noch kein Kundengespräch hatte, mit den Trainern halt, also mit den Arbeitsassistenten. Na ja, dann haben wir halt geguckt, was können wir machen, um ihr die Sache zu erleichtern.« Später, dies bestätigt auch die Chefin, agiert Frau C souverän und holt, wenn nötig, Hilfe von KollegInnen: »Früher saßen wir fast zusammen, jetzt sitze ich ein bisschen weiter weg und habe auch nicht so unbedingt die Zeit. Aber da fragt sie dann die Kollegen, das macht sie.«
Als Gründe für die eigene Zufriedenheit nennt Frau C vor allem das positive Betriebsklima und die sozialen Kontakte. Mit einer Kollegin hat Frau C sehr viel Kontakt, die von der Chefin als ihre »Lieblingskollegin« bezeichnet wird: »Die hängen den ganzen Tag zusammen und mögen sich ganz gern.« Frau C mag es auch, wenn mal Leerlauf ist, »dann kann ich schön mit Kollegen klönen.« In der Vergangenheit ist Frau C manchmal unzufrieden gewesen aufgrund von Stress und durch den Druck, Arbeiten fertigzumachen - »da habe ich schon Schiss gehabt.« Weiter ist Frau C unzufrieden mit ihren visuellen Möglichkeiten, daher hat sie sich auf die Warteliste für eine Netzhautoperation setzen lassen. »Dass ich nicht so gut sehen kann, das kann ich ja noch akzeptieren.« Trotzdem: Besser sehen zu können »wäre cool.«
Für den Vater ist nach wie vor die Vergangenheit mit der auswärtigen Zeit im Internat, der drohenden Einweisung in die Werkstatt für Behinderte und der Arbeitslosigkeit sehr gegenwärtig. Er gibt Aussagen von Frau C aus der Zeit in der Werkstatt für Behinderte wider: »Und sie sagt: ›Ich bin behindert, aber ich bin anders behindert. Ich hab Angst da hinzugehen.‹ ... ›Helft mir bitte, dass ich da nicht hin brauch!‹ Dann haben wir auch gesagt: ›Du musst gar nichts. Dich darf und kann keiner zwingen. Und du kannst darauf zählen, dass wir dir helfen und wir werden das schon irgendwie hinkriegen. Wie auch, wissen wir nicht, aber wir schaffen das irgendwo.‹« Die Internatszeit resümiert der Vater mit dem Satz: »Da haben wir ihr ganz schön was angetan. ... Sie war froh, als das zu Ende war.« Den Berufsberater (bzw. den Mitarbeiter des Sozialhilfeträgers) erinnert der Vater geradezu traumatisch: »Der hat gesagt: ›(Frau C), du kannst das nicht, du schaffst das nicht. Du wirst, äh, du musst in die Werkstatt gehen und wenn du dich bis dahin (klopft mit der Faust auf den Tisch) nicht entscheidest, dann kannst du nicht mehr in die Werkstatt kommen, dann ist es ganz aus für dich!‹ So! ... Das war eine Erpressung.« Dass es die Möglichkeit mit der Arbeitsassistenz gibt, »das hätte man uns schon viel früher sagen müssen und können.« Vor diesem Hintergrund sitzt Frau C ohne Beschäftigung zu Hause: »Ich hab' gemerkt, sie war verzweifelt zuletzt und sie wollte unbedingt arbeiten. Es ging ihr gar nicht um das Geld, es ging ihr wirklich um die Tätigkeit, um gleichwertig zu sein. ... Sie wollte sagen: ›Ich hab' Arbeit.‹ Was meinen Sie, wie stolz sie jetzt darauf ist, das jetzt zu verkünden? Das hat sie allen geschrieben und erzählt und telefoniert: ›Ich hab' Arbeit!‹«
Nach Eindruck der Assistentin findet Frau C es »unheimlich wichtig, selbständig zu sein.« Da die Arbeit relativ anstrengend ist und eine hohe Konzentration erfordert, arbeitet sie sechs Stunden pro Tag. Auch die sozialen Kontakte machen Frau C zufrieden: »Sie hat einen un-heimlich guten Draht zu Menschen überhaupt.«
Die Rolle der Arbeitsassistenz beschreibt Frau C vor allem als Unterstützung durch technische Hilfen und als konkretes Üben des Telefonierens am Beginn der Tätigkeit: »Da hat er immer die Frauenstimmen nachgemacht, da konnte ich mich immer amüsieren, und sie immer die Männerstimmen, das fand ich immer lustig.« Sie resümiert: »Nein, also ich muss sagen, ich habe nie gedacht, dass ich mal in einer Telefonzentrale arbeiten werde, und dass ich jetzt in dem Call-Center sitze, das finde ich richtig gut! ... Das hätte ich, also ganz ehrlich gesagt, mir nicht zugetraut.«
Für den Vater ist - vor dem Hintergrund der vorangegangenen Entwicklungen - entscheidend, »dass die Arbeitsassistenz das Gefühl für (Frau C) entwickelt hat, dass sie einen Job schaffen könnte.« Für den Vater ist es ein Phänomen, dass dieses Vertrauen besteht trotz einer gemeinsamen Gesprächsrunde mit dem Berufsberater (s.o.), der »immer noch auf dem Standpunkt (beharrt): ›(Frau C) schafft das nicht.‹« Die Arbeitsassistenz strahlt jedoch die Zuversicht aus, »irgendwas Passendes zu finden.« Er resümiert: »Ich bin angetan von der Arbeitsassistenz.«
Die Assistentin sieht es als ihre vordringliche Funktion, mit Frau C die Inhalte der Tätigkeit zu erarbeiten: »Wir haben mit ihr angefangen, eine Textvorgabe zu lesen, wie es ablaufen soll. Der nächste Schritt war, dass sie mit uns im Rollenspiel geübt hat, also wir waren dann der Kunde ... Die nächste Stufe war dann, diese Telefonanlage zu benutzen. ... Ich habe es bei ihr klingeln lassen, dann musste sie mich beraten. ... Wir mussten ganz häufig abbrechen, weil es ging nicht weiter, sie wusste es einfach nicht mehr. Wir haben es noch einmal ausgewertet, haben es noch einmal durchgesprochen und es ging wochenlang so. Die nächste Stufe war dann, dass ich hier (in der Arbeitsassistenz, d. Verf.) Kollegen gebeten hab, doch mal so ein Schein-Abo zu bestellen. ... Wir haben dann weitergemacht, indem wir mitgehört haben, wenn sie telefoniert hat ... und konnten ihr dann jederzeit Hilfestellung geben. ... Genauso schrittweise haben wir die EDV erlernt, also geübt, wo ist welcher Punkt auf dem Bildschirm, wie arbeite ich die Maske am besten ab.« Ergänzend gehört auch ein Fahrtraining zur Qualifizierung sowie die Vorbereitung für die KollegInnen, »die Leistungsanforderungen einfach nicht so hoch zu setzen.«
Für die Chefin ist die Arbeitsassistenz der eindeutige Initiator: »Ohne die wären wir da nicht so drauf gekommen.« Am wichtigsten aber ist die Unterstützung am Anfang, an dem die Arbeitsassistenten ihr das Gefühl vermitteln: »Guck mal, kann ja nicht viel passieren, (Frau C) kann nicht viel passieren und mir halt auch nicht.« Wenn es die Arbeitsassistenz nicht gäbe, sieht Frau C selbst »zwei Möglichkeiten nur: Also entweder ich wäre wirklich in der Werkstatt gelandet oder ich hätte zu Hause gesessen - oder vielleicht ... durch meinen Vater wirklich eine Arbeit gefunden, das weiß ich ja nicht.« Die Werkstatt für Behinderte sieht Frau C als schlechteste Alternative: »Ich weiß ja, wie es dort war, ich kenne das ja, drei Wochen haben mir gereicht.« Auch der Vater, der sich als »Verfechter (bezeichnet), dass diese Fehlabgaben drastisch erhöht werden müssten, um auch Behinderte wirklich in Arbeit zu bringen,« denkt in diese Richtung. Selbst nach der Kontaktaufnahme mit der Arbeitsassistenz bemüht er sich um andere Möglichkeiten: »Ich hatte schon ganz blöde Ideen gehabt, um meine Tochter irgendwie in Arbeit und Brot zu kriegen, um ihr irgendwas zu geben, wo sie für sich auch Zufriedenheit findet. ... Ich hatte mir eine Firma gesucht und hab gesagt: ›Passt mal auf, versucht sie einzustellen, es geht nicht um das Geld, aber dass sie eine Beschäftigung hat und dass sie Erfahrungen sammelt.‹« Die Assistentin traut den Eltern durchaus zu, für ihre Tochter etwas zu bewegen, denn sie »sind sehr ideenreich und stehen voll hinter (Frau C). Also ich denke, die Eltern hätten eine Möglichkeit gefunden für (Frau C), außerhalb der Werkstatt zu arbeiten. Sie haben ja auch ihre Leistungsgrenzen ganz stark kennengelernt.« Die Chefin sagt, sie hätte nicht die Zeit gehabt, die die Arbeitsassistenz hat; so kann man schließen, dass Frau C ohne die Arbeitsassistenz keine Chance in diesem Betrieb gehabt hätte.
Zu ihrer Rolle im Betrieb sagt Frau C selbst wenig. Wichtig sind die guten sozialen Kontakte, auch zu einem neuen Chef: »Manchmal wenn ich Pause - wir dürfen ja auch jede Stunde fünf Minuten Pause machen, dann gehe ich manchmal und sage Hallo. Und dann sagt er: ›Und, erzählen Sie mal, Frau (C)!‹ Und dann soll ich immer erzählen.«
Für die Assistentin ist Frau C »so offen auch, und (sie) erzählt auch von zu Hause und von ihren Freizeitgestaltungen und schafft sich da einen guten Zugang zu den Kollegen, indem sie drauf zu geht und sagt: ›Hallo, da bin ich!‹ Und es kommt unheimlich gut an und sie ist ja unheimlich freundlich und kennt auch ihre Kollegen einfach. Also, manchmal hapert es mit den Namen, aber sie weiß genau, wer dazugehört, ... und kriegt mit, wer da ist an dem Tag.« Auch im Kreis der KollegInnen ist Frau C eine anerkannte Kollegin: »Wenn's halt 'ne Teamsitzung gibt oder 'ne Party oder sonst irgendwas, ist (Frau C) natürlich auch mit eingeladen und weiß, wenn sie jetzt zum Beispiel zur Teamleiterin gehen würde und sagen: ›Ich weiß gar nicht, wie ich hinkommen soll‹, dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass man sich mit ihr auch irgendwo trifft. Also die Kollegen sind auch sehr kooperativ, sie da auch einfach mitzunehmen oder reden ihr auch zu. ... Sie gehört mit dazu.« Dabei spielt wohl auch eine Rolle, »dass dort Leute arbeiten, die einen größeren Weitblick in der Gesellschaft haben.« Sie als Assistentin bekommt von ihnen Rückmeldungen wie: »Es ist toll, was ihr macht, so, dass ihr es versucht« und gleichzeitig ist da auch »dieser Wille von Kollegen, dass sie es schafft.« Insbesondere eine Kollegin ist zu einer »Ansprechpartnerin geworden. Sie ist der Integrationssache gegenüber sehr aufgeschlossen und ist auch neugierig und hinterfragt, was wir noch so machen, und ist auch immer bereit, (Frau C) Hilfestellung zu geben. Sie tauschen sich beide ganz gut aus.« Und gleichzeitig kann diese Kollegin, die noch »andere Projekte« bearbeitet, sich auch »sehr gut abgrenzen« von Frau C, denn würde sie über andere Projekte sprechen, würde es Frau C »völlig verwirren, es ist zu viel an Informationen, sondern sie redet mit ihr dann wirklich bloß über diese Sachen«, die mit Frau C's Arbeit oder ihnen als Personen zu tun haben.
Die Chefin sieht die Rolle von Frau C als die einer vollwertigen Kollegin. Die Kontakte mit anderen schätzt sie als unterschiedlich ein: »Das ist von Person zu Person unterschiedlich. Einige verstellen sich total und andere, also wir haben auch sehr viele lustige Leute hier, Gott sei Dank, die reden mit jedem super lustig. ... Also manche verstellen sich, manche reden gar nicht. ... Aber im großen und ganzen hat sie hier auch - wir haben hier auch so ein paar ältere Damen, und da ist (Frau C) natürlich irgendwie total beliebt. Sie zählt dazu, keine Frage. ... Also sie sucht sich, wie im normalen Leben auch - einen mag man, einen mag man nicht - und so ist das dann hier auch. Also ich würde nicht sagen, dass einer irgendwie sagt: ›O Gott, was will die hier?‹ Das nicht.« Ihrer Wahrnehmung nach hat Frau C in gewisser Weise eine besondere Rolle, denn »es wird schon sehr viel auf sie geachtet. Wenn sie überfordert ist, kommt gleich einer zu mir und sagt: ›Hallo, das musst du noch mal oder hier und da müssen wir noch mal gucken und so.‹ Aber das ist normal, würde ich sagen, das ist ein ganz normales Verhältnis.« Die Chefin ist im diesen Zusammenhang »immer ganz stolz«, und sie bezeichnet es als »ein schönes Gefühl, dass (Frau C) anstatt in der Werkstatt zu sitzen hier ist, und das ist eigentlich das Schöne, da hatte sie ja tierische Angst vor. Also wir sind hier sehr nett alle, also von daher - für mich ist es ein schönes Gefühl, dass ich weiß, sie ist hier, und ich weiß, dass es auch anderen so geht. Und das ist es halt.«
Bei ihren Zukunftsperspektiven ist Frau C am wichtigsten: »Hauptsache, ich behalte meine Arbeit« - sie würde mit dem Betrieb auch umziehen; ob sie in einigen Jahren dort noch tätig ist, darüber macht sie sich jetzt noch keine Gedanken, geht aber eher offen und zuversichtlich darauf zu. Der Vater bezieht sich darauf, dass Frau C einen Vertrag für drei Jahre hat (hier irrt er, denn der Vertrag ist unbefristet), die Zeit, für die die Firma auch staatliche Zuschüsse erhält. »Ich hoffe, dass sie sich bis dahin so festigt dort. ... Es gibt ja auch andere Tätigkeiten, beratende Funktion oder sonst irgendwie. Dass sie irgendwie Fuß fasst irgendwie, dass sie dies so regulieren könnte, dass sie nicht immer Angst haben müsste, den Job zu verlieren. Das wird für sie auch wieder eine Phase, wo sie ein Problem kriegen könnte.« Die Assistentin sieht Frau C auch zukünftig »an einem solchen Arbeitsplatz eigentlich, wenn sich dieser Arbeitsplatz nicht allzu massiv verändert.« Bei kleineren, projektimmanenten Veränderungen sieht sie jetzt keine Probleme mehr: »Das kriegt sie hin. ... Schwieriger wird es sein, wenn (Frau C) in ein neues Projekt eingearbeitet werden muss. Also das ist auch unser Ziel für das kommende Jahr, dass sie ein weiteres Projekt dazunimmt, weil eben nicht garantiert werden kann, dass die Projekte, die sie jetzt telefoniert, auch weiter laufen.« Für die Chefin stellt sich die Frage, ob Frau C weiter unterstützt werden kann, wenn dieses Projekt ausläuft.
Wichtige Aspekte bei Frau C
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Frau C lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Zentraler Angelpunkt ist die hohe Motivation von Frau C zum Arbeiten und vor allem die positive Art des offenen und offensiven Zugehens auf andere Menschen.
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Der zentrale Unterstützungsbereich durch die Arbeitsassistenz liegt in der kleinschrittigen und langfristigen Einarbeitung in die Inhalte der Tätigkeit, und dieses in einem Maß, zu dem der Betrieb selbst nicht in der Lage wäre.
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Dadurch kommt es zu einer Arbeitssituation, in der Frau C als Kollegin wahrgenommen wird und in einem dialektischen Sinne als gleich - also nicht in einer Sonderrolle mit Distanzierung von anderen - und als verschieden - mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht - gesehen wird.
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In ihrer aktuellen Arbeitssituation werden gelingende integrative Prozesse insbesondere mit einer Kollegin deutlich, bei der es zu einer stabilisierenden Balance von Annäherung und Abgrenzung kommt.
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Im Hintergrund steht eine unumstößliche Sicherheit, von den Eltern unterstützt zu werden, und das in dieser hoch engagierten Form, etwa in den Bemühungen um Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt - nicht zuletzt im Betrieb, in dem der Vater selbst beschäftigt ist.
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Frau C weiß nach dem Praktikum in der Werkstatt für Behinderte, dass sie dort nicht hin möchte, da sie dort Verhaltensweisen von KollegInnen erlebt hat, die sie erschreckten und ängstigten. Sie ist auf ein sicheres Umfeld mit verlässlichen Verhaltensweisen angewiesen; dies steht im Gegensatz dazu, dass mehrere Institutionen mit Fachleuten (Schule, Berufsbildungszentrum, Mitarbeiter des Sozialhilfeträgers) sie nur auf die Werkstatt für Behinderte orientieren wollen. Dieser Konflikt entwickelt sich zu einem harten Kampf zwischen grundsätzlich unterschiedlichen Orientierungen und nimmt fast traumatische Formen an - für Frau C und für ihren Vater.
Ansätze zur Interpretation
Unter dem Blickwinkel der Stigma-Theorie wäre Frau C mit ihrer klar diagnostizierten Schädigung der Gruppe der Diskreditierten zuzuordnen, was u.a. zu den heftigen Auseinandersetzungen mit fachkompetenten Stellen maßgeblich beigetragen haben dürfte. Sie wehrt sich vehement gegen ein Umfeld, in dem sie in einer Zusammenballung diskreditierter Personen deren vielen, für sie unwägbaren Verhaltensweisen ausgesetzt wäre - und damit würde ihre eigene Behinderung als Ausgegrenzte potenziert. Nun bewegt sich in einem Umfeld, in dem diese Zuschreibung wenig zum Tragen kommt. Ihre freundlich-offensive Grundhaltung erübrigt zudem weitgehend eine Unterstützung der Entstigmatisierung, so dass die ArbeitsassistentInnen sich ganz auf den Zuschnitt für sie bewältigbarer Arbeitsabläufe und die fachliche Qualifizierung hierin konzentrieren können.
Der Glaube an sich und die eigenen Möglichkeiten zeugt von einer hohen Selbstakzeptanz von Frau C, die ihr in einem offenen Umfeld gelingende Begegnungen und gute Kooperationsmöglichkeiten im Sinne der Theorie integrativer Prozesse ermöglichen. Ihre massive Gegenwehr gegen die Orientierungen, die bei ihr den Pol der Andersartigkeit und Schonbedarf betonen und sie auch nach der Sonderschulzeit in Sonderstrukturen verorten wollen, scheint gespeist zu sein von für sie erschreckenden Erfahrungen. Da sie ihre Schulzeit in der Schule für Blinde und Sehbehinderte nicht in Frage stellt, ist der Rückschluss möglich, dass sie die eigene individuelle Verschiedenheit nicht verleugnet, verfolgt und damit abspaltet zugunsten einer Fixierung auf ein Gleich-Erscheinen. Die AssistentInnen nutzen den von betrieblicher Seite gewährten langen Atem bei der Entwicklung und Einarbeitung der geeigneten Arbeitsabläufe, sind aber so auch Modelle für KollegInnen und zugleich GarantInnen für ein komplikationsloses Hineinwachsen in das Gesamtteam und das Betriebsgeschehen. Die Balance, in der Anerkennung und Akzeptanz von Gleichheit und Besonderheit in diesem Betrieb bei Vorgesetzten und TeamkollegInnen vorhanden sind, ermöglicht ihrerseits echte Begegnung, gelingende Kooperation, auch über das Sachliche hinausgehende Gemeinsamkeit und eine Normalisierung im Sinne dessen, dass sich das Spektrum von Normalität in diesem Team vergrößert hat.
Herr D, 23 Jahre alt, befindet sich seit zwei Monaten im Integrationspraktikum in einer Konditorei in der Konfisserie, in der er vier Stunden täglich arbeitet. Nachdem er bereits nach 17 Monaten im Ambulanten Arbeitstraining in einer Bäckerei einen Arbeitsvertrag bekommt, steht er dort 2 1/4 Jahre in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, das dann jedoch abgebrochen wird. Herr D stammt aus einer Arztfamilie und hat die Schulzeit in Integrationsklassen durchlaufen, zunächst in der Grundschule, dann in der Gesamtschule, schließlich im BVJ-i einer Berufsschule, von dem er in das Ambulante Arbeitstraining wechselt. Da Herr D bereits, »seitdem er mit der Nase über'n Tisch guckt«, wie die Mutter sagt, klar äußert, dass er Bäcker werden will - »das war auch immer mein Traum« - , macht er auch sein Betriebspraktikum in einer Bäckerei und sammelt weitere Erfahrungen während der Gesamt- und Berufsschulzeit in einer Bäckerklasse des Berufsschulzentrums. Vom Ambulanten Arbeitstraining erhofft sich Herr D laut der ersten Befragung, »dass ich die Arbeit gut mache, dass mein Traum in Wirklichkeit kommt.«
In der ersten Befragung äußert sich Herr D weitgehend sehr zufrieden über seinen bisherigen Weg: Über die Schulzeit insgesamt und das Ambulante Arbeitstraining, das er die ganze Zeit in der Bäckerei verbringt, in der er auch angestellt wird, äußert er eine hohe Zufriedenheit, wenngleich es auch manchmal für ihn sehr anstrengend wird. Lediglich bei der Beschäftigung gibt er nur mittlere Zufriedenheitswerte an, da es vermehrt Probleme mit den Kollegen gibt. Im Integrationspraktikum im neu gefundenen Betrieb dagegen ist er sehr zufrieden, es gibt nichts, was er ungern täte.
Im Rahmen der zweiten Befragung findet das Interview mit Herrn D bei ihm zuhause statt, bei dem anschließenden Gespräch mit der Mutter bleibt er als aktiver Zuhörer anwesend. Sie resümiert seinen Lebensweg: »Ich muss sagen, also von Profis, vom Kindergarten an, hatten wir eigentlich nie ein Problem. Es hat auch nie irgendwer diese Dinge gesagt wie: ›Vergessen Sie 's lieber.‹ Das war davor, das war gleich ganz akut nach seiner Geburt, ... aber das zählt jetzt eigentlich nicht. Sonst haben wir eigentlich mit Profis und sogenannten Profis keine schlechten Erfahrungen gemacht. Wir haben also im Kindergarten eine tolle Kindergärtnerin gehabt, die damals die ganzen Anfangsgeschichten mit der Integration heftig unterstützt hat. Dann kam die Schule ... das war ein Selbstgänger bis zum Ende. Dann kam nachher die (Berufsschule) ... und da haben wir nie Probleme gehabt. Berufsberatung - bin ich nie gewesen, hab' ich machen lassen von den Profis und ich hab' auch nie gehört, dass da so etwas gefallen ist ... ist ja auch ein toller Sohn.« Herr D hat also tatsächlich nie eine Werkstatt für Behinderte kennengelernt. Als die Sprache auf den Schwebezustand nach dem Abbruch des ersten Arbeitsverhältnisses kommt, stellt sich heraus: Herr D hat in der Konditorei inzwischen, nach fünf Monaten Integrationspraktikum, einen Arbeitsvertrag als »Backstubenhelfer« bekommen. Das Interview mit der Assistentin, ursprünglich Sozialarbeiterin, findet in den Räumen der Arbeitsassistenz, das mit dem - neuen - Chef und zeitweilig auch mit dessen Gesellen in der Konditorei statt.
Bezüglich seiner Stärken und Schwächen macht Herr D an mehreren Stellen deutlich, dass er weiss, was er will, und bereit ist, viel dafür zu tun: »Ich bin auch bereit, meinen Traum so in Wirklichkeit umzusetzen.« Er betont: »Also ich arbeite immer im Team, in Teamwerk.« Gleichzeitig weiss Herr D auch um seine Notwendigkeiten für eine gute Arbeit. Als die Mutter sagt, der Geselle im zweiten Betrieb habe einen »guten Blick« dafür, was Herrn D überfordert, betont der: »Ich hab' auch diesen Blick.« Im Vordergrund steht für ihn, dass »ich Zeit brauche, äm, und Zeit brauche.«
Seine Mutter sieht vor allem, dass er »ja auch von Haus aus ein großes Durchhaltevermögen gehabt« hat. »Erstmal war's sein Traumjob, und er hat immer, auch schon in der Schule, ja so eine Form von: ›Das schaff ich‹ ... an den Tag gelegt. ... Und auch so: ›Ich lass mich nicht kleinkriegen‹, so in diese Richtung. Und das hat er dann jetzt auch im Betrieb sehr gut gebrauchen können. ... Das war ja eben schon tatsächlich von ganz klein auf an.« Auch seine unangepassten Verhaltensweisen sieht seine Mutter eher als Stärke, wenngleich ihr das Dilemma bewusst ist, dass von ihm andererseits im Arbeitsleben »viel Anpassungsleistung« erwartet wird, und »er hat das ganz toll gelernt.«
Für die Assistentin hat Herr D »eine hohe Motivation (mitgebracht), grundsätzlich zu arbeiten, grundsätzlich auch außerhalb der Werkstatt ... und in einer Bäckerei zu arbeiten. Also da ist (Herr D) auch wirklich eine Ausnahme gewesen, jemand, der mit einer so klaren beruflichen Orientierung zu uns kommt und, ja, auch alternativen Vorschlägen gegenüber gar nicht offen ist.« Was er weiter mitgebracht hat, »ist durchaus so etwas wie Fachkompetenz, die er in der Bäckerei der (Berufsschule), also in der berufsvorbereitenden Geschichte« erworben hat und er von daher auch schon »eine Fachsprache kannte.« Die Assistentin nimmt ihn wahr als »jemanden, der sehr selbstbewusst ist und formulieren kann oder deutlich machen kann, was er will und was nicht, also wozu er Lust und wozu er keine Lust hat.« Zu Beginn hat Herr D jedoch noch nicht gelernt, »die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen hinter diesen ... Arbeitswerten wie: ›Ich muss auch Arbeiten machen, die mir keinen Spaß machen, ich muss Arbeiten zu Ende machen, auch wenn sie mir zu lang erscheinen und auch nicht schön erscheinen, ich bin plötzlich eingebunden in eine Hierarchie.‹ Das war ja auch etwas, das er sicher so in der Schule nicht gelernt hatte.« Auch später sind, wie die Assistentin feststellt, »seine Möglichkeiten, sich selber durch einen Tag zu pushen, wenn er nicht gut drauf ist, ... wirklich relativ gering, und da braucht er dann Unterstützung von außen.«
Herr D ist für den Chef »ein netter Mann«, der, wie der Geselle ergänzt, »gute Vorkenntnisse gehabt« hat. Der Chef meint: »Er macht seine Arbeit eigentlich ordentlich und zieht das durch.« Manchmal kommt es jedoch auch vor: »Wenn er eine Arbeit machen soll, zu der er keine Lust hat, dann sagt er: ›Oh, ich mache jetzt Pause.‹ Dann gucken die anderen alle, aber dann geht er eben in die Pause. Wir lassen ihn ja auch so ein bisschen. Dann ist er nachher wieder fit und ist wieder da.« Bedeutsam erscheint auch dem Chef ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein bei Herrn D: »Wenn ein Praktikant neu da ist, dann passt er auch auf, dass der die (Sachen) ordentlich macht, wie er sie gemacht hat. Dann sagt er: ›Hier, das musst du so machen.‹ ... Da haben wir dagestanden und nur gestaunt. Er lässt sich da auch nicht wegdrängen, sondern sagt dann: ›Das ist meine Arbeit.‹ Wie wir das dann gemerkt haben, dann muss der Praktikant eben was anderes machen und nicht er, er gehört ja - er ist ja schon länger da.«
Die wichtigste Entwicklung ist für Herrn D der Wechsel in den neuen Betrieb; im vorigen ist immer eine »schlechte Stimmung«: »Aufgeladen war ich« dadurch. Dort herrscht »nicht der richtige Umgehston«, meint er. Wichtig sind seinem Empfinden nach dafür im neuen Betrieb auch »die Ladies«, die es im ersten Betrieb mit reiner Männerbelegschaft nicht gab: »Das ist freundlicher.« Im neuen Betrieb ist darüber hinaus »mehr Ruhe und Zeit.« Auch wenn er seine jetzige Arbeit »prima« findet, stellt Herr D fest: »In meinem Arbeitsleben fehlt noch Zeit, Zeit, viel Zeit und Ruhe und viel Ruhe.« Im zweiten Betrieb hat er schließlich auch neue Abläufe und neue Fähigkeiten gelernt: »Da ist auch eine Waschmaschine, die bediene ich.« Und das allerwichtigste ist für Herrn D: »Also den Arbeitsvertrag habe ich schon. ... Ich bin froh darüber, dass ich den wirklichen Arbeitsvertrag bekomme.«
Die Mutter stellt fest: »Der junge Mann hat am Anfang seines Arbeitslebens ... unheimlich viel gelernt in der Form, dass er seine Arbeiten, die er macht, ganz konzentriert machen kann. Zu Anfang war das immer nur in kurzen Phasen möglich, und er hat Arbeiten auch nicht zu Ende machen können, weil auch die Konzentration fehlte. Das hat er also unheimlich toll gelernt. Er macht jetzt eine Arbeit von Anfang bis zu Ende richtig durch. Er hat gelernt, mit komplizierten ... Konstellationen innerhalb des Betriebes fertig zu werden. Zu Anfang, muss man zugeben, waren die Bedingungen auch nicht so kompliziert, die wurden zum Schluss im ersten Betrieb komplizierter, und er hat ganz toll gelernt, mit diesen Dingen in irgend einer Form klarzukommen. Er hat am Anfang oft mal auch Arbeit verweigert - das geht einfach nicht, dass man das nicht tut, und dass Arbeitgeber darauf auch sehr sauer reagieren. Er hat gelernt, in diesem doch sehr harten Arbeitsleben auch viel einzustecken, was zu Anfang eben zu Wutausbrüchen trieb, und auch Arbeitsverweigerung teilweise. Er hat also gelernt, doch zu kompensieren und hat ... runtergeschluckt, hat ganz viel gelernt, dass man eben zu vielen Dingen besser nichts sagt, ... hat unheimlich viel Anpassungsleistung gelernt. Was aber eigentlich ja gar nicht so unser Ding ist: Anpassungsleistung ist ja ein furchtbares Wort, wirklich schrecklich, aber es ist einfach im Arbeitsleben notwendig - man muss sie haben, wenn man sie nicht hat, kommt man nicht klar. Und er hat das ganz toll gelernt.«
Rückblickend sieht die Assistentin die gleiche Ambivalenz: Im ersten Betrieb sind »die Erwartungshaltungen immer weiter gestiegen, und zwar in einem Maße, das (Herr D) sicher nicht erfüllen konnte.« Er »hat - und das finde ich nämlich eher, das finde ich halt nicht nur positiv, sondern als Problem: Ich denke, er hat auf jeden Fall gelernt, sich selber zurückzunehmen und sich anzupassen und sich auch ein Stück in seiner Persönlichkeit (flüsternd) brechen zu lassen. ... Das ist ein grundsätzliches Problem, ob wir es wirklich gut finden, Leute in unsere Definition von Arbeit mit hineinzupressen.« Gleichwohl sieht die Assistentin als sehr positiv, »dass es ihm durchaus gelungen ist, von dem, was er dort gelernt hat - und nicht nur an sogenannten Schlüsselqualifikationen, sondern auch an Arbeitsfertigkeiten - , dass er durchaus in der Lage ist, diesen Transfer zu machen. Und das, finde ich, sollte auch immer wieder betont werden, weil ja in der Regel unterstellt wird, dass dieser Transfer nicht geleistet wird durch Menschen mit einer geistigen Behinderung.«
Sein neuer Chef ist hundertprozentig mit der Situation zufrieden: »Das läuft alles.« Schon am Anfang, erzählt die Mutter, fällt denen »immer nur der Unterkiefer runter: ›Was der alles kann, Donnerwetter!‹ Nach drei oder vier Tagen sagte der (Geselle) schon: ›Den behalten wir hier.‹« Der bestätigt dies: »Ja, er redet nicht viel. Aber man braucht oft nichts mehr sagen. Er hatte gute Vorkenntnisse gehabt.« Zudem beschreibt der Geselle seine eigene Entwicklung vom anfänglichen Erschrecken zur selbstverständlichen Zusammenarbeit: »Er ist nicht dumm auf der einen Seite, gerade das mit der Zeit behält er eigentlich sehr gut. Für mich war das auch der erste Fall ›mongoloide Behinderung‹. Wo wir die Scheu überwunden hatten, und es war eine Scheu zuerst, erst sieht man die Leute immer und sagt: ›Bloß nichts damit zu tun haben.‹ ... Ja, ist doch so. ... Hier stand er, ohne dass ich die Mutter kannte oder so, und irgend wie habe ich gedacht, kannst dich freuen, dass dein eigenes Kind nicht so ist. Und dass das so gut klappt, hätte ich nicht gedacht. ... Das Mongoloide siehst du nachher nicht mehr. Es sind keine unangenehmen Sachen dabei.«
Seine Zufriedenheit zieht Herr D daraus, dass er seinen neuen Arbeitsvertrag hat und die Arbeit - gerade im Vergleich mit dem früheren Betrieb - insgesamt »prima« ist: »Da ist mehr Ruhe und Zeit. ... Das ist mir wichtig.« Auch seine hohe Zufriedenheit über sein neues Team betont Herr D mehrfach, indem er die Namen der KollegInnen nennt. Und auch die ArbeitsassistentInnen »haben ein Lob verdient.« Obwohl Herr D im neuen Betrieb etwas weniger verdient als vorher, äußert er sich auch darüber zufrieden: »Mit meinem Konto bin ich auch einverstanden.« Er nimmt besonders die eine Stunde später beginnende Arbeitszeit positiv wahr: »Da ist schon hell draußen. ... weil Dunkelheit sehr viel müde macht.«
Auch seine Mutter ist mit der gegenwärtigen Situation hoch zufrieden: »Also was er jetzt macht, ist sowieso schon mal traumhaft. Das hätte ich mir natürlich eigentlich in meinen kühnsten Träumen nie vorgestellt, aber natürlich war's schon irgendwo im Hinterkopf, dass mal irgendwas in diese Richtung passiert, aber das übertrifft eigentlich alle Erwartungen.« Sie ist froh darüber, dass auch im neuen Betrieb wiederum Lohnkostenzuschüsse gezahlt werden und der neue Chef ihr gegenüber ganz offen sagt: »Weißt du, wenn ich jetzt bedenke, nach neuem Gesetz, was ich zahlen müsste, wenn ich keinen Behinderten einstellen würde, da stehe ich mich ja noch viel besser bei.« Andererseits - und darüber freut sie sich noch mehr - sagt er zum Mitarbeiter des Arbeitsamtes: »Den würd' ich auch einstellen ohne Förderung.«
Der Chef selbst sieht insgesamt »gar keine« Probleme bei der Beschäftigung von Herrn D: »Er ist glücklich in der Backstube.« Auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist der Chef mit seiner Entscheidung und zumal mit Herrn D zufrieden: »Ich sehe das so: Weil wir sind ja auch ein bisschen geschrumpft und man sollte ja auch einen Schwerbeschädigten oder so beschäftigen, das würde ja den Status - ... nicht dass ich hinterher die Schwerbeschädigtengebühr da noch extra abführen muss. Da kann ich auch jemanden, der wirklich Lust hat, dann beschäftigen. Der soll um acht Uhr hier sein, er ist manchmal schon um sieben Uhr dreißig da.« Der Geselle stellt als direkter Kooperationspartner fest: »Für (Herrn D) ist das bereichernd, dass er Arbeit hat. Ich denke, das wird ihn glücklich machen.«
Die Assistentin findet die Tatsache, dass Herr D den zweiten Arbeitsvertrag bekommen hat, »so geil, echt! Das ist so geil! Oh! ... Ich glaub', die stehen irgendwie total dahinter. ... Er ist sehr zuverlässig, er kann auch ganz viel, er nimmt ihnen ja durchaus auch viele Arbeiten ab, an manchen Tagen nicht so gründlich, aber das ist inzwischen auch okay. Dann kriegt er deutliche Worte, aber mit denen kann (er) auch umgehen.«
Zur Rolle der Arbeitsassistenz sagt Herr D, »die Arbeitsassistenten, die sind wichtig, weil sie begleiten. ... Das schätze ich.« Sie sind auch seine »Ansprechpartner«, mit denen er alles besprechen kann und die für ihn »einen neuen Arbeitsplatz finden. ... Das habe ich, ich hab' die angesprochen, ... den Arbeitspunkt angesprochen.«
Für die Mutter nehmen die AssistentInnen »dem Arbeitnehmer in dem Betrieb natürlich viele Dinge ab, die er lernen muss, die die aber (im Betrieb) zeitlich gar nicht auf die Reihe kriegen würden, ihm das beizubringen, weil er natürlich länger braucht. ... Die trainieren ihn also, alleine die Fertigkeit, Dinge zu machen. Es wird natürlich geguckt, was und wo's hapert. Auch durch ihre berufliche Qualifikation (haben die) ... einen guten Blick: Wie bring' ich jemanden was bei, was kann ich ihm für Hilfsmittel an die Hand geben? Zum Beispiel dieses Gitter, das er da hat - das mit dem Zählen ist ja für ihn wirklich eine absolute Katastrophe - mit diesem Gitter: kein Problem. ... Das sind so Sachen, diese Ideen haben sie dann, setzen sie auch um. Zu Anfang hatte er zwei so Leisten, die er sich immer angelegt hat, um Schokis aufzunehmen. Da konnte er sich auch toll dran orientieren, die Bleche waren immer genau belegt, war super. Das ist das eine, ihm also Fertigkeiten an die Hand zu geben, die ihn in den Stand setzen quasi, die Dinge zu machen, die er machen muss: Franzbrötchen drücken und dieser ganze Quark, den die da machen. ... Und das zweite ist eben, dass sie diese Vermittlung zwischen dem Arbeitnehmer, dem Chef und ihm, eben dieses Bindeglied irgendwo sind, und eben auf der anderen Seite zu den anderen Mitarbeitern.« Letzteres war im ersten Betrieb offenbar eine Hauptschwierigkeit, »aber jetzt klappt das wunderbar, die Mitarbeiter in Stand zu setzen, (ihn) besser einzuordnen, ihn zu verstehen und mit ihm besser umzugehen, Dinge, die er anders macht als andere, richtig einzuordnen, nicht in den sogenannten falschen Hals zu kriegen, Eigenarten, die er hat, einzuschätzen und damit umgehen zu lernen.« All das hat man im neuen Betrieb »so schnell begriffen, dass ich dachte: ›Wie kann das nur angehen?‹« Sie ermutigt angesichts der zunehmend schwierigen Erfahrungen im ersten Betrieb alle Beteiligten zu mehr Selbstbewußtsein, kritisch zu prüfen, ob ein Betrieb wirklich der richtige ist, auch »wenn er da hundert Mal viel gelernt hat vom Handwerklichen und von den Fertigkeiten her, wirklich unheimlich viel. ... Das ist das eine. Aber es muss beides gut laufen: Er muss gewisse Dinge lernen, aber das Lernen - oder was er da lernt, ist, denke ich, zweitrangig zu dem, atmosphärisch, wie er das lernt! Denn wenn er es gut lernt, lernt er auch sehr viel. Und deshalb ist es um so erstaunlicher, dass er da so viel gelernt hat. Das wiederum ist der Arbeitsassistenz ... auch wieder positiv anzumerken. Die haben sich da wirklich unheimlich reingehängt, die haben ja (ihn) begleitet und begleitet, und zum Schluss waren sie ja vier Mal die Woche da!«
Die zunächst genannten Funktionen werden auch von der Assistentin bestätigt, wenngleich, »was die Fertigkeiten angeht, das ... häng' ich inzwischen auch eh nicht mehr so hoch. Also Fertigkeiten zu qualifizieren ist das geringste Problem hier. Das kann man tun, das ist was sehr Handfestes und Greifbares.« Die eigentlich zentrale Funktion der Arbeitsassistenz sieht sie hier dagegen in Folgendem: »Ganz wichtig ist es gewesen, dass wir dahintergestanden haben. ... Wir konnten es uns vorstellen und wir mussten das auch immer wieder transportieren. Also eine gewisse Hartnäckigkeit unsererseits ist sehr wichtig gewesen.« Es ist für die Assistentin sehr anstrengend, »dieses immer wieder dranbleiben und nicht aufgeben, selbst wenn alle Seiten - oder was heißt alle Seiten? - alle Kollegen, ich weiß nicht, wer alles sagt: ›Das geht doch alles nicht.‹ ... Durchhalten war ein großes Thema für diesen Integrationsprozess.« Sie bekräftigt, »dass es sowohl Herrn D als auch alle Beteiligten sehr viel Kraft gekostet hat. Ihn auch immer wieder zu motivieren, war ein ständiger Prozess, einfach zu gucken: ›Mensch, Junge, was brauchst du denn jetzt eigentlich, damit du das durchhältst? Oder bis wohin hältst du durch? Bis wohin nicht mehr? Also wo sind deine Grenzen? Aber wo können wir dich auch noch mal schubsen?« Die Kraftquelle dafür ist für die Assistentin »ein ungeheurer Wille gewesen, dass ich wollte, dass es funktioniert. Das hat ja auch was mit der eigenen Motivation zu tun.« Die Schattenseite dieser hohen Identifikation mit dem Projekt und des hohen Erfolgdrucks, überlegt die Assistentin, könnte sein, »es dadurch vielleicht auch ein bisschen überreizt zu haben in der Länge, das kann schon sein, also in der Länge dieses Beschäftigungsverhältnisses.« Auch die Frage nach der Alternative lässt sie zögern: »Ich habe gedacht, wir finden nicht so schnell einen vergleichbaren Arbeitsplatz, denn von den Tätigkeiten her war es ein guter. Man muss sich letzten Endes nicht vormachen, dass die ... Arbeitswelt darauf wartet, dass wir mit Arbeitskräften wie zum Beispiel mit (Herrn D) kommen. Also das war meine große Angst, so zu sehen: Wir scheitern, also (er) scheitert und wir natürlich damit auch, das ist klar. Und er muss halt doch in die Werkstatt, was für ihn, denke ich, absolut niederschmetternd gewesen wäre, weil er ist ja nun mal auch ein Integrationskind.«
Für den neuen Chef im zweiten Betrieb liegt die Funktion der Assistenz vor allem in der konkreten Anleitung: »Die passen ja so ein bisschen auf ihn auf, dass er das richtig macht. ... Und wenn er dann im Moment nicht so weiß, dann sagen die: ›Komm her, das muss so sein.‹ Und passen auf ihn auf.« So besorgen zum Beispiel die AssistentInnen - nicht nur zu Herrn D's Nutzen - »so ein Gitter (...), wo er die Brötchen reinlegt. Das haben sie mitgebracht. Das fand ich ganz toll, das konnte selbst unsere Putzfrau nachher benutzen, damit die Brötchen richtig draufliegen, oder Lehrlinge, die nicht gerade gucken können. Da gehen 35 Brötchen auf das Blech, die liegen alle an einer Seite zusammen, das geht ja nicht. Die müssen ja richtig nach Schema verteilt werden. Und da hat er so Holzleisten, das Gitter macht er drauf und dann legt er die da rein. ... Wir haben selbst gestaunt, warum wir nicht auf die Idee gekommen sind. ... Da gibt es auch verschiedene Größen, da hat sich die Arbeitsgemeinschaft echt Gedanken gemacht.«
Ohne die Arbeitsassistenz - da sind sich fast alle einig - wäre klar, wo Herr D sich befände: »Kurz und trocken: Werkstatt«, meint die Mutter, »das wäre ohne Arbeitsassistenz gar nicht möglich, völlig undenkbar.« Und dort, so die Assistentin, hätte Herr D »nicht ein Viertel von dem gelernt, was er heut' kann.« Auch der Chef meint, ohne die Assistenz »würde es auch nicht gehen, denke ich mal.« Nur Herr D ist der Meinung, er würde sich »selbst darum sorgen«, dass er seinen Traum verwirklicht.
Die Rolle im Betrieb unterscheidet sich bei Herrn D, so Mutter und Assistentin übereinstimmend, eklatant zwischen den beiden Betrieben, in denen er tätig ist. Im ersten Betrieb schildert die Assistentin seine »Realsituation: ›Ich hab' 'n Chef, ich hab' 'n Meister, ich hab' 'n Gesellen, ich hab' Auszubildende und ich, (Herr D), steh da ganz unten! So!‹ Also gut, ich denke, man kann da unten schon auch noch andere Leute mit ansiedeln, aber sicherlich ist (er) erstmal derjenige, der - allein von seinem Äußeren, also aufgrund der sichtbaren Behinderung - prädestiniert dafür ist, unten zu bleiben.« So steht es jedenfalls - auch im Kontrast zu Herrn D's schulischen Erfahrungen - in diesem Betrieb, »der nicht dazu in der Lage gewesen ist, anders zu denken, eine andere Sicht zu bekommen.« Hier gibt es zum Schluss »überhaupt keine Anerkennung mehr von wirklich existenten Grenzen, dass (er) zum Beispiel nicht zählen kann, und es wurde alles, was sie von ihrer Seite aus hätten tun müssen, was meiner Ansicht nach nicht zu viel gewesen wäre, ... als eine wahnsinnige Überbelastung von seiten der Kollegen beschrieben. Dafür sind auch betriebliche Zusammenhänge verantwortlich. ... Das ist kein Spiel, das dort zwischen (ihm) und den Kollegen alleine stattgefunden hat.« Hier sieht sie auch das Verhalten des Chefs und betriebsinterne Spannungen als wichtige Anteile. Herr D »war halt ein geeignetes Objekt, diesen ganzen Frust abzulassen und Arbeitsassistenz eignet sich dann auch dazu, den Frust abzulassen. ... Und das Schlimmste war, fand ich, dass (ihm) diese große Lustlosigkeit unterstellt wurde und dieses: ›Wenn er will, dann kann er ja!‹ Wo ich gedacht hätte, sie müssten doch längst verstanden haben, dass das so nicht stimmt. Dass sie es zum einen nicht gelernt haben, ihn wirklich zu motivieren, was auch mit einem relativ geringen Aufwand ganz gut funktioniert, so. Und sie hätten eigentlich wissen müssen: Er kann es zum Teil nicht wirklich alleine.«
Die Mutter schildert die Situation, die zunehmend Züge des Mobbings enthält: »Der Druck wurde ja zum Schluss ja so gross, dass (er), trotz aller Möglichkeiten, die er gefunden hat, das irgendwie für sich klarzukriegen, doch solche massiven ... Erscheinungen bot, dass wir einfach nicht mehr umhin konnten, da drum herum zu gucken, und zu sagen also: ›Komm, halt durch, das wird schon‹ und sowas - solche Durchhalteparolen haben wir ja zum Schluss viel gebraucht. Also nachher war's so, dass ihm morgens übel wurde, wenn er hin musste ..., dass er auch im Betrieb gebrochen hat. ... Nachher ging es ihm so auf den Magen, und er hatte so einen Widerwillen, dass dann bei uns natürlich also ab einem gewissen Zeitpunkt alle Alarmglocken angingen. Und dann hieß es nur noch: Wie regeln wir's jetzt? Er muss da weg! Denn sonst wird er krank, er wäre, glaub' ich, krank geworden. Denn der Druck war einfach so unerträglich nachher, die Atmosphäre in diesem Betrieb, die war so geladen von Aggression und Antipathie - also ich muss ganz ehrlich sagen, ich hätt' schon viel eher aufgesteckt. Also wie er das gemacht hat, ist uns nach wie vor ein Rätsel. Er hat also irgendwie für sich immer noch wieder eine Möglichkeit gefunden.« Nun finden entsprechende Absprachen mit der Arbeitsassistenz statt: »Die haben dann nachher nach längerem anfänglichen Zögern, will ich mal sagen, weil immer noch bei denen im Hintergrund stand, so 'n tollen Betrieb kriegen wir nicht wieder, dann aber auch uns beigepflichtet und gesagt: ›Also das geht nicht, wir suchen 'nen neuen Betrieb.‹ Das war erst mal so intern unter uns, da wusste der Betrieb noch gar nichts von.« Nachdem die Situation in den letzten drei Monaten eskaliert, ist Herr D soweit, eine »Kündigung aus(zu)sprechen.« Als »Tüpfelchen auf dem i« und »ganz mies« empfindet die Mutter das Verhalten beim Abschied: Als Herr D mit den beiden AssistentInnen ein letztes Mal zur Verabschiedung kommt, »morgens um neun, an einem Freitag, war keiner mehr da. ... Die hatten fluchtartig offensichtlich diesen Betrieb verlassen, da hat sich bis auf die Konditoren, die immer sowieso aussen vor waren, keiner von ihnen verabschiedet, die waren alle weg.« Herr D ergänzt: »Der Chef hat geschlafen.« Und zusammenfassend stellt er fest: Das war »ein Pech in Tüten.«
Nachdem Herr D dazwischen lediglich einen Vorstellungstermin in der hauseigenen Bäckerei eines Nobelhotels hat, gestaltet sich die Situation im zweiten Betrieb - wie beschrieben - ganz anders. Herr D selbst betont, dass er mit zwei Männern und den »Ladies ein Team« ist. Seine Assistentin hebt hervor: »Die betriebliche Atmosphäre dort ist besser, d.h. sie sind offener und gerade der (Geselle) ... ist sehr neugierig gewesen auf dieses Projekt, so eine Offenheit einfach, und war sicherlich auch so 'n bisschen in seinem Gefühl gekitzelt: Er kriegt das schon hin.« Auch die Mutter bestätigt eine andere Grundhaltung. So sagt der Geselle »einmal: ›Ja, ... den kann man ja gar nicht überfordern oder so, das wäre ja wahnsinnig, der würde dann ja gnatzig werden.‹ Und das müsste man dann ja auch respektieren, denn das wäre dann wohl zu viel für ihn. ... Und das habe ich in dem anderen Betrieb nicht einmal gehört.« Dass das Team in der Konditorei aus Frauen und Männern in unterschiedlichem Alter besteht, die teilweise auch Eltern sind, empfindet die Mutter als »unheimlich gute Mischung.« Bei »zu lieben« Frauen sieht die Mutter die Gefahr, dass Herr D sie »für sich losschickt.« Jedoch betont er: »Das ist abgestellt.« Hilfreich mag auch gewesen sein, dass die AssistentInnen beim zweiten Betrieb »anders gestartet sind als beim ersten, also von den Erfahrungen heraus noch mal klarer und deutlicher auch wirklich Grenzen formuliert haben. ... Schon zu betonen: ›Guck mal, was er alles kann!‹ Aber durchaus auch zu sagen: ›So, und das war jetzt eine Situation, die werdet ihr häufiger erleben wahrscheinlich. Das ist normal, das gehört zu (ihm), und dann könnt ihr das und das machen.‹ Das, denke ich, war der bessere Weg.«
Der Chef sieht Herrn D in seinem Betrieb im Unterschied zu anderen, vermutlich auch zum vorigen Betrieb als akzeptierteren Mitarbeiter: »Das ist hier wahrscheinlich mehr wie in einem anderen Betrieb.« Dies ist so, obwohl die MitarbeiterInnen nicht auf Herrn D vorbereitet wurden: »Gar nicht, nein. Die haben zwar alle geguckt ...« Eher entsteht, so der Geselle, Überraschung darüber, »dass das so gut läuft in der Zusammenarbeit.« Wie auch die Assistentin schildert, betont auch der Geselle einen sehr normalen Umgang mit Herrn D: »Wenn ich ihm sage, mach das sauber, dann sehe ich, dass er nach einem aufhört, und wenn ich ihm dann sage, da sind noch drei, dann fängt er wieder an. Nö, aber so muss das auch laufen.«
Zu seinen Zukunftsperspektiven bemerkt Herr D entschlossen: »Die halte ich auch, die zweite Chance.« Seine Mutter erwartet, »dass der Job jetzt weiter gut läuft, dass das auch weiter gut klappt, und dass (er) irgendwann dann auch diesen Job ganz alleine ausführt, ohne Arbeitsassistenz, dass das vielleicht auch noch irgendwann wird, und dass er dann natürlich ganz auf eigenen Füßen steht, irgendwann mit Ausziehen und Wohnen.« Nur wenn der Inhaber seinen Betrieb aufgibt oder verkauft, dann stellen sich neue Fragen. Auch die Assistentin sieht Herrn D in einiger Zeit ohne Unterstützung in diesem Betrieb arbeiten: »Dieser Betrieb kriegt das alleine hin!« Und der Geselle sieht dies genau so: »Wenn die mal nicht mehr kommen, dann ist er hier ein fester Bestandteil durch das, was er kann, und das verdient er dann auch. Und dann muss das auch gehen.«
Wichtige Aspekte bei Herrn D
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Herrn D lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Bei Herrn D und seinem Umfeld kommt eine langfristige integrative Orientierung zum Tragen. Dieser Weg wird konsequent seit dem Kindergarten gegangen.
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Wenn wie bei Herrn D das Arbeitsverhältnis in einem Betrieb beendet werden muss, bedeutet das nicht den Absturz unterstützter Beschäftigung und das Ende aller integrativen Perspektiven; vielmehr gelingt es hier innerhalb kurzer Zeit, über das Integrationspraktikum einen anderen Betrieb zu finden und einen neuen Arbeitsvertrag zu erreichen.
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Herr D ist sehr deutlich in der Lage, Fähigkeiten auf der Grundlage der Arbeit im ersten Betrieb auf den zweiten Betrieb zu transferieren, und zwar nicht nur allgemeine Arbeitstugenden oder Schlüsselqualifikationen, sondern auch konkrete berufsfeldbezogene Fertigkeiten. Dies kann er als jemand, dem eine geistige Behinderung zugeschrieben wird. Auch das Phänomen, dass Herr D seit langer Zeit ein Bild seiner Zukunft antizipiert, steht in einem Spannungsverhältnis zu den Attributen, die einer geistigen Behinderung zugeschrieben werden.
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Herr D kann als Beispiel gelten, bei dem großes Selbstbewusstsein und starker Durchhaltewille, also ein Glaube an sich und seine Möglichkeiten viele Schwierigkeiten überdauert und überwindet. Deutlich ist auch seine Teilnahme an und seine Fähigkeit zu Reflexionsprozessen, die im Gespräch mit der Mutter immer wieder aufblitzt mit seinen kurzen, einfachen Sätzen. Es ist möglich, dass sich in beidem auch die Sozialisation im integrativen Schulkontext widerspiegelt (vgl. Herrn D als Markus in der Nanu-Geschichte »Differenzierte Wahrnehmung sozialer Prozesse - oder: ›Du lügst!‹«, in BOBAN & HINZ 1993, 330f.).
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Angesichts dieses starken Durchhaltewillens und Standhaltens wird um so mehr der Druck zur Anpassung an betriebliche Strukturen und ggf. an Hierarchien deutlich - vor allem im ersten Betrieb.
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Wenn der Chef eines Betriebes unterstützte Beschäftigung ermöglicht, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Beschäftigungsverhältnis auf der Ebene der KollegInnen erfolgreich verläuft - ohne dass der Grund des Scheiterns bei der unterstützten Person liegen müsste. Entscheidend ist das vorherrschende Menschenbild, das sich im Betriebsklima ausdrückt, und hier insbesondere das Bild von Menschen mit Behinderung und damit verbunden die Fähigkeit, individuelle Fähigkeiten und Begrenztheiten realistisch wahrzunehmen.
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Im zweiten Betrieb wird am Beispiel der Gitter für Backbleche deutlich, dass die Arbeitsassistenz nicht nur für die unterstützte Person produktive Prozesse in Gang setzt, sondern für den Betrieb insgesamt; dies erfährt dort hohe Wertschätzung.
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Die Arbeitsassistenz steht, das macht die Situation von Herrn D deutlich, vor der Herausforderung, zumindest zwei Gratwanderungen zu bewerkstelligen: zum einen zwischen dem Herauslocken von Potentialen und der Überforderung der unterstützten Person sowie zum anderen zwischen dem Standhalten angesichts von Schwierigkeiten einer Situation und deren Beenden.
Ansätze zur Interpretation
Herr D hat sein offenkundiges Stigma unter den Bedingungen (vor-)schulischer integrativer Kontexte offenbar einschätzen und Strategien des Umgangs damit gelernt, denn er zeigt eine spezifische Gelassenheit und Souveränität. Unter dem Blickwinkel der Stigma-Theorie kann die Geschichte von Herrn D interpretiert werden als Beispiel dafür, in welchem Maße ein offensichtliches Stigma in verschieden Umfeldern unterschiedlich bedeutsam wird. Der Zuschreibungscharakter wird überdeutlich: Im einen Betrieb wird der Frust aufgrund eines offenbar schlechten Betriebsklimas am ›letzten Kollegen‹ abgelassen. Geradezu klassisch erkennbar ist hier die Aufrechterhaltung negativer Stigmatisierung durch selektive und verzerrte Wahrnehmung, um durch Projektion verdrängte Aggressionen und verschobene Frustrationen auf einen Sündenbock abzuschieben. Neben dieser Entlastungsfunktion der fortgesetzten Diskreditierung könnte hier auch die Strategie der Erhöhung der eigenen Identität und die Wiederherstellung des gefährdeten seelischen Gleichgewichts sich sonst minderwertig fühlender Kollegen durch die betonte Abgrenzung von der zugeschriebenen Andersartigkeit und Unzulänglichkeit eine Rolle spielen. Es ist zudem davon auszugehen, das die Visibilität des Down-Syndroms die Stigmatisierung verstärkt: Auf der Grundlage eines Stigmas tendieren die Stigmatisierer dazu, weitere negative Eigenschaften und Unvollkommenheiten zu unterstellen. Dieser Prozess ist ein überaus kränkender, den Herr D jedoch lange aushält und kompensiert, auf den er aber schließlich psychosomatisch reagiert.
Im anderen Betrieb wird Kollege D zunächst zwar als Diskreditierter gesehen, nach dem Kennenlernen jedoch mit Interesse und Sympathie und einer Portion Überraschung ob seiner gezeigten Fähigkeiten wahrgenommen. Hier besteht das negative Stigma vor allem in der Phase des Einstiegs und hat vorwiegend eine Orientierungsfunktion, die der Vorausstrukturierung sozialer Situationen dient; durch die Zuschreibung soll eigene Unsicherheit verringert und Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten sollen aufrechterhalten werden.
Die AssistentInnen von Herrn D fungieren im ersten Betrieb als Stigma-Manager in dem Sinne, dass sie zum einen am Können und Verhalten (später zunehmend dem Durchhaltevermögen und Stärken von Verarbeitungsstrategien) von Herrn D arbeiten, zum anderen, indem sie - zunehmend verzweifelt - versuchen, an den Zuschreibungen des Umfeldes anzusetzen, um hier positive Veränderungen zu bewirken. Erst als dies aus Gründen, die gar nicht direkt mit Herrn D zu tun haben, immer weniger als möglich erscheint, suchen sie nach einem neuen Betrieb, wo sie es wiederum als eigentliche Aufgabe sehen, die Haltung des Umfelds zu Herrn D konstruktiv zu beeinflussen und zu Entstigmatisierung beizutragen.
Aus Sicht der Theorie integrativer Prozesse gerät das Spannungsfeld im ersten Betrieb immer mehr zu einer Schieflage zum Pol der Gleichheit, wenn auf der interaktionellen Ebene unangemessene Forderungen der Kollegen an Herrn D gestellt werden, er also nur eine Chance auf Akzeptanz hätte, wenn er es ihnen gleichtun könnte. Dieser Versuch der Gleichmacherei kann jedoch unmöglich gelingen, auch wenn die AssistentInnen zunächst überwiegend an Anpassungsmöglichkeiten von Herrn D arbeiten und erst in zweiter Linie auch um Anpassungsleistungen des Betriebes ringen. So kippt das Kollegenverhalten von der nicht gelingenden Vereinnahmung zur Kooperationsverweigerung. Der eigentlich in sich ruhende Herr D, der nach Wahrnehmung seiner Assistentin und seiner Mutter mit sich selbst bricht, um die gewünschte Anpassungsleistung zu erbringen, erfährt nur partielle Gemeinsamkeit mit den Konditoren, aber Aussonderung und Exotisierung im Kreise seiner eigentlichen Kollegen - und den mit ihm identifizierten AssistentInnen geht es genauso. Als diese Verhältnisse sich schließlich als Symptom somatisieren - er erbricht sich in die Backstube -, erreicht Herr D endlich den Punkt, das Verhältnis zu brechen und selbst zu kündigen.
Im neuen Betrieb, in den Herr D seine erworbene Fachkompetenz transferiert, dominiert hingegen Überraschung über seine ihm so nicht zugetrauten Fähigkeiten und deren uneingeschränkte Anerkennung. Er darf aber auch seine Fähigkeits- und Belastungsgrenzen haben: Rückzugsverhalten wird ihm zugestanden und Ungewöhnliches, wie das zu frühe zur Arbeit Kommen, wohlwollend angenommen. Damit ist hier eine tragfähige Balance von Gleichheit und Verschiedenheit, von Annäherung und Abgrenzung gegeben, die die Assistentin zuversichtlich an die sukzessive Verringerung ihrer Präsenz und Assistenz ins Auge fassen lässt.
Herr E, 20 Jahre alt, arbeitet seit 1 1/2 Jahren mit voller Stelle in der Druckerei einer Werkstatt für Behinderte, zu der er aufgrund eines Weges durch die halbe Großstadt mit dem Fahrdienst gebracht wird. Dort ist er mit Sortier- und Faltarbeiten beschäftigt. Herr E kommt aus einer Facharbeiterfamilie, seine Mutter ist seit langem allein erziehend, es gibt aber ein enges, großfamiliäres Netz mit vielen pädagogisch ausgebildeten Personen. Herr E hat eine Geschichte als Integrationsklassenschüler in Grund- und Gesamtschule hinter sich. Danach geht er über in den BBE-i, zu dem er mit dem Fahrrad fährt. Da zu diesem Zeitpunkt das Integrationspraktikum noch nicht existiert, wird Herr E zunächst ein Jahr lang als Mitarbeiter auf einem Werkstatt-Außenarbeitsplatz geführt, bevor er dann offiziell für vier Monate ins Integrationspraktikum kommt. Dies wird jedoch abgebrochen, und es erfolgt der Übergang in die Werkstatt für Behinderte.
In der ersten Befragung äußert sich Herr E über seinen bisherigen Weg sehr positiv, was die Schulzeit, den BBE-i und das Integrationspraktikum angeht. Während Herr E angibt, dass sein ursprünglicher Berufswunsch Tischler ist, sieht er die Berufsberatung als sehr positiv, die ihm Perspektiven wie die Arbeit in einer »Kantine oder in anderen Bereichen« aufzeigt. Lediglich bei seiner Beschäftigungssituation gibt es nur eine mittlere Zufriedenheit; obwohl er die Tätigkeit »Papier falten« selbst mag, wünscht er sich doch eine »neue Arbeit«, zumal er in der Werkstatt für Behinderte, wie er betont, keine neuen Freunde gefunden hat.
Im Rahmen der zweiten Befragung findet ein gemeinsames Interview mit Herrn E und seiner Mutter in deren Wohnung statt. Seine damalige Arbeitsassistentin, ursprünglich Lehrerin, die Deutsch als Zweitsprache spricht, wird in den Räumen der Arbeitsassistenz und sein derzeitiger Gruppenleiter in der Druckerei der Werkstatt für Behinderte befragt.
