Formen von Gewalt

Gewalt kann abhängig von der Perspektive in verschiedenen Formen auftreten und anhand unterschiedlicher Indikatoren erkannt werden:

  1. Auf der Mikroebene in Form von personaler Gewalt
  2. Auf der Mesoebene in Form von struktureller Gewalt
  3. Auf der Makroebene in Form von kultureller Gewalt
  4. Finanzielle Ausbeutung/ Ökonomische Gewalt
  5. Behinderungsspezifische Formen von Gewalt bzw. Gewalt bei der Pflege
  6. Literatur


1. Auf der Mikroebene in Form von personaler Gewalt

Unter personaler Gewalt sind alle Formen von Gewalt zu verstehen, die eine Person einer anderen Person direkt zufügt. Dazu zählen alle Ausprägungen von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt.   Personale Gewalt tut weh und verursacht Leid: Abwerten, Ausnützen, Attackieren, Beschimpfen, Bestimmen, Bestrafen, Drohen, Einschränken, Einsperren, Erniedrigen, Erpressen, Kontrollieren, Nötigen, Schlagen, Treten, Verharmlosen, Verheimlichen, Verachten, Verletzen, Verleugnen, Vernachlässigen, Wegnehmen, Zwingen sowie alle Formen sexualisierter Gewalt. Diese Beispiele zeigen Tätigkeiten auf, die Gewalthandlungen sind. Das Spektrum reicht von aktiven Handlungen bis zu Unterlassungen, von direkten Handlungen bis zu indirekten, von verbalen Handlungen bis zum Schweigen.

Zu personaler Gewalt zählen die drei großen bekannten Gruppen von Gewalt: Physische, psychische und sexualisierte Gewalt.

1.1 Physische Gewalt

Die Betreuerin, die war ja richtig der Wahnsinn, dort die. Da ist mir auch der nackte Hintern geschlagen worden und ich meine, man ist ja recht schnell frech. (…) Kalt geduscht haben sie dort. Das war einfach. Wenn du nicht gespurt hast, bist du kalt geduscht worden und dann haben sie dich zu zweit in die Dusche gezerrt und dann haben sie dich kalt geduscht. Ja, das ist mir oft passiert.“ (ANONYM, KREMSNER 2014)

Indikatoren für physische Gewalt

  • Verschieden große Hämatome unterschiedlichen Alters
  • vorwiegend an den Extremitäten„Fingerabdrücke
  • Schwellungen im Bereich des Kopfs
  • Schnittwunden und entsprechende Narben
  • Sttriemen an den Extremitäten, die auf Fixierung hinweisen
  • Kratzer, blutende Kopfhaut durch ausgerissene Haare
  • Unversorgte Wunden
  • Verbrennungen, zum Beispiel durch Zigaretten
  • Vergiftungsanzeichen: Orientierungsprobleme, Magen- und Darmkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen
  • Frakturen
  • Verstauchungen, Zerrungen
  • Verletzungen mit unklarer Ursache
  • Große Zeitspanne zwischen Verletzung und ärztlicher Behandlung
  • Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit, Misstrauen
  • Gewichtsverlust, körperliche Schwäche können auf Mangelernährung hinweisen
  • Flüssigkeitsmangel, der sich am Zustand der Haut zeigen kann oder auch für Verwirrtheitszustände sorgt
  • Druckstellen, Rötungen, und Kontrakturen

(FITZSIMONS 2009, S. 43)

1.2. Psychische Gewalt

In unserer Gesellschaft sind subtile Formen von Gewalt, die wenig beachtet und oft völlig heruntergespielt oder ignoriert werden, sehr stark verbreitet. Psychische Gewalt ist schwieriger zu erfassen als direkte körperliche Gewalt. Psychische Gewalt ist seelisches Quälen über einen langen Zeitraum. Sie kommt zwischen Paaren, innerhalb von Familien, in Betrieben, an Schulen, in Institutionen und im politischen sowie sozialen Leben vor. Das Ziel der Täter_innen seelischer Gewalt ist, zur Macht zu gelangen oder sich dort zu halten.

Körperliche Gewalt, Vernachlässigungen, finanzielle Ausbeutung und sexuelle Gewalt werden meist gemeinsam mit seelischer Gewalt ausgeführt. Sie hat das Ziel das Opfer zu demütigen, zu destabilisierten, einzuschüchtern, einzuschränken, zu erniedrigen, zu kontrollieren, zu schädigen, zu schwächen und zu verletzen.

