Die Analyse ausgewählter Unterrichtsformen unter besonderer Berücksichtigung integrativer Aspekte

Autor:in - Hubert Raidel
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck, eingereicht bei Prof. Dr. Kerstin Ziemen, am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, Oktober, 2004
Copyright: © Hubert Raidel 2004

Einleitung

"Im Grunde gibt es nur eine ‚richtige' Erziehung - das Aufwachsen in einer Welt, in der zu leben sich lohnt." (Paul Goodman)[1]

Meine Erfahrungen mit Schule

Ich ging anfangs sehr gerne zur Schule und hatte Spaß daran, etwas zu lernen. Diese Freude wich sehr bald einer passiven und lustlosen Grundhaltung, weil die meisten Lehrer nur die Fehler betonten und diese drastisch vor der Klasse aufzeigten. Sukzessiv wurde einem demonstriert, was man alles falsch macht, und selten betont, was man gut kann. Leider war die Orientierung hin zu den Ressourcen und Fähigkeiten, die ein Mensch besitzt, marginal.

Die Einstellung der Schüler zu den Lehrern war dementsprechend gespalten. Manchen Lehrern wurde Gehorsam entgegengebracht, weil ansonsten Disziplinierungsmaßnahmen drohten. Andere wurden respektlos behandelt, weil keine Konsequenzen zu erwarten waren. Angesichts dieses erlernten Verhaltensmusters (Gehorsam muss mit disziplinären Maßnahmen hergestellt werden), kam es unter anderem zu folgenden Situationen: eine Lehrerin verließ weinend die Klasse, weil sie sich nicht durchsetzen konnte. Sie wurde von uns als "Ventil" benutzt und die aufgestaute Unzufriedenheit über die Lehrer generell wurde bei ihr ausgelebt. Daraufhin folgten wiederum Sanktionen, die das negative Bild von Unterricht noch verstärkten. Es gab nur vereinzelte Lehrer, die es schafften, ein Klassenklima aufzubauen, in dem Dialog im Sinne von Wertschätzung und ernstgenommen werden möglich war.

Die heutigen Lernsituationen in den Schulen haben sich im Vergleich zu meiner Schulzeit (1976 - 1989) zum Teil wesentlich verbessert und sind vielfältiger geworden. Trotzdem wird in vielen Schulen eine "traditionelle" Didaktik angewandt. Damit ist eine Didaktik gemeint, die eine Lebendigkeit des Lernenden nicht fördert. Schülerinnen werden dazu erzogen, passiv am Unterricht teilzunehmen.[2]

Bei den Hospitationen und selbstgehaltenen Unterrichtseinheiten im Rahmen der Lehramtsausbildung waren die Erfahrungen diesbezüglich so:

Während die jüngeren Schülerinnen (10 / 11 Jahre) noch aktiv im Unterricht mitarbeiteten, verhielten sich die 18 bis 19-jährigen Schülerinnen im Gegensatz dazu sehr passiv, sie meldeten sich oft nur dann, wenn die Lehrerin sie dazu aufforderte. Es war auch zu beobachten, dass in manchen Unterrichtssituationen auf eine falsche oder unkorrekte Antwort der Schülerin negative Konsequenzen folgten. Verstärkend hinzu kamen oft auch negative Reaktionen seitens der Mitschülerinnen (z.B. Gelächter oder negative Aussagen).

Diese Verhaltensweisen führen dazu, dass sich Schülerinnen im Laufe der Zeit defensiv verhalten. Das Lernsubjekt wendet im Unterricht eine Vermeidungsstrategie an, um sich vor negativen Sanktionen zu schützen.[3]

Wenn eine Schüler-Schüler-Aktivität entsteht, dann wird sie von Lehrerinnen oft als unerwünschte Form bezeichnet, im Sinne von:

  • die Schülerinnen stören den Unterricht,

  • sie sind nicht konzentriert,

  • ihr Interesse gilt nicht dem Unterricht, usw.

Solche Phänomene ergeben sich, wenn die Interessen der Schülerinnen, ihre eigenen Meinungen und Sichtweisen nicht oder zu wenig berücksichtigt werden.

Aus Sicht mancher Lehrerinnen besteht keine zwingende Notwendigkeit, auf die Interessen der Schülerinnen einzugehen, weil eine Machtstellung im Klassenraum mit disziplinären Maßnahmen sichergestellt werden kann:

  • Die Schülerinnen werden spätestens dann zur Rechenschaft gezogen, wenn der Unterrichtsstoff zur Prüfung steht. Über die Notengebung findet somit eine Disziplinierung statt, welche der Gesetzgeber zwar ausdrücklich verbietet, die aber trotzdem gang und gäbe ist, weil keine Kontrollinstanzen da sind, die dies sanktionieren.

  • Eine andere Variante ist das Arbeiten mit psychischer Gewalt (Druck). Den Schülerinnen werden ihre Fehler aufgezeigt und sie selbst dann vor den Mitschülerinnen ins Lächerliche gezogen. Diese Art der Maßregelung führt zu Verunsicherungen, psychischem Druck und dem oben genannten passiven Verhalten.

Was für Auswirkungen können daraus resultieren?

  • Manche Lehrerinnen setzen sich selbst unter Dauerstress, weil sie glauben, ihre hierarchische Position behaupten zu müssen. Sie erliegen dem Mythos, selbst "unfehlbar" sein zu müssen, damit ihre Autorität nicht untergraben wird.

  • Burnout und Zynismus sind bei Lehrerinnen häufige Begleiterscheinungen, resultierend aus chronischer Überforderung und Enttäuschung des ursprünglichen beruflichen Ideals, was die Lehrerinnen bis in die Dienstunfähigkeit führen können.[4]

  • Die Schülerinnen stehen unter psychischem Druck, das Lernen wird dadurch erschwert und es können Lernblockaden entstehen. Siehe in weiterer Folge das Kapitel "Gehirnforschung und Lernen".

Nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Gehirn-, Lern-, Schul- und Integrationsforschung wäre in den Schulen eine ganz andere Didaktik möglich.

Eine Didaktik

  • die lebendiges, selbstverantwortliches und selbständiges Lernen zulässt

  • die Schülerinnen in ihren Lerninteressen ernst nimmt und eine wertschätzende Unterrichtsstruktur ermöglicht.

Fokus dieser Diplomarbeit

Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet u.a. die Arbeitsweise und Standpunkte transparent zu machen. In diesem Kapitel werden grundlegende Elemente dargestellt, die zum besseren und leichteren Verständnis des Inhaltes dienen sollen.

Frontalunterricht und Offener Unterricht sind als Unterrichtssysteme in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet. Mit der Erklärung des gesellschaftlichen Kontextes und des darin enthaltenen schulischen Systems soll der Fokus dieser Diplomarbeit transparent gemacht werden.

Gesellschaftlicher Kontext

Jedes Individuum ist für sich genommen einzigartig und tritt auch in Interaktion mit anderen Individuen. Diese Wechselbeziehung der Individuen findet in einem sozialen System statt. Bronfenbrenner erklärt dies so: Eine Person ist eine "wachsende dynamische Einheit", die einen Einfluss auf die Umwelt ausübt und sie wirkt zugleich auch auf das Individuum ein. Die gegenseitige Beeinflussung (Individuum <=> Umwelt) ist ein komplexer Prozess in einem vielschichtigen System. Die darin durchgeführten Interaktionen bewirken Veränderungen (Stabilisierungen und Destabilisierungen) des Systems und der Individuen. Bronfenbrenner gliedert das System; in dem sich ein Individuum befindet; in die Bereiche Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem auf. Alle Felder greifen ineinander, bedingen sich gegenseitig und schaffen einen gesamtgesellschaftlichen Kontext.[5] In der Grafik1 wird dies dargestellt und beschrieben.

Abb.1: Einbettung des Individuums in die Systeme der Gesellschaft Grafik aus: Ziemen, Kerstin: Das bislang ungeklärte Phänomen der Kompetenz. Kompetenzen von Eltern behinderter Kinder. S. 205

Individuum bezeichnet hier den Menschen als Einzelwesen (in seiner jeweiligen Besonderheit)[6] eingebettet in den Systemen: Mikrosystem, Mesosystem, Exosystem und Makrosystem.

Mikrosystem ist der direkte Lebensbereich und das unmittelbare System, in dem das Individuum lebt.

Bronfenbrenner beschreibt dies so: "Ein Lebensbereich ist ein Ort, an dem ein Mensch direkte Interaktionen mit anderen eingehen kann"[7]. Dies sind somit Familie (wichtigster Lebensbereich), Klassenzimmer, engster Freundschaftskreis, usw.

Mesosystem besteht aus zwei oder mehr Lebensbereichen, denen das Individuum angehört und umfasst die Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Lebensbereichen (z.B. bei Kindern die Wechselbeziehung zwischen dem Elternhaus, der Schule und Kameradengruppe).[8] Für die Entwicklung des Einzelnen ist es günstig, wenn der Übergang von einem Bereich zum anderen begleitet wird (z.B. Ein Kind wird beim Schulanfang von den Eltern begleitet).[9]

Exosystem umfasst Lebensbereiche, die einen Einfluss auf eine Person haben, ohne selbst direkt beteiligt sein zu müssen (z.B. der Arbeitsplatz des Vaters, Schulklassen älterer Geschwister, Familie des Lehrers usw.).