Seine Stärken und Schwächen benennt Herr E nicht direkt, er legt aber großen Wert darauf zu zeigen, was er am Computer tut. Als seine Mutter - ebenso wie dies auch die Assistentin sieht - erklärt, er schreibe nur ab, weil er nicht lesen könne, betont er: »So manches kann ich schon.« Ansonsten gehen Aussagen von anderen Beteiligten über Stärken und Schwächen von Herrn E auseinander: Seine Mutter meint, er »kann ... ganz schlecht so Kontakt knüpfen.« Der Gruppenleiter führt aus, »er sucht den Kontakt, manchmal schon so, dass es schon die anderen stört und nervt. ... Er hat ab und zu so eine plumpe Art auf jemanden zuzugehen und das stößt so einige - nicht ab, aber die mögen das dann halt nicht so. ... Er geht auf die anderen zu, aber irgendwie ... nicht so ... zurückhaltend: ›Hallo‹ und so, sondern: ›Wuff - da bin ich!‹ Das bezeichne ich jetzt so als plump.« Dagegen sieht die Assistentin bei Herrn E ein hohes kommunikatives Potential: Er »ist super sympathisch, also wirklich Sympathieträger ohne Ende. ... Wenn man mit ihm privat was unternimmt, was wir auch ganz oft gemacht haben, dann öffnet er sich und erzählt und sagt Sachen, wo man das überhaupt von den Leuten nicht erwartet.« So macht Herr E Begeisterung und Sympathie deutlich: »Das ist unglaublich, sowas zu erleben, wie man das auch wirklich zeigt und sagt - ganz offen und unproblematisch, und das war schön. Und das war das Positive bei ihm.« Dabei »braucht (er) Zeit, um Kontakte« zu knüpfen. »Er kann Freunde haben und er macht das auch gerne, ... und es ist unglaublich, was du alles mit ihm erleben kannst, wenn du nicht da am Arbeitsort bist. ... Er kann auch anders reden dann.«
Die Assistentin vermutet weiter, dass »wenn (Herr E) Sachen gemacht hätte, die ihm Spaß gemacht haben, dann konnte er auch, glaube ich, kontinuierlich arbeiten. Er hat großes Interesse gehabt, am Computer zu arbeiten. Und da konnte er stundenlang dasitzen. ... Er gehört zu den Leuten, die nicht lesen und schreiben können, aber er schreibt gerne nach, also Buchstaben abschreiben, das hat ihm super viel Spaß gemacht. ... Also da kriegst du mit ihm wirklich sofort einen Kontakt und kannst was machen.« Auch in einem Kindergarten, in dem sich auch zwei Kinder mit Down-Syndrom befinden, hat Herr E »sofort natürlich Kontakt aufgenommen, ... und die haben ihn auch verstanden, weil das war noch ein Problem, (ihn) zu verstehen, was er gerade sagte. Man musste sich da schon ziemlich viel Mühe geben.« Jedoch »alleine Entscheidungen zu treffen, war für ihn schwierig.« Generell will die Assistentin aber »das nicht so sagen, dass er schwach oder schwierig ist.« Sie benennt als für sie zentralen Punkt bei Herrn E, zumal an einem für ihre Begriffe falsch gewählten Arbeitsort: »Er ist überhaupt nicht motiviert zu arbeiten, und das ist das Problem. Ich kann jetzt nicht sagen, was wäre, wenn er wirklich motiviert ist. ... Das war das einzige Problem.« So ist Herr E von allein nie »auf die Idee gekommen, jetzt was Neues anzufangen. Also da muss immer jemand kommen.« Überhaupt ist Herr E »sehr behütet von Anfang an. ... Die (Herr E und seine Mutter) haben alles zusammen unternommen. ... Zum Schwimmen ist sie mit ihm und da und hier und so.«
Der Gruppenleiter in der Werkstatt für Behinderte sieht ebenfalls eine starke häusliche Behütung: »Ich hab' das Gefühl, als wenn sie ihm sehr sehr viel abnimmt. Dass er zuhause also kaum was machen braucht. ... Er muss selbständiger werden.« Überhaupt hat Herr E für den Gruppenleiter »weder Stärken noch Schwächen. Wie gesagt, seine Schwäche ist seine Verspieltheit - und Stärken? Er ist relativ langsam in seiner Arbeit, obwohl er dabei dann auch sehr genau ist.« Der Gruppenleiter sieht das gleiche zentrale Problem bei Herrn E wie die Assistentin, nämlich »dass er gar nicht so richtig realisiert, dass er hier auf der Arbeit ist. Für ihn ist das ... ein Spiel. Das ist nicht ... Arbeit und damit verdiene ich Geld. ... Wir haben auch schon manches Mal gedacht, dass er in der Werkstatt so in der Art, wie er sich dann gibt, gar nicht so richtig aufgehoben ist - in der Tafö (Tagesförderstätte, d. Verf.) vielleicht etwas besser. ... Weil hier ist Arbeit gefordert. Und hier muss er auch ab und zu mal unter Druck gesetzt werden, wenn irgend etwas Eiliges da ist, und da ist er sehr mit überfordert.« Im großen und ganzen resümiert der Gruppenleiter zur Arbeitsleistung: Herr E »muss sich da sehr sehr drauf konzentrieren. Und Konzentration ist nicht irgendwas, was er gerne mag. Er macht auch seine Arbeit, so ist das ja nicht. Nur er liegt also... irgendwo unter dem Durchschnitt. ... Er sitzt immer so am untersten Minimum, was die Arbeit angeht.« Auch die Mutter zweifelt daran, ob ihr Sohn eine Idee von Arbeit hat: »Arbeitsbegriff - ich weiß nicht, ob er da überhaupt Vorstellungen davon hat, was das alles so bedeutet.« Sie resümiert: »Das ist ja das Problem. ... Man kriegt nie klar raus, was er im Leben möchte überhaupt.«
Entwicklungen thematisiert Herr E selbst nicht, lediglich sein Satz »so manches kann ich schon« mag ein Hinweis auf seine Sicht seiner Entwicklung sein. Obwohl seine Mutter nie Zweifel über die Richtigkeit des integrativen Weges für ihren Sohn gehabt hat, zieht sie rückblickend ein sehr kritisches Resümee über die Professionellen: »Seine ganze Integration hab ich keinen Menschen gefunden, der ihn 'n bisschen mal so als Betreuer ... richtig gefördert hat, da war nie einer, ... auch während der Schulzeit. Er hatte nie eine richtige Betreuung, von Anfang an nicht. ... Ich bin keine Pädagogin, ich konnte ihm auch nicht dies beibringen: Lesen, Schreiben. ... Auch in der Gesamtschule, da lief das mit dem Personal - die wechselten sehr häufig, ne, und der letzte (Sonderpädagoge) hat gesagt: ›Da ist der Zug abgefahren. Die lernen nix mehr.‹ ... Ja, mit Lesen, Schreiben.« Auch insgesamt findet sie, »die Schulzeit war weniger schön, da hatte er kaum Freunde. Da ist auch nie irgend jemand mitgekommen.« Dies ist im BBE-i anders: »Er hat noch zwei Freunde aus 'm Förderlehrgang, nichtbehinderte, die kommen ab und zu mal und besuchen ihn. ... Da hat er auch mehr Kontakt gehabt.« Den BBE-i erinnert sie als »Traumzeit für ihn, also da schwärmt er immer noch von.« Bei der Arbeit im Bistro, einem Projekt mit Ernstcharakter, »da ist er richtig aufgelebt.«
Eigentlich, meint seine Mutter, wollte Herr E »immer ins Büro, er wollte Akten sortieren oder Akten tragen und mit Papier wollte er was arbeiten. ... Aber da das sehr schwer ist, einen Praktikumsplatz zu bekommen, waren sie alle froh, wenn sie irgendwas gefunden haben.« Im Kindergarten zu arbeiten, »von ihm persönlich war das nicht sein Traum.« Die Mutter von Herrn E sieht dort Schwierigkeiten, die mit dem Auftauchen der Arbeitsassistenz rapide zunehmen: Ihr wird vermittelt, dass ihr Sohn »jetzt schneller arbeiten müsste, und es ist zu langsam. ... Man könnte ihn nirgendswo anders reinsetzen in eine Arbeitsstelle, nicht vermitteln, weil er das Pensum nicht schafft.« Dieser zunehmende Stress führt zu Konflikten: »Dann waren sie früher fertig mit der Küche oder was und dann sollte er die Schränke noch mal putzen und das hat er dann verweigert, und dann kriegte er 'ne Abmahnung ... von der Arbeitsassistenz, sowas kannte ich gar nicht. ... Nur so 'ne Dinger liefen da und, na, zumindestens ich hab' sehr darunter gelitten, weil er mit Angst da hingegangen ist. ... Und welcher Mensch mag mit Angst zur Arbeit gehen?« Dies berichtet Herr E auch seinen Verwandten, die in diesem Kindergarten arbeiten. Nachdem die Mutter eine Zeit lang nichts mehr hört, gibt es »ein großes Treffen im Büro der Arbeitsassistenz und dann hieß es also: Das geht nicht mehr da im Kindergarten, er müsste in die Werkstatt. Und in der Werkstatt sollte er sein Training machen.« Als diese Erprobung nach einem Monat endet, gibt es keinen freien Werkstattplatz für Herrn E. »Und da hab ich gesagt: ›Wie kann man ihn da aus dem Kindergarten nehmen und es gibt überhaupt keine Werkstatt für ihn?‹ Und weißt', wo er hin sollte? Er sollte in so 'n Tagesheim rein zur Aufbewahrung. ... Ja, so 'ne Dinger haben die mit uns gemacht. ... Und da hab ich gesagt, mein Sohn kommt da nicht rein in die Tagesstätte. Und dann habe - die mochten ihn ja sehr gerne im Kindergarten, er war ja beliebt und alles - und da habe ich da nachgefragt, ob er nicht da wieder arbeiten könnte ohne Arbeitsassistenz.« So arbeitet Herr E dort mehrere Monate unversichert, bevor sich die Möglichkeit eröffnet, in einer weiter entfernten Werkstatt für Behinderte einen Platz zu bekommen. »Zum Anfang war ihm das ein bisschen unangenehm, die Masse da, ... weil da so viele auf einen Haufen sind. Da hatte er so ein bisschen Schwierigkeiten.« Nach einem Jahr hat die Mutter das Gefühl, »dass es ihm da gut geht. ... Er kommt immer ganz fröhlich nach Hause: ›War toll‹, ›war gut.‹« Insofern möchte seine Mutter »nun mal gar nix« ändern: »Was soll ich mich da immer wieder neu, wenn es da nicht klappt, dann muss ich wieder suchen und - er ist jetzt da fest. Jetzt haben wir den Sprung leider machen müssen, was ja nie uns im Traum einfiel, dass er da in 'ne Werkstatt kommt. Da war ich ja vom ersten Moment an, wie er geboren wurde, hab ich gedacht: ›Da kommt er nie rein!‹ ... Nee, ich hab mich abgefunden.« Dabei sieht sie die Werkstatt für Behinderte jetzt nicht anders als vorher: »Nein, das kannst du (dort) nicht, ein anderes Licht sehen.«
Die Assistentin versucht, die Etappen der Entwicklung von Herrn E zu rekonstruieren, was sie selbst als schwierig ansieht. »Wir kennen auch die Vorgeschichte nicht. Wir haben das bis zum Schluss nicht rausgefunden, wie das, warum das passiert ist.« Eigentlich steht Herr E im dritten Jahr des BBE-i kurz vor einem Arbeitsvertrag. Nach ihrem Wissen sorgen jedoch PädagogInnen aus dem familiären Umfeld dafür, dass er stattdessen in einen Kindergarten wechselt, an dem diese selbst beteiligt sind. Für die Assistentin ist »er da unterfordert, als wir gekommen sind, haben wir sofort festgestellt. ... Er hat dort von acht bis halb vier gearbeitet. Das ist unglaublich viel Zeit, wo da nur 20, 30 Becher abzuwaschen waren, und das wirklich eigentlich für mich ... Arbeit für eineinhalb Stunden« war. Ein Verwandter, der dort arbeitet, »hat alles gemacht ... und (Herr E) hat sich da um Kleinigkeiten gekümmert.« Herr E hat also »dort ein Jahr Praktikum gemacht und er hat sich geekelt, aber ohne Ende, zum Beispiel vor schmutzigem Wasser, diesem Abwaschwasser. Da wollte er gar nicht rein. ... Das sind die einfachen Sachen, die er dort ein Jahr gemacht hat - ich weiß nicht wie.« Im Kindergarten hat man Herrn E in den Augen der Assistentin »auch nicht als jungen Erwachsenen gesehen, ..., sondern mehr so wie alle Kinder da. Dass man Raum hat für Entwicklungen, die man alleine macht. Erfahrungen alleine zu machen - ich fand die Idee super, aber da braucht man wirklich viel Zeit. Und wie gesagt: (Er) ist nicht sieben und nicht fünf, sondern er war 20 ... damals und da muss man etwas anders mit solchen Menschen umgehen und nicht alles aus den Händen wegnehmen und sagen: ›Du kannst jetzt nachdenken, wie lange du willst, ob du die Arbeit machst oder nicht.‹ Das ist unrealistisch.«
Für die Assistentin ist es sehr schwierig, einen motivationalen Ansatzpunkt auszumachen, den sie sonst in der Regel schnell findet: »Bei (ihm) nach einem Monat unserer Arbeitsbegleitung kam gar nichts. Nicht ein einziges positives Wort.« Am Anfang, so schätzt sie, hat Herrn E die Zusammenarbeit mit seinem Verwandten interessiert, er hat »das einfach gemacht, um (ihn) zu entlasten.« Vermutlich hat er dieses direkte gemeinsame Arbeiten von der betreuenden Kollegin aus der Werkstatt für Behinderte übernommen, die Herrn E in diesem Praktikum auf deren Außenarbeitsplatz unterstützt hat: Sie »hat die Schränke aufgeräumt und hat alle Sachen mit ihm zusammen gemacht. Das hat auch Sinn am Anfang, aber nicht ein Jahr lang.« Nachdem die Assistentin jedoch darauf dringt, dass Herr E seinen eigenverantwortlichen Bereich bekommt, »waren wir natürlich die Schlechtesten.« Nun gibt es Spannungen mit dem Kindergarten, »wo die Leute uns überhaupt nicht verstanden haben am Anfang, warum wir (ihn) so quälen, und die haben gedacht, wir machen dem jetzt was Böses und - wie kann man überhaupt so vorgehen, dass man von (ihm) erwartet, dass er fegt und solche Sachen macht?« Die Assistentin beobachtet einerseits: »Er hat Pausen mit den Kindern gemacht, da war er auch sehr lieb zu denen.« Andererseits ist die Arbeit in der Gruppe keine Alternative: »Bloß das nicht! Er saß dort so (hält sich die Ohren zu), es war ihm zu laut.« Also beginnt die Arbeitsassistenz mit dem Aufbau von Arbeitsplänen im Küchenbereich und mit dem Qualifizieren: »Er hat sich super entwickelt, also echt, aber das war alles unter Druck. ... Oder dass wir auch mit Spaß Sachen gemacht haben, zum Beispiel Fegen mit Tanzen und sowas. Anders kannst du ihm das nicht vermitteln. Das war super.« Zwar sind dies »Methoden, die ich eigentlich normalerweise nicht verwende, weil ... entweder er ist mindestens 16 und nicht vier, dass ich mit ihm so einen Tanz machen muss. Aber wenn das hilft, dann mache ich das auch gerne, wenn er sich danach wie ein 19jähriger benimmt.« Immer deutlicher stellt sich jedoch heraus: »Das war für (ihn) nicht der Arbeitsplatz, was er gerne machen wollte.« Der zuständige Ansprechpartner im Kindergarten betont schließlich, dass man ihm keinen Arbeitsvertrag geben würde, »so lange er nicht woanders Erfahrungen sammeln kann für sich alleine. Und die haben, die haben vorgeschlagen, ein Praktikum zu machen in Werkstatt.« Da Herr E anscheinend keinen Begriff von Arbeit hat und eher die Rolle eines Praktikanten im Kindergarten einnimmt, der mal mehr und mal weniger mithilft, wird darauf gesetzt, dass er im Rahmen der Werkstatt für Behinderte lernt, was es bedeutet zu arbeiten, und auch unterschiedliche Arbeitsbereiche kennenlernt, um so besser seine Interessen entwickeln zu können. Dies wird von der Assistentin unterstützt, die so zum einen die restliche Förderungsdauer des einen Integrationspraktikumsjahres bewahren will, um ihn später gezielt qualifizieren zu können. Sonst »machen wir ein Jahr Erfahrungen mit (ihm) und was danach? Dann hat er keine Chance mehr.« Zum anderen sieht sie ebenso wie der Kindergarten die Chance, dass Herr E durch die unterschiedlichen Situationen deren verschiedene Vor- und Nachteile abschätzen lernt: »Wir haben gedacht, wenn er jetzt Praktikum macht, dann wird er feststellen, wie gut es hier ist, und dann fängt er an mit neuer Motivation.« Herr E, seine Mutter, die Kindergartenleitung und die Assistentin sehen sich also gemeinsam die Werkstatt für Behinderte an mit der Perspektive dieser zeitlich begrenzten Erfahrung, und Herr E zeigt sich ihrem Eindruck nach »begeistert und hat gesagt: ›Ich möchte das versuchen.‹« Er beginnt dort in der »Verpackungsabteilung und war eigentlich sehr zufrieden. ... Die Arbeiten hat er da sehr schön alle gemacht.« Nur »jetzt mit Behinderten was zu tun zu haben, das konnte man sehen, dass er da ... auf Distanz war - ich weiß nicht, war so.« Es entsteht der Eindruck, dass Herr E denkt: »Gut, ich bin hier, ich mache das gerne. Das ist auch das, was ich möchte.« Jedoch steht er in der Werkstatt für Behinderte, zu der er zu Fuß geht, auf Warteplatz 13, so dass er für zwei Monate nochmals, nun unbegleitet, in den Kindergarten zurückkehrt in »ein privates Praktikum«, bis das Transportproblem zu der weit entfernten Werkstatt für Behinderte gelöst ist, die einen freien Platz hat. Herr E zeigt nun klare Wünsche, was er arbeiten möchte: »entweder gerne diese Lichtpausen ... oder Druckerei, wo man auch mit Buchstaben und solchen Sachen zu tun hat. Da war er fixiert.« Mit der Arbeit in der Druckerei - dort hat er »viele Kästchen gehabt und musste da so Formulare ordnen« - ist er »ganz happy da, aber die haben gesagt, dass er der Schwächste dort ist in dieser ganzen Gruppe, und dass die jetzt für ihn eine persönliche Begleitung organisieren wollen. ... Die haben da solche Möglichkeiten.« Für die Assistentin ist sehr wichtig: »Wir haben gesagt, Werkstatt ist wirklich nur Übergangsphase. Das war von uns ganz deutlich gesagt, um ihm die Chance zu geben, sich zu entwickeln.« Dass Herr E mit neuer Motivation auf den ersten Arbeitsmarkt zurück will und sich bei der Arbeitsassistenz meldet, »das war aber überhaupt nicht der Fall. ... Aber ich finde das auch gut so, weil sonst hätte er keine andere Möglichkeit und auch keine andere Chance, sich dagegen zu wehren, etwas zu machen, was er überhaupt nicht wollte.« Seitdem besteht zwischen der Assistentin und Herrn E kein Kontakt mehr.
Der Gruppenleiter sieht bei Herrn E in der Zeit innerhalb der Werkstatt für Behinderte »im Prinzip gar keine« Entwicklung: »Es hört sich komisch an, aber er hat praktisch noch fast den selben Stand, als er hier angefangen ist. ... Man kann ihm wirklich etwas hinlegen und sagen: ›In der Reihenfolge musst du es machen.‹ Und er fängt an irgendwann, wenn er sich unbeobachtet fühlt, das wieder irgendwie anders zu machen, bis man ihn dann erwischt, dass er das anders macht wie man ihm das gesagt hat. Also er ist sehr verspielt und in der Beziehung hat er also kaum irgendeinen nachweisbaren Erfolg oder so.«
Zur eigenen Zufriedenheit meint Herr E, er sei froh über »mich selber«. Dies leitet er vor allem aus dem Schreiben am Computer in der Freizeit her, wo er besonders gern Texte aus einer Zeitschrift über den Wrestler Sting abschreibt, dessen Fan er ist. Unzufriedenheit äußert er mit der Kindergartensituation, denn es »war zu laut da.« Er erinnert auch, zwei Abmahnungen bekommen zu haben, was ihn anscheinend belastet. Auf die Frage, wie es ihm bei seiner Arbeit in der Werkstatt für Behinderte gefällt, sagt Herr E: »Ich weiß nicht.« Einerseits gefallen ihm »die Leute da«, andererseits beklagt er: »Die tun immer verarschen und so.« An der Stelle, an der seine Mutter darstellt, dass sie sich mit der Arbeit in der Werkstatt für Behinderte abgefunden hat, ergreift Herr E das Wort: »Ich hatte 'n Horror gehabt. ... Wie mich jemand reingeschoben hat, ... die Behörde, ... hab' ich richtig Horror gehabt.« Gefragt, ob der Horror vorbei sei, führt er aus: »Nee, äh, da hab' ich immer die gleiche Arbeit und so. Genau dasselbe.« Als das Gespräch auf Möglichkeiten eines Cafés kommt und seine Mutter meint, das sei »nicht sein Ding«, meldet sich Herr E wiederum zu Wort: »Doch! Servieren schon! ... Bedienen alles!« Zudem macht Herrn E unzufrieden, dass er aufgrund der langen Arbeits- und Fahrdienstzeiten keinen Sport mehr machen kann: »Hab' ich damals Sport gemacht.« Auch wenn er sich »meine, zwei Freund« wünscht, bewertet er seine Situation insgesamt aber doch als »gut«.
Die Mutter sieht die Situation von Herrn E im integrativen Kindergarten, den sie als »offen und locker« beschreibt, ambivalent: »So wie er jetzt erwachsen wird, sollte er auch selbst bestimmen, was er macht und wie er zurechtkommt, und das war einerseits ganz gut, auf der anderen Seite braucht er auch 'ne feste Betreuung. ... So was hätte er ja haben müssen, nicht, also dass er richtig den Weg lernt, ne. Und das war alles so 'n bisschen - weil er ja nie richtig so die Hand hatte, wo er geführt wird.« Andererseits sieht sie die Arbeitsassistenz als angstmachend: »Und da ist er bis zuletzt mit Angst da hingegangen ... wegen der Betreuung.« Die Arbeitsassistenz habe »darauf bestanden, dass er nur einen Bereich, ... nur in der Küche« tätig ist, »daher wurde das so bestimmt.« Nachdem Herrn E nichts anderes als die Werkstatt für Behinderte »übrigbleibt«, meint seine Mutter: »Er wurde überall nur reingeschubst.« Sie findet, dass Herr E in der Werkstatt für Behinderte auch »an den Maschinen« arbeiten können sollte: »Er möchte auch mal wohl was anderes machen und nicht nur sortieren.«
Die Assistentin sieht - wie alle anderen Beteiligten auch - die große Schwierigkeit, herauszufinden, was Herr E mag, was er möchte und was ihn also zufrieden macht. Bei Menschen mit Down-Syndrom sieht sie eine generelle Tendenz: »Die passen sich an dort, wo sie gerade sind. Sie reden wie die Leute reden. ... Die machen Sachen, wie die Leute es machen.« Im Kindergarten ist er »so verkrampft ... Er konnte sich da nicht äußern, ob er das gerne macht oder nicht. Er konnte das erst machen, als wir da draußen waren. ... Also haben wir so Wege gemacht. ... Und dann hat er sich geäußert, dass er das (diese Arbeit, d. Verf.) nicht will.« Zudem braucht Herr E nach Meinung der Assistentin »Leute, die ihn wirklich als 20jährigen sehen, die ihn so akzeptieren, wie er ist, - er kann sich bestimmt entwickeln - , die auch sein Potential sehen.«
Für den Gruppenleiter in der Werkstatt für Behinderte spielt die Frage, was Herrn E zufrieden oder unzufrieden macht, eine geringere Rolle als die Frage, wie weit er belastbar und in den Produktionsprozess einzubinden ist: »Er spielt teilweise mit den Materialien und kriegt das dann irgendwo durcheinander und steht dann mit einem Mal vor einem Scherbenhaufen. Und wenn er dann vier Blätter zusammentragen soll, dann ist das natürlich fatal, also vier Blätter kriegt er dann meistens schon gar nicht mehr, weil er dann damit überfordert ist.« Auch der Gruppenleiter weiß, dass Herr E zuhause »ganz oft am Computer sitzt.« Ihn aber an Maschinen heranzulassen, sieht er als Problem: »Also wir haben viele Maschinen, nur ... wenn der die Druckmaschine meint, da können wir ihn einfach nicht ranlassen, das geht nicht. ... So lange er noch so unselbständig ist, ... so lange können wir ihn auch nicht an irgendwelche Maschinen setzen.«
Herr E äußert sich über die Rolle der Arbeitsassistenz nur wenig, vor allem sieht er sie als Instruktoren: »Musst' ich immer abwaschen. ... Und schön saubermachen.« Deutlich unterscheidet er zwischen den beiden Assistentinnen, wobei Herr E und seine Mutter unterschiedliche Erinnerungen formulieren, welche von beiden ihn »angeschrien« habe.
Seine Mutter empfindet das Auftauchen der Arbeitsassistenz im Kindergarten also als störend, ihr Sohn bekommt Angst, dorthin zur Arbeit zu gehen. Dabei sieht sie bei einer der beiden Assistentinnen mangelnde Professionalität, wenn die »gerade erst vom Lehrgang runterkommt, ... das war für mich schon ein Alarmzeichen, dass sie erst da aus der Lehre kommt, ... aber mit Behinderten hatte sie früher wohl nicht, ... und das merkte man auch, dass sie mit Behinderten, also zumindest mit Down-Syndrom, die etwas träger sind, langsamer,« keinerlei Erfahrungen hat. Aus den Schilderungen der Entwicklung bleibt der Eindruck, dass in ihrer Wahrnehmung die Arbeitsassistenz den Integrationsprozess ihres Sohnes im Kindergarten eher gestört, zusätzlichen Druck in die Situation gebracht und letztlich maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ihr Sohn in die Werkstatt für Behinderte gekommen ist - entgegen ihrer eigenen integrativen Grundüberzeugung.
Die Assistentin wiederum sieht ihre Rolle geradezu entgegengesetzt: In einem Umfeld, das Herrn E nicht altersgemäß anspricht, sorgt sie dafür, dass sinnvolle Strukturen für den Aufbau von Arbeitsabläufen geschaffen werden. Da dort zudem u.a. aufgrund finanzieller Probleme ohnehin keine Chance besteht, einen Arbeitsvertrag zu erhalten, provoziert sie eine Entscheidung, wie es weitergehen soll, denn »wir sind nicht da, um die Sachen zu entwickeln, sondern um einen Arbeitsplatz zu schaffen. ... Ich möchte da besser etwas früher eine kleine Enttäuschung bei jemandem machen als danach eine große. ... Und das Jahr wäre auch weg.« Ihre Aufgabe bei Herrn E ist, ihm »zu zeigen: ›Das ist Dein Arbeitsplatz, und so und so viel hast Du hier zu tun.‹ Und die Liste, was er da in einem Jahr gemacht hat, das waren fünf Punkte. Und das, was wir mit ihm zusammen in zwei Monaten geschafft haben, das war eine ganze Seite mit festen Strukturen, und er hat mitgemacht. Er hat das mit uns zusammen da festgestellt, das und dies muss gemacht werden. Egal ob er es danach gemacht hat. Aber das ... wusste er, dass das eigentlich dazu gehört. Und das war für ihn, glaube ich, schon ein Schreck. Und hat sich doch entschieden, das nicht zu machen - was ich überhaupt nicht negativ sehe. Ich finde, er hat dadurch auch positive Erfahrungen gemacht.« Gleichwohl sieht die Assistentin, dass sie die Hoffnungen der Mutter massiv enttäuscht hat, »weil sie hat sich gedacht, (er) ist durch das ganzes Leben als Integrationskind ... so geführt worden, Kindergarten, Schule, das und dies, und wir sind diejenigen, die ihm jetzt ins Werkstatt gesteckt haben - und das hat mit Integration nichts zu tun.« Trotz aller Bemühungen sind die Positionen und Einschätzungen unüberbrückbar geblieben: »Wir haben hunderte Gespräche mit allen geführt. Mit der Familie und mit Kindergarten und alle zusammen und hier im Büro und immer wieder und ... das hat kein Ende gehabt, um überhaupt etwas festzustellen, wo liegt jetzt das Problem und warum wir das nicht so sehen wie die anderen. Also unsere Art und Weise zu arbeiten, hat sich wirklich mit den ganzen Vorgeschichten überhaupt nicht« verbinden lassen. Dennoch resümiert sie: Herr E »ist keine Enttäuschung. ... Ich war eigentlich froh, dass wir (ihm) da wirklich die Augen geöffnet haben, und dass er uns noch ... freundschaftlich akzeptiert hat und in Freundschaft bleibt bis jetzt. Das ist auch was ganz ganz Wichtiges. Und ich denke, wir waren wirklich die ersten ..., die ihn als erwachsenen Mensch da gesehen haben, ... kein Kind.«
Auf seine Rolle in den verschiedenen Betrieben lässt sich bei Herrn E nur aufgrund seiner bereits beschriebenen Äußerungen indirekt schließen, etwa dass er mit seinen Ängsten im Kindergarten zu seinem verwandten Mitarbeiter geht oder dass er sich in der Werkstatt für Behinderte nicht wirklich wohlfühlt. Auch seine Mutter macht zu diesem Punkt keine konkreteren Aussagen. Für die Assistentin ist das Konzept des Kindergartens ein gutes, jedoch trägt dieses Konzept nicht für Herrn E, der von der Rolle her eben kein Kindergartenkind mehr, sondern Kindergartenküchenhelfer sein sollte. Insbesondere die Entlastung durch den verwandten Mitarbeiter und die Mitarbeiterin der Werkstatt für Behinderte im einen Jahr der Außenarbeitsplatz-Konstruktion trägt nicht zum Ernst-Charakter der Arbeitssituation bei, sondern scheint eher ein Verhalten nach dem Lustprinzip zu bestärken.
Der Gruppenleiter hebt zum einen die Überforderung von Herrn E hervor: »Wenn irgendwo ein eiliger Auftrag ist, dann können wir (ihn) nicht drinne einbetten. ... Also wir müssen immer etwas haben, wo Zeit ist für (ihn).« Dabei sieht er auch die Werkstatt für Behinderte überfordert, Herrn E einen Begriff von Arbeit zu vermitteln: »Das können wir auch gar nicht leisten, weil wir eben auch mit der Arbeit drinne stecken. Also wir können uns nicht mit ihm beschäftigen, um ihm klarzumachen, dass das Arbeit ist und nicht eben wie Spielkram oder Kindergarten oder sonst irgendwas.« Herr E trägt zur Störung geregelter Abläufe bei, denn »er verzettelt sich manchmal und dann kommt er vollkommen durcheinander, und dann müssen wir erst wieder anfangen, alles wieder neu zu sortieren. ... Dann heißt das: Alles auseinanderpuhlen und noch mal machen. Und das geht natürlich nicht, weil der Kunde sitzt auf der Treppe und wartet, weil er das noch nicht kriegt, so ungefähr. Und das ist aber (Herr E)!« Zum anderen hat Herr E sozial eine eigentümliche Rolle: Seine Art der Kontaktaufnahme »mögen die anderen nicht so.« Wenn Herr E mit anderen Kontakt aufnehmen möchte, wie er es aus integrativen Situationen gewöhnt ist, mag es nach Auffassung des Gruppenleiters sein, dass Nichtbehinderte damit angemessen umgehen können, »aber das können unsere Leute teilweise nicht. Die haben selbst Schwierigkeiten, irgendwo auf andere zuzugehen.« Problematisch wird es etwa dann, wenn saubergemacht wird: »Hier auf dem Fußboden laufen immer so graue Dehnungsfugen längs. ... Und das ist so eingeteilt, dass hinten an der äußersten Wand ein Mitarbeiter sein Revier hat. Das verteidigt er auch wirklich. Also, wenn da jemand anders reingeht und mit ausfegt, dann wird er schon etwas laut. Das ist sein Revier, das macht er sauber. Das haben wir mal so eintgeteilt und da darf keiner dabei. Und (Herr E) kam dann dazu und fegt da mit aus, und ja, seitdem hat er bei dem Herrn schlechte Karten. Und wenn er dann eben halt so hingeht und sagt: ›Da bin ich‹, dann stößt er sofort auf Ablehnung.«
Was Zukunftsperspektiven angeht, meint der Gruppenleiter, Herr E müsse am besten »von Zuhause 'ne Anleitung kriegen, dass er eben halt (weiß), das geht nicht zur Spielgruppe oder sonstwas, es geht zur Arbeit.« Eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt wäre nicht vollkommen ausgeschlossen, wenn »es eine Firma gibt, die sowas macht, dann wäre das vielleicht was für ihn. Also unsere Einschätzung ist, dass wenn er noch so eine Tagesförderung, wo ja auch teilweise auch ein bisschen mit Arbeit gehandhabt wird oder eben auch etwas gemacht wird, nur wo er dann nicht so unter Druck steht wie hier, ich sag mal, der Zeitraum fünf Jahre oder drei Jahre in so einer Tagesförderung ist, wo man ihm auch langsam beibringen kann, was Arbeit bedeutet, ... dass Arbeit eben halt auch Verantwortung bedeutet für seinen Arbeitsplatz, für seine Arbeit, die man macht. ... Das können wir hier nicht leisten, weil wir stehen im Produktionsprozess hier.« Andererseits betont er, »wir haben ihn jetzt bei uns in der Gruppe, und so lange er nicht den Wunsch äußert, hier rauszuwollen, bleibt er auch hier. Nicht dass wir ihn nicht haben wollen oder so. Nur wir können ihn halt nicht mit allen Arbeiten beschäftigen.« Auch die Assistentin ist »nicht so optimistisch. ... Wir haben gesagt, wir müssen zusammenarbeiten, aber das ist immer so: Wir sind immer diejenigen, die sich melden müssen. Es kommt nichts zurück. Das war auch genau bei diesem Prozess, also die Mutter hat sich nicht einmal gemeldet.« Trotzdem äußert die Assistentin die Hoffnung, »dass er da nicht bleibt, also wirklich.« Sie plant, sich dort zu melden, um über nächste Schritte zu beraten. »Aber ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, was er da weiter machen soll. Ich habe keine Ahnung.« Die Mutter hat ihren Kampf um eine integrative Arbeitssituation nunmehr aufgegeben: »Er ist jetzt da fest.« Sie wünscht sich für Herrn E, dass er »eine Freundin mal findet, dass er sein Glück und seine Freude hat, das ist das Wichtigste.« Obwohl seine Mutter reserviert reagiert und viele Bedenken äußert, stimmt Herr E einer Reihe von konkreten Vorschlägen und Ideen spontan, teilweise lachend, zu, etwa der Idee, ob nicht in einer benachbarten Behörde ein Teilzeitjob als Bürogehilfe denkbar wäre. Als explizite Zukunftswünsche äußert er, er möchte »eine eigene Frau. ... Aber Wohngruppe nicht so, nee, das möchte ich nicht.«
Wichtige Aspekte bei Herrn E
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Herrn E lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Das zentrale Problem der Situation von Herrn E ist, dass er - wie sein Umfeld übereinstimmend meint - keine Vorstellung davon hat, was Arbeit bedeutet, und was eine für ihn angemessene und interessante Arbeit wäre.
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Die bisherigen Erfahrungsmöglichkeiten für ihn haben anscheinend zu keiner hinreichenden Klarheit geführt; warum dies so ist, lässt sich jedoch nicht sicher sagen, da teilweise nicht mehr sicher rekonstruiert werden kann, was in den einzelnen Phasen der Berufsorientierung und -vorbereitung abgelaufen ist.
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Der Weg von Herrn E wird zusätzlich dadurch erschwert, dass diverse institutionelle Übergänge in kurzer Zeit zu bewältigen sind: vom einen zum anderen Kindergarten, vom BBE-i zum Außenarbeitsplatz, vom Außenarbeitsplatz zum Integrationspraktikum, vom Integrationspraktikum zur einen Werkstatt, dann zur anderen Werkstatt. Dies bedeutet nicht nur für Herrn E eine Vielzahl von unterschiedlichen Institutionen und Situationen, sondern erschwert auch jede Form von kontinuierlicher Arbeit in eine Richtung. So wird in der unklaren Situation von Herrn E strukturell nicht zu mehr Klarheit beigetragen. Erschwert wird die Situation auch dadurch, dass das Integrationspraktikum im August 1998 erst weit nach Beginn des Jahres mit der Konstruktion eines Außenarbeitsplatzes der Werkstatt für Behinderte eingerichtet wird.
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Die Einschätzungen von Verläufen und Erfahrungen differieren zwischen den Beteiligten zum Teil beträchtlich. Insbesondere zwischen der Mutter und der Assistentin, aber auch zwischen der Mutter und dem Sohn sowie zwischen der Assistentin und dem Gruppenleiter werden Widersprüche deutlich.
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Die Strategie der Arbeitsassistenz, notwendige Erfahrungen in der beruflichen Realität im Rahmen der Werkstatt für Behinderte zu ermöglichen, um dann mit neuem Horizont betriebliche Maßnahmen weiterzuführen, ist aus mehreren Gründen zu hinterfragen. Zu-nächst stellt sich die Frage, ob die Werkstatt für Behinderte ein geeigneter Ort für die Erfahrung beruflicher Realität im Sinne der Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt ist. Zudem wird sie von der Mutter abgelehnt, zumal mit der von ihr so aufgefassten Zumutung, dass ihr Sohn möglicherweise in eine Tagesförderstätte gegeben werden soll. Und schließlich ist sie im Fall von Herrn E offensichtlich auch nicht erfolgreich.
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Die Zuständigkeit dafür, dass Herr E lernen soll, was Arbeit bedeutet, wird immer weitergereicht: von der Mutter an den Kindergarten und an die Arbeitsassistenz, von dort an die Werkstatt für Behinderte, und von dort soll sie an eine Tagesförderstätte oder ›an Zuhause‹ weiterdelegiert werden - so ist sie schließlich einmal im Kreis herumgereicht worden.
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Die Arbeitsassistenz wird durch eine Umfeldsituation, die beträchtlich durch eine teils überbehütend-eigenaktive, teils enttäuscht-resignative Haltung definiert ist, an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geführt. Solche Probleme und Konstellationen können nicht durch Arbeitsassistenz gelöst werden, hier sind eher soziale und therapeutische Dienste erforderlich.
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Bei der Arbeit in der Werkstatt für Behinderte deutet sich eine mögliche Zwickmühlensituation an: Herr E erfüllt nicht die an ihn gestellten Anforderungen bei einfachen Sortierarbeiten; gerade sie interessieren ihn jedoch nicht sonderlich, und er wäre stärker motiviert für komplexere Arbeiten, etwa mit Maschinen. An die wird er jedoch nicht herangelassen, da er die einfachen Arbeiten nicht zur Zufriedenheit ausführt - so entsteht möglicherweise ein Teufelskreis, den möglicherweise die Tagesförderstätte auflösen soll.
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Die spontanen positiven Reaktionen von Herrn E auf konkrete Vorschläge legen nahe, dass er im Unterschied zu seiner Mutter offenbar seinen Traum von einer wohnungsnahen, integrativen Beschäftigung noch nicht aufgegeben hat.
Ansätze zur Interpretation
Unter dem Blickwinkel der Stigma-Theorie könnte Herr E ein Beispiel dafür sein, wie ein Diskreditierter von seinem Umfeld unter dem Banner der Integration harmonistisch-fürsorglich überbehütet und damit letztlich behindert wird. Herr E hätte in dieser Logik wenig Chancen, eigene Interessen zu entwickeln und sich als selbständiger, unabhängiger und erwachsener Mann zu erleben. Da auch das berufliche Umfeld des Kindergartens zumindest an der Zuschreibung unerwachsener, weil lustgeleiteter Aktionsmöglichkeiten für Herrn E festhält, also eine unrealistische Arbeitssituation repräsentiert und so das Stigma des Kindlichen fortschreibt, betreiben die Arbeitsassistentinnen hier ein Stück Entstigmatisierung, indem sie Herrn E als 19jährigen Mann ansprechen und angemessenere Anforderungen aufzeigen, die ihm eine Entscheidung für oder gegen eine Tätigkeit ermöglichen sollen. Es ist jedoch schwer auszumachen, welcher konkrete Effekt daraufhin eintritt, denn es kommt schließlich zu einer Art der Regression, die zur Probezeit in einer Werkstatt für Behinderte führt, aus der ein Beschäftigungsverhältnis in einer anderen Werkstatt entsteht, in der die Zuschreibung des Unreifen, Unmotivierten, Unkonzentrierten für Herrn E als Stigma verstärkt fortgeschrieben wird.
Es entsteht der Eindruck, dass Herr E bisher wenige Situationen von Balance und Einigungen im Sinne der Theorie integrativer Prozesse erfahren hat. Vielmehr scheint es so, als ob das Pendel für ihn immer zu den Extremen tendiert, so dass er sich einerseits am einen Pol mit Verschmelzungstendenzen, - wenn vielleicht auch freundlicher - Vereinnahmung und Anpassung, andererseits am Gegenpol mit Abstoßung, Verweigerung und Aussonderung wiederfindet und so keine eigentliche Chance auf Orientierung und echte Selbstakzeptanz hat. Stattdessen kompensiert er dies durch seine Fixierung auf den Wrestler Sting - ein gewaltiges, gewalt-tätiges Männlichkeitssymbol. Um so mehr bedarf es für Herrn E der Chance auf Normalisierung durch Gemeinsamkeit und Kooperation, die auf Begegnung und Akzeptanz beruht. In welchem Maße dies in der Werkstatt für Behinderte geleistet werden kann, muss aufgrund der Schilderungen von dort - beginnend bereits bei den Problemen der Kontaktaufnahme mit den KollegInnen und seiner dortigen Einstufung als extrem schwach - skeptisch betrachtet werden. Die Assistentinnen haben große Probleme, eine Passung herzustellen zwischen seinem Assistenzbedarf und ihren Assistenzpotential; ihr Bedarf an seiner Motivation zur beruflichen Tätigkeit und sein geringes Potential dazu lassen Kooperation scheitern. Nach dem Aufgeben des gemeinsamen Weges wird in der Werkstatt für Behinderte ein sinnvoller nächster Schritt seiner Weiterentwicklung erhofft. Wenn Herr E jedoch selbst dort die Betonung der Differenz erfährt und sein Gruppenleiter ihn eigentlich in einer Tagesförderstätte besser plaziert sieht, wäre die Exotisierung der vorläufige Tiefpunkt eines Lebenswegs, für den einmal Integration erträumt und erkämpft wurde.
Frau F, 21 Jahre alt, arbeitet seit wenigen Wochen in der Tischlerei einer Werkstatt für Behinderte. Aus einer Facharbeiter-Familie stammend, besucht Frau F die Schule für Geistigbehinderte, in deren Verlauf sie ein Praktikum in der Werkstatt für Behinderte macht, in deren Arbeitstrainingsbereich sie nach Schulende übergeht. Nach dem Arbeitstraining wechselt sie in die Tischlerei. Als ursprünglichen Berufswunsch nennt Frau F ist eine Arbeit im Friseursalon, ihre Mutter erinnert, dass sie »Kindergärtnerin« werden wollte.
Über ihre bisherige Zeit in der Schule und in der Werkstatt für Behinderte äußert sich Frau F in der ersten Befragung durchgängig sehr positiv. Die Berufsberatung erinnert sie nicht, den Berufsschultag findet sie nur teilweise positiv; da hofft sie, »dass der Tag schnell rumgeht.« Aber sonst hat sie keine Veränderungswünsche, es ist »alles okay.«
Im Rahmen der zweiten Befragung finden alle Gespräche in der Werkstatt für Behinderte statt, zunächst mit den zwei Gruppenleitern, Tischlermeister und Anlagenbauer, deren Aussagen wegen eines durchgängigen Konsenses zusammengefasst wiedergegeben werden, dann mit Frau F und nachfolgend mit ihrer Mutter, die in der Altenpflege arbeitet und sich erstmalig in der Tischlerei befindet. Frau F bleibt dabei anwesend und schaltet sich einige Male in das Gespräch ein.
Auf Stärken und Schwächen angesprochen, nennt Frau F zunächst ihre Tätigkeiten in der Tischlerei, aber dann auch Allgemeineres: »Schleifen, abnehmen jemand was und so. Schleiftunnel. Also abnehmen kann ich. ... Zusammenarbeiten kann ich sehr gut, und dann: Ich hör so gut zu, hör ich, was man alles zu mir sagt und so, und das ist auf jeden Fall wichtiger und so, wenn man zuhört und so, alles mögliche.« Schwächen sieht sie nicht: »Eigentlich hatte ich keine Schwierigkeiten noch nicht gehabt.«
Ihre Mutter sieht im Vordergrund: »Zuverlässig ist sie eigentlich. Wenn sie was sagt, dann macht sie das auch. ... Sie kann zuhören, kann sie auch. Also das kann sie.« Engeren Kontakt zur Werkstatt für Behinderte sieht die Mutter als nicht notwendig an, denn es »ist ja weiter gar nichts, weil sie kann alles so in dem Sinne.«
Die Gruppenleiter sehen als ihre Stärken: »Sie ist sehr selbstbewusst, selbstsicher auch und sabbelt sehr viel, redet sehr viel.« Als weitere Eigenschaften nennen sie: »Sie ist sehr kindisch noch. ... Sie albert viel rum und ärgert die Leute teilweise. Macht viel Spaß und macht auch viel damit kaputt - bei anderen Kollegen, die keinen Spaß verstehen. ... Und vor allen Dingen hat sie dadurch natürlich auch Konzentrationsschwächen. Das merkt man ganz deutlich, weil sie eben sich sehr leicht ablenken lässt.« Die Arbeit in der Tischlerei sehen die Gruppenleiter »in begrenztem Rahmen schon« als angemessen: »Also maschinenmäßig kann ich das nicht sagen, da ist sie nicht so für ... , da fehlt ... die Sorgfalt. Ja, aber was Schliff angeht und Oberfläche und die kleinen Sachen zusammenzubauen und sowas, da sehe ich das schon.« Bei den Maschinen »ist sie auch mehr ängstlich dann.« Ansonsten »nimmt sie auch selten Kritik entgegen, sie denkt immer, sie hat Recht und muckt dann auf und schreit rum, weint ... und sieht keine Fehler ein. Das ist ganz oft so. Sie stiftet auch Leute oft an, so kleine Sticheleien, und merkt sie gar nicht so selber.« Verglichen mit der Gesamtgruppe der WerkstattmitarbeiterInnen ist sie »eigentlich so 'n Mittelding. ... Sie ist eigentlich der Durchschnitt. ... Sie ist nicht berauschend, und aber auch nicht schlecht.« Ansonsten finden die Gruppenleiter Frau F, »wenn man sie anspricht, sehr hektisch und schnell, und (sie) verheddert (sich) und hat Angst.« Dann wirkt sie wie unter einem inneren Druck, »aber während der Arbeit hat sie den nicht. Da ist sie ganz locker und selbstsicher.« Nur »wenn sie mal 'ne Phase hat, wo sie keine Lust hat - sie kommt immer pünktlich - , aber das merkt man dann eben auch, dass sie keine Lust hat, aber sie kommt - das ist doch schon mal was. ... Ja, in der Hinsicht ist sie echt gut.«
Als wichtigste Entwicklung sieht Frau F selbst: »Also früher war ich immer hibbelig früher. ... Und meine Mutter musste mich immer ruhig stellen und meine Oma. ... Ja, dann hätten sie mir was zum Spielen gegeben und so und das alles mögliche. ... Im Kindergarten auch war ich hibbelig gewesen und so. Ich hab' Brille kaputt gemacht und so. ... Tja, das hab' ich alles früher gemacht, wo ich klein war. Wo ich klein war, hab' ich mit den Eiern gespielt und so. Meine Oma musste ja was ... Brief ja zum Briefkasten, zur Post gehen so, und meine Oma hat Opa gesagt: ›Pass auf (sie) auf! Pass auf (sie) auf!‹ ... Das kommt auf einmal plötzlich und wo ich zehn Jahre alt war, war ich auch ein bisschen hibbelig und auf einmal - bimm - war es weg. ... Bimm - war das ›hibbelig‹ auf einmal weg. Das ist nervöse Tätigkeit gewesen, bei mir innen drin steckt oder ich hab es im Kopf gefreut. ... Jetzt bin ich selbstbewusst und ich bin ganz ruhiger, ich bin auch ganz ruhig bin ich. Aber man merkt's: ... nicht hibbelig, nicht so richtig. ... Ich bin auch ganz ruhig, aber wenn ich mich freue, dann temperamentvoll bin ich dann. ... Bin ich, o jo. Sagenhaft. Nein so. Und meine Oma hatte gesagt: ›So, pass auf (sie) auf, dass sie nix kaputt macht und so und nix runterschmeißt alles so.‹ Und dann kommt meine Oma wieder: ›Wo ist (sie) denn? Die ist ja so ruhig.‹ Ja, wenn ich gerade so ruhig bin, dann stellt die so richtig was an. Ich hab' meine Eier gemanscht hab' ich, jo, immer kräftig durch und so. ... Da hat sie Eier, weil sie braucht ja für Kuchen und so und für die Gäste und so brauchen sie so. Und dann war sie zur Post gegangen so und dann hat sie gesagt: ›Pass auf (sie) auf, dass sie keinen Unsinn macht mit den Eiern oder mit sonst irgendwas!‹ ... Schon war's passiert. Matsch, matsch, matsch, maaatsch.«
Die Mutter bestätigt: »Also sie muss noch viel betreut werden, davon abgesehen. Aber sie hat sich so entwickelt - vernünftiger geworden, ne. Muss ich mal dazu sagen, meine Tochter war immer ein Wildfang, ne, also die hat alles ... und sie ist schon gedämpft. ... Ja, wo soll ich denn anfangen? Man muss sie immer noch steuern, wenn man es so will, ne. Also das geht ja morgens schon los, wenn ich denn sag: ›Zieh Dich doch bitte an.‹ Also da muss ich ihr manchmal noch helfen. Das sind also die Dinge ... ›Ja, dann schaffen wir das nicht, sonst kommst Du zu spät!‹« Die Mutter hätte es am Ende der Schulzeit »gerne noch gesehen, dass sie noch ein Jahr länger gegangen wäre. Also ich wollte eigentlich noch nicht loslassen. Aber ich hab gedacht: ›Das packt die nicht.‹ Aber ... das hat doch getäuscht.« Dass ihre Tochter direkt in die Werkstatt für Behinderte übergeht, das »wurde uns so praktisch aufgetragen, also in der Werkstatt. Sie hatte ihr Praktikum auch hier gemacht und da hat sie auch gesagt - ne, hat dir gefallen, ne?« Die Berufsberatung, die in der Schule stattfindet, stellt zwei verschiedene Werkstätten zur Auswahl, zwischen denen sich Frau F und ihre Mutter entscheiden können. Gleichwohl sieht die Mutter in der Kooperation mit Professionellen eine durchgängige Linie: »Ich hab' mich so weit immer durchgesetzt, wie ich das gerne hätte. Also ich hab' für meine Tochter eigentlich gekämpft. Wir haben schon damals, also mir ging das damals nicht so gut, und dann haben die immer gesagt: ›Ach, schicken sie doch Ihr Kind ins Heim.‹ Und das wollte ich nicht. ... Nee, da hab ich gesagt, nee.« Durch diesen Punkt angeregt, äußert sich auch Frau F dazu: »Also ich möchte mal wissen, ob die auch ihr Kind irgendwo im Heim stecken, später. ... Ich habe auch für meine Mutter auch gekämpft für meine Mutter und so. Ich steh' auch gerade für meine Mutter. ... Ja, zum Beispiel, wenn ich sie nicht unterstütze - zum Beispiel meine Oma, also irgendwann, also weil meine Oma ist ja alt, ... und sie geht ja mal oben in den Himmel irgendwann also später oder sonst irgendwas so. Und dann, wenn keiner da ist, dann ist sie bewusst alleine so, und unterstützen werde ich sie auf jeden Fall und so. Weil ich bin ja die Älteste, ich, und ich bin groß.«
Da Frau F ist erst seit kurzem in der Tischlerei ist, können die Gruppenleiter zu ihrer Entwicklung wenig sagen. Sie haben nur wenig Informationen über die Zeit in der Schule und im Arbeitstraining, denn »leider ist es sehr rar, die Auskunft, die wir hier haben. Wir kriegen immer eine Mappe mit dann, ... mehr oder weniger ihr Lebenslauf, sage ich mal, aber da steht an sich nur, welche Schule sie besucht hat, nicht Notenstand oder so was - das steht überhaupt nicht drinne. Da müssen sie noch mal einen Test machen hier. Da ... kriegen wir Sachen mit und selbstverständlich von der Arbeitsvorbereitung hier, da kriegen wir auch 'ne Beurteilung, aber mehr ist da nicht. Also das ist eigentlich ein bisschen wenig, finde ich.« Bei Frau F haben die Gruppenleiter »an sich nur mehr Sorgen, dass sie zusehends dicker wird. Also ich denke, dass sie auf ihre Figur nicht achtet. Das ist so meine Sorge, wo ich sage ... : ›Mensch, pass mal ein bisschen auf, ne!‹ Das fiel mir auch auf, wenn wir hier so Essen haben - die knallt ganz schön rein, ne. Sie achtet da überhaupt nicht drauf. Und das sieht man auch. Also ich finde, sie hat zugelegt. Aber sonst - sonst, denke ich, ist alles in Ordnung, finde ich.« Im Zuge des Arbeitstrainings hat Frau F bereits ein Praktikum in der Tischlerei gemacht, »und da hat man dann gesagt: ›Jo, okay, kann man machen, wäre tischlertauglich!‹ Und ja, so ergibt sich das eigentlich, und wenn sie natürlich nur ein Praktikum macht, bleibt sie meistens auch da dann hängen, oder bei den meisten ist es jedenfalls so, dass sie da dann bleiben.«
Über ihre Zufriedenheit berichtet Frau F im Zusammenhang mit dem Arbeitstraining: »Das war erfolgreich für mich. Mit Begeisterung war ich da drinne gewesen, so war ich - echt begeistert, weil ich will ja hier auch was schaffen natürlich da. ... Ich bin hier zufrieden. Hier bei der Tischlerei kann man ja Möbel machen, Stühle machen, Wiegen machen, Schlüsselanhänger kann man daraus machen oder Schild oder einen Würfel kann man daraus machen. Alles mögliche, was da gibt und so.« Dass Frau F in der Werkstatt für Behinderte arbeitet, »da bin ich da froh darüber. ... Es gibt auch welche, die sind nicht so glücklich ... darüber und sagen: ›Äeh was soll ich denn hier? Ich gehör' doch gar nicht hier her.‹ Das gibt es, ... und ich bin so eine Person, ich nehm das ja nicht so übel. Ich kann das mehr verkraften und so. Und das Verkraften kann ich und auch ausbaden und so ... und das kann ich mehr und das musst du schaffen noch und so und das musst du gut hinkriegen und so. ... Ich bin hier zufrieden, bin ich hier. Also eigentlich allgemein bin ich ja zufrieden. ... Na klar wohl, alles bestens, klar.«
Sorgen macht sie sich um ihren Bruder, »weil mein Bruder weiß nicht mal, was er vor sich hat und so. ... Das belastet mich auch und meine Mutter auch und so und meine Oma auch. ... Manchmal sag ich zu meinem Bruder: ›Das darfst du nicht machen, so was, das ist gefährlich und so was und dann hol ich meine Mutter.‹ ... Manchmal benimmt er sich (wie) vier. ... 17 ist er. ... Nein, aber die Jungs können sich entwickeln, die Jungs. Aber viele Jungs sind noch nicht entwickelt noch nicht. So richtig. ... Manchmal benehmen sie sich so wie Zweijährige oder drei oder vier.« Auch beschäftigen Frau F ökologische Fragen: »Viele schmeißen alles in Müll so hin so und sagen auch, wieso in den Müll schmeißen, werfen wir einfach so hin so, als wenn das nichts ist so. Müll gehört das in den Papierkorb rein und irgendwann sieht das mal so - so hoch aus und dann können wir nicht mehr atmen nicht mehr, und dann sind wir irgendwann tot. ... Umweltverschmutzung, und das ist nicht angenehm, so was. Und viel mehr Leute müssen drauf achten und so, und darum will ich auch immer versuchen zu sorgen, dass das nicht immer passiert nicht. Soviel Müll nich so alles.«
Demgegenüber äußern sich ihre Mutter und ihre Gruppenleiter nicht so detailliert. Lediglich stellen die Gruppenleiter fest: »Sie schätzt sich so ein, ... für sie reicht das, dass sie hier ist, ... dass sie gebraucht wird, einfach mal, das reicht ihr.«
Die Rolle der Gruppenleiter fasst Frau F kurz zusammen: »Meine Chefs finde ich klasse.« Und sie beschreibt Tätigkeiten von GruppenleiterInnen aus dem Arbeitstraining: »Wir haben Weben gemacht und so Brot geschmiert und Brötchen geschmiert und so. Und das haben sie offiziell so gemacht und so. Das ist ja klar, wenn man so jahrelang das gemacht hat und so, dann kommt man ja in die Übung, ja nicht mehr raus, und das verlernt man ja wohl auch nicht und so.« Frau F beschreibt das Verhalten ihrer jetzigen Gruppenleiter: »Mein Betreuer kann dazu sagen: ›Ja, mach deine Arbeit!‹ und so. Das braucht er gar nicht, das mach ich, von ganz alleine mach ich das.« Ihre Mutter kann die Rolle der Gruppenleiter nicht einschätzen, denn »ich war auch noch nie hier hinten so drin. Also ... wie sie gearbeitet hat, habe ich noch nie gesehen.« Die Gruppenleiter selbst »möchten natürlich auch ganz gerne, dass sie auch was kann, und bei ihr merkt man das auch ganz deutlich: Wenn sie motiviert wird oder wenn sie gut motiviert ist, dann kann sie auch Leistung zeigen.« Sie beschreiben die Praxis der Werkstatt für Behinderte, »sei es Verpackung oder wirklich Tischlerei oder Töpferei oder wie auch immer oder metallverarbeitendes Handwerk oder Druckerei oder so - das ist wirklich, das ist wie draußen in der freien Wirtschaft: richtig malochen, richtig was schaffen.« Der Werkstatt für Behinderte sprechen sie spezifische Stärken zu: »Ich denke, dass hier der Vorteil ist, dass das vielseitiger ist und man dadurch auch die Trainingsmöglichkeiten verlegen kann: Wenn ich sehe, dass einer fähiger ist, den nehme ich lieber in die Tischlerei oder im Handwerklichen als wie in Dienstleistung, ich denke schon, das ist wichtig.« Und ob die MitarbeiterInnen gut qualifiziert in den Arbeitsbereich kommen, »das ist letzten Endes abhängig, in welchem Trainingsbereich sie sind, aber wenn sie im Trainingsbereich Holz sind, sind sie auf jeden Fall gut vorbereitet, das kann ich schon sagen. Und selbst wenn sie ... aus der Töpferei kommen zum Beispiel, dann sind sie auch ganz gut vorbereitet. ... Und die trainieren ja nicht nur Töpfern oder so, sondern ganz alltägliche Sachen bis pünktlich kommen, auf Toilette gehen, waschen, Uhrzeiten lesen und eben alles.«
Zur Rolle im Betrieb macht Frau F deutlich, dass sie Anteil nimmt an den Gedanken und Überlegungen ihrer KollegInnen: »Einige sind auch gegangen. Einige hatten auch keine Lust hier gehabt, weil sie hier so wenig Geld verdienen und so wenig und so. Und viele sagen ja: ›Außerhalb kriegt man mehr Geld und so und außerhalb kriegt man mehr Kohle und so.‹ Das ist wohl wahr, aber bloß, es gibt auch viele, die sagen: ›Äeh, was soll ich denn noch länger verhocken hier länger, hier braten, ich geh doch hier raus. Was soll ich denn noch hier?‹ ... Ich hab da 'ne andere Einstellung.« Nach Aussagen der Gruppenleiter ist Frau F »kontaktfreudig, ... auch der Mittelpunkt hier in der Werkstatt. ... Da hinten die Runde, die hören alle auf (sie). ... Sie ist auch so der Jungsschwarm und das weiß sie auch.« Andererseits könnte sie im Moment kein Praktikum im hauswirtschaftlichen Bereich machen, »wegen den anderen Leuten, mit denen sie nicht so klarkommt. ... Also sie (ist) ja auch sehr konfliktfreudig, muss ich sagen.«
Bezüglich ihrer Zukunftsperspektiven beschreibt Frau F, dass sie eigentlich doch einen beruflichen Traum hegt: »So ich hatte mir vorgestellt - so im Laden alles einpacken und so. Die anderen, die geben das Geld und so, die anderen sind bei den Kassen und so, ich pack' das ein und das Geschenk und so und wickel das.« Bedauernd stellt sie fest, dass diese Idee sich bisher nicht hat realisieren lassen: »Nee, leider nicht. Aber irgendwann krieg' ich den Traum irgendwann mal. Später mal, wenn ich hier fest hier drinne bin, so. Ich bin ja erst im Sommer erst hier reingekommen erst. ... Erst mal warte ich erst mal ein paar Jahre, und irgendwann werd' ich auch versuchen, hier rauszugehen irgendwann mal, später irgendwann, wenn es so weit ist, irgendwann mal. ... Also das mit Einpacken, mit Geschenkpapier, das kann ich so gut mit Geschenkpapier einpacken. ... Weil ich pack' jetzt zuhause auch viel ein und so mit Geschenkpapier und so und darum kann ich das auch besser im Griff haben.« Bei KollegInnen sieht Frau F: »Natürlich können sie sich was anderes suchen, aber sie müssen das erst im Griff haben richtig alles, richtig alles im Griff haben und richtig gucken können und so. Dass sie Fehler sehen und so, und das geht auch auf Grund.« Und sie fügt hinzu: »Träume - die Träume, sagt man so schön, sind Schäume, sagt man natürlich. Aber Träume kann man ja leider nicht erfüllen, leider nicht, weil bei sowas nicht. Also viele Menschen kann man das erfüllen, viele Menschen. Und viele Menschen nicht.«
Bei dem Gedanken an die Zukunft von Frau F steht für die Mutter im Vordergrund, »'ne eigene Wohnung soll sie haben. Und mir hat immer so vorgeschwebt, dass sie also irgendwo in 'nem Hotel arbeitet, also so - gibt es ja für Behinderte so ein Hotel. ... Da möchte ich, dass ich da meine Tochter so gerne hin hätte.« Nun mischt sich Frau F ein: »Halt! Stop! Tschuldigung, dass ich unterbreche. Weil das gibt es auch für also normale Menschen. Da können auch Behinderte arbeiten, weil das war im Fernsehen gewesen. ... Bei mir sieht man das ja nicht so an, dass ich behindert bin. Bei mir sieht man das nicht so an, bei mir nicht, so richtig.« Die Mutter, die das Hamburger Stadthaus-Hotel meint (vgl. Kap. 1.1.2), bestätigt: »Ist alles machbar.«
Die Gruppenleiter glauben, »dass sie nicht hervorragend, aber ... dass sie einen guten Durchschnitt ergeben wird.« Sie glauben nicht, dass Frau F nach anderem strebt, sondern dass sie in der Werkstatt für Behinderte bleibt: »Das glaube ich schon, das sieht so aus.« Prinzipiell halten sie eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt für möglich: »Wir haben auch schon einige nach draußen gebracht. Bei (ihr) kann ich mir das noch nicht so vorstellen. ... Es kommt ja auch darauf an, in welchem Bereich. ... Ja ja, also das ist schon unser Ziel, also in der Tischlerei könnte ich mir das nicht vorstellen. Das ist zu umfangreich. Es sei denn, es ist wirklich eine sehr große Tischlerei, wo man sie speziell auf irgendwelche Sachen hin trainiert. Aber nicht allgemein Tischlerei, das kann ich nicht sagen, das mit Sicherheit nicht. Aber einige eben doch. Also hier sind welche bei, die man richtig fit hinkriegt.« Betriebe, die zur beruflichen Integration bereit sind, »muss man lange suchen. Alle Betriebe sind dafür nicht zugänglich, mit Sicherheit nicht. Aber ich meine, das ist natürlich nicht ganz so unsere Aufgabe mit, aber ich könnte (mir) sowas vorstellen, da auch mehr Werbung für zu machen. Das, denke ich, wäre sehr wichtig.« Die Gruppenleiter verweisen auf eigene Erfahrungen: »Wir haben einen Mitarbeiter rausgefördert. ... Die haben uns angesprochen, ob ... wir so einen hätten. Den haben wir da angelernt und ohne Hilfe arbeitet der jetzt draußen. ... Also wir haben ... in den letzten zwei Jahren fünf oder sechs Leute - da sind auch zwei oder drei mit der Hamburger Arbeitsassistenz raus. Aber ich glaube, zwei oder drei haben wir auch, die selbständig da sind.«
Wichtige Aspekte bei Frau F
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Frau F lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Frau F gehört zu den zufriedensten Personen aus der ersten Befragung. Dies bestätigt sie auch im Gespräch - für ihre schulische Zeit, für das Arbeitstraining und für die Beschäftigung. Zudem nimmt sie auch nach Angaben der Gruppenleiter eine zentrale Stellung im Betrieb ein.
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Dennoch äußert Frau F in der zweiten Befragung, dass sie später ›draußen‹ arbeiten möchte, und sie hat auch relativ konkrete Vorstellungen davon, was sie möchte. Sie gehört also nicht zu den 41 % der Befragten, die dieses in der ersten Befragung äußern. Gleichzeitig mit ihrem Wunsch reflektiert sie auch die Frage, wie weit Träume von Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt realisierbar sind.
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Obwohl es durch Schule und Berufsberatung durchgängig eine Orientierung auf die Werkstatt für Behinderte hin gegeben hat, schwebt auch der Mutter eine alternative Arbeitssituation vor, für die sie einen integrativen Zweckbetrieb wie das Stadthaus-Hotel favorisiert.
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Wenngleich die Gruppenleiter Frau F wichtige Eigenschaften wie Lockerheit, Selbstsicherheit, Kontaktfreudigkeit und Konfliktfreudigkeit bescheinigen, halten sie sie eher noch nicht für fähig, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, obwohl sie dieses Ziel all-gemein für wichtig halten und eigene Erfahrungen damit schildern.
Ansätze zur Interpretation
Da man Frau F ihre Behinderung nicht ansieht, wäre sie gemäß der Stigma-Theorie der Gruppe der Diskreditierbaren zuzuordnen. Im Rahmen der Werkstatt für Behinderte kann sie sich in der Gemeinschaft der Diskreditierten stabilisieren, indem sie dort tonangebender Mittelpunkt ist. Ihre Gruppenleiter finden, dass Frau F in ihrer Institution richtig plaziert ist, wobei nicht eindeutig klar wird, ob sie damit die Berechtigung der Zuschreibung stabilisieren und an Frau F festmachen oder ob sie einer anderen Umgebung als der Werkstatt für Behinderte nicht zutrauen, Frau F zu akzeptieren und mit ihr zusammenzuarbeiten.
Unter dem Blickwinkel der Theorie integrativer Prozesse erweckt Frau F auf den ersten Blick den Anschein, als sei sie ganz im Lot mit sich und sie tendiere nur einerseits ein wenig zur Verleugnung, wenn sie betont, bei ihr sehe man ja die Behinderung nicht und sie sei auch nicht mehr hibbelig, und andererseits zur Abgrenzung, wenn sie ausführt, dass die anderen gehen wollten, aber sie sei so robust, dass es ihr nichts ausmache, in der Werkstatt für Behinderte zu sein - jedoch will sie in einigen Jahren auch ›draußen‹ arbeiten. Ihre Mutter erklärt keine näheren Hintergründe für ihren Traum einer Arbeit in einem integrativen Zweckbetrieb für ihre Tochter. Dies legt jedoch nahe anzunehmen, dass sie ihre Tochter für so besonders im Sinne der Andersartigkeit hält, dass sie auch nur besondere Arbeitsorte für sie für möglich hält, nicht aber Passungs- und Einigungsmöglichkeiten zwischen ihrer Tochter und regulären Betrieben. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie wichtig die Vorstellungskraft des Umfeldes als Botschaft an die Person ist, wird deutlich, wie sehr es hier einer Instanz bedürfte, die Möglichkeiten von Dialog, Begegnung, Kooperation und Gemeinsamkeit transportiert und so die Realisierung beruflicher Veränderungen von Frau F befördert.
Herr G, 22 Jahre alt, arbeitet in der Töpferei einer Werkstatt für Behinderte. Dort ist er mit allen Formen und Teilbereichen des Töpferns beschäftigt. Aus einer Handwerkerfamilie stammend, besucht Herr G eine Schule für Geistigbehinderte. Sein Betriebspraktikum macht Herr G in der Töpferei, in der er jetzt auch arbeitet. In dieser Werkstatt tritt er nach Schulende sein Arbeitstraining an, obwohl er eigentlich gern Mechaniker, Elektroniker oder Busfahrer werden möchte.