Indikatoren für psychische Gewalt

  • Schimpfwörter
  • Drohungen
  • Kraftausdrücke
  • Gezeter
  • Hohn
  • Gefühle kritisieren
  • Einstellungen kritisieren
  • Zwang
  • zu illegalen Handlungen zwingen
  • zu entwürdigendem Verhalten zwingen
  • Degradierung
  • körperliche Gewalt androhen
  • Verlust der Kinder oder Verlust der Obsorge für Kinder androhen
  • Zerstörung von Eigentum
  • mit Waffen oder verletzenden Gegenständen drohen oder herumspielen
  • mit Trennung drohen
  • mit "keine Unterstützung mehr zu geben" drohen
  • mit "Wegnehmen von Hilfsmitteln" drohen

(FITZSIMONS 2009, S. 55)

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1.3 Sexualisierte Gewalt

Unter sexualisierter Gewalt versteht man jede aktive oder passive Form von Sexualität und Sexualpraktiken gegen den Willen der betroffenen Person. Dazu gehört jede Nötigung zu sexuellen Handlungen (auch mit Dritten oder „Verkauf“ an Dritte) und jede Erniedrigung im sexuellen Bereich bis hin zur Vergewaltigung.

Bei Frauen aus einigen Kulturkreisen sind Zwangsheirat und Genitalverstümmelung mit zu berücksichtigen.

Im Englischen werden die aktive Formen als hands-on und die passiven Formen als hands-off bezeichnet. Es wird somit deutlich gemacht, dass sexualisierte Gewalt subtile Formen miteinschließt.

Beispiele für passive Formen (hands-off) sexualisierter Gewalt

  • Freimachen von intimen Körperstellen (Exhibitionismus)
  • Herstellung von Erregung durch heimliches Beobachten einer unwissenden Person oder unwissenden Personen (Voyeurismus)
  • Zwang pornografisches Material anzusehen
  • Verbale Erniedrigung bzgl. körperlicher Verfassung oder Gestalt
  • Mit Nutte, Hurenbock... ansprechen
  • Sexuelle Haltungen kritisierten
  • Sexuelle Belästigung (Belästigung, die auf das Geschecht oder geschlechtliche Aktivität abzielt)
  • Zwang zu aktiven Formen von sexualisierter Gewalt

Beispiele für aktive Formen (hands-on) sexualisierter Gewalt

  • Zum Küssen zwingen
  • Berühren von Brüsten, Genitalien oder Po ohne Einverständnis
  • Erzwungenes Eindringen in die Vagina oder das Rektum mit dem Penis, den Fingern oder einem Gegenstand
  • Weitere Formen sind aufgedrängte schädigende oder schmerzhafte Sexualpraktiken. Andere Formen von sexualisierter Gewalt sind schmerzhafte und unnötige Hygienemaßnahmen des Anal- und Urogenitalbereiches. (FITZSIMONS 2009, S. 49)

Sexualisierte Gewalt wird im Unterschied zu physischer Gewalt und Vernachlässigungen heimlich getätigt und ist häufig schwer zu erkennen. In der Regel sind Menschen mit Behinderung, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, dies über einen sehr langen Zeitraum. Von sexualisierter Gewalt Betroffene (Männer und Frauen) tun sich in der Regel sehr schwer, darüber zu sprechen. Anzeichen für erlebte sexualisierte Gewalt sind Veränderungem im sozialem Verhalten, wie gegenteiliges Verhalten als gewohnt, Schmerzen im Anal- und/oder Urogenitalbereich und indirekte, verschlüsselte Andeutungen.

Indikatoren

  • Direktes oder verschlüsseltes Erzählen
  • Zerrissene oder verschwunden Kleidungsstücke
  • Verletzungen an Genitalien, Rektum, Mund, Brüsten (Wunden, blaue Flecken, Enzündungen, Kratzer, Rötung, Schmerzen, Irritationen), Bissspuren, Seilspuren, Brandzeichen

Sogenannte Red Flags Symptome

  • Chronische Beschwerden, die keine offensichtliche physische Ursachen haben
  • Verletzungen, die nicht mit der Erklärung ihres Entstehens übereinstimmen  
  • Verschiedene Verletzungen in unterschiedlichen Heilungsstadien
  • Partner, der übermäßig aufmerksam ist, kontrolliert und sich weigert von der Seite der Frau zu weichen
  • Physische Verletzungen während der Schwangerschaft
  • Spätes Beginnen der Schwangerschaftsvorsorge
  • Häufige Fehlgeburten
  • Häufige Suizidversuche und -gedanken
  • Verzögerung zwischen Zeitpunkt der Verletzung und Aufsuchen der Behandlung
  • Chronische reizbare Darmstörungen und chronische Beckenschmerzen
  • Zeichen von Festhaltungen (Seilspuren, Fingerabdrücke)
  • Geschlechtskrankheiten
  • Heftige Angst vor einer besitimmten Person oder vor Menschen allgemein
  • Alpträume
  • Schlafprobleme
  • Selbstzerstörendes Verhalten
  • Selbstmordgedanken