Makrosystem beinhaltet Strukturen, die das Gesamtgesellschaftssystem ausmachen und die sich wie ein roter Faden durch alle untergeordneten Systeme bis hin zum Individuum ziehen (z.B. Gesetze, Ideologien, Weltanschauungen, Normen, usw.). Dies ist die Kultur oder Subkultur einer Gesellschaft. Alle Mitglieder dieser Kultur werden gezwungenermaßen von dieser beeinflusst und geprägt.[10]

Der Fokus in dieser Diplomarbeit richtet sich hauptsächlich auf die Bereiche des Individuums, Mikrosystems und Mesosystems, das heißt das Individuum Schülerin im Mikrosystem Klassenzimmer und im Mesosystem Schule (Unterrichtssystem).

Schulischer Kontext

Dieser Bereich ist ein Teilaspekt des oben beschriebenen Gesellschaftssystems. In dieser Arbeit wird das Unterrichtssystem separiert betrachtet, wie bei einem Organ, das aus dem lebendigen Organismus herausgenommen und gesondert analysiert wird. Das führt dazu, dass nicht mehr alle Einflussfaktoren Berücksichtigung finden. Diese Eingrenzung ist notwendig, um den Bereich "Unterrichtssystem" genauer betrachten zu können.

Die Abbildung 2 verdeutlicht nochmals die wechselseitigen Beziehungen zwischen Individuum, Mikrosystem und Mesosystem. Die Interdependenz zwischen Lehrerin, Schülerin und dem Lerngegenstand kann als Mikrosystem bezeichnet werden. Das Unterrichtsystem mit den Strukturen und allem was dazugehört, kann dem Mesosystem Schule zugeordnet werden. Das Exosystem, welches die indirekten Einflüsse beinhaltet, sowie das Makrosystem bleiben unberücksichtigt bzw. werden nur teilweise angesprochen.

Die Grafik entstand in Anlehnung an die "Pädagogische Triangel", auch "Didaktisches Dreieck" genannt. Der Ursprung kann wohl auf Friedrich Herbart (1776-1848) zurückgeführt werden. Er entwickelte die Lehre vom erziehenden Unterricht, d.h. das besondere an Unterricht ist, dass Lehrerin und Schülerin durch den Unterrichtsgegenstand in Verbindung treten. "So etwas heißt unterrichten; das Dritte ist der Gegenstand, worin unterrichtet wird; ...."[11]

Erich E. Geißler schreibt in seinem Buch "Allgemeine Didaktik", dass jeder Unterricht es mit drei Größen zu tun hat, nämlich mit der Schülerin, der Lehrerin und dem Inhalt. Was in der Abb.2 als Unterrichtssystem bezeichnet ist, nennt er "pädagogisches Feld". Es beschreibt, wie verschiedene Faktoren im Unterricht wirken und sich gegenseitig bedingen.[12] Weiters wird die Lehrerin als Verantwortliche "für das Beziehungsinsgesamt dieser Feldstruktur gesehen."[13] Genau dies kritisieren Jank und Meyer am "Didaktischen Dreieck". Es ist lehrerzentriert orientiert, die Beteiligung der Schülerinnen wird nicht berücksichtigt und "die Wechselwirkungsprozesse zwischen Zielen, Inhalten und Methoden wurden darin unterschlagen"[14]. Die Wechselwirkungsthese wird bei allen führenden Didaktikerinnen als anerkannt betrachtet und ist ein unabdingbarer Bestandteil des "Didaktischen Dreiecks".[15]

Michael Schratz stellt die drei Bezugspunkte Lehrperson, Lernende und Lerninhalt in ein System und hebt auch eine Wechselwirkung hervor: "Die Beziehung zwischen den Eckpunkten dieses (imaginären) Dreieckes stehen im Mittelpunkt dessen, wie Unterricht organisiert wird."[16]

Beschreibung des Organigramms Unterrichtssystem:

Abb.2: Unterrichtssystem

Unterrichtssystem: Ist das System, in dem die Interaktion zw. Schülerin, Lehrerin, Lerngegenstand stattfindet und wo die Individuen in bestimmte Strukturverhältnisse eingebettet sind (z.B. Unterrichtsform, Sozialform, gesetzliche Richtlinien, Lernstruktur, Didaktik, usw.). Hier richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Brauchbarkeit der Strukturen, die für Entwicklung der Individuen förderlich sind.

Lehrerin: bezeichnet die Person der Lehrerin, ihre Rolle und Funktion im jeweiligen Unterrichtssystem.

Schülerin: bezeichnet die Person der Schülerin, ihre Rolle und Funktion im jeweiligen Unterrichtssystem.

Lerngegenstand: symbolisiert das Lernfach (z.B. Mathematik, Geschichte, usw., auch die Lerninhalte, die durch den Lehrplan vorgegeben sind), die Lernmaterialien (Bücher, Medien, usw.) und beschreibt die Art, Anwendung und Auswahl des Lerngegenstandes.

A, B, C bezeichnen die Interessensfelder. Die Überschneidungen der aneinander angrenzenden Felder präsentieren das jeweilige Interessensfeld.

A = bezeichnet das Interessensfeld Dialog / Kommunikation / Interaktion

B+C = bezeichnen die Interessensfelder zum Lerngegenstand, einmal von Seiten der Lehrerin und einmal von Seiten der Schülerin.

Systemisch-konstruktivistischer Blickwinkel

Alle Akteure, die mit Schule in Kontakt stehen (Lehrerin, Schülerin, Eltern, Inspektorinnen, usw.), sind in unterschiedlichen Systemen (z.B. Team, Lerngruppen, Familie, Schule, Gesellschaft) miteinander in Interaktion. Daraus ergebenden sich Wechselwirkungen und Vernetzungen, die sich formend auf Einstellungen und Handlungen auswirken, weshalb "die systemischen (interaktiven) Bedingungen zu reflektieren und eigene systemische Methoden der Beobachtung, der Teilnahme und der Handlungen zu entwickeln"[17] sind.

Die konstruktivistische Perspektive sorgt für die nötige kritische Reflexion in der systemischen Interaktion, in der die Machtpositionen und einzelnen Interessen hinterfragt und offen gelegt werden.[18]

Mit dem Fokus der systemisch-konstruktivistischen Didaktik / Sichtweise werden unter anderem im Handeln und Denken neue Wege eingeschlagen und konstruiert, anders als bis her in der herkömmlichen traditionellen und zum Teil "starren" Didaktik. Damit ist nicht gesagt, dass alte (traditionelle) Systeme a priori schlecht sind, sondern eine zeitgemäße Anpassung der Inhalte der Schule an die Veränderungen der Gesellschaft ist erforderlich. Früher mag Frontalunterricht für Pädagoginnen ein sinnvolles Instrument dargestellt haben, um die damalige zunehmende Anzahl von Schülerinnen unterrichten zu können.[19] In der heutigen Zeit jedoch, da sich der Wissensstand über pädagogische Möglichkeiten im Vergleich zu früher potenziert hat und sich die Gesellschaft stetig im Wandel befindet, ist ein Umdenken in der Einstellung zu traditionellen Sichtweisen im Unterricht unerlässlich.[20]

"Aus dem Blickwinkel der systemisch-konstruktivistischen Sicht zeigt sich, dass

  • Menschen und ihre Welten (Multiversen) untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig hervorbringen, indem ihre Wirklichkeitskonstruktionen den Ausdruck eines ganzen Netzes von Beziehungen zwischen ihrer Körperlichkeit, ihren Wahrnehmungen und Bewegungen (bzw. ihres Verhaltens und Handeln), ihrer Emotionen und ihres Denkens, ihrer sozialen und materialen Mitwelt darstellen. Diese sind weder ‚richtig' noch ‚falsch', sondern lediglich möglich, gangbar, passend, variabel.

  • Wissen eine Beobachterkategorie und Lehren ein kommunikativer Vorgang ist, bei dem die Lehrenden so an die Erfahrungswelt der Lernenden ankoppeln müssen, dass diese zu neuen Operationen ‚angestoßen' bzw. angeregt werden, die zum Treffen neuer Unterscheidungen und zum Aufbau neuer Wirklichkeitskonstruktionen führen.

  • Kinder keinen altersabhängig beschränkten Zugang zu einer vermeintlich ‚objektiven' Realität haben und sich nicht zum Menschen, sondern als Menschen entwickeln, wobei ihre Sichtweisen von Wirklichkeit ein legitimer Ausdruck von unterschiedlich möglichen, gleichwertigen Wirklichkeitskonstruktionen sind.

  • Beobachterkategorien wie ‚Lernprobleme' Ausdruck des gesamten Netzes von Beziehungen zwischen Schülerinnen (als körperliche, wahrnehmende, sich bewegende, fühlende und denkende Wesen) und ihren individuellen Lebenskontexten (ihrer materialen und sozialen Mitwelt) sind und diese für die Schülerinnen viable Wirklichkeitsbeschreibungen darstellen (Stichwort: ‚kontextbezogene, kompetenzorientierte, zirkuläre' Sichtweise)."[21]

Auf Schule / Unterricht bezogen braucht es in diesem Zusammenhang eine ganzheitlich berücksichtigende Didaktik, die alle Kinder berücksichtigt. Ein Unterricht, an dem geistig behinderte Kinder als vollwertige Mitglieder teilhaben können, muss "so variabel und strukturiert zugleich gehandhabt werden, daß unter Berücksichtigung der individualen Lernvoraussetzungen mit ihrer enormen Varianz pro Klasse für alle Schüler ein Lernzuwachs, eine Verbesserung der Kommunikations- und Handlungskompetenz zu erwarten bzw. zu erzielen ist."[22]

In diesem Kontext nennt Otto Speck acht Didaktische Orientierungsprinzipien:

  1. "Der Unterricht muß differenziert die Individualitäten der Schüler berücksichtigen (Individualisierung)

  2. Der Unterricht muß eine aktive Auseinandersetzung mit den Lehrinhalten ermöglichen (Aktivitätsprinzip)

  3. Der Unterricht muß möglichst ganzheitlich organisiert sein (Ganzheitsprinzip) und

  4. die entsprechend nötigen Strukturierungshilfen bereitstellen (Lehrzielstrukturierung).