In der ersten Befragung äußert sich Herr G über seine Schulzeit positiv; dass es eine Berufsberatung gegeben hat, erinnert er nicht mehr. Seine Zeit im Arbeitstraining sieht Herr G überwiegend negativ. Schon dass er in verschiedene Abteilungen muss, ärgert ihn, weil er nur in der Töpferei arbeiten möchte. Insgesamt macht ihm das Arbeitstraining keinen Spaß, vielmehr betont er, die »Langeweile war anstrengend«, und zudem hat er »auf 'n Sack gekriegt, obwohl ich alles richtig gemacht habe.« Den Berufsschultag, vor allem das Essen dort, hat er positiv in Erinnerung. Seine nachfolgende Beschäftigung bewertet er einerseits als gut, andererseits möchte er außerhalb der Werkstatt für Behinderte arbeiten und hat auch einen konkreten Betrieb im Auge, bei dem er bereits im Praktikum war, um das er sich »selber gekümmert« hat.
Im Rahmen der zweiten Befragung wird Herr G als einer der beiden unzufriedenen Mitarbeiter des Arbeitstrainings in der Werkstatt für Behinderte befragt. Das Gespräch mit seinem Gruppenleiter, ursprünglich Designer, findet im Anschluss daran ebenfalls dort statt. Auf Wunsch von Herrn G wird kein weiteres Interview geführt.
Seine Stärken und Schwächen sieht Herr G in Abgrenzung von seinen KollegInnen in den Kulturtechniken: »Lesen kann ich, schreiben kann ich, rechnen kann ich, was die anderen wohl nicht können.« Er sieht sich nicht als behindert, sondern als »ganz normaler Mensch«: »Ich bin immer noch ein Technik-Freak, also besser gesagt: Ich bastel' viel mit rum mit Batterie und Kabel und alles, was Elektronik ist, über PC, und ... in der Freizeit mache ich das.« Herr G besucht einen Kurs, »das ist so Texte schreiben, aus dem Menü rauszugehen, verlassen. ... Und da darf man keine Fehler machen, das ist richtig schwer ist das. Wenn man Fehler macht, dann stürzt der PC ab.« Außerdem stellt er fest: »Ich bin sehr gut beim Autowaschen.« Zwar hat er noch keinen Führerschein, »aber ich kann auch Autofahren. Bin ja nicht blöd.«
Sein Gruppenleiter sieht die Situation ähnlich: »Er kennt sich in Elektrik ein bisschen aus, also er kann Autoradios ein- und ausbauen, kann Lautsprecher installieren, kann Kabel verlegen; so was kriegt er hin. ... Und er ist eben Bastler, und da würde ich ihm wünschen, dass er seine Stärke auch irgendwie nutzen kann, ne, dass er in irgend sowas Technisches mit reinkommt. Es gab ja auch mal solche Arbeitsangebote für WfBs, wo elektronische Geräte recycled wurden und so was. Ist zwar destruktiv, aber immerhin, es ist ja nicht nutzlos und das wird zumindest seinem Interesse entgegenkommen. Hier nimmt er auch alles mit, den Computerkurs, den er mitnimmt, drei mal in der Woche, wo er sehr intensiv dabei ist. Dann was im Förderbereich ... angeboten innerhalb der Werkstatt passiert, ist er auch sehr interessiert.« Die Fähigkeiten und Initiativen von Herrn G gehen jedoch weit über das Übliche hinaus: »Er hat zum Beispiel die Aufnahme eines Kursprogramms initiiert, wo man einen Schaltkreis aufbaut, also wo er sich als Assistent praktisch anbietet, den anderen ein bissl zu zeigen, wie es geht und der Kursleiterin damit Unterstützung anbietet, ... und aufgrund seiner Initiative ist das eben mit aufgenommen worden.« Gleichwohl sieht der Gruppenleiter auch problematische Aspekte bei Herrn G: »Also, er hat sich erst mal besser eingeschätzt, als dass er Werkstatt für Behinderte nötig hätte, das ist aber auch stark vom Vater beeinflusst, der offen-sichtlich unter diesem Stigma leidet, dass sein Sohn nun nicht höher hinaus kann, ne. Nun hat er gewiss auch einige Defizite, die man, wenn man mit ihm länger zusammen ist, auch erkennen kann. Im Kognitiven, dass er manche Dinge, die er skizziert, um sie nachher zu bauen, dass er da nicht das richtige Vorstellungsvermögen hat, wo man jetzt Funktionsteile unterbringt, dass ihm das nebulös ist. Er ist ein Augenmensch, er braucht das anschaulich, also ist nicht so der Theoretiker. Aber im Praktischen hat er schon seine Stärken.« Vom Praktikum in der Kfz-Werkstatt hat der Gruppenleiter gehört, »dass er wohl verständig ist und anstellig, dass er Arbeiten ausführen kann, die man von ihm dort erwartet, aber dass er natürlich auch da steht und, tja, Anweisungen erwartet und nicht sehr selbständig ist, ne. Er brauchte praktisch jemand, der ihn ständig führt.« Auch ist Herrn G wohl noch nicht ganz bewusst, »wenn er dort seine Arbeitskraft verkauft, dass er auch den Gegenwert erbringen muss an Leistung.«
Bezüglich seiner Entwicklung hebt Herr G hervor, dass er zwar in eine Schule für Geistigbehinderte gegangen ist, jedoch lediglich einen »Sprachfehler« als Grund dafür sieht: »Ich hab einen kleinen Sprachfehler, aber ich - manchmal hab ich das, aber nicht mehr so oft. Früher hab ich Sprachfehler gehabt - Zungenbrecher oder sowas.« Später im Arbeitstraining, »das war - wie soll ich das erklären - das waren schlechte Zeiten. ... Wenn man Probleme, also besser gesagt mit den anderen Leuten da versteht man sich eigentlich nicht so gut. ... Die Gruppenleiter, da sind nämlich drei Leute drin, ich weiß noch ganz genau, wie die heißen. ... Da wurde ich immer so angequakt, so angemeckert. Das fand ich überhaupt nicht komisch oder witzig (lachend). Das fand ich irgendwie blöd. ... Ja, ich hasse dieses Labor, das sind diese Mixerstäbchen mit der Tasse mit den ganzen Magnetteilen drinne, mit der Schere da so einzeln reinzustecken, für Labor.« Herr G schildert andere Bereiche des Arbeitstrainings, in denen er ebenso unzufrieden ist: »Das gefiel mir auch nicht so, weil da auch, naja, die Leute, die Gruppenleiter, die da gearbeitet haben, joaar, der andere hat so rumgemeckert - weiß ich, wer das war, das war bestimmt der Chef - aber sonsten wollte ich zurück in die Töpferei gehen.« Als er diesen Wunsch äußert, wird ihm entgegnet: »›Du gehst bitte nicht in die Töpferei, Du bleibst hier bitte bei uns!‹ hat sie gesagt. ... Und ich hab mich schon erschrocken.« Er schaltet den zuständigen Sozialpädagogen ein, und es gelingt ihm, einen anderen Verlauf herbeizuführen: »Also hat das zack-zack schnell gegangen und ich bin in die Töpferei gekommen.«
Ebenso ergreift Herr G die Initiative für das vierwöchige Praktikum beim »Kfz-Service. ... Automechaniker. Das hab' ich selber meinem Gruppenleiter gesagt, ... und sie (eine Sozialpädagogin, d. Verf.) hat mich draußen vermittelt, ein Praktikum zu machen, und die wollten mich unbedingt wieder haben, die Leute. ... Joa, eben wir haben so 'ne Sozialpädagogin, find' ich eigentlich auch nicht so ganz gut, hab' ich schon mal angesprochen, ich würd' da gerne draußen arbeiten und da meint sie so: ›Im Moment nicht!‹ Und da war ich ein bißchen sauer, aber macht ja nix. ... Und das finde ich irgendwie schade, vielleicht klappt das mal, nächstes Mal, ein zweites Praktikum zu machen. ... Die Leuten, die wollten mich gerne haben, das ist der Chef. ... Da gab's auch ein Meister, ... der hat wohl aufgehört, schade. Der mochte mich eigentlich auch ganz gerne, ich mag ihn auch ganz gerne. Der Chef genauso, der will mich auch ganz gerne wieder haben. ... Die wollten mich ganz haben! Also besser gesagt: Die wollen mich jetzt ganz - total haben!«
Auch mit der Hamburger Arbeitsassistenz hat Herr G sich beraten, allerdings die »hat sich noch nicht bei mir gemeldet, die wollten sich auch normalerweise melden, das ist schon drei Jahre her. Und haben sicher auch immer noch nichts gefunden. Ich hab' gesagt, ich wollte gerne Busfahrer werden.« Zwar hat Herr G keinen Führerschein, »aber ich hab' auch ohne Führerschein gefahren auf 'n Übungsplatz mal. ... Da würd' ich schon zutrauen, aber für meinen Verdienst, Gehalt, was ich verdiene hier in der Werkstatt, langt nicht aus! ... Nee, dann kann ich das auch nicht leisten, weil Lappen, das heißt Führerschein kost' 3000 Mark. ... Und dann noch mal ein Auto: 18 000 Mark, 400 oder 500 Mark, sowas kann ich nicht leisten.« Schon in der Schulzeit hat Herr G in der Tonwerkstatt gearbeitet und »Stövchen gebaut, das ist so Duftlampen mit Kerze drinnen, wo das dann überall der Duft rumduftet, ... und das fanden die ganz gut, die Lehrers da.« In der Töpferei der Werkstatt für Behinderte hat er im Laufe der Zeit »viel zugelernt. Da hab ich anne Töpferscheibe gedreht, Vasen hochge- zentriert, dann habe ich einen Brunnen gemacht. Selbst gebastelt, dann geh' ich nachmittags ... und hab' mir ein paar Pumpen geholt und dann hab' ich sie auch eingebaut. Solche Ideen muss man haben und ich hab' solche Ideen auf 'n Kasten.«
Sein Gruppenleiter beginnt seine Schilderung ebenfalls in der Schule: »Er wird in der Schule von den Lehrern natürlich auch schonend behandelt worden sein im Hinblick auf seine Lebenszufriedenheit. Man wird ihm nicht gesagt haben, dass er nun einige geistige Voraussetzungen zum Verstehen von Lehrstoffen eben nicht mitbringt, also er hat - er ist auch Legastheniker. Vielleicht ist das Sprachverständnis gemeint, schriftsprachlich, denn so umgangssprachlich ist er natürlich nicht auffällig. ... Er kann sich ausdrücken, sogar recht gewählt, und hat einen Wortschatz, der jetzt im Vergleich zu den anderen im Durchschnitt ist oder überdurchschnittlich.« Auch der Gruppenleiter berichtet, Herr G hatte im Arbeitstraining »immer die Ambitionen, gleich bei uns in der Regelgruppe in der Töpferei zu arbeiten, weil er ... sich aufgrund des mit Begeisterung absolvierten Schülerpraktikums dann gleich für die Töpferei entschlossen hatte. Und das hier noch, das Arbeitstraining mit allen Einübungen hier von Pünktlichkeit, Sauberkeit, Kontinuität, die Werkstatt in ihrer Struktur und Funktion kennenzulernen - das war ihm alles zu fern, zu theoretisch. Er wollte eben gerne in der Töpferei sein Praktikum machen. Das hat nach einigen Schwierigkeiten auch funktioniert, dass wir uns dann eingesetzt haben, dass wir ihn dann praktisch mit den Kollegen vom (Arbeitstraining) betreuen, dass das einfach mal flexibilisiert worden ist. Er hätte sonst die Werkstatt wieder verlassen, das hat er so gesagt: Also wenn er nicht in die Töpferei darf, dann möchte er drauf verzichten, weil er ist ... ja sehr frustriert gewesen, dass er dann auch solche Konfektionierungsarbeiten ausüben musste, ne. Dass er irgendwie mit einer kleinen Pinzette in irgendwelche Küvetten kleine Nädelchen einsortieren musste, also endlos in der Menge und sehr einförmig - und das war ihm gar nichts. Er hat eben gerne komplexere Aufgaben, wo er eben seine Verantwortung übernimmt, dass er sich eben was ausdenkt, das herstellt und das bis zur Vollendung dann auch bringt, das ist für ihn irgendwie das Interessante.«
Bei der erwünschten Arbeit in der Töpferei macht Herr G Fortschritte: »Durch den Umgang mit technologischen Arbeitsschritten in der Töpferei und auch durch die Kenntnis der Maschinen, an denen er arbeitet, ist er da natürlich sicher geworden und kann eben auf der Scheibe töpfern.« Was Herr G sich vornimmt, realisiert er auch: »Sagt er, er macht 'ne flache Schüssel, dann wird's auch eine, macht er 'ne Tasse, dann wird's auch eine. So Form und Kaliber lässt sich natürlich nicht so ganz gezielt vorplanen, da kann man sich freuen, wenn er überhaupt was Brauchbares zustande bekommt. Aber es geht schon in die Richtung, also es ist nicht so notdumpf-triebhaft, es ist schon ein bisschen gezielt, ne, was er so tut. Das wäre positiv zu vermerken.« Als problematisch sieht der Gruppenleiter bei Herrn G »die Motivationsschwäche, auch mal sich was auftragen zu lassen, was er sich nun nicht ausgesucht hat. Er muss ja auch ein Äquivalent zu seiner Entlohnung bringen, er muss auch in der Gruppe nützlich sein und da hapert's dann manchmal und dann flieht er auch manchmal der Arbeit.« Der Gruppenleiter stellt den Zusammenhang her, dass Herr G »nach dem Praktikum in der Autowerkstatt nun auch die Hoffnung hat, dass das mal irgendwann noch 'ne Fortsetzung erfährt, dass er dann möglicherweise noch mal ein Praktikum dort eingeräumt bekommt. Wir bremsen ihn gar nicht, wir würden seine Initiative unterstützen und er müsste bloß sagen, wann das sein soll. Man müsste dann den zuständigen Sozialarbeiter hier im Hause bitten, dass er das Formale in die Wege leitet.« Ein weiterer schwieriger Punkt ist seine Abhängigkeit von persönlichen Beziehungen, die nach Meinung des Gruppenleiters »in die zweite Reihe gehören. Es geht hier um Arbeitsplätze, und das kann er schlecht trennen. ... Das hat aber eben auch mit seinen Defiziten zu tun. Das muss er eben verstehen lernen, dass Arbeit was ist zum Geldverdienen und um, tja, eine Zufriedenheit über die Tätigkeit zu erwerben. Und 'ne Zufriedenheit über 'ne Sympathie und 'ne Partnerschaft - das ist eben was, das gehört in den Freizeitbereich und nicht unbedingt in den Arbeitsbereich. Und das muss man ihm sicher deutlich machen.«
Als prägend für das verunsicherte Selbstbild von Herrn G sieht der Gruppenleiter widersprüchliche Haltungen der Eltern zu ihrem Sohn: Während der Vater, »der offensichtlich unter diesem Stigma leidet, dass sein Sohn nun nicht höher hinaus kann«, eine harte Haltung einnimmt, die Herr G als Ablehnung deutet, erscheint die Mutter als sehr weichherzig: »Sie liebt ihn, er liebt sie, aber sie ist sehr nachgiebig. Sie verschafft ihm auch Ausreden, dass er zu Hause bleibt, wenn er sagt, er hat so psychische Probleme oder mit dem Kreislauf, diese Dinge, also sie hilft ihm praktisch auch zu flüchten, sich der Realität und der Verantwortung zu entziehen. Das ist kontraproduktiv, das ist schade. Aber da können wir nichts daran ändern. ... Er lässt sich ja auch vieles versorgen, die Mutter schmeißt den Haushalt, während er eben auf Arbeit ist und seine Kurse besucht. Und - so ist er eben noch Muttis Kind und er ist ja nun schon ein ausgewachsener Erwachsener und müsste nun auch einige Dinge noch erlernen, die ihm noch fehlen.« Dass sich diese Diskrepanz auf die Psyche von Herrn G auswirkt, »würde ich nicht verneinen.« Insbesondere die Kritik des Vaters an der Werkstatt für Behinderte, die er für »keine angemessene Lösung« und als »Tagesverwahrung« ansieht und in der sich keiner »irgendwie entwickeln kann«, und die gleichzeitige Verweigerung, den Sohn im eigenen Betrieb zu beschäftigen, ist »keine Unterstützung für ihn.«
Herr G leitet seine Zufriedenheit vor allem von der Töpferei her, »weil die Gruppenleiter sehr nett zu mir sind. Auch die Arbeitskollegen, und es macht Spaß, ... mit Ton zu arbeiten.« Andererseits betont er, »aber hier viele Freunde hab' ich nicht gefunden. ... Nee. Das gibt solche Leute, da kann ich noch mehr Leute aufzählen, die so blöd sind, die hier gleich rummeckern« - ArbeitskollegInnen und GruppenleiterInnen. Zudem ist eine Freundschaft mit einer Kollegin in einer anderen Arbeitsgruppe in die Brüche gegangen, und »das ist alles eben blöd, und die ganzen Leute unterstützen sie noch. Und ich werd' an letzter Dreck weggeworfen, aber so auf Deutsch gesagt: Scheiße - für mich, ne.« Seit einem Monat hat Herr G jedoch eine neue Freundin.
Sein Gruppenleiter sieht Herrn G als hoch zufriedenen Mitarbeiter, wenn er seinen eigenen Vorhaben nachgehen kann: »Er ist eben hauptsächlich zu motivieren, indem er die Arbeiten ausführen kann, die ihm gefallen, und bei anderen Dingen, da geht er nicht so leicht ran, da ist er schwer zu motivieren, da kommt es auch mal zu Auseinandersetzungen, dass er auch nichts annehmen möchte, was man ihm anträgt.«
Die Rolle des Gruppenleiters liegt Herrn G gegenüber darin, dass er »das ein bissel steuern (muss), dass er immer mal wieder zur Zufriedenheit was zu tun bekommt, ne. Aber es ist eben nicht immer möglich.« Darüber hinaus sorgt die Gruppenleitung auch für immer wiederkehrende Reflexionsprozesse über die Leistungsfähigkeit und den Einsatz bei Herrn G: »Einerseits ist er nicht ganz zufrieden mit dem, was er hat, es ist ihm aber auch nicht klar, dass es einer Anstrengung bedarf, die von ihm kommen muss, darüber hinwegzukommen, ne. Wir besprechen das immer dann, wenn es um neue Punktung geht, ... das sind die Leistungseinschätzungen zur Erlangung des Steigerungsbetrages zur Grundentlohnung. ... In dem Zusammenhang werden Ziele besprochen, die er erreichen kann, die im Rahmen der Möglichkeiten sind, die wir erkennen. Und das wird nicht von uns alleine gemacht, sondern im Zwiegespräch mit ihm, also er kann mit gestalten und auch in so 'nem Gespräch. Und in der Auswertung der letzten Beobachtungsperiode wird dann eben besprochen, wie uns das vorkam, wie er gearbeitet hat, was wir zu kritisieren haben. ... Das ist also 'ne sehr intensive Auseinandersetzung - und 'ne sehr persönliche, und da geht es dann wirklich um die Dinge, die man sich wünscht, die man sich vorstellen kann, die man erreicht hat, die man nicht erreicht hat. Und letztendlich das Äquivalent ist dann auch die Einschätzung, die sich in Geld auszahlt so. Und das ist vielen über die Strecke des Jahres sicherlich nicht immer so bewusst, rückt dann wieder ins Bewusstsein, wenn man das vorbereitet und bespricht, so paar Wochen vorher, dass das wieder ins Haus steht. Dass dann vielleicht noch mal alle Tugenden gezeigt werden und ... so ein bissel neue Vorhaben für sich selbst erst mal auch dann formuliert werden.«
Der Gruppenleiter reflektiert auch grundsätzlich Nachteile und Vorteile der Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte: »Zunächst ist es natürlich problematisch, so einen Konzentrationspunkt hier zu schaffen, wo nun hunderte von Leuten mit sozialem oder auch einem geistigen oder körperlichen Defizit oder Handikap arbeiten müssen. Es ist ja auch dann eine Verstärkung der Problematik, auch im Bewusstsein der Leute auch 'ne starke Stigmatisierung bei vielen, die das dann eben auch empfinden und sich dann wirklich auf dem Abstellgleis fühlen. Andererseits ist es auch 'ne Sicherheit, die denen, die sich nun aufgrund der Möglichkeiten, die ihnen die Werkstatt bietet, gut entwickelt haben. Wir haben da in der Töpferei einige aufzuweisen, die richtig gut handwerklich geworden sind, also die töpfern können und es auch gerne tun, die Praktika in einer Großküche von einem Altersheim - wo die Arbeitsassistenz ein Praktikum vermittelt hat - dann wieder gelassen haben, weil ihnen diese Anforderungen doch nicht so angemessen erschienen, und dann sind sie gerne wieder zurückgekommen und sind gerne bei uns. Also diese Möglichkeit gibt es auch, man kann überhaupt nichts pauschal sagen, es hängt immer von der Person ab, die man betrachtet. Es gibt Leute, die werden hier nie zufrieden sein, die drängen immer wieder nach außen und würden lieber gerne sich ihr Geld selbst verdienen, als nun mit dieser Werkstattentlohnung und der Aufstockung Sozialhilfe dann praktisch versorgt zu sein, und andere, die haben aber herausgefunden, dass sie sich so in ihrem Lebensstandard gar nicht verändern können, wenn sie jetzt mit einer Arbeitsaufgabe in der freien Wirtschaft betraut sind, die ihnen nicht gefällt, und wo sie dann auch gerade mal so viel verdienen - unter Abzug der Miete und der Lebenshaltungskosten - wie sie es hier auch haben. Also die wägen dann schon so ab: Wo bin ich zufriedener? Wo werde ich mehr geachtet? Wo kann ich mich auch entwickeln? Bin unter meines Gleichen, hab' da auch meine sozialen Kontakte, die sie zumeist ... auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht haben. Und entscheiden sich dann dafür.«
Über seine Rolle im Betrieb äußert sich Herr G indirekt. Wie aus den bisherigen Schilderungen hervorgeht, fühlt er sich in der Werkstatt für Behinderte fehlplaziert und hat eine deutliche Orientierung nach ›draußen‹: »Am liebten, wenn ich dann nicht so behindert wäre wie die anderen da, wenn man eigentlich nicht behindert ist, dann hat man 'ne Chance, nach draußen zu kommen. ... Der soll nicht zu spät kommen oder der soll richtig arbeiten. Und wenn er das jeden Tag macht, ohne mal fehlen zu lassen, dann wird er irgendwann draußen zuvermittelt.« Sozial lehnt er sich vor allem an die Gruppenleiter in der Töpferei und an seine Freundin an.
Der Gruppenleiter merkt ergänzend eine spezifische soziale Rolle an: »Da gibt's Leute, die auch so tüchtig sind in ähnlicher Weise, ... also es gibt welche, die sind im Töpfern geschickter als er, aber kommen dann mit ihrem Kassettenrecorder zu ihm und lassen sich den bei ihm reparieren, weil er das kann.«
Zukunftsperspektiven entwickelt Herr G dennoch nicht ganz eindeutig, auch wenn seine Eltern die Tendenz zum ersten Arbeitsmarkt unterstützen: »Mein Vater hat gesagt, das findet er gut, was ich bei Automechaniker, bei Kfz-Service im Praktikum gemacht hatte. Das findet er gut, und meine Mutter hat auch gesagt, das findet sie gut ... : ›Dann kannst Du Dir ja alles leisten, dann kannst Dir ja 'nen Führerschein leisten, erstmal das, ein Auto leisten, ein Haus leisten. Und sonstiges, oder zum Beispiel PC oder so was.‹« Trotzdem ist Herr G sehr hin- und hergerissen, was seinen weiteren Weg angeht: Einerseits wünscht er sich sehr klar, »dass ich draußen arbeiten kann, ... weil hier ist wirklich Chaos und ich bin wie ein normaler Mensch, ich habe keine Behinderung, ich nehme keine Tabletten oder so, bin 'n ganz normaler Mensch.« Trotzdem, »hau, weiß ich nicht, was ich dann mach', aber ich werd' mir schon was einfallen lassen, also, ich weiß gar nicht, wohin ich mein Gedächtnis hin lassen tue, das ist eigentlich Katastrophe für mich. ... Ich weiß gar nicht, was ich will - entweder ich bleib' in der Töpferei oder ich werd' draußen arbeiten. Das ist sehr schwierig für mich, also wenn ich dann mal nach draußen gehe und arbeite draußen, dann vermisse ich die Töpfereigruppe. So, und wenn ich denn wieder zurückkomme, ach, dann vermissen mich meine Leute vom Kfz-Service. ... Man kann sich nicht auseinanderreißen oder irgendwas.« Einen Kompromiss mit zwei Teilzeitjobs kann Herr G sich nicht vorstellen: »Ich weiß gar nicht, was die Leute dazu sagen. Die würden bestimmt sagen: ›Ach, das ist Blödsinn, das ist Quatsch. ... Du musst eigentlich mal entscheiden, entweder nimmst du das oder das.‹ Und ich kann nicht hier aus ein Teil eine Eins, 'ne krumme Eins machen - so teilen oder so. ... (lachend) Das geht bestimmt nicht.«
Für den Gruppenleiter hängt der weitere Weg von Herrn G »sehr davon ab, wie jetzt die Weichen gestellt werden. Wird er noch ein Praktikum in der (Kfz-, d. Verf.) Werkstatt bekommen, dann kann ich da nichts vorwegnehmen, da muss man das abwarten. Ich würde ihm natürlich wünschen, dass er da anwächst und sich da nützlich machen kann, solange die Werkstatt in dieser Form existiert, also, dass er hier noch in der Nähe zu uns ist, auch in der Nähe zu seiner Freundin. Uns auch um Rat und Vermittlung bitten kann.« Denn der Gruppenleiter kann sich gut vorstellen, »dass das in so einer Werkstatt, die ein Kleinbetrieb ist, wo der Meister eben auch mal auf Tour ist, Material holen, mal 'ne Probefahrt zu machen oder gerade mit was anderem beschäftigt ist, dass er dann eben viel Leerlauf hat. Und wie dann 'ne Organisation gefunden wird, dass er nun in der Zeit, wo er nicht unter Betreuung ist, was tut, bis er sich eben vielleicht eine Routine angewöhnt hat, dass er weiß, was zu tun ist, wenn der Meister nicht da ist, dass das besprochen wird. Da können wir ja noch Einfluss nehmen. Das wäre dann praktisch unser Angebot von Arbeitsassistenz, weil 's gleich um die Ecke ist und weil wir sowohl der (Kfz-, d. Verf.) Werkstatt wie unseren Mitarbeitern irgendwie verpflichtet sind. Und wenn wir ihn da stärken«, sieht er eine realistische Chance. »Wenn er hier bleibt, hätte er nur Entwicklungschancen, wenn es uns gelingt, ihn noch besser zu motivieren oder er sich besinnt und ein bisschen mehr Initiative zeigt, sonst wird's wohl stagnieren. Denn die Tendenzen zeigen manche - er zum Teil - , dass sie sich mit dem, was sie haben, schon zufriedengeben.«
Wichtige Aspekte bei Herrn G
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Herrn G lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Herr G hat einen geradlinigen und bruchlosen Weg hinter sich: Von der Schule für Geistigbehinderte wechselt er nach einem Praktikum in der Werkstatt für Behinderte in diese Werkstatt. Diese Entwicklunglinie steht im Widerspruch zu den Wünschen, die sein Vater für ihn hat.
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Herr G fühlt sich weder in dieser Schulform noch in dieser Institution richtig aufgehoben. Sein Wohlbefinden leitet sich zu einem Teil von der konkreten Tätigkeit des Töpferns, zum anderen Teil von guten Beziehungen mit wenigen Personen ab. Gleichwohl ist in dieser Zufriedenheit eine resignative Tendenz wahrnehmbar, die auf der anderen Seite durch unzufriedenes Hadern relativiert wird.
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Seine Erfahrungen im Arbeitstraining sieht Herr G sehr negativ; nach den Schilderungen ist dies eine Folge davon, dass er dort einem - für ihn unterfordernden und langweiligen - Standardprogramm folgen muss und nicht seinen individuellen Interessen nachgehen kann und dass die soziale Situation ihn nervt.
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Herr G befindet sich in einer ambivalenten Situation. Der zentrale Zielkonflikt besteht darin, dass er einerseits draußen viel Geld verdienen und seinen technischen Interessen entsprechend arbeiten möchte, andererseits aber zögert, auf die emotionale und soziale Sicherheit seines engsten aktuellen Umfeldes (Töpfergruppe) zu verzichten. Für dieses Dilemma hat Herr G keine Lösung.
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Sein Gruppenleiter sieht das Problem ebenso, tendiert jedoch dazu, die Chance zu einem zweiten Praktikum im bekannten Betrieb ergreifen zu helfen. Diesen Prozess zu begleiten und zu stützen, definiert er als seine Form von Arbeitsassistenz.
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Der Gruppenleiter stellt heraus, dass Herr G immer eine hohe Arbeitsmotivation zeigt, wenn er selbst gewählten und für ihn zufriedenstellenden Aufgaben nachgehen kann, es aber noch lernen müsse, auch fremdbestimmten Aufgabenstellungen nachzukommen.
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Grundsätzlich sieht der Gruppenleiter Dilemmata für Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben - in der Werkstatt für Behinderte wie auf dem ersten Arbeitsmarkt. Er plädiert daher für ein individuumsbezogenes Vorgehen, das bei jeder Person mit abwägen hilft, ob einerseits das Problem des verstärkten Stigmas in einer Institution und der Vorteil der sicherheitgebenden Umgebung dort oder andererseits das Problem der letztlich nicht wesentlich verbesserten finanziellen und sozialen Situation mit einer evtl. nicht interessanteren Aufgabe und der Vorteil reeller Arbeit und reellen Verdienstes auf dem ersten Arbeitsmarkt stärker gewichtet wird.
Ansätze zur Interpretation
Unter dem Blickwinkel der Stigma-Theorie könnte Herr G aufgrund einer auch für ihn selbst nicht fassbaren Behinderung als ein Diskreditierbarer gesehen werden, der seine Zugehörigkeit zu einer diskreditierten Gruppe zu verleugnen versucht. So lange er sich in der Subkultur der Diskreditierten bewegt, bestehen dafür vielleicht bessere Chancen als in der direkten Konfrontation mit gesellschaftlicher Normalität. Zögern lässt ihn möglicherweise zudem die abwertende Sichtweise seines Vaters, die sich auf die Institution bezieht, latent aber auch auf ihn. Dies mag ebenso wie das nicht sichtbare Stigma bei Herrn G die Gegenwehr gegen die Konstruktion einer behinderten Identität erhöhen, die ihm die Zugehörigkeit zu einer speziellen Institution nahelegt. Sein Gruppenleiter gehört dabei nicht zu den Zuschreibungsspezialisten, zu denen mit Autorität und sozialer Kontrolle ausgestattete Instanzen in Institutionen häufig werden. Er ist vielmehr bemüht, ein positives Selbstbild und eine in die eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten vertrauende Haltung von Herrn G zu unterstützen und ihn zu bestärken, Schritte in einen anderen Arbeitskontext zu unternehmen, da er um die stigmatisierende Wirkung der Konzentration von Menschen mit Handikaps weiß.
Der Theorie integrativer Prozesse entsprechend lässt sich bei Herrn G vermuten, dass er - zumal auf der Grundlage der Überbehütung der Mutter und der abwertenden Distanzierung des Vaters - einerseits sehr zum Pol der Gleichheit strebt und andererseits über die Verleugnung der eigenen unerwünschten Anteile und deren Verfolgung durch ihre Projektion auf die anderen KollegInnen mit Behinderung latent zur Abstoßung und zur Verweigerung der weiteren (Zusammen-)Arbeit getrieben wird. Er möchte sich quasi aus der Aussonderung einer speziellen Institution absondern, befürchtet aber zugleich, außerhalb des Schutzes der Werkstatt für Behinderte als Gemeinschaft der als andersartig Definierten, Formen der Anpassung leisten zu müssen, zu denen er vielleicht doch nicht in der Lage sein könnte. Einzig von dem aus einem Praktikum bekannten Betrieb erhofft er sich Angenommen- und Gemochtwerden und Einigungen auf allen Ebenen, die ihm Normalisierung und Integration ermöglichen. Der Gruppenleiter versucht eine Balance zu realisieren zwischen der Akzeptanz des Soseins von Herrn G und der Herausforderung und Beförderung seiner Entwicklungsmöglichkeiten. In diesem dialektischen Spannungsfeld unterstützt er alle Ambitionen zu mehr Autonomie, da er Stagnation und negative Verstärkungs-Effekte der Konzentration von problematischen Aspekten in der Großinstitution sieht.
Herr H, 35 Jahre alt, arbeitet seit Jahren mit ca. 30 Wochenstunden in einer Werkstatt für Behinderte. Dort ist er in einer Verpackungs- und Montagegruppe tätig; zur Zeit montiert er abgelängtes Schnurmaterial, das als Segelzubehör verwendet wird. Aus einer Familie mit Angestellten und Beamten stammend, besucht Herr H eine Schule für Körperbehinderte. Während er von keinem Betriebspraktikum mehr weiß, hat er die Berufsberatung in Erinnerung: Er soll die »Papiere einschicken für die Werkstatt.« Auch die Lehrer raten ihm zur »WfB natürlich.« In deren Arbeitstrainingsbereich geht er dann auch über. Später wechselt Herr H in eine andere Werkstatt für Behinderte.
In der ersten Befragung äußert sich Herr H weitgehend negativ über seinen bisherigen Weg: In die Schule geht er ungern, die Berufsberatung gefällt ihm sehr schlecht, auch das Arbeitstraining mit den Schwerpunkten Verpackung, Holz und Küche stellt ihn nur teilweise zufrieden. Während er die GruppenleiterInnen unterschiedlich bewertet, meint er mit seinen ArbeitskollegInnen eher schlecht auszukommen. Einmal wird ein Praktikum in der Post vorgeschlagen, zu dem es jedoch nicht kommt. Lediglich den Berufsschultag findet Herr H gut. Mit seiner Beschäftigung ist er unzufrieden, er möchte in verschiedenen Gruppen arbeiten. Richtige Freunde gefunden hat er im Arbeitsbereich auch nicht. Wiederholt äußert Herr H den Wunsch, außerhalb der Werkstatt für Behinderte zu arbeiten, vielleicht am Computer.
Im Rahmen der zweiten Befragung wird Herr H als einer von zwei Unzufriedenen in der Werkstatt für Behinderte befragt, ein Interview mit seinen Eltern lehnt er ab: »Ich kann schon für mich selber sprechen.« Das Gespräch mit der Gruppenleiterin, die vor der Arbeit in der Werkstatt die Abteilung eines Betriebes geleitet hat, findet ebenfalls in der Werkstatt für Behinderte statt.
Herrn H fällt es schwer, eigene Stärken zu formulieren. Vielmehr äußert eigene Probleme und Schwächen: »Meine besonders guten Stärken sind eigentlich: mitarbeiten. Mit ein paar Leuten mitarbeiten, aber manchmal merke ich schon, da fehlt noch was, da fehlt noch was. Aber so ab und zu muss ich mich selber aufmuntern und sagen: ›Das schaffst du schon.‹ ... Doch, ich könnte schon was schaffen, aber wenn ich mit mehreren zusammen bin, dann würde ich mich schon riesig freuen, wenn man solche Clique finden würde mit anderen schwachen Leuten und sagen würde: ›Wir schaffen das.‹ ... Und ich möchte auch mit mehreren Leuten Kontakt kriegen, aber es fällt mir manchmal schwer.«
Seine Gruppenleiterin bestätigt dieses Bild: »Also, wir arbeiten knappe zwei Jahre zusammen. Tja, seine Schwächen; ich kann eher die Schwächen nennen. Die sind, dass sich Herr H also alles reinzieht, was in seinem Umfeld Negatives passiert. Das zieht er sich rein und das schlägt sich auch auf seine Arbeit nieder. Positives kann ich kaum Arbeitsmäßiges sagen.« In seiner Gruppe »ist er der Schwächste. ... Er wollte mal bei mir an die Säge. ... Da ist es erst mal nicht machbar, von der Höhe vom Rollstuhl gar nicht, dann sind das Stangen, die hin- und hergetragen werden müssen und sechs Meter Länge - ist das auch gar nicht möglich, so dass ich ihn da irgendwo mit einsetzen könnte. Außerdem ist (er) auch noch - er schläft zwischendurch ein und da kann ich ihn nicht an die Maschine setzen, ne. Er nickt dann einfach so beim Arbeiten mittendrin weg. Das ist einfach zu gefährlich. Die Verantwortung will ich nicht übernehmen.« Das Interesse am Computer bei Herrn H sieht die Gruppenleitern ebenfalls als problematisch, denn er »kann auch nicht lesen und schreiben. Das fehlt dann auch noch. Wenn er am Computer arbeiten will, dann muss er das können. Das ist ja eigentlich die Voraussetzung für so was, wenn er effektiv dran arbeiten möchte.« Nach Meinung der Gruppenleiterin gibt es ein weiteres Problem: »Er blufft wohl auch ein bisschen, ja. Ich glaube, er möchte mehr, als er überhaupt kann. Er kann das gar nicht so richtig einschätzen, wo seine Grenzen überhaupt sind.« Weiter stellt die Gruppenleiterin fest: Herr H »mag umsorgt werden. ... Aber ich denke auch mal, dass das gut ist, wenn er die Dinge alleine macht, die er auch kann.«
Bezüglich seiner Entwicklung hadert Herr H mit seiner Behinderung. Wenn er nicht im Rollstuhl säße, dann »hätte ich einen richtigen Beruf begriffen, ergriffen und dann hätte ich sogar an Maschinen gearbeitet. ... Schlosser oder so. ... Ja, das wäre absolut meins.« Gegen Ende der Schulzeit, blickt Herr H zurück, »hatte ich 'ne Berufsberatung, aber damals hat man mir so'n bisschen keine so wahre Hoffnung gemacht. Aber: Man kann das ja auch mal im Auge behalten. ... Die kam zu mir in die Schule und sagte: ›(Herr H), würdest du dich in (einer Werkstatt) eigentlich wohl fühlen?‹ Habe ich zu ihr gesagt: ›Ja, wenn da ein paar Leute sind, die auch verständnisvoll sind.‹ Aber«, so formuliert er die beginnenden Schwierigkeiten, »ein Behinderter, der musste mich andauernd auf Klo setzen. Für den war das ein Bereich, mit Männern zusammen zu arbeiten. ... Der konnte das nicht so schnell. Also er hat auch manchmal gesagt: ›Ich kann das nicht so schnell.‹ Aber was ich nicht so kapiert habe, dass (die Werkstatt) nicht mit ihm zusammengearbeitet hat.« Herrn H's Schilderung nach ist eine Arbeitsassistentin gekommen, »die hat mich erst mal gefragt, ob ich nicht wo anders Interesse hätte, Lust hätte. Und jetzt hat sich so ein bisschen rausgestellt, dass ich so ein bisschen Interesse hab', was am Computer zu machen.« Gleichwohl ist Herr H insgesamt reserviert: »Die Umsetzung, die würde ich lieber mit meinem Vater erst mal ausdiskutieren. Wenn mein Vater jetzt mich irgendwie unterstützen würde.« Sein Vater ist für Herrn H die Person, von der er sich am meisten Unterstützung erhofft - in jeder Hinsicht, aber insbesondere bei Zukunftsperspektiven. So bleibt Herr H in der Werkstatt für Behinderte. Er kritisiert dort zum einen den zeitweiligen Leerlauf: »Ab und zu kriegen wir nur noch Arbeit, aber ab und zu muss ich mich auch gedulden.« Zum anderen findet er auch »die Arbeitseinteilung nicht so gut, ... diese Sei-le-Einteilung da.« Herr H wünscht sich nach wie vor eine Veränderung und hofft auch dabei auf die Unterstützung seines Vaters: »Der würde sich auch riesig drum bemühen, dass ich auch am Computer arbeite. Also ab und zu möchte ich auch mal was anderes machen.« Auch in Bezug auf Maschinen würde sich Herr H »riesig freuen, wenn (die Gruppenleiterin) sagen würde: ›Okay, ich bilde dich aus.‹ ... Also ich wäre ganz gerne bereit, sowas zu machen, aber ob das möglich ist, das weiß ich noch nicht.«
Seine Gruppenleiterin blickt zurück: »Wo ich ihn übernommen hab', da war er schon eine Zeit hier im Haus, in einer anderen Gruppe. Ich hab' auch oder die Werkstatt hat auch keine Beurteilung oder so von der (anderen) Werkstatt. Wir wissen gar nicht, was er da gemacht hat. Er erzählt manchmal ganz viel. Manche Dinge, da kann ich gleich sagen: ›Das kannst du nie dort gemacht haben, diese Arbeiten machen die da gar nicht.‹ Dann weiß ich manchmal auch nicht: Stimmt das oder stimmt das nicht? Ich weiß es ganz einfach nicht.« Sie bestätigt die Stagnation: »Also ich beschäftige mich mit keinem Mitarbeiter so viel wie mit (ihm) und letztendlich ohne Erfolg, ne. Das ist schon irgendwo deprimierend, wenn man sich da wirklich so viel Zeit nimmt und sich nur mit diesem einen Mitarbeiter so viel beschäftigt, und da kommt keine Entwicklung zustande.« Konkret beschreibt sie: »In diesen zwei Jahren haben wir es immer noch nicht geschafft, obwohl wir bei (ihm) sehr viel und auch sehr lange immer wieder Einzelförderung machen in der Gruppe, aber wir haben es noch nicht geschafft, dass der Herr (H) wirklich - ob es drei oder fünf oder zehn Teile mit Schablone, die er darauf gelegt kriegt - , das schafft er einfach nicht. Also innerhalb dieser zwei Jahre haben wir das nicht gepackt, ne. Und das ist nun eine der leichtesten Arbeiten hier in der Werkstatt.« Auch mit der Arbeit am Computer hat sich nichts weiterentwickelt: »Wir haben jedes Jahr innerbetriebliche Förderung und unter anderem auch am PC, und da hatten ich (ihn) auch mit angemeldet. Er wollte es auch. Aber der lief da irgendwie in diesem Jahr - dann war kein Raum da, dann waren die Mitarbeiter nicht da und nun ist das Jahr zu Ende. Es soll im nächsten Jahr noch mal ein Anlauf gestartet werden.« Die Gruppenleiterin sieht Herrn H auch durch seine familiäre Situation als belastet an: Das »war eine ganz enge Beziehung zur Mutter, und die ist an Krebs sehr früh gestorben. Er spricht noch sehr viel von seiner Mutter. ... Obwohl er in einer Wohngruppe ist und gar nicht so oft beim Vater, alle 14 Tage vielleicht mal, ... aber die telefonieren wohl viel. Ich denke, das ist auch (er), der nicht loslassen kann. Das ist gar nicht mal der Vater.« Als der Vater wieder heiratet, spricht Herr H den ganzen Tag davon, so dass die Gruppenleiterin den Eindruck hat, »er wird einfach nicht damit fertig, dass der Vater wieder heiratet.« Nach Rücksprache mit dem sozialpädagogischen Dienst lädt die Werkstatt für Behinderte den Vater zu einem Gespräch ein und macht den Vorschlag, »dass er doch vielleicht eine Therapie (machen könnte), dass es vielleicht da noch was wird. Und er: ›Doch keine Therapie! Er akzeptiert das voll!‹ Und also voll vor seinen Sohn gestellt, wo das nicht unbedingt gut ist, sag' ich mal.«
Aspekte von Zufriedenheit sieht Herr H nur im Bereich seiner Wünsche, denn seine gegenwärtige Tätigkeit, »das ist eigentlich nicht mein großes Ding. Am liebsten möchte ich immer am Computer sitzen.« Eine Ursache seiner grundsätzlichen Unzufriedenheit sieht Herr H bei seiner Mutter: »Die hat mich immer maßlos gemaßregelt, und das konnte ich absolut nicht ab.« Dieses hat Aus- und Nachwirkungen auf sein Selbstwertgefühl: »Das ist heute noch so ein bisschen schwierig. Ich möchte zwar nicht sagen: ›Ich geb' auf‹, aber irgendwie möchte ich eine Tätigkeit finden für mich am Computer.« Dieser Gedanke verfolgt Herrn H insbesondere, wenn in der Werkstatt für Behinderte nichts zu tun ist: »Dann möchte ich mich am liebsten zu Hause hinsetzen an den Computer.« Seine Zufriedenheit könnte entsprechend erhöht werden: »Wozu ich Lust hätte, ist einen Maschinenkurs zu machen.« Seine Lebenssituation insgesamt bewertet er indifferent: »Ich bin manchmal so ein bisschen unzufrieden. ... Zum Beispiel am Anfang hieß es: Lebenshilfe, da sollte ich mal reinschnuppern. Und jetzt heißt es: Leben mit Behinderung GmbH. Eigentlich bin ich sehr damit zufrieden, aber es könnte etwas besser werden und besser sein. ... Ich bin froh über meine WG da drüben, aber so ein bisschen auch nicht.« Mehrfach bedauert Herr H seine Kontaktsituation, denn einige Beziehungen »sind so ein bisschen abgebrochen. Ich hatte auch mehr Kontakt mit 'nem Behinderten, der etwas schwerstbehindert war, zwei Hörgeräte im Ohr hatte. ... Aber mit dem kam ich sehr gut aus. ... Das war mein bester Freund, und leider habe ich den Kontakt nicht mehr. Die Mutter ist auch schon früh gestorben und er lebt mit seiner Oma zusammen.«
Auch die Gruppenleiterin meint: »Also zufrieden ist er nicht. Er ist auch nicht damit zufrieden, dass das mit der Arbeit nicht klappt und dass er selber das nacharbeiten muss - oder wir arbeiten nach, ne. Ich sag' ihm das auch. Er kriegt das ja auch mit, wenn ein anderer Mitarbeiter seine Arbeit übernimmt, die schimpfen dann auch, wenn sie alles nacharbeiten müssen. Also damit ist er überhaupt nicht zufrieden, aber er kriegt es eben nicht auf die Reihe. ... Nein, nein. Überhaupt nicht. Er sagt auch, er will anspruchsvollere Arbeit, nur wenn er nicht mal die leichtesten auf die Reihe kriegt - wir wollen es versuchen. Er möchte gern ein Praktikum in der Druckerei machen. Wir werden das auch versuchen, aber ich denke, er ist dann ganz einfach überfordert. Aber er will das selber. Ja, nun sag ich: ›Dann soll er es probieren.‹ Ich hab' mit dem Gruppenleiter auch gesprochen, aber ich glaube, er wird dann überfordert sein.« Die Belastung von Herrn H wird der Wahrnehmung der Gruppenleiterin nach noch durch private Sorgen unnötig gesteigert: »Ich verstehe auch nicht, warum der Vater, der ist ja einer der (gesetzlichen, d. Verf.) Betreuungskräfte, warum der Vater ihm das immer alles erzählt, ne, was noch gar nicht mal so doll akut ist. (Er) ist dann - er kriegt dann gar nichts mehr auf die Reihe, gar nichts mehr.«
Die Rolle seiner Gruppenleitung kommentiert Herr H mit widersprüchlichen Wünschen und Hoffnungen: Früher war er »noch in der anderen Gruppe bei (einer anderen Gruppenleiterin), das war eine sehr nette, ... und von der habe ich einiges gelernt, und würde mich riesig freuen, wenn das (seine jetzige Gruppenleiterin) weitermachen würde. ... Irgendwas mit Maschinen oder so. ... Was ich Lust hätte, das macht sie auch möglich. Aber immer die Bänder durchziehen habe ich auch keine so riesige Lust.«
Die Gruppenleiterin selbst sieht sich angesichts der Stagnation bei Herrn H vor der Herausforderung, für ein Gleichgewicht von Forderung und Unterstützung zu sorgen: »(Er) mag umsorgt werden. Ich weiß, das erste Vierteljahr: Ich hab ihm morgens immer die Jacke ausgezogen. Er kam rein, hat sich hingestellt mit seinem Rollstuhl und dann gewartet, bis ich ihm die Jacke ausgezogen habe. Bis ich irgendwann - kam ich später und dann war er dabei, seine Jacke auszuziehen. Da hab' ich erst mal mitgekriegt, dass er das überhaupt alleine kann. Also er mag das gerne, umsorgt werden. ... Also Dinge, die (er) alleine kann, die muss er bei mir alleine machen.«
Seine Rolle im Betrieb beschreibt Herr H in der Weise, dass er den Zusammenhalt in seiner Gruppe »ein bisschen mau« findet. Dennoch würde Herr H seine KollegInnen bei einem Weggang aus der Werkstatt »doch schon« vermissen.
Den geringen Zusammenhalt in der Gruppe relativiert die Gruppenleiterin: »Aber ich weiß, dass viele gleich aufspringen. Einerseits find' ich es gut. Ich hatte vor zwei Jahren, wo (er) auch zu mir kam, die Gruppe neu aufgemacht und da habe ich auch einen Mitarbeiter beigehabt: Dem (Herrn H) war was runterfallen, da sag' ich zu dem anderen Mitarbeiter: ›Heb' das dem (Herrn H) doch mal auf, der kann doch nicht.‹ - ›Da kann ich doch nichts dafür!‹ hat der zu mir gesagt. Na ja, da bin ich natürlich drauf eingegangen, dass dem (Herrn H) auch geholfen wird, ne. Aber jetzt wird das mittlerweile so viel, dass ich dann wirklich sagen muss: ›Halt, Stop! Das kann er alleine.‹ ... Ich schreite dann auch ein.« Seine Rolle in der Gruppe ist, wie bereits geschildert, auch dadurch stark beeinflusst, dass die KollegInnen bei Fehlern von Herrn H nacharbeiten müssen und dann »schimpfen«.
Die Zukunftsperspektiven sind davon bestimmt, dass Herr H eine zufriedenstellende Tätigkeit haben möchte und dass er eine anerkannte soziale Rolle sucht. Hierfür spricht schon seine Eröffnung des Gesprächs: »Guten Morgen, aber ich arbeite jetzt auch manchmal in der Kirche, ... so als Nebenbei-Job. ... In der Kirchengemeinde so ein bisschen mitarbeiten, ... es gibt da Gottesdienste, und dazu hätte ich Lust, so richtig mal mitzumachen. ... So ein bisschen bin ich da schon am Gange. Mein Vater würde das eigentlich sehr unterstützen.« Für ersteres gibt es zahlreiche Belege durch seine gegenwärtige Unzufriedenheit, aber auch Aussagen wie die, dass er arbeiten möchte, »wo ich das umsetzen kann, am Computer dann zu arbeiten und wo ich auch Spaß habe.« Schon bei der Berufsberatung hat er sich »eigentlich was anderes gewünscht. Ich hab' jetzt einen Computer, aber noch keine festen Programme. Und ich würde mich riesig freuen, Bekanntschaft zu machen mit einem anderen Kollegen, der genau dieses System hat wie ich, das wär mal ganz gut.« Überhaupt »hab' ich ein klares Ziel und das möchte ich gerne ausbessern noch. ... Das möchte ich eigentlich, dass ich das in der Schule lerne, ... in so einem Kurs, Volkshochschule, da möchte ich schon hin, am Computer. Ich möchte zum Beispiel bei meinem Vater so ein bisschen arbeiten.« Der Vater arbeitet in einer großen Versicherung, und Herr H stellt sich vor: »Er hat da so Post, Postmänner, die werden da so eingeteilt, so in Bezirken. Und dann kommt da manchmal Post hin und Post wieder zurück. Aber manches Mal fällt das ... ganz schön schwer, so die Menschen zu motivieren. Er hat einen, der hat sogar ein Tonbandgerät, das muss er jeden Tag anmachen, einen schwerhörig Behinderten. Aber er setzt sich für ihn ein. ... Der arbeitet mit einigen Leuten zusammen, aber manches Mal fällt das ihm ganz schön schwer, das zu machen. ... Aber was ich Lust hätte: Bei meinem Vater so ein bisschen zu arbeiten, bisschen sein' Betrieb kennenzulernen. ... Für mich wäre dort ein anderer Arbeitsplatz. Und für meinen Vater wäre das ein bisschen leichter.«
Für die Gruppenleiterin entsteht auch auf längere Sicht »kein anderes Bild. Das ist ... schon irgendwo deprimierend, und dadurch sehe ich auch nicht, dass die Entwicklung da weiter geht, dass sie anders geht in fünf Jahren. Ich werde natürlich weiterhin mit (ihm) arbeiten. Letztendlich ist es ja, wenn er sich weiterentwickeln würde, auch für mich 'ne Entlastung. Ich muss so seine Teile hundertprozentig nachgucken und nacharbeiten. Wenn er sich weiter entwickeln würde, wäre das für mich eine Entlastung.« Auch der PC als Perspektive ist für sie unrealistisch, da Herr H nicht lesen und schreiben kann, und »das ist ja eigentlich die Voraussetzung für sowas, wenn er effektiv dran arbeiten möchte.« Vor diesem Hintergrund ist seine Idee, ›draußen‹ zu arbeiten, für sie kein Thema. Sie hält nur für wichtig, dass Herr H bei aller Stagnation weiter im Arbeitsprozess bleibt, denn »wenn er gar nichts macht, dann entsteht eine Rückentwicklung.«
Wichtige Aspekte bei Herrn H
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Herrn H lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Herr H blickt auf seinen bisherigen Weg und auf seine Gegenwart unter weitgehend negativen Vorzeichen zurück, damit bestätigt er das Bild der ersten Befragung.
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Das zentrale Dilemma besteht darin, dass er berufliche Tätigkeiten ausführen möchte, für die aus der Sicht der Gruppenleiterin seine Fähigkeiten bei weitem nicht ausreichen.
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Es könnte sich um die Situation einer Zwickmühle handeln: Für seine gegenwärtigen Tätigkeiten ist Herr H nicht motiviert; er interessiert sich für andere, an die er aber aufgrund seiner schwachen Leistungen bei den gegenwärtigen Arbeiten nicht herangelassen wird.
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Zusätzlich belastend wirkt in der Wahrnehmung der Gruppenleiterin das private Umfeld, das dazu beiträgt, dass Herr H sich nicht als unabhängiger, erwachsener Mensch fühlen kann. Andererseits ist sein Vater eine Person, von der Herr H sich Unterstützung erhofft und auf die er setzt. Wie weit dies reale Hintergründe hat oder eher eine Projektion ist, muss dahingestellt bleiben; zumindest erscheint es als subjektive Wahrheit von Herrn H.
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Es entsteht der Eindruck, dass die Selbstwahrnehmung von Herrn H dominiert wird vom Hadern mit institutionellen Bedingungen, denen er ausgesetzt ist. Das Bild ist durchsetzt von indifferenten und widersprüchlichen Aussagen.
Ansätze zur Interpretation
Unter dem Blickwinkel der Stigma-Theorie könnte Herr H als Diskreditierter gesehen werden, der viele Jahre in Institutionen lebt, und dessen persönliche Entwicklung durch die Auswirkungen totaler Institutionen massiv beeinflusst ist. Jedoch erhält er seine individuellen Wünsche aufrecht und gibt seinen Widerstand gegen die Logik der Institution noch nicht auf. Die Gruppenleiterin von Herrn H könnte im Sinne einer kritischen Reflexion der Stigmatisierungsprozesse im Rahmen von Institutionen und Organisationen, die die Definitionsmacht haben, einen Beleg dafür geben, wie machtvoll diese Logik ist: Sie sieht den eigentlichen Rehabilitationsauftrag als unerfüllbar an, da sie auch nach zwei Jahren intensiven Bemühens ihrerseits um Herrn H eher Stagnation und eine umfassende Schwäche erlebt. Dies hat in der Konsequenz des personorientierten Paradigmas und des medizinischen Modells die tendenzielle Pathologisierung des stigmatisierten Individuums zur Folge; Therapiebedarf wird konstatiert. Orientiert an Alltagstheorien über die Probleme und die verzerrten und unrealistischen Perspektiven von Herrn H und unter dem gleichzeitigen Druck, vom Einzelfall zugunsten der Gruppe zu abstrahieren, schreibt sie ihm eine Sonderrolle zu. In der Interaktion zwischen Gruppenleiterin und Herrn H dürfte die eher frustrierte und etwas resignativ-ratlose Haltung der eigentlichen Autoritätsperson dem eher desorientiert und trotzig-verunsichert wirkenden Herrn H zu einer Fortschreibung des Stigmas beitragen - ein Teufelskreis, aus dem sich beide schwer, Personen mit seinem Status schon kaum befreien können.
Die Theorie integrativer Prozesse lässt bei einer Analyse der Ebenen den Rückschluss zu, dass Herr H nur wenig Einigungsprozesse in seinem Leben erfahren hat. Es hat den Anschein, als wenn sein primäres Thema, der Computer, eine Funktion des Haltgebens hat und er aus der Fixierung hierauf die Kraft zu Wünschen und zum Aufrechterhalten von Perspektiven schöpfen kann. Ansonsten pendelt Herr H zwischen Abgrenzung und Annäherung in seiner Haltung zu sich selbst und zu anderen. In der Wahrnehmung seiner Gruppenleiterin ergibt sich das gleiche Bild - mit einer duldsam schonenden, resignativen Tendenz. Da er selbst in seinem Umfeld der Stigmatisierten als besonders schwach gilt, ist seine Situation eine extrem exotisierte.
Frau I, 44 Jahre alt, arbeitet seit etwa 15 Jahren in einer Werkstatt für Behinderte, heute mit Teilzeitarbeit in der Schlosserei, wo sie Gewinde schneidet. Seit früher Kindheit lebt Frau I in der Institution, aus der sie erst vor wenigen Jahren in eine eigene Wohnung gezogen ist und zu der auch die Werkstatt für Behinderte gehört, in der sie tätig ist. Dort besucht sie vorher auch die Sonderschule und wechselt danach in die Beschäftigungstherapie über, die später als Werkstatt für Behinderte anerkannt wird. Einen konkreten Berufswunsch hat Frau I nicht. In der Werkstatt ist sie in unterschiedlichen Bereichen tätig: Töpferei, Verpackung, Metall, Textil. Sie wird mit dem Fahrdienst gebracht.
In der ersten Befragung äußert sich Frau I über ihren gesamten Weg positiv. Die Sonderschule kommentiert sie mit dem Satz, das »heißt, dass ich nicht alles richtig machen kann.« Wie es danach weitergeht, hat im Kinderheim die »Abteilung bestimmt«. Auch die zum Arbeitstraining analoge Beschäftigungstherapie sieht Frau I positiv und kommentiert, dass die Gruppenleiter »gar nicht mehr machen können.« Zu verbessern gebe es nichts, denn da »kann man ja nichts machen, kann man ja nicht nur auf uns hören und kann nicht allen es recht machen.« Obwohl sie ihre Tätigkeit nicht immer mag (»schlafe dabei ein«), will sie »hier nicht weg«, sondern »hier bleiben, ... gesund bleiben, arbeiten können, wohnen in eigener Wohnung.«
Im Rahmen der zweiten Befragung findet das Gespräch mit Frau I und ihrem Gruppenleiter, der ursprünglich als Kfz-Mechaniker gearbeitet hat, nacheinander in der Werkstatt für Behinderte statt. Da zu den Eltern kein Kontakt mehr besteht, ihre gesetzliche Betreuerin wenig Zeit hat und zudem momentan krank ist, sieht Frau I keine sinnvollen weiteren GesprächspartnerInnen.
Bevor Frau I zu eigenen Stärken und Schwächen Stellung nimmt, überlegt sie, ob sie das Gespräch sinnvoll allein führen kann: »Das ist es ja gerade. Naja, alleine kann ich das auch sagen. Eigentlich wollte ich ja (den Gruppenleiter) auch dabei haben, aber ...« Darin bestärkt, ihre eigene Sicht deutlich zu machen, fragt sie zurück: »Was ich arbeite? ... Oder was ich kann? ... Na, was kann ich? Ich kann Gewinde schneiden, ich kann eigentlich auch nieten, senken kann ich auch eigentlich, aber das ist auch nicht - das Senken geht mal gut und mal nicht so gut, weil ich es 'ne ganze Zeit lang nicht gemacht hab'. Gewinde bohren, das geht schon mal wieder.«
Ihr Gruppenleiter stellt fest: »Sie ist ein ganz nettes Mädchen.« Und er kennt ihre Unsicherheit, ihre Frage: »›Hab ich das richtig gemacht?‹ ist glaube ich auch so ein Großwerden in (dieser Institution). Das ist so dieses Heranziehen, ne, weil früher wurde viel gegängelt. Macht man heute nicht mehr. Aber früher, ja, war es bestimmt so.« Im Vergleich mit anderen MitarbeiterInnen sieht er: »Es gibt viele, die so sind wie sie. (Frau I) hat ein Problem: Bei ihr muss man ganz wahnsinnig aufpassen, dass man sie nicht überfordert, weil sie das sofort auf sich selber bezieht: ›Ich kann ja sowieso nichts!‹ Und dann kommt sie in 'ne Krise. Da muss man wahnsinnig aufpassen, weil es gibt eben Sachen, die können sie halt nicht. Das ist nun mal so. Damit muss man leben und man muss aufpassen, dass sie es eben nicht so merkt, dann muss man sehen, dass man sie vorher von der Arbeit wegnimmt oder irgendwann vorwarnt und sie was anderes machen lässt, bevor sie es selber merkt.«
Auf ihre Entwicklung blickt Frau I mit folgenden Sätzen zurück: »Ich hab ja noch in (der Institution) hier gewohnt, hier im Gelände. Ich bin seit dem dritten Lebensjahr in (der Institution) - hab ich gewohnt, seit dem dritten, vierten Lebensjahr.« Im Rahmen dieser Großinstitution besucht sie auch die »Sonderschule. Das war hier, wo das Haus jetzt steht. ... Gleich nach der Schule« wechselt sie in die Beschäftigungstherapie. »Das habe ich mir nicht ganz alleine ausgesucht. Ich wurde einfach dahin geführt, ... und dann sollte ich das und das mal machen, einfach um zu sehen, ob ich das kann, und dann bin ich da hingekommen und habe sechs Wochen Probezeit gehabt noch und war ich da 'ne ganze Zeit. Aber zuerst habe ich in der Töpferei gearbeitet. ... Habe ich auch mit Ton an der Töpferscheibe gearbeitet und so. Ich habe eine Töpferscheibe gehabt, die konnte man direkt an den Rollstuhl stellen und dann konnte ich damit arbeiten.« Sie verlässt die Töpferei jedoch, denn »da war ein Mitarbeiter, der bei uns reingeguckt hat, wie wir arbeiten, und bei mir hat er besonders geguckt und hat dann oft gesagt: ›Ja, so musst du das machen und das ist ja ganz schief!‹ (knurrt) und dann hab ich irgendwann das Handtuch geworfen. ... Ich hab in der Beschäftigungstherapie gearbeitet, da hab ich angefangen. Ja, und dann bin ich zur Töpferei und dann, dann nachher Schlosserei. Aber früher hieß das noch E-Metall - E und dann Metall. ... Und jetzt heißt das Schlosserei, seit das Haus hier gebaut ist.« Vor einiger Zeit hat Frau I eine schwere Operation gehabt: »Ich hatte so eine Stelle am Achtersten und das wurde operiert. Ich merk das ja nicht. Ich bin ja querschnittsgelähmt seit Geburt ... und weiß auch nicht, wie das Laufen ist.« Das ist der Grund dafür, dass »ich ja nur drei Tage arbeite. Ich arbeite jetzt im Augenblick nur montags und dienstags und dann donnerstags. Mittwochs arbeite ich nicht und freitags auch nicht.« Zu ihrer familiären Situation führt Frau I aus: Mit ihrer Mutter hat sie noch Kontakt, »aber wenig. Weil die nicht so kommt mehr. ... Aber ich kann damit leben. Ich wohne alleine jetzt und fühl' mich ganz wohl. ... Mein eigenes Reich. Ich kann machen was ich will so weit.« Assistenz bekommt Frau I von ihrer Betreuerin, »mittwochs, wenn sie nicht gerade krank ist. ... Ich krieg' auch Hilfe - beim Duschen, wenn ich dusche, dann krieg' ich Hilfe, weil ich ja noch 'n Klostuhl hab', ne, und ich muss ja vom Rollstuhl aus ins Bett und dann vom Bett aus auf den Klostuhl und dann ins Bad. ... Und sonst waschen oben mach' ich alleine.«
Der Gruppenleiter bezieht sich als erstes auf die schwere Operation von Frau I: Sie »hat sich wieder hochgerappelt, das muss man ganz klar sagen, weil die war sehr schwer krank. Wir haben nicht gewusst, ob sie das überleben wird oder nicht, und wir waren uns nicht sicher, ob sie das schaffen wird am Arbeitsprozess, ob sie wieder daran teilnehmen kann, denn sie war völlig unten und sie hat sich wirklich wieder hochgerappelt. ... Und sie ist ja jetzt immer noch nicht vollzeitbeschäftigt, d.h. also sie hat immer noch ihre Freitage, damit sie sich dann auch ein bisschen erholen kann. ... Aber sonst also - also mich hat es überrascht, dass sie das wirklich noch so wieder hingekriegt hat, überhaupt, wie sie so ihr Leben meistert mit ihrer eigenen Wohnung, was sie noch alles macht und tut. Sie ist ja schon zweimal umgezogen, weil sie mit der ersten Wohnung nicht zurechtkam, weil die baulich so dermaßen daneben lag, dass sie da nicht zurechtkommen konnte, und sie kriegt es irgendwie hin.« Zu der Anfangszeit von Frau I führt er aus: Sie war in der Beschäftigungstherapie, »das gab es vorher schon, und die WfB wurde ja aufgebaut. Wo ich anfing, da war sie gerade im Werden, da war sie gerade fünf Jahre alt. Das ist jetzt 15 Jahre her ungefähr. Und die musste ja auch anerkannt werden und dann kamen einige Leute aus der BT gleich in die WfB, weil sie diesen Aufbau für das Arbeitsamt nicht mitmachen brauchten. Da gehört (sie) auch zu.« Genaueres aus der Vergangenheit von Frau I ist ihm nicht bekannt: »Ich kenne die ganzen Unterlagen nicht, weil die unter Datenschutz fallen, und nur das, was ich wirklich brauche, bekomme ich und mehr nicht.«
Frau I schildert ihre Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit als hoch: »Ich bin an der richtigen Stelle eigentlich, weil ich mit (dem Gruppenleiter) und so und dann noch andere Mitarbeiter da, andere Kollegen, die bei mir da arbeiten und dann bin ich da eigentlich schon zufrieden. Nur nicht, wenn man mich auf den Kopf schlägt.« Ein Kollege »wohnt aber draußen und der hat mir einmal auf den Kopf geschlagen. Das mag ich nicht haben. Ich bin empfindlich am Kopf.« Ihre Gruppenleiter mag Frau I sehr gern: »Ja, doch. Aber es gibt aber immer wieder mal so kleine Differenzen, aber es geht. Nicht jeder hat Lust mal irgendwas zu machen oder kann das direkt nicht richtig sehen. Aber sonst mach' ich eigentlich alles, was ich kann.« Auch mit ihrem Verdienst ist Frau I zufrieden, zumal »weil ich ja nur drei Tage arbeite.« Stolz ist Frau I auch darauf, dass es ihr gelingt, selbständig zu wohnen: »Vier Jahre hab' ich es schon geschafft. ... Ich hab' auch zwei Wellensittiche, ist noch schöner, ... zwei Krachmacher, zwei ganz junge noch.« Als sie gebeten wird, Satzanfänge zu vollenden, zeigt Frau I Unsicherheit: »Weiß nicht, ob ich das kann.« Ich bin froh über ... »die Arbeit. ... Stimmt's?« Sorgen mache ich mir manchmal wegen ... »wenn es nicht klappt - oder ist das nicht richtig? Na, wenn man 'ne Arbeit kriegt und man sitzt da so lange dran, weil man das und das nicht hinkriegt und ist vielleicht sauer oder wütend. ... Oder ehe man aus der Haut fährt, dann sagt man lieber Bescheid und lässt sich das noch mal zeigen oder probiert das selbst aus, ob es klappt.« Es fehlt noch ... »Ausdauer.« Für die nächste Zeit wünsche ich mir ... »Gehört Gesundheit auch da rein? ... Gut. Klar!« Insgesamt finde ich meine Situation ... »mal so, mal so. Also weiß ich nicht ganz genau. Ich weiß ja nicht, was du genau meinst damit.« Es geht um die Arbeitssituation, wie es insgesamt geht mit der Arbeit - »mal so, mal so. Heute so, morgen so (lachend).«
Der Gruppenleiter bestätigt eine gewisse Instabilität, denn »sie hat ja auch ab und zu ihre Krisen und dann ist das sehr schlimm. Dann legt sie jedes Wort auf die Goldwaage und dann muss man gucken, dass man sie da irgendwie wieder rausholt, ne.«
Für Frau I besteht die Rolle der Gruppenleitung vor allem in der Zuweisung angemessener Tätigkeiten: »Es kriegt ja jeder von uns die Arbeit, die er machen kann. Und wenn es mal was Neues ist, dann auch.« Zu ihrem Gruppenleiter macht sie eine vertrauensvolle Beziehung deutlich: »Der kennt mich am längsten.«
Er wiederum bestätigt: »Ich kenne (Frau I), seitdem ich hier bin.« Der Gruppenleiter akzeptiert die Empfindsamkeit und die manchmal auftretende Überforderung von Frau I; von daher definiert er seine Rolle als die eines Unterstützenden und Schützenden, der mögliche Überforderungssituationen von vornherein zu vermeiden versucht. Deshalb hält er es für wenig hilfreich, dass er so wenig Informationen über Frau I bekommt: »Also das ist rigoroser Datenschutz, und manchmal ärgert mich das auch ein bisschen, weil man kann viel verkehrt machen, wenn man nicht weiß, was dahintersteht.« Für ihn sind Informationen und Austausch wichtige Bedingungen gelingender Arbeit: »Da hab ich das größte Interesse dran, weil, wenn ich Leute aus dem Trainingsbereich übernehme, weil sie eben halt in der WfB bleiben, dann ist natürlich mein Bestreben, dass ich Leute bekomme, die schon mal so 'ne Ahnung haben, was hier überhaupt stattfindet, und nicht dann irgendwann feststellen: ›Das will ich nun doch nicht.‹ Von da aus bieten wir Praktika an. ... Da gibt es ja auch so Unterlagen drüber mit so Fragebögen drin, wo dann genau festgehalten wird, was die jeweiligen gemacht haben und wie sie dabei zurechtgekommen sind.«
Zur eigenen Rolle im Betrieb betont Frau I ihren akzeptierten Status: »Hier will mich ja keiner loswerden. ... Als ich das hier hatte mit der Blase, wo ich ... operiert worden bin '98, da wollten sie mich auch wiederhaben. Aber ich konnte lange nicht arbeiten, wenn, denn nur halbe Tage. Halbe Tage nachher, und dann musste ich erstmal danach zur Kur, weil ich ja lange gelegen hab - drei Monate ja.« Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, wo man hingehört - »genau«! Zur Rolle von Frau I in der Schlosserei äußert sich der Gruppenleiter nicht.