(FITZSIMONS 2009; gewaltinfo.at)

1.4 Vernachlässigungen

Auch Vernachlässigungen zählen zu personalen Formen von Gewalt, können aber auch direkt mit Formen struktureller Gewalt in Verbindung stehen. Sie sind komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Vernachlässigungen bedeuten die Ablehnung

  • der Verpflichtung für angemessene Pflege und Unterstützung
  • der Verpflichtung für die Grundversorgung körperlicher, medizinischer und emotionaler Bedürfnisse
  • der Verpflichtung für das Gewährleisten von Schutz und Sicherheit.

Die Folgen von Vernachlässigungen sind Schädigungen und Leid und das erhöhte Risiko für mögliche zukünftige Schädigungen und Leid. Vernachlässigungen können mit Absicht erfolgen oder ohne Absicht, wobei hier die Ursachen im fehlenden Wissen, in fehlenden Ausbildungen oder in Überforderungen am erforderlichen Pflege- und Unterstützungsumfang liegen können.

Vernachlässigungen können Verweigerungen von Unterstützungen oder eine schlechte Qualität der Unterstützungen bedeuten. Ähnlich wie Körperverletzungen lassen sich Vernachlässigungen schwer verbergen. Vernachlässigungen betreffen Personen und ihre Wohnsituationen oder die Qualität der Unterstützungsleistungen.

Indikatoren für Vernachlässigungen an Personen und ihren Wohnsituationen

  • Mangel-, Unter-, Fehlernährung
  • Mangelnde Flüssigkeit (Dehydrierung)
  • Person riecht nach Urin oder Kot
  • Mangelnde Körperpflege (sehr lange Finger- oder Zehennägel, verfilzte Haare, ungereinigte Körperfalten)
  • Mangelnde Unterstützung von barrierefreier Kommunikation
  • Mangelnde Unterstützung der Mobilität
  • Druckgeschwüre, offene Wunden
  • Ungeziefer
  • Ungeeigneter Schlafraum und Badezimmer, untaugliche Küche
  • Vernachlässigung bei der Instandhaltung der Wohnung (zerbrochene Fensterscheiben, schadhafte Elektrik…)
  • Mangel an Heizung, Wasserversorgung, Elektrik, Kühlschrank, Licht
  • Vernachlässigung der Haustiere
  • Mangelnde Unterstützung bei Diät oder Unverträglichkeiten von Nahrungsmittel
  • Verweigerung der Bereitstellung von verschriebenen Medikamenten
  • Verweigerung von zahnärztlicher oder medizinischer Versorgung, Pflegediensten oder therapeutischer Begleitung
  • Hilfsmittel werden nicht organisiert, gepflegt und gewartet (Brillen, Kontaktlinsen, Rollstuhl, technische Geräte,…)
  • Ausschluss von Wissen und Information
  • Mangel an barrierefrei zugänglichen Informationen
  • (FITZSIMONS 2009)

Indikatoren für Vernachlässigungen in der Qualität der Unterstützungsleistungen

  • Mangelnde Rücksichtnahme auf individuelle Zeitgestaltung
  • Mangelnde Anpassung an Bedürfnisse und Wünsche
  • Mangelnde Rücksichtnahme an Gewohnheiten und Aktivitäten
  • Verweigerung von Selbstbestimmung bei der Auswahl der Unterstützer_innen
  • Wenn Personen, die auf Unterstützung angewiesen sind, über einen langen Zeitraum ohne Begleitung sind
  • Verweigern von Alternativen (FITZSIMONS 2009)

Das Risiko für Vernachlässigungen steigt proportional mit dem Ausmaß der Zeit und Intensität der benötigten Unterstützung.