  5. Durch konkrete Erfahrung der Wirklichkeit und durch Anschaulichkeit soll die Anwendung von Kenntnissen und Fertigkeiten auf ähnliche Lerngegenstände und Situationen vorbereitet und geübt werden (Anschaulichkeit und Übertragung).

  6. Die unterrichtliche Beanspruchung des Schülers muß dem Stand und der Stufenfolge der geistigen Entwicklung entsprechen (Entwicklungsgemäßheit).

  7. Das kognitive Erfassen im Handeln soll durch begleitendes Sprechen gestützt werden (Aktionsbegleitendes Sprechen)

  8. Alles Lernen wird im besonderen durch soziale Motivationen gefördert (Soziales Lernen)" [23]

Diese Prinzipien sollen den Lehrerinnen eine Orientierungshilfe darstellen und da der Unterrichtsprozess ein variabler und offener ist, verschieben sich die Schwerpunkte je nach Gegebenheit im Unterrichtsverlauf. Im Kapitel 2.3.1 Differenzierung des Unterrichtsprozesses findet eine ausführliche Betrachtungsweise anhand von ausgewählten didaktischen Modellen statt.



[1] In: Hentig, Hartmut von: Die Schule neu denken. Eine Übung in praktischer Vernunft. Carl Hanser Verlag, München Wien 1993, S. 125

[2] Arnold; Rolf: "Lebendiges Lernen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung von Bildung!" - Einleitung und Überblick. In: Arnold, Rolf (Hrsg.) Lebendiges Lernen. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung, Bd. 5, Schneider Verlag, Hohengehren 1996, S.1f.

[3] Holzkamp, Klaus: Wider den Lehr-Lern-Kurzschluß. Interview zum Thema ‚Lernen'. In: Arnold, Rolf (Hrsg.) Lebendiges Lernen. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung, Bd. 5, Schneider Verlag, Hohengehren 1996, S.21-24

[4] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I für Anfänger. 1997 S.166ff

[5] Bronfenbrenner Uri: Ökologische Sozialforschung. In: Kruse, Lenelis; Graumann, Carl F.; Lantermann, Ernst-D. (Hrsg.): Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Reihe "Umweltpsychologie in Forschung und Praxis", Psychologie Verlags Union, Weinheim 1996, S.76-79

[6] Wiss. Rat d. Dudenredaktion: Günther Drosdowski et all (Hrsg.): Duden Fremdwörterbuch. Bd. 5, Dudenverlag, Mannheim Wien Zürich 19905

[7] Bronfenbrenner, Uri: Ökologische Sozialforschung. 1996, S.76

[8] Bronfenbrenner, Uri: Ökologische Sozialforschung. 1996, S.76f.

[9] Bronfenbrenner, Uri: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1981, S.201f.

[10] Bronfenbrenner, Uri: Ökologische Sozialforschung. 1996, S.77

[11] Peterßen, Wilhelm H.: Lehrbuch Allgemeine Didaktik. Ehrenwirth Verlag, München Ehrenwirth 19892, S.64

[12] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. Grundlegung eines erziehenden Unterrichts. Klett Verlag, Stuttgart 1981, S.54f.

[13] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.55

[14] Jank, Werner; Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle. Cornelsen Scriptor Verlag, Berlin 20025, S.55

[15] Jank, Werner; Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle. 2002, S.55ff.

[16] Schratz, Michael: Methoden der Schul- und Unterrichtsforschung. In: Hug, Theo (Hrsg.):Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Bd.2, Schneider Verlag, Baltmannsweiler Hohengehren 2001, S.416

[17] Reich, Kersten: Konstruktivistische Didaktik. Lehren und Lernen aus interaktionistischer Sicht. Luchterhand Verlag, Neuwied 2002, S.156

[18] Reich, Kersten: Konstruktivistische Didaktik. 2002, S.156

[19] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I für Anfänger. 1997, S.52

[20] Voß, Reinhard (Hrsg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherung an Schule und Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied 19993, S.7

[21] Balgo, Rolf; Voß Reinhard: Wenn das Lernen der Kinder zum Problem gemacht wird. Einladung zu einem systemisch-konstruktivistischen Sichtwechsel. S.56-69, In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherung an Schule und Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied 19993, S.67f.

[22] Speck, Otto: Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpädagogisches Lehrbuch. Ernst Reinhard Verlag, München Basel 19937, S.236

[23] Speck, Otto: Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpädagogisches Lehrbuch. Ernst Reinhard Verlag, München Basel 19937, S.238

Kapitel I - Frontalunterricht und Offener Unterricht

"Die Schule als Erfahrungsraum ist zugleich auch ein Ort, an dem der Einzelne die Notwendigkeit, die Vorteile und den Preis des Lebens in der Gemeinschaft erfährt. Die Schule ist eine pólis. Man lernt am Modell dieser Gemeinschaft die Grundbedingungen des Friedlichen, gerechten, geregelten und verantworteten Zusammenlebens und alle Schwierigkeiten, die dies bereitet. Gemeinschaft fordert Ordnungen, Selbstdisziplin, Einigung auf die Zwecke und die Grenzen des Zusammenseins. Gemeinschaft bedeutet auch stärker sein, sich geborgen fühlen, Spaß miteinander haben. (von Henting 1993:212)" [24]

1.1 Blick in die Schulgeschichte

In diesem Kapitel wird der Kernbereich der Schule, der sogenannte Unterricht, betrachtet. Er bildet mit all seinen Komponenten (Lehrerin, Schülerin, Klassenraum usw.) ein System, in dem schulisches Lernen stattfindet.

Bevor im Detail auf die Merkmale des Offenen und Frontalunterrichts eingegangen wird, betrachten wir im Vorfeld den Unterricht allgemein.

Die ersten Bilder von Schule reichen bis ungefähr 2000-1800 Jahre v. Chr. zurück.

Abb.3: Schule 2000 v. Chr. In: Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I: Für Anfänger. Cornelsen Verlag, Berlin 1997, S.332

Archäologinnen haben bei einer Ausgrabung einen Palast freigelegt, der sich in der damaligen babylonischen Stadt Mari befindet. Ein darin enthaltener Raum (siehe Abb.3) ist im schulgeschichtlichen Kontext sehr bedeutungsvoll, denn die Erklärung des Raumes lautet: "Schulstube mit Bänken aus Lehm und bootsähnlichen Behältern, in denen sich noch bei der Ausgrabung die Muschelplättchen, die den Anfängern als Schreibmaterial dienten, befanden"[25]. In späteren Beschreibungen wird darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung als Schulraum eine Deutung sein könnte. Interessant bleibt aber, sollten sich die Archäologinnen geirrt haben, "dass sie - und vermutlich auch wir - ein ziemlich deutliches Bild von Schule im Kopf haben"[26]

Was sagt uns diese Beschreibung über Unterrichtsbilder?

  • Unterricht erfolgt "in einem geschlossenen Raum, abgetrennt von der Außenwelt;"

  • Unterricht findet "im Sitzen;" statt

  • Unterricht erfolgt "mit Schreibgeräten;"

  • Unterricht erfolgt "im geordneten ‚Haufen';"

  • Unterricht erfolgt "in der frontalen Ausrichtung - wohl auf einen Lehrer."[27]

Im 17. Jahrhundert wurde die "Didachografie"[28] (die Methode des Frontalunterrichts), die damals als Reform angesehen wurde, von Johann Amos Comenius (1592-1670) begründet. Ein Grundbild für Lernen durch Belehrung entstand, im Sinne von: die Lehrende zeigt und benennt, die Lernende soll sich alles gezeigte, die genannten Namen und Wörter, einprägen. "Einzelunterricht in Gruppen oder ‚Haufen' ... war die vorherrschende Form des Unterrichts im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit."[29]

Doch ohne die Entstehung des Frontalunterrichts "wäre es vermutlich kaum möglich gewesen, die allgemeine Schulpflicht für alle Heranwachsenden in jeder Stadt und in jedem Dorf durchzusetzen und die ständig wachsenden Unterrichtsinhalte zu bewältigen."[30]

Seit dem 18. Jahrhundert wurde das Schulwesen verstaatlicht und die allgemeine Schulpflicht eingeführt, die heute noch besteht.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde "die Gemeinsame Grundschule für alle Kinder und damit der Grundstock für ein integriertes Schulwesen" festgelegt.[31]

Während des Nationalsozialismus fand eine Militarisierung des Unterrichts statt. Ein Gedankengut der "wehrgeistigen Erziehung" war vorherrschend.[32]

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gab es zwar kurz keine Schule mehr, doch nach einigen Wochen wurde der Unterricht wieder eröffnet.[33]

Der Frontalunterricht ist seit der Entstehung im 17. Jahrhundert bis zum heutigen Zeitpunkt Bestandteil der meisten Unterrichtsformen. Unterricht im Verständnis des "Offenen Unterrichts" ist erstmals durch engagierte Pädagoginnen in den 70ern entstanden. Mit der Betitelung "Öffnung des Unterrichts" erfolgte zunächst eine Reform im Grundschulbereich, dann in weiterer Folge in Sekundarstufe-I und Sekundarstufe-II.[34]

Es gab jedoch schon in den 30er Jahren Ansätze, die in die Kategorie des Offenen Unterrichts fallen. Um nur einen Beispiel zu nennen: Adolph Reichwein, der, nachdem er von den Nationalsozialisten aus dem Hochschuldienst entlassen wurde,[35] 1936 eine kleine Schule in Tiefensee in Berlin leitete. Auf einem Foto im Buch "Schulpädagogik für Anfänger" von Meyer wird der Pädagoge in direktem Kontakt (auch Körperkontakt) mit den Schülerinnen abgebildet. Lehrender und Lernende konzentrieren sich voll auf den Lerngegenstand, sie haben "offensichtlich den pädagogischen Bezug hergestellt.", d.h. gegenseitige Wertschätzung, dialogische Kompetenz im Sinne von sich austauschen, zuhören und in menschlichen Kontakt treten.[36]

1.2 Auswahl des Unterrichtsstils

Im oben genannten geschichtlichen Abriss lässt sich feststellen, dass sich Schule und Unterricht besonders in den letzten Jahren stark gewandelt haben. Frontalunterricht und verschiedene Formen des Offenen Unterrichts bieten eine breite Palette in der Unterrichtskultur. Somit hat die Pädagogin heutzutage ein breitgefächertes Angebot, um die Form des Unterrichtsstils auszuwählen. Die Auswahl beschränkt sich nicht nur auf die Unterrichtsform, sondern eine beachtliche Anzahl von Literatur zu Methodik und Didaktik im Unterricht bietet der Lehrerin zusätzlich eine bunte Vielfalt zur Unterrichtsgestaltung.