Ihre Zukunftsperspektiven sieht Frau I dort, wo sie jetzt arbeitet: »Nee, lieber nicht mehr wo anders machen.« Alternativüberlegungen weist sie zurück: »O wei, o wei, o wei. Dann würd' ich vielleicht, wenn ich an Arbeiten vielleicht nicht gedacht hätte, gar nichts machen, vielleicht. Oder erst mal sehen: Was gibt es für Möglichkeiten? Man sagt ja eigentlich, es gibt Möglichkeiten. Man könnte auch bei der Polizei arbeiten, man kann auch im Sitzen was machen. Gibt das. Aber bei mir sagt man, könnte ich nicht. Warum, weiß ich auch nicht. ... Meine Betreuerin sagt das, ja, weil ich Sozialempfängerin bin.« Ohne Arbeit »würde (es) teils bestimmt langweilig sein, denke ich mal, aber wenn man so wie ich viel - wenn ich Urlaub habe, unternehm' ich viel, fahr' alleine weg, fahr' alleine mit dem HVV (öffentlicher Nachverkehr; d. Verf.), mach' ich alleine, ehrlich.«
Der Vermutung des Gruppenleiters nach wird sich die Belastbarkeit von Frau I »auch nicht mehr ändern. Also ich bin froh, wenn sie so, wie sie jetzt ist, bleibt.« Er erwartet, dass sie auch langfristig in der Werkstatt für Behinderte bleiben wird: »Das ist wohl so. Ich mein', sie kann natürlich auch wechseln. Sie hat ja jederzeit die Möglichkeit zu sagen: ›Ich möchte auch mal was anderes kennenlernen!‹ Das wird ihr keiner verbieten. Sie soll da hin, wo sie sich wohlfühlt. Und wohlfühlen könnte sie sich, meiner Meinung nach, nur in so 'ner Werkstatt. Weil es ist (anderswo) einfach zu grausam: Es wird nur nach dem Geld geguckt und nicht nach dem Menschen, und da können sie viel kaputt machen, gerade bei denen hier.« Insgesamt äußert er sich sehr skeptisch über den allgemeinen Arbeitsmarkt: »Ich komme aus dem ersten Arbeitsmarkt. Ich war früher als Geselle beschäftigt und ich weiß, wie das funktioniert, und ich weiß auch, wie mit Schwächeren umgegangen wird. Das ist unsere Gesellschaft. Das kann man auch nicht wegdiskutieren. Da müsste ein Umdenkprozess stattfinden, den traue ich hier im Moment niemandem zu. In der ganzen Region um Hamburg rum nicht. Ich hab da auch so meine Erfahrung: Wir haben Leute vermittelt so in die freie Wirtschaft - solange es die Fördergelder gab, war es noch einigermaßen in Ordnung, und wenn die dann weg waren, dann waren die Leute wieder hier. ... Stell' sich mal einer vor, die Leute, was die da durchmachen müssen. Was man aber nicht machen darf, dass man grundsätzlich sagt, wir machen das nicht mehr. Man muss es immer wieder versuchen. Man muss sich die Leute angucken, muss sagen: ›Bei dem könnte ich mir das vorstellen und wir versuchen es halt mal!‹ Und das Scheitern dann halt auffangen. ... Einen einzigen weiß ich, der ist erfolgreich. ... Den hab' ich damals im Arbeitstrainingsbereich gehabt, der war noch kurz (im Zweckbetrieb) unten, dann ist er vermittelt worden nach (einer Fabrik) und der ist auch immer noch da. Von den anderen: Der hat im Fassadenbau gearbeitet, sehr fit, kann zeichnen und lesen, kann alles. Krankheitsbedingt kann er aber nicht viel Leistung bringen - der ist durchgefallen, der ist wieder hier. Da gibt es einige von hier in der (Institution), die's versucht haben und ganz bös' auf die Nase gefallen sind. Es ist so. Also, es wird nur nach Kosten geguckt. Was kostet? Das kommt ja hinzu, wenn ich einen Behinderten einstelle, der hat besonderen Kündigungsschutz, für den muss ich besondere Einrichtungen schaffen, ich muss mich besonders um ihn kümmern, weil das ist nun mal so bei diesen Leuten. Das will sich keiner ans Bein binden - kein Unternehmer.« Er wägt Veränderungsmöglichkeiten ab: »Ich würde nicht ganz so weit gehen und sagen: ›Die Werkstätten sind überflüssig.‹ Aber ich würde sagen: ›Einen Teil könnte man auslagern in die Gesellschaft.‹ Nur, dann müsste die Gesellschaft das auch akzeptieren und sich damit befassen - und das machen die nicht. Das wollen die auch nicht. ... Dieses Rausgehen jetzt mit Gruppen, das ist ein Ansatz. Aber ob der angenommen wird und wie der angenommen wird, das steht für mich in den Sternen.« Denn die dominierenden Verdrängungsmechanismen »funktionieren wunderbar. Das ist traumhaft. Wir haben Abiturienten auf einem Lehrstellenplatz, wo ein Hauptschüler in Anführungsstrichen reichen würde, nur damit der eine Punkte kriegt, um mal studieren zu können. Und das finde ich ein bisschen ungerecht. Aber es ist halt so.«
Wichtige Aspekte bei Frau I
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Frau I lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Frau I blickt auf ihren Weg, der sich weitgehend innerhalb einer großen Institution bewegt, mit hoher Zufriedenheit zurück. Die Ergebnisse der ersten Befragung werden voll und ganz bestätigt.
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Dabei weisen diverse Kommentare auf eine personale Unsicherheit und Angepasstheit hin, bei der es naheliegt, einen Bezug zur Institution zu ziehen: Offenbar ist es Frau I, wie auch der Gruppenleiter feststellt, gewohnt, dass andere ihr sagen, was richtig und was falsch ist.
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Trotz einer stark institutionell bestimmten Sozialisation ist es ihr möglich, im Alter von 40 Jahren eine selbständige Wohnform zu realisieren.
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Ihr Gruppenleiter sieht bei Frau I vor dem Hintergrund ihrer Geschichte und vor allem aufgrund ihrer massiven gesundheitlichen Probleme seine Rolle primär als die eines Menschen, der sie stützt und schützt, indem er ihr Wohlbefinden erhöht und Anforderungen abmildert.
Ansätze zur Interpretation
Unter der Perspektive der Stigma-Theorie kann Frau I als Diskreditierte gelten, deren Sozialisation weitgehend im Rahmen einer Institution erfolgt und die sich mit dieser totalen Institution identifiziert. Sie befindet sich dieser Theorie zufolge in einem Zufriedenheits-Paradox, das darin besteht, dass sie in einem wenig individuelle Freiheiten ermöglichenden Umfeld lebt, und trotzdem gemäß einer Logik der Anpassung zufrieden ist - die Zufriedenheit kann zu einem beträchtlichen Teil als resignative Zufriedenheit gesehen werden. Es könnte auch bezugsgruppentheoretisch angenommen werden, dass Frau I sich unter Diskreditierten wohlfühlt, da ihr die vermutete Härte der Konfrontation mit ›normaler‹ gesellschaftlicher Realität, hier der ›Welt draußen‹, erspart wird. Ihr Gruppenleiter wird von ihr als solidarische und schützende (Sach-)Autorität erlebt. Er betont ihre Sozialisation unter den Bedingungen des bereits vorhandenen physischen Stigma in einer Institution, die die soziale Identität als behindert konstruiert; so sieht er es als außerordentliche Leistung, dass Frau I im vierten Lebensjahrzehnt in eine eigene Wohnung überwechselt.
Unter dem Blickwinkel der Theorie integrativer Prozesse lässt sich sagen, dass Frau I in sehr früher Kindheit bereits die Verweigerung der Mutter, sie zu akzeptieren, hat erfahren und deren Abgrenzung ertragen müssen, was bereits eine grundsätzliche personale Unsicherheit begründet haben könnte. Ob der Grund für die Abstoßung durch die Mutter in der sichtbaren körperlichen Schädigung liegt oder in welchem Maß andere Faktoren eine Rolle spielen, muss offen bleiben. In einer damals noch anstaltsähnlichen Institution wird sie nach Mutmaßung des Gruppenleiters in einer großen Gruppe Ausgesonderter auf Anpassung an dortige Regeln sozialisiert. So kann man in den Kategorien der Theorie integrativer Prozesse konstatieren, dass Frau I in mehrfacher Hinsicht Desintegration erlebt - bis hin zur gleichzeitigen Anpassungforderung innerhalb der Aussonderung. Individuation, Emanzipation und Normalisierung dagegen spielen nur partiell - so vermutlich im Wohnumfeld seit zwei Jahren - eine Rolle. Für Frau I könnte das Integriertsein in der Schlosserei einer Werkstatt für Behinderte bereits ein hohes Maß an möglicher Normalisierung bedeuten, denn dort wird sie zumindest vom Gruppenleiter mit allen Stärken und Schwächen gesehen und akzeptiert und dort ist ihre Anwesenheit erwünscht und Begegnung, Kooperation und Gemeinsamkeit sind mit verschiedenen Personen möglich - wenngleich unter den gesellschaftlich exotisierten und institutionell ausgesonderten Bedingungen einer Werkstatt für Behinderte.
Frau J, 43 Jahre alt, ist seit 23 Jahren Mitarbeiterin einer Werkstatt für Behinderte. Dort arbeitet sie in einer Verpackungs- und Montagegruppe, füllt Tinte ab und versieht die Behälter mit Etiketten. Aus einer Juristenfamilie stammend, besucht Frau J eine Schule für Körperbehinderte. Von dort wechselt sie in das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte, in der sie heute noch tätig ist. Ihren eigentlichen Wunsch, einen pädagogischen Beruf als Erzieherin oder Lehrerin oder einen naturwissenschaftlichen Beruf (Biologie, Chemie, Physik) zu erlernen, kann sie nicht realisieren, denn »alle haben wegen der Anfälle zur WfB geraten.« Sie betont jedoch, sie »selber hätte lieber in der freien Wirtschaft gearbeitet.« In der gleichen Gruppe arbeitet ebenfalls seit 23 Jahren ihr Mann, mit dem Frau J seit langer Zeit im gleichen Haus, seit einigen Jahren in einer Wohngruppe lebt und mit dem sie seit zwei Jahren verheiratet ist.
In der ersten Befragung äußert sich Frau J über ihre Schulzeit positiv, sie »wäre gern länger zur Schule gegangen.« Ihr Betriebspraktikum macht sie in einer Wäscherei des ersten Arbeitsmarktes. Zur Berufsberatung, sagt Frau J, »möchte ich mich nicht äußern«, jedenfalls ist das Ergebnis der Gespräche: »Meine Eltern haben sich letztlich von der Werkstatt überzeugen lassen.« Das Arbeitstraining bewertet Frau J eher positiv, obwohl sie betont, »ich hätte lieber meine Lieblingsjobs im Beruf umgesetzt.« Obwohl sie auch ihren Arbeitsplatz im Bereich Verpackung und Montage nicht gewünscht hat, akzeptiert sie ihn, denn »WfB und Eltern haben sich darauf geeinigt.« Als das Arbeitstraining zu anstrengend wird und die Anfälle zunehmen, geht Frau J zur Halbtagsarbeit über. Lange Zeit will sie sich »andere Werkstätten und Firmen anschauen«, doch das »hat nie geklappt.« Auch Fortbildungswünsche werden abgelehnt mit Sätzen wie: »Das kannst du nicht, das darfst du nicht, das sollst du nicht.« Inzwischen hat sie all dies aufgegeben, und auch den Arbeitsbereich innerhalb der Werkstatt für Behinderte will sie nicht mehr wechseln, denn sie arbeitet mit ihrem Mann in einer Gruppe: »Ihm wäre das nicht recht,« und sie will ihn »nicht alleine lassen.« Obwohl Frau J die Tätigkeit mag, ist sie mit ihrer Beschäftigungssituation nur mäßig zufrieden. Nach wie vor hat sie eigentlich deutliche Interessen im naturwissenschaftlichen Bereich, jedoch »nimmt man mir aus Angst vor Anfällen die Chance, anderes auszuprobieren.«
Die zweite Befragung findet mit Frau J und ihrem Ehemann als ihrer Vertrauensperson in deren gemeinsamer Wohngruppe statt. Das Gespräch mit dem Gruppenleiter, früher Malermeister, selbst Vater eines behinderten Sohnes und mit Frau J seit 23 Jahren in der gleichen Gruppe, wird in der Werkstatt für Behinderte geführt.
Über ihre Stärken und Schwächen macht Frau J eine Reihe von Aussagen. Ihre Stärken sieht sie in ihren breitgefächerten Interessen, etwa für Biologie, Erdkunde und Geschichte, beispielsweise im Rahmen von Erwachsenenbildungskursen. Auch ihr Mann findet gut, dass sie »so interessiert ist, aktiv ist.« Bezogen auf die Arbeit nennt Frau J, »dass ich besonders gut verpacken kann. Darum bin ich auch in der Abteilung Verpackung und Montage. Mich interessieren aber auch durchaus andere Sachen. Nur da ist, wie gesagt, schwieriger dranzukommen.« Als Schwäche sieht Frau J zum einen ihre Feinmotorik, die es ihr erschwert, Montageaufträge »zusammenzukriegen«, zum anderen beeinträchtigen sie ihre epileptischen Anfälle und die damit verbundenen Medikamente.
Der Gruppenleiter von Frau J sieht ebenfalls diese gravierenden Beeinträchtigungen: »Vor allem aufgrund der Epilepsie, die sie hat, ist ihr Kurzzeitgedächtnis ja immens gestört. Sie muss immer wieder teilweise bei Arbeiten, die wir denn vor längerer Zeit hatten, ... neu angelernt werden, neu trainiert werden und so weiter, und das ist das, was bei (Frau J) auffällig ist. Aber wie gesagt, das haben wir von medizinischer Seite erfahren, das hängt mit diesen Epilepsieanfällen zusammen. Das Langzeitgedächtnis funktioniert also noch relativ gut.« Auch sieht er »manuelle Schwierigkeiten. Sie hat einen Spasmus in den Händen und da ist sie so verklammert (seufzend) - ach, sie zerstört viel Arbeit und ich kann (ihr) weiß Gott nicht jede Arbeit anbieten.« Jedoch bestätigt er auch die vielfältigen Interessen von Frau J und benennt zudem hohe verbale Fähigkeiten: »Sie artikuliert sehr sauber, das muss man sagen, das hat sie schon immer getan und ... (sie) war nicht nur auf einer Sonderschule, sondern hat auch ein paar Hauptschuljahre gemacht. Und aufgrund dessen hat sie ein gesundes Allgemeinwissen, ... und kann hier ganz schön mitreden. Wir klönen hier natürlich über alles Mögliche, über politische Geschehnisse vom Tag und so weiter, die Zeitung nehmen wir hier durch und da ist es denn gerade (Frau J), die denn auch Fragen stellt und sich über dies und jenes wundert.« Zu ihren Fortbildungsinteressen merkt er jedoch kritisch an: »Jaja, das stellt sie immer in den Vordergrund, und das ist aber so eine Geschichte. ... Naja, ist sie halt stolz drauf, aber da steckt nicht allzu viel hinter. Letzten Endes hat sie da wenig Interesse dran, aber sie bekundet es halt immer so, und wenn wir sie dann vor nackte Tatsachen stellen: ›Ja, Du hast jetzt die Möglichkeit hier, einen PC-Lehrgang mitzumachen oder dies und jenes und so.‹ - ›Ach nee.‹ - Dann nicht.« Zudem hat der Gruppenleiter den Eindruck, Frau J lebe »in diesem Erscheinungsbild. Sie hält sich hier auch für 'ne kleine Lehrerin, indem sie andere Leute dann maßregelt: ›Nein, das siehst du verkehrt, und bedenke doch mal!‹ ... Sie belehrt sie ... und dann gibt sie auch oft was Falsches« von sich.
Frau J reflektiert ihre Entwicklung folgendermaßen: Ihr ursprünglicher Berufswunsch im erzieherischen Bereich wurde »schon in der Schule und im Kindergarten angeregt. Ich hab zugesehen, wie andere gefüttert wurden. Dann hab ich regelrecht im Kindergarten fast gebettelt, das auch mal machen zu dürfen. Mir ist ständig geholfen worden. Ich hab' auch so Sachen erlebt, wie man anderen hilft und so weiter. Deshalb habe ich auch in der Schule einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, den würde ich gerne wiederholen.« Vor diesem Hintergrund tut sie sich mit dem Schritt in die Werkstatt für Behinderte schwer: »Also ich selber wäre nicht gern in sowas hineingeraten, nur dann haben sich meine Eltern mit der Behörde unterhalten, und die haben absolut abgeschlagen, dass ich in öffentliche Betriebe käme - aufgrund der Epilepsie. Das gab eine Diskussion mit meinen Eltern, und da haben die letztendlich eingeschlagen. Ich meine - pffff - was soll ich da jetzt machen?« Tatsächlich sind ihre epileptischen Anfälle schon damals »nicht ganz ohne, manchmal zwei oder drei den Tag, das war unterschiedlich. ... Mittlerweile, jetzt durch die Umstellung ist das etwas weniger geworden. ... Also sehr viel auch gar nicht, das ist gesunken.«
An das Arbeitstraining kann sich Frau J nur vage erinnern: Da »macht man natürlich noch andere Sachen als Verpacken, ... im Moment habe ich da echte Schwierigkeiten, das alles zusammenzukriegen.« Sie erinnert sich jedoch daran, dass sie nicht Töpfern oder Büroarbeit gemacht hätte: »Nein, sowas nicht. An sowas bin ich ja gar nicht rangekommen.« So fängt Frau J in der Verpackung und Montage an, wo sie ohne Unterbrechung bis heute arbeitet: »Also es gibt Sachen, die ich gerne mache in der Verpackung, aber es gibt auch Sachen, die ich gerne trotzdem mal versuchen würde. Und mein Gruppenleiter lässt mich auch manchmal was ausprobieren, aber wir merken das beide, dass ich Schwierigkeiten hab'. Aber gut, wo es klappt, da mach' ich sie denn auch mal.« Darüber hinaus wird ihr immer wieder vorgeschlagen, ein Praktikum in einer anderen Gruppe der Werkstatt für Behinderte zu machen, aber »das Problem ist: Also ein Praktikum mache ich eigentlich nur dann, wenn ich anschließend vorhab', wo anders zu arbeiten. Wenn mir die Chance nie gelingt, wenn da nie Angebote ankommen, sie alle abgelehnt werden, dann hat meiner Meinung nach ein Praktikum auch keinen Sinn.«
Ebenso sieht sie die Möglichkeiten der innerbetrieblichen Erwachsenenbildung: »Wir haben jetzt wieder ein kleines Heftchen gekriegt, wo Vorschläge für solche Kurse angeboten sind. Eins würde ich gern mitmachen, aber ich glaub', da würde ich wieder 'ne Absage kriegen. Wie gesagt, ich habe in den letzten Jahren mich so viel für solche Sachen interessiert und ich hab' so viele Abschläge gekriegt, dass ich eigentlich gar keine Laune hab', mich mehr zu melden.« Ihren Interessen geht Frau J nun in der Freizeit nach: »Aufgrund dessen, dass mir das bis jetzt immer abgeschlagen ist, hab' ich mich natürlich gut an anderen Sachen abreagiert. Das hat eigentlich schon was gebracht. Ich hab' hier meine Hobbys ausgeweitet. Dann hab' ich die Sachen, die mir abgeschlagen sind, zum Hobby gemacht. Warum denn nicht. Dann hab' ich eben so gesehen meinen dicken Kopp durchgesetzt. Is' ja so.«
Der Gruppenleiter sieht Frau J's Entwicklung durch ihre Epilepsie dominiert: »Früher hatte sie die Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie, dies aus heiterem Himmel (nickt): Zack! Und hatte so einen kleinen Wegtreter, aber kam dann schneller wieder zu sich. Aber jetzt: Wenn sie jetzt einen Anfall kriegt, ist die fertig, am Boden zerstört. Dann holen wir sie hier mit dem Rollbett ab und dann legen wir sie oben in den Ruheraum und das dauert dann zwei Stunden und dann hängt sie hinterher immer noch so. ... Sie hat jetzt die schweren Anfälle, das sind die Grand-Mal-Anfälle, wo das richtig mit Zuckungen und mit Erbrechen losgeht, da sterben 10.000 Gehirnzellen so, medizinisch sind wir da informiert worden.« Er sieht, dass Frau J insofern »natürlich ein bisschen abgebaut« hat, aber »das haben hier sehr viele.«
Auch der Mann von Frau J, wegen dem sie im ersten Interview nicht ihre Gruppe verlassen zu können meint, betreibt als gesundheitlichen Gründen seinen vorzeitigen Rentenbeginn: »Ich warte auf einen Brief von der Behörde, ich werde jetzt erst 48 und ich warte immer noch auf die 50 Jahre, früher in Rente zu gehen.« Frau J kommentiert dies: »Wenn er aus - was ja Thema ist - Gesundheitsgründen das macht, ist das natürlich was ganz anderes, als wenn ich jetzt Ade sage. Also ich wäre noch zu jung dafür, würd' ich denken.«
Frau J zeichnet ein ambivalentes Bild ihrer Zufriedenheit: Wiederholt hadert sie mit der Entscheidung von Behörde und Eltern, dass sie in die Werkstatt für Behinderte gehen soll: »Ich wär' gern in das Gespräch reingefahren, das die da mit meinen Eltern geführt haben, aber naja. ... Enttäuscht bin ich natürlich gewesen.« Sie findet die Werkstatt als Institution »sehr wichtig«, besonders für »Behinderte, die schwerer behindert sind. ... Sonst hätten die Langeweile zuhause. Aber, wie gesagt, ich würde gern in einen Außenbetrieb reingehen.« Sie bekräftigt: »Wenn es für mich die Möglichkeit gäbe, dann würde ich auch gern was anderes machen und auch außerhalb der Werkstatt. ... Letztlich bin ich nicht unzufrieden, aber man gibt sich ja eben doch damit letztendlich ab, weil, wenn einem die Türen alle zugehalten werden - wo will man da denn noch Anschluß kriegen? ... Sonst bin ich gerne in der Werkstatt, das ist nicht die Sache.« Unzufrieden ist Frau J mit ihrem Verdienst: »Ich würd' mich ja gerne über ein bisschen mehr Kohle freuen. ... Die wüsste ich schon zu verwenden.«
Mehrfach thematisiert Frau J Effekte ihrer Epilepsie: »Ich bin jetzt durch die Tablettenumstellung ruhiger geworden als ich bin, aber - es wäre natürlich schön, wenn es auch anders wäre, wenn ich die nicht nehmen würde. Also sowieso nicht, ohne Epilepsie, meine ich jetzt.« Vieles, was Frau J gern täte, wird mit der Begründung ihrer Epilepsie abgelehnt. So würde sie gern an einem Kurs ihrer Werkstatt für Behinderte zum Thema: ›Was muss ich über einen Außenarbeitsplatz wissen?‹ teilnehmen, vermutet jedoch resigniert, dort nicht teilnehmen zu dürfen: »Weil mir von den anderen Sachen, bei denen ich mich beworben hab', die sind mir alle abgeschlagen. Und dann verliert man natürlich auch den Mut. ... Bezieht sich alles auf die Epilepsie. Deshalb kann ich Kurse, die ich gerne machen würde, aber die mir abgeschlagen sind, nicht machen.« Andere befürchten, »so weit ich das überblicken kann, dass ich da zu unbeholfen bin oder eben auch dauernd Anfälle kriegen kann. ... So wie ich das verstanden hab', so kommt das bei mir auch immer an, dass es abgeschlagen wird, nicht weil es abgeschlagen wird, sondern eben alles auf die Behinderung bezogen.«
Auch der Gruppenleiter von Frau J sieht ihre Unzufriedenheit: »Sie möchte zu gern wie 'n gesunder Mensch leben, sie möchte auch gerne einkaufen gehen und ihre täglichen kleinen Dinge da verrichten.« Immer wieder führen Frau J und er Gespräche über das Dilemma, dass sie mehr selbständig tun möchte, sich aber sofort die Frage nach Verantwortung und Aufsicht aufdrängt, wenn sie allein unterwegs ist und einen Anfall bekommt: »Ich sag: ›Du, Anfalls-kranke ..., die so plötzlich, also blitzartig einen Anfall kriegen, dürfen nicht ohne Aufsicht sein. Das ist nun mal so.‹ Und das ist eben ihr größter Kummer und ihr größter Ärger, dass sie nicht das darf, was andere dürfen. Und da leidet das Mädchen dran - also wirklich.« Dieses Problem stellt sich für den Gruppenleiter vor allem in der Freizeit, denn in der Werkstatt für Behinderte »wird sie ja wunderbar betreut, hier ist sie sehr gut aufgehoben, hier kann sie und darf sie alles, geht alleine zum Essen und dies und jenes.« Bei der Arbeitssituation sieht er, dass Frau J durch ihre Spastik in den Händen Probleme bei mancher Fertigung hat: »Ab und zu gibt's da manchmal so einen Ruck, leider. Und das stört doch sehr. Und sie ist da auch drüber verärgert, wenn sie sieht, wie schön und gepflegt und glatt die anderen die Arbeit denn können, und sie kann das dann nicht so.«
Die Rolle des Gruppenleiters besteht unter anderem darin, in solchen Situationen mit Frau J schonend umzugehen: »Dann kriegst du von ihr so total zerknautschte Papiere - kannst' gar nicht mehr abschicken. Dann muss ich sagen: ›Ach, liebe (Frau J)‹, das tut mir denn auch im Herzen weh, sie möchte es so gerne und ich sag': ›Du, guck mal, wir können das dem Kunden nicht zumuten, dass er das so in Empfang nimmt. ‹« Darüber hinaus stellt er für Frau J immer wieder spezifische Vorrichtungen her, »dass sie da gut mit klarkommt, dass sie denn doch die eine oder andere Arbeit, die sie eigentlich nicht könnte, dass sie die denn doch erfüllen kann so weit.« Überhaupt versucht der Gruppenleiter, Frau J immer wieder aufzubauen: »Ich sag immer: ›Mensch, Du musst nach unten gucken, nicht nach oben. Es gibt Leute, Menschen auf dieser Erde, die sind weitaus schlimmer betroffen. Die habt ihr ja selber drüben da im Wohnbereich, die da im Rollstuhl hängen, die sich kaum bewegen können und nicht sprechen. ... Da bist du doch 'ne starke Person gegen. Sei doch zufrieden mit deinem Schicksal so. Das ist nun mal so und lässt sich nicht ändern. Und du hast da deinen (Mann) ... und ihr könnt zusammen...‹ Also zusammen dürfen sie ja beide los, er hakt sie dann unter, ja, ... und dann hab ich sie auch mal am (Nachmittag) getroffen, sind die beiden da einkaufen gegangen. Oder hat sie im Rollstuhl geschoben.« Gleichwohl gehört es auch zu seiner Rolle, Frau J zu bremsen, wenn sie allzu belehrend mit ihren KollegInnen in der Gruppe umgeht und beim allgemeinen Gespräch über Aktuelles falsche Dinge behauptet: »Da schalte ich mich dann sofort ein und sag: ›Nee, Moment, das stimmt so nicht, da müssen wir mal ganz sachlich bleiben.‹ Ja, das mache ich denn halt.« Als alter Vertrauter ist der Gruppenleiter auch an der Gestaltung der Hochzeit beteiligt gewesen: »Ich hab da Musik gemacht - ich mach' ja ab und zu einen auf Diskjockey. Das war eine ganz tolle Hochzeit, ... richtig mit Kirche, mit allen Schikanen.«
Der Hintergrund für die Tätigkeit des Gruppenleiters ist dabei ein spezifischer: »Da gibt es 'ne ganz klare Sache. Ja: Ich habe einen behinderten Sohn. Und ich war ein gesunder Malermeister, bin immer noch gesund, Powertyp, ne. Und da hab' ich gesagt: ›Du musst was tun. Du musst nicht nur reden und sabbeln‹ - Ich war damals im Elternrat von dieser Sonderschule denn, nicht.« In diesem Rahmen lädt er den damaligen Leiter der ersten Werkstatt für Behinderte - »noch so 'n Provisorium, so 'n Barackendings« - zu einem Elternabend ein zur Frage: »Was wird aus unseren Zöglingen nach der Schule, wo bleiben sie?« Während eines Films über diese erste Werkstatt für Behinderte »klopft er mich auf die Schulter und sagt denn: ›Wir planen ein großes Projekt, ... wir suchen dynamische Handwerksmeister, hätten Sie nicht Lust?‹ ... Und nach 'm halben Jahr war es schon so weit, da habe ich da drüber nachgedacht: ›Ach, dann bist Du beim Staat, hast immer pünktlich Feierabend.‹ ... Ich war damals ein kleiner Handwerksmeister mit ein paar Gesellen und dann bis in die Nacht, weil der Auftrag fertig sein musste, weil morgen ein anderer Auftrag ansteht und so, und das war das ganze Dilemma. Ja, aufgrund dessen bin ich in dieser Geschichte gelandet.«
Frau J weiß auch um die spezifische Vorgeschichte ihrer Gruppenleiters und hält ihn schon von daher für kompetent: »Jaha, das sind ja Gruppenleiter, die sich als Gruppenleiter angeboten haben, weil sie selber ein behindertes Kind haben, das heißt, das machen ja ganz viele Eltern, die selber ein behindertes Kind haben. Die wissen natürlich auch, wie man mit solchen Leuten umgeht. Das müssen sie ja schon durch die eigenen Kinder wissen.« Sie ist der Überzeugung, es gebe »eine Grenze zwischen den Nichtbehinderten, die einen solchen Job angenommen haben über ihre Kinder, die behindert sind, und den Nichtbehinderten, die keinen Kontakt zu Behinderten haben, ... das sind ja zwei verschiedene Stufen.« Weiter sorgt der Gruppenleiter »mit für die Arbeit, wo es Probleme gibt bei der Arbeit, und sonst bietet er uns auch mal kleinere Sachen an.« An dieser Stelle betont der Mann von Frau J, der Gruppenleiter sei »ein Mensch, ... ein Typ, der mehr Action macht. ... Ich meine, er sorgt für Arbeit, immer hübsch nebenbei Discomusik. ... Mit dem machen wir öfter Reisen. ... Ich weiß, dass er Humor hat, ... dass er immer voreilig ist, alles vordenkt, was wir machen, vordenken, nicht nachdenken, wenn wir arbeiten. ... Ich hab' ja immer mit ihm viel Spaß gehabt, auch humorvoll, er kann ja gute Witze. In meiner Beziehung ist er ein echter Kumpel.« Auch gibt es manchmal Kontroversen: »Doch, das haben wir schon, dass wir mal nicht einer Meinung sind. Aber wir geben uns auch gegenseitig Recht.«
Bezüglich der eigenen Rolle im Betrieb zeichnet Frau J ein Bild nicht sehr intensiver Kontakte: »In der Gruppe selbst, ... da ist gute Stimmung.« Private Kontakte gibt es jedoch nur, »wenn einer Geburtstag hat und der wen eingeladen hat.« Für sich selbst meint sie: »Na, ich hab' noch ehemalige Klassenkameraden, die da arbeiten. Zu denen kann ich natürlich noch wieder Kontakte schließen« - und sie zählt eine Person auf. Ihr Mann hingegen meint, »wir sind eine starke Gruppe. Wenn wir unter Zeitdruck sind, hauen wir alle rein.« Einig sind sich beide darin, dass ihre Partnerschaft eher in der gemeinsamen Wohnsituation denn in der gemeinsamen Arbeitssituation entstanden ist, denn bei zweiterer sei es »gar nicht so einfach, jemanden zu finden.«
Der Gruppenleiter sieht die Rolle von Frau J als eine besondere: »Also das kann ich ja sagen, da hat sie anderen was (voraus): Sie interessiert sich für alles. ... Und ist da auch ganz schön stolz drauf. Sie bringt das immer wieder ins Spiel, um andere hier zu beeindrucken, das macht sie natürlich ganz gerne, wirft gerne auch mal so mit Fremdwörtern um sich, auch wenn die denn gerade in dem Moment nicht passend sind (lachend). Das ist so (Frau J), ja. Aber sonst unheimlich freundlich zu allen und möchte auch alles machen.« Der Gruppenleiter zitiert Frau J mit Sätzen wie: »Ja, das ist dann ja rein prinzipiell. Und: Du musst das mal realistisch sehen!« Er bezeichnet es als »ihre kleine Macke: Sie kehrt hier gerne die Lehrerin raus, da ragt sie insofern (raus), dass sie spürt, dass sie sich besser artikulieren kann, dass sie besser einige Sachen ... durchdenkt und so weiter, und das spürt sie natürlich und das lässt sie hier alle anderen voll spüren. Dann heißt es hier auch schon mal: ›Ach, diese Angeberin!‹ Und: ›Kannst Du nicht mal deutsche Wörter benutzen?‹ ... Und dann legt sie hier aber los.« Deshalb wird sie aber nicht in der Gruppe abgelehnt; lediglich mit einer Kollegin gibt es Antipathien, »das werden keine Riesenfreundinnen, ... aber akzeptieren tun sie sich schon.«
Ihre Zukunftsperspektiven macht Frau J weiter von ihrem Umfeld abhängig: »Die Werkstatt will das noch, dass ich noch ein Praktikum mache in einer anderen Gruppe.« Ihren ursprünglichen Ideen entsprechend schwebt Frau J jedoch eigentlich immer noch vor, »in der Biologie zu arbeiten oder in der Chemie.« Skeptischerweise glaubt sie jedoch: »Meinungsmäßig der Werkstatt wegen habe ich da gar keine Chance. Sonst von mir aus herzlich gerne.« Und sie sieht das große Problem, dass »Nichtbehinderte nicht wissen, wie man mit Behinderten und Epilepsiekranken und so weiter umgehen kann und soll. Außenstehende wissen das ja nicht. ... Das ist Meinung in der Gesellschaft und was soll ich denn dazu jetzt sagen?« Deswegen ist sie auch wenig motiviert zu Kursen, die auf mögliche Veränderungen der beruflichen Situation zielen: »Wenn ich jetzt so einen Kurs mache, dann bin ich natürlich auch daran interessiert, mich nicht nur an so einen Kurs anzuschließen, sondern eventuell dann auch einen Weg zu finden, ins Außenbetriebliche zu kommen, aber die Tür kann ich mir zumachen.« Selbst die Chance auf einen Außenarbeitsplatz sieht Frau J als sehr ungewiss: »Vielleicht habe ich ja damit noch Glück, weiß ich ja nicht. Zum Beispiel dass ich dann auf 'nem Außenarbeitsplatz - ich glaube nicht, dass ich über ein Praktikum - jedenfalls sind die Praktiken nicht so ausgearbeitet, dass man anschließend in die freie Wirtschaft gehen könnte. Jedenfalls hab' ich davon noch nichts gehört.« Zudem sorgt für Skepsis, »dass man in meinem Alter schon keinen Außenbetriebsanschluss mehr kriegt, dass man da schon zu alt für sein soll. Das weiß ich aber nicht. Das habe ich über andere Leute, die in anderen Gruppen arbeiten, so beiläufig mitgekriegt.« Mit einer Mischung aus Resignation und Frustration resümiert Frau J, dass ihr Umfeld ihr nach wie vor wenig Selbständigkeit zutraut: »Jedenfalls bin ich da skeptisch, dass sich da was ändern wird. ... So wie sich das bei mir zeigt, hab' ich jedenfalls den Eindruck, dass sich das bei mir auch langfristig nicht ändern wird, weil da zu viel Angst dahintersteckt aufgrund der Epilepsie. ... Ich hab' mich dran gewöhnt, aber irgendwo ärgert es mich natürlich doch. Aber: Was soll man jetzt machen?«
Der Gruppenleiter sieht die Situation von Frau J ähnlich: »Wenn ich sehe, wie viele Medikamente sie so zu sich nimmt, ich glaub', das sind so 28 Pillen am Tag, so, und wenn ich dann so 'n klein bisschen weiß - diese Nebenwirkungen! Ich seh' das auch so am Äußeren, jetzt kommt sie auch nicht mal mehr mit zum Schwimmen. .... Und wie gesagt, das Kurzzeitgedächtnis, das wird immer schlimmer, das kommt eben halt durch die Anfälle.« Früher hätte er Frau J mit einer Unterstützung wie durch Arbeitsassistenz viel zugetraut: »Sicherlich! Die hätte ... also Telefondienst und all' solche Geschichten hätte sie locker bewältigt. Locker!« Allerdings hat er Zweifel, ob reguläre Betriebe sich auf die Epilepsie von Frau J einstellen könnten: »Nein, das ist ja eben die Gefahr: Weil wir drauf geschult sind und mit diesem Personenkreis bekannt sind und wir wissen, wie wir zu reagieren haben, und wir wissen auch die Auswirkungen hinterher und so weiter. Ich glaub', wenn das - andere sind schockiert. Das erlebst' immer wieder, wenn du auf der Straße oder irgendwie auf dem Bahnsteig (bist) und da kriegt jemand mal 'n Anfall - die sind ja alle entsetzt.« Heute sieht er als Perspektive von Frau J: »Sie wird weiterhin abbauen, und die Zukunft sieht nicht gerade rosig aus. Sie wird auch wahrscheinlich irgendwann in ein paar Jahren in Frührente gehen. Das zeichnet sich ja ab.« Als der Antrag auf Frührente für ihren Mann gestellt wird, wird dies auch Frau J als Möglichkeit aufgezeigt: »Wir haben mit ihr gesprochen und gesagt: ›Hier, möchtest Du denn auch - oder möchtest Du weiter arbeiten?‹ - ›Nein, ich komm ja um vor Langeweile,‹ hat sie ganz klar gesagt: ›Nein, ich möchte weiter kommen.‹ ... Das ist nach wie vor so: Der Wunsch des behinderten Menschen ist uns höchster Befehl, das halten wir so und das wird auch immer so bleiben.«
Wichtige Aspekte bei Frau J
Aus den Schilderungen der Geschichte und der aktuellen Situation von Frau J lassen sich folgende zentrale Kernpunkte herauslesen:
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Frau J gehört der Generation von Menschen mit Behinderungen an, deren Eltern um den Aufbau von förderlichen Bedingungen und Institutionen gekämpft haben. Der Gruppenleiter, selbst Vater eines behinderten Sohnes, gehört der Generation ihrer Eltern an und engagiert sich ebenfalls in dieser Weise.
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Nachdem Frau J in der ersten Befragung zu den mittelgradig Zufriedenen gehört, wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass sie einerseits auch noch nach mehr als 20 Jahren mit der Entscheidung hadert, in die Werkstatt für Behinderte zu müssen. Andererseits hat sie sich mit der Situation dort arrangiert, hat Formen gefunden, ihren Interessen privat nachzugehen und ist nicht unzufrieden - auch bei Frau J gibt es eine Tendenz zu resignativer Zufriedenheit.
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Vor allem aber hadert Frau J auch mit Mitte 40 noch mit den direkten und indirekten Folgen ihrer Epilepsie.
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Frau J zeigt mit ihren Schilderungen ihre Situation als die einer Zwickmühle: Einerseits gibt sie ihre ursprünglichen maximalen Zielsetzungen und Wünsche nicht auf - Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt - und entwickelt zusätzliche relativierte kleinere Ziele - wie das eines Außenarbeitsplatzes. Andererseits kommen zwei Momente zusammen, die jegliche Realisierung von Zielen verhindern und für Stagnation sorgen: Das Umfeld signalisiert ihr, dass wegen der Anfälle vieles zu riskant und der einzig für sie mögliche Arbeitsort die Werkstatt für Behinderte sei, und Frau J vermeidet jegliche konkrete Schritte, indem sie diese sinnvoll nur bei Erfolgsgewissheit gehen zu können meint. So bleibt alles beim alten.
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Dass Frau J aus einer Familie mit akademischem Hintergrund kommt, mag zu ihren ausgeprägten verbalen Fähigkeiten und ihren breit gefächerten Interessen beigetragen und Berufswünsche und Alltagsorientierungen nachhaltig mitgeprägt haben.
Ansätze zur Interpretation
Der Stigma-Theorie folgend kann Frau J als Diskreditierte angesehen werden, die teils die Auswirkungen ihres Stigmas leugnet, sie teils aber auch notgedrungen hinnimmt. Dies ist nur zu ertragen, indem sie die Verantwortung dafür anderen zuweist und so eine Opfer-Rolle einnimmt. Der medizinisch bedingte Kontrollverlust - sowohl durch Anfälle als auch durch massive Medikation - legt diese Rolle auch sehr nahe, zudem wird diese Tendenz durch die in dieser Generation übliche Sozialisation innerhalb von Institutionen verstärkt. Diese Haltung enthält eine spezifische Mischung von Frustration und Resignation. Vielleicht durch den akademischen Hintergrund der Herkunftsfamilie verschärft, leistet Frau J in der Werkstattgruppe Widerstand gegen dieses Stigmatisierungsgefühl, indem sie versucht, die Normalität eines ›kreditierten gesunden Menschen‹ zu inszenieren und dabei diese Rolle als ›kleine Lehrerin‹ überzeichnet. Der Gruppenleiter, der sich als Anwalt, Schützer und Moderator für Menschen mit Behinderungen definiert, betont gegenüber Frau J immer wieder relativierend zum Trost, dass es stärker Diskreditierte gebe.
Gemäß der Theorie integrativer Prozesse zeugt das Hadern von Frau J mit ihrer Epilepsie von einem inneren Uneinssein: Ihre Aufmerksamkeit scheint gebunden zu sein an Formen der Verleugnung jeglichen Andersseins und zugleich beschäftigt mit der Verfolgung der ungewollten Anteile. Bestärkt wird dies durch die Handlungen des Umfeldes, das in der Wahrnehmung von Frau J auf ihre Interessen mit Verweigerung reagiert und diese vornehmlich mit den Gefahren für Frau J durch die Epilepsie begründet. Institutionell fühlt Frau J sich spätestens durch die Zuweisung zur Werkstatt für Behinderte auf den Pol der Verschiedenheit festgelegt und ausgesondert, was ihre Sehnsucht und Wunschprojektionen um so mehr zum Gleichheitspol zu treiben scheint; die Balance aber, Prozesse der Einigung bis zur Normalisierung geraten so zunehmend aus dem Bereich des Realisierbaren. Der Gruppenleiter zeigt sich in der Identifikation mit dem Aufbau der Institution als Vater eines behinderten Sohnes aus der selben Generation voll überzeugt von der prinzipiellen wie der individuellen historischen Notwendigkeit der Institution, die die gesellschaftlich Ausgesonderten integriert und gut behandelt, da Gleichheit als unmöglich und auch Möglichkeiten der Einigungen und Balance als utopisch gesehen werden. Er beschwichtigt von daher Frau J und macht sie darauf aufmerksam, dass es anderen noch schlechter gehe.
Da die Einzelbeispiele bereits jeweils am ihrer Darstellung zusammengefasst worden und unter zwei theoretischen Perspektiven eingeschätzt worden sind, sollen an dieser Stelle zusammenfassende Bemerkungen die Ergebnisse der zehn Studien in 17 Punkten bündeln.
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Bei den befragten MitarbeiterInnen in den Werkstätten für Behinderte ist eine langfristige Orientierung auf die dortige Arbeit durch die Sonderschule, entsprechende Praktika und Berufsberatung erkennbar. Ihre Eltern sehen die Werkstatt für Behinderte z.T. kritisch, tolerieren sie pragmatisch oder nehmen die verfügt Zuweisung hin - letzteres vor allem älteren Befragten.
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Die MitarbeiterInnen in den Werkstätten wünschen sich nach z.T. langjähriger Zugehörigkeit zum großen Teil eine Tätigkeit ›draußen‹ und hadern mehr oder weniger stark mit ihrer Situation; selbst die eigentlich (nach der ersten Befragung sehr) zufriedenen sind nicht nur durchgängig zufrieden, sondern weisen u.U. teilweise eine resignative Zufriedenheit auf. Zudem ist ihren Aussagen nach die Peer-Group innerhalb der Werkstatt für Behinderte keineswegs eine Garantie für Akzeptanz und Freundschaft, und sie bedingt nur partiell Zufriedenheit. Somit deutet sich an, dass die MitarbeiterInnen der Werkstätten fast durchgängig ein Bewusstsein haben, das den ersten Arbeitsmarkt als das ›Eigentliche‹ und die Werkstatt für Behinderte als ›Uneigentliches‹ sieht; hier wird die gesellschaftlich subsidiäre Funktion der Werkstatt für Behinderte, also ihrer Zweitrangigkeit, widergespiegelt. Insofern finden sich hier keine Ergebnisse, die die These, »Werkstätten sind Emanzipationshilfen« (ANDERS 1996, 560) mit positiven Effekten für »Selbstsicherheit, Selbstwertgefühl und Bewusstsein der eigenen Stärke bei den behinderten Beschäftigten« (ebd.) stützen würden.
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Damit kommt der Orientierung ›raus aus der WfB‹ und ›draußen arbeiten‹, die sich in den verschiedenen Wunschformulierungen der Befragten äußert, mehr an Gewicht zu als das eines naiven Kindheitstraums mit der Qualität von Lokomotivführer, Pilot, Schönheitskönigin oder Schauspieler. Er kann auch nicht interpretiert werden als banaler, nebensächlicher Tagtraum ohne jegliche Relevanz für die Zufriedenheit und ohne jeglichen Realisierungsdruck. Vielmehr dürfte dieser Wunsch nach einer ›reellen‹ Arbeitssituation Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Zugehörig-Sein zur ›eigentlichen Situation‹, zu der nicht künstlich geschaffenen, sondern gesellschaftliche normalen Arbeitssituation sein.
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Bei den WerkstattmitarbeiterInnen findet sich ein hohes Maß an personaler Unsicherheit und Indifferenzen, die auf Institutionalisierungsphänomene schließen lassen. Gleichwohl ist im Vergleich mit den fünf unterstützten ArbeitnehmerInnen kein weiterer Rückschluss erlaubt, da hier Altersunterschiede bedeutsam sein können; bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen wäre hilfreich gewesen, eine ältere Person als Herrn B auszuwählen, die von der Werkstatt für Behinderte auf den ersten Arbeitsmarkt übergeht.
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Die befragten GruppenleiterInnen nehmen in dieser Situation unterschiedliche Positionen ein: Teilweise sehen sie für einige die Perspektive des Fitmachens in der Werkstatt für Behinderte - meist unter Ausblendung der Qualifizierungschancen am realen Arbeitsort - , teilweise vertreten sie auch dezidiert das Konzept von Unterstützter Beschäftigung - ohne allerdings dafür Ressourcen zu haben. Ihre Rolle beschreiben sie jedoch insgesamt eher mit dem Zuteilen angemessener Arbeiten, Schützen, Abfedern, Trösten und Relativieren von hadernden Denkmustern bei ihren MitarbeiterInnen mit Behinderung. Sie arbeiten eher wenig mit an der Realisierung von Träumen (außer Gruppenleiter G), was ja auch im übrigen originäre Aufgabe des sozialpädagogischen Dienstes ist.
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Es werden sehr unterschiedliche Blicke von ArbeitsassistentInnen und GruppenleiterInnen auf Stärken und Schwächen ihrer BewerberInnen bzw. MitarbeiterInnen deutlich: Erstere betonen mehr die Kompetenzen einer Person, während zweitere oft Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Stärke zu sehen und vorzugsweise Schwächen formulieren. Es bleibt die Frage offen, ob solche unterschiedlichen Sichtweisen, wie sie z.B. über Herrn E als dem einzigen, zu dem aus beiden Systemen Aussagen vorliegen, zufällig sind oder ob nicht eher eine systembedingte Logik zu vermuten ist.
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In Verbindung damit erklärt sich ein unterschiedliches Vorgehen bei der jeweiligen Qualifizierung: GruppenleiterInnen operieren meist mit kleinschrittigem Lernen im Vorfeld gewünschter Tätigkeiten (so muss Herr E erst zuverlässig Papiere sortieren können, bevor er an Maschinen herankann oder Herr H soll erst in der Erwachsenenbildung zum PC-Kurs gehen, bevor über eine Tätigkeit am Computer nachgedacht werden kann), ArbeitsassistentInnen arbeiten ebenfalls oft kleinschrittig - aber an der gewünschten Tätigkeit selbst (bei Frau A wird so das Tischabwischen der Tische im Gästehaus trainiert). Die mehrfach auftauchenden Zwickmühlenphänomene könnten genau hier begründet sein: Eine Kleinschrittigkeit, die im Vorstadium einer erwünschten Tätigkeit steckenbleibt statt am eigentlichen Interesse zu arbeiten, wirkt offenbar demotivierend und somit kontraproduktiv (dies zeigt sich auch, wenn sie im Kontext betrieblicher Qualifizierung praktiziert wird, wie möglicherweise bei Herrn B).
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Ohne Unterstützung durch die Hamburger Arbeitsassistenz bestünde nach Einschätzung aller Befragten der ersten fünf Studien keines der Arbeitsverhältnisse - und das mit 90 % der Finanzmittel der Werkstätten. Bei der Beschreibung der konkreten Leistungen durch die AssistentInnen werden drei Standbeine der Unterstützung in je unterschiedlicher Gewichtung als bedeutsam deutlich: Die soziale Integration und gemeinsame Reflexion, das Entwickeln von Schlüsselqualifikationen und die konkret tätigkeitsbezogene Qualifizierung.
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Bei allen Befragten werden langfristige Orientierungen im familiären Umfeld deutlich, die in den ersten fünf Studien auf Integration in allen Lebensbereichen zielen. Gleichwohl kann man nicht von einer linearen Beziehung zwischen besuchtem Schultyp - Sonder- und Integrationsschule - und erfolgreicher beruflicher Integration sprechen, denn bei beiden besuchten Schulformen kommt es zu erfolgreicher wie zu Abbrüchen von beruflicher Integration.
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Den geschilderten Verläufen zufolge ist die Erfolgswahrscheinlichkeit höher, wenn weniger Brüche in der Entwicklung vorkommen; problematisch wirken sich z.B. Folgen von wiederholten Zuständigkeitswechseln aus - so bei Herrn E vor Beginn des Integrationspraktikums. Als erfolgreich bewertete Verläufe zeigen zudem, dass Erfolg mindestens so stark vom betrieblichen Umfeld und dessen Veränderungsbereitschaft abhängt wie von der Person selbst, ob also beispielsweise akzeptierte Rollen gefunden werden. Überdies deuten die Erfahrungen darauf hin, dass wesentlich wichtiger für den Erfolg auf dem ersten Arbeitsmarkt Motivation und Interessen der unterstützt Beschäftigten sind - weitaus wichtiger als ihre kognitiven Fähigkeiten.
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Das Ende eines unterstützten Arbeitsverhältnisses bedeutet nicht automatisch das Ende der beruflichen Integration; vielmehr sind auch bei einem Beschäftigten, dem eine geistige Behinderung zugeschrieben wird, deutliche Transfereffekte zu verzeichnen.
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Problematisch wird es dort, wo geringe Motivation, stärker noch ein geringes Bewusstsein davon, was Arbeit bedeutet, und ein schwieriges - familiäres oder auch betriebliches - Umfeld zusammen kommen. Dies ist bei den abgebrochenen oder gefährdeten Arbeitsverhältnissen auf dem ersten Arbeitsmarkt durchweg der Fall.
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Gleichwohl bleibt es in Problemsituationen eine schwierige Gratwanderung zu entscheiden, wann ein Arbeits- oder Praktikumsverhältnis zu beenden ist - einerseits nicht zu früh aufzugeben und nutzbares Potential ungenutzt zu lassen, andererseits es zu unvertretbaren Situationen kommen zu lassen und die Beteiligten zu überfordern.
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Der Versuch, bei massiven Schwierigkeiten in den unterstützen Formen auf die Weiterentwicklung der BewerberInnen in der Werkstatt für Behinderte zu hoffen, erscheint wenig erfolgversprechend: Die Erfahrungen zeigen, dass das Problem dort in ähnlicher Form weiter bestehen bleibt (so bei Herrn E, womit die negativen Erwartungen von Mutter B realistisch erscheinen). Dies wirft die Frage auf nach anderen Zwischenschritten, wie z.B. integrativen Zweckbetrieben, in denen ohne Zeitdruck zur Entwicklung eines Begriffes von Arbeit und einer entsprechenden Motivation beigetragen werden könnte.
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Auf der Seite der Betriebe zeigen die Beispiele, dass ein Start mit Enthusiasmus und Euphorie leicht zu Ernüchterung und Enttäuschung führen kann (wie bei Herrn B), während ein Beginn mit gewisser Unsicherheit und Skepsis positive Überraschung, Erleichterung und Freude provozieren kann (wie bei Herrn D im zweiten Betrieb). Die Arbeitsassistenz sollte insofern besonders zu Beginn nicht nur vermitteln, welche Fähigkeiten bei einer Person mit Behinderung vorhanden und entwickelbar sind, sondern zugleich typische und vermutlich stabile Verhaltensweisen und Fähigkeiten betonen. Entscheidend ist, ob es gelingt, eine gemeinsame Optik oder zumindest sich ergänzende Blickwinkel und eine gemeinsame Konsens-Ebene zu finden (wie die Beispiele von Frau A, Frau C und Herrn D plastisch und von Herrn E drastisch veranschaulichen).
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Die Betrachtung der verschiedenen Situationen unter Aspekten der Stigma-Theorie zeigt auf, dass es in der Werkstatt für Behinderte im wesentlichen zu einer Fortschreibung der Stigmatisierung kommt, da allein das institutionalisierte Stigma kaum relativierbar ist. Als gegenläufige Tendenz präsentieren sich die Situationen außerhalb der besonderen Institution und innerhalb eines regulären betrieblichen Rahmens: Hier gelingen Entstigmatisierungsprozesse - häufig mit Unterstützung der AssistentInnen, und dies, obwohl allein die Tatsache, dass jemand beim Stigma-Management hilft, natürlich auch gleichzeitig zeigt und unterstreicht, dass es vorhanden ist (vgl. GEHRMANN & RADATZ 1997).
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Der Theorie integrativer Prozesse zufolge verkörpert die Werkstatt für Behinderte institutionell den Differenzpol, denn sie wurde in der Ergänzungs- und Entlastungsfunktion zur Kultur der Anpassung und des Gleichheitskults auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschaffen. Nichts desto trotz finden sich auch in diesem behinderten Rahmen integrative Prozesse auf der interaktionellen Ebene und der der Kooperation (so etwa bei Herrn G und seinem Gruppenleiter in der intensiven Reflexion). Der Hamburger Arbeitsassistenz kommt demnach die Funktion zu, integrative Prozesse zu initiieren, mit denen es zur Veränderung des Status-Quo in Betrieben kommt und für die Beteiligten neue Qualitäten von Akzeptanz, Begegnung, Kooperation, Gemeinsamkeit und Normalisierung möglich werden. Wie weit dies gelingt, hängt von vielen Faktoren ab und vollzieht sich nicht automatisch, jedoch zeigen einige Beispiele, dass dies sehr wohl gelingen kann.
Inhaltsverzeichnis
- 5.1 Anliegen und Fragestellung
- 5.2 Stichprobe und methodische Überlegungen
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5.3 Ergebnisse
- 5.3.1 Konzept und Praxis der Maßnahmen
- 5.3.2 Eigene Tätigkeit und Rolle
- 5.3.3 Personenkreis der BewerberInnen
- 5.3.4 Einbindung in Kooperationsstrukturen
- 5.3.5 Vermutete Sichtweisen von ArbeitgeberInnen und die Situation in den Betrieben
- 5.3.6 Berufsberatung durch das Arbeitsamt
- 5.3.7 Berufsschulunterricht
- 5.3.8 Perspektiven
- 5.3.9 Resümees
- 5.4 Zusammenfassung
Im Zuge der schriftlichen Befragung von ArbeitsassistentInnen und GruppenleiterInnen werden die Befragten um die »wichtigste Geschichte aus der letzten Zeit Ihrer Tätigkeit (gebeten), die zeigt, was Sie sehr erstaunt, verwirrt, erfreut, entsetzt, amüsiert, enttäuscht, begeistert oder bewegt hat« (Fragebogen, Anhang 11.4 und 11.5). Zur Einstimmung in die Thematik der Arbeitssituation der beiden Berufsgruppen und ihrer Sichtweisen geben wir zwei Beispiele wieder.
»Mein Bewerber, nenne ich ihn Olaf, arbeitet in einem Supermarkt in der Regalbetreuung. Olaf ist 17 Jahre jung. Zunächst machte Olaf selten, was er sollte, und sobald man ihm den Rücken kehrte, machte er, was ihm Spaß machte. Olaf ist sehr direkt, verletzend, unsensibel und redet viel - so viel, dass er alle nervt und so ausgegrenzt wird. Er hört nicht zu und arbeitet viel zu langsam. Olaf ist sehr motiviert und lebt in einer sehr schwierigen familiären Situation. Er verlangt allen viel Geduld ab. Nach ca. zwei Monaten fragte mich der Abteilungsleiter, was denn mal aus Olaf werde. Ich erklärte, dass Olaf sich im Supermarkt sehr wohl fühle, aber noch etwa neun Monate Zeit habe, sich auch anders zu orientieren und noch vieles (kennen) zu lernen. Da sagte der Abteilungsleiter zu mir, dass Olaf einem ja richtig ans Herz wachsen könne, und fragte mich, ob er nicht mal seinen Chef zur Seite nehmen und mit ihm über eine Festeinstellung Olafs reden solle. Dafür ist es noch viel zu früh, aber wir haben das Praktikum verlängert, und ich habe mich sehr über dieses Angebot gefreut. Inzwischen ist Olaf den fünften Monat in diesem Supermarkt. Seine Umgangsformen sind bedeutend besser, er arbeitet zuverlässiger und seine KollegInnen haben ihn kennen- , zu nehmen und mögen gelernt. Wenn Olaf Ende des Monats ›weiterzieht‹, wird er viel gelernt haben und seinen KollegInnen fehlen.« |
»Das Hauswirtschaftstraining macht sich früh morgens (8.30) auf zur Bushaltestelle, um mit dem nächsten Bus zum Supermarkt zu fahren. Wir sind insgesamt sieben Personen, jeder hat eine Einkaufstasche dabei, und ich (die Gruppenleiterin) hat den Einkaufszettel und das Geld. Bei der Ampel warten wir alle auf das grüne Zeichen und überqueren dann die Straße. Uns entgegen kommt ein älterer Herr mit Hund an der Leine. Der Hund ist an Menschen gewöhnt, wedelt mit dem Schwanz und schnuppert an der einen oder anderen Hose von uns. Eine der behinderten Mitarbeiterinnen hat aber große Angst vor Hunden, springt ein wenig unbeholfen zur Seite und schreit ein wenig. Eine andere Mitarbeiterin hingegen versucht, die verschreckte Kollegin zu beruhigen, nimmt sie in den Arm und sagt: ›Bleib ruhig, Hunde sind schließlich auch nur Menschen.‹ Ich muss, als ich dies höre, doch sehr in mich hineinschmunzeln und mache weiter keine Unruhe wegen der Situation.« |
Eine Evaluation der beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum muss unter Einbeziehung der Sichtweisen und Stellungnahmen der Personengruppe erfolgen, die in ihnen arbeitet. Insofern werden alle ArbeitsassistentInnen, die in diesen beiden Maßnahmen tätig oder tätig gewesen sind, zu ihrer Sicht der Dinge befragt - über die Aussagen der KollegInnen hinaus, die im Rahmen der Intensivbefragung bereits zu Wort gekommen sind (vgl. Kap. 4.4). Da sie die Alternative zum Arbeitstraining in der Werkstatt für Behinderte entwickeln, ausgestalten und durchführen, wird parallel auch die Situation im Arbeitstraining der Werkstätten aus Sicht der dort tätigen GruppenleiterInnen betrachtet. Die Aussagen der ArbeitsassistentInnen werden also, wo immer es möglich und sinnvoll erscheint, mit denen einer Parallelgruppe von GruppenleiterInnen im Arbeitstrainingsbereich der Werkstätten für Behinderte verglichen.
Dabei ist durchaus bewusst, dass sich beide Berufsgruppen in unterschiedlichen Situationen und Kontexten bewegen und von ihrer Arbeitssituation nur begrenzt miteinander vergleichbar sind: GruppenleiterInnen sind in bestimmten Räumen kontinuierlich anleitend für Gruppen von behinderten MitarbeiterInnen im Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte tätig, während ArbeitsassistentInnen sich in die individuelle Situation einzelner unterstützter PraktikantInnen bzw. MitarbeiterInnen begeben und sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem komplexen Umfeld mit anderen Personen wie KollegInnen und Vorgesetzten bewegen. Dies sind von vornherein unterschiedliche Rollendefinitionen.
Im Zentrum des Vergleichs stehen unter diesen Voraussetzungen folgende Einschätzungen und Aspekte:
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Konzept und Praxis der Maßnahmen,
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eigene Tätigkeit und Rolle,
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Personenkreis der BewerberInnen bzw. behinderten MitarbeiterInnen,
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Kooperation mit anderen Beteiligten (BewerberInnen und ArbeitgeberInnen),
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Situation in den Betrieben und anschließende Perspektiven,
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Berufsberatung durch das Arbeitsamt,
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Berufsschulunterricht und
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resümierende Aussagen.
Damit kann ein Bild von wesentlichen Aspekten der Tätigkeit der AssistentInnen und ihrer Einschätzung des Ambulanten Arbeitstrainings als Alternative zum Arbeitstraining in der Werkstatt für Behinderte gezeichnet werden.
Aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen zeitlicher und kapazitärer Art (vgl. Kap. 2.1) muss die Vollbefragung der ArbeitsassistentInnen in schriftlicher Form erfolgen. Dies erscheint auch insofern gerechtfertigt, als bei ihnen eine hohe Motivation und Bereitschaft vorausgesetzt werden kann, ihre Sicht der Dinge über einen umfangreichen Fragebogen transparent zu machen. Insgesamt sind es 17 Personen, die als ArbeitsassistentInnen in den beiden Maßnahmen Ambulantes Arbeitstraining und Integrationspraktikum tätig oder tätig gewesen sind. Die angestrebte Parallelisierung mit einer analog arbeitenden Berufsgruppe in den Werkstätten bedeutet die Einbeziehung der dortigen GruppenleiterInnen. Zunächst wird erwogen, alle GruppenleiterInnen zu befragen, aus deren Gruppen TeilnehmerInnen an der Vollbefragung (vgl. Kap. 3) beteiligt waren. Dies wird jedoch nach Rücksprache mit den AnsprechpartnerInnen in den Werkstätten verworfen zugunsten des Versuchs einer Befragung aller Hamburger GruppenleiterInnen im Arbeitstrainingsbereich, denn sie sind diejenigen, die für die Ermittlung von Interessenschwerpunkten und Fähigkeitsprofilen und für eine entsprechende Einarbeitung zuständig und damit am ehesten von Schwerpunkt und Aufgaben her mit den ArbeitsassistentInnen in Beziehung zu setzen sind. Somit ergibt sich eine Parallelgruppe von 21 Personen. Diese schriftliche Befragung bezieht sich also im optimalen Fall einer hundertprozentigen Beteiligung auf 38 Personen.
Methodisch stellt sich die Herausforderung, dass einerseits im Fragebogen nicht zu viele geschlossene Fragen enthalten sein dürfen, da mit ihnen im wesentlichen nur die antizipierten Inhalte der UntersucherInnen erhoben werden können, andererseits eine Vielzahl von offen gestellten Fragen wiederum Kategorisierungen notwendig macht, so dass zwar eher die für die Befragten wichtigen Inhalte erhoben, sie jedoch unter den Gesichtspunkten der UntersucherInnen strukturiert und einer Quantifizierung zugänglich gemacht werden. Insofern wird in den beiden Fassungen der Fragebögen eine ausgewogene Mischung aus offenen Fragen, Einschätzungsskalen und einigen gemischten Fragen mit teils vorgegebenen und teils offen ergänzbaren Antwortmöglichkeiten versucht (vgl. Anhang 11.4 und 11.5). Dabei ist den AutorInnen bewusst, dass der Fragebogen einen relativ hohen Zeiteinsatz der Befragten erfordert; dies wird jedoch zugunsten der vielen wichtigen Informationen als vertretbar angesehen, auch wenn ggf. Informationslücken aufgrund einer möglicherweise nicht ganz so hohen Motivation bei den Befragten in den Werkstätten für Behinderte entstehen können, da ja in erster Linie das Ambulante Arbeitstraining evaluiert wird.
An einer Vielzahl von Stellen werden Signifikanzprüfungen durchgeführt; damit wird statistisch ermittelt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Unterschiede zwischen Gruppen - hier zwischen AssistentInnen und GruppenleiterInnen - nicht mehr als zufällig erklärt werden können, sondern systematisch bedingt sind. Dies wird nach dem Chi-Quadrat-Test mit einem Wert (p) angegeben: Bei p < 0.10 liegt eine statistische Tendenz vor, bei p < 0.05 ist mit 95%iger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass ein nicht zufälliger, sondern signifikanter Unterschied vorliegt, bei p < 0.01 kann dies mit 99%iger Wahrscheinlichkeit angenommen und von einem sehr signifikanten Unterschied ausgegangen werden. Im folgenden werden nur tendenzielle und signifikante Werte angegeben, bei den vielen nicht signifikanten Werten wird darauf verzichtet.
Die Befragung findet im Dezember 2000 und Januar 2001 statt. Dazu werden die Fragebögen in entsprechender Anzahl an die AnsprechpartnerInnen bei der Arbeitsassistenz und in den vier Hamburger Werkstätten für Behinderte gesandt mit der Bitte, sie im Rückumschlag bis zum Stichtag zurückzuschicken. In einem Anschreiben wird den potentiellen Befragten Sinn und Zweck der Befragung erläutert, um Mitarbeit geworben und persönliche Anonymität zugesichert.
Insgesamt gehen 25 Fragebögen ein; somit wird eine Rücklaufquote von 82,4 % bei der Arbeitsassistenz (14 von 17 Fragebögen) und von 52,4 % bei den Werkstätten erreicht (elf von 21 Fragebögen; leider treffen drei von einer Werkstatt für Behinderte abgeschickte Fragebögen nicht bei den AutorInnen ein.) Die Tabellen für Kap. 5 befinden sich im Internet (vgl. die Adresse im Vorwort).
Die Befragten lassen sich folgendermaßen beschreiben: Zwei Drittel von ihnen sind Frauen, ein Drittel Männer, wobei es eine Gleichverteilung bei den GruppenleiterInnen gibt und der größere Frauenanteil durch die AssistentInnen zustandekommt (vgl. Tab. 5.1). Während der Schwerpunkt vom Alter her bei den AssistentInnen in den 30ern liegt, sind die GruppenleiterInnen sehr signifikant älter, mit einem Schwerpunkt in den 50ern (vgl. Tab. 5.2; chi2 = .009). Dementsprechend gibt es auch bei der Dauer der Tätigkeit und der Zahl der Personen, für die sie zuständig gewesen sind, klare Unterschiede: Während über die Hälfte der AssistentInnen bis zu fünf Jahren tätig sind, sind dies über die Hälfte der GruppenleiterInnen bis zu zehn Jahren (vgl. Tab. 5.3; chi2 = .021). Knapp die Hälfte der AssistentInnen sind bisher für bis zu 20 Personen, knapp die Hälfte der GruppenleiterInnen dagegen für über 100 Personen zuständig gewesen (vgl. Tab. 5.4; chi2 = .015). Dies dürfte mit den unterschiedlichen Berufserfahrungen und dem Alter, aber auch mit der Arbeitsstruktur zusammenhängen, denn die GruppenleiterInnen sind - wie die Bezeichnung schon sagt - für Gruppen, die AssistentInnen dagegen an verschiedenen Orten für einzelne Personen zuständig. Von daher erklärt sich auch, warum es bei der Zahl der TeampartnerInnen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, sondern bei beiden der Schwerpunkt bei bis zu zehn TeampartnerInnen liegt (vgl. Tab. 5.5).
Deutliche, wenn auch nicht signifikante Unterschiede gibt es bei dem beruflichen Weg: Bei den AssistentInnen hat die Hälfte eine pädagogische Ausbildung und ein knappes Viertel eine handwerkliche und zudem eine pädagogische Zusatzausbildung; den zweiten Weg ist hingegen die Hälfte der GruppenleiterInnen gegangen (vgl. Tab. 5.6). Gewisse Unterschiede zeigen sich auch in der Motivation zu dieser Arbeit (vgl. Tab. 5.7): Bei beiden Gruppen lassen sich bei etwas mehr als der Hälfte der Befragten die Motive als qualitative Gründe zusammenfassen, etwa wenn es um die Vielfalt der Aufgaben, die Selbständigkeit und ähnliches geht, die GruppenleiterInnen haben sich zu etwa einem Drittel aus pragmatischen Gründen (Angebot bekommen, Verdienst etc.) für diese Arbeit entschlossen, und bei einigen AssistentInnen liegen eher idealistische Gründe vor (›etwas wirklich Integratives tun‹, ›Pioniergeist und mangelnde Perspektive in der Werkstatt‹).
Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der konkreten Arbeitssituation: Während alle GruppenleiterInnen mit voller Stelle arbeiten, tun dies nur knapp drei Viertel der AssistentInnen, jedoch über ein Viertel mit einer dreiviertel Stelle (vgl. Tab. 5.8; chi2 = .095).
Beide Gruppen zeigen sich relativ gut informiert über die jeweils andere Form des Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.9): Lediglich eine AssistentIn und ein Viertel der GruppenleiterInnen kennt die andere Form nicht. Dies könnte mit den unterschiedlichen Arbeitssituationen zusammenhängen, da die GruppenleiterInnen in ihrer Institution, die AssistentInnen hingegen ambulant und auch im Anschluss an die Arbeit ihrer Klientel in der Werkstatt für Behinderte tätig sind. Sie selbst lassen eher im dunkeln, in welcher Form sie sie kennengelernt haben, lediglich zwei GruppenleiterInnen und eine AssistentIn berichten von Hospitationen und eine AssistentIn hat in einer Werkstatt für Behinderte selbst gearbeitet (vgl. Tab. 5.10).
Zunächst werden die Befragten um eine Einschätzung der beiden Formen des Arbeitstrainings gebeten, indem sie bis zu drei derer Stärken und Schwächen angeben. Diese offenen Antworten werden im nachhinein kategorisiert.
Demnach sind beim Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte Schutz und Sicherheit eine wesentliche Stärke, wenn etwa der beschützende Rahmen oder kleine Gruppen, Kontinuität, begleitende Dienste und der sichere Arbeitsplatz - von beiden Gruppen - genannt werden; die von den GruppenleiterInnen hervorgehobene Stärke der hohen Passung mit den individuellen Fähigkeiten der behinderten MitarbeiterInnen wird von den AssistentInnen dagegen nicht geteilt, die demgegenüber die soziale Einbindung als zweite Stärke sehen (vgl. Tab. 5.11). Wenige AssistentInnen sehen explizit keine Stärken beim Arbeitstraining der Werkstätten und lassen viele Möglichkeiten zu Nennungen ungenutzt. Schwächen sehen die GruppenleiterInnen fast ausschließlich bei den Rahmenbedingungen innerhalb der Werkstatt für Behinderte, bei denen sie etwa zu wenig Personal und zu geringe Ausbildung, zu große Gruppen, einen zu unflexiblen Rahmen und schlechte Kooperation mit dem Beschäftigungsbereich bzw. den nahezu zwangsläufigen Übergang in ihn kritisieren (vgl. Tab. 5.12). Demgegenüber sehen die AssistentInnen als größte Schwäche, dass in der Werkstatt für Behinderte keine Integration stattfindet und innerhalb einer Scheinwelt mit unrealistischen Selbstbildern agiert wird. Jedoch kritisieren auch sie problematische Rahmenbedingungen und Unterforderungstendenzen; auch zu wenig Förderung und geringes individuelles Eingehen mit einer starken Gruppenorientierung (in Tab. 5.12 als ›soziale Vergruppung‹ bezeichnet) sehen sie kritisch.
Beim Ambulanten Arbeitstraining differieren die Aussagen der beiden Gruppen wesentlich mehr als bei dem der Werkstatt für Behinderte. Die AssistentInnen sehen im wesentlich drei Stärken: zum ersten das Konzept mit der Arbeitsbegleitung vor Ort, zum zweiten die starke individuelle Orientierung mit der Passung zu Fähigkeiten und Interessen und zum dritten die Integration in der gesellschaftlichen Realsituation (vgl. Tab. 5.13). Demgegenüber betonen die GruppenleiterInnen wenig Stärken des Ambulanten Arbeitstrainings; fast zwei Drittel der Antwortmöglichkeiten bleiben ungenutzt. Am ehesten sehen sie positiv, dass das Ambulante Arbeitstraining in der Realsituation erfolgt, und sie empfinden seine Rahmenbedingungen als Stärke, unter denen mit einem hohen Finanzaufwand gearbeitet werde - dies sind real 90 % des Kostensatzes des Arbeitstrainings in der Werkstatt für Behinderte. Schwächen beschreiben die GruppenleiterInnen ebenso sparsam wie Stärken; am ehesten sehen sie soziale Isolation, ein geringes Spektrum möglicher Tätigkeiten und Überforderung als Schwächen des Ambulanten Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.14). Die AssistentInnen nutzen nur 60 % der Antwortmöglichkeiten und heben als größte Schwächen die Rahmenbedingungen (hier geht es um hohen Verwaltungsaufwand, geringe Platzzahlen und hohe Wartezeiten, geringe Bezahlung, zeitliche Begrenzung der Unterstützung, die Koppelung an die Werkstatt für Behinderte und ähnliches) sowie Sonstiges (etwa die Kooperation mit Berufsschulen und den Zugang nur über das Arbeitsamt) hervor. Ebenfalls spielen Tendenzen zu sozialer Isolation und ein eher geringes - hervorgehoben wird dabei: geschlechtsspezifisch typisiertes - Spektrum an Branchen eine gewisse Rolle.
Insgesamt scheint sich die Einschätzung des Arbeitstrainings in der Werkstatt für Behinderte bei den AssistentInnen bei den Schwächen auf strukturelle wie konkrete Bedingungen zu beziehen und bei den Stärken vor allem auf Sicherheit und soziale Einbindung zu richten - bei letzterer deutlich mehr, als die GruppenleiterInnen betonen. Am Ambulanten Arbeitstraining sehen die AssistentInnen vor allem dessen strukturelle Verankerung und ihre geringe Bezahlung als problematisch, die entscheidenden Stärken liegen für sie im Konzept. Beide Gruppen nehmen eher vorsichtig zur jeweils anderen Form Stellung, deren Stärken bleiben von der Hälfte der AssistentInnen und sogar von fast zwei Dritteln der GruppenleiterInnen unkommentiert; während die Schwächen des Arbeitstrainings der Werkstatt für Behinderte von je einem Drittel der Gruppen unkommentiert bleiben, geschieht dies beim Ambulanten Arbeitstraining bei 60% der GruppenleiterInnen und bei 40% der AssistentInnen - vermutlich aus unterschiedlichen Gründen. Offensichtlich sind die GruppenleiterInnen nicht so gut informiert über die alternative Form wie die AssistentInnen.
Weiterhin wird eine Reihe von Fragen zu Problemaspekten gestellt. So geben die Befragten als größte Problematik bei der Qualifizierung signifikant Unterschiedliches an (vgl. Tab. 5.15; chi2 = .089): Für die AssistentInnen ist das betriebliche Umfeld die größte Herausforderung, gefolgt von der unterstützten Person selbst, während bei den GruppenleiterInnen die eigene Institution und ihr Konzept das größte Problem darstellt, gefolgt von den Bedingungen des Umfeldes.
Auch bei den Alarmzeichen, an denen die Befragten problematische Situationen festmachen, gibt es signifikante Unterschiede (vgl. Tab. 5.16; chi2 = .065): Während zwei Drittel der GruppenleiterInnen Problemtendenzen anhand von Stimmungsschwankungen und Verhaltensänderungen bei ihren MitarbeiterInnen erkennen, spielen diese Zeichen bei den AssistentInnen eine ebenso große Rolle wie äußerliche Zeichen - Fehlzeiten, Krankmeldungen, Verspätungen - und wie Stagnationstendenzen; eine gewisse Rolle spielen bei ihnen auch Aussagen der unterstützten Personen selbst, die bei den GruppenleiterInnen dagegen nicht genannt werden. Diese deutlichen Unterschiede dürften auf die unterschiedlichen Arbeitssituationen zurückgehen, wo GruppenleiterInnen kontinuierlich in der Arbeitstrainingsgruppe, AssistentInnen dagegen zumindest nach einiger Zeit nicht mehr ständig anwesend sind.
Ebenso gibt es signifikante Unterschiede bei den Gründen für den Abbruch eines Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.17; chi2 = .033): Während die GruppenleiterInnen fast nur Gründe bei der Person selbst sehen, spielen bei den AssistentInnen auch die Situation im Betrieb und eine schlechte Vorbereitung eine Rolle - und bei einem Drittel von ihnen sind Abbrüche noch nicht vorgekommen. Auch diese Unterschiede dürften in den verschiedenen Realsituationen begründet sein.
Ergänzend werden die AssistentInnen nach genannten und realen Gründen für die Verweigerung eines Arbeitsvertrages auf dem ersten Arbeitsmarkt gefragt (vgl. Tab. 5.18 und 5.19). Genannt wird von ArbeitgeberInnen vor allem, dass kein Bedarf bestehe, jedoch werden auch (nicht ausreichende) Leistung und Arbeitstempo der unterstützten Personen ins Feld geführt. Als real nehmen die AssistentInnen vor allem Vertrauensprobleme wahr: mangelndes Vertrauen in die Person, in die Flexibilität des Betriebs, in die Arbeitsassistenz; eine fehlende Passung und betriebswirtschaftliche Gründe sind demnach nicht wichtiger als andere Aspekte.
Die GruppenleiterInnen werden alternativ zu den AssistentInnen gefragt, ob sie sich ihre behinderten Werkstatt-MitarbeiterInnen auch im Ambulanten Arbeitstraining vorstellen könnten, was von fünfen bejaht und von fünfen verneint wird. Bei der ergänzenden Frage nach Bedingungen, unter denen dies möglich sein könnte (vgl. Tab. 5.20), werden verschiedene Begleitumstände genannt: eine kontinuierliche Assistenz, eine vorher abgeschlossene Qualifizierung in der Werkstatt für Behinderte, eine entsprechende Qualität des Betriebs und eine Passung zwischen betrieblichem Bedarf und Fähigkeiten der Person.
Weitere Fragen beziehen sich auf den äußeren Rahmen des Arbeitstrainings. So schätzen die Befragten dessen Erfahrungsbreite signifikant unterschiedlich ein (vgl. Tab. 5.21; chi2 = .056): Zwei Drittel der GruppenleiterInnen halten sie für angemessen, ein Drittel für unter-schiedlich, bei den AssistentInnen ist dies umgekehrt. Einschätzungen, der Rahmen sei übertrieben oder unzureichend, kommen nicht vor. Hier mag sich wiederum die unterschiedliche Situation auswirken - in der Werkstatt für Behinderte mit stärkerem Gruppenbezug, im Betrieb mit stärkerem Individuumsbezug. Auch nach dem Zeitrahmen wird gefragt: Während des Arbeitstrainings wird er als eher groß angesehen, unabhängig von seinem Ort (vgl. Tab. 5.22), ebenso im Integrationspraktikum (vgl. Tab. 5.23). Lediglich für die Zeit danach zeigen sich - wenn auch nicht signifikante - Unterschiede (vgl. Tab. 5.24): AssistentInnen empfinden ihren zur Verfügung stehenden Zeitrahmen größer als GruppenleiterInnen im Arbeitstraining. Auch dies dürfte in der realen Situation begründet sein, denn die jeweiligen Aufträge sind unterschiedlich zugeschnitten: AssistentInnen sollen auch nachfolgende Unterstützung leisten, GruppenleiterInnen geben ihre MitarbeiterInnen an KollegInnen im Beschäftigungsbereich weiter.
Darüber hinaus werden die AssistentInnen mit der in der Intensivbefragung (vgl. Kap. 4) wahrgenommenen Problemstellung konfrontiert, dass es bei ihnen ein Spannungsverhältnis geben kann zwischen der individuellen Logik der BewerberIn in ihrer Entwicklung und der Logik des Betriebes mit seinen Bedarfen (vgl. Tab. 5.25). Dies wird im wesentlichen bestätigt, von einem Viertel der AssistentInnen jedoch mit positiv herausgefordertem Unterton als produktiver Prozess.
Einer der deutlichsten Unterschiede zwischen den Gruppen zeigt sich in der Einschätzung von Rolle und Stellenwert des Ambulanten Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.26; chi2 = .007): Während die AssistentInnen ihm hohen Stellenwert und gute Qualität bescheinigen und lediglich die geringen Platzzahlen kritisieren, weisen die GruppenleiterInnen dem Ambulanten Arbeitstraining mehrheitlich einen geringen Stellenwert zu und sehen es nur für eine spezielle Klientel als angemessen und sinnvoll an: für die Grenzfälle zwischen geistiger und Lernbehinderung bzw. die in der Werkstatt für Behinderte unter- und im Förderlehrgang überforderten Personen.
Die letzte Frage in diesem Bereich richtet sich auf die erreichte Durchlässigkeit zwischen den beiden Formen des Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.27). Hier ergibt sich fast durchgängig ein negatives Bild, entweder wird kaum Kontakt gesehen oder speziell eine fehlende Durchlässigkeit aus der Werkstatt für Behinderte in die ambulante Form wahrgenommen - ohne große Unterschiede zwischen den Gruppen.
Zwischenfazit
Insgesamt unterscheiden sich die Aussagen der AssistentInnen und GruppenleiterInnen zu Konzept und Praxis der Formen des Arbeitstrainings nicht extrem. Neben dem unterschiedlichen Informationsstand bezüglich der jeweils anderen Form sind auch qualitative Tendenzen festzustellen: Die AssistentInnen stellen als Stärken des Ambulanten Arbeitstrainings vor allem konzeptionelle Sachverhalte heraus, seine Schwächen sehen sie dagegen im wesentlichen in administrativen und Umsetzungsbedingungen; am Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte kritisieren sie jedoch beides, Konzept- und Umsetzungsmerkmale.
Weitere Unterschiede gehen im wesentlich auf die verschiedenen situativen Bedingungen der Arbeit zurück, etwa wenn für die AssistentInnen das betriebliche Umfeld die größte Herausforderung ist und sie auch bei Abbrüchen - die ein Drittel von ihnen noch nicht erlebt hat - einen wesentlichen Grund darstellt oder wenn die Einschätzungen von Erfahrungsbreite und zeitlichem Rahmen individuell unterschiedlicher wahrgenommen wird als von den GruppenleiterInnen.
Der Stellenwert des Ambulanten Arbeitstrainings wird von beiden Gruppen sehr unter-schiedlich bemessen, von den AssistentInnen hoch, von den GruppenleiterInnen niedrig, mit unterschiedlichen und unterschiedlich großen Zielgruppen im Blick. Einen Konsens gibt es dagegen darin, dass die Durchlässigkeit zwischen beiden Formen bestenfalls in Ansätzen realisiert ist. Vor allem bleibt aber festzuhalten: Bei einiger Kritik an konkreten Umsetzungsaspekten stehen die AssistentInnen voll und ganz hinter dem Konzept des Ambulanten Arbeitstrainings.
Eine ganze Reihe von Fragen beziehen sich auf die eigene Tätigkeit und Rolle der beiden Berufsgruppen. Beginnend bei den Informationsquellen und ihrer Bedeutung, über Einschätzungsfragen zur Tätigkeit allgemein und die Betrachtung von Tätigkeitsanteilen, über Schwerpunkte und Grenzen der Arbeit, die Selbst- und vermutete Fremdeinschätzung der Rolle, typische Kooperationskonflikte, AnsprechpartnerInnen bei eigenen Sorgen, potentiellen Fortbildungsbedarf bis zu Veränderungswünschen reicht diese Palette.
Ausgangspunkt für die ersten Fragen sind die Informationsquellen bei Beginn der Arbeit. Insgesamt wird der Stellenwert von Vorinformationen als hoch bis sehr hoch angesehen, ohne große Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 5.28). Dabei haben verschiedene Informationsquellen unterschiedliche Bedeutung (vgl. Tab. 5.29): Von den beiden vorgegebenen Informationsquellen in beiden Gruppen haben die Berichte aus Schulen eine hohe Bedeutung, den Gutachten vom Arbeitsamt wird eine wesentlich geringere zugesprochen. Für die AssistentInnen ist allerdings das selbst erstellte Fähigkeitsprofil der Arbeitsassistenz am wichtigsten (vgl. Kap. 1.3.2). Darüber hinaus geben die Befragten gruppenspezifisch weitere wichtige Informationsquellen an: Sehr viele AssistentInnen halten Gespräche mit dem Umfeld, Berichte aus früheren Institutionen und auch das Gespräch mit der Person selbst für wichtige Quellen, die GruppenleiterInnen messen vor allem Berichten von Fachleuten (medizinischen und psychologischen Gutachten) und auch Gesprächen mit dem Umfeld hohen Informationsgehalt zu. Hier könnten tendenziell unterschiedliche Sichtweisen auf den Personenkreis ablesbar sein, wo einerseits das persönliche Umfeld und die Person selbst, andererseits fachliche Gut-achten höheren Stellenwert erhalten.
Eine Serie von zwölf Fragen bezieht sich auf die Einschätzung der Arbeit. So finden etwa 80 % beider Gruppen ihre Arbeitssituation insgesamt gut oder sehr gut; jeweils nur eine Person bewertet sie als eher schlecht (vgl. Tab. 5.30). Fast das gleiche Ergebnis ergibt sich auch in Bezug auf die Vielschichtigkeit der Arbeit (vgl. Tab. 5.31), das Anforderungsprofil (vgl. Tab. 5.32) und die Sinnhaftigkeit der Arbeit (vgl. Tab. 5.33). Etwas negativere Bewertungen - bei immer noch deutlicher positiver Dominanz der Einschätzungen - kommen beim Arbeitsklima (vgl. Tab. 5.34), bei der Einschätzung des Erfolges (vgl. Tab. 5.35) und bei der Sicherung des Arbeitsplatzes vor (vgl. Tab. 5.36).
Bei einigen Fragen ergibt sich ein gemischteres Bild: Knapp die Hälfte der Befragten empfindet die gesellschaftliche Anerkennung als eher oder sehr hoch, die andere Hälfte dagegen als eher oder sehr niedrig (vgl. Tab. 5.37), ebenso sieht es in Bezug auf die Vernetzung mit anderen aus (vgl. Tab. 5.38). Auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Betrieb werden gemischt bewertet, mit positiverer Tendenz bei der Arbeitsassistenz gegenüber den Werkstätten (vgl. Tab. 5.39).
Lediglich zwei signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen kommen in diesem Bereich vor: Während fast die Hälfte der GruppenleiterInnen die vorhandene Fortbildung als viel wahrnimmt, finden alle AssistentInnen, sie hätten eher oder sehr wenig Fortbildung (vgl. Tab. 5.40; chi2 = .013). Und während sich ein Viertel der GruppenleiterInnen bei der Arbeit eher wenig gestresst fühlt, sind alle AssistentInnen ausnahmslos der Meinung, sie hätten eher oder sehr viel Stress bei der Arbeit (vgl. Tab. 5.41; chi2 = .011).
Fasst man die Antworten auf die Fragen zur Einschätzung der eigenen Arbeit in einem Index (Wert zwischen 1 und 4) zusammen, so zeigt sich, dass die GruppenleiterInnen (Mittelwert: 2,1) sich etwas positiver äußern als die AssistentInnen (Mittelwert: 2,3); dabei hat die Einschätzung des Stresses eine hohe Bedeutung für diesen nicht signifikanten Unterschied.
In einem weiteren Fragenkomplex wird den Anteilen verschiedener Tätigkeiten nachgegangen (vgl. Tab. 5.42). Dabei werden verschiedene Bereiche vorgegeben (konkretes Üben, gemeinsame Reflexion, Arbeit mit dem betrieblichen Umfeld, Herstellen von Arbeitshilfen, interne Arbeit im Büro), zusätzlich werden von den Befragten die Zusammenarbeit mit dem privaten Umfeld und mit der Berufsschule benannt. Insgesamt nimmt das konkrete Üben bei beiden Gruppen den größten Raum ein (Mittelwert bei den AssistentInnen 45,4 %, bei den GruppenleiterInnen 57,1 %; insgesamt 49,7 %), gefolgt bei den AssistentInnen von der Arbeit mit dem betrieblichen Umfeld und bei den GruppenleiterInnen von der gemeinsamen Reflexion der Situation. Alle weiteren Tätigkeitsbereiche sind demgegenüber untergeordnet. Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen gibt es lediglich in einem höheren Anteil der AssistentInnen bei der Arbeit mit dem betrieblichen Umfeld (chi2 = .016), bei der Herstellung von Arbeitshilfen (chi2 = .033) und bei der internen Arbeit (chi2 = .091). Zusammenarbeit mit dem privaten Umfeld und mit der Berufsschule kommen als zusätzliche Nennungen nur bei AssistentInnen vor. Auffällig ist darüber hinaus die große Heterogenität der Anteile zwischen den einzelnen Befragten, besonders bei den Anteilen des Übens - hier zeigen sich bei den AssistentInnen Anteile in einem Bereich von unter 5% bis über 66%; ein Indiz für offenbar sehr unterschiedliche individuelle Bedarfe der unterstützten Personen.
In weiteren Fragen geht es um Schwerpunkte und Grenzen von Leistungen. Nach ihrer wichtigsten Unterstützungsleistung gefragt, geben die Befragten signifikant unterschiedliche Antworten (vgl. Tab. 5.43; chi2 = .086): Bei den AssistentInnen rangieren die Arbeitsbegleitung vor Ort und die Funktion als AgentIn zwischen allen Beteiligten an der Spitze. Demgegenüber dominiert bei den GruppenleiterInnen das Unterstützen und Helfen. Bei den Schwerpunkten der Unterstützung gibt es ebenfalls, allerdings keine signifikanten Unterschiede (vgl. Tab. 5.44): Hier hat die Persönlichkeitsentwicklung den größten Anteil bei den AssistentInnen, bei den GruppenleiterInnen hingegen das Ermöglichen von Erfahrungen. Die Grenzen der Unterstützungsmöglichkeiten werden dagegen eher ähnlich gesehen (vgl. Tab. 5.45): Die AssistentInnen sehen zur Hälfte vor allem bei der Abgrenzung gegenüber dem Privatbereich sowie zu kleineren Anteilen bei Rahmenbedingungen und betrieblichen Gegebenheiten Grenzen erreicht, während je ein Viertel der GruppenleiterInnen dies bei Therapiebedarf und bei der Abgrenzung gegenüber Privatem feststellt.
In einem anderen Komplex werden die Befragten um Stellungnahmen zur Selbstwahrnehmung und zur vermutlichen Fremdwahrnehmung ihrer Rolle gebeten (vgl. Tab. 5.46 und 5.47). Beides weicht zwischen beiden Gruppen nicht sonderlich ab. Ihre eigene Rollendefinition beschreiben die AssistentInnen zur Hälfte als BeraterInnen und BegleiterInnen, ein weiteres Viertel nimmt mehrere Rollen ein. Die GruppenleiterInnen sehen sich zu einem Drittel als UnterstützerInnen und BetreuerInnen, ein weiteres Viertel nimmt ebenfalls mehrere Rollen ein. Bei beiden Gruppen kommt die Rolle als Chef nicht vor. Hingegen verschieben sich die Rollen zu einem Stück mehr Dominanz in der vermuteten Fremdwahrnehmung durch die unterstützten Personen bzw. die behinderten MitarbeiterInnen: Bei den AssistentInnen werden aus den BeraterInnen und BegleiterInnen deutlich mehr TrägerInnen mehrerer Rollen und UnterstützerInnen/BetreuerInnen, bei den GruppenleiterInnen geht der Anteil der UnterstützerInnen zurück zugunsten von Chefs. Auch taucht in beiden Gruppen nun auch die LehrerInnen-Rolle auf.
Sehr deutliche Unterschiede gibt es bei den Aussagen zu typischen Kooperationskonflikten (vgl. Tab. 5.48; chi2 = .000): Bei den AssistentInnen dominieren mit über der Hälfte die 'unsolidarischen Anteile der Rolle', d.h. die Anteile, mit denen sie Kontrolle ausüben, Interessen der Vorgesetzten im Betrieb wahrnehmen und mit ihnen auch Informationen austauschen; auch ist die Abgrenzung vom privaten Bereich hier bedeutsam. Bei den GruppenleiterInnen hingegen dominieren stark Verhaltensprobleme der behinderten MitarbeiterInnen.
Wenn es mal Schwierigkeiten oder Sorgen bei der Arbeit gibt, wenden sich über die Hälfte der AssistentInnen an KollegInnen und die Leitung der Arbeitsassistenz und über die Hälfte der GruppenleiterInnen an KollegInnen (vgl. Tab. 5.49). Ein jeweils weiteres Viertel wendet sich an KollegInnen bzw. KollegInnen und Leitung. Damit scheinen alle Befragten verlässliche AnsprechpartnerInnen für schwierige Situationen zu haben.
Vorhandenen Qualifizierungsbedarf bejahen fast alle Befragten, lediglich eine GruppenleiterIn macht hierzu keine Angaben. Dabei wird von den AssistentInnen schwerpunktmäßig Supervision und Gesprächsführung sowie - ebenso von den GruppenleiterInnen - ein breites Spektrum mit Verschiedenem gewünscht (vgl. Tab. 5.50).
Abschließend sollen die Befragten ihre Veränderungswünsche an der aktuellen Situation kundtun; hierbei zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 5.51; chi2 = .023). Das drängendste Problem scheint demnach für die AssistentInnen die Arbeitszeit zu sein, die mehr planbar und weniger hektisch sein sollte; recht hoch ist bei Ihnen der Anteil nicht gegebener Antworten. Die GruppenleiterInnen wünschen sich demgegenüber vor allem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der Arbeit in räumlicher, personeller und zeitlicher Hinsicht; zwei GruppenleiterInnen bekunden, demnächst dieses Arbeitsfeld ohnehin verlassen zu wollen.
Zwischenfazit
Insgesamt schätzen in weiten Bereichen AssistentInnen wie GruppenleiterInnen ihre Arbeit gut bis sehr gut ein; AssistentInnen empfinden in Relation zu den GruppenleiterInnen allerdings, dass sie deutlich weniger Fortbildung und deutlich mehr Stress haben.
Die Anteile der konkreten Tätigkeit differieren zwischen den Befragten - unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit - beträchtlich; den größten Anteil nimmt das konkrete Üben mit den Personen ein, gefolgt von der Arbeit mit dem betrieblichen Umfeld. Schwerpunkte der Unterstützung liegen bei den AssistentInnen eher in der Begleitung vor Ort und in der Mittlerfunktion zwischen den Beteiligten mit Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung, bei den GruppenleiterInnen Unterstützung und Hilfe im Arbeitsprozess mit Blick auf neue Erfahrungen. Grenzen ihrer Unterstützungsmöglichkeiten nehmen beide Gruppen im Grenzbereich zum Privaten wahr, die GruppenleiterInnen auch im Grenzbereich zum Therapiebedarf.
Ihre Rollen in der Kooperation mit den unterstützten Personen umschreiben die AssistentInnen vor allem als BeraterInnen und BegleiterInnen, die GruppenleiterInnen - etwas stärker führend - als UnterstützerInnen und BetreuerInnen. Eine Tendenz zu zunehmender Dominanz vermuten die Befragten in der Wahrnehmung ihrer Rolle durch die unterstützten Personen; nun tauchen auch die Rollen von Chefs und LehrerInnen auf.
Typische Kooperationskonflikte mit den unterstützten Personen hängen mit der vermittelnden Rolle der AssistentInnen zwischen den Beteiligten zusammen, die offenbar von den unterstützten Personen ein Stück weit als unsolidarisch wahrgenommen werden; die GruppenleiterInnen nennen vor allem Verhaltensprobleme ihrer MitarbeiterInnen. Entsprechend richten sich auch die formulierten Fortbildungsbedarfe bei den AssistentInnen primär auf Gesprächsführung und Supervision, während sie sekundär ebenso wie die GruppenleiterInnen verschiedene Gebiete nennen. Dringendste Veränderungsbedarfe sehen die AssistentInnen in Bezug auf ihre Arbeitszeit, während die GruppenleiterInnen ihre Rahmenbedingungen verbessert bekommen wollen - und zwei haben vor, ihren Arbeitsbereich zu verlassen.
Durch die Aussagen zur eigenen Tätigkeit und Rolle ziehen sich keine gravierenden Gegensätze, aber es werden schon unterschiedliche Facetten deutlich: AssistentInnen arbeiten stärker individuumsorientiert und in der Funktion eines Katalysators, der die Entwicklung einer Situation vorantreibt, GruppenleiterInnen sind stärker in der Gruppensituation anleitend tätig.
Ein wichtiger Fragenbereich ist, für welchen Personenkreis die Befragten das jeweilige Arbeitstraining für angemessen halten. Hierzu wird zunächst ohne Vorgaben die Bitte geäußert, den Personenkreis zu beschreiben. Dies tun die beiden Gruppen der Befragten extrem unter-schiedlich (vgl. Tab. 5.52; chi2 = .000): Zwei Drittel der AssistentInnen beschreiben konkrete Verhaltensweisen, ein Achtel nennt Behinderungskategorien, ein Fünftel tut beides. Dagegen nennen die GruppenleiterInnen ausschließlich Behinderungskategorien zur Beschreibung ihrer Klientel. Hier werden deutliche Unterschiede in der Beschreibung deutlich, die auf verschiedene Paradigmata zurückgeführt werden können (vgl. Kap. 1.2): AssistentInnen gehen viel stärker vom einzelnen Individuum aus, während das kategoriale Denken bei den GruppenleiterInnen dominiert. Sicher spiegeln sich hier auch institutionelle Strukturen wider.
Darüber hinaus werden die Antworten nach positiven, neutralen bzw. gemischten und negativen Attribuierungen ausgewertet (vgl. Tab. 5.53;chi2 = .086): Die AssistentInnen beschreiben zu insgesamt einem Drittel konkrete Verhaltensweisen und Eigenschaften mit deutlich positivem oder negativem Unterton; hierbei sind zu einem Sechstel auch rein positive Beschreibungen enthalten. Zwei Drittel von ihnen beschreiben sowohl positive als auch negative Seiten ihrer Klientel. Dies trifft auch für alle GruppenleiterInnen zu, zumindest dann, wenn man die Benennung von Behinderungskategorien als neutral einordnen will - hierüber ließe sich jedoch je nach paradigmatischer Orientierung und Begriffsdefinitionen kontrovers diskutieren.
Auf die offene Frage nach den wesentlichen Qualifizierungszielen in den Formen des Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.54) nennen ein Viertel der AssistentInnen und ein Fünftel der GruppenleiterInnen rein persönlichkeitsbezogene Ziele, ebenfalls ein Fünftel der GruppenleiterInnen nennt dagegen ausschließlich arbeitsbezogene Ziele. Es dominiert jedoch der Blick auf beide Bereiche: Fast drei Viertel der AssistentInnen und fast zwei Drittel der GruppenleiterInnen halten sowohl persönlichkeitsbezogene als auch arbeitsbezogene Ziele für wesentlich und formulieren sie auch institutionsunabhängig.
Mögliche Voraussetzungen - Fähigkeiten und Fertigkeiten - , die bei den Personen vor einem Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt gegeben sein müssen, werden wie folgt beschrieben (vgl. Tab. 5.55; chi2 = .027): Die Hälfte der AssistentInnen sieht keine - obwohl bestimmte Fähigkeiten zwar erleichternd wirken würden - , aber sie sieht es gerade als Chance, diese Fähigkeiten während des Ambulanten Arbeitstrainings gemeinsam zu entwickeln; ein Viertel bejaht sie hingegen. Demgegenüber bejahen drei Viertel der GruppenleiterInnen Voraussetzungen, vor allem mit Blick auf die Bereiche des Sozialverhaltens und der Schlüsselqualifikationen.
Deutlich mehr Einigkeit besteht bei den Befragten darüber, dass bestimmte Fähigkeiten für ein erfolgreiches Arbeitstraining gegeben sein sollten, denn dies verneint lediglich eine AssistentIn. Inhaltlich dominiert bei den AssistentInnen mit mehr als drei Viertel der Äußerungen Motivation und Interesse, gefolgt von einer förderlichen Wirkung bestimmter Fähigkeiten, etwa Lesen, Schreiben und Rechnen oder eine gewisse Reflexionsfähigkeit, die aber nicht für unabdingbar gehalten werden; auch wird ein realistisches Fähigkeitsselbstbild genannt. Die GruppenleiterInnen nennen zur Hälfte ebenfalls Motivation, darüber hinaus soziale Fähigkeiten, Werkstattfähigkeit, geringen Pflegeaufwand und Unterstützung durch das Umfeld.
Unterschiede zwischen Personen, die den Sonderschulweg, und solchen, die den integrativen Weg gegangen sind, werden recht verschieden wahrgenommen (vgl. Tab. 5.56; chi2 = .081): Von den Befragten, die hierzu Stellung nehmen, sehen alle AssistentInnen Unterschiede, jedoch nur die Hälfte der GruppenleiterInnen; die andere Hälfte von ihnen widerspricht diesem und verneint Unterschiede. Dabei sehen die AssistentInnen durchweg und die GruppenleiterInnen bis auf eine Ausnahme Vorteile bei den IntegrationsschülerInnen, denen ein ausgeprägteres Selbstbewusstsein und höhere Fähigkeiten zugeschrieben werden. Eine GruppenleiterIn sieht bei beiden Gruppen Vor- und Nachteile in jeweils unterschiedlichen Richtungen.
Den Stellenwert von Arbeit überhaupt schätzen die Befragten ähnlich ein, wobei Arbeit für die Klientel der AssistentInnen noch als ein Stück wichtiger eingeschätzt wird als bei den GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.57). Die Klientel der Arbeitsassistenz stellt sich demnach ein bisschen motivierter dar als die der Werkstätten. Dabei werden von den AssistentInnen verschiedene Gründe häufiger genannt als von den GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.58): Etwas häufiger ist offenbar das Soziale wichtig, deutlich häufiger werden finanzielle Aspekte genannt, signifikant häufiger spielt der Status als Arbeitender eine Rolle (chi2 = .043).
In zwei weiteren Fragen wird Kriterien für die Auswahl und die Verweildauer an einem Arbeitsplatz nachgegangen. Dabei sollen die Befragten Kriterien und eine Rangfolge angeben. Bei der Arbeitsplatzauswahl werden verschiedene Kriterien vorgegeben (vgl. Tab. 5.59): Demnach rangieren ohne Unterschiede zwischen den Gruppen im Durchschnitt durchweg die Neigungen der Person an erster Stelle, gefolgt von der sich anbietenden Tätigkeitsstruktur; an dritter Stelle liegen vorhandene Kooperationserfahrungen, an vierter die Aussicht auf einen Arbeitsvertrag. Dabei sind die individuellen Wertungen durchaus heterogen (vgl. Tab. 5.60). Etwas anders, wenngleich wiederum ohne größere Gruppenunterschiede, stellt sich die Situation dar, wenn es um die Entscheidung über die Verweildauer an einem Arbeitsplatz geht (vgl. Tab. 5.61): Im Durchschnitt ist dann das Lernpotential etwas wichtiger als der Wunsch der BewerberInnen, mit größerem Abstand folgen institutionelle Bedingungen und die soziale Situation. Doch auch hier sind die individuellen Kriterien durchaus unterschiedlich (vgl. Tab. 5.62)
Zwischenfazit
Deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen gibt es in der Sichtweise auf ihre Klientel: Die AssistentInnen beschreiben sie deutlich individueller und wesentlich weniger kategorial und etikettierend als die GruppenleiterInnen.
So beschreiben die AssistentInnen die wesentlichen Qualifizierungsziele auch stärker persönlichkeitsorientiert als die GruppenleiterInnen, die persönlichkeits- und arbeitsbezogene Ziele gleichwertig sehen. Eine stärkere Tendenz zu kategorialem Denken bei den GruppenleiterInnen wird auch in den vermuteten notwendigen Voraussetzungen vor der Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt deutlich: Sie sehen deutlich mehr Voraussetzungen, bevor in einen anderen Bereich zugewiesen werden kann, während die AssistentInnen gerade die Entwicklungschancen im Betrieb des ersten Arbeitsmarktes in den Blick nehmen, für die sicherlich bestimmte Fähigkeiten - vor allem Motivation und eine Vorstellung von Arbeit - hilfreich sind. Den Stellenwert von Arbeit schätzen die AssistentInnen bei ihren unterstützten Personen etwas höher ein als die GruppenleiterInnen bei ihren MitarbeiterInnen, beim finanziellen Aspekt und noch stärker beim Status als arbeitender Mensch zeigen sich diese Unterschiede.
Dennoch sind die bestimmenden Gründe für die Wahl eines Arbeitsplatzes bei beiden Gruppen in erster Linie die Neigungen der Person und die Tätigkeitsstruktur, die dort geboten wird. Während bei der Wahl die Neigung wichtiger ist, hat bei der Entscheidung über die Dauer des Verbleibens am Arbeitsplatz das Lernpotential Priorität.
Zur Einbindung in Kooperationsnetze wird eine Vielzahl von Fragen gestellt, die sich zum einen auf die Qualität und zum anderen auf die Intensität beziehen. Die Aussagen hierzu werden im folgenden zusammengefasst. Demnach ist die Kooperation
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mit den BewerberInnen bzw. MitarbeiterInnen durchgängig gut und im wesentlich auch intensiv (vgl. Tab. 5.63 und 5.64).
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mit den Eltern von der Qualität her sehr signifikant unterschiedlich zwischen den Gruppen (chi2 = .009): Fast alle AssistentInnen schätzen sie als gut ein, jedoch nur ein Drittel der GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.65). Auch die Intensität wird unterschiedlich gesehen: Ein Viertel der AssistentInnen schätzt sie eher hoch ein, während fast alle GruppenleiterInnen sie für höchstens wenig intensiv halten (vgl. Tab. 5.66).
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mit den KollegInnen von der Qualität her von wenigen Ausnahmen abgesehen gut (vgl. Tab. 5.67), jedoch bei den AssistentInnen signifikant intensiver als bei den GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.68; chi2 = .069): Die meisten AssistentInnen, jedoch nur die Hälfte der GruppenleiterInnen schätzen die Kooperation mit KollegInnen als intensiv oder sehr intensiv ein.
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mit den Vorgesetzten in den jeweiligen Betrieben durchgängig gut (vgl. Tab. 5.69); zwei Drittel der AssistentInnen, jedoch nur ein Drittel der GruppenleiterInnen bezeichnen sie auch als intensiv (vgl. Tab. 5.70).
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mit dem Arbeitsamt lediglich für ein Drittel der GruppenleiterInnen und für ein Sechstel der AssistentInnen eher gut, dagegen für die Hälfte der AssistentInnen und für ein Fünftel der GruppenleiterInnen schlecht (vgl. Tab. 5.71), lediglich von einem Viertel der GruppenleiterInnen wird sie als intensiv bezeichnet, von fast der Hälfte von ihnen und von fast vier Fünfteln der AssistentInnen wird sie als wenig oder gar nicht intensiv angesehen (vgl. Tab. 5.72).
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mit den BerufsschullehrerInnen qualitativ recht unterschiedlich: ein Drittel der AssistentInnen und zwei Drittel der GruppenleiterInnen schätzt sie als eher oder sehr gut ein, dagegen sieht sie mehr als die Hälfte der AssistentInnen als eher oder sehr schlecht (vgl. Tab. 5.73). Von einem Drittel der GruppenleiterInnen wird die Kooperation mit den BerufsschullehrerInnen als intensiv wahrgenommen, von allen übrigen Befragten wird wenig oder gar keine Intensität gesehen (vgl. Tab. 5.74).
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mit den TeampartnerInnen in der Arbeitssituation fast durchgängig gut und intensiv (vgl. Tab. 5.75 und 5.76).
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mit der Leitung der Werkstatt für Behinderte bzw. der Arbeitsassistenz fast durchgängig gut (vgl. Tab. 5.77), jedoch für mehr als die Hälfte der AssistentInnen und fast vier Fünftel der GruppenleiterInnen wenig oder gar nicht intensiv und lediglich für ein Drittel der AssistentInnen intensiv (vgl. Tab. 5.78).
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mit der jeweils anderen Form des Arbeitstrainings qualitativ sehr gemischt, wobei die AssistentInnen sie besser einschätzen als die GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.79). Einigkeit besteht über eine geringe Intensität, allerdings mit der deutlichen Tendenz, dass die AssistentInnen sie als intensiver wahrnehmen als die GruppenleiterInnen (vgl. Tab. 5.80; chi2 = .018).
Insgesamt zeigt sich eine Staffelung der Qualität und Intensität der Kooperation: Im engsten Kreis stehen bei guter Qualität mit den Befragten die BewerberInnen bzw. MitarbeiterInnen, die TeampartnerInnen, die KollegInnen und teilweise - eher bei AssistentInnen - die Eltern und die Vorgesetzten in Verbindung. Weiter entfernt ist die Leitung mit geringerer Intensität und guter Qualität der Kooperation. Einen dritten und entferntesten Kreis bilden BerufsschullehrerInnen und BerufsberaterInnen mit der geringsten Intensität und sehr unterschiedlich wahrgenommener Qualität der Kooperation.
Fasst man die Aussagen zu zwei Indizes zur Kooperation zusammen, so zeigen sich lediglich minimale Unterschiede zwischen den Gruppen: Der Index zur Kooperationsqualität liegt mit 2,16 für die AssistentInnen und mit 2,17 für die GruppenleiterInnen geringfügig unter einem ›eher gut‹, der Index zur Kooperationsintensität liegt mit 2,57 für die AssistentInnen und 2,56 für die GruppenleiterInnen in der Mitte zwischen ›intensiv‹ und ›wenig intensiv‹. Dies zu interpretieren scheint insofern schwierig, als einerseits eine intensive Einbindung in Kooperationsnetze als wichtig, auf der anderen Seite als stresserzeugend angesehen werden muss.
Im letzten Teil zur Kooperation werden die Befragten ebenso wie in Kap. 3 die TeilnehmerInnen gebeten, die Kooperation mit den TeilnehmerInnen aus ihrer eigenen und aus der Sicht der TeilnehmerInnen unter den Aspekten Freundlichkeit, Unterstützung und Erreichbarkeit einzuschätzen (vgl. Tab. 5.81 - 5.83). Insgesamt kommt keine negative Bewertung vor (wenig freundlich, wenig unterstützend, wenig erreichbar), bei dem ersten und dritten Aspekt schätzen sich die AssistentInnen mit 70% bzw. 80% positiver Voten besser ein als die GruppenleiterInnen mit 60% bzw. 55%. Dagegen sehen sie sich mit einem Sechstel signifikant weniger gut unterstützend als die GruppenleiterInnen mit über der Hälfte positiver Voten, und drei Viertel der AssistentInnen halten sich gegenüber einem Drittel der GruppenleiterInnen nur für mal mehr und mal weniger unterstützend (chi2 = .083). Aus diesem Ergebnis spricht eine gewisse Unzufriedenheit bei den AssistentInnen, die auch auf zu gering empfundene Möglichkeiten bei den Anwesenheitszeiten zurückgehen dürfte.
Aus der Perspektive der unterstützten Personen, vermuten die Befragten, werden die AssistentInnen in der Kooperation mit nur einem Drittel positiver Voten gegenüber fast der Hälfte bei den GruppenleiterInnen als ein Stück weniger freundlich und - mit lediglich einem Sechstel positiver Voten in Relation zu über der Hälfte bei den GruppenleiterInnen - auch weniger erreichbar wahrgenommen (vgl. Tab. 5.84 - 5.86). Ihre Unterstützung sehen sie von den unterstützten Personen aus kritischer als aus der eigenen Perspektive: Unter 10 % der AssistentInnen, dagegen fast drei Viertel der GruppenleiterInnen meinen, sie würden als sehr gut unterstützend wahrgenommen, dagegen sehen fünf Sechstel der AssistentInnen und etwa ein Drittel der GruppenleiterInnen sich als mal mehr und mal weniger unterstützend wahrgenommen - ein sehr signifikanter Unterschied (chi2 = .001), der mit den geringeren Anwesenheitszeiten vor Ort, aber auch mit dem extrem großen Spektrum unterschiedlichster Situationen in den Betrieben zusammenhängen könnte. Gleichwohl gibt es hier lediglich eine einzige negative Bewertung.
Fasst man die drei Aspekte jeweils zusammen und bildet Mittelwerte der Gruppen (Werte: 1 - 3). So liegt die Selbstwahrnehmung der Gruppen recht dicht zusammen (Mittelwert der AssistentInnen: 1,4, der GruppenleiterInnen: 1,36) und noch im positiven Bereich. Dagegen fallen die Einschätzungen der vermuteten Fremdwahrnehmung weiter auseinander (Mittelwert der AssistentInnen: 1,83, der GruppenleiterInnen: 1,35), so dass die AssistentInnen schon eher im mittleren, indifferenten Bereich liegen. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass die Aufgabenstellung der AssistentInnen weniger in der Rolle freundlicher Zugewandtheit und jederzeit verfügbarer Unterstützung liegt, sondern eher in der Entwicklung einer Situation, in der es stärker auf die Selbstentwicklungskräfte der BewerberInnen, auf selbstbestimmte Situationsgestaltung und Selbstregulierung ankommt als in der betreuten Situation in der Werkstatt für Behinderte - und dies deuten die AssistentInnen für die BewerberInnen als latente Unzufriedenheit.
Zwischenfazit
AssistentInnen wie GruppenleiterInnen sind in hohem Maße in kooperative Netzstrukturen eingebunden: Die Kooperation mit BewerberInnen bzw. MitarbeiterInnen, KollegInnen und TeampartnerInnen wird als intensiv und gut wahrgenommen; AssistentInnen sehen darüber hinaus mehr und bessere Kooperation mit Eltern und Chefs in den Betrieben und mit geringerer Intensität auch eine bessere Kooperation mit ihrer Leitung. Je weiter entfernt KooperationspartnerInnen jedoch sind und je seltener und weniger man mit ihnen zu tun hat, desto mehr gehen auch die Bewertungen der Qualität auseinander, mit generell eher negativer Tendenz; dies betrifft vor allem BerufsschullehrerInnen und BerufsberaterInnen. Alles in allem gibt es nur geringe Unterschiede zwischen AssistentInnen und GruppenleiterInnen.
Die Selbstwahrnehmung ihrer Kooperation mit den BewerberInnen bzw. MitarbeiterInnen und deren vermutete Fremdwahrnehmung bewegt sich fast ausschließlich im mittleren und positiven Bereich. In puncto Freundlichkeit und Erreichbarkeit sehen sich die AssistentInnen besser als die GruppenleiterInnen, bei der Unterstützung ist dies umgekehrt; in der vermuteten Wahrnehmung der BewerberInnen sehen sich die AssistentInnen nicht in dem Maße in positivem Licht ihrer Klientel wie die GruppenleiterInnen. Ob dies mit situativen Bedingungen oder mit anders akzentuierten Funktionen (Katalysator vs. Anleiter) zu tun hat, muss hier letztlich offen bleiben.
Zunächst wird nach der vermuteten Einschätzung der ArbeitgeberInnen in Bezug auf einige Gegebenheiten auf dem ersten Arbeitsmarkt und in der Rehabilitationslandschaft gefragt.
So nennen die AssistentInnen, nach ihrer wichtigsten Leistung für die ArbeitgeberInnen gefragt, zu fast einem Drittel die Entlastungsfunktion für den Betrieb und zu einem zweiten Drittel die Vermittlungsfunktion zwischen den Beteiligten; ein weiteres Viertel sieht die Qualifizierungsfunktion im Vordergrund (vgl. Tab. 5.87).
Sehr signifikant unterschiedlich fällt die Einschätzung der Sicht der ArbeitgeberInnen auf die Arbeitsassistenz und die Werkstatt für Behinderte aus (vgl. Tab. 5.88; chi2 = .004): Fast zwei Drittel der AssistentInnen sehen ihre Kompetenz als hoch oder sehr hoch wahrgenommen. Dagegen schätzt der gleiche Anteil der GruppenleiterInnen die Beurteilung eigener Kompetenz durch ArbeitgeberInnen als gering ein, doch auch die Kompetenz der Arbeitsassistenz wird nur im Ausnahmefall als eher hoch und bei einem Viertel als eher gering wahrgenommen vermutet; zwei Drittel äußern sich allerdings nicht dazu (vgl. Tab. 5.89; chi2 = .011). Auch sehen die GruppenleiterInnen die Chancen einer Beschäftigung ihrer Klientel auf dem ersten Arbeitsmarkt zu je einem Drittel als eher niedrig oder sehr niedrig ein; das dritte Drittel äußert sich nicht dazu.
Welche Bedeutung ArbeitgeberInnen wohl Kostenzuschüssen und dem erweiterten Kündigungsschutz für Schwerbehinderte sowie dem vermehrten Urlaubsanspruch zumessen, wird im folgenden erfragt. Dabei gehen die Einschätzungen ein Stück weit auseinander. Mehr als drei Viertel der AssistentInnen messen Kostenzuschüssen - einem einstellungsförderlichen Faktor - eine eher oder sehr hohe Bedeutung zu, GruppenleiterInnen nur zu etwas mehr als einem Drittel (vgl. Tab. 5.90). Umgekehrt sehen nur etwas mehr als ein Drittel der AssistentInnen, aber mehr als die Hälfte der GruppenleiterInnen eine eher oder sehr hohe Bedeutung des Kündigungsschutzes und der Urlaubsansprüche - ein einstellungshinderlicher Faktor (vgl. Tab. 5.91). Hier werden unterschiedliche Tendenzen bezüglich eher optimistischer oder eher pessimistischer Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt nochmals belegt.
Weiter wird nach den vermuteten Motiven von ArbeitgeberInnen für die Einstellung von Menschen mit Behinderungen gefragt. Die Antworten werden nach dem Vorkommen abgeleiteter Kategorien geordnet (vgl. Tab. 5.92). Demnach bejahen die AssistentInnen in der Summe wesentlich mehr Einstellungsmotive von ArbeitgeberInnen als die GruppenleiterInnen. An der Spitze der Motive stehen dabei Kostenersparnisse durch finanzielle Zuwendungen wie Lohnkostenzuschüsse, bei den AssistentInnen gefolgt von sozialem Engagement und kompetenten BewerberInnen (je zwei Drittel der Nennungen), dem unterstützten Arbeitsverhältnis (ein Drittel), guten Erfahrungen mit der Arbeitsassistenz (ein Viertel) und freien Stellen (ein Fünftel). Dagegen vermuten die GruppenleiterInnen nach den finanziellen Zuwendungen soziales Engagement und Mitleid bzw. oberflächlicher Imagepflege (je ein Drittel) und die Kompetenz der BewerberInnen (ein Sechstel). Statistisch signifikante Unterschiede gibt es bei den in Assistenzkreisen stärker vertretenen Motiven der kompetenten BewerberIn (chi2 = .069) und des unterstützten Arbeitsverhältnisses (chi2 = .068) sowie dem seltener vertretenen Motiv des Mitleids und der Imagepflege (chi2 = .034). Weiter bleibt festzustellen, dass als problematisch empfundene Motive wie Mitleid und die Ausnutzung mit einfachen Arbeiten nur eine kleine Minderheit der insgesamt vermuteten Motive bilden.
Zur Situation in den Betrieben werden den AssistentInnen mehrere Fragen gestellt. Zum einen beschreibt fast die Hälfte von ihnen die Wahrnehmung der unterstützten Personen in den Betrieben (vgl. Tab. 5.93) als ›zunehmend kompetent‹, fast ein Viertel sieht sie unter-schiedlich wahrgenommen und lediglich ein Sechstel der AssistentInnen meint, die unterstützten Personen würden vor allem defizitär gesehen. Ihre eigene Rolle wird mit zwei Fragen reflektiert: Die Hälfte der AssistentInnen beschreibt die positiven Ausprägungen ihrer Rolle (vgl. Tab. 5.94) zur Hälfte als ›GesprächspartnerInnen‹, jedoch auch manchmal als ›AnwältIn‹ oder ›Sprachrohr‹ der unterstützten Person, in problematischer Ausprägung (vgl. Tab. 5.95) sehen sie sich zu einem Drittel als ›KontrolleurInnen‹ und › (Neben-)Chefs‹ im Betrieb, zu einem knappen Viertel als ›BehindertenbetreuerInnen‹ und zu gewissen Anteilen auch als ›Entlastungsperson‹ wahrgenommen.
Zwischenfazit
In den vermuteten Sichtweisen von ArbeitgeberInnen gehen die Einschätzungen beider Gruppen teils deutlich auseinander; hier dürfte sich auch die unterschiedliche Nähe zu aktuellen Situationen auf dem ersten Arbeitsmarkt auswirken. AssistentInnen sehen die Wahrnehmung ihrer Kompetenz, die Beschäftigungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, die Bedeutung besonderer Regelungen und die Einstellungsmotive von ArbeitgeberInnen positiver und optimistischer als die GruppenleiterInnen, die deutlich skeptischer sind und bei denen offenbar in der größeren Distanz zum ersten Arbeitsmarkt tradierte alltagstheoretische Vermutungen einen höheren Stellenwert haben. Während die AssistentInnen ihre eigene Rolle in Betrieben durchaus in positiven und problematischen Varianten kennzeichnen - einerseits als ›kompetenter GesprächspartnerIn‹, andererseits u.a. als ›Kontrolleur‹ und als ›BehindertenbetreuerIn‹, an den Zuständigkeit delegiert wird -, stellen sie die dort unterstützten MitarbeiterInnen fast zur Hälfte als zunehmend kompetent wahrgenommene Personen dar, dagegen ist eine als defizitär wahrgenommene Rolle nur mit einem Sechstel vertreten. Demnach scheint man in Betrieben in bemerkenswertem Maße zu einer Einschätzung von Leistungen und Entwicklungen mit individueller Bezugsnorm in der Lage zu sein.
Einige Fragen beziehen sich auf die Berufsberatung des Arbeitsamtes, die die zuweisende Stelle für beide Formen des Arbeitstrainings ist. Pauschal werden die Befragten nach deren Qualität gefragt (vgl. Tab. 5.96): Unisono gibt es nur abwägende, jedoch keine extremen Bewertungen: Die AssistentInnen sehen die Qualität eher problematisch, die GruppenleiterInnen eher positiv, jedoch sollten die Aussagen wegen der hohen Anteile fehlender Angaben nicht zu hoch gewichtet werden.
Gleiches gilt auch für die Frage nach den Gründen für die wahrgenommene Qualität (vgl. Tab. 5.97). Die positive Tendenz der GruppenleiterInnen bezieht sich auf die fachliche Kompetenz, die jedoch durch bei den BerufsberaterInnen wahrgenommene unrealistische Einschätzungen relativiert wird, die problematische der AssistentInnen resultiert - bei einem recht hohen Anteil unklarer Angaben - aus verschiedenen Aspekten.
Ebenso enthalten sich über die Hälfte der Befragten einer einschätzenden Antwort zum vermuteten Informationsstand im Arbeitsamt bezüglich des Ambulanten Arbeitstrainings (vgl. Tab. 5.98): Die übrigen GruppenleiterInnen halten ihn für eher hoch, während dies lediglich für ein Drittel der Stellung beziehenden AssistentInnen gilt; die anderen beiden Drittel schätzen den Informationsstand als geringer ein.
Zwischenfazit
Insgesamt macht sich offenbar eine große Distanz zum Arbeitsamt bemerkbar, die zu vielen fehlenden Angaben führt; darüber hinaus zieht sich eine eher kritische Tendenz bei den AssistentInnen und eine eher Kompetenzen wahrnehmende Sichtweise bei den GruppenleiterInnen durch die Antworten. Auch wenn extrem negative Antworten - als scharfe Kritik am Arbeitsamt - bei den ArbeitsassistentInnen nicht vorkommen, so führen bei ihnen immer wieder auftauchende Fälle, bei denen unrealistische Einschätzungen des Arbeitsamtes von BewerberInnen wahrgenommen werden (vgl. Kap. 4.4.1), evtl. verstärkt durch die Kontingentierungsproblematik, zu einer gewissen kritischen Distanz zur Berufsberatung des Arbeitsamtes.
Einige Fragen beziehen sich auf den Berufsschulunterricht, der mit dem Arbeitstraining koordiniert sein sollte. Zunächst wird nach dessen Bedeutung gefragt (vgl. Tab. 5.99): Alle Stellung beziehenden Befragten schätzen den Berufsschulunterricht als wichtig ein. Seine Qualität wird allerdings recht unterschiedlich wahrgenommen (vgl. Tab. 5.100): Während die sich äußernden GruppenleiterInnen ihn ausnahmslos positiv einschätzen, sind die Stellungnahmen der AssistentInnen heterogen. Dabei sehen sie durchweg Unterschiede zwischen den beiden für sie zuständigen Berufsschulen auf der inhaltlichen und der Konzeptebene, die sie auch als Qualitätsunterschiede wahrnehmen, während die GruppenleiterInnen keine Unterschiede zwischen den Berufsschulen feststellen, da sie durchweg nur mit einer Berufsschule zu tun haben.
Ein mögliches Erklärungsmuster ergibt sich aus den Aussagen über die Aufgaben des Berufsschulunterrichts, die von beiden Gruppen extrem unterschiedlich definiert werden (vgl. Tab. 5.101; chi2 = .000): Eine Hälfte der AssistentInnen meint, Berufsschulunterricht müsse sich vor allem anderen auf die Reflexion der Situation im (Ambulanten) Arbeitstraining beziehen, die andere möchte darüber hinaus individuelle Förderung realisiert sehen. Demgegenüber sehen die GruppenleiterInnen seine Aufgaben vor allem in der Weiterführung kognitiven Lernens.
Die inhaltliche und konzeptionelle Verknüpfung zwischen den Formen des Arbeitstrainings und der Ausrichtung des Berufsschulunterrichts sehen die Befragten recht unterschiedlich realisiert (vgl. Tab. 5.102; chi2 = .073): Die AssistentInnen sind in ihrer Einschätzung gespalten, was möglicherweise auch auf Erfahrungen mit den beiden unterschiedlichen Berufsschulen zurückgehen kann, dagegen sehen die GruppenleiterInnen, so weit sie sich äußern wenig oder gar keine Verknüpfung.
Zwischenfazit
Insgesamt zeigt sich - abgesehen von der allgemein hoch eingeschätzten Bedeutung des Berufsschulunterrichts - ein nahezu durchgängig heterogenes Bild, was Aufgaben, Konzept und Verknüpfung zwischen Berufsschulunterricht und Arbeitstraining angeht. Ob dies auch an den deutlich unterschiedlichen Konzepten der beiden für das Ambulante Arbeitstraining zuständigen Berufsschulen liegt, könnte sich in den Gesprächen mit den BerufsschullehrerInnen zeigen (vgl. Kap. 8).
Einige Fragen richten sich auf die Zukunftsperspektiven und ihre Chancen und Gefahren nach dem Durchlaufen der beiden Formen des Arbeitstrainings. Bei den Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt es lediglich einen Unterschied in der Differenziertheit der Antworten der Befragten (vgl. Tab. 5.103): Während die GruppenleiterInnen zu zwei Dritteln die Chance der Integration benennen und mit einem knappen Drittel die Chance der Selbstverwirklichung sieht, sehen bei dem zweiten Punkt die AssistentInnen dies ebenso; sie stellen jedoch die Chance der Integration zusätzlich in verschiedenen Facetten dar, indem sie ›echte Arbeit‹ von einem ›reellen Arbeitgeber‹ erhoffen.
Bei potentiellen Gefahren auf dem ersten Arbeitsmarkt gehen die Aussagen der Gruppen dagegen signifikant auseinander (vgl. Tab. 5.104; chi2 = .074): Während die GruppenleiterInnen vor allem soziale Isolation, in gewissen Maße auch Ausbeutung befürchten, sehen die AssistentInnen vor allem Überforderungsgefahren und das mögliche Problem der dauerhaften Abhängigkeit von Assistenz, soziale Isolation und Kündigungen stehen dagegen zurück.