Der Umgang mit behinderten Kindern in der Wiener Psychiatrie ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie massiv Vernachlässigung passieren und sowohl strukturell als auch kulturell verankert sein kann. In einer umfassenden Untersuchung wurden dieses bisher stark vernachlässigte Themenfeld aufgearbeitet und historisch rekonstruiert ist (vgl. MAYRHOFER et. al 2017)

2. Auf der Mesoebene in Form von struktureller Gewalt

Formen von struktureller Gewalt sind in organisatorische, soziale und gesellschaftspolitische Systeme eingebaut. Strukturelle Gewalt zeigt sich im Verwehren selbstbestimmt gestalteter Lebensführung, im Verwehren von frei zugänglichen Informationsflüssen, in ungleichen Machtverhältnissen und Entscheidungsgewalten, in produzierten Abhängigkeitsverhältnissen und in deren Erhalt, in respektlosen und menschenverachtenden Regelwerken u.a.m. 

Überblick über mögliche strukturelle Barrieren

  • Mangelnde oder keine Zugänge zu Gewaltschutz- und Beratungseinrichtungen (beginnend beim Wissen über deren Existenz, Ort, Erreichbarkeit, Unsicherheiten bzgl. Barrierefreiheit und kommunikativer Zugänglichkeit,...)
  • Mangelnde oder keine persönliche Unabhängigkeit durch Institutionalisierung und Segregation.
  • Mangelnde oder keine finanzielle Unabhängigkeit und dadurch geschaffene Verstrickungen von Unterstützung- und Abhängigkeitsverhältnissen führen häufig dazu, dass Personen persönliche oder institutionelle Gewaltbeziehungen nicht beenden.
  • Mangelnder oder fehlender Wissenstransfer zu Gewalt, Gewaltformen, Körperfunktionen, Sexualität, Aufklärung, Menschenrechten, Pflichten der Unterstützer_innen, Grenzen setzen dürfen... von Kindheit an.
  • Mangelndes oder fehlendes Wissen über mögliche Lebensformen und -bedingungen von Menschen mit Behinderungen und mangelndes Verständnis von behinderungsspezifischen Formen von Gewalt und Missbrauch auf allen Ebenen des Personenschutzes und des Rechtssystems.
  • Gewalt und Missbrauch an Menschen mit Behinderungen wird nicht als kriminelles, sondern als sozialarbeiterisches Problem behandelt.
  • Die Glaubwürdigkeit von Gewalterfahrenen mit Behinderungen wird tendenziell in Frage gestellt.
  • Generell zeigt sich, dass ein Widerstand besteht, Anzeigen von Opfern mit Behinderung korrekt aufzunehmen und ihnen konsequent nachzugehen. (FITZSIMONS 2009)

Indikatoren für strukturelle Gewalt

    • Zuteilung von Assistent_innen, Pfleger_innen oder Mitbewohner_innen
    • Verhältnis von Stundenausmaßen der Teamsitzungen, Fallbesprechungen, Supervisionen zu Stundenausmaßen der direkten Assistenz, Begleitung, Pflege...
    • Veranlassung von Sterilisation von Mädchen und Frauen
    • Systematische Empfängnisverhütung von Bewohner_innen
    • Gespräche über Menschen (ohne direkte Ansprache und Blickkontakt)
    • Fällen von Entscheidungen in Unterstützer_innenkreisen
    • Beleidigen, Beschimpfen
    • Infantile Sprache
    • Ignorieren von Berichten und Wünschen von Menschen mit Behinderungen
    • Mundtot machen (FITZSIMONS 2009)

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3. Auf der Makroebene in Form von kultureller Gewalt

Formen von kultureller Gewalt an Menschen mit Behinderungen werden in den von Politik, Ökonomie und Kultur anerkannten Werten, Normen und Ritualen sichtbar. Sie zeigen sich in "gesellschaftlichen Repräsentationen, die die Identitäten von Personen mit Behinderungen beschädigen, auf die die betroffenen Personen keinerlei Einfluss nehmen können und die auch durch Stigma-Management nicht individuell Identität-stiftend bewältigt werden können." (SCHÖNWIESE, persönliche Mitteilung am 19.10.2015)

Kulturelle Gewalt (Makroebene) ist die Form von Gewalt, die sich im Laufe der Geschichte in die jeweilige Kultur eingeschrieben hat. Sie äußert sich u.a. besonders deutlich in der Sprache.