Aus dieser Vielfältigkeit ergibt sich, dass die unterschiedlichsten Unterrichtsformen und die verschiedensten Modelle von Lehrerinnen heterogen favorisiert werden.[37]

In der für diese Diplomarbeit erarbeiteten Literatur werden viele Möglichkeiten für die Auswahl des Unterrichtsstils aufgezeigt.[38]

Auffällig ist, dass dabei vorrangig auf die Kriterien, wie Unterrichtsauswahl erfolgen sollte und welche Inhalte in welchem Kontext von Vorteil wären, eingegangen wird, z.B. Welche Strukturen sind förderlich für Lernprozesse? Welche didaktischen Konzepte gibt es? Erläuterung und Anwendung von Lehrmethoden, usw.

Die Reflexion und kritische Betrachtungsweise der eigenen Persönlichkeitsstruktur, Grundhaltungen und Erfahrungswelten, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl haben, werden in der oben genannten Literatur nur in geringem Umfang bis gar nicht angesprochen.

Edmund Kösel empfiehlt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit, um die Auswahlmöglichkeiten der Unterrichtsformen zu erweitern. In seinem Buch wählt er aus den vielen Persönlichkeitstheorien die "Integrierte Persönlichkeits-Theorie" nach Epstein und die "Transaktions Analyse" aus und beschreibt diese. Er betont auch, dass sie nicht alleinige Grundlage "aber zumindest Wegweiser für eine Suche nach einer ‚Theorie des Ich im Unterricht'." sein können.[39]

Reinhard Voß, der einen systemisch-konstruktivistischen Ansatz vertritt, spricht von biografisch gewachsenen Erfahrungen, die sich in den gegebenen Einstellungen manifestieren. Das Individuum nimmt die Umwelt anhand einer fixen Schablone wahr und bewertet sie auch über diese. Er beschreibt in diesem Zusammenhang auch "Grundhaltungen", die das eigene Verhalten bestimmen, sogar wenn sie unbewusst erfolgen. Auch gibt es "inzwischen immer mehr Lehrer, die erkennen, dass die traditionell erkennbaren Haltungen nicht mehr zur Bewältigung des BerufsLebens passend, ‚viabel' ... sind."[40]

Als Chance für eine lebendige Beziehung im Schulalltag kann das Wahrnehmen und kritische Betrachten der eigenen Denkmuster gesehen werden.

Interessant sind Meinungen von befragten Lehramtsstudierenden im Rahmen eines Seminars des Instituts für Lehrerinnenbildung und Schulforschung (ILS) in Innsbruck. Im Zuge dieser Veranstaltung wurde die Ausbildung des ILS, in Hinblick auf die Erfahrungen der Studierenden mit der Lehramtsausbildung, analysiert. Wichtige Punkte waren die Kritik an der zu starken theoretischen Ausrichtung und zu geringen Praxisnähe in der Lehramtsausbildung. Weiters sprachen sie jene Aspekte an, die auf Haltungen, Einstellungen, Sichtweisen und Denkmuster der Individuen wirken, wie z.B. persönliche Erfahrung im Schulalltag und reflektierende Auseinandersetzung mit eigenem Verhalten. Hier zwei Auszüge von den Interviews, um ein plastisches Bild von den Aussagen zu bekommen:[41]

Roman, 4.Semester: "Ich meine, dass viel zu wenig auf die praktische Anwendung von Didaktik und Methodik auf der Uni eingegangen wird. Was nützt mir die ganze Theorie, wenn ich nicht im Stande bin, diese im Unterricht umzusetzen? ‚Lass es mich tun - ich werde verstehen'." [42]

Michael, 4.Semester: "Wir hören seit 3 Semestern wirklich interessante Theorien, aber die Praxis in der Schule und der Lehrinhalt vom ILS, das sind meiner Meinung nach völlig andere Dimensionen. Die einzigen Möglichkeiten, den Praxisbezug herzustellen, sind: 1. Übungsschulen, die direkt in Verbindung zur Uni stehen und die laufend besucht werden müssen; 2. Professoren am ILS, die selber noch als Lehrer an diversen Schulen tätig sind, sprich: auf dem Laufenden bleiben." [43]

Im Artikel zu "Offenen Lernformen an der Hochschule" in der Zeitschrift für Heilpädagogik wird beschrieben, wie an der Universität in Nordrhein-Westfalen ein Seminar als Lernwerkstatt durchgeführt wurde. Ausgehend von der paradoxen Situation, Frontalunterricht zu betreiben und dabei die Inhalte von Offenen Lernformen zu lehren, wurden neue Überlegungen angestellt, die den Inhalt für die Lernenden erfahrbar und relevant werden lässt. Den Autorinnen (zugleich Seminarleiterinnen) ist wichtig, dass eine "Erweiterung von Lernangeboten im Rahmen der Hochschuldidaktik"[44] sowie "kritische Reflexion ... der hochschuldidaktischen Lehrformen"[45] stattfinden sollte. Die Autorinnen meinen, dass das Angebot von theoretischen Inhalten zur Öffnung des Unterrichts an den Universitäten groß sei, jedoch die praktische Umsetzung und Erfahrung nur vereinzelt auffindbar ist. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass theoretische Vermittlung automatisch die praktische Umsetzung antreibe. Dazu müsste die Universität die Hochschuldidaktik reformieren, damit ein qualitatives und handlungsorientiertes Lernen stattfinden kann. Weiters wird von ihnen ein durchgeführtes Lernwerkstattseminar an der Hochschule dargestellt, und unter anderem auch die damit verbundenen Haltungsveränderungen der Studentinnen zu Offenen Lernformen.[46]

Die Erfahrungs- und Handlungsebene dürfen in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden, sie sind wichtige Faktoren für die Herausbildung und Erneuerung von Grundhaltungen.[47] In der Gehirnforschung wird darauf hingewiesen, dass ein Lerninhalt, je mehr Sinne beim Lernen aktiv sind, leichter aufgenommen wird und sich besser einprägen kann. Wird Theoretisches nun im praxisbezogenen Umfeld umgesetzt, wie es bei einem handlungs- und erfahrungsorientierten Unterricht der Fall ist, so sind die Emotionen und die meisten Sinne aktiviert, und die Erfolgsausichten sehr hoch, dass Neues nachhaltig gelernt wird.[48]

Kron spricht davon, dass die Auswahl der Unterrichtsform zum Großteil aus dem lebensgeschichtlichen Prozess der Lehrerin und ihrem eingebetteten Kontext ins gesellschaftliche Umfeld resultiere.[49]

In diesem Zusammenhang könne sich der lebensgeschichtliche Prozess der Lehrerin aus den Erfahrungen kristallisieren, die z.B. aus der der eigenen Schulzeit, dem Erziehungsstil im Elternhaus, der Lehramtsausbildung, den Fortbildungen, dem Lehr- und Schulalltag, dem Kollegium, usw. entstehen. Friedrich Kron meint weiters,

"dass die von Unterricht und Schule Betroffenen stets eine eigene Perspektive entwickelt haben. ... Dabei zeigt es sich, dass Unterricht und Schule eine Bedeutung zukommt, die nicht in erster Linie aus einem Funktionszusammenhang, z.B. der Reproduktion der Gesellschaft, verstanden wird, sondern aus einem individuellen Bildungsgang, Interessensbedürfnis und Lebenszusammenhang." [50]

Der eingebettete Kontext der Lehrerin ins gesellschaftliche Umfeld, der die Auswahl der Unterrichtsform beeinflusst, kann laut Kron wie folgt beschrieben werden:

  • Die Entscheidungsprozesse einer Lehrerin, die den Unterricht betreffen, sind durch rechtliche und gesetzliche Grundlagen bedingt. Z.B. durch Bundesgesetze, Ländergesetze, Schulordnungen, vom Staat genehmigte Prüfungsordnungen, Lehrpläne, genehmigte Lehrbücher, staatlich kontrollierte Ausbildung der Lehrerinnen usw.