Die umgekehrte Tendenz von pauschalen und differenzierteren Aussagen findet sich bezüglich positiver Perspektiven in der Werkstatt für Behinderte (vgl. Tab. 5.105; chi2 = .032). Hier sehen die AssistentInnen Chancen vor allem im Hinblick auf Schutz und Absicherung sowie auf soziale Zugehörigkeit als Gleicher unter Gleichen, die GruppenleiterInnen sehen demgegenüber vor allem die Passung der Beschäftigung mit den Fähigkeiten und Neigungen ihrer Klientel, aber auch andere Aspekte wie Selbstverwirklichung und Weiterentwicklung.
Zukünftige Gefahren in der Werkstatt für Behinderte sehen in der Optik beider Gruppen ähnlich aus (vgl. Tab. 5.106): Sie lassen sich unter den Begriffen Stagnation, Unterforderung und Deprivation zusammenfassen und beziehen sich letztlich auf eine Situation des Ausgegrenzt-Seins in einer eher unflexiblen Institution.
Zwischenfazit
Insgesamt zeigt sich das Bild, dass die Befragten die längerfristigen Chancen der beruflichen Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt und die Gefahren der Werkstattsituation relativ einheitlich sehen, dagegen die Gefahren auf dem ersten Arbeitsmarkt und die Chancen in der Werkstatt für Behinderte recht unterschiedlich wahrnehmen - hier dürfte sich auch die jeweilige Distanz zu der je anderen Realität widerspiegeln.
Abschließend werden die Befragten um resümierende Aussagen anhand von Satzanfängen gebeten.
Das Beste an ihrer Arbeit (vgl. Tab. 5.107) sehen die AssistentInnen vor allem in der Unterstützung bei der Arbeit und in der Vielschichtigkeit, doch auch Sinnhaftigkeit und erfolgreiche Vermittlungen gehören zum ›Schönsten‹. Demgegenüber heben die GruppenleiterInnen vor allem die Arbeit mit Menschen und die Vielschichtigkeit hervor, gefolgt von der Selbständigkeit bei der Arbeit.
Das ›Schwierigste‹ an der Arbeit (vgl. Tab. 5.108) sehen die AssistentInnen - als zweite Seite der schönen Medaille - in der Komplexität der Tätigkeit, im notwendigen Konfliktmanagement und in der sicheren Einschätzung der Fähigkeiten der unterstützten Personen; auch die professionelle Rolle wird genannt. Die GruppenleiterInnen sehen dagegen neben der Einschätzung der Fähigkeiten der behinderten MitarbeiterInnen Aspekte des Zeitmanagements als problematisch an.
Die Werkstatt für Behinderte sehen die Befragten als geeignet an (vgl. Tab. 5.109) für Menschen, die einen geschützten Rahmen wünschen und die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Dabei verwenden allerdings die AssistentInnen eher Formulierungen, die einen aktiven Willensprozess kennzeichnen (›entscheiden‹, ›wollen‹), während die GruppenleiterInnen durchgängig von objektiven Notwendigkeiten ohne aktive Anteile der Person sprechen (›brauchen‹, ›sollen‹).
Über den Personenkreis, für den das Ambulante Arbeitstraining geeignet ist, gehen die Meinungen auseinander (vgl. Tab. 5.110; chi2 = .018): AssistentInnen sehen es vor allem als geeignet an für Personen, die motiviert sind, etwas Neues versuchen und ihre Fähigkeiten klären wollen, dagegen sehen GruppenleiterInnen es vor allem für die Personen als angemessen, die ›Grenzfälle‹ sind oder die die Werkstatt für Behinderte ablehnen.
Auch bei der Frage nach Kriterien der Integrierbarkeit zeigen sich deutliche Unterschiede (vgl. Tab. 5.111; chi2 = 056). Während die AssistentInnen eher eigentlich jeden Menschen oder jeden, der möchte, für integrierbar halten oder die Frage als falschen Ansatz kritisieren, macht sich Integrierbarkeit bei den GruppenleiterInnen vor allem an entsprechenden Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen fest.
Auf die Frage nach Veränderungswünschen für die Zukunft wird ein ganzes Spektrum von Antworten gegeben (vgl. Tab. 5.112): Bei den AssistentInnen stehen freie Wahlmöglichkeiten für alle jungen Menschen mit Behinderungen, unabhängig von Quotierungen, als gesellschaftlich-politische Veränderungen ganz oben auf dem Wunschzettel; insbesondere wird von vielen eine Ausweitung der Platzzahlen bei Ambulantem Arbeitstraining und Integrationspraktikum gewünscht, und die zeitliche Befristung der finanziellen Förderung müsse aufgehoben werden. Bei den GruppenleiterInnen werden neben gesellschaftspolitischen Veränderungen - mehr ›Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft‹ und mehr ›Außenarbeitsplätze unter dem Schutz der Werkstatt‹ - auch bessere Ressourcen, d.h. mehr Zeit, Geld und Personal gewünscht.
Bei Vorgesprächen betont eine Gruppenleiterin ihr Misstrauen gegenüber integrativen Orientierungen - auch innerhalb der eigenen Werkstatt für Behinderte, da sie damit lediglich einen stärkeren Anpassungsdruck für Menschen mit Behinderung verbunden sieht. In ihrem Arbeitstrainingsbereich gelte dagegen das Motto: ›Bei uns dürfen die Behinderten noch behindert sein.‹ Hierdurch angeregt werden alle nach dem Motto gefragt, unter das sie ihre Arbeit stellen könnten. Hierzu antworten
... die AssistentInnen:
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Es ist viel mehr möglich, als es auf den ersten Blick scheint.
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Immer wieder neue Verläufe
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Ich wachse an meinen Erfahrungen
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Äußerst anstrengend, aber sinnvoll und wichtig
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Immer mit der Ruhe
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In der Ruhe liegt die Kraft
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DRANBLEIBEN!
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Weitermachen!
... die GruppenleiterInnen:
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Lernen kann jeder
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Individuelle berufliche Bildung für Menschen mit Leistungseinschränkungen
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Ein Mensch muss sich wohlfühlen, erst dann kann er sich entwickeln und fühlt sich sicher
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Probleme können gemeinsam gelöst werden
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Den Weg für das (Berufs-)Leben ebnen
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Ran an den Speck und nicht viel gefackelt
Zwischenfazit
Auch in den Resümees zeigen sich die AssistentInnen als entschiedene VertreterInnen konzeptioneller Vorstellungen - sie bilden ›das Beste‹, auf der zweiten Seite der Medaille auch ›das Schwierigste‹ der Arbeit. Demgegenüber sind die Aussagen der GruppenleiterInnen weniger programmatisch und konzeptionell orientiert, sondern verweisen eher auf kontextunabhängige Qualitäten und Probleme.
In den Aussagen über die Personenkreise, für die die Werkstatt für Behinderte, das Ambulante Arbeitstraining geeignet und die überhaupt integrierbar sind, werden unterschiedliche Grundorientierungen sichtbar: Bei diesen Fragen sind für die AssistentInnen letztlich subjektive Interessen und Wünsche der Menschen mit Behinderung entscheidend, in den Augen der GruppenleiterInnen dagegen deren Fähigkeiten und von ihnen als objektiv gesehene Notwendigkeiten.
Bei den Veränderungswünschen stehen gesellschaftlich-politische ganz oben; allerdings stellen die AssistentInnen gezielte Forderungen für die konzeptionelle und quantitative Weiterentwicklung des Ambulanten Arbeitstrainings, während die GruppenleiterInnen ihre Wünsche allgemeiner formulieren.
Bei der Befragung der ArbeitsassistentInnen im Ambulanten Arbeitstraining und der GruppenleiterInnen im Arbeitstraining der Werkstätten für Behinderte handelt es sich tendenziell um unterschiedliche Gruppen: Die ArbeitsassistentInnen sind deutlich jünger, demzufolge kürzer im Beruf tätig, sie haben eher eine pädagogische Ausbildung als Basis und sind mit stärker programmatischer Motivation in ihre Arbeit gegangen. Die GruppenleiterInnen sind älter, schon länger tätig, eher zunächst handwerklich und später zusätzlich sonderpädagogisch ausgebildet, ihre Motivation hat höhere Anteile pragmatischer Überlegungen. Auf dieser Folie lassen sich die weiteren Aussagen in folgenden Punkten zusammenfassen:
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Die ArbeitsassistentInnen stehen voll und ganz hinter Konzept und Praxis des Ambulanten Arbeitstrainings und des Integrationspraktikums. Sie sehen beides als angemessen für Personen, die motiviert sind zur Arbeit und die diesen Weg wollen; bestimmte Fähigkeiten darüber hinaus sind förderlich, aber nicht notwendige oder ausschließende Voraussetzung. Die Werkstatt für Behinderte sehen sie in Konzept wie Praxis kritisch. An vielen Stellen machen die AssistentInnen stark subjekt- und individuumsorientierte Aussagen: Die einzelne Person und ihr Wille sind das Entscheidende. Demgegenüber wird bei den GruppenleiterInnen eher eine pragmatische Haltung deutlich, sie gehen zudem eher von als objektiv empfundenen Bedarfen ihrer Klientel aus. Das Ambulante Arbeitstraining sehen sie daher auch eher als angemessene Maßnahme für einen kleinen, besonders leistungsstarken Teil der MitarbeiterInnen der Werkstatt für Behinderte.
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Kritisch sehen die AssistentInnen beim Ambulanten Arbeitstraining einige Bedingungen: Die strukturelle Verankerung mit der Anbindung an die Werkstatt für Behinderte und der zeitlichen Limitierung der Unterstützungsleistungen sowie die konkreten Bedingungen der Bezahlung und des Zeitmanagements sind hier wichtig.
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Die Durchlässigkeit beider Formen des Arbeitstrainings sehen AssistentInnen wie GruppenleiterInnen nur in geringem Maße realisiert.
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Die professionelle Rolle der AssistentInnen lässt sich im Unterschied zu den GruppenleiterInnen, die fördernd und betreuend agieren, mit dem Bild eines Katalysators beschreiben, der dafür sorgen soll, dass eine Situation sich entwickelt - und die unterstützte Person ist ein wichtiger, aber nur ein Teil der Situation im Betrieb. Das macht die Arbeitssituation herausfordernd und immer neu, aber auch belastend und stressig.
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Die ArbeitsassistentInnen bewerten ihre Arbeit als gut bis sehr gut, ebenso wie die GruppenleiterInnen. Schwerpunkte von Tätigkeiten sind quantitativ vor allem die konkrete Unterstützung der Person vor Ort und die Arbeit mit dem betrieblichen Umfeld. Damit korrespondiert die qualitative Dominanz der Begleitung und der Mittlerfunktion zwischen den Beteiligten, wobei der Blick mehr auf die Persönlichkeits- als auf die Fähigkeitsentwicklung gerichtet ist. Die GruppenleiterInnen blicken demgegenüber stärker auf die Entwicklung der Fähigkeiten und sehen sich eher als betreuende Förderer.
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Grenzen der Unterstützung sehen die AssistentInnen vor allem dort, wo es um private Kontaktwünsche und Probleme geht, typische Konflikte gibt es vor allem in Bezug auf die Anteile der professionellen Rolle, die von den BewerberInnen als ›unsolidarisch‹ wahrgenommen werden, wenn also etwa Forderungen aus der Sicht von Vorgesetzten oder KollegInnen an sie gerichtet werden. Fortbildungsbedarf sehen die AssistentInnen denn auch in erster Linie im Bereich von Gesprächsführung und Supervision. Über die Grenzen der Förderung äußern sich die GruppenleiterInnen im wesentlichen genauso wie die AssistentInnen, sie sehen Konflikte eher durch Verhaltensprobleme ihrer MitarbeiterInnen bedingt und wünschen sich Fortbildung in vielen Bereichen.
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Die Befragten sehen sich nach Intensität und Qualität weitgehend in hohem Maße in Kooperationsstrukturen eingebunden. Dies gilt am deutlichsten für die PartnerInnen im direkten, alltäglichen Umfeld (BewerberInnen, KollegInnen, TeampartnerInnen), tendenziell auch für PartnerInnen mit etwas weniger Berührung (Eltern, Leitung). Wesentlich geringer und unterschiedlicher wird die Kooperation mit weiter entfernten PartnerInnen empfunden (BerufsberaterInnen, BerufsschullehrerInnen). Hierbei unterscheiden sich die beiden Gruppen wenig, an deutlichsten noch bei der Zusammenarbeit mit den Eltern, die von den AssistentInnen positiver wahrgenommen wird.
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Die Selbst- und die vermutete Fremdwahrnehmung der Befragten aus der Sicht ihrer Klientel bewegt sich nur im positiven und mittleren Bereich, negative Aussagen gibt es hier nicht. Dabei sieht sich mal die eine, mal die andere Gruppe etwas positiver, in der Wahrnehmung der BewerberInnen sehen sich die AssistentInnen in einem weniger positiven Licht in Relation zu den GruppenleiterInnen.
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Sichtweisen von ArbeitgeberInnen schätzen die AssistentInnen mit deutlich positiver Tendenz ein: Sie selbst werden vor allem als ›kompetente GesprächspartnerInnen‹ wahrgenommen, positiv bewertete Einstellungsmotive sind weitaus mehr vertreten als problematische, Einstellungshindernisse durch gesetzliche Regelungen von Kündigung und Urlaub spielen nur eine geringe Rolle. Die AssistentInnen beschreiben eigene Rollen in Betrieben durchaus als hilfreiche und weniger hilfreiche, die unterstützten MitarbeiterInnen sehen sie dort vor allem als ›zunehmend kompetent‹ und nur in geringem Maße als ›defizitär‹ wahrgenommen - anscheinend sind Betriebe in nennenswertem Maße in der Lage, Leistungen mit individueller Bezugsnorm wahrzunehmen.
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In der Einschätzung der Berufsberatung halten sich die Befragten eher bedeckt, offenbar ist die Distanz zu groß, als dass man sich sehr deutlich festlegen möchte. So dominieren vorsichtige Aussagen, bei den AssistentInnen mit zweifelnder, bei den GruppenleiterInnen mit zustimmender Tendenz. Scharfe Kritik und extreme Einschätzungen kommen nicht vor, viele Befragte machen keine Angaben zu diesem Bereich.
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Einig sind sich die Befragten darin, dass der Berufsschulunterricht wichtig ist; die Schwerpunkte seiner Aufgaben (im Spektrum zwischen kognitivem Lernen und/oder Schlüsselqualifikationen und der Reflexion der Situation und Rolle im Betrieb) und die realisierte Qualität sehen sie recht unterschiedlich; offenbar gibt es auch bezüglich der beiden Berufsschulen, die für das Ambulante Arbeitstraining zuständig sind, deutliche Unterschiede in den Einschätzungen.
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Was zukünftige Perspektiven angeht, so sehen beide Gruppen die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt (Integration, Selbstverwirklichung) und die Gefahren in der Werkstatt für Behinderte (Stagnation, Unterforderung) ähnlich, Unterschiede gibt es jedoch bei den Chancen in der Werkstattsituation (Schutz und Absicherung vs. individuelle Passung) und bei den Gefahren auf dem ersten Arbeitsmarkt (Überforderung und dauerhafte Abhängigkeit von Assistenz vs. Isolation).
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Die Beschreibung der Klientel geschieht - wie bereits angedeutet - bei den AssistentInnen sehr individuumsorientiert, überwiegend nonkategorial und mit Blick auf Entwicklungen in der betrieblichen Situation. Die GruppenleiterInnen beschreiben ihre Klientel eher gruppenorientiert, durchgängig kategorial und mit Blick auf individuelle Fähigkeiten mit der Folge möglicher Zuweisungen.
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Schließlich zeigen sich auch in den Resümees die AssistentInnen als konzeptionell voll überzeugte ProgrammatikerInnen, die eigenständige Subjekte individuell unterstützen und klare Vorstellungen für zukünftige Veränderungen haben, während die GruppenleiterInnen sich eher pragmatisch und allgemein äußern und Personen anhand ihrer Kriterien beschreiben.
Die beschriebenen Unterschiede zwischen AssistentInnen und GruppenleiterInnen können im wesentlichen auf zwei Wurzeln zurückgeführt werden: Zum einen spielen unterschiedliche situative Bedingungen der Arbeit eine Rolle, denn es macht einen Unterschied, ob man jeweils einzelne Personen in verschiedenen Betrieben unterstützt oder ob man eine Gruppe anleitet. Zum anderen wird immer wieder der Hintergrund deutlich, dass es sich bei der Arbeitsassistenz um einen relativ jungen, kleinen und innovativen Fachdienst handelt, dessen MitarbeiterInnen an konzeptionellen Fragen massiv interessiert sind, bei den Werkstätten für Behinderte hingegen um seit Jahrzehnten etablierte Institutionen, deren MitarbeiterInnen sich weniger um konzeptionelle, sondern mehr um konkrete praxisbezogene Dinge Gedanken machen. Insofern hat es eine nachvollziehbare Logik, dass die Arbeit der Arbeitsassistenz sich stark am Integrationsparadigma orientiert, während die Werkstätten stark im rehabilitativ-sonderpädagogischen Paradigma verwurzelt sind und Übergänge zum integrationspädagogischen Paradigma erst in Ansätzen und dann eher auf der institutionellen Ebene zu finden sind (vgl. Kap. 1.2).
Inhaltsverzeichnis
- 6.1 Anliegen und Fragestellung
- 6.2 Methodische Überlegungen und Stichprobenbildung
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6.3 Ergebnisse
- 6.3.1 Chefin A: »Ich habe in der Anfangsphase auch jeden Tag gemerkt, wie wir lernen, sensibler zu werden«
- 6.3.2 Chef B: »Ich tue es eigentlich gerne, auch wenn ich deswegen Schwierigkeiten habe«
- 6.3.3 Chefin C: »Für mich ist es ein schönes Gefühl, sie ist hier, und ich weiß, dass es auch anderen so geht - und das ist es halt«
- 6.3.4 Chef D: »Er ist ein fester Bestandteil durch das, was er kann«
- 6.3.5 Chef E: »Das sehe ich auch als wirkliche Hilfe an, nicht nur als kleine soziale Gefälligkeit, sondern als echte Hilfe für uns«
- 6.3.6 Chefin F: »Sie ist so mit im Team integriert, das macht keinen Unterschied«
- 6.3.7 Chefs G: »Der eine hat vielleicht geistig nicht so viel drauf, aber bringt tolle Arbeit, und den kann man besser integrieren als jemanden, der vielleicht viel mehr drauf hat, aber nichts leistet«
- 6.4 Zusammenfassung
Neben den unterstützten ArbeitnehmerInnen sind die Betriebe die zweite Gruppe der KundInnen, mit denen die Arbeitsassistenz zu tun hat. Insofern ist deren Einschätzung des Ansatzes der Arbeitsassistenz und der Arbeit der ArbeitsassistentInnen ein wichtiges Datum, das bei einer Gesamteinschätzung Berücksichtigung finden muss.
In der Regel besteht bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung aus Sicht von Unternehmen »eine diffuse Mischung aus Vorurteilen und realen Bedenken« (HAA 1997b, 8). Folgende Schwierigkeiten und Probleme werden befürchtet:
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Menschen mit einer geistigen Behinderung sind den flexiblen Anforderungen eines Arbeitsplatzes nicht gewachsen und können als ArbeitnehmerInnen die geforderte Leistungsnorm nicht erfüllen. Die ArbeitgeberInnen haben kein Vertrauen in die nötige Selbständigkeit der ArbeitnehmerInnen mit Behinderung.
Das betriebliche Interesse ist auf leistungsfähige und flexibel einsetzbare Arbeitskräfte ausgerichtet. Beschäftigte sollen »eine Leistungsreserve aufweisen, die Raum für Arbeitsintensivierung und flexiblen Arbeitseinsatz lässt« (SEMLINGER & SCHMID 1985, 105). Auch wenn mit betriebseigenen Schwerbehinderten gute Erfahrungen gemacht werden und ihnen eine hohe Leistungsbereitschaft und -fähigkeit attestiert wird, fällt die Beurteilung von betriebsfremden Schwerbehinderten wesentlich zurückhaltender aus. Von ihnen werden hohe Fehlzeiten, eine höhere Krankheitsanfälligkeit aufgrund der Behinderung und soziale Schwierigkeiten innerhalb des Kollegenkreises befürchtet (vgl. NIEHAUS 1997, 44). Oftmals wird irrtümlicherweise auch der Grad der Behinderung mit der zu erwartenden Leistungsfähigkeit gleichgesetzt (vgl. DALFERTH 1995, 45).
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Den BewerberInnen mit Behinderungen fehlen Qualifikation und (Vor-)Erfahrung bei bestimmten Arbeitsplätzen.
Arbeitsplätze werden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf der Grundlage von normierten Berufsbildern vermittelt (vgl. CIOLEK 1995, 61). Menschen, die diesen Normen nicht entsprechen, werden so Möglichkeiten genommen, ihre Arbeitskraft anzubieten; unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten können sie im Prozess der Arbeitsvermittlung nicht bestehen. Die Qualifikation, die Menschen mit Behinderungen z.B. aus der Werkstatt für Behinderte mitbringen, erweist sich in vielen Fällen als unzureichend für die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (vgl. DOOSE 1997b, 283).
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Es werden Nachteile hinsichtlich einer langfristigen Beschäftigungspflicht befürchtet, vor allem nach dem Wegfall der Lohnkostenzuschüsse bezüglich des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte und des Anrechts auf Mehrurlaub.
Das unternehmerische Denken und Handeln wird von betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Kosten-Nutzen-Abwägungen bestimmen die Personalpolitik: Das Ganze muss sich rechnen. Viele Betriebe fürchten, dass nach Ablauf der Lohnkostenzuschüsse das Beschäftigungsverhältnis nicht kostendeckend fortgesetzt werden kann und aufgrund des bestehenden Kündigungsschutzes den ArbeitnehmerInnen mit Behinderung nicht gekündigt werden kann. Auch das Anrecht auf Mehrurlaub verursacht Angst vor erhöhten Personalkosten bzw. -aufwendungen.
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Gravierend sind die bestehenden Vorurteile im Hinblick auf die Arten der Behinderungen, besonders das Bild von Menschen mit einer geistigen Behinderung verursacht Hemmungen und Ängste.
Der Schwerbehindertenstatus wirkt sich offensichtlich für arbeitssuchende Schwerbehinderte stark stigmatisierend aus, bei ihnen wird er »als Indiz für geringe Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit aufgefasst« (NIEHAUS 1997, 44). Dieser Stigmatisierungseffekt findet sich vor allem im Hinblick auf die Art der Behinderung: Bewerber mit sogenannten ›klassischen Behinderungen‹ (z.B. Gehörlose, Sehbehinderte oder Querschnittsgelähmte) haben dabei grundsätzlich größere Chancen als geistig Behinderte oder psychisch Behinderte. Hier zeigt sich die unterschiedliche soziale Akzeptanz gegenüber den verschiedenen Arten der Behinderungen (vgl. CLOERKES 1997, 77ff.).
Trotz dieser allgemein bestehenden Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zeigt die Erfahrung von Integrationsfachdiensten wie der Hamburger Arbeitsassistenz, dass diese Barrieren bei funktionierender Information überwindbar sind und dass die Menschen, »die bisher als ›nicht vermittelbar‹ galten, mit entsprechender Unterstützung erfolgreich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können« (DOOSE 1997a, 85; vgl. auch TROST & SCHÜLLER 1992). Offensichtlich lassen sich Argumente finden, mit denen Unternehmen zu überzeugen sind, »dass mit einer entsprechenden Unterstützung und Förderung die vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Nachteile kompensiert werden können« (BEHN-CKE & CIOLEK 1997, 224). Einige dieser Argumente können in Anlehnung an die Hamburger Arbeitsassistenz wie folgt benannt werden (vgl. HAA 1997b, 6, auch SCHARTMANN 1999, 69f.):
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Betriebe stellen ArbeitnehmerInnen ein, die zwar nicht die volle Leistung erbringen, aber zuverlässig und hochmotiviert sind,
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der Integrationsfachdienst gewährleistet, dass ein geeigneter Arbeitnehmer den Arbeitsplatz besetzt,
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durch die angebotene Arbeitsplatz(um)gestaltung erhöht sich die betriebswirtschaftliche Effektivität,
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die Lohnkostenzuschüsse und weitere finanzielle Hilfen grenzen das finanzielle Risiko ein,
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mit der Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung kann der Betrieb seiner gesetzlichen und sozialen Beschäftigungspflicht nachkommen,
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die ArbeitsassistentInnen arbeiten den neuen Mitarbeiter ein, sie entlasten damit die Mitarbeiter des Unternehmens,
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das soziale Engagement für Menschen mit Behinderung erzeugt in der Öffentlichkeit ein positives Image,
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die geforderte Rücksichtnahme auf die sogenannten Leistungsschwächeren trägt zu einer allgemeinen Verbesserung des Betriebsklimas bei,
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für auftretende Probleme bietet die Hamburger Arbeitsassistenz langfristig und verbindlich Unterstützung.
Vorrangiges Ziel ist dabei nicht die zahlenmäßig hohe Vermittlung von unterstützten Beschäftigungsverhältnissen als vielmehr die Tatsache, dass das Beschäftigungsverhältnis sowohl den Erwartungen des Betriebes als auch den Möglichkeiten und Bedürfnissen des Arbeitnehmers mit Behinderung gerecht wird. Dabei steht empirischen Untersuchungen zufolge für den Betrieb als Einstellungskriterium die »passgenaue Besetzung des Arbeitsplatzes« deutlich an der Spitze, gefolgt von der »guten Einarbeitung am Arbeitsplatz«, während die Erfüllung der Pflichtquote einen nachrangigen Stellenwert hat (SCHARTMANN 1999, 32). Auch für MAIR (1997, 28f.) steht nach seinen Ergebnissen die Sinnhaftigkeit Unterstützter Beschäftigung für das Unternehmen in ökonomischer wie betrieblicher Hinsicht an der Spitze der Einstellungsmotive. Erst sekundär treten pro-soziale Einstellungen, finanzielle Unterstützung und das Vorhandensein eines fachlichen Unterstützungsdienstes hinzu (vgl. auch MAIR & BARLSEN 2000).
Es stellt sich also hier die Frage, welche Realität stimmt - die alltagstheoretische Realität, dass es für einen Betrieb im Grunde genommen kontraproduktiv ist, eine Person mit Behinderung zu beschäftigen oder die Realität der Arbeitsassistenz, dass dies sehr wohl erfolgreich möglich ist.
Auch bei den Interviews mit Vorgesetzten geht es darum, dass eine Balance erreicht wird aus den Frageinteressen der Interviewer und den Schwerpunkten, Ansichten und Impulsen der Befragten. Dies ist auch hier wichtig, selbst wenn das gesellschaftliche und soziale Gefälle zwischen Interviewern und Interviewten nicht in der Weise besteht, wie dies bei den TeilnehmerInnen an den Maßnahmen der Fall ist (vgl. Kap. 4.2). Insofern werden auch hier mündliche Interviews mit der Grundlage eines Interviewleitfadens geführt (vgl. Anhang 11.6). Dabei soll es auch mit den Vorgesetzten zu einer ausgewogenen Mischung von offenen und strukturierten Impulsen geben.
Im ersten Teil des Interviews wird jeweils in offener Form nach verschiedenen Bereichen gefragt: nach den Prozessen vom Beginn der Arbeit bis zur aktuellen Situation, nach der Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz und nach der Bedeutung finanzieller und gesetzlicher Rahmenbedingungen. Deutlich strukturierter wird im zweiten Teil die Einschätzung der Möglichkeit von Unterstützter Beschäftigung anhand zweier provozierender Impulse erhoben: Zum einen werden die Befragten mit einem Zitat aus einem Gespräch eines Wirtschaftsverbandssprechers mit der Arbeitsassistenz konfrontiert, in dem er um Adressen von Unternehmen gebeten wird, mit denen die Arbeitsassistenz Kontakt aufnehmen möchte: »Wissen Sie, es hat wenig Sinn, wenn ich Ihnen Adressen von Firmen weitergebe. Ich bin sicher, dass Sie bei diesen Firmen kein Glück haben werden. Der norddeutsche Markt ist hart umkämpft, da kann sich keine Firma erlauben, ihr Image durch Behinderte zu schädigen« (aus BEHNCKE 1998, 29). Zum anderen werden den Befragten mehrere Fotos vorgelegt, auf denen Unternehmen mit Personen mit deutlich sichtbarer Behinderung für ihre Produkte werben (vgl. die Abbildungen in Anhang 11.6). Zu beiden Impulsen werden sie um Kommentare gebeten. Zudem sollen die Befragten ihre Zufriedenheit mit ihrer Entscheidung der Einstellung einer Person mit Behinderung im Betrieb, mit der Praxis, mit der Assistenz, mit der Kooperation und mit den finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in ungefähren Prozentwerten einschätzen. Den Abschluss der Interviews bilden jeweils fünf resümierende Satzanfänge, die die Befragten ergänzen sollen:
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»Anders laufen müsste beim nächsten Mal ...«
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»Die wichtigste Leistung der Hamburger Arbeitsassistenz war für mich ...«
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»Gewünscht hätte ich mir von der Hamburger Arbeitsassistenz ...«
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»Belastend ist bei beruflicher Integration für mich und meinen Betrieb ...«
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»Bereichernd ist bei beruflicher Integration für mich und meinen Betrieb ...«
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»Wenn ich nochmals vor der Entscheidung stünde, würde ich ...«
Die Auswahl der InterviewpartnerInnen trifft die Hamburger Arbeitsassistenz, da sie als einzige Stelle einen Überblick darüber hat, welche Unternehmen Menschen mit Behinderungen mit ihrer Unterstützung beschäftigen. Abgesprochene Kriterien dafür sind, dass schon längerfristige Erfahrungen vorliegen, dass aber auch ein möglichst großes Spektrum unterschiedlicher Merkmale der Betriebe vertreten sein sollen: Wirtschaftssektoren, Betriebsgrößen, Branchen und Tätigkeitsbereiche für die MitarbeiterInnen. Aus arbeitsökonomischen Gründen wird eine möglichst hohe Überschneidung angestrebt zwischen den Vorgesetzten, die im Rahmen der Intensivbefragung beteiligt sind (vgl. Kap. 4), und denen, die in diesem Rahmen befragt werden. So werden acht Unternehmen ausgewählt und für die Interviews angefragt:
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Ein Gästehaus beschäftigt eine unterstützte Mitarbeiterin im Bereich von Küche und Reinigung.
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Eine Tankstelle setzt einen unterstützten Mitarbeiter ein im Bereich von Lagerhaltung (Shop) und Reinigung, er soll jedoch mehr und mehr in Richtung Service an der Tankstelle qualifiziert werden.
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Im Rahmen eines großen Medienkonzerns wird eine unterstützte Mitarbeiterin in einem Call-Center beschäftigt, wo sie im Telefondienst ein Projekt mit Zeitschriftenabonnements betreut.
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Ein Konditoreibetrieb beschäftigt einen unterstützten Mitarbeiter als Bäckereigehilfen in der Backstube.
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Eine Catering-Firma betreibt in einer Bankzentrale alle entsprechenden Service-Angebote; in diesem Rahmen wird eine unterstützte Mitarbeiterin an einem Kiosk beschäftigt.
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In mehreren Filialen einer großen Hotelkette werden mehrere unterstützte Mitarbeiterinnen im Zimmerservice und im Restaurant eingesetzt.
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Ein Outdoor-Ausrüster mit mehreren Filialen in verschiedenen Städten beschäftigt zwei unterstützte MitarbeiterInnen im zentralen Lager, in dem sie Bestellungen entgegennehmen und Sendungen zusammenstellen.
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In einem Altersheim ist ein unterstützter Mitarbeiter als Hausmeistergehilfe angestellt.
Es handelt sich also um Betriebe aus den Bereichen Dienstleistung, Handel, Gastronomie und Handwerk. Alle acht Betriebe sind zu Gesprächen bereit, jedoch muss aufgrund kurzfristiger Krankheitsvertretung ein Interview entfallen, so dass die Situation im Altersheim nicht betrachtet werden kann. Alle anderen Interviews werden im August 2000, in der Regel in den Unternehmen während der Arbeitszeit der Befragten durchgeführt, sie dauern zwischen 50 und 90 Minuten.
Nach der Auswahl durch die Hamburger Arbeitsassistenz kann davon ausgegangen werden, dass die befragten Unternehmen angesichts ihrer Bereitschaft zum Interview eine positive Haltung zur Unterstützten Beschäftigung haben. Dieses als positives Ergebnis herauszustellen, wäre also ein Artefakt. Vielmehr geht es um die differenzierte Analyse von Erfahrungen, Einschätzungen und Motive. Die Auswertung der Interviews mit deren vollständiger Transkription vom Band orientiert sich an den entsprechenden Bereichen:
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Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und die gegenwärtige Situation
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Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz
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Finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung
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Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen
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Motive zur Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung
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Resümierende Einschätzung
Im folgenden werden die Ergebnisse der einzelnen Interviews jeweils für sich dargestellt, so dass die Situation im Betrieb und die Erfahrungen der Vorgesetzten anschaulich nachvollzogen werden können. Überdies entspricht die Reihenfolge der ersten vier Unternehmen der im vierten Kapitel. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass es zu Überschneidungen kommt, jedoch ist der Fokus der Betrachtungen ein unterschiedlicher: Dort ging es um die Einschätzung der Entwicklung einer Person und förderliche oder behindernde Faktoren, hier zielt die Darstellung nun auf die Erfahrungen, Einschätzungen und Motive innerhalb einer Firma. Abgeschlossen wird die Darstellung mit einer zusammenfassenden Diskussion der Ergebnisse.
Bei dem Unternehmen A handelt es sich um ein Gästehaus. Interviewpartnerin ist dessen Leiterin, im folgenden Chefin A. Das Interview findet in einem Speiseraum in ruhiger Atmosphäre statt.
Die Arbeitnehmerin mit Behinderung, Frau A, befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews in einem festen Vertragsverhältnis, sie ist seit vier Monaten beschäftigt und arbeitet 30 Stunden wöchentlich. Zu ihren Aufgaben zählen das Aufräumen, die Blumenpflege, das Gestalten der Speisesäle und das Helfen in der Spülküche. Dort trocknet sie Geschirr und räumt es weg.
Zur Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und zur gegenwärtige Situation führt Chefin A aus, dass schon vor Frau A's Zeit im Gästehaus eine Arbeitnehmerin mit Behinderung beschäftigt wird, die zuvor 18 Jahre in einer Werkstatt für Behinderte gearbeitet hat. Dieses Beschäftigungsverhältnis ist auf Eigeninitiative von Chefin A entstanden: »Ich würde gerne jemanden bei uns einstellen, der eine geistige Behinderung hat und bei uns seinen Arbeitsplatz finden könnte.« Durch persönlichen Kontakt zu MitgründerInnen des Stadthaus-Hotels in Hamburg kennt Chefin A die Hamburger Arbeitsassistenz und wendet sich an sie. Ein Mitarbeiter der Hamburger Arbeitsassistenz überlegt vor Ort zusammen mit Chefin A, welche Möglichkeiten zur Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung bestehen. Da sich das Gästehaus gerade im Umbau befindet und ein zusätzlicher Raum entstehen soll, »kann ich sagen und meinen Anstellungsträgern gegenüber argumentieren: ›Wir richten da etwas Neues ein. Da wird ein neuer Bedarf geweckt, und das kann ich mit dem und dem kombinieren zu einer Stelle.‹« Es wird daraufhin eine Stelle mit 30 Wochenstunden konstruiert. Die Aufgabe, diese mit einem Mitarbeiter zu besetzen, wird von der Hamburger Arbeitsassistenz geleistet: »Ich hatte erst gedacht, ich müsste jemanden auswählen und es gäbe so eine Art Bewerbungsgespräch von mehreren Interessenten, war dann ganz dankbar, dass mir diese Arbeit abgenommen wurde von der Hamburger Arbeitsassistenz ..., die sagten, sie denken, dass sie eine geeignete Bewerberin für mich aussuchen können. Darauf habe ich mich verlassen.«
Die von der Hamburger Arbeitsassistenz ausgewählte Frau X entspricht auf den ersten Blick nicht den Vorstellungen, die Chefin A sich gemacht hatte, aber: »Okay, so ist es die Frau, die für uns geeignet sein soll, und ich werde dazu beitragen, dass das so sein wird.« Dieses Beschäftigungsverhältnis geht nach zwei Jahren zu Ende, da die Mitarbeiterin chronisch erkrankt. Es entsteht »eine sehr lange Übergangsphase«, während der die Hamburger Arbeitsassistenz geholfen und »um das zu überbrücken, eine Praktikantin gestellt« hat. Diese Praktikantin ist Frau A. Es gibt dann eine Phase, in der beide im Jugendgästehaus beschäftigt sind, und in der Frau A mit starkem »sozialen Engagement ... das Nichtkönnen von der (Frau X) durch so viel Mehrarbeit kompensiert hat, dass wir nicht gemerkt haben, wie schlecht es (Frau X) geht.« Frau X muss dann zu allseitigem Bedauern aus gesundheitlichen Gründen aufhören zu arbeiten; bei einem späteren Telefonat »sagte sie, dass sie möglicherweise wieder in die Werkstatt zurückgeht, aber dass sie es draußen sehr schön fand.«
Frau A arbeitet jetzt seit vier Monaten im Jugendgästehaus. Der ›neue‹ Raum liegt in ihrer eigenen Verantwortung, dort ist sie für das Aufräumen, das Tischeindecken und die Dekoration zuständig. Darüber hinaus sorgt sie auch in anderen Räumen für die Dekoration, pflegt die Blumen und hilft in der Spülküche. Besonders die Tätigkeit in der Spülküche macht sie »mit System: Sie ist die einzige, bei der sich das Einräumen von Tellern so anhört, als wenn jemand rhythmisch Schreibmaschine schreiben kann. Ich habe ihr das mal gezeigt. Sie ist eigentlich Linkshänderin und der Arbeitsablauf ist für einen Rechtshänder eigentlich konzipiert, d.h. sie muss immer, zu ihrer Behinderung hinzukommend, noch umdenken auf einen anderen Arbeitsplatz. ... Sie benutzt beide Hände und bewegt sich immer von rechts nach links. Dieser Rhythmus, das macht ihr scheinbar Spaß. Wenn sie die Teller einräumt, das ist rhythmisch so gut, das höre ich bis ins Büro. Dann weiß ich immer schon: Aha, (Frau A) ist an der Spülmaschine, klick, klack, klick, klack. Das macht niemand sonst so, weil die anderen daran nicht denken.« Chefin A betont, dass Frau A in ihrer Arbeit großen Ehrgeiz entwickelt und auch Spaß daran hat, »(zu) dekorieren, Tisch (zu) decken, ein bisschen feinere Dinge (zu) machen.«
Probleme in diesem Beschäftigungsverhältnis gibt es laut Chefin A kaum. Frau A wird von ihren Kollegen in der Küche »sehr geschätzt, weil sie auch jemand ist, der sehr lieb ist, sie ist sehr gleichmäßig, nie launisch. Diesen Arbeitsbereich füllt sie als ganzer Mensch aus, sie ist immer sachlich und nett zu allen Kollegen.« Frau A macht bei keinerlei »Intrigenspielchen« mit, »alles solche Dinge, also solch eine Loyalität, die ist ja so viel ausgeprägter als - ja, bei vielen anderen Menschen. Das schätze ich auch sehr, das schafft auch eine Ruhe im Arbeitsbereich.«
Die Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz besteht also zunächst darin, dass sie auf die Anfrage von Chefin A hin eine Mitarbeiterin auswählt und ihr damit die Arbeit abnimmt, nach einer geeigneten Bewerberin suchen zu müssen. Aber auch insgesamt spielt die Hamburger Arbeitsassistenz für Chefin A »eine sehr wichtige Rolle, ... weil sie detaillierter auf den Menschen eingehen können.« Eine »Einarbeitung in dem Umfang, wie sie wichtig ist bei jemandem, der kein räumliches Empfinden hat, das zu trainieren ..., das jemandem deutlich zu machen«, so etwas kann niemand ›nebenbei‹ leisten: »Ich denke, dass diese Einarbeitung, wie sie erfolgt durch die Arbeitsbegleitung, von uns aus nicht leistbar wäre.«
Die Art und Weise der Hamburger Arbeitsassistenz, mit Frau A zusammenzuarbeiten, hat Chefin A sehr beeindruckt: »Die waren manchmal ganz kaputt, die Arbeitsassistenten, weil, sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie irgendwann in der Lage sein wird, diesen Raum folgerichtig zu reinigen, und das kann sie jetzt. Die haben sich mit so ein paar Symbolen geholfen dabei, das erleichtert ihr die Arbeit total.« Chefin A hält diese Arbeit »für immens wichtig, dieses Trainieren, das Bestätigen. Das schafft eine Präzision in den Arbeitsabläufen, wie sie wünschenswert ist, wie sie aber kein herkömmlicher Mitarbeiter eigentlich abgeben will.« Das einzige, was Chefin A sich in der Zusammenarbeit mit der Hamburger Arbeitsassistenz noch gewünscht hätte, wäre »eine Kontinuität in der personellen Begleitung, die aber aus persönlichen Gründen nicht gewährleistet werden konnte.«
Finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung haben für Chefin A »erst einmal eine erleichternde Bedeutung, was den Wirtschaftlichkeitsrahmen angeht, eine zusätzliche Stelle zu schaffen.« Diese Art von Zuschüssen hält sie für unerlässlich, »auch als eine politische Unterstützung, um diesen Bereich am Arbeitsmarkt abzudecken. ... Das zeigt ja auch irgendwo, dass sie da auch ernst genommen werden von außen. In dem Erhalt eines Arbeitsplatzes eine wirtschaftliche Unterstützung zu erfahren, das ist wichtig für den Arbeitnehmer und das ist wichtig für den Arbeitgeber, wenn es keine vergleichenden Möglichkeiten gibt.« Allerdings müsste eine finanzielle Unterstützung flexibel verlängerbar sein, »wo eine Einarbeitung länger dauert als dieses normale Maß.« Chefin A weist darauf hin, dass in diesem Bereich ein sehr niedriges Lohnniveau besteht, und »wir knapsen eigentlich immer so rum, um wirtschaftlich zu überleben. Da passt das natürlich hervorragend rein.«
Den erweiterten Kündigungsschutz schätzt Chefin A »nicht schwieriger ein als bei anderen Mitarbeitern.« Sie empfindet das Kündigungsschutzgesetz »bei anderen Menschen genauso hinderlich« und glaubt: »Es ist heute nur ein Vorwand, wenn man sagt, dass das behinderte Menschen anders im Arbeitsleben einbindet als einen nichtbehinderten Menschen.« Dass die erste Mitarbeiterin mit Behinderung »von sich aus ging, ohne dass wir ihr gekündigt haben, hat ja eigentlich deutlich gemacht, dass das so ist wie bei allen anderen Menschen auch. In der Regel möchte ja ein Mensch seinen Arbeitsplatz ausfüllen und nicht weggehen, sondern er möchte die Arbeit gern machen. Wenn er dann aber aus irgendwelchen Gründen, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat, nicht mehr in der Lage ist, diesen Arbeitsplatz auszufüllen, dann wird er immer wechseln.« Chefin A setzt sich dafür ein, dass sie innerhalb ihres Verbandes nicht mehr an der Umlage für die Ausgleichsabgabe beteiligt wird: »Wenn ich als kleine Einrichtung in meinem Betrieb drei Menschen mit Behinderung beschäftige, dann möchte ich nicht, dass ich zusätzlich an der Ausgleichsabgabenumlage beteiligt werde. Denn ich erbringe das ja letztendlich für die anderen mit und dann möchte ich, dass mir das wie ein Bonus berechnet wird.«
Die Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen von Chefin A wird deutlich, als sie auf das Zitat des Wirtschaftsverbandssprechers wütend reagiert: »Imageschädigend - was muss das für ein managermäßiges Armloch gewesen sein!? Das ist ja unglaublich! Das sind so Menschen mit mangelnder sozialer Kompetenz. So etwas halt' ich für eine Fehlbesetzung im Management, wenn man sich so äußert. Bäh!« Ihre eigenen Erfahrungen bezeichnet Chefin A als »nur positiv«. Sicherlich hat sie schon MitarbeiterInnen gehabt, die sich skeptisch gezeigt haben: »Wie soll die denn mit so einer dicken Brille jemals ihre Arbeit schaffen.« Daraufhin macht Chefin A ganz unmissverständlich ihre Meinung deutlich: »Ja, ich sag': Jeder hat irgendwo eine Schwachstelle, der eine hat eine große Klappe, bei der nächsten Frau ist das die dicke Brille. Ich toleriere das bei ihnen, solange sich das in die betrieblichen Gegebenheiten einfügen lässt, und ich toleriere das bei dem anderen Menschen, wenn dadurch die Arbeit nicht leidet. Und wir sind doch alle dazu da, miteinander ein gutes Ergebnis zu machen. Das ist ja das Schöne auch an so einem Betrieb, dass man sich nicht so abgrenzt, sondern alle sehr verzahnt miteinander arbeiten.« Die vorgestellten Werbeprospekte findet Chefin A sehr beeindruckend, sie ist der Meinung, dass solche Werbung verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht werden muss. Sie hält unsere Gesellschaft für »überreif« für eine solche offensive Konfrontation und findet, »dass das ganz wichtig ein Stückchen Aufklärungsarbeit ist, in diese Richtung zu gehen, dass menschliches Leben auch das beinhaltet, und dass wir das nicht länger wegschließen dürfen. (Frau A) hat neulich sehr schön von ihrer Schulzeit erzählt, was das so für sie bedeutete, eine Gesamtschule zu besuchen und eine Integrationsklasse zu haben.«
Bezüglich ihrer Motive macht Chefin A deutlich, dass sie sich aus eigener Initiative an die Hamburger Arbeitsassistenz gewandt hat mit dem Gedanken an das »sinnvollen Tun für Menschen. Grundsätzlich.« Chefin A beherbergt in ihrem Gästehaus seit 19 Jahren in jedem Sommer über einige Wochen eine Gruppe des Vereins ›Leben mit Behinderung‹ und beschreibt, was sich im Laufe dieser Jahre bei ihr persönlich verändert hat: »Ich habe gemerkt mit zunehmendem Alter aber, dass ich mich mehr hineinfühlen kann in andere Menschen, in junge Menschen. Ich habe die hier gesehen als Kinder, hab' sie jugendlich, erwachsen werden sehen und immer gedacht: Wo bleiben sie denn? Und die Vorstellung, dass viele eben in Werkstätten gehen, um da stupide Tätigkeiten zu machen, empfand ich immer so wie Gefängnis. Ich habe dann immer gedacht: Wenn das mein Kind wäre, würde ich meinem Kind eine andere Umgebung wünschen.« Durch diese Sommeraufenthalte entstehen persönliche Kontakte, z.B. zu BetreuerInnen, die am Aufbau des Projektes ›Stadthaus-Hotel‹ beteiligt sind: »Und das hat mir ja ungeheuer gut gefallen und ich dachte, nur ein bisschen davon umsetzen können, ich kann ja nicht alles umstellen, aber ein Stückchen, und das möchte ich gerne. Es war den Versuch allemal wert.«
Die Tätigkeitsbereiche der Werkstätten für Behinderte, die Chefin A hauptsächlich im Verpackungs- und Montagebereich verortet sieht, empfindet sie als »so steril, ganz anders, völlig anonym, und ich denke mal, da gibt es dann nie wirkliche Anerkennung für die persönliche Leistung.« Ihrer Vorstellung nach lebt jeder Mensch von solcher persönlicher Anerkennung und »gerade dieser Dienstleistungsbereich, für Menschen tätig zu sein, der gibt ja eine ganz starke Selbstbestätigung so in der sozialen Entwicklung.« Chefin A ist der Meinung, dass besonders dieser Bereich, in dem sie arbeitet, »sehr viel menschenwürdige Arbeitsplätze zulässt. Das ist, (wie) einen großen Haushalt (zu) führen mit allem Drum und Dran, und da passt es eigentlich ganz gut, Menschen mit sehr unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen einzusetzen.«
Chefin A beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken, ob man nicht ihre Zivildienststellen durch unterstützte Arbeitsplätze von Menschen mit Behinderung ersetzen bzw. eine Umstrukturierung vornehmen kann. Sie erfährt eine hohe »Mitarbeiterfluktuation, die ist ganz was Belastendes, speziell auch mit Zivis, weil man gerade mit zunehmendem Alter so an Substanz verliert, immer einzuarbeiten, einzuarbeiten und wenn man die Menschen so weit hat, dann gehen sie wieder weg.« Chefin A möchte erreichen, dass sich die Mitarbeiter mit ihren Arbeitsplätzen identifizieren: »Dass jemand sagt, das ist mein Job (im Gästehaus), das mach' ich.« Sie betrachtet das auf längere Sicht: »Ich engagiere mich, wenn ich einen behinderten jungen Menschen einstelle, sicherlich in gleicher Weise oder stärker in der Einarbeitungsphase. ... Aber ich erreiche möglicherweise, und das hoffe ich, eine Bindung an den Arbeitsplatz, die für mich ganz wichtig ist.«
Resümee von Chefin A
Chefin A ist durch ihre Erfahrungen mit dem Verein ›Leben mit Behinderung‹ besonders interessiert und sensibilisiert für die Thematik der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen. Ihr Interesse hat sie in persönliches Engagement umgesetzt und denkt diesbezüglich noch weiter, was die Idee mit den Zivildienststellen verdeutlicht. Dieses soziale Engagement ist ausschlaggebend für den Einstieg in die berufliche Integration, aber der Aspekt der Wirtschaftlichkeit ist ebenso wichtig. Finanzielle Unterstützung und personelle Begleitung durch die Hamburger Arbeitsassistenz ist, besonders in der Einarbeitungszeit, unverzichtbar. Es gibt diese ja auch in der Werkstatt für Behinderte oder, wie Chefin A berichtet, bei einem Hotel eines christlichen Vereins, dort in Form von »kostenlosen Mitarbeitern. Das sind Subventionen in so irrwitzigen Höhen. Wenn man das mal vergleicht, wir müssen ja hier unsere Wirtschaftlichkeit jeden Tag unter Beweis stellen, und das finde ich nicht korrekt, wenn das so merkwürdig verteilt wird.« Daher ist es um so verständlicher, dass Chefin A sich nicht mehr an der Umlage der Ausgleichsabgabe ihres Trägers beteiligen will. Sie empfindet die berufliche Integration als überhaupt nicht belastend, sondern als Bereicherung: »Ja, die Freude des Mitarbeiters an seinem Arbeitsplatz, der nach außen auf Gäste und andere Mitarbeiter abstrahlt.« Sie würde beim nächsten Mal »Zwillinge nehmen - vielleicht zwei davon« und möchte diese Erfahrung: »überhaupt nicht missen von meiner persönlichen Entwicklung her.« Chefin A hält es für unerlässlich, sich diesem Thema zuzuwenden, »zur Auseinandersetzung mit mir selbst. ... Ich bin immer begeistert, mit welcher Unbefangenheit unsere Kinder damit umgehen. Die haben ja nie was anderes kennengelernt. Für die waren das immer die tollsten Sommer damals, hier im Haus zu spielen und zu feiern und dazwischen zu sein.« Sie selbst hat in der Anfangsphase auch Tag für Tag gemerkt, »wie wir lernen, sensibler zu sein,« und den Menschen mit Behinderung in seiner Persönlichkeit wahrzunehmen, »das heißt also, ein Mensch, der eine geistige Behinderung hat, ist noch lange nicht mit dem anderen vergleichbar.« In der gemeinsamen Zeit tritt »die Behinderung, wie auch immer sie geartet ist, ja irgendwann zurück, die nimmt man gar nicht mehr wahr. Man hört die Stimme von demjenigen oder merkt eben sein angenehmes Auftreten, die Beständigkeit in der Arbeit, ja die Ruhe und die Identifizierung mit dem Arbeitsplatz. Das sind alles so Dinge, die in den Vordergrund gehen.« Am Ende des Interviews stellt Chefin A fest, »dass Menschen, die mit behinderten Menschen leben und arbeiten, einen ganz hohen Grad an Menschlichkeit verzeichnen, und das ist mir verdammt wichtig und das möchte ich einfach so beibehalten. Ich möchte das in die Öffentlichkeit bringen, weil ich das so wichtig finde.«
Beim Unternehmen B handelt es sich um eine Tankstelle des Mineralölkonzerns Esso. Die InterviewpartnerInnen - ein Ehepaar, im folgenden Chef und Chefin B genannt - sind die Pächter dieser Tankstelle. Sie beschäftigen sechs Mitarbeiter, sind also der Pflichtquote des Schwerbehindertengesetzes entsprechend nicht verpflichtet, einen Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Das Interview findet bei laufendem Betrieb im Verkaufsraum der Tankstelle statt.
Der unterstützte Arbeitnehmer Herr B ist 18 Jahre alt und befindet sich zum jetzigen Zeitpunkt in einer Probebeschäftigung. Zu seinen Aufgaben zählen hauptsächlich das Auffüllen der Waren in den Regalen und bestimmte Reinigungstätigkeiten, z.B. von Toiletten und Hof. Diese Tätigkeitsbereiche sind für Herrn B klar definiert und abgesteckt. Darüber hinaus soll er in entstehenden Freiräumen kleinere Aufgaben erledigen, die über seine ›Routinetätigkeiten‹ hinausgehen.
Zur Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und zur gegenwärtigen Situation führen Chef und Chefin B aus, dass auf eine telefonische Anfrage der Hamburger Arbeitsassistenz hin und aufgrund ihres eigenen Interesses der erste persönliche Kontakt mit deren Mitarbeiter zustandekommt. Nach einer Art ›Probetag‹ wird für Herrn B eine Probezeit festgelegt. Die personellen Entscheidungen werden von den Pächtern eigenständig getroffen, bei dem Konzern Esso wird lediglich ein Gesamtkostenblock ›Personalkosten‹ eingereicht; wer an der Tankstelle beschäftigt wird, ist nicht von Interesse. In dieser Probezeit wird für Herrn B in Kooperation mit der Hamburger Arbeitsassistenz ein eigener Aufgabenbereich, herausgenommen aus anderen Tätigkeitsbereichen, entwickelt, dem er zu Beginn auch gewachsen zu sein scheint.
Wie bereits erwähnt, ist Herr B hauptsächlich mit dem Auffüllen der Warenregale im Verkaufsraum beschäftigt. Mit den Kunden der Tankstelle kommt er in Kontakt: »Jeder, der so ›esso-mäßig‹ aussieht, der wird von den Kunden auch angesprochen,« zumal den KundInnen nicht auffällt, dass Herr B behindert ist: »Nun macht er ja auch so vom Äußerlichen her nicht gerade den behinderten Eindruck.« Wenn diese Situation eintritt, hat Herr B keine Probleme damit, bei Auskünften über eine gesuchte Straße o.ä. hilft er weiter, solange er die Fragen beantworten kann. Ansonsten »sagt er dann immer gleich, ich hole mal jemanden, der ihnen weiterhelfen kann, und das kommt eigentlich sehr gut rüber.«
Im Moment haben die Chefs B mit Herrn B ein Problem, welches schon einmal aufgetreten ist. Nachdem sich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses alles sehr positiv entwickelt - Herr B zeigt Interesse und es entwickelt sich ein guter Kontakt - bezeichnet das Ehepaar die momentane Situation aus folgenden Gründen als schwierig: Herrn B's Interesse an der Arbeit hat stark nachgelassen, seine Leistungen schwanken zwischen starken Höhen und gegenwärtigen Tiefen. Das Ehepaar ist davon überzeugt, dass Herr B genau weiß, wie er sich verhalten muss, damit ihn niemand anspricht, »nach dem Motto, wenn ich mich jetzt doof anstelle, dann sprechen die mich nicht an und ich bekomme keine weitere Arbeit.« Ein Schlüsselerlebnis bildet für den Chef B der Bericht eines Mitarbeiters. Als ein Arbeitsassistent zur Qualifizierung in den Betrieb kommt, sagt Herr B »dann: ›Ich zeig dir jetzt mal was.‹ Und seine sehr gute Ausstrahlung, die er vorher hatte, positiv, lächelnd - plötzlich ließ er den Kopf hängen. Der von der Arbeitsassistenz kam, sah (Herrn B) und sagte:›Och, ich glaube, heute hat das keinen Zweck.‹ ... Da haben wir zum ersten Mal erkannt, dass er Dinge bewusst tut.«
Ein weiteres Problem stellt das Annehmen von Arbeitsanweisungen dar. Herr B nimmt lediglich Anweisungen von den InterviewpartnerInnen entgegen, nicht aber von seinen KollegInnen. Da diese aber sehr eigenverantwortlich arbeiten und nur bei größeren Schwierigkeiten Rücksprache mit den Chefs halten, stört dieser Sachverhalt die Arbeitsabläufe nachhaltig. Die Motivation, in eigener Verantwortung seine Aufgabenbereiche zu bearbeiten, findet sich nach Aussagen von Chef B bei Herrn B nicht: »Ja, nur der liebe (Herr B) versteht es nicht. Er ist schon zu lange hier, behaupte ich mal, er weiß gar nicht mehr, wie schwer es ist, etwas zu bekommen. ... Es ist unheimlich schwierig, ihn dahin zu bekommen, dass er das Verständnis bekommt, dass das nicht so einfach ist, einen Job zu bekommen und dass er was tun muss - mehr tun muss.« Chef B hat das Gefühl, dass Herr B mal mehr, mal weniger schnell arbeitet und dass er Dinge ganz bewusst tut. Er betont die Schwierigkeit, die jeweilige Situation zu unterscheiden und richtig einzuschätzen: »Heute wissen wir, wenn er den Traurigen macht, das könnte Absicht sein. Wie soll ich das unterscheiden? ... Sehen Sie, ist alles nicht ›eia-popeia‹. Wir haben eine ganze Menge mit ihm zu arbeiten, das ist aufwendig und für uns Neuland. Da haben wir festgestellt, den können wir wirklich behandeln wie jeden anderen Mitarbeiter eigentlich auch, das tun wir auch, er wird nicht bevorzugt, er kriegt genau so zwischen die Hörner wie die anderen und er muss auch seine Leistung bringen.«
Diese Situation bezeichnet Chef B als einen »ständigen Prozess,« bestimmt von großem Druck seitens des Kunden, des Umsatzes und der Gesellschaft. Der Ansatz, Herrn B's Tätigkeitsbereich zu erweitern und ihm somit auch den Arbeitsplatz zu sichern, stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt als schwierig dar, da Herrn B's Leistungen nicht den Erwartungen seines Chefs entsprechen: »Wir kämpfen darum, dass wir ihn auch halten können.« Spätestens nach Ablauf der Lohnkostenzuschüsse muss sicher sein, dass Herr B die Arbeit leistet, die für seinen Arbeitsplatz notwendig ist. In einer prozentualen Einschätzung beschreibt Chef B seine Zufriedenheit mit der Arbeit von Herrn B mit 50%.
Die Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz beginnt durch ihre telefonische Kontaktaufnahme mit der Tankstelle. Chef B beschreibt deren Arbeit als eine kompetente Begleitung von Herrn B: »Die wussten dann schon. ... Das haben sie ihm dann schon beigebracht.« Die ArbeitsassistentInnen haben keinerlei Probleme damit, sich sowohl in die Arbeit von Herrn B als auch in das Tankstellenleben »reinzufuchsen«. Die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz insgesamt schätzt Chef B überaus positiv ein: »Von denen bin ich sehr überzeugt, das hat mir sehr gut gefallen. ... Was die für uns gemacht haben, das ist wirklich eine ganze Menge.«
Finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung sind für Chef B wichtig. So macht er die Bedeutung der Lohnkostenzuschüsse deutlich: »Wenn das nicht wäre, wäre ich glaube ich nicht bereit, das zu probieren.« Für ihn ist von großer Bedeutung, den Arbeitsplatz von Herrn B auf lange Zeit zu sichern: »Und wenn ich eine Entscheidung treffe, solch einen guten Mann zu nehmen, dann muss ich auch sicher sein, dass ich ihn in fünf oder zehn Jahren noch beschäftigen kann.« Der ›Anreiz‹ durch die Zuschüsse ist offensichtlich, aber Chef B geht es um eine langfristige Beschäftigung und er hofft, dass »alle meine Kollegen dann auch so ehrlich sind und rechtzeitig die Notbremse ziehen, wenn sie sehen: Den kann ich gar nicht mehr in fünf Jahren bezahlen, ..., weil er nicht das bringt, was ich brauch'.« Er sieht ganz deutlich die Gefahr, dass andere Arbeitgeber ein solches Beschäftigungsverhältnis eingehen, die Lohnkostenzuschüsse ›mitnehmen‹, aber keine Zukunftsperspektive sicherstellen können. Dass der verbesserte Kündigungsschutz von Menschen mit Behinderungen von vielen Unternehmen als Einstellungshemmnis angegeben wird, kann Chef B nicht nachvollziehen. Er ist sich zwar darüber im klaren, dass sein Mitarbeiter Herr B einen erweiterten Kündigungsschutz hat, er »ihm nicht aus betrieblichen Gründen kündigen« kann, aber »wenn ich ihn abmahne in seinen Tätigkeiten, die er gemacht hat, (kann) ich ihn auch loswerden. Das weiß ich. So was gibt es nicht, dass man einen Menschen nicht mehr loswerden kann, das kann mir keiner erzählen. ... Aber ich weiß auch, dass das Versorgungsamt mich nicht pleite gehen lassen will, wenn man sagt, ich kann nicht mehr..., es geht nicht mehr.«
Ihre Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen machen die Chefs B mit ihrer entsetzten Reaktion auf das Zitat des Wirtschaftsverbandssprechers deutlich. So sagt Chef B: »Das ist ja frech! Der ist ja demotiviert, der Mensch! Das ist ja ein Pessimist!« Chefin B äußert ärgerlich: »Was soll man denn seiner Meinung nach mit den Behinderten machen, so wie früher einsperren und nicht rauskommen lassen? Oder ignorieren, dass sie überhaupt da sind und ihnen keine Chance geben?« Ausführlicher beschreibt Chef B: »Das hat sehr viel Sinn. Viele wissen überhaupt gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben mit diesen Behinderten. ... Ich bin überzeugt, wenn die Hamburger Arbeitsassistenz diesen Adressen nachgeht und das vorstellt, (dass sie) einen großen Teil mehr Firmen dazu bekommen könnte, so etwas zu tun.« Dass er laut der Aussage des Verbandssprechers seinem Firmenimage schaden soll, findet Chef B »mehr als frech! Glaube ich überhaupt nicht!« Er ist davon überzeugt, dass die Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung in keinster Weise einen Schaden bedeutet, ganz im Gegenteil: »Wenn ich aber in der heutigen Zeit sage, Leute, ihr bekommt dieses Jahr keine Kalender mehr von mir, aber ich kann euch sagen, das Geld, was ich sonst für Kalender ausgegeben habe, das läuft bei mir auf zwei Beinen über den Hof - ich habe da mit Sicherheit keinen Image-Schaden von, sondern ich habe mit Sicherheit viele dabei, die sagen, das finde ich in Ordnung. Und das spricht sich weiter. ... Und wer dann noch von Image-Schaden spricht, der hat es nicht verstanden, der weiß nicht, was los ist.« Die Tatsache, dass vermehrt Menschen mit Behinderungen in der Werbung zu finden sind, findet Chef B ganz wichtig: »Muss man auch!« Zu einer veränderten Gesellschaft, die Menschen mit Behinderungen und jeden so akzeptiert, wie er ist, trägt nach den Aussagen von Chefin B die veränderte Schule bei, »diese Integrationsklassen, wo dann also Down-Syndrom-Kinder mit drin sind und Kinder, die also lernen können, aber eben irgendeine Beschädigung oder eine Schädigung haben, und ich denke mal, bei den jungen Leuten ist da ein Umbruch gegenüber - also ich sage mal - nicht uns, aber meinen Eltern.« Beide können nicht verstehen, wie sich im Restaurant jemand darüber beschweren kann, »weil am anderen Tisch jemand behindert war.« Schließlich könnte dies für Chef B jedem noch passieren »denn so eine Behinderung ist nicht immer von Geburt an, sondern die kann auch im Berufsleben passieren, Schädel-Hirn-Geschichten.«
Bezüglich ihrer Motive wird aus den bisher dargestellten Gesprächsinhalten deutlich, dass es den beiden InterviewpartnerInnen nicht nur um die Einstellung einer Arbeitskraft geht, die für die ersten Jahre eine besondere finanzielle Unterstützung erhält, sondern einem Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, einer regulären Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. »Wir haben sehr, sehr viele Behinderte, die froh wären, wenn sie sich ihr Geld selber verdienen könnten, und ich wäre froh, wenn es viele machen würden. Das ist so mein Standpunkt, sonst wäre ich mit (Herrn B) schon nicht mehr zusammen.« Nach Aussagen von Chef B hatte auch eine eigene Erfahrung im Rollstuhl und an Gehhilfen über einen Zeitraum von 14 Monaten einen großen Einfluss auf die Entscheidung: »Ich selbst habe im Rollstuhl festgestellt, wie toll und rücksichtsvoll die ganzen Leute sind (ironisch), möglicherweise war das ein Anstoß, ne?«
Resümee von Chef B
Die Chefs B sind sehr interessiert und aufgeschlossen gegenüber Menschen mit Behinderungen und deren beruflicher Integration in Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Chef B stellt fest: »Die Erfahrung im Umgang mit Behinderten ist für mich die persönliche Bereicherung.« Ihr Bemühen um Herrn B und seinen Arbeitsplatz tritt während des gesamten Interviews klar hervor. Es zeigen sich allerdings zwei große Probleme: Das eine ist der große Druck, auf jeden Fall so wirtschaftlich wie möglich zu arbeiten, hervorgerufen durch die angespannte Arbeitsmarktlage, die steigenden Ölpreise, unzufriedene Kunden und die große Konkurrenz mit anderen Tankstellen; das andere ist Herrn B's anscheinend mangelndes Interesse an seiner Arbeit, so dass sein Arbeitsplatz aus betriebswirtschaftlichen Gründen momentan stark gefährdet ist. Seine beiden ArbeitgeberInnen sind jedoch nach wie vor bemüht, das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten. Chef B antwortet auf die Frage, was beim nächsten Mal anders laufen müsste: »Ich müsste mich besser vorbereiten.« Er setzt bei der Frage nach Problemen bei seiner eigenen Person an und verdeutlicht, was für ihn stark belastend ist: »Das immer wieder von vorne beginnen. Dinge, die (Herr B) eigentlich schon kann, muss ich immer wieder erklären.« Chef B ist mit der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz sehr zufrieden und hat auf die Frage, was er sich noch von ihr gewünscht hätte »nichts hinzu(zu)fügen.«
Im Anschluss an die von den Chefs B geschilderte Situation ergeben sich zwei weiterführende Fragen: Es bleibt ungeklärt, worin das als mangelnd wahrgenommene Interesse von Herrn B besteht und was seine fehlende Arbeitsauffassung bedingt. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Herr B, der mit 18 Jahren noch sehr jung ist, noch keine Vorstellung davon hat, was es heißt zu arbeiten und dafür bezahlt zu werden. Ihm ist der ›Ernst der Lage‹ vielleicht gar nicht bewusst. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass Herr B keinen Spaß an seinen Tätigkeiten hat und engagierter arbeiten würde, wenn die Arbeit eher seinen Vorstellungen entspräche. In seinem Interview hat Herrn B geäußert, dass er gerne Kfz-Mechaniker werden würde und ihm das ›Herumschrauben‹ an seinem Mofa viel Freude bereite (vgl. Kap. 4.4.2). Vielleicht liegt hier ein Ansatz, um Herrn B's Interesse ›zu wecken‹ und somit seinen Arbeitseifer zu steigern.