„Sprache ist kein bloßes Kommunikationsmittel, das auf neutrale Weise Informationen transportiert. Sprache ist immer eine konkrete Handlung. Über Sprache bzw. Sprachhandlungen wird Wirklichkeit geschaffen. Das passiert z.B. dadurch, dass mit einzelnen Wörtern Zuschreibungen erzeugt werden, die so oder aber auch anders hergestellt werden könnten. Wann beziehe ich mich beispielsweise auf eine Person mit der Aussage ‚der Mitarbeiter mit dem Bart‘, wann ‚der blinde Mitarbeiter‘, und warum eigentlich nie ‚der sehende Mitarbeiter‘?“ (AG FEMINISTISCHES SPRACHHANDELN 2014)

"Sprache wird im Alltag oft als neutrales Mittel verstanden, das man benutzt, um zu kommunizieren. Sprache ist aber ein sehr machtvolles Instrument (...). Wir handeln nicht nur mit unseren Taten, sondern auch mit dem, was wir sagen. Wir diskriminieren andere nicht nur durch das, was wir tun, sondern auch durch das und mit dem, was wir sagen und was wir nicht sagen." (LEITFADEN FÜR EINEN NICHT-DISKRIMINIERENDEN SPRACHGEBRAUCH 2008)

Es gibt einen großen Wortschatz an Schimpfwörtern (Beschimpfungen, Herabsetzungen, Demütigungen, Lächerlichmachen, Verhöhnung, …), die mit Behinderungen zu tun haben ("Spasti", "Mongo", "Schizo", …). Auch in regionalen Sprachen und Dialekten finden sich oft konkrete Verunglimpfungen, die mit lokalen Großinstitutionen zu tun haben. So werden Orte und Stadtteile von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oft selbst zum Schimpfwort. (LEITFADEN FÜR EINEN NICHT-DISKRIMINIERENDEN SPRACHGEBRAUCH 2008)

Sprachliche Gewalt wird weiter durch Lieder oder Medien (Film, Fernsehen, Zeitung, Zeitschriften, Werbung, …) transportiert.

Im Zusammenwirken der Mikro-, Meso- und Makroebenen entsteht eine gegenseitige Verstärkung und Legitimierung. Durch die Betrachtungsweise einer Gewaltsituation in Bezug auf alle drei Ebenen wird sichtbar, auf welcher Ebene welche Akteur_innen handeln und wo Anti-Gewaltstrategien ansetzen können. Gewalt ist kein isoliertes Phänomen. Es agiert eine Gruppe von Beteiligten mit verschiedenen und wechselnden Rollen, die eigebettet in geschaffenen Systemen (Meso- und Makroebene) handeln.

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4. Finanzielle Ausbeutung/ Ökonomische Gewalt

Finanzielle Ausbeutung von Menschen mit Behinderungen umfasst ein sehr breites Spektrum an Gewaltformen. Es betrifft die Mikroebene (persönliche Gewaltformen, wie zum Beispiel Diebstahl von Besitztum oder Einkommen), die Mesoebene (strukturelle Gewaltformen, wie zum Beispiel Taschengeld als Entgelt für Arbeitsleistungen) und die Makroebene (kulturelle Gewaltformen, wie zum Beispiel Armutsfalle und Nicht-Zugang zu bedarfsorientierter Mindestsicherung für einen Großteil aller Menschen mit Behinderungen).

Menschen mit Behinderungen sind überproportional oft von Armut und finanzieller Abhängigkeit betroffen.

Ökonomische Gewalt beinhaltet finanzielle Abhängigkeit herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten, keine bzw. ungenügende Geldmittel für den Unterhalt bereitzustellen, nicht gewollte finanzielle Verpflichtungen aufzuzwängen, die Arbeit oder Ausbildung zu verbieten oder zu verhindern, die Arbeitskraft auszunutzen und/oder die Verfügungsmacht über finanzielle Mittel zu missbrauchen.

Indikatoren für ökonomische Gewalt

    • Vorenthaltung von finanziellen Ressourcen
    • Reglementierung von finanziellen Ressourcen
    • Geldausgaben, ohne die Zustimmung der Besitzer_in
    • Fehlende Dokumentation
    • Wegsperren von Geld
    • Um Zugang zu Geld fragen oder bitten müssen
    • Am Zugang zu Erwerbstätigkeit gehindert werden
    • Menschen mit Behinderungen bezahlen für das Essen oder Fahrwege von Unterstützer_innen (FITZSIMONS 2009)

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5. Behinderungsspezifische Formen von Gewalt bzw. Gewalt bei der Pflege

Einige Formen von Gewalt erleben Menschen nur aufgrund ihrer Behinderung bzw. aufgrund der Tatsache, dass sie Pflege und Unterstützung benötigen, z.B.:

  • Medikamentenvergabe ohne Einwilligung
  • Übermedikamentierung (Sedierung u.a.)
  • Vorenthaltung von Medikamenten
  • Abnahme, Zerstörung, Beschädigung und Wegsperren von Hilfsmitteln oder Drohung, das zu tun
  • Unterstützung verweigern
  • Vereinbarte Unterstützungszeiten nicht einhalten
  • Keine Anerkennung von Privatleben
  • Eindringen in das Privatleben
  • Kontrolle
  • Klatsch verbreiten
  • Vorwürfe in Bezug auf Behinderungen machen
  • Privates weiter erzählen
  • Überbehütung
  • Zweifel an Berichten von Gewalt und Missbrauch
  • Kritik oder Ärger über zu wenig Dankbarkeit
  • Negative Kommentare in Bezug auf Behinderungen
  • Ablehnung von Autonomie und Selbstbestimmung

Für Menschen mit Behinderungen, die Gewalt und Missbrauch erfahren, ist es tendenziell schwieriger aus Gewaltkreisläufen auszusteigen. Sie sind tendenziell über längere Zeiträume in diesen verhaftet. Die Ursachen dafür liegen im Zusammenwirken von persönlichen, strukturellen und kulturellen Barrieren.

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Literatur und Web-Links

AG Feministisches Sprachhandeln (2014). Sprachhandeln – aber wie? Im Internet:   http://www2.gender.hu-berlin.de/genderbib/2014/02/sprachleitfaden-an-der-hu-sprachhandeln-aber-wie/

Fitzsimons, Nancy (2009). Combating Violence and Abuse in den Lives of People with Disabilities. A Call to Action. Baltimore, London, Sydney: Paul Brooks Publishing.

Kremsner, Gertraud (2014): Macht und Gewalt in den Biographien von Menschen mit Lernschwierigkeiten – eine (forschungsethische) Herausforderung? Erschienen in: Schuppener, S.; Bernhardt, N.; Hauser, M. und Poppe, F. (Hrsg.): Inklusion und Chancengleichheit. Diversity im Spiegel von Bildung und Didaktik. Bad Heilbrunn: Klinkardt; Seite 61-67. Im Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/kremsner-biographie.html

Leitfaden für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch (2008). Im Internet: http://www.uibk.ac.at/gleichbehandlung/sprache/leitfaden_nicht_diskr_sprachgebrauch.pdf

Mayrhofer, Hemma; Wolfgruber, Gudrun; Geiger, Katja; Hammerschick, Walter; Reidinger, Veronika (Hg.) (2017). Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der Wiener Psychiatrie von 1945 bis 1989. Stationäre Unterbringung am Steinhof und Rosenhügel. Schriften zur Rechts- und Kriminalsoziologie Band 8. Wien: Lit Verlag. Die Studie steht auf der Website des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie zum Download zur Verfügung: https://www.irks.at/forschung/social-inclusion/menschen-mit-behinderung-in-der-wiener-psychiatrie.html

Schachner, Anna; Sprenger, Claudia; Mandl, Sabine; Mader, Helena (2014). Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen Nationaler Empirischer Bericht Österreich. Im Internet: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/sites/default/files/reports/ws_3_empirischer_bericht_oesterreich.pdf

Schönwiese, Volker (2011): Pädagogische Machtverhältnisse, Gewalt und Behinderung. In: Spannring, Reingard; Arens, Susanne; Mecheril, Paul: bildung - macht - unterschiede. 3. Innsbrucker Bildungstage. Innsbruck: innsbruck university press (IUP), ISBN 978-3-902719-98-0, S. 191 - 212. Wiederveröffentlichung im Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-gewalt.html

Unabhängiger Monitoringausschuss Österreich (2011): Gewalt und Missbrauch an Menschen mit Behinderungen. http://bidok.uibk.ac.at/library/monitoringausschuss-gewalt.html

Veit, Arno (2014). Das Schweigen brechen. http://bidok.uibk.ac.at/library/veit-schweigen.html

Zemp, Aiha/Erika Pircher (1996). Weil das alles weh tut mit Gewalt. Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen mit Behinderung, Wien. Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-ausbeutung.html

Zemp, Aiha/Erika Pircher/Heinz Schoibl (1997). Sexualisierte Gewalt im behinderten Alltag. Jungen und Männer mit Behinderung als Opfer und Täter, Wien. Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/zemp-gewalt.html

Website Gewaltinfo.at: https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/ Website Frauen gegen Gewalt: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/infothek.html Grafischer Überblick: Formen von Gewalt https://www.vbg.de/wbt/gewaltpraevention/daten/html/404.htm

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