  • Weiters beeinflusst das schulische Handeln einer Lehrerin die "nicht auf Gesetzen beruhenden gesellschaftliche Faktoren"[51] wie "kulturelle und soziale Wertorientierungen und Normen"[52]. Somit wirken die erworbenen Kompetenzen, das eigene Welt- und Menschenbild sich auf die Auswahl der Didaktik, der Unterrichtsform und des Unterrichtsstils aus. Dies ist so stark internalisiert, "dass die Vertreter der jeweiligen Ausbildungs- und Unterrichtssysteme, die jeweils geltenden Kulturmomente gegenüber ihrer Klientel legal, d.h. z.B. auf dem Schulgesetz gründend, durchsetzen können".[53]

Wie oben beschrieben, ist die Auswahl der Unterrichtsform stark mit der eigenen Einstellung verbunden. Das Bild von Unterricht ist heterogen und jede Lehrerin hat ihre eigene Vorstellung vom "guten" Unterricht.

Diese divergenten Ansatz- und Sichtweisen von Unterricht bergen die Gefahr einer Polarisierung der Lehrenden untereinander und der Unterrichtformen in sich. Der Vergleich im Sinne welcher Unterricht richtiger oder schlechter ist, ist für eine Entwicklung nicht konstruktiv, denn kein Unterrichtsmodell ist besser als das andere, jedes hat in Beziehung gesetzt zu den Bedürfnisse der Beteiligten seine Berechtigung. Als Grundlage für "guten" Unterricht braucht es Qualitätskriterien, die den Entwicklungsprozess der Lernenden fördern. Dies drückt Harald Riedel wie folgt aus: "Wer nicht um die Struktur verschiedener Lernprozesse weiß, wird den Unterricht aus Unsicherheit und Unkenntnis leicht einengend lenken. Doch ist die ‚Qualität des Lernprozesses ... der Maßstab für guten Unterricht'"[54], d.h. nicht der Unterrichtstil soll Maßstab für "guten" Unterricht sein, sondern Qualitätskriterien, die sich auf den Lernprozess beziehen, egal ob Frontalunterricht oder Offener Unterricht gewählt wird. Hier stellen sich die Fragen: Wer erstellt die Kriterien? Auf welcher Grundlage sollen die Kriterien beruhen?

Weiter unten im Kapitel 1.3 "Frontaler Unterricht - Offener Unterricht" wird näher darauf eingegangen.

Nochmals zurückkommend auf die divergente Favorisierung des Offenen und Frontalunterrichts, konstatiert Hilbert Mayer in diesem Zusammenhang:

"Ungefähr 75% allen in der Sek-I und Sek-II gegebenen Unterrichts ist Frontalunterricht. Die in der Didaktik seit Jahrzehnten übliche, mehr oder weniger polemische Abwertung des Frontalunterrichts hat im Schulalltag also nur wenig bewegt. Deshalb halt ich es für überfällig, eine ideologische Kehrtwendung vorzunehmen und die verschüttete Kultur des Frontalunterrichts wieder zu beleben:

Eine runde Frontalunterrichtsstunde, in der die Schülerinnen mitgehen, in der sie gebannt dem Lehrervortrag lauschen und sich beim Melden überschlagen, kann ausgesprochen schön sein und Balsam für wunde Lehrerseelen liefern.

Gruppenunterricht, Frei- und Projektarbeit und andere Segnungen der neueren Didaktik können nicht gegen, sondern nur im Einklang mit gutem Frontalunterricht Erfolg bringen.

Nichts wäre alberner als die absichtliche Demontage des Frontalunterrichts!" [55]

Weiters meint er:

"Schulreform kann nur gelingen, wenn der Frontalunterricht produktiv weiterentwickelt wird" [56]

Resümierend kann gesagt werden, dass eine Notwendigkeit besteht, die Bilder, die Lehrerinnen von Unterricht internalisiert haben, zu erweitern, neue Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen und eine Sensibilisierung der Inszenierungsmuster des Schulalltags herbeizuführen, damit eine konstruktive und kontinuierliche Weiterentwicklung in der Unterrichtslandschaft entsteht.[57]

In der Kontroverse um den Offenen und Frontalunterricht ist es von Vorteil, darauf zu achten, dass die förderlichen Aspekte des Frontalunterrichts hervorgehoben werden und eine sinnvolle Verbindung mit offenen Lernformen skizziert wird, ansonsten besteht die Gefahr einer Verhärtung der gegensätzlichen Standpunkte.

Weiters besteht ein Bedarf, wie oben aus der Befragung der Lehramtsstudierenden und dem Zeitschriftenartikel zum Offenen Unterricht ersichtlicht dargestellt wurde, die wissenschaftlichen Theorien in die Handlungsebene zu transferieren, um Erfahrung und Handlungsspielraum zu erweitern.

Und zu guter letzt wird von der EU-Expertengruppe für das Teilziel 1.1 "Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildung von Lehrkräften und Ausbildnern" des Arbeitsprogramms zur Erreichung der bildungspolitischen Ziele für 2010, Kompetenzen für eine reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Weltbild für notwendig erachtet. Im Kontext von lebenslangem Lernen müssen die Lehrerinnen "in der Lage sein, die eigene Praxis zu reflektieren, individuelle Entwicklungsfelder zu identifizieren und an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten."[58]

1.3 Frontaler Unterricht - Offener Unterricht

Im oberen Teil wurde auf die Art und Weise, wie die Auswahl des Unterrichtsstils erfolgen kann, eingegangen. In diesem Kapitel geht es um die Unterrichtsformen, sie können in zwei Hauptbereiche gegliedert werden, den Frontalen und Offenen Unterricht. Der Frontalunterricht ist eine Form, die schon seit langem besteht (siehe geschichtlicher Teil), der Offene Unterricht hat sich erst am Anfang des 20.Jhd. entwickelt und findet nach anfänglichen Schwierigkeiten in den 70ern heute wieder neue Anerkennung.[59]

Wenn man sich als Lehrerin die Frage stellt, welche Unterrichtsform man auswählen sollte, ist es von Vorteil, sich im Klaren zu sein, welche Merkmale die einzelnen Formen überhaupt beinhalten. Es ist wichtig, die nachfolgenden Differenzierungen nicht als Polarisierung zw. Frontalunterricht und Offenem Unterricht zu verstehen, sondern es soll klar ersichtlich werden, welche Charakteristika dem einzelnen Unterrichtstypus entsprechen. Denn wenn das jeweilige Genre als normatives Konzept verwendet wird, dann beinhaltet es eine Tendenz zu "Glaubenskriegen". Das eine wird als gut bezeichnet und das andere verteufelt. Die Gefahr, dass die positiven Elemente des Gegenpols nicht mehr berücksichtigt oder wahrgenommen werden, ist somit sehr hoch. Im wissenschaftlichen Bereich dienen zweipolige Begriffe dazu, um auf der Theorieebene die Stärken und Schwächen herauszuarbeiten[60], "dies verhilft zu einem differenzierteren Beschreiben und Verstehen. Für die Praxisarbeit weitet dies das Repertoire aus und hilft, die jeweils richtige Mischung zu finden."[61]

Eine Unterscheidung zwischen Offenem und Frontalunterricht ist mit manchen Erschwernissen verbunden. Die Trennlinie zwischen den beiden Unterrichtsformen ist sehr verschwommen und nicht klar gezogen. In manchen Literaturen werden nur einzelne Merkmale herausgegriffen und genauer betrachtet. Die Darstellung der Merkmale und Kriterien der jeweiligen Kategorie des Offenen Unterrichts und Frontalunterrichts sind nicht einheitlich. Der Deckungsgrad der Beschreibungen ist somit sehr gering. Der Begriff Frontalunterricht kommt zum Teil gar nicht vor, stattdessen werden z.B. die Begrifflichkeiten traditioneller Unterricht[62], lehrerzentrierter Unterricht[63] oder Klassenzimmerunterricht[64] verwendet. Dennoch wurde in dieser Arbeit der Versuch unternommen, anhand von einzelnen gegebenen Kriterien ein Gesamtbild zu erstellen, das eine scharfe Trennlinie zwischen Frontal- und Offenem Unterricht zulässt.

1.3.1 Frontalunterricht

Wie schon im geschichtlichen Teil erwähnt wurde, ist der Frontalunterricht seit der Entstehung im 17. Jahrhundert bis zum heutigen Zeitpunkt Bestandteil der meisten Unterrichtsformen. Interessant ist, dass scheinbar von einem allgemeinen Grundbild des Frontalunterrichts ausgegangen wird, denn die Begrifflichkeit als solche wird zwar in der Literatur verwendet, aber es findet kaum eine genaue Definition statt.

Um ein Beispiel zu nennen, wird in Wallrabensteins Buch "Offene Schule - Offener Unterricht" der Aspekt Lehrerin-Schülerin-Beziehung und die Struktur der Räumlichkeiten in indirekten Zusammenhang mit Frontalunterricht gebracht.

In einem Schaubild (Abbildung 4) wird dazu angeregt, herauszufinden, welche Form einem lehrerinorientierten, schülerinorientierten, offenen und freien Unterricht entspricht.

Abb.4: Schaubild In: Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.82

Das Kästchen links oben in Abb.2 entspricht dem lehrerzentrierten Unterricht und die Erklärung lautet: "Der Lehrer steht im Zentrum des Lernfeldes. Er plant und organisiert weitgehend allein für die Schüler."[65], in der Folge wird nicht näher auf diese Form des Unterrichts eingegangen.

Wird davon ausgegangen, dass jene Form zur Genüge bekannt ist?