Das Unternehmen C ist ein Call-Center einer großen Tele-Mediengruppe. Die Interviewpartnerin Chefin C ist die Teamleiterin des Projektes, an dem die unterstützte Arbeitnehmerin Frau C arbeitet. Frau C macht für eine Computerzeitschrift den Leserservice und hat eine Festanstellung. Das Interview wird in einem ruhigen Raum geführt.
Zur Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und zur gegenwärtigen Situation wird ausgeführt, dass auf eine Anfrage der Hamburger Arbeitsassistenz ein Kontakt zustandekommt, nachdem Frau C bereits in einem anderen Call-Center gearbeitet hat, dort aber nicht glücklich war. Nach prinzipiellem Interesse an einer Zusammenarbeit mit Frau C geht es darum, nach einem geeigneten Projekt zu suchen, das ihren Fähigkeiten entspricht, »und da muss man natürlich sehen: ›Habe ich als Call-Center überhaupt die Möglichkeit, irgendwie Menschen mit Behinderungen einzustellen; schaffen die das überhaupt?‹« Es bietet sich das Projekt einer Computerzeitschrift an, das unter der Leitung von Chefin C steht. Diese wird von ihrer Chefin gefragt, »ob ich das mache, weil ich ja letztendlich dann für (sie) zuständig bin und natürlich sehen muss: ›Will ich das oder will ich das nicht?‹ Irgendwie weil es ist ja eine Mehrarbeit, die man dadurch hat und für mich war es eine Herausforderung, sage ich ganz ehrlich.« Mit einem anderen Projekt, »das würde zum Beispiel nicht gehen, weil da wird Englisch verlangt, da muss man super flink sein in der EDV.« In einer Teamsitzung, die alle vier Wochen für die unterschiedlichen Projekte stattfindet, werden die anderen MitarbeiterInnen auf ihre neue Kollegin Frau C vorbereitet.
Zu Beginn werden erst einmal Kundengespräche simuliert und so das notwendige Verhalten trainiert: »Also wir haben eine Woche bestimmt trainiert und dann irgendwann ging es los, und die Assistenten (war) die erste Zeit ja immer hier mit ihr zusammen.« Frau C bearbeitet den Leserservice dieser Computerzeitschrift: »Jemand möchte ein Abo bestellen, jemand möchte eine Zeitung nachbestellen, jemand fragt, was stand in der Zeitung oder in der - und das macht sie halt alles.« Zu den KollegInnen ist das Verhältnis »wie für einen normalen Menschen auch, entweder mag man denjenigen oder nicht.« Der Umgang mit Frau C ist nach Aussagen der Chefin C sehr stark von den einzelnen Personen abhängig, es gibt einige, die »verstellen sich total und andere, die reden mit jedem super lustig, also es kommt ganz auf die Person drauf an.« Frau C's Anwesenheit hat »weder was negativ noch positiv verändert. Gelacht wurde hier vorher schon viel und hilfsbereit und nett waren sie alle vorher auch schon.« Frau C nimmt also keine besondere Rolle aufgrund ihrer Behinderung ein, »es wird (zwar) schon sehr viel auf sie geachtet und wenn sie überfordert ist, kommt gleich einer zu mir und sagt: ›Hallo, das musst du noch mal oder hier und da müssen wir noch mal gucken und so.‹« Chefin C empfindet das Verhältnis als »normal, würde ich sagen, es ist ein ganz normales Verhältnis.« Frau C hat auch »eine Lieblingskollegin, die hängen den ganzen Tag zusammen und mögen sich ganz gern, also sie sucht sich, wie im normalen Leben auch, einen mag man, einen mag man nicht und so ist das dann halt hier auch.«
Bei der geleisteten Arbeit von Frau C beschreibt ihre Chefin Schwankungen zwischen Höhen und Tiefen, »so Phasen, also, es gab auch schon mal hundert Prozent, aber jetzt würde ich sagen achtzig Prozent.« Als herausragende Eigenschaften hebt die Chefin Frau C's freundliche und ruhige Art hervor: »Sie würde ja nie austicken, also, das wird ihr ja nie passieren. Sie hat einfach eine bestimmte Ruhe.« Chefin C weiß ganz genau, dass sie sich darauf verlassen kann, dass Frau C nicht nur ruhig und ausgeglichen am Telefon ist, sondern sie sich auch bei Unsicherheiten sofort an KollegInnen wenden würde: »Sie würde nie eine falsche Auskunft geben.«
Es besteht lediglich ein telefonischer Kundenkontakt, daher kann man keine Auskünfte über eventuelle Reaktionen auf die Behinderung von Frau C geben, höchstens wenn es mal etwas länger dauert und Frau C ein paar Mal nachfragt, kann es schon sein, »dass der eine oder andere denkt, mein Gott, dauert das. Aber das macht sie durch ihre höfliche Art wett.«
Die Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz beginnt mit ihrer Anbahnung des Kontakts und der Vorstellung von Frau C bei diesem Call-Center. Chefin C macht deutlich: »Ohne die wären wir da nicht drauf gekommen.« Die Zusammenarbeit mit ihr bewertet Chefin C mit hundert Prozent positiv, besonders die Unterstützung in der Zeit des Übens und der ersten Telefonate, »das ist auch nötig gewesen. Weil - ich hätte jetzt nicht die Zeit dafür gehabt.« Auf die Frage, was sie sich noch von der Hamburger Arbeitsassistenz gewünscht hätte, äußert sie, »dass sie halt da sind, wenn ich mit dem Finger schnippe - wenn ich den Wunsch schon mal frei habe.« Die ArbeitsassistentInnen kommen zwar noch regelmäßig zwei- oder dreimal in der Woche, aber die Arbeit im Call-Center »ist halt dann zu schnellebig«, d.h. von heute auf morgen ändert sich etwas in der Zeitschrift, »und dann würde ich halt gern, dass sie jetzt da sind und mit (Frau C) sich hinsetzen und das trainieren.« Allgemein ist Chefin C mit der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz sehr zufrieden.
Über finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung kann Chefin C keine genauen Aussagen machen, »also, ich weiß, dass wir Zuschüsse bekommen, aber ich weiß jetzt nicht, ob das ausschlaggebend war.« Dass bei diesem Beschäftigungsverhältnis die Quotenregelung aus dem Schwerbehindertengesetz eine Rolle gespielt hat, um eventuell die Ausgleichsabgabe zu sparen, kann Chefin C sich nicht vorstellen, »weil wir sind ja eine Riesenkette, ... das ist riesengroß, und ich bin mir sicher, dass (Frau C) die einzige ist, die aus einer Arbeitsassistenz hier im Call-Center ist, und denen ist das wirklich dann egal mit den Abgaben, weil sonst müssten wir wirklich ein paar mehr einstellen.« Eine besondere Kündigungsregelung spielt laut Chefin C vermutlich keine Rolle, da eigentlich die »Bezahlung bei uns ... der Leistung entsprechend ist. Das spielt dann natürlich in die Urlaubstage mit rein.«
Bezüglich ihrer Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen macht Chefin C deutlich, dass sie nicht glaubt, dass behinderte Mitarbeiter das Firmenimage schädigen: »Früher war es mit Sicherheit mal anders, aber ich denke, heutzutage nicht mehr«, ganz im Gegenteil: »Ich bin immer ganz stolz, wenn ich irgendwie sagen kann: Und übrigens...« Bei den Werbeprospekten empfindet sie, »dass das jemanden sympathisch macht, wenn man normal denkt. Ich finde, es macht sympathisch, also Hilfsbereitschaft sehe ich daraus irgendwie.« Sie ist davon überzeugt, dass das auf keinen Fall »so auf die Mitleidsschiene abzieht, ja es gibt so ein zusammenhaltendes Gefühl.«
Hier können nur die Motive dargestellt werden, die im Interview von Chefin C deutlich geworden sind; über die Motive ihrer Chefin, die die Einstellung von Frau C verantwortet hat, deutet Chefin C nur an, dass »sie wohl auch in ihrem Studium was Pädagogisches gemacht hat und das auch sehr spannend fand und auch wohl wichtig für sie.« Es ist davon auszugehen, dass soziales Engagement ausschlaggebend gewesen ist. Bei Chefin C selbst wird auch eine soziale Einstellung deutlich, sie hat als »Supervorbild« ihre große Schwester, die im therapeutischen Bereich tätig ist und mit der sie als Jugendliche an »Behindertenreisen» teilgenommen hat, »und das war halt total schön. ... Und da dachte ich mir irgendwie, das ist ja toll, dass die kleine Schwester dann auch mal ein bisschen ... - eigentlich eine ganz blöde Geschichte.« Für sie ist die Zusammenarbeit mit Frau C eine positive »Herausforderung.«
Resümee von Chefin C
Chefin C hat also im privaten Bereich bereits persönliche Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen gemacht und kann sich bei der Zusammenarbeit mit Frau C einer »Herausforderung« stellen, ihr Interesse umsetzen und neue Erfahrungen sammeln: »Ich habe nicht gesagt: O nein! Ich habe gedacht: super spannend irgendwie.« Ein sehr wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang, dass »ja nicht viel passieren kann, (Frau C) kann nicht viel passieren und mir halt auch nicht. Es war ja ein Praktikum, Betreuer sind hier... .« Es sind also Rahmenbedingungen gegeben, die für diese neue Situation allen Beteiligten gute und erleichternde Voraussetzungen ermöglicht haben. Bislang ist Frau C die einzige unterstützte Arbeitnehmerin. Chefin C empfindet bei der beruflichen Integration »nichts belastend«, sondern als »ein schönes Gefühl, dass (sie) anstatt in der Werkstatt zu sitzen hier ist, und das ist eigentlich das Schöne, da hatte sie ja tierische Angst vor. Für mich ist es ein schönes Gefühl, dass ich weiß, sie ist hier, und ich weiß, dass es auch den anderen so geht.« Abschließend stellt Chefin C fest, hätte sie selbst jemals eine solche Personalentscheidung zu treffen, »würde ich es genauso machen wie mit der (Frau C), also auf jeden Fall. Aber es kommt auch auf die Person an, sie passt supergut hier rein.« Die Tatsache, dass jemand auf einen Arbeitsplatz und in ein Team passt, ist also bei einem Arbeitnehmer mit Behinderung ebenso entscheidend »wie bei einem ›normalen‹ Mitarbeiter auch - ›normal‹, dieses Wort ist schon blöd.«
Das Unternehmen D ist ein Konditoreibetrieb mit drei Filialen. Das Interview findet in der Hauptfiliale statt, in der sich auch die Backstube befindet. Interviewpartner ist zu Beginn der Chef der Konditorei, Chef D, und später noch sein Geselle, Geselle D, der für den unterstützten Arbeitnehmer Herrn D unmittelbar zuständig ist. Herr D arbeitet in der Backstube; dort geht er verschiedenen Tätigkeiten nach und ist an der Herstellung von Backwaren beteiligt.
Zur Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und zur gegenwärtige Situation wird ausgeführt, dass durch einen persönlichen Besuch von ArbeitsassistentInnen der erste Kontakt zustandekommt. Herr D hat zuvor schon in einer Bäckerei in der gleichen Gegend gearbeitet.
Herr D befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews im Integrationspraktikum und arbeitet in der Backstube. Dort hat er verschiedene Aufgaben. So »legt er Butter auf den Butterkuchen oder Pflaumen auf den Pflaumenkuchen« oder er legt verschiedene Backwaren auf Backbleche: »Er ist überall, wo er ein bisschen helfen kann.« Direkten Kundenkontakt hat Herr D nicht, da er ausschließlich in der Backstube arbeitet. Mit dieser Arbeit ist sein Chef D hundertprozentig zufrieden: »Ja, da brauche ich kein Prozent abzuziehen.« Er bezeichnet Herrn D als zuverlässig, pünktlich, und »ein netter Mensch, das ist er.« Schwierigkeiten gab und gibt es keine, »man braucht oft nichts mehr zu sagen. Er hatte gute Vorkenntnisse gehabt. ... Da haben wir dagestanden und gestaunt.« Auch behauptet Herr D seinen Arbeitsplatz, z.B. gegenüber neuen Praktikanten : »Er lässt sich da auch nicht wegdrängen, sondern sagt dann, das ist meine Arbeit.« Und er achtet darauf, dass der Praktikant seine Arbeit ordentlich macht: »Dann sagt er: ›Hier, das musst du so machen.‹« Manchmal bringt Herr D die Arbeitsabläufe nicht vollständig zu Ende, »das hat er noch nicht ganz raus, aber das kriegt er mit der Zeit dann bestimmt auch hin.« Die anderen Mitarbeiter des Betriebes hat Chef D nicht weiter vorbereitet: »Gar nicht, nein. Die haben zwar alle geguckt.« Aber er wird voll akzeptiert: »Das ist hier wahrscheinlich mehr (der Fall) wie in einem anderen Betrieb.«
Zur Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz merkt Chef D an, dass die Arbeit der ArbeitsassistentInnen für ihn von großer Bedeutung ist. Durch sie ist das Arbeitsverhältnis entstanden, und wenn sie Herrn D bei seiner Arbeit begleiten, »ist (das) einfacher. Für den (Herrn D) auf jeden Fall, ja. Denn dann arbeitet er, ohne dass da Probleme sind.« Wenn die ArbeitsassistentInnen ihm etwas sagen, »das behält er auch. Die haben da eine ganz andere Beziehung. Wenn er dann im Moment nicht so weiß, dann sagen die, komm her, das muss so sein, und passen halt auf ihn auf.« Aber nicht nur die Begleitung empfindet Chef D als wichtig, »auch die Ideen von den ArbeitsassistentInnen.« Diese haben für das Auflegen der Backwaren auf die Bleche spezielle Gitter anfertigen lassen, in die die Brötchen, Croissants etc. nur noch hineingelegt werden müssen und dadurch gleiche Abstände haben. Je nach Größe der Backwaren haben die Gitter unterschiedliche Formate: »Das mit dem Brötchenauflegen, da wär' ich nicht drauf gekommen, da gibt es auch verschiedene Größen, da hat sich die Arbeitsassistenz echt Gedanken gemacht.« Es gibt »nichts«, was sich Chef D noch von der Hamburger Arbeitsassistenz wünschen würde.
Über finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung, etwa Lohnkostenzuschüsse, ist Chef D nicht genau orientiert, er weiß lediglich vom Arbeitsamt, dass dieses nötige Hilfsmittel für die Arbeit von Herrn D finanzieren wird. Auch über die gesetzlich geregelten Ansprüche von Menschen mit Behinderungen ist Chef D nicht genau informiert, auf den Hinweis der fünf Tage Mehrurlaub antwortet er: »Der Altgeselle in der Backstube kriegt ja auch fünf Tage mehr Urlaub.«
Seine Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen macht Chef D deutlich, indem er auf das Zitat des Wirtschaftsverbandssprechers mit Unverständnis reagiert: »Wieso sollte ich mich da geschädigt fühlen, wenn ich solche Leute beschäftige? Er hat keinen direkten Kundenkontakt. Natürlich, die erste Zeit kam er immer durch den Laden, jetzt nimmt er die andere Tür rein und raus, aber selbst da würde ich mich nicht schämen. Und bei der Arbeit hat ja keinen Kontakt mit Kunden. Er ist glücklich in der Backstube. Und das war ein Experte, der das gesagt hat?« Überdies würde keiner einem Brötchen ansehen, von wem es hergestellt wurde, Chef D sieht »da keine Probleme,« findet eine solche Aussage »sehr hart gegenüber diesen Beschädigten ... äh Behinderten, beschädigt sind sie ja gar nicht.« Bezüglich der Werbung eines Bäckers, dessen Tochter mit Down-Syndrom auf einem Plakat für sein Brot wirbt, ist Chef D der Überzeugung: »Man muss das nur richtig auslegen, kann auch mehr Umsatz bringen. Hat vielleicht noch keiner probiert, jedenfalls nicht der Wirtschaftsberater.«
Chef D hat sich auf die Frage nach seinen Motiven für die berufliche Integration bei einem Telefonat mit dem Interviewer eher locker geäußert: »Ich hab ein großes Herz!« Im Interview hebt er sehr eindeutig heraus: »Wenn ich keine Behinderten einstelle, muss ich am Ende noch bezahlen. Das ist ja unser Sozialnetz. Ja, dann kann ich auch jemanden einstellen.« Aber es wird auch klar, dass Chef D und die anderen Mitarbeiter sehr um ihren Kollegen Herrn D bemüht sind.
Resümee von Chef D
Bei Chef D ist schwer auszumachen, wie die Motive zur Einstellung von Herrn D gewichtet sind. Eine soziale Einstellung wird ebenso deutlich wie ein wirtschaftlicher Aspekt: »Er ist ja kein Krankheitsfall, den wir eingestellt haben, er ist ein Behindertenteil, der hier arbeitet. ... Wir sind ja nicht ein Auffanglager, sonst hätten wir ihn ja nicht einzustellen brauchen.«
An anderer Stelle findet auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema ›Behinderung‹ statt, wo Geselle D sagt: »Für mich war das auch der erste Fall, mongoloide Behinderung. Wo wir die Scheu überwunden hatten, und es war eine Scheu zuerst. Erst sieht man die Leute immer und sagt, bloß nichts damit zu tun haben... .« Es wird eine gewisse anfängliche Skepsis deutlich, die aber durch die erfolgreiche Arbeit mit Herrn D und mit der Hamburger Arbeitsassistenz korrigiert wird: »Und dass das so gut klappt, das hätte ich nicht gedacht.« Da Chef D wenig Wissen über die gesetzlichen Bestimmungen zeigt, kann man davon ausgehen, dass diese keine hohe Bedeutung auf die Einstellung von Herrn D haben. Wenn Chef D noch mal vor einer solchen Entscheidung stünde, würde er »das wieder so machen.«
Das Unternehmen E ist ein Catering-Service, das in Hamburg die Kantine, einen Kiosk und andere ›Catering-Aufgaben‹ für den Hauptsitz eines Geldinstitutes betreibt. Es ist laut Aussage des Interviewpartners Chef E eines der größten Unternehmen dieser Branche in Europa. Chef E ist Personalchef und der direkte Vorgesetzte der unterstützten Arbeitnehmerin Frau E. Das Interview findet in ruhiger Atmosphäre im Büro von Chef E statt. Frau E befindet sich in einem festen Arbeitsverhältnis, sie arbeitet in einem Zweier-Team am Kiosk und geht dort verschiedenen Tätigkeiten nach. Ihre Aufgaben sind klar definiert und abgegrenzt.
Zur Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und zur gegenwärtigen Situation nimmt Chef E wie folgt Stellung: Zunächst kommt auf eine Anfrage der Hamburger Arbeitsassistenz ein Praktikumsverhältnis mit Frau E zustande. In diesem ist Frau E beschäftigt, als Chef E vor eineinhalb Jahren zu der Firma stößt. Als er kurz darauf von der Hamburger Arbeitsassistenz gefragt wird, ob er sich vorstellen könnte, Frau E auch einen festen Arbeitsvertrag zu geben, meint er, er sei noch nicht lange genug in dem Unternehmen, als dass er eine solche Entscheidung treffen könnte: »Da haben wir gesagt, das stellen wir noch mal zurück, das muss ich mir erst mal angucken, weil Hintergrund war ja von Anfang an, dass die Arbeitsassistenz sich nachher Stück für Stück auch zurückzieht.« In Zusammenarbeit mit den ArbeitsassistentInnen wird Frau E's Arbeitsgebiet nochmals neu definiert: »Sie hat ein festes Aufgabengebiet, es ist also wichtig, dass sie das macht, dafür ist sie verantwortlich - und das hat sie richtig motiviert. Und ich war eigentlich dann erst richtig positiv überrascht, wie gut sie das schon macht, also wie selbständig sie in ihrem Rahmen die Aufgaben schon bewältigt.«
Frau E arbeitet mit einer Kollegin im Kiosk. Dort hat sie verschiedene Aufgaben zu bewältigen: Neben dem Getränkeregal, das sie auffüllt und ordnet, liegen die Zeitschriften in ihrem Verantwortungsbereich. »Die Aufgaben delegieren wir fest, weil diese Aufgaben nehme ich den anderen dann weg, die sich natürlich sehr freuen, dass sie das nicht auch noch machen müssen, sondern hier eine echte Hilfe haben. Das Getränkeregal z.B. ständig auf einem bestimmten Niveau zu halten, eine von vielen Arbeiten .... Eine ganz wichtige Aufgabe, die (Frau E) übernommen hat.« Sie hat dabei nicht mit Bargeld zu tun, es läuft alles über Chip-Karten, aber die Zeitschriften sind ein »Verantwortungsgebiet, wo sie sich rantraut. Da geht es sehr wohl um Geld, die Zeitschriften, die ablaufen, werden wieder zusammengestellt und zurückgeschickt. Das geht nur, wenn sie die Scheine richtig ausfüllen.« Bei dieser Aufgabe wird sie im Moment noch von den ArbeitsassistentInnen unterstützt, »und dann wird es eine Aufgabe, wo sie - und das machen wir ja schon - eingearbeitet werden kann.«
Durch ihre Arbeit am Kiosk hat Frau E viel Kundenkontakt. »Die Kunden ..., die kommen mit (ihr) eigentlich richtig gut zurecht ..., viele kennen (Frau E) aber schon, sie hat da schnell Freunde gefunden. Aber bei vielen sehe ich es halt, dass sie da noch unsicher sind. Aber ich denke, das ist auch nur natürlich.« Ob sich innerbetrieblich viel verändert hat, kann Chef E nicht genau sagen, aber was die KundInnen angeht, ist deutlich: »Die Distanz zwischen Verkaufspersonal oder Unternehmen und den Kunden ... ist hier etwas aufgeweicht, die kommen teilweise herein und sagen: ›Hey (Frau E)‹ - seitdem und mit Einverständnis der Mitarbeiterin wohl ist das so gewachsen, dass viele sie beim Vornamen nennen.«
Mit der Arbeit von Frau E ist Chef E zu 82,5 Prozent zufrieden - »82,5 Prozent, das war nur ein Spaß, aber ich sage mal, zum Großteil bin ich zufrieden aufgrund der Art und Weise, wie sie sich einbringt und wie sie auch eine Wertigkeit für mich darstellt, also einen Nutzen darstellt, na ja, und die zwanzig Prozent - das wäre übertrieben, wenn ich sage, alles hundert Prozent. Sie ist noch nicht so weit, sie muss noch viel lernen, aber das kann ich auch von keinem anderen sagen.« Chef E beschreibt seine Mitarbeiterin als »motiviert. Das würde ich mir bei jedem wünschen, dass jemand mit Spaß zur Arbeit kommt und motiviert ist - und sehr gewissenhaft, sie kümmert sich drum, sie macht das sehr genau.« Eigentlich versucht Chef E bei allen MitarbeiterInnen, »sie möglichst immer den eigenen Fähigkeiten entsprechend einzusetzen, dann haben wir auch noch Spaß dabei.« Doch gerade für Frau E ist eine unterfordernde Tätigkeit, »wo sie eh nichts zu leisten hat, ihr Potential eigentlich viel weitreichender ist - für viele ist das ja in Ordnung, aber für sie halt nicht. Sie braucht noch ein bisschen mehr, aber das kann sie auch.«
Soweit Chef E weiß, sind die MitarbeiterInnen nicht besonders vorbereitet worden, »sicherlich auch, weil sie ja nicht im großen Team hier in der Küche arbeitet, sondern sie da vorne im Zweier-Team mit im Kiosk arbeitet. Aber wenn sie hier mal rüberkommt, alles kennt sie.«
Probleme gibt es kaum, »es sind ja meist nur Kleinigkeiten, wie sie da ab und zu mal vor sich hinträumt.« Wenn Chef E die Arbeit von Frau E kritisiert, dann macht er das, »um auch mal demonstrativ zu zeigen, dass ich darauf achte, dass ich die Aufgabe ernst nehme.« Er beschreibt sie als jemanden, der seine Gefühle und Sympathien stark nach außen trägt und ihn »von Anfang an sehr gerne« mochte und dann auch erst mal »zum Knuddeln« kommt: »Das ist am Anfang natürlich auch sehr ungewohnt gewesen, d.h. erstens mit einem behinderten Mitarbeiter plötzlich konfrontiert zu werden, dann jemanden zu haben, der schnell Kontakt schafft - da kommst du hier an und es wird erst mal geschmust, und auch das ist erst mal Gewöhnungssache.« Nachdem er Frau E häufiger kritisiert, »da war sie am Anfang ein bisschen stutzig und hatte auch gefragt: ›Beobachtest du mich jetzt?‹ - Aber ich glaube, sie liebt mich immer noch.«
Die Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz beginnt wie meistens durch deren Anfrage, die zuerst in ein Praktikum, später in ein festes Beschäftigungsverhältnis mündet. Chef E macht deutlich, dass es ohne die Arbeit der ArbeitsassistentInnen »mit Sicherheit nicht zum Arbeitsverhältnis gekommen (wäre). Ganz bestimmt sogar nicht.« Für ihn als Arbeitgeber ist wichtig, »dass sie das entsprechend vorbereitet haben.« Auch die Impulse der ArbeitsassistentInnen, was Frau E noch tun könnte, empfindet er besonders in der Anfangszeit als wichtig. So bringen die ArbeitsassistentInnen Chef E darauf, ihr die Rücksendung abgelaufener Zeitschriften zu übertragen: »Die Remissionsgeschichte zum Beispiel, eine geldwerte Sache, die delegiere ich nicht so schnell und einfach, und ich habe mir das angeguckt, und siehe da, es klappt. Dann habe ich gesagt: ›Okay, dann behalten wir das bei.‹« Auch die Initiative der ArbeitsassistentInnen, die Arbeitsgebiete zu definieren und einen Arbeitsplan für Frau E zu erstellen, und auch die Arbeitsbegleitung vor Ort spielen für Chef E eine große Rolle: »Hätten sie mir (Frau E) jetzt am Anfang gegeben und gesagt, nun arbeite mal ganz alleine mit ihr, das wäre für den Anfang sowieso utopisch gewesen, aber jetzt alles alleine aufzubauen, Arbeitsorganisation, rauszukriegen, wo setze ich sie am besten ein und wie arbeite ich mit ihr zusammen, das hätte den Rahmen gesprengt. Das hätte ich nicht geschafft - dazu ist die Position auch zu eigenständig da drüben.« Auch die Anwesenheit von zwei weiteren Menschen im Betrieb, die nicht vom Fach sind, sieht Chef E nicht als Belastung, sondern als »Erleichterung. Die kennen (Frau E), kennen sie als Person und können sie noch lenken und führen.« Er wünscht sich von der Hamburger Arbeitsassistenz »momentan nichts weiter« und bezeichnet die beiden ArbeitsassistentInnen, die Frau E begleiten, als engagiert: »Sie machen einen Superjob.«
Was finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung angeht, macht Chef E sehr deutlich: »Auch wenn ich gerne gewillt bin, einem Menschen - auch (Frau E) - eine Chance zu geben, muss ich das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen. ... Das muss sich rechnen, (Frau E) muss sich rechnen. Das habe ich ihr auch gesagt: Sie verdient mit ihrer Arbeit ihren Arbeitsplatz mit.« Frau E hat eine Halbtagsstelle, für die nur Geld da ist, wenn der Umsatz stabil bleibt - »dadurch habe ich überhaupt das Geld über, um eine Halbtagsstelle da drüben im Budget aufzunehmen. Wäre das alles so schlecht da drüben, dass der Umsatz entsprechend sinken würde, dann hätte ich diese Position nicht mehr über.« Chef E ist der Meinung, dass ohne die Lohnkostenzuschüsse ein solches Beschäftigungsverhältnis wahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre. Auch wenn sich eine solche wirtschaftliche Kalkulation vielleicht ein bisschen kalt anhört, »aber ich denke, das ist nur realistisch.« Auf die Nachfrage, ob sich das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf das Ende der Lohnkostenzuschüsse denn nun rechnet, antwortet er bestimmt: »Das rechnet sich schon, weil sie jetzt auch Sachen übernommen hat, die kein anderer dann macht. Sie arbeitet nicht einfach nur nebenher, sondern ihre Aufgaben, die sie übernimmt, sind wichtig. Das spare ich an anderer Stelle wieder ein.«
Die gesetzlichen Regelungen wie verbesserter Kündigungsschutz und Mehrurlaub als Argument gegen eine Einstellung von Menschen mit Behinderung kann Chef E nachvollziehen, besonders für kleinere Unternehmen bezeichnet er sie als »Hemmschuhe.« Der besondere Kündigungsschutz, der MitarbeiterInnen mit Behinderungen schützen soll, »verhindert aber teilweise gerade die Einstellung.« Besonders am Anfang, »da kennt er die noch nicht, da ist auch ein kleines Risiko für ihn. Nehme ich jetzt einen Behinderten, gebe ihm die Chance, oder nehme ich, jetzt mal übertrieben gesagt, einen topfiten Menschen, was heutzutage allerdings auch schon schwierig genug ist, aber er ist dann eher geneigt, einen ›Normalen‹ zu nehmen, den kann er nach einer gewissen Zeit auch wieder rausschmeißen, wenn er sagt, das war es dann doch nicht.« Das Absenken der Ausgleichsabgabe spielt nicht allein die große Rolle für Chef E. Er macht deutlich, dass es mehrere Gesichtspunkte gibt, »sich überhaupt in eine solche Richtung zu orientieren. ... Auf der einen Seite ist es eine Portion Eigennutz, indem man sagt, hier haben wir die entsprechenden Zuschüsse, Vergünstigungen und da bitte kann man auch reinrechnen, dass wir entsprechende Einsparungen bei der Ausgleichsabgabe haben, das ist ein Pluspunkt, weshalb man sich dafür entscheidet.« Auf der anderen Seite steht für ihn »genauso der Mensch (Frau E), ich habe ja nicht irgend jemanden genommen, sondern ich habe mich ja für (sie) entschieden, die ich hier kennengelernt habe, die a) sympathisch und b) auch willens und in der Lage ist, diese Arbeit zu beherrschen.«
Seine Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen macht Chef E im Kommentar zum Zitat des Wirtschaftsverbandssprechers deutlich: Da fällt ihm »fast nichts mehr ein ...: Das ist mit Sicherheit nicht unsere Position. ... Wir sind sehr stolz darauf; das hätten wir nicht gemacht, wenn wir in irgendeiner Weise unseren Ruf geschädigt sehen. Das schockiert mich doch eher.« Sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und sein soziales Engagement zu zeigen, findet Chef E wichtig: »Das machen wir nicht anonym, wir machen es gerne und versuchen ..., das auch irgendwie als Verantwortung zu sehen, gerade als großes Unternehmen. Wir haben uns auch sehr über diese Plakataktion (der Hamburger Arbeitsassistenz, d. Verf.) gefreut mit Dagmar Berghoff und unserer (Frau E) hier. Das war ja auch eine sehr schöne Sache.« Er hält gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte für notwendig, »dass man einfach weiß, dass es nicht nur perfekte blonde, blauäugige Kinder gibt, sondern dass es da alle Schattierungen gibt. Das gehört genauso dazu.«
Bezüglich seiner Motive macht Chef E seine Meinung deutlich, dass sich besonders ein Großunternehmen wie seines »sozial engagieren« soll. Im Privatbereich hat Chef E »nur am Rande« Kontakt zu Menschen mit Behinderungen, seine »Tochter ist in einem Kindergarten, wo in ihrer Gruppe auch integrativ ein behindertes Mädchen ist.« Das soziale Engagement und damit verbunden ein vorhandener Werbeeffekt reichen laut Chef E aber nicht aus: »Wenn ich das jetzt nur mache, damit ich ab und zu mal auf ein Poster komme, dann hätte das nicht so den Sinn.« Frau E ist für ihn als Arbeitgeber eine »echte Hilfe«, so dass er sie für ihre Arbeit auch bezahlen kann. Er sieht ihre Beschäftigung »nicht nur als kleine soziale Gefälligkeit, dass wir einfach nur eine große Firma sind, die da soziale Bonbons verteilt, sondern dass sie hier auch eine richtige Aufgabe hat.«
Resümee von Chef E
Chef E macht im Gespräch mehrfach seinen wirtschaftlichen Standpunkt deutlich. Für ihn muss Frau E Arbeit leisten, die ihre Anstellung rechtfertigt. Dafür ist für ihn die Arbeit der ArbeitsassistentInnen eine grundlegende Voraussetzung: »Hätten wir jetzt erst mal ein Jahr investieren müssen, um (Frau E) dahin zu bringen, dann hätten wir das als Wirtschaftsbetrieb nicht leisten können. Das sage ich ganz ehrlich.« Ohne die Anfrage der Hamburger Arbeitsassistenz käme solch ein Beschäftigungsverhältnis ohnehin nicht zustande, denn nach Einschätzung von Chef E würde sich kaum ein Unternehmen von sich aus nach MitarbeiterInnen mit Behinderung umsehen, besonders nicht ein Großunternehmen: »Wenn Sie jemanden haben, der einen Wirtschaftsbetrieb führt, der ist meistens in Eile, hat viele Probleme an den Hacken und schafft sich nicht noch neue.« Mit seiner Entscheidung für Frau E ist ihr Chef »bis jetzt ganz zufrieden.« Als Belastung könnte er sich »höchstens erst mal das Fremde, das Neue« vorstellen, dass Menschen, die nicht richtig informiert sind, »negativ eingestellt sind gegen so jemanden am Anfang.« Bereichernd ist dagegen für ihn bei beruflicher Integration, »dass man hier auch mal andere Menschen - hört sich jetzt blöd an - , aber auch jemanden aus anderen Bereichen kennenlernt, man geht halt nicht täglich damit um, und es ist ja eine ganz andere Art und eine andere Qualität, andere Bereiche kennenzulernen und miteinander umzugehen.« Wenn er wieder vor einer solchen Entscheidung stünde, würde er »noch jemanden einstellen.« Chef E weist aber auch darauf hin, dass eine solche Entscheidung »immer typbezogen ist, es gibt sicherlich auch problematischere Fälle wie unsere (Frau E) hier. ... Mit (ihr) haben wir jemanden hier, der das voll rechtfertigt, aber ich kann mir wirklich problematischere Fälle vorstellen, - wäre auch verwunderlich - ich habe auch genug Arbeitnehmer hier, die problematisch sind, das wird es in allen Bereichen geben.«
Chef E ist davon überzeugt, dass man »aufklärerisch« tätig werden muss: »Hätten Sie mich einfach nur gefragt, ob ich einen behinderten Mitarbeiter nehmen würde, und ich kenne (Frau E) noch nicht, hätte ich vielleicht auch anders geantwortet, hätte ich vielleicht gesagt, ich habe also wirklich Probleme genug, jetzt soll ich mich noch mit Behinderten rumschlagen.« Eine Bezeichnung wie »geistig Behinderter ..., damit kann man erst mal wenig anfangen. Man muss erst mal hingehen und mit den Menschen ... zusammenarbeiten.« Viele Menschen sind laut Chef E »ungeübt mit dem Umgang und unsicher, viele wollen nur das Beste eigentlich und wissen aber eigentlich nicht so recht, wie sie sich so einem Menschen nähern sollen oder mit ihm umgehen sollen, entweder gucken sie weg oder laufen schnell weiter.«Auch für ihn gibt es am Anfang solche Momente, wobei Chef E feststellt, dass es »eine Gewohnheitssache ist - man baut sich da viel zu viele Barrieren auf.« Die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen zu forcieren, bezeichnet Chef E als »noch ein Stückchen Arbeit« Viele Menschen haben das »noch nicht kennengelernt oder halten das für Spielkram ..., das ist doch nichts für die harte Wirtschaft. Das ist was für die Hobbythek oder für eine Werkstatt und für Zivis, so für diesen sozialen Bereich. (Es gilt,) das in die Wirtschaft zu integrieren, praktisch ins normale Leben, also da, wo es dann auch ernst genommen wird und nicht am Rande mit irgendwelchen Fördermaßnahmen läuft.«
Bei dem Unternehmen F handelt es sich um ein Hotel einer großen, internationalen Firmengruppe. Die Interviewpartnerin, Chefin F, ist Personalchefin und zum Zeitpunkt des Interviews im Mutterschutz, weshalb sie während des Interviews zu detaillierteren Angaben bezüglich der Arbeit von Frau F per Telefon Informationen von einem Kollegen einholt. Die unterstützte Arbeitnehmerin Frau F arbeitet, nachdem sie ihre Schulzeit in Integrationsklassen und im BVJ-i der Berufsschule verbracht hat, im Service des Hotels - ebenso wie weitere unterstützte ArbeitnehmerInnen, die aus Sonderschulen und Integrationsklassen gekommen sind. Das Interview findet bei Chefin F zuhause statt.
Die Schilderungen von Chefin F über die Entstehung des Beschäftigungsverhältnisses und die gegenwärtige Situation beginnen damit, dass es vor dem Beschäftigungsverhältnis mit Frau F eine andere unterstützte Arbeitnehmerin gibt, Frau Y, die auch durch die Hamburger Arbeitsassistenz vermittelt und begleitet wird; dieses Beschäftigungsverhältnis muss nach kurzer Zeit beendet werden. Frau F ist die nachfolgende unterstützte Arbeitnehmerin, die im Hotel beschäftigt ist, sie steht in einem festen Arbeitsverhältnis. Ihre Hauptaufgaben bestehen im Ein- und Abdecken der Tische zu den Mahlzeiten und auch bei besonderen Anlässen. Chefin F bezeichnet die Mitarbeiterin Frau F als »total zuverlässig, immer pünktlich, interessiert, und sie macht ihre Arbeit auch sehr genau.« Der Chefin ist zudem sehr wichtig, dass Frau F gut reagieren kann, wenn Gäste sie ansprechen: »Wenn ein Gast die Person anspricht, nicht einfach umdrehen und weggehen und sagen, huch, oh Gott, da hat mich jetzt jemand angesprochen, ich weiß gar nicht, was ich tun soll ..., was eine normale Reaktion ja wäre. Das hat sie aber nicht. Sie steht dann schon da ... durch Training, man hat das mit ihr trainiert.«
Schwierigkeiten in dem Beschäftigungsverhältnis gibt es laut Chefin F schon hin und wieder, vor allem wenn es viel zu tun gibt und alles sehr schnell gehen muss, »und da ist jemand, der braucht halt seine Zeit, der bremst natürlich alles.« Mit den KollegInnen gibt es »schon Reibereien, dass man mal ein bisschen auf den Zahn gefühlt hat oder sonst irgendwie. Aber im großen und ganzen ist es halt sehr positiv aufgenommen worden und wäre das nicht, hätten wir auch (Frau F) keinen Arbeitsvertrag geben können, wenn das Team da nicht mitmacht.« Bei den MitarbeiterInnen kann Chefin F eine »Wandlung beobachten: Die sagten dann schon nach den ersten Monaten: Das hätte ich mir gar nicht so vorgestellt, mit einer behinderten Person so eng zusammenzuarbeiten, und ich achte heute in meinem Alltag auch schon ganz anders auf behinderte Menschen.« Frau F hat ständig Kontakt mit Gästen, aber ihre Chefin kann keine Aussagen über Reaktionen der Gäste machen, »sie erleben diesen Mitarbeiter ja nur eine halbe Stunde ... , und ich denke, wenn ein Hotelgast merkt, dass das im Team kein Problem ist, dass jemand mit Behinderung dort tätig ist, ich meine, wenn man sieht, das ist ein Team und das ist da kein Problem, warum sollte sich da ein Gast dran stören, wenn man doch sieht, dass die Arbeit funktioniert.«
Zur Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz merkt Chefin F an, dass sie deren Arbeit sehr wichtig findet. Den Kontakt zu einem der Akquisiteure bewertet sie mit 85 bis 90 Prozent Zufriedenheit, besonders die Hilfe »in Bezug auf Finanzierung, Formulare ausfüllen und so weiter, weil das nimmt ja doch sehr viel Zeit in Anspruch.« Die Begleitung von Frau F durch die ArbeitsassistentInnen bildet für Chefin F vor allem zu Beginn eine Grundvoraussetzung, um zu trainieren, zu üben, »und da ist diese Begleitung ganz ganz wichtig und das muss gut funktionieren.« Sie hebt hervor, dass das Hotelpersonal nicht pädagogisch ausgebildet ist; sie »können gerne fachliche Kompetenzen vermitteln und diese Möglichkeiten bieten, aber alles, was pädagogisch, psychologisch damit zu tun hat ... , da will ich also auf keinen Fall, dass wir da irgendwas mit zu tun haben. Wir sind da nicht ausgebildet und haben da auch keine Zeit für. Das geht nicht. Wir können nicht noch zusätzliche Arbeit uns aufhalsen.« Ganz wichtig findet sie, dass zwischen den ArbeitsassistentInnen und der unterstützten Arbeitnehmerin »Sympathie« ist, sonst »wird da nichts vermittelt, das ist ganz klar.«
Die Arbeit der ArbeitsassistentInnen bewertet Chefin F mit 75 bis 80%; hundert Prozent findet sie immer schwierig, denn »da ist sicherlich eine Steigerung möglich.« Als wichtigste Leistung bezeichnet sie die kompetente und gute Hilfestellung der Hamburger Arbeitsassistenz und wünscht sich von dieser »nichts« zusätzlich.
Finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung spielen für Chefin F die »größte« Rolle. Sie macht deutlich, dass sie für die Einstellung eines Mitarbeiters das Budget haben muss. »Und warum sollte ich einen behinderten Mitarbeiter einstellen, der nicht die volle Arbeitsleistung im Gegensatz zu einer Fachkraft oder einer anzulernenden Kraft bringt? Flexibilität, ... . Wo liegt da der Vorteil drin? Und der kann einfach nur dann sein, wenn ich diesen Mitarbeiter bekomme, ohne dass ich was dafür zu zahlen habe in der ersten Zeit.« Es ist ihrer Meinung nach ganz wichtig, dass die ersten Jahre mitfinanziert werden, »und wenn (Frau F) sich in der Zeit mit ihren Eigenschaften als sehr gut bewährt hat oder gut - was würde dagegen sprechen, sie nicht dann aus eigener Tasche zu finanzieren? Nur diese Zeit braucht man auch, um zu sehen, ob es hinhaut.« Die fünf Tage Mehrurlaub machen für Chefin F »auf deutsch gesagt den Kohl auch nicht fett, im Hotel hat man sowieso wenig Urlaubsanspruch.«
Den besonderen Kündigungsschutz bewertet Chefin F als durchaus schwierig: Einerseits ist sie der Meinung, dass es »schon sinnvoll ist, dass jemand, der beeinträchtigt ist, anders geschützt werden muss, denn wenn personelle Wechsel in den Unternehmen sind und da kommt jemand, der da nichts mit anfangen kann oder vielleicht mal schlechte Erfahrungen gemacht hat und räumt dann auf - das kann nicht sein.« Auf der anderen Seite kann es aber auch nötig sein, einer Kündigung zuzustimmen, »wenn wirklich konkrete Sachen vorliegen. ... Und wenn sich da mal jemand querstellt in der Hauptfürsorgestelle - also ich glaub', wenn man einmal als Unternehmen diese Erfahrung gemacht hat, dann ist die Tür für alle Zeit verschlossen für sämtliche Anfragen.« Mit ihrer früheren Mitarbeiterin Frau Y musste Chefin F diese Prozedur selbst bereits durchlaufen, »und das war nicht ganz unproblematisch.« In diesem Fall ist es aber für sie und ihr Unternehmen so ausgegangen, dass die Kündigung realisiert wurde.
Zur Ausgleichsabgabe macht Chefin F keine konkreten Aussagen, da die Löhne aus der Zentrale bezahlt werden, »und da werden auch die Behindertenabgaben dann errechnet.« Sie weist ihren Direktor darauf hin, kann aber keine Angabe dazu machen, »inwiefern das letztendlich doch von den Kosten her heruntergenommen wurde.« Chefin F kann sich gut vorstellen, dass viele Unternehmen nach der Devise handeln: »Damit ich halt keinen Stress oder sonst irgendwas habe, zahle ich vielleicht lieber das Geld und habe meine Ruhe.«
Die Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen von Chefin F wird darin deutlich, dass sie die Aussage eines Wirtschaftsverbandssprechers, nach der sie durch die Beschäftigung von Frau F ihrem Unternehmensimage schaden soll, nicht nachvollziehen kann. Im Gegenteil ist sie vielmehr der Meinung, »man könnte das werbe-technisch ausschlachten.« Chefin F hat vor, ihre unterstützten MitarbeiterInnen, die zwischenzeitlich in allen drei Hamburger Häusern tätig sind, vor ein Unternehmensschild zu stellen, ein Foto zu machen und einen Bericht dazu zu schreiben, um »darüber zu informieren, was läuft hier. Warum soll ich das auch nicht kundtun? ... Ne, es heißt ja immer, tue Gutes und tue es kund. ... Und ich denke, das könnte sehr viel bewirken.« In der Öffentlichkeit zu werben hält sie für »überfällig. Es passiert immer noch viel zu wenig. Die Gesellschaft geht da zwar schon viel offener mit um... . Das sehe ich ja heute auch erst, wo ich selber mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahre, mit einem Kinderwagen unterwegs bin, dass es Busse gibt, die Rollstuhlfahrer mitnehmen können. Das war ja vor ich weiß nicht wie langer Zeit noch nicht so möglich. Also, die Gesellschaft ist schon interessierter als vor ein paar Jahren, aber es gibt noch viel zu tun.«
Die Motive von Chefin F sind von der Überzeugung geleitet, dass es ganz wichtig ist, in der Gesellschaft »ein Feingefühl dafür zu entwickeln, dass behinderte Menschen im engeren Umfeld vorhanden sein können.« Und obwohl sie mit der Mitarbeiterin Y schlechte Erfahrungen gemacht hat, »haben wir gesagt: Okay, ein negatives Erlebnis heißt ja nun nicht, dass es grundsätzlich schlecht ist.«
Resümee von Chefin F
Chefin F macht deutlich, dass der wirtschaftliche Gesichtspunkt ganz wichtig ist; ein Unternehmen muss sich fragen: »Macht das Sinn, macht das keinen Sinn, welchen Vorteil hat das Hotel daraus? Ist ja klar, als Hotel muss ich da auch Vorteile draus haben«» Daher ist ein Finanzierungszuschuss über einen längeren Zeitraum enorm wichtig, um zu sehen, ob die Zusammenarbeit mit dem unterstützten Arbeitnehmer passt, wo es Schwierigkeiten gibt: »Wenn jemand kommt und sagt, ich habe hier einen behinderten Mitarbeiter, der muss aber von ihnen bezahlt werden, da kriegen sie keine Tür mit auf. Und von einem zwei- oder vierwöchigen Praktikum werde ich keine Erfahrungen sammeln mit solchen Menschen also, mit dem Menschen selber und mit dem, was da alles Drumherum damit zu tun hat.«
Bei einem Unternehmensforum hat die Hamburger Arbeitsassistenz darüber informiert, wie die Finanzierung in den Werkstätten für Behinderte aussieht, dass die Menschen mit Behinderungen dort »voll finanziert werden, so aber in den Unternehmen nicht. ... Das klafft schon ganz schön auseinander. Da haben wir von den Unternehmen schon gesagt, da muss sich mal was Schnelles tun, sonst wird sich diese ganze Geschichte gar nicht weiterentwickeln.« Chefin F ist der Meinung, dass kein Hotel selbständig auf eine Institution wie die Hamburger Arbeitsassistenz zugehen würde, »also, so würde ich das nicht machen. Also was für einen Vorteil habe ich als Unternehmen davon, auf die Institution zuzugehen. Das müsste eher dann anders rum sein.« Auch eine Begleitung während der Arbeit durch den Betrieb kann nach Chefin F nicht gewährleistet werden, dafür fehlt ihrer Meinung nach sowohl die pädagogische Ausbildung als auch die Zeit. Sie ist mit ihrer Entscheidung, ihre Mitarbeiterin Frau F eingestellt zu haben, hundertprozentig zufrieden, bezeichnet es aber als »personenabhängig«, denn schließlich hat es mit der Vorgängerin im Laufe der Zeit große Probleme gegeben.
Chefin F würde bei einer erneuten Entscheidung »das noch mal« und »gar nicht« anders machen. Als schwierig bezeichnet sie bei beruflicher Integration »die gesellschaftliche Akzeptanz, behinderte Menschen im engeren Umfeld zu haben.« Diese möchte sie durch ihre Arbeit verstärkt herstellen. Für sie persönlich sind die Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung »so prägnant, und das, finde ich eigentlich, sollte selbstverständlich sein, nur so kann man's dann auch lernen. Wenn ich diesen Umgang nie habe - woher soll ich das dann wissen? Und das fand ich schön.«
Bei dem Unternehmen G handelt es sich um einen ›Outdoor-Ausrüster‹ mit mehreren Zweigstellen in verschiedenen Städten. Das Interview findet im Verwaltungshauptsitz statt, Interviewpartner sind in der Geschäftsführung der Firma: Chef G1 ist einer von zwei Gründern und hat heute in der Public-Relations-Abteilung seinen Schwerpunkt, Chef G2 leitet die Personalabteilung. In diesem Unternehmen sind zwei ArbeitnehmerInnen beschäftigt, die im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung arbeiten. Die erste unterstützte Arbeitnehmerin, Frau G, kommt aus einer Werkstatt für Behinderte und ist schon länger in einem festen Arbeitsverhältnis beschäftigt. Der zweite Arbeitnehmer, Herr G, hat Integrationsklassen und ein BVJ-i durchlaufen, ist seit einem Jahr im Unternehmen G und hat mittlerweile auch einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Beide sind im Lager beschäftigt und werden beim Kommissionieren eingesetzt.
Ausgangspunkt für die Schilderung der Entstehung der Beschäftigungsverhältnisse und der gegenwärtigen Situation ist, so Chef G1, »dass ich jedes Jahr diese Zahlung machen muss für Nichtbesetzung der Pflichtplätze. Das waren, glaube ich, 200 Mark jeden Monat, und wenn ich drüber nachdenke, ich hatte selbst mal einen Unfall vor vielen Jahren, dass man auch mal zu den Gelähmten oder Behinderten gehören könnte. Das sind Leute, die geistig vollwertig sind, die wollen noch arbeiten. Nichts ist schlimmer, als wenn man zu Hause sitzt. Eigentlich jeder als normaler Mensch, der arbeiten möchte, der empfindet das als Demütigung, wenn er keine Arbeit hat. Ich kann mir vorstellen, dass ein Behinderter genauso denkt, der ist ja geistig voll da und ist nicht in der Gesellschaft integriert. Das müsste man mal ändern - und dann haben wir mal angefangen mit (Frau G), das war zufällig, dass (einer der beiden Leiter) kam von der Hamburger Arbeitsassistenz.« Weiter betont er, dass das Unternehmen auch öfter Menschen vom Arbeitsamt vermittelt bekommen hat, die nicht richtig lesen und schreiben können, oder Schulen anfragen, ob sie nicht dem einen oder anderen einen Praktikumsplatz einrichten können. Im Unternehmen sind auch immer wieder Jugendliche aus »sozial schwachen Familien.«
Frau G und Herr G arbeiten im Lager. Dort werden sie beim Kommissionieren eingesetzt, Frau G sucht Waren anhand von Artikel- und Lagerfachnummern heraus, über die Tätigkeiten von Herrn G wird nichts anderes erwähnt. Frau G ist zu Beginn für eine andere Tätigkeit vorgesehen, bei dieser hat sie aber zu große Schwierigkeiten, daher hat Chef G1 in Zusammenarbeit mit den KollegInnen eine neue Tätigkeit für sie gesucht, die Arbeit im Warenlager, »und das stiefelt sie dann runter.« Mit der Arbeit dieser beiden MitarbeiterInnen ist Chef G2 zwischen achtzig und hundert Prozent zufrieden. Entscheidend ist, dass sie »Lust haben zu arbeiten.« Schwierigkeiten gibt es bei Frau G am Anfang lediglich mit den Pausenzeiten: »Sie hat immer so viel Zeitdefizite, weil sie nicht einschätzen kann, wie viel Pausen sie hat. ... Jetzt gehen wir hin und sagen: ›Hier, du hast jetzt acht, sieben Stunden, nun komm mal in die Hufe und bau die mal ab.‹ Das ist besser, das ist reeller. Ihr hilft das und uns dann auch.« Probleme mit den KollegInnen benennen die beiden Chefs nicht explizit; Chef G2 dazu: »Da ist auch keiner in der Firma, der die beiden hänselt.« Und Chef G1 fügt hinzu: »Wir sind ja eine multi-kulturelle Gesellschaft hier in der Firma und haben ohnehin uns ständig damit auseinander zusetzen, Leute zu integrieren. ... Zum Beispiel ist der Stellvertreter von (Chef G2) in der Personalabteilung ein Afghane, der hat hier bei uns im Lager angefangen, und dann nach einigen Monaten hat er eine kaufmännische Lehre begonnen, macht jetzt sein Abitur in Abendkursen nach.« Wenn es mal Reibereien gibt, dann ist nach Chef G2 dafür eher verantwortlich, dass jemand an der falschen Stelle arbeitet und nicht die Person selber, »und (Herr G) und (Frau G) sind eben pflegeleicht.«
Bezüglich der Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz hebt Chef G1 hervor, dass die Zusammenarbeit mit ihr für ihn besonders zu Beginn sehr wichtig ist, um die Tätigkeiten abzugrenzen. Auch die Vorbereitungen durch die Akquisiteure findet er gut, an der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz insgesamt »gibt es überhaupt keine Mängel.« Die wichtigste Leistung besteht für Chef G2 in der Betreuung durch die ArbeitsassistentInnen, und er wünscht sich nichts weiter: »Es ist alles so gelaufen ... - besser kann man es nicht machen.«
Was finanzielle und gesetzliche Aspekte der Beschäftigung angeht, so meint Chef G2, in dieser Firma denke man über Lohnkostenzuschüsse »nicht so richtig nach. ... Das haben wir nie gemacht, dass wir jetzt einen Vorteil haben.« Er macht deutlich, dass die Firma auf die Förderung eigentlich auch verzichten könnte, aber eine gewisse Sicherheit stellen die Zuschüsse doch dar, denn »man weiß ja nie, was man dann wirklich bekommt. Das war vielleicht ganz in Ordnung, dass man erst einmal sagt, man nimmt die Förderung dann erst mal mit und so weiter. ... Aber darüber haben wir nie nachgedacht.« Chef G2 ist der Meinung, dass die meisten Firmen »das davon abhängig machen.« Er würde sogar so weit gehen, dass man, wenn man den Arbeitnehmer nicht übernimmt, »die Förderung dann zurückzahlen sollte. ... Oder einen Teil davon, damit die nicht von vornherein erst einmal kassieren, um das nur auszunützen.« Auch über die Sonderregelungen wie besonderen Kündigungsschutz und Mehrurlaub als Einstellungshindernisse haben die Chefs G nach eigenen Angaben nie nachgedacht.
Ihrer Position zur gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen entsprechend sind beide Chefs eher empört über die Aussage des Wirtschaftsverbandssprechers, dass sie mit ihren unterstützten ArbeitnehmerInnen ihrem Image schaden sollen. Chef G2 bezeichnet ihn als »rückständig« und Chef G1 ergänzt: »Das ist ja in keiner Weise image-schädigend, man muss solche Leute individuell einsetzen.«
Über eine Werbekampagne mit Menschen mit Behinderungen haben beide noch nicht nachgedacht, ihre Models sollen vor allem authentisch wirken: »Claudia Schiffer mit unseren Rucksäcken, das wäre vielleicht auf der ersten Seite, würde aber nichts bewirken, weil man ihr das nicht abnimmt.« Was Chef G1 sich gut vorstellen könnte, wäre, »wenn irgendeiner tatsächlich mit einem Behinderten loszieht, meinetwegen eine Tour durch Schweden macht, dass man da eine Fotostrecke macht. So was kann ich mir sehr sehr gut vorstellen.« Menschen mit Down-Syndrom beispielsweise in der Werbung einzusetzen, hat für ihn »zwei Seiten: Auf der einen Seite ist es schick, sich damit zu schmücken unter Umständen, die können ja prächtig ›funktionieren‹, einfach weil manche Typen ja ganz witzig sind, und auf der anderen Seite könnte das auch so ein bisschen anbiedernd aussehen, wenn man das machen würde.« Was das Verhältnis zu Menschen mit Behinderungen betrifft, findet Chef G2 »unsere Gesellschaft krank. ... Und weil unsere Gesellschaft so rückständig ist, ... man verschließt sich diesen Dingen, die gehören zu uns.«
Was ihre Motive angeht, machen beide Chefs deutlich, dass sie sich um die Beschäftigung von verschiedenen Menschen bemühen. Von beiden wird auch hervorgehoben, dass man selbst einmal von Behinderung betroffen sein könnte. Chef G2 beschreibt seine eigenen Erfahrungen nach einem Unfall: »Ich war ja nicht weit davon weg. Ich habe ja auch wieder das Sprechen lernen müssen, das Laufen lernen müssen und all solche Sachen. ... Das sind solche Sachen, da hat man die Nähe dazu, als wenn du dir gar nicht vorstellen kannst, dass auch einer mal nicht so normal ist.« Er meint, dass man dann ein ganz anderes Gespür dafür entwickelt, »wenn jemand in so einer Situation ist.« Und Chef G1 fügt hinzu, dass sich jeder Gedanken machen sollte, »wie leicht es ist, dass man in eine solche Situation kommen kann, durch Verkehrsunfälle oder wenn man auf Reisen ist.« So stellt es für beide eine »soziale Verpflichtung dar, solche Leute ... auch zu integrieren.«
Resümee von den Chefs G
Während des Interviews wird deutlich, dass beide Interviewpartner ein großes soziales Engagement zeigen, sicherlich forciert durch die persönlichen Erfahrungen. Beide vertreten gleichzeitig die Meinung, dass solche Beschäftigungsverhältnisse auch an qualitative Grenzen stoßen: »Wenn ich (Chef G1) mir vorstelle, dass wir jetzt sieben, acht oder sogar neun Pflichtplätze besetzen müssten und würden das mit sieben, acht oder neun Leuten machen - weiß nicht, ob das für einen Betrieb tragbar wäre. ... Obwohl wir 300 Leute sind - das würde nachher auf niedrige Tätigkeiten rauslaufen, wie nur Kataloge kleben.«
Sie betonen auch die Prämissen ihrer Personalpolitik: In ihrer Firma bekommt jeder eine Chance zu beweisen, was er kann, ohne dass auf schulische Abschlüsse geachtet wird. Wichtig ist ihnen eine gute Zusammenarbeit der KollegInnen untereinander. Stehen Neueinstellungen auf dem Plan, dann geht derjenige in die vorgesehene Abteilung, »und letztendlich entscheidet die Abteilung, die Leute, die dort arbeiten und sagen, den können wir gebrauchen oder nicht gebrauchen.« Entscheidend sind Loyalität und Engagement der MitarbeiterInnen, es gibt auch einen Preis für den, der »am fleißigsten gearbeitet hat« Beiden ist ein guter Umgang »im menschlichen Bereich« wichtig, sie bemühen sich immer, »die Leute gut zu motivieren und dass sich alle bewusst sind, dass wir an einem Strang ziehen. Wenn es der Firma gut geht, ...«
Die beiden Chefs G haben, wenn sie an Menschen mit Behinderungen denken, zunächst vor allem Menschen im Rollstuhl vor Augen, die, wie Chef G2 meint, »geistig voll da sind. ... Wir haben auch bei uns im Laden viele Kunden, die im Rollstuhl sitzen, die einfach die Fleece-Sachen zu schätzen wissen oder Schlafsäcke, Fußsäcke kaufen oder so. Ich glaube, unsere Kollegen können auch recht gut damit umgehen.« Zudem vergibt Unternehmen G, wie Chef G1 erzählt, »einmal im Jahr den Preis ›Globetrotter des Jahres‹, den hatten wir vor fünf Jahren an (XY) vergeben. ... Er fuhr mit dem Rollstuhl und sein Bruder mit dem Fahrrad nebenher durch Syrien. Aber das ist auch so ein fantastischer Typ, er weiß, wie Gesunde darüber denken, und kann das genau einschätzen, und alle Fragen, die irgendwie im Raum stehen, die liest er denen von den Lippen ab.« Gleichwohl schätzen sie auch die Fähigkeiten ihrer beiden MitarbeiterInnen, Frau G und Herr G: »Daraus sehe ich ja, dass die Tätigkeit auch Leute machen können, die eben nicht so viel drauf haben, geistig und so weiter. Der eine hat vielleicht geistig nicht so viel drauf, aber bringt tolle Arbeit, und den kann man besser integrieren als jemanden, der vielleicht viel mehr drauf hat, aber nichts leistet.« Als belastend empfindet Chef G2 die »Einarbeitungszeit und die ganzen Formalitäten.« Bereichernd findet er dagegen, »dass man über andere Menschen auch mal nachdenkt.« Beim nächsten Mal würde er deshalb »nichts anders machen.«
Obwohl sich die sieben Unternehmen sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch der Branche, in der sie tätig sind, unterscheiden, ergeben sich bei der Auswertung der Interviews eine Reihe von Übereinstimmungen. Daneben lassen sich jedoch auch einige Differenzen in den Aussagen der befragten Vorgesetzten feststellen. Im folgenden werden diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede systematisch erfasst und einander gegenübergestellt. Abschließend wird ein knappes Schlussfazit gezogen.
Im Blick auf die Entstehung der unterstützten Beschäftigungsverhältnisse ist festzuhalten, dass alle Beschäftigungsverhältnisse durch die Hamburger Arbeitsassistenz zustande gekommen sind. Sechs der sieben befragten Unternehmen werden durch Akquisiteure der Hamburger Arbeitsassistenz angefragt, nur Chefin A wendet sich von sich aus an die Arbeitsassistenz. Fünf der sieben Vorgesetzten geben an, dass sie von sich aus weder auf die Idee gekommen wären, ArbeitnehmerInnen mit Behinderung gezielt zu suchen und einzustellen, noch sich an die Hamburger Arbeitsassistenz oder einen vergleichbaren Dienst gewandt hätten. Dieser Sachverhalt zeigt deutlich die zentrale Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz bei der Initiierung von unterstützten Beschäftigungsverhältnissen.
Was die gegenwärtige Situation angeht, so verfügen die unterstützten ArbeitnehmerInnen in fünf Unternehmen bereits über feste Arbeitsverträge, in einem weiteren besteht ein Vertrag mit Probezeit und in einem Unternehmen befindet sich der unterstützte Mitarbeiter nach dem Abbruch seines Arbeitsverhältnisses in einem anderen Betrieb im Integrationspraktikum; die beiden letztgenannten haben jedoch Aussichten auf eine Übernahme in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis.
Insgesamt erfolgt der Einstieg in die unterstützte Beschäftigung durch eine ausführliche Einarbeitungs- und Probephase. Dieser Zeitraum wird von allen Vorgesetzten als eminent wichtig bewertet, da nur so eine ausreichende Einschätzung der Leistungsfähigkeit der ArbeitnehmerInnen mit Behinderung möglich ist. Die Befragten messen dieser Anfangsphase auch deshalb eine große Bedeutung bei, da es für die meisten von ihnen (fünf von sieben) der erste engere Kontakt zu Menschen mit Behinderungen ist, sie daher kaum Erfahrungen haben, auf die sie zurückgreifen können. So ist es eine völlig neue Erfahrung für Chef E, wie ungewöhnlich herzlich sich seine Mitarbeiterin ihm gegenüber verhält - was ihn zunächst irritiert, später jedoch freut. Anfänglich bestehende Hemmnisse und Barrieren im Verhalten gegenüber und im Umgang mit Menschen mit Behinderungen lösen sich weitgehend in der praktischen Erfahrung auf. Chef B äußert, er könne mit seinem unterstützten Mitarbeiter ebenso umgehen wie mit allen anderen MitarbeiterInnen seines Betriebes auch - hier wird nach anfänglicher Unklarheit die Entdeckung von Gemeinsamkeit und Gleichheit deutlich, die jedoch später wieder in Unsicherheiten gerät.
Von den sieben Vorgesetzten sind sechs mit der Arbeit ihrer unterstützten ArbeitnehmerInnen sehr zufrieden, sehen jedoch den aktuellen Stand als noch ausbaufähig an und trauen ihre MitarbeiterInnen zu, dass sie im Hinblick auf ihre Tätigkeit lern- und entwicklungsfähig sind. Auftretende Probleme bezeichnen diese Befragten als eher gering und lösbar. Lediglich ein Vorgesetzter (Chef B) ist mit der Leistung seines Mitarbeiters nicht zufrieden, vor allem Motivationsprobleme des unterstützten Arbeitnehmers und seine dementsprechend schwankende Arbeitshaltung bilden für ihn ein Problem. Von daher ist zu diesem Zeitpunkt unsicher, ob er nach Ablauf der Probezeit einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen wird. Auch in der Identifikation mit den Eltern bemüht sich Chef B, gleichwohl ist er ebenso wie die ArbeitsassistentInnen vor Ort unsicher, wie weit sich sein Mitarbeiter in Haltung und Leistung wird stabilisieren können, so dass er dessen Arbeitsplatz auch längerfristig sichern kann.