Eines ist nachweislich feststellbar, nämlich dass dieser Stil auch dem Lehrbild, wie es im 17.Jhd. schon entstanden ist, entspricht und sich bis in unsere heutige Zeit durchzieht. Comenius sagte damals: "Die Didaktik ist die Kunst des Lehrens. Lehren heißt bewirken, dass das, was einer weiß, auch ein anderer wisse"[66] und das Verständnis der Wissensvermittlung war so, dass sie nur von der Lehrerin aus erfolgte, wie sie auch heute noch im Frontalunterricht stattfindet.[67]

In einem anderen Zusammenhang werden in einem Bild zwei unterschiedliche Klassenräume gegenübergestellt. Die Bezeichnung des Bildes lautet: "Vom Klassenraum zur Lernlandschaft"[68]. Im anhängenden Text wird nur die Lernlandschaft erklärt, nicht aber was unter Klassenraum verstanden wird. Der Klassenraum bedarf anscheinend keiner Erklärung. Wahrscheinlich nimmt der Autor an, dass die Leserin anhand der Raumgestaltung des linken Raumes (siehe Abbildung 5) weiß, auf welche Unterrichtsform sich die Abbildung bezieht. Welche Assoziation zu diesem Bild entsteht ist zwar nur hypothetisch, aber hier kann sehr wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass sie sich auf den traditionellen Unterricht (Frontalunterricht) bezieht. Allein der Vergleich mit den Darstellungen im geschichtlichen Teil zur archäologischen Ausgrabung lässt dies vermuten. (siehe 1.1. Blick in die Schulgeschichte).

Abb.5: Vom Klassenraum zur Lernlandschaft In: Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.103

Hilbert Meyer erwähnt in seinen beiden Büchern "Schulpädagogik" sogar, dass der Frontalunterricht als "das Organisationsmodell der herkömmlichen Schule nahezu allen Leserinnen dieses Buches bekannt"[69] ist, d.h. er geht von einem allgemein bekannten Bild des Frontalunterrichts in der Bevölkerung aus.

Dennoch nennt er einige Merkmale des Frontalunterrichts, die wären:

  • "Jahrgangsklassen mit Fachunterrichtsprinzip

  • ‚Verwaltung' größerer Schülermengen

  • bürokratische und militärische Ideale von Effektivität"[70]

  • "Entfaltung differenzierter Formen der Leistungsbeurteilung

  • Entwicklung der Schulabschlüsse und Berechtigungen"[71]

Im geschichtlichen Teil des 1. Bandes zeichnet er das Bild der Entstehung des Frontalunterrichts bis zur Institutionalisierung nach.

Aus Comenius Vorschlägen, die er damals im 17.Jhd. zur Schulreform machte, können folgende Merkmale herausgenommen werden:

  • "mit weniger Lehrern weit mehr unterrichten,

  • "auch die mit Erfolg lehren können, welche die Natur nicht zu guten Lehrern gemacht hat"[72]

Unter anderem vergleicht Comenius den Unterricht mit dem damals aufkommenden Buchdruck. Die Schülerinnen sind wie das Papier, ihr Verstand wird mit den Buchstaben des Wissens beschrieben. Die Typen vergleicht er mit dem Lehrstoff und Lehrmittel, mit denen das Einprägen des Gelernten leichter fällt. Die Druckerschwärze setzt er mit der Stimme der Lehrerin gleich, mit der sich das Wissen in die Hörerinnen begibt. Die Presse wird mit der Schulzucht verglichen, die die Motivation zum Lernen darstellen soll.[73]

Mit diesen Reformvorschlägen wurde ein grundlegendes Bild für Frontalunterricht geschaffen. Um Wissen zu vermitteln, braucht es eine Lehrerin und eine Zucht bzw. strenge Disziplin, damit sich das Gelernte in den Verstand der Schülerin eingraviert.

In Folge von Jahrzehnten und Jahrhunderten realisieren und manifestieren sich die vorgeschlagenen Ideen Comenius. Neben einer Illustration, die eine Unterrichtssituation abbildet, ist folgendes zu lesen: "Man sieht eine Schule des Auswendiglernens und des Abhörens, des Abschreibens und Korrigierens. ...jeder arbeitet für sich ... nacheinander treten sie einzeln vor den Schulmeister ‚und sagen her/was sie gelernt haben' "[74]

Auch die Zucht wird ein alltägliches Mittel, mit einem Rohrstock wird die Disziplin und Lernmotivation in der Klasse aufrecht erhalten, dies verdeutlicht der nachfolgende Satz: "Die Zuchtrute oder der Rohrstock gehören lange Zeit zu den anerkannten Berufswerkzeugen eines Lehrers"[75], dies reicht sogar bis ins 20.Jhd. hinein.[76]

Weitere wesentliche Merkmale zum Frontalunterricht lassen sich bei Erich E. Geißler im Buch "Allgemeine Didaktik" erschließen. Auch zwei interessante Untersuchungen zum Ausmaß der Sprachkommunikation im Frontalunterricht sind zu finden, und obwohl schon etwas älter (1954 und 1962), haben sie kaum an Aktualität verloren.[77]

Charakteristische Merkmale des Frontalunterrichts sind

  • der Jahrgangsunterricht,

  • eine Lehrerin unterrichtet,

  • es wird von einer leistungsmäßig einigermaßen homogenen Gruppe ausgegangen, d.h. gleiches Alter, somit gleiche Lern- und Leistungsfähigkeit

Andreas Hinz kritisiert dies in seinem Artikel "Heterogenität in der Schule" folgendermaßen:

Ein "...vorübergehender oder durchgängiger Frontalunterricht zwingt alle SchülerInnen in die Egalisierung, also zu Tendenzen der Anpassung, vorübergehende oder konstante Leistungsgruppen führen zur Atomisierung, also zu Tendenzen klassenimmanenter Aussonderung. Rituale und Rahmenhandlungen können nur noch den Schein der Gleichheit bzw. Gemeinsamkeit aufrechterhalten. Hier ist dann jene Situation erreicht, in der ein an der Fiktion der homogenen Lerngruppe orientierter Unterricht von Kindern entweder Anpassung oder Aussonderung verlangt und ihnen in keiner Weise gerecht wird." [78]

Der Lehrerin kommt im Frontalunterricht die Rolle der Wissenden zu und Wissende bedeutet auch gleichzeitig, die Herrschende zu sein. Die Schülerin ist Informationsempfangende und die Aktivität wird auf das Zuhören oder Zusehen beschränkt.[79] Dadurch entstehen folgende Mechanismen bei der Schülerin:

  • Sprachliche Äußerungen reduzieren sich auf Antworten,

  • eine rezeptive Haltung ist vorherrschend,

  • die Konzentration der Schülerin bezieht sich auf das Vorgetragene der Lehrerin, eigene Gedankenwege unterbrechen diese Konzentration,

  • und das Ohr wird zum bevorzugt angesprochenen Organ.[80]

Hier kommt nun die Untersuchung zum Ausmaß der Sprachkommunikation im Frontalunterricht zu tragen. Innerhalb des Frontalunterrichts wurden die Wörter der Lehrerin und Schülerinnen gezählt und in Verhältnis gesetzt.

Die erste Untersuchung stammt von Clauß (1954), es wurden 24 Unterrichtsstunden (21 Stunden Chemie, 2 Stunden Rechnen, 1 Stunde Deutsch) in Schulklassen von 13jährigen Schülerinnen auf das Ausmaß der Sprachkommunikation untersucht. Das Ergebnis:

Mittelwert pro 1 Unterrichtsstunde

= 2100 Wörter der Lehrerin

= 530 Wörter aller Schülerinnen der Klasse

Das Verhältnis in Prozent ausgedrückt lautet: die Lehrerinnen kommen auf 80% des Gesprochenen und alle Schülerinnen der Klasse auf 20%.[81] In Abbildung 4 wird die Untersuchung in einem Diagramm nochmals veranschaulicht dargestellt.

Abb.6: Untersuchung des Sprachausmaßes im Frontalunterricht von Clauß (1954)

Die zweite Untersuchung resultiert aus der Forschung von R. Tausch (1962), die mit einer vollständigen Tonaufzeichnung erfolgte. In einer Volksschule wurden 10 Unterrichtsstunden von 10 Lehrerinnen in Klassen von 9-10 jährigen auf das Ausmaß der Sprachkommunikation untersucht. Die Analyse ergab folgendes:

Mittelwert pro 1 Unterrichtsstunde (45 Min.)

= 3120 Wörter der Lehrerin

= 2180 Wörter aller Schülerinnen der Klasse (durchschnittlich 32 Schülerinnen)

59% des im Unterricht Gesprochenen entfallen auf die Lehrerinnen, das ist ca. 40-50mal mehr im Verhältnis[82] zur einzelnen Schülerin.[83] Im Diagramm (Abbildung 5) sind die Mittelwerte pro 1 Unterrichtsstunde verbildlicht dargestellt.

Abb.7: Untersuchung des Sprachausmaßes im Frontalunterricht von R. Tausch (1962)

Neben dem sprachlichen Verhältnis zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen wurden auch die Selektionsmechanismen im Frontalunterricht erforscht. Das Ergebnis zeigt, dass "die Situationen der Schüler in einer Klasse während einer Unterrichtsstunde folglich alles andere als einander gleich sind." Das Unterrichtsverhalten der Lehrerin verändert sich an einem Vormittag folgend: Die Konzentration der Lehrerin in Fragen, persönlichen Kontaktaufnahmen und Ermutigungen sind am Anfang ausgewogen auf die Schülerinnen verteilt. Gegen Ende des Vormittags verschiebt sich die Aufmerksamkeit stark zu den leistungsstärkeren Schülerinnen hin. Für die leistungsschwächeren Schülerinnen bedeutet das ein zunehmendes Abdriften aus dem Unterrichtsgeschehen. So ähnlich verhält sich es auch mit Lob und Tadel. In den ersten Stunden erfahren die leistungsschwächeren Schülerinnen Ermutigungen, je weiter der Unterrichtsvormittag fortschreitet, desto geringer wird gelobt und der Tadel nimmt zu. Die ermutigenden Impulse und die kommunikative Interaktion verlagern sich immer mehr auf die Spitzenschülerinnen.[84]

Merkmale des Frontalunterrichts bei Erich Geißler:

  • Hinordnung zur Lehrerin

  • Selektionsmechanismen wirken, auch wenn die Lehrerin es gar nicht will

  • Immanenter Selektionsmechanismus benachteiligt schwächere Schülerinnen

  • Schülerinnen-Schülerinnen-Kontakte werden als Störung angesehen, dies hat Disziplinierungsmaßnahmen zur Folge

  • Isolation der Schülerinnen

  • Übergewicht an Rezeptivität verhindert Vertiefen in einzelne Fragen, Wiederholen von Gedankengänge und individuelles Verweilen[85]

Claudia Niedermair stellt in ihrer Dissertation im Kapitel "Schüler-Schüler Beziehung" zu Selektions-, Isolationsmechanismen und zum Kommunikationsverhalten des Frontalunterrichts folgendes fest:

"Ob ein Klima des Respekts, der Toleranz und Offenheit in einer Klasse, ob ein dichtes Beziehungsgefüge entsteht, hängt von sehr vielen Faktoren ab, die von Lehrern nur teilweise zu steuern und zu beeinflussen sind und nicht unmittelbar aus der Art der Unterrichtsorganisation abgeleitet werden können, wobei tradiert lehrerzentrierter, frontaler Unterricht eindeutig konkurrierende und weniger kooperative Muster fördert, Stärken einzelner Schüler weniger sichtbar werden und keine reflexiven Phasen als notwendige Bausteine für den Aufbau von Schlüsselqualifikationen vorsieht wie Konzeptionen offener Unterrichtsorganisation" [86]

In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass der Frontalunterricht nicht nur als etwas Negatives angesehen wird. Erich Geißler meint dazu: "Beachten muß man freilich ... , daß keine Methode, auch nicht der Frontalunterricht, generell als unbrauchbar einzustufen ist, so wie auch keine Methode nur positive Wirkungen zeitigt."[87]

Vorteile des Frontalunterrichts zeigen sich dann, wenn das darin verwendete methodische Element nur eine zeitlich begrenzte Anwendung findet, so dass die Schülerinnen folgen können und die Aufmerksamkeitsspanne nicht überfordert wird. Z.B. Der Lehrerinnenvortrag kann in folgenden Fällen hilfreich sein, wenn er zur

  • Hinführung

  • Einstimmung

  • Zusammenfassung

  • Sachinformation dient,

und mit erzählerischen Stilmitteln und evtl. mit Veranschaulichungsbehelfen (Medien) kombiniert wird.[88]

Weitere Elemente:

Der entwickelnde Unterricht

Beim entwickelnden Unterricht (eine Spezialform des frontalen Unterrichts) liegt die Aktivität bei den Lernenden, die Lehrerin beschränkt sich auf die Korrekturen der jeweiligen individuellen Denkbewegung der Schülerin, sie wird auch sokratische Methode oder mäeutisches Verfahren genannt. "Die sokratische Methode verlangt die Zucht logisch streng geordneter Gedankenführung und ist insofern von hoher bildender Bedeutung."[89]

Der Vorteil darin ist, dass das Resultat der Schülerin aus den eigenen Gedankenwegen entspringt.

Der Nachteil ist, dass sie nur auf eine Person effektiv angewendet werden kann und sobald mehrere Schülerinnen anwesend sind, entsteht ein Frage-Antwort-Verfahren. In dieser Dynamik werden die leistungsstarken Schülerinnen bevorzugt und "das Gros der Klasse" steigt aus dem Lernprozess aus, damit ist auch eine indirekte (wenn vielleicht auch ungewollte) Selektion gegeben.[90]

Verfahren des kleinsten Schritts

Diese Verfahren entstand aus der Überlegung: Je kleiner der Schwierigkeitsgrad einer Problemlösung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schülerin mit normaler Begabung ein Problem selbständig bewältigen kann. Dies wurde von den Herbertianern entwickelt mit dem Ziel, "eine höchste Schüleraktivität bei geringster Fehlerwahrscheinlichkeit"[91] zu erreichen.

Der Vorteil dabei ist, dass alle Schülerinnen folgen können und es gibt "Unterrichtsphasen, in denen aus sachlogischen wie psychologischen Gründen eine Schritt-für-Schritt-Entwicklung nötig ist. Vor allem Lernhilfen müssen auf dem Prinzip des kleinsten Schrittes aufbauen."[92]

Der Nachteil ergibt sich aus der Zergliederung des Problemzusammenhangs, der von den Schülerinnen nicht oder erst sehr spät erkannt wird. Weiters besteht die Gefahr, dass sich Lernprozesse ausschließlich auf das konvergente Denken (ein Lösungsweg, vorgegebene Denkrichtung) konzentrieren und divergentes Denken (Gedankenexperimente, problemorientiertes Denken) nicht berücksichtigt werden.[93] Auch muss darauf geachtet werden, dass keine Uniformität im Denkprozess entsteht, die Schülerinnen lernen unterschiedlich und haben einen unterschiedlichen Entwicklungstand, der beim Verfahren des kleinsten Schrittes berücksichtigt werden muss, ansonsten entsteht "im Grunde ... ein Lernen von belastender Gleichförmigkeit".[94]

Resümierend kann gesagt werden, dass reiner Frontalunterricht die Lebendigkeit des Lernens verhindert. Und doch ist der Frontalunterricht nicht wegzudenken, das zeigt eine Auswertung des Fragebogens zur Lernwerkstätte Reutte. Sie ergab folgendes Bild in Hinblick zur Häufigkeit der Verwendung des Frontalunterrichts:

"Sechs von zehn Lehrpersonen geben als vorrangige Unterrichtsmethode den Frontalunterricht an, wobei jedoch zu beachten ist, dass diese Unterrichtsmethode erweitert wird durch: Still- Partner- und Gruppenarbeit, als auch durch Freiarbeit, Wochenplan und Offene Unterrichtseinheiten. [95] "

Solche Erweiterungen führen dazu, dass aufbauend auf den qualitativen Teilen des Frontalunterrichts eine konstruktive Weiterentwicklung stattfindet und Elemente des Offenen Unterrichts Einzug in die Schule halten bzw. eine Chance zur Anwendung bekommen.

Die herausgearbeiteten Merkmale sind im Kapitel 1.3.3 Kriterien des Offenen und Frontalunterrichts aufgelistet und zusammengefasst.

1.3.2 Offener Unterricht

Die Begrifflichkeit des Offenen Unterrichts wurde in den 70ern begründet, aber Ansätze in diese Richtung gab es schon wesentlich früher.

Lothar Klingberg, ein emeritierter Hochschullehrer an der Pädagogischen Hochschule Karl Liebknecht aus der ehemaligen DDR meint, dass "Herbart der Urahn der ‚Freien Schulen' "[96] sei. Denn schon Anfang des 19.Jhd. meinte Johann Friedrich Herbart:

"Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten, ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die den Despotismus der Schulmänner begünstigen und alle nach einer Schnur zu hobeln veranlassen. (aus: ‚Schemata zu Vorlesungen über Pädagogik in Göttingen' aus den Jahren 1807-1809)" [97]

Zu Beginn des 20.Jhd. wurden von Reformpädagogen neue Methoden entwickelt, wie z.B. die Projekt- und die Freiarbeit, die damals noch nicht unter dem Begriff Offener Unterricht subsumiert waren. Es werden bis zum heutigen Tag von "Reformern" immer wieder Methoden weiterentwickelt und neue entworfen, wie das Rollen- und das Planspiel, Standbild-Bauen, die Arbeit in Zukunftswerkstätten usw.[98]

Man kann auch sagen, dass in der Zeit zwischen 1895 und 1933 eine "reformpädagogische Bewegung" entstanden ist, die sich mit folgenden 4 Grundperspektiven auseinandergesetzt hat:

  1. mit der Kulturkritik

  2. mit der Reform von Schule und Unterricht

  3. mit der Jugendbewegung

  4. mit der sozial- und gesellschaftskritischen Bewegung

Die Reformbewegungen, in der unterschiedliche wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Richtungen teilnahmen, wurden Ende der 20er Jahre durch die wirtschaftliche und politische Situation retardiert. In der nationalsozialistischen Zeit kam es sogar zu einem gänzlichen Stillstand. Erst nach 1945 wurden die Ideen wieder aufgegriffen und umgesetzt, neu diskutiert und weiterentwickelt.[99]

Dann, in den 70er Jahren des 20.Jhd., wurde aus einer inneren Schulreform heraus ein von tatkräftigen Pädagoginnen (ohne Wissenschaftlerinnen oder Schulbehörde) entwickeltes Konzept mit dem Schlagwort "Öffnung des Unterrichts" betitelt. Hilbert Meyer schätzte 1997, dass ca. 8-10% der Grundschullehrerinnen sich an dem Konzept orientierten. Er schreibt auch, aus den Berichten der Lehrerinnen gehe hervor, dass

  • das Unterrichten mehr Spaß mache als früher,

  • es zu einem Abbau der Arbeitsbelastung gekommen ist,

  • Schülerinnen besser Lernen,

  • sich das Sozialverhalten der Schülerinnen verbessert habe.[100]

Was wird unter Offenem Unterricht verstanden?