Ganz überwiegend werden die MitarbeiterInnen jedoch als stark motiviert beschrieben, sie haben Spaß und auch den nötigen Ehrgeiz an ihrem Arbeitsplatz in hohem Maße entwickelt - bis dahin, dass Chef E berichtet, seine Mitarbeiterin brauche im Unterschied zu manchen anderen MitarbeiterInnen einen Arbeitsauftrag, der sie voll fordere. Fünf Vorgesetzte betonen darüber hinaus auch die Zuverlässigkeit ihrer MitarbeiterInnen: Sie gehen gewissenhaft und sehr genau ihren Tätigkeiten nach. Aus dem Kollegenkreis werden keine besonderen Probleme berichtet, die explizit auf die Behinderung der ArbeitnehmerInnen zurückzuführen wären - Unsicherheiten bestehen hier lediglich bei Chef B. Von den Vorgesetzten werden die üblichen menschlichen Prozesse von Zu- und Abneigung beschrieben, wie sie in jeder Gruppierung auftreten.
Einige Vorgesetzte heben eine positive Entwicklung hin zu mehr Sensibilität und Rücksichtnahme innerhalb der Belegschaft hervor - dies kann als Zeichen für eine Verbesserung des Betriebsklimas genommen werden. Entstehen aufgrund der Tätigkeiten der unterstützten ArbeitnehmerInnen Kontakte zu KundInnen, so bemerken die Vorgesetzten hierbei keine ablehnenden Haltungen. Im Gegenteil berichtet Chef E, es hätten sich im Zuge der Beschäftigung seiner unterstützten Mitarbeiterin vermehrt Kontakte entwickelt, ein Abbau von Distanz zwischen Bediensteten und KundInnen sei festzustellen, und zudem sei der Umsatz an ihrem Kiosk stabil.
Die Rolle der Hamburger Arbeitsassistenz wird nicht nur auf die Initiierung der unterstützen Beschäftigungsverhältnisse beschränkt gesehen, sondern erstreckt sich entsprechend dem Konzept der Unterstützten Beschäftigung auch auf die Einarbeitung und Begleitung der unterstützten ArbeitnehmerInnen im Betrieb.
Alle sieben Vorgesetzten bewerten die Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz als sehr professionell. Alle beschreiben die Begleitung der ArbeitnehmerInnen mit Behinderung vor Ort im Betrieb durch ArbeitsassistentInnen als unentbehrlich, da eine solche Begleitung durch die Vorgesetzten oder andere MitarbeiterInnen weder zeitlich noch fachlich zu leisten wäre.
Als Aufgaben der Hamburger Arbeitsassistenz im allgemeinen und der ArbeitsassistentInnen im besonderen werden genannt: die Vorbereitung der Zusammenarbeit durch eine Arbeitsplatzanalyse und die Auswahl eines geeigneten Arbeitnehmers sowie bürokratische Hilfestellungen. Zudem sind insbesondere die ArbeitsassistentInnen im Betrieb notwendige BegleiterInnen, die die ArbeitnehmerInnen mit Behinderung, ihre Fähigkeiten und Verhaltensweisen genau kennen, um so in Kooperation mit den Vorgesetzten und KollegInnen Tätigkeitsbereiche und Arbeitsfelder zu definieren, den ArbeitnehmerInnen jeweils eigene, begrenzt selbstverantwortete Arbeitsbereiche zuzuweisen und sie mit ihnen gemeinsam zu realisieren. Alle befragten Vorgesetzten erfahren die ArbeitsassistentInnen als kompetente und engagierte Hilfestellung, die wichtige und den Arbeitsablauf verbessernde Impulse geben. Insgesamt ist man mit der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz sehr zufrieden - was kein überraschendes Ergebnis ist angesichts der Auswahlkriterien für die GesprächspartnerInnen.
Finanzielle Aspekte spielen bei der Begründung der unterstützten Beschäftigungsverhältnisse für alle Befragten eine zentrale Rolle. Sie mindern das Risiko der Anstellung von ArbeitnehmerInnen mit Behinderung vor allem in der Anfangszeit erheblich. Alle Vorgesetzten sehen als elementare Voraussetzung, dass sich die unterstützten Arbeitsverhältnisse wirtschaftlich rechnen sollen. Etwaige Minderleistungen müssen dabei durch Zuschüsse ausgeglichen oder durch Umstrukturierungen und die Arbeit der ArbeitsassistentInnen kompensiert werden. Drei Unternehmen heben deutlich hervor, dass mit der Einstellung eines unterstützten Arbeitnehmers auch der Wegfall oder bei größeren Unternehmen zumindest eine spürbare Senkung der zu leistenden Ausgleichsabgabe verbunden ist. Einige Vorgesetzte können aufgrund der Unternehmensstruktur (Einbindung in einen Konzern) diesbezüglich keine Aussagen treffen.
Als nachteilig wird die Tatsache bewertet, dass die Lohnkostenzuschüsse und Eingliederungshilfen zeitlich befristet sind, so dass sich nach Ablauf der Bezuschussung zwangsläufig die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der unterstützten Beschäftigungsverhältnisse stellt, auch wenn alle Arbeitgeber zum jetzigen Zeitpunkt ihre Absicht betonen, die Arbeitsplätze langfristig sichern zu wollen. Ähnlich wie auch Chefin A findet es Chefin F darüber hinaus unverständlich, weshalb MitarbeiterInnen in Werkstätten für Behinderte eine lebenslange Förderung ihres Beschäftigungsverhältnisses erfahren, die für unterstützte Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch auf maximal drei Jahre beschränkt wird.
Gesetzliche Aspekte für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, vor allem der besondere Kündigungsschutz sowie das Anrecht auf bezahlten Mehrurlaub, werden von allen Befragten wahrgenommen, jedoch stellen sie kein Hemmnis bei der Begründung eines unterstützten Beschäftigungsverhältnisses dar. Dies widerspricht den in Kap. 6.1 benannten Vorbehalten gegenüber der Einstellung behinderter ArbeitnehmerInnen sehr deutlich. Gleichwohl hat Chefin F auch problematische Erfahrungen bei der Auflösung eines unterstützten Beschäftigungsverhältnisses gemacht; durch die Hilfestellung der Hamburger Arbeitsassistenz kann in der Auseinandersetzung mit der Hauptfürsorgestelle jedoch vermittelt und sogar ein neues unterstütztes Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Eine solche Negativerfahrung mit behinderten ArbeitnehmerInnen kann, so Chefin F, im Extremfall auch zur völligen Verweigerung eines Unternehmens im Blick auf die Einrichtung unterstützter Beschäftigungsverhältnisse führen. Hinsichtlich der Situation kleinerer Unternehmen können einige Vorgesetzte eine gewisse Skepsis gegenüber dem besonderen Kündigungsschutz nachvollziehen, da sie die Gefahr eines Verlustgeschäftes sehen, sollte die Zusammenarbeit nicht den gewünschten Erfolg bringen. Demgegenüber steht die von den Vorgesetzten B und F geäußerte Überzeugung, dass es sich dabei eher um Ausflüchte handelt und bei nachvollziehbaren Gründen einer Kündigung immer zugestimmt würde.
Hinsichtlich der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen, zu der sie mit verschiedenen Aussagen zum Image-Schaden durch bzw. zur Werbewirksamkeit von Menschen mit Behinderungen konfrontiert werden, machen die Vorgesetzten eine Fülle unterschiedlicher Angaben, die jedoch weitgehend in die gleiche Richtung weisen.
Allen gemeinsam ist die ablehnende und empörte Reaktion auf die Aussage des Wirtschaftsverbandssprechers, die Beschäftigung behinderter Arbeitnehmer sei imageschädigend für ein Unternehmen. Die Reaktionen auf die Aussage fallen dabei zum Teil recht emotional aus, Schimpfwörter werden bemüht. Dies geschieht möglicherweise deshalb, weil die Befragten darin auch eine indirekte Infragestellung ihrer eigenen Personalentscheidung sehen. Die Vorgesetzten erfahren nach eigenen Angaben positive Reaktionen auf die Beschäftigung eines Arbeitnehmers mit Behinderung in ihrem Betrieb und fühlen sich dadurch in ihrer Entscheidung bestätigt.
Genauso unisono reagieren alle Befragten positiv auf die ihnen präsentierten Werbematerialien. Zwei Vorgesetzte halten eine Werbekampagne mit behinderten Arbeitnehmern auch für ihr Unternehmen für möglich. Ein Unternehmen hat bereits für die Integration von Menschen mit Behinderungen geworben, eins plant solche Aktivitäten.
Sechs der Befragten betonen, sie hielten es für überfällig, die Gesellschaft mit dem Thema Behinderung vermehrt zu konfrontieren. Es reiche jedoch nicht aus, ab und zu Plakataktionen zu starten; vielmehr gehe es um eine intensive Aufklärungsarbeit: Nicht Mitleid solle das Ziel solcher Aktionen sein, sondern die öffentliche Würdigung von ArbeitnehmerInnen mit Behinderungen als Persönlichkeiten mit individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten. Alle Befragten stellen fest, dass sie durch die Beschäftigung von unterstützten MitarbeiterInnen für die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderungen sensibilisiert worden sind.
Bei den Motiven zur Einstellung von unterstützten MitarbeiterInnen tauchen bei allen Vorgesetzten - in unterschiedlicher Gewichtung - wirtschaftliche und soziale Aspekte auf.
Zunächst stellen die Vorgesetzten durchweg fest, das unterstützte Beschäftigungsverhältnis müsse sich rechnen. Unterstützte Beschäftigung als Zuschussgeschäft hat keine Chance. Insbesondere wird auf zwei Aspekte eingegangen: Zum einen spielt in kleineren Betrieben die Ausgleichsabgabe eine gewisse Rolle, zum anderen wird betont, es sei entscheidend wichtig, dass das Unternehmen einen echten Nutzen durch die Wahrnehmung realer Aufgaben durch die unterstützten MitarbeiterInnen habe. Es gehe nicht um zusätzliche Beschäftigung, sondern um Entlastung für andere KollegInnen von bestimmten Aufgaben, die nun von den unterstützten MitarbeiterInnen wahrgenommen werden. Zudem sei der wirtschaftliche Aspekt im Hinblick auf eine langfristige Absicherung des Arbeitsverhältnisses wichtig.
Soziale Motive werden ebenfalls von allen Vorgesetzten genannt. Da tauchen verschiedene Facetten auf, vom eher emotionalen ›großen Herz‹ über das Bedürfnis, Menschen eine Chance zu geben, über die festgestellte Notwendigkeit, sich als großes Unternehmen sozial zu engagieren - aber nicht nur ab und zu für Zwecke der Werbung - oder das Engagement für gesellschaftliche Integration bis zu einer ausgesprochen sozial-integrativen Unternehmensphilosophie insgesamt, sei es im Hinblick auf eine sich ergänzende Vielfaltsgemeinschaft oder auf eine multikulturelle Situation mit vielen Menschen mit Schwierigkeiten, bei der die konkrete Leistung mehr zählt als schulische Abschlüsse und formale Berechtigungen. Diese Unternehmensphilosophie ist teilweise gepaart mit scharfer Kritik an gesellschaftlicher Aussonderung und den ihr entspringenden Institutionen wie der Werkstatt für Behinderte. Dies geht auch bis dahin, dass Chefin A sich verbandspolitisch für die Umwandlung von Zivildienststellen in unterstützte Beschäftigungsverhältnisse einsetzt.
Bei mehreren Vorgesetzten werden darüber hinaus auch biographische Anteile der Motivation deutlich, seien es eigene Erfahrungen nach einem Unfall, zum Teil dann im Rollstuhl, die therapeutisch arbeitende Schwester als Vorbild und die Erfahrung von schönen ›Behindertenreisen‹ oder die - eher als marginal bewertete - Zugehörigkeit der eigenen Tochter zu einem integrativen Kindergarten.
In den Resümees werden die selbst gesetzten Schwerpunkte der Aussagen der Vorgesetzten, aber auch ihre Stellungnahmen zu den Satzanfängen zusammengefasst.
Charakteristisch ist bei den selbst gesetzten Schwerpunkten, dass alle Vorgesetzte wiederum die gleiche Kombination von Leistungsaspekt und Gesellschaftsaspekt ansprechen. Bei der Leistung werden Dinge genannt wie reelle Aufgaben für eine konkrete Person statt Mildtätigkeit, die Passung mit dem Team bzw. dem Betrieb ist entscheidend, es muss ökonomisch Sinn machen, Leistung entscheidet statt erworbener Abschlüsse. Diesen Leistungsaspekt kann man als grundlegenden Basisaspekt sehen, ohne den es nicht geht. Alle Vorgesetzten sprechen jedoch von sich aus auch den Gesellschaftsaspekt an und nennen Dinge wie die Auseinandersetzung mit Integration als Chance für persönliches Wachstum, eigene biographische Erfahrungen, das Dazulernen in der Kooperation mit einem Kollegen mit Behinderung, den Auftrag zum Einreißen von Barrieren (das Thema muss in die Wirtschaft integriert und nicht Hobbythek und Zivis überlassen werden), Integration weiter anschieben - auch unter dem Aspekt der disparitätischen Förderung bei Arbeitsassistenz und Werkstatt für Behinderte. In diesen Äußerungen wird ein hohes Maß von gesellschaftlichem Engagement deutlich.
Ebenso wird dieses in den Ergänzungen der Satzanfänge deutlich. So wird bei den Belastungen durch berufliche Integration Konkretes genannt (Formalienaufwand, Einarbeitung, immer wieder von vorn beginnen u.ä.), aber auch Gesellschaftliches (erst mal das Neue und Fremde, geringe gesellschaftliche Akzeptanz) - und einige Vorgesetzte sehen nichts Belastendes. Stärker noch wird das gesellschaftsbezogene und soziale Denken bei der Frage nach bereichernden Momenten betont, die von allen bejaht werden: Hier kommen Aspekte auf der persönlichen Ebene (schönes Gefühl, Nachdenken über andere Menschen, Reflexion über Andere) und auf der gesellschaftlichen Ebene zur Sprache (mehr Selbstverständlichkeit, behinderte Menschen im Umfeld zu haben, Vielfalt menschlichen Lebens, Bewusstsein, dass nicht alle perfekt blond und blauäugig sind). Alle Vorgesetzten schließlich würden bei einem nächsten Mal wieder eine unterstützte Person einstellen, eine Vorgesetzte lieber zwei, einer würde sich selbst besser vorbereiten und zwei betonen zudem, sie würden nichts anders machen.
Abschließend können die wesentlichen Ergebnisse der Befragung von Vorgesetzten in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes als Fazit zusammengefasst werden:
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Die befragten Vorgesetzten äußern, dass die Betriebe auf offensive Akquisition von Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen durch entsprechende Fachdienste angewiesen sind. Kaum ein Betrieb wird von sich aus aktiv und sucht nach MitarbeiterInnen mit Behinderungen.
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In der Einarbeitungszeit brauchen die Betriebe konkrete Unterstützung durch ArbeitsassistentInnen, die eine Passung zwischen den Möglichkeiten des Betriebes und den Fähigkeiten der unterstützten Person herbeizuführen helfen und dazu auch Veränderungen betrieblicher Abläufe anregen.
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Bei ihren unterstützten MitarbeiterInnen nehmen sie vor allem deren hohe Motivation, Identifikation mit dem Arbeitsplatz und ihre Zuverlässigkeit als sehr positiv wahr.
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Bei der Mitarbeiterschaft insgesamt sehen die befragten Vorgesetzten keine spezifischen Abgrenzungstendenzen, einige beobachten vielmehr bei ihren MitarbeiterInnen und sich selbst verstärkte Reflexion und Rücksichtnahme und konstatieren somit eine Verbesserung des Betriebsklimas.
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Grundlage für die berufliche Integration in den Betrieben ist, dass sie sich rechnet - und das tut sie weitgehend, zunächst durch die zeitlich befristeten Zuschüsse, teilweise auch durch den Wegfall oder die Reduzierung der Ausgleichsabgabe. Kritisch und als befremdlich nehmen sie den Unterschied in der Subventionierungsdauer bei Arbeitsassistenz und Werkstatt für Behinderte wahr.
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Verbesserter Kündigungsschutz und Mehrurlaub spielen für die Befragten im Gegensatz zur öffentlichen Meinung keine große Rolle. Bevor eine Firma Schaden erleidet, wird sie im Einvernehmen mit der Hauptfürsorgestelle einem Mitarbeiter mit Behinderung kündigen können.
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Berufliche Integration durch unterstützte Beschäftigungsverhältnisse hat für die Befragten auch einen deutlich gesellschaftlichen Aspekt. Die Einstellung von Menschen mit Behinderungen verbinden sie nicht mit einem drohenden Imageverlust der Firma, vielmehr können sie sich gut vorstellen, offensiv in die Öffentlichkeit zu gehen - oder sie tun es bereits. Zur Verbesserung der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit Behinderungen wollen sie beitragen, indem sie ihnen durch Arbeit in ihrem Betrieb gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und zugleich für KollegInnen und KundInnen Begegnungen und Beziehungen mit den unterstützten MitarbeiterInnen initiieren. So wird gleichzeitig gesellschaftliches Bewusstsein und gesellschaftliche Realität verändert.
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Die Motivation zur beruflichen Integration in ihren Betrieben wird denn auch durch zwei Facetten bestimmt: den Leistungs- und den Gesellschaftsaspekt. Beide werden je nach Situation der Firma unterschiedlich gewichtet. Auch werden biographische Anteile thematisiert.
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Mit ihren Aussagen widerlegen die Vorgesetzten die in Literatur und Öffentlichkeit vertretenen Hindernisse, Schwierigkeiten und Probleme, mit denen Unterstützte Beschäftigung für dysfunktional, exotisch und unrealistisch erklärt wird. Vielmehr bestätigen sie die in der Fachliteratur vertretenen Argumente für die Realisierung unterstützter Beschäftigung auf ganzer Linie - und das für einen Personenkreis, dem deutliche kognitive Einschränkungen, d.h. Lern- und geistige Behinderungen zugeschrieben werden.
Inhaltsverzeichnis
Mit den BerufsberaterInnen für den Rehabilitationsbereich wird die Gruppe in die Evaluation einbezogen, die als MitarbeiterInnen des Arbeitsamtes die zuweisende und finanzierende Stelle für das Ambulante Arbeitstraining sind. Ihnen kommt insofern eine Schlüsselstellung zu, als sie über die Personen entscheiden, die in das Ambulante Arbeitstraining aufgenommen werden können, und darüber, welche Personen nicht dorthin kommen, sondern in das Arbeitstraining der Werkstatt für Behinderte oder andere Rehabilitationsmaßnahmen eintreten.
Insgesamt zählen zu den Aufgaben der Berufsberatung des Arbeitsamtes die Berufsorientierung, die Unterstützung bei der Berufswahl, die Vermittlung in Ausbildungsstellen und die Förderung der beruflichen Erstausbildung und der beruflichen Rehabilitation (vgl. BA 1997, 93). Dabei betreffen die Berufsorientierung und die berufliche Beratung Jugendliche und Erwachsene, die entweder vor Eintritt in Ausbildung und Beruf oder während ihres Berufslebens mit Berufswahlentscheidungen konfrontiert sind. Personell gliedert sich die Berufsberatung in:
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BerufsberaterInnen für SchulabgängerInnen der Sekundarstufe I an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen,
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BerufsberaterInnen für Behinderte (I), die für die Berufsberatung, Berufswahl und berufliche Ersteingliederung behinderter SchulabgängerInnen aus dem Sekundarbereich I (Sonder- und allgemeinen Schulen) zuständig sind,
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BerufsberaterInnen für AbiturientInnen und HochschülerInnen, die zum Teil auch solche mit Behinderungen betreuen (BerufsberaterInnen für Behinderte II) (vgl. ebd.).
Die Berufsberatung stellt folgende Angebote und Leistungen zur Verfügung:
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Berufsorientierung umfasst Schulbesprechungen, Medien- und Seminarangebote, individuelle Betriebskontakte und Berufserkundungen, Eltern- und Vortragsveranstaltungen (vgl. hierzu BA 1997).
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Individuelle Beratung und Vermittlung schließt eine umfassende persönliche Beratung der Ratsuchenden nach Vereinbarung und die Ausbildungsvermittlung ein. Hierzu finden Sprechstunden in der Schule und im Arbeitsamt statt (vgl. ebd.).
Die Reha-Berufsberatung des Arbeitsamtes ist für Behinderte, Gleichgestellte und Benachteiligte zuständig (vgl. die juristische Definition in Kap. 1.1). Für diesen genannten Personenkreis bietet die Berufsberatung in der Zuständigkeit der BerufsberaterInnen für Behinderte (I) neben den bereits erwähnten Leistungen und Angeboten der Berufsberatung zusätzlich berufsfördernde Maßnahmen an. Dieses umfasst Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB), ausbildungsbegleitende Hilfen (abH), die Förderung der Berufsausbildung (im dualen System) im Rahmen der beruflichen Rehabilitation, Berufsausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen (BüE) und gewährleistet eine nachgehende Betreuung (vgl. Kap. 1.1.1 sowie BA 1997).
Am Beratungsverfahren werden ergänzend drei Fachdienstabteilungen des Arbeitsamtes beteiligt, sofern gutachterlicher Bedarf besteht: der technische, der medizinische und der psychologische Fachdienst. Sie tragen zur Klärung bei, ob die Person zur entsprechenden Gruppe gehört, wozu sie fähig ist und welche Notwendigkeiten der Unterstützung bei ihr bestehen (vgl. BA 1997). Zwar sind die Untersuchungen beim medizinischen und psychologischen Dienst freiwillig, sie bilden jedoch die Voraussetzung für die Zuweisung zu berufsfördernden Maßnahmen (vgl. BA 1997, 47 und 293).
Um diesen Personenkreis unterstützen zu können, muss also zunächst vom medizinischen und psychologischen Dienst die Zugehörigkeit der einzelnen Personen zu ihm festgestellt werden. Hier stellt sich die Frage nach dem Behinderungsbegriff, dessen ambivalenter Doppelcharakter, Menschen einerseits zu stigmatisieren und somit zu benachteiligen und sie andererseits zu bevorteilen (vgl. BLEIDICK 1999, 84), bei amtlichen Verfahren der Diagnostik deutlich wird. Gerade dort orientiert man sich nach wie vor stark am personorientierten Modell von Behinderung, das sie vor allem in der Orientierung an Defiziten als persönliche, medizinisch und/oder psychologisch begründete Kategorie versteht und soziale, gesellschaftliche und ökologische Aspekte weitgehend ausblendet (vgl. SANDER 1999).
Dementsprechend erfolgt auch die Berufsberatung für junge Menschen mit Behinderung in einem Zusammenhang, der unter einem zentralen Dilemma steht: Die Berufsberatung hat einerseits den institutionellen Auftrag, Personen mit besonderem Bedarf entsprechend vorhandenen unterschiedlichen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zuzuweisen. Dazu bedarf es auch hier bestimmter Kategorien und Kriterien, nach denen entschieden werden kann, welche Maßnahme für die betreffende Person die richtige und angemessene ist.
Andererseits hat Beratung gemäß den ›Maximen einer Beratungstheorie‹ (vgl. ALTERHOFF 1994, 19ff.) den Auftrag, den Ratsuchenden auf der Basis der Freiwilligkeit und auf der Grundlage einer Vertrauensbeziehung orientierende und lediglich Entscheidungen vorbereitende Hinweise zu geben (vgl. MÜNDER 1991, 13) und gemeinsam Möglichkeiten zu überlegen, so dass die Ratsuchenden ohne ein massives Machtgefälle zwischen BeraterInnen und ihnen bei offen bleibendem Beratungsziel und Handlungsspielraum entscheiden können, wie ihr Weg weitergehen soll (vgl. ALTERHOFF 1994, 19). Berufsberatung - die aufgrund institutioneller Vorgaben keine Chance hat, den Maximen des Beratungsauftrags gerecht zu werden - steht im Bereich der Rehabilitation unter der Notwendigkeit, individuell für jeweils einzelne Personen abzuwägen, was für sie sinnvolle Schritte sein könnten. Dies kann nicht ohne die maßgebliche Einbeziehung von deren persönlichen Interessen und Neigungen - und denen ihres Umfeldes, in erster Linie denen der Eltern - erfolgen.
Mit diesem unauflösbaren Dilemma, einerseits institutionsbezogen und kategorial und andererseits individuumsbezogen und nonkategorial denken und handeln zu müssen, müssen die einzelnen BerufsberaterInnen umgehen und ihre jeweiligen Gewichtungen finden - und dies dürfte in individuell unterschiedlicher Art und Weise geschehen.
Diese Befragung bewegt sich also in einem komplexen und schwierigen Terrain. Hinzu kommt, dass die Berufsberatung für junge Leute mit Behinderung zumindest in einer Phase Anfang der 90er Jahre, als die Elternbewegung für Integration sich neu mit der Fortsetzung schulischer Integration im Bereich der Arbeitswelt auseinanderzusetzen hatte, Gegenstand höchst kontroverser Betrachtungen und Meinungen war. Die Schärfe der damaligen Auseinandersetzungen wird anhand einer Broschüre der LAG Eltern für Integration deutlich, die einen Text enthält mit dem Titel: »Was kommt nach der Schule?« In diesem Text, der vom Anfang der 90er Jahre stammt und wegen seiner Kompromisslosigkeit auch innerhalb der Elternbewegung Gegenstand kontroverser Diskussionen war, heißt es zur Rolle der Berufsberatung (SCHULTHEISS 1997, 101): »Viele Eltern ... klagen darüber, dass die Gespräche im Grunde auf eine Einstimmung auf die Werkstatt für Behinderte hinauslaufen. Suchten Jugendliche und ihre Eltern jedoch nach einer Perspektive außerhalb der Werkstatt, so blieben sie ohne qualifizierte berufliche Beratung. Als Eltern wurde ihnen dann erst einmal klarzumachen versucht, dass sie weder ihr Kind noch die Situation realistisch einschätzen könnten.« Weiter werden die diagnostischen Verfahren des psychologischen Dienstes, insbesondere die verwendeten Tests, scharf kritisiert: »Diese Tests sind noch weniger als die üblichen Schultests geeignet, die Fähigkeiten und Möglichkeiten eines behinderten Jugendlichen zu erfassen. Sie stellen lediglich eine Möglichkeit dar, die behinderten Schulabgänger in zwei Gruppen einzuteilen: Die ›Schlechten‹ in die WfB, die ›Guten‹ in die berufliche Rehabilitation« (ebd.). Als Konsequenz wird Eltern geraten:
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»Gehen Sie zur Berufsberatung möglichst nur mit einem dritten Beteiligten, z.B. mit einem engagierten Lehrer/einer engagierten Lehrerin aus ihrer Schule.
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Lehnen Sie den Test erst einmal ab und erarbeiten Sie gemeinsam alternative Möglichkeiten (s.a. nächsten Abschnitt).
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Falls der Test unumgänglich sein sollte und ungerechterweise schlecht ausfällt, so ist er anfechtbar.
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Bestehen Sie auf Offenlegung des Tests.
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Ist ein Gutachten nötig, kann in manchen Fällen statt des Arbeitsamtes auch das Gesundheitsamt angefragt werden» (SCHULTHEISS 1997, 101f.).
In der Wahrnehmung engagierter Integrationseltern wird die Berufsberatung in der Anfangszeit offenbar zu einer vor allem konfrontativen Etappe, auf der unterschiedliche Meinungen, Einstellungen und Orientierungen aufeinandertreffen, die schwer miteinander vereinbar sind - dies ist auch vor dem Hintergrund des beschriebenen Dilemmas nicht verwunderlich; jedoch mögen auch die Arbeitsroutinen des Arbeitsamtes als Neuland für Eltern einerseits und die ungewohnten und manchmal ungewohnt scharf vorgetragenen Wünsche der Integrationseltern - und nicht zuletzt die geringen Möglichkeiten, diesen Wünschen zu entsprechen - bei den BerufsberaterInnen andererseits zu dieser Phase der Konfrontation beigetragen haben.
Auch von anderen im Umfeld der Integrationsbewegung wird die Praxis der Berufsberatung kritisch betrachtet: So muss sich z.B. jemand, der nach einer Vermittlung begleitende Hilfen am Arbeitsplatz in Anspruch nehmen möchte, vom Versorgungsamt als »geistig behindert« einstufen lassen (vgl. BAG UB 1999, 88). Die Art der Behinderung wird somit bestimmend für die Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des Hilfeangebots. Gegenüber dieser kategorialen Logik sollte die Berufsberatung vielmehr individuumsbezogen und behinderungsunspezifisch erfolgen. Sie sollte zudem ihre Informationen so anbieten, dass sie für die jeweiligen Adressaten verständlich sind (vgl. BAG UB 1999, 27), und es sollten diejenigen Hilfen und Informationen sein, die sie ganz individuell benötigen, um ihr Berufsfeld zu finden (vgl. ebd., 28). Diese Hilfen und Informationen sollten sich an den Fähigkeiten und Interessen, dem Selbstkonzept und der Lebensplanung einer Person orientieren. Die Berufsberatung kann hierbei auch diagnostische Untersuchungen einschließen, die Berufseignungsdiagnostik kann jedoch nur als eine Hilfestellung bei der Abklärung verschiedener Möglichkeiten fungieren und nicht dem Ratsuchenden als Zuweisungsinstrument seine eigene Entscheidung abnehmen. Überhaupt kann die Berufsberatung den Ratsuchenden nur zu eigenen Entscheidungen hinführen (vgl. ebd.).
Diese kritische Sichtweise wird auch auf das Rehabilitationssystem insgesamt bezogen, wenn etwa SCHÖNWIESE feststellt, bei der Rehabilitation stehe nicht der Dialog im Vordergrund, »sondern reflexorientiertes Diagnostizieren und Be-Handeln« (1995, 8). Er fordert deshalb ein Umdenken in diesem Bereich: »Die in der Pädagogik/in der Rehabilitation Tätigen können den betroffenen Personen ... nur begleitend zur Verfügung stehen, in Dialog treten und Gegenvorschläge machen. Dabei kann ein gemeinsamer Prozess entstehen, in dem aber nicht manipulativ für die betroffenen Personen entschieden wird« (ebd.).
In diesem kontroversen Feld findet die Befragung der Reha-BeraterInnen des Arbeitsamtes statt. Sie widmet sich mehreren Aspekten, die in diesem Zusammenhang von Belang sind (vgl. Interviewleitfaden im Anhang 11.7):
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Sie beleuchtet die Kooperation mit vorhergehenden Institutionen sowie mit jenen, zu denen Ratsuchende zugewiesen werden. Speziell sind Unterschiede zwischen lange bestehenden und relativ neu hinzugekommenen Institutionen, also zwischen einerseits Sonderschulen und Rehabilitationsträgern wie Berufsbildungswerke und Werkstätten für Behinderte und andererseits integrativen Schulen und der Arbeitsassistenz von Interesse.
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Weiter betrachtet sie den Beratungsprozess vor dem Hintergrund des bereits beschriebenen zentralen Dilemmas; zu diesem Aspekt gehört auch die Frage nach möglichen Zuweisungskriterien für die verschiedenen zur Verfügung stehenden Maßnahmen.
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Zudem eruiert sie neben der Einschätzung des Ambulanten Arbeitstrainings durch die BeraterInnen deren Verständnis von beruflicher Integration, unterstützter Beschäftigung und ähnlichen grundlegenden Begriffen.
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Da sich in den Interviews bestätigt, dass die psychologischen Fachgutachten einen zentralen Punkt im Gesamtprozess der Beratung ausmachen, recherchiert sie auch die Sichtweisen und Verfahren, die in der Erhebung der Daten für die psychologischen Fachgutachten eine Rolle spielen.
Für diese Fragestellung ist - wie schon bei der Intensivbefragung und bei den Vorgesetzten - das qualitative Interview am angemessensten. Die Form des qualitativ-teilstandardisierten Interviews ist unter anderem methodologischen Kriterien unterworfen wie Offenheit, Flexibilität hinsichtlich der Interviewsituation und Zurückhaltung des Interviewers, was zur Folge hat, dass die Befragten als Subjekte das Gespräch qualitativ und quantitativ bestimmen (vgl. LAMNEK 1989, 64). Dabei ist das problemzentrierte Interview, an dem sich die Befragung der Reha-BeraterInnen orientiert, nach einem freien Beginn durch eine zunehmende Strukturierung gekennzeichnet (ebd., 75f.). Am Schluss sollen die Befragten auf Stimuli des Interviewers reagieren. Die Datenerfassung kann im wesentlichen mit Kurzfragebogen, Leitfaden, Tonbandgerät (einschließlich Transkription) und Transkript erfolgen (vgl. ebd., 77).
Der Interviewleitfaden ist eine geeignete Grundlage für die Datenerhebung, denn er gibt dem Interviewer ein Menü von Aspekten an die Hand, lässt ihm aber die Möglichkeit, deren Reihenfolge situativ zu variieren (vgl. ebd., 47), so dass die Befragten nach offenen Impulse auch ihre eigenen Schwerpunkte einbringen können. Der Interviewleitfaden (vgl. Anhang 11.7) folgt den in Kap. 7.1 dargestellten Vorüberlegungen.
Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews erfolgt nach den folgenden Bereichen:
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Qualität der Kooperation (mit Schulen, mit der Arbeitsassistenz, mit Betrieben),
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Beratungsprozess (Beratungssituation, Zuweisungskriterien zur Hamburger Arbeitsassistenz),
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Einschätzung der Arbeit der Hamburger Arbeitsassistenz (deren Rolle, Erfolg und Veränderungsbedarf) und grundlegende Orientierungen (vermutete Motivation von Arbeitgebern für berufliche Integration, Verständnis von beruflicher Integration, Motivation zur Tätigkeit als Reha-Berurfsberater)
Zum dritten Bereich werden die Befragten - ähnlich wie die Vorgesetzten in Kap. 6 - um die Komplettierung folgender Satzanfänge gebeten:
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»Die Hamburger Arbeitsassistenz ist angemessen für Leute, die ... «
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»Die Werkstatt für Behinderte ist für Menschen, die ... «
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»Unterstütze Beschäftigung bedeutet ... «
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»Beruflich integrierbar ist, wer ... «
Von den neun BerufsberaterInnen für Behinderte I im Arbeitsamt Hamburg werden acht befragt, nachdem ihnen telefonisch das Anliegen der Befragung nahegebracht und ihr Einverständnis eingeholt worden ist. Die Interviews finden alle im Arbeitsamt statt und werden mit Einverständnis der Befragten auf Kassettenrecorder aufgezeichnet. Die vollständig transkribierten Gespräche werden ausgewertet, zusammengefasst und den Befragten zur kommunikativen Validierung vorgelegt, so dass als gesichert gelten kann, dass die wiedergegebenen Aussagen auch den Auffassungen der Befragten entsprechen (vgl. LAMNEK 1988, 152f., FLICK 1995, 245f.).
Da es bei der Analyse der Texte nicht in erster Linie um biographische und einzelfallspezifische Aspekte der Befragten geht, sondern um die professionelle Tätigkeit einer Berufsgruppe von ExpertInnen, werden sie im folgenden - im Unterschied zu den Interviews der Intensivbefragung und der Vorgesetzten - nach inhaltlichen Kriterien und nicht nach Befragten strukturiert dargestellt. Die Sicherstellung der Anonymität der Befragten ist angesichts der kleinen Stichprobe nicht ganz unproblematisch, die Interviews werden daher bei den einzelnen inhaltlichen Aspekten im folgenden unter Ignorierung ihrer Geschlechtszugehörigkeit - was eigentlich kaum vertretbar ist - von A bis H in der zufälligen Reihenfolge des Stattfindens dargestellt. Es lässt sich jedoch pauschal aussagen, dass die Berufsberaterinnen einen individuelleren Zugang zu ihren Ratsuchenden zu haben scheinen als ihre männlichen Kollegen.
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in einer zusammenfassenden Beschreibung der Aussagen. Wie schon in früheren Kapiteln werden wörtliche Zitate kursiv gekennzeichnet. Eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse erfolgt mittels eines Zwischenfazits im Anschluss an die jeweiligen Themenbereiche. Die Ergebnisse des ergänzend durchgeführten Interviews mit dem Leiter und einem Mitarbeiter des psychologischen Fachdienstes wird im Anschluss an die inhaltlichen Gesichtspunkte aus den Gesprächen mit den BerufsberaterInnen in Kap. 7.4 dargestellt, in Kap. 7.5 werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert.
Berater A verweist auf die gesetzliche Kooperationsvereinbarung mit den für die Reha-BerufsberaterInnen in Betracht kommenden Schulformen. Demnach arbeitet Berater A ebenso wie die KollegInnen eng mit den ihm zugeordneten Sonderschulen zusammen: »Der Berater sucht diese Schulen auf, um künftige Schulabgänger, deren Eltern und Lehrer über die beruflichen Bildungsmöglichkeiten und Eingliederungsmöglichkeiten zu informieren.« Nach mit den Klassen und/oder den Elterngruppen stattfinden Gesprächen »verabredet der Berater mit dem Klassenlehrer der Klassen, die zur Entlassung anstehen, Beratungstermine für die sogenannte Erstberatung, die in der Regel in den Klassenräumen unter Beteiligung des Klassenlehrers und des Sozialpädagogen und der Eltern stattfinden.« Mit den allgemeinen Schulen ist die Kooperation »etwas lockerer,« denn dort kommt zunächst »der normale Berufsberater zum Zuge« und gibt später dann die Zuständigkeit an die Reha-Berufsberatung weiter. Die Zusammenarbeit mit Integrationsschulen ist zum einen aus Kapazitätsgründen zeitlich schwerer zu realisieren, da es dort immer nur um wenige SchülerInnen mit Behinderungen geht und eine feste Zuordnung dazu führen könnte, »dass der Reha-Berater zusätzlich zu Veranstaltungen, Schulbesprechungen oder Elternabenden gebeten würde, was unsere begrenzten Kapazitäten übersteigen würde.« Zum anderen gibt es in der Kooperation mit ihnen häufiger Schwierigkeiten, »weil gerade diese kämpferischen Integrationsleute doch ein bisschen andere Vorstellungen davon haben als wir nach unserer Erfahrung hier.«
Zur Kooperation mit Schulen führt Berater B detaillierter aus: »In der Regel ist es so, dass ich mindestens ein Jahr vor der Entlassung mit den Klassen Kontakt aufnehme, im Normalfall eine ... Infoveranstaltung mache zum Thema Berufswahl, bzw. was gibt es da an für Möglichkeiten nach der Schule, wo ich allgemeine Sachen anbiete und dann meistens entweder zeitnah oder unmittelbar im Anschluss dann in der Schule Einzelgespräche anbiete, meistens in Kooperation mit dem Lehrer, also das heißt der Lehrer ist dabei. Der kennt einfach die Jugendlichen natürlich viel, viel besser als wir. Und in der Regel ... laden die Schulen die Eltern dazu ein, die das eigentlich auch in großer Zahl in Anspruch nehmen. Meistens biete ich - nein, anbieten tue ich es immer, aber nicht jede Schule wünscht das - auch einen Elternabend an, um ... das gleiche mit den Eltern noch mal zu ermöglichen. ... Es setzt sich einfach immer mehr durch, dass auch Elternabende mit Schülern stattfinden.« Dabei stellt sich die Situation mit den Eltern insofern als recht komplex dar, als das Informationsgefälle sehr groß ist: »Das ist auch immer so ein Spagat, wenn man jetzt vielleicht mal vorinformierte Eltern hat, die sich schon schlau gemacht haben und andere wissen gar nichts. Das ist auch sehr anspruchsvoll, es ist echt schwer. Aber in der Regel merkt man, dass das sehr gerne angenommen wird und ... die Arbeit leichter macht. Wenn die Eltern schon mal eine grobe Idee haben, das ist gut. Und was ich immer wieder auf diesen Veranstaltungen merke, ist, dass vielen Eltern gar nicht bewusst ist, wie viel Förderungsmöglichkeiten es gibt. Also das heißt, wir kriegen ganz oft eben so ein: ›Ach, ich dachte, mein Kind kommt von der Schule, von der Förderschule, von der Schule für Geistigbehinderte - danach kommt doch sowieso nichts.‹ Insofern sind sie dann auch ermutigt, wenn man sagt, okay, dann schalten wir jetzt mal Fachdienste oder führen weitere Gespräche dann hier im Arbeitsamt.« Bei den Jugendlichen ist Berater B weniger die konkrete Information wichtig, sondern vor allem, »dass sie wissen, ach da war einer und der war ganz okay, da kann ich mal hingehen. Viel mehr bleibt meistens nicht hängen. Aber ich denke, wenn das der Fall ist, dann ist das auch schon eine ganze Menge.« Manchmal gibt es auch Kontroversen zwischen LehrerInnen und Berater B, denn »die Einschätzung von Lehrern ist nach unserem Gefühl - ich glaube, wir sind da doch etwas näher an der Arbeitswelt dran - ganz schön oft doch realitätsfern. Ja, und das führt zwangsläufig manchmal zu Konflikten. ... Das stimmt tatsächlich, dass es manchmal auch Berater gibt, die da nicht so scharf darauf sind, den Lehrer bei Gesprächen dabei zu haben - wobei das eben klar ist, das Dilemma: Der kennt den Schüler besser.«
Dennoch warnt Berater B vor pauschalen Aussagen und sieht es eher von den einzelnen LehrerInnen abhängig, wie qualifiziert und realistisch sie agieren: »Es gibt ganz tolle Lehrer, die wissen topp Bescheid. Die kümmern sich enorm. Dann gibt es echte Kämpfernaturen, die kämpfen, aber in die falsche Richtung. Also, wo man wirklich sagt, kann (man) das ... nicht erledigen, bevor wir den Leuten da einen falschen Floh ins Ohr setzen. Also das heißt meinetwegen, dass da Bildungsgänge rausgesucht werden, für die jemand nicht in Frage kommt oder die banalsten Dinge.«
Die größte Streuung von Verhaltensweisen sieht Berater B bei engagierten (Sozial-)PädagogInnen in Integrationsklassen: Einerseits gibt es »Sozialpädagogen in Integrations-klassen, (die) kommen dann zu uns und sagen: ›Ja, wir wissen ganz genau, was er machen will. Und ist schon alles geklärt. Sie müssen das nur noch hier unterschreiben.‹ Tut uns leid, aber geht leider gar nicht. Das ist dann, denke ich, für den Jugendlichen auch viel viel übler, weil er hat ja dann einen Weg gefunden. Und wenn ich ihm vorher schon sagen kann aufgrund meines Wissens, also es sind bestimmte Wege, die sind dir momentan leider verschlossen, ... dann ist das Beratungsergebnis ein anderes. ... Ja klar, das ist auch für uns ganz schön unbefriedigend, aber ich sage mal, ich weiß dann wenigstens, was ich mit ihm noch machen kann. Und da pfuscht mir dann unter Umständen wirklich häufig mal jemand dazwischen.« Andererseits gibt es auch sehr positive Beispiele, denn »I-Klassen haben den Vorteil, dass sie ja in der Regel eben einen Sozialpädagogen in der Klasse haben, der sich - im Gegensatz zu manchen anderen Lehrern - mehr aus dem Unterrichtsgeschehen rausziehen kann und eben auch Dinge erledigen kann. Und da habe ich eben beiderlei erlebt. ... Und ich habe auch wirklich sehr positive Aspekte, jetzt auch in Bezug so auf Hamburger Arbeitsassistenz, so Integration wird natürlich auch dann von den I-Schulen oft gerne gewünscht und weiter fortgesetzt.«
In Relation dazu ist »an den Schulen für Geistigbehinderte ... im Grunde genommen diese Perspektive Werkstatt für Behinderte ... für die auch an Struktur eigentlich klar vorgegeben und das kennen sie in der Regel durch Praktika. Und ja, es ist relativ selten, dass jetzt wirklich noch von ganz abgehobenen Sachen gesprochen wird, ... aber das ist die absolute Ausnahme. Also das ist sehr stark an der Realität orientiert, weil sie die auch eben so kennengelernt haben.« Anderseits scheint die Schattenseite dort neben der eingefahrenen Eingleisigkeit auch in einem geringen Zutrauen in sich selbst zu liegen, denn »sehr, sehr viele ... sagen auch, das kann ich nicht oder das schaffe ich nicht oder so.«
Für Berater C sind die etablierten Kooperationsstrukturen mit Sonderschulen »ein ziemlich guter Service, den wir bieten. Dass man so die Schwellenängste abbaut, indem man selber dort ist. ... Eltern und Schüler kennen hier in diesem schrecklichen Amt einen Menschen, können den benennen, und von daher hat sich das als wirklich spitzenmäßig ergeben.« Für SchülerInnen aus Integrationsklassen »finden ab und zu mal von Reha-Beratern, also dann von unserer Crew - auch mal werden Eltern zusammengefasst - Infoveranstaltungen (statt), entweder hier im Haus oder auch, dass man in die Schulen geht oder sich wo anders verabredet. Aber für diese Schulen sind wir nicht zuständig, weil das einfach auch eine Frage der Kapazität ist. Das können wir eben nicht leisten.«
In den Vorstellungen über berufliche Perspektiven gibt es »ganz eindeutig« Unterschiede zwischen Eltern aus Sonderschulen und Integrationsklassen: »Integrationseltern und -schüler sind in der Regel Elternhäuser aus der oberen Mittelschicht und höher und von daher sind das Eltern und Schüler, deren Ziele sehr, sehr hoch gesteckt sind, und meines Erachtens höher gesteckt sind als jetzt in anderen Schulen. ... Allein die Tatsache, dass Eltern sich entscheiden: ›Wir möchten unser Kind integrativ beschult wissen‹ - oder schon im Kindergarten fängt das ja schon an, heißt das im Rahmen dieser Gesellschaft, (dass) diese Eltern das Optimale wollen. Und da diese Eltern auch sehr durchsetzungsfähig sind und auch wissen, wo sie wen anbohren können, erreichen sie auch ziemlich viel, unter anderem eben auch durch Eigeninitiative. Also das Verhältnis ist nicht konfliktfrei. ... Die Vorstellungen, ... was wir jetzt so von seiten des Arbeitsamtes so nach dem SGB III machen können, sprengen da häufig den Rahmen. Und das ist dann eine Frage unserer Phantasie, inwieweit wir da irgendwas basteln können.« Bei der Kooperation mit LehrerInnen gibt es solche, »die von der Einschätzung ... eine hohe Akzeptanz hatten in Bezug auf das, was wir jetzt vielleicht vorschlagen, als auch Lehrer, die sehr massiv auch angekreidet haben überhaupt, was wir hier tun. Also, das ist beides.«
Berater D arbeitet nicht nur mit den Sonderschulen intensiv zusammen, sondern bietet für Integrationsklassen mit dem Institut für Lehrerfortbildung Termine für Eltern und LehrerInnen an, sich über Förderungsmöglichkeiten zu informieren. Es findet »keine getrennte Berufs-vorbereitung oder Berufsorientierung in den Klassen statt, ... weil das ja dann immer nur maximal vier betrifft, und das finden wir dann auch nicht gut, wenn wir die dann rausnehmen im Sinne: Das ist jetzt extra für euch. Das kann irgendwie nicht der Weg sein.«
Bezüglich der Realitätsnähe oder Realitätsferne beruflicher Vorstellungen bei Sonder- und IntegrationsschülerInnen sieht Berater D keine wesentlichen Unterschiede: »Ich würde keinen Trend nennen können. Also, es gibt Einzelfälle, wo man die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Doch die findet man da und da.« Entscheidend für Berater D ist vielmehr »das Alter und damit auch die verbundene Reife. ... Ich kann unmöglich jemanden nach dem neunten Schuljahr in eine unserer Maßnahmen stecken . ... Und wenn der fünfzehn ist, dann machen wir zwei Jahre maximal Förderung im F2 und dann soll er arbeiten - und das kann er nicht. Also das ist einfach klar, und aus dieser Erfahrung heraus muss ich auch sagen: So lang wie möglich versuchen, zur Schule zu gehen, nicht um da ›abzuparken‹, das meine ich nicht, sondern schon, ob berufsvorbereitende Schulen sinnvoller wären oder ob meinetwegen eine Geistigbehinderten-Schule weiter durchlaufen werden soll. ... Aber der Hintergrund ist einfach, wenn jemand 18 oder 19 ist, ein ganz anderer, und wenn man dann noch überlegt, dass viele ja auch in der ganzen Entwicklung einfach retardiert sind, dann ist das nur sinnvoll, länger zur Schule zu gehen.«
Bei den LehrerInnen sieht Berater D dagegen schon Unterschiede: Die aus dem Integrationsbereich »sind schon informierter, sie haben auch eine Planung. Wenn es dann nicht gehen kann, muss natürlich darüber gesprochen werden und das hat sich, sage ich mal, in den letzten zehn Jahren reichlich verändert. Also, anfangs ... war das noch so: Jetzt muss aber, ansonsten machen wir Widerspruch. Und das ist also nicht mehr so. Das hat sich verändert, eigentlich mehr in Richtung Konstruktivität, ich sehe das ganz positiv. ... Nach dem, was jetzt alles auf dem Tisch liegt und ja auch nach meiner Meinung, die dann geäußert worden ist, gebe ich denen, ... was der (Schulabgänger) eigentlich will.« Tendenziell gibt es für Berater D einen Unterschied zum »Sonderschulbereich, da erlebe ich das eigentlich mehr so: ›Ach ja, der Berufsberater kommt und der empfiehlt ja dann was.‹« Dennoch sind die meisten LehrerInnen in beiden Bereichen »sehr interessiert daran, über die Arbeitswelt etwas zu erfahren.« Eher sind Altersunterschiede von Bedeutung: »Beginnern« in den Schulen steht Berater D mit Rat zur Seite und sieht sich als Ansprechpartner. Und wenn es mal Unstimmigkeiten zwischen Schule und Berufsberater gibt, dann ist das nicht ein »Gegeneinander-Arbeiten«, sondern »konstruktive Kritik. ... Es ist ein schönes Arbeiten, ich bin gern an meinen Schulen.«
Für Berater E ist die kontinuierliche Kooperation mit den Förderschulen (für Lernbehinderte) »durchaus gut«, denn »es ist ein eingelaufene Sache und man weiß gegenseitig, was man voneinander zu halten hat und wer wem was bieten kann.« Mit den Schulen, die Integrationsklassen führen, ist das sehr anders, denn »das sind verstreute Leute.« Zudem kommen die Eltern mit unterschiedlichen Haltungen auf die Reha-BeraterInnen zu: »Manche Eltern melden sich, kümmern sich rechtzeitig und sagen: ›Wir kommen zu Ihnen und möchten mit Ihnen das zusammen besprechen, dass wir das Beste und Richtige zusammen herausfinden‹ und gehen offen auf uns zu. Andere kommen notgedrungen hier her, weil sie was machen wollen, was vielleicht das Arbeitsamt bezahlen soll. Also muss man das Arbeitsamt dann ja leider mit einschalten und kommen mit allen Vorbehalten gegen uns hier her und da ist es häufig schwieriger.«
Berater E sieht zwischen den Berufswünschen von Sonder- und IntegrationsschülerInnen deutliche Unterschiede: »Integrationskinder« haben meist »unrealistische Ideen.« Das hat für Berater E auch damit zu tun, dass die LehrerInnen beim Betriebspraktikum froh sind, »wenn auch die Integrationskinder irgendwie irgendwo dann irgendwas auch machen, und prompt landen sie im Kindergarten, Mädchen jedenfalls sehr viele. Sie fühlen sich da dann auch wohl, weil die Kinder da nicht so viel von ihnen verlangen oder sie nicht anmachen. Und dann ist das ganz toll und sie wollen Erzieherin werden. Das kommt also immer wieder vor, ist aber völlig unsinnig und nützt ihnen auch nichts - also (eine) betriebliche Sache, irgendeine Planung, die da möglich wäre, ist es dann nicht.«
Berater F zufolge ist die Zusammenarbeit mit den Schulen »exzellent, ganz eng, ganz dicht, ganz nah, sehr gut. Also auch vom Einschaltungsgrad der Schulen, behaupte ich mal, 99 Prozent in diesen Schulen, weil wir in die Schulen hineingehen, im vorletzten Schuljahr oder zu Beginn des letzten Schuljahres und uns sozusagen als Begleiter anbieten. Wir machen dann Berufswahl-Unterricht. ... Und dann plant man halt die Gespräche, die wir auch überwiegend dann ... in den Schulen im Beisein der Lehrer und der Erziehungsberechtigten, wenn die Erziehungsberechtigten erlauben, dass die Lehrer dabei sind. Ich habe das noch nie erlebt, dass sie die nicht dabei haben wollten, aber man muss sie fragen. Und die Kids sitzen dann mit mindestens drei Erwachsenen da. ... Sie fühlen sich dann auch so ein bisschen im Mittelpunkt: Ich bin die Hauptperson, das sage ich auch immer.« Bei den »Integrationsleuten« ist oft das Problem, »dass sie ein wenig zu spät auf uns zukommen, weil wir haben da nicht so eine enge Bindung an die Schulen.« Hier gibt es ein Kapazitätsproblem - »die vielen Integrationsklassen, die über die ganze Stadt verteilt sind - wir müssten ja zwanzig Leute sein, um die zu betreuen. Ich würde das auch gerne tun und wir halten das auch für sinnvoll, dass da Präsenztage abgehalten werden, aber das können wir einfach nicht leisten. Da sind wir einfach zu wenig.«
Bei der Zusammenarbeit ist Berater G stark auf Informationen aus der Schule angewiesen. Aus Eltern- und Schulsicht wird in der Schule zusammen der »Ist-Stand« des Jugendlichen besprochen und gemeinsam überlegt, »was eigentlich sinnvoll, was angehbar, was machbar ist.« Fast alle SchülerInnen haben dann schon Praktika absolviert, bei den »eindeutigen Geistigbehinderten-Schülern« meist in der Werkstatt für Behinderte. Doch es gibt auch SchülerInnen, »wo man sagt, da können wir uns eigentlich vorstellen, dass da noch ein bisschen was drin ist, ... müssen wir auch bildungsmäßig noch mal gucken.« Im Unterschied zu den Sonderschulen stellt Berater G fest: »Eine Zusammenarbeit mit Integrationsschulen gibt es gar nicht, weil die Integrationsschüler ja verteilt sind im normalen, allgemeinbildenden Schulwesen. Und das ist auch schon die Schwierigkeit, sowohl für die Schule selber, sage ich jetzt mal, als auch für uns, weil wir in den Gesamtschulen ja nicht drin sind als Reha-Berater.« Berater G fällt jedoch auf, dass IntegrationsschülerInnen aufgrund des »familiären Hintergrundes ein höheres Bildungslevel« haben, »wo dann oft schon gegengesteuert wird oder zumindest schon versucht wird, realistisch zu diskutieren, was so machbar ist für das Kind.« Die Informiertheit über Berufsmöglichkeiten ist da auch höher und »was das Unrealistische angeht, ist es beides eigentlich ähnlich oder fast gleich.« Bei den LehrerInnen sieht Berater G hinsichtlich der Berufsvorstellungen zwei Extreme, und das unabhängig von Schultypen: Die einen sind »sehr oberflächlich auf Erfolg und schnelle Realisierung« aus und die anderen haben diese »weltfremde, berufsfremde, naive Haltung: Man kann alles.«
Für Berater H ist die Kooperation mit den LehrerInnen an Schulen für Geistigbehinderte ganz unterschiedlich. Da gibt es »ganz engagierte, mit denen das prima läuft, und es gibt auch so ein paar, die immer nur am Gängeln sind.« Oftmals ist es auch so, dass sich die Schulen »zu viel kümmern«, sie versuchen »viel Eigenideen einzubringen, die dann aber teilweise schon so veraltet sind und wo man dann als Spezialist immer sagen muss: ›Ja, das gab es vor drei Jahren mal, das gibt es jetzt aber nicht mehr.‹ Und wo die Eltern dann erst mal auf die falsche Bahn gesetzt werden.« So kommt es vor, dass SchülerInnen geraten wird, sich ohne Kontakt mit dem Arbeitsamt direkt bei der Werkstatt für Behinderte anzumelden. Durch solche Vorgehensweisen gibt es dann Zeitverluste, und Berater H empfindet von daher die Zusammenarbeit als »nicht so reibungslos.«
Im Sonderschulwesen allgemein stellt Berater H zunehmend Veränderungen fest, vor allem, »dass das Niveau gerade in den letzten Jahren stetig abgenommen hat. Das ist kein Problem der Schule, sondern das ist (so, dass) durch diese Integrationsmodelle und -versuche natürlich immer mehr Schüler auch an Regelschulen landen - und wer dann an den Sonderschulen aufgenommen wird, wird immer schwächer. Und ich habe dieses Jahr das erste Mal eine Klasse, aus der fast alle in die Werkstatt gehen werden. Und da versuche ich natürlich auch zu differenzieren, ob da welche dabei sind, die eventuell auch für die Arbeitsassistenz in Frage kommen. ... Und das ist an allen Schulen so: An den Förderschulen treffe ich verstärkt auf Grenzfälle zu geistig Behinderten. Und an den Geistigbehinderten-Schulen sind jetzt welche, die wären früher überhaupt nicht zur Schule gegangen, sondern in Tagesförderstellen. Das macht uns zwar Probleme und Arbeit, aber eigentlich ist es ja ein gutes Zeichen, dass auch die Schwächeren in der Schule gefördert werden.«
Die fehlende Kooperation mit den Integrationsschulen sieht Berater H als ein Problem, da dies ja »dem Gedanken der Integration widerspricht. ... Also das falscheste wäre natürlich, wenn da zwei Berufsberater hingehen und sagen, ihr drei geht jetzt zu dem Berufsberater für Behinderte und ihr geht zu dem anderen.« Inzwischen sind die allgemeinen BerufsberaterInnen für die Integrationsklassen insgesamt zuständig und »die müssen dann schon gucken, gibt es da einen Rollstuhlfahrer oder ... sagt der Lehrer: ›Das ist ein Integrationsschüler‹. Und dann werden wir eingeschaltet und dann versuchen wir natürlich den Kontakt genauso herzustellen, ohne dass eine große Trennung stattfindet.«
Zwischen SchülerInnen aus Sonder- und Integrationsschulen besteht zunächst »der große Unterschied« in der langfristigen Orientierung. Auf dem Integrationsweg befinden sich »in der Regel Schüler, Familien, wo die Eltern schon sehr aktiv waren und immer gesagt haben, mein Kind soll möglichst integrativ beschult werden. Die haben meist schon mit dem Kindergarten angefangen in dem Bereich und wollen natürlich, dass diese Kette jetzt nicht abreißt.« Doch auch bezüglich der Berufsvorstellungen gibt es zwischen den jungen Leuten »erhebliche Unterschiede.« Für viele Jugendliche aus der Schule für Geistigbehinderte »ist das völlig klar«, dass sie in die Werkstatt für Behinderte gehen, denn »die Schule geht geschlossen« da hin. Zudem haben sie dort beim Praktikum frühere MitschülerInnen getroffen »und das finden die toll. ... Und wenn ich dann sage: ›Mensch, aber die Lehrerin hat doch gesagt, du kannst so viel, du kannst sogar rechnen und schreiben und so weiter, hättest du vielleicht Lust, da mehr draus zu machen?‹ Da habe ich mir schon öfter Absagen eingehandelt. Die mögen das gar nicht.« Auf der anderen Seite »gibt es halt welche, die genauso unrealistische und überdrehte Vorstellungen haben und meinen, sie können alles Mögliche und können sich nicht selbstkritisch einschätzen. Und dann die Leute, die ganz realistische Vorstellungen haben und sagen: ›Ich weiß was ich kann und was ich nicht kann. - Können wir nicht gemeinsam versuchen, da was zu machen?‹« Ein weiterer Unterschied ist der, dass IntegrationsschülerInnen in der Regel mit ihren Eltern und SozialpädagogInnen zur Beratung kommen, und »bei den Sozialpädagogen ist es schon so - weil das sind natürlich auch Leute, die haben sich diesen Job ausgesucht und die sind natürlich auch auf dieser Integrationsschiene. Und da gibt es natürlich schon manchmal Reibereien, weil die auch dem Arbeitsamt gegenüber oft nicht so positiv eingestellt sind, weil sie uns immer noch in diese alte Kiste packen und uns vorhalten, wir kennen immer nur diese eingefahrenen Wege und dieses ist Neuland und da kommen wir nicht mit. - Gut, meistens kommt man zueinander, aber (sie) merken schnell: ›Aha, das ist einer, mit dem kann man reden.‹ Aber es gibt natürlich auch Kollegen bei uns, die dem nicht so aufgeschlossen gegenüber stehen und da haben sie es sicherlich schwer.«
Zwischenfazit zur Kooperation mit Schulen
Zur Organisation kann zusammenfassend gesagt werden, dass die BerufsberaterInnen für Behinderte eine langfristige, zeitintensive, kontinuierliche und elaborierte Kooperation mit klarer Struktur mit den Sonderschulen praktizieren: Etwa zwei Jahre vor Schulschluss informieren sie die SchülerInnen über Fördermöglichkeiten, beginnen mit Berufswahl-Unterricht, führen mehrfach Einzelgespräche, meist gemeinsam mit Jugendlichen, Eltern und LehrerInnen und gestalten so den zweijährigen, mitunter schwierigen Prozess, den individuellen weiteren Weg für die Jugendlichen zu finden. Dabei ist jeder Berufsberater für bestimmte Sonderschulen zuständig. Gesamtschulen mit Integrationsklassen fallen hingegen in den Aufgabenbereich der allgemeinen Berufsberatung, die IntegrationsschülerInnen über die Berufsberatung für Behinderte im Arbeitsamt informiert und die dortigen Reha-Berater über diese SchülerInnen unterrichtet.
Die Berufsberatung im Rehabilitationsbereich kooperiert also innerhalb von festgelegten Strukturen nur mit den Sonderschulen. Die Zusammenarbeit mit Integrationsschulen hat demgegenüber keine so hohe Dichte und fordert von Schulen und Eltern ein Stück mehr Eigeninitiative. Erschwert wird sie quantitativ durch Kapazitätsprobleme bei der Berufsberatung im Rehabilitationsbereich und teilweise auch qualitativ durch grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen bezüglich beruflicher Möglichkeiten bei Jugendlichen mit Behinderung.
Dabei lassen sich jedoch unterschiedliche Tendenzen bezüglich der Einschätzungen der Kooperation feststellen, worin auch eine eher kritische oder eher wohlwollende Haltung gegenüber Integrationsschulen zum Ausdruck kommt:
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Die Kooperation mit Sonderschulen gestaltet sich intensiv und konsensual, die mit Integrationsschulen hingegen eher schwierig und kontrovers. Dort kommen deutlich mehr unrealistische Berufsperspektiven vor und eher misstrauische Eltern und ideologisch engagierte PädagogInnen (A, E).
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Die Kooperation mit beiden Schulformen gestaltet sich jeweils unterschiedlich, abhängig von der Schulkultur und/oder den jeweiligen Personen. In beiden Systemen gibt es Beispiele von größerem oder geringerem Realismus, aber auch informierte und engagierte KooperationspartnerInnen (B, C, F, G).
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Während in Sonderschulen eher verfestigte Wege, vor allem in Richtung auf die Werkstatt für Behinderte, zu finden sind, wird in der Zusammenarbeit mit Integrationsschulen die Konsensbildung im Vordergrund gesehen; hier gibt es auch einen tendenziell besseren Informationsstand und ein größeres Engagement bei den Beteiligten (D, H).
Für Berater A gibt es »keine besonders strukturierte Zusammenarbeit mit der Hamburger Arbeitsassistenz, sondern eine nach den Erfordernissen des Einzelfalles zwanglose, meist tele-fonische Verständigung über Möglichkeiten und Vorgehensweisen.«
Laut Berater B gibt es keine regelmäßige Zusammenarbeit mit der Arbeitsassistenz, und »rein technisch (ist) auch die Arbeitsassistenz ein Arbeitstraining über eine Werkstatt. So wird es ja auch abgerechnet dann, und insofern ist dann auch der Berater der (Werkstatt) ... auch irgendwo der Ansprechpartner.« Neben einem Besuch, bei dem alle BerufsberaterInnen bei der Arbeitsassistenz waren, »um sich einfach mal gegenseitig kennenzulernen«, gibt es eher eine fallbezogen-pragmatische Kooperation: »Ansonsten steht ja immer mein Name, meine Telefonnummer und alles darauf, wenn wir jetzt als Eingliederungsvorschlag sagen, wir schlagen die Arbeitsassistenz vor. ... Dann ruft man da eben an. Und genauso rufen die eben auch bei uns an. ... Aber es gibt keinen festen Termin, was weiß ich, aller viertel Jahr treffen wir uns zur Besprechung oder so was.«
Auch Berater C ist eine Zusammenarbeit in dem Sinne, »dass regelmäßig einmal pro Jahr« eine Besprechung mit der HAA stattfindet, »nicht bekannt.« Die Leiter der Arbeitsassistenz »sind irgendwann hier gewesen zu einer Dienstbesprechung und haben ihre Projekte vorgestellt.« Ansonsten kooperiert Berater C fallbezogen mit ihnen, »da rufe ich dann initiativ an.« Allerdings könnte es auch sein, »dass Berater D hier unser Kontaktmann ist für die Arbeitsassistenz. Das ist mir im Moment so organisatorisch nicht ganz klar, das müsste man ihn dann noch mal fragen.«
Für Berater D ist »da ein Stück weit Kooperation« vorhanden, weil »die Hamburger Arbeitsassistenz bei uns beim Fachausschuss in den Werkstätten beteiligt ist.« Die einzelnen Fälle werden jedoch von den jeweils beratenden KollegInnen besprochen.
Nach Berater E gibt es eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen der Hamburger Arbeitsassistenz und der Berufsberatung und »wir kennen auch einige von den Leuten der Hamburger Arbeitsassistenz.« Manchmal ruft auch jemand im Arbeitsamt an und sagt: »Da hat sich jemand bei uns gemeldet und möchte hierher, wir haben uns auch schon mal gesehen.« Doch es bleibt meistens beim konkreten Einzelfall.
Berater F hat »mit denen überhaupt keine Schwierigkeiten, keine Probleme, auch ganz gute Kontakte.« Berater F betreut keine »Geistigbehinderten-Schule« und hat »daher weniger Kontakt mit den Arbeitsassistenten.« Die Berufsberatung sieht Berater F bezüglich der Arbeitsassistenz als