Der Begriff "Offen" darf nicht mit dem Begriff "Beliebigkeit" gleichgesetzt werden. Im Offenen Unterricht besteht keine grenzenlose Offenheit, sondern "ein konkret identifizierbares, im Wesentlichen aus der Reformpädagogik (von Montessori, Freinet und Petersen) abgeleitetes Konzept mit den Elementen ‚gemeinsamer Unterricht / Wochen- oder Tagesplanarbeit / Freiarbeit / Projektarbeit'."[101] Somit kann auch gesagt werden, Offener Unterricht ist ein Überbegriff, unter dem sich mehrere klar strukturierte Unterrichtsmethoden subsumieren lassen, wie z.B. Projektunterricht, Werkstättenunterricht, ...[102]. Offener Unterricht beinhaltet neben den methodischen Verfahren eine humanistische Grundhaltung, d.h. ein wertschätzender Umgang, die Schülerinnen in ihren Anliegen ernst nehmen, usw.[103]

Der Offene Unterricht orientiert sich zum einen an den Interessen und Bedürfnissen der Lernenden und zum anderen auch an einer sinnstiftenden Interaktion des Individuums mit der Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur.[104]

Um von Offenem Unterricht sprechen zu können, braucht es auch Erkennungsmerkmale.

Wulf Rabenstein bezeichnet folgende Kriterien als sichere Indikatoren zur Erkennung des Offenen Unterrichts:

  • Das einfachste Indiz, wenn man eine Klasse betritt, ist "Kinder arbeiten engagiert an ihren Sachen"[105] Hier stellt sich die kritische Frage: Was ist mit engagiertem Arbeiten gemeint? Es kann jemand eine Klasse, die mit Frontalunterricht arbeitet, betreten und die Schülerinnen engagiert (konzentriert) am eigenen Arbeitsplatz arbeiten sehen, z.B. am gleichen und vorgegebenen Arbeitsblatt. Engagiertes Arbeiten in diesem Sinn wäre dann im Verständnis von Offenen Unterricht kein eindeutiges Indiz. Vermutlich meint der Autor, dass sich die Kinder aktiv und individuell mit ihren Arbeitsaufgaben beschäftigen, d.h. einzeln oder in Gruppen, die einen laut, die anderen leise, an verschiedenen Arbeitsplätzen und alle konzentriert an ihrer Arbeit. Wenn engagiertes Arbeiten so aufgefasst wird, dann kann es sehr wohl als Indiz für Offenen Unterricht bezeichnet werden.

Weitere wesentliche charakteristische Indikatoren sind unten in der Tabelle1 zusammengefasst. Die Zusammensetzung der Merkmale ist natürlich in jeder Klasse unterschiedlich ausgeprägt und verweist auf ein Grundmodell Offenen Unterrichts.[106]

Tabelle 1: Sichere Indikatoren einer Öffnung des Unterrichts mit Formen Offenen Unterrichts In: Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.61f.

  • Lernumwelt:

Die Klasse mit Werkstattcharakter, offene Lernflächen und Lernzonen, Leseecke, Karteienregale, Umweltregale, Forschertisch, Pflanzen, Spielecke, Klassendruckerei, Sammeltisch, Sammlungen, Bastelecke, Pinnwand, Fördermaterialien, Aquarium ...

  • Lernorganisation:

Freie Arbeit und flexible Tages-Wochen-pläne, Projekte, individuelle Zeiteinteilung, wenig Frontalphasen, Möglichkeiten zur Entwicklung spontaner Aktivitäten, Lernberatung, Morgenkreis, Abschlusskreis, Klassenrat, Berichte ...

  • Lernmethoden:

Vielfältige Formen entdeckenden, praktischen Lernens, Freiheit bei individueller Arbeit, freie Entscheidungen für Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe, Selbstkontrolle, Möglichkeiten für Experimente und sinnliche Erfahrungen mit Materialien, flexible Lerngruppen an unterschiedlichen Problemstellungen, Aufarbeitung von Erfahrungen im Kreis mit Lerndokumentationen und Berichten, gemeinsame Auswertung, kreative Lernmethoden...

  • Lernatmosphäre:

Deutliche Akzeptanz der Kinder als Lerner mit individuellen Lernvoraussetzungen, Förderungsorientierung, Atmosphäre des Vertrauens und gegenseitiger Offenheit, klare Abmachungen (Regeln, Verträge), Beratung, Kinder verstehen sich als Gemeinschaft und finden Anerkennung und Unterstützung, keine Ausgrenzungen...

  • Lerntätigkeiten:

Kinder arbeiten praktisch, stellen etwas her, untersuchen, entscheiden über Inhalte, stimmen über gemeinsame Vorhaben ab, experimentieren, beschaffen sich Informationen, schreiben freie Texte, setzen, drucken, stellen interessante Dinge in der Klasse vor, erzählen, dokumentieren, besprechen Konflikte, entwickeln eigene Fragestellungen, erarbeiten Regeln, tanzen, spielen, diskutieren, rechnen, machen Vorschläge, erfinden Spiele, sammeln und ordnen, pflegen Tiere, beobachten, malen, diktieren sich, stellen ein eigenes Buch zusammen...

  • Lernergebnisse (sichtbar):

Geschichten, Gedichte, Wandzeitungen, Bilder, Spiele, Pläne, Tabellen und Übersichten, Ausstellungen, Sammlungen, Theaterstücke, Lieder, eigene Lernmittel, Karteien, Objekte, Gesprächsprotokolle, Berichte, eigene Sachbücher und Werkprodukte, Briefe...

Formen des Offenen Unterrichts

Der zentrale Bereich dieses Kapitels besteht darin, die Merkmale herauszuarbeiten, deshalb beschränke ich mich hier nur auf einige Aufzählungen von offenen Unterrichtsformen und der Literatur, in der sie zu finden und nachzulesen sind. Die vollständigen Bezeichnungen der aufgezählten Lektüren finden sich im Literaturverzeichnis.

  • Stuhlkreis, Freie Arbeit, Wochenplan, Projekte, praktische Beispiele und sämtlicher Inhalt befassen sich vorrangig mit Offenem Unterricht. In Wulf Wallrabenstein: Offene Schule - Offener Unterricht.

  • Freiarbeit, Wochenplanarbeit und Stationenlernen werden in Hilbert Meyer: Schulpädagogik Bd. II beschrieben.

  • Projektarbeit und eigenes Kapitel zum offenen Unterricht finden sich in Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik.

  • Lernwerkstätte wird anhand eines Praxisbeispiels in der Zeitschrift für Heilpädagogik 8/2004 von Christian Bernsmann und Elisabeth Schmidt ausführlich beschrieben.

Grenzen des Offenen Unterrichts

Die Beschreibungen der Grenzen beziehen sich hauptsächlich auf institutionelle und strukturelle Bereiche. Weiters werden negativ kritische Einstellung und stark verwurzelte Erziehungsvorstellungen traditioneller Art als Hemmfaktoren für Offenen Unterricht angesehen. Grenzen hinsichtlich der Lernprozesse und der methodischen Elemente, wie sie im Frontalunterricht erwähnt werden, wurden nicht genannt. Sehr wahrscheinlich, weil im Offenen Unterricht auf eine Ausgewogenheit der Methoden geachtet wird und Lernprozesse dem individuellen Entwicklungsstand der Lernenden entsprechen.

Harte Grenzen, die von Hilbert Meyer genannt werden, sind:

  • "die personellen und finanziellen Ressourcen,

  • der Bildungsauftrag einer Schulform,

  • die juristische definierte und staatlich sanktionierte Schulpflicht und die Beschränkung ‚bürgerlicher Freiheiten' für die Angehörigen der Schule,

  • die Schulaufsicht gemäß Grundgesetz,

  • das Beamtengesetz."[107]

Grenzen, die von der Schule selbst gesetzt und dadurch leichter veränderbar sind:

  • "die Form des Personaleinsatzes,

  • die Unterrichtsorganisation,

  • der Umfang und die Form der Elternbeteiligung,

  • die Intensität der Kontakte zur Schulaufsicht."[108]

Weiters können Bilder von Unterrichtsformen, die die Dimension des Offenen Unterrichts noch nicht erfasst haben, als Hinderungsgrund für deren Akzeptanz und Anwendung angesehen werden, wie Wulf Wallrabenstein zu verstehen gibt:

"eine tief verankerte Vorstellung taucht jedoch bei fast allen Erwachsenen auf: Durch Erziehung wirken wir direkt auf die Kinder ein, der Erwachsene als der (angeblich) Gebildete habe das (ungebildete) Kind zu belehren, der Wissende habe sein Wissen dem Unwissenden über einfache Übertragungs- und Lernprozesse zu vermitteln." [109]

In diesem Denken muss eine Wandlung vollzogen werden, damit Offener Unterricht bzw. offene Formen überhaupt eine Chance haben. Eine Reflexion über das eigene Verständnis von Lernen und den damit verbunden Handlungen sind unabdingbar für einen Prozess in Richtung Offenen Unterricht.[110]

Nicht zu Vergessen ist, dass alle beteiligten Akteure eine "Grundqualifikation oder -kompetenz"[111] erlernt haben müssen, damit ein Gelingen des Offenen Unterrichts gewährleistet ist. Eine Öffnung erfolgt nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit und Kompetenzen. Damit Schülerinnen sich in den offenen Strukturen zurechtfinden können, müssen sie die Handhabung eines selbständigen Lernens erst erlernen. Auch die Lehrerinnen brauchen ein adäquates Handwerkszeug, um den Öffnungsprozess qualitativ zu bewerkstelligen und um die Schülerinnen darin zu beraten und zu begleiten.[112] An dieser Stellte zwei zur Diskussion anregende Fragen hinsichtlich der Lehramtsausbildung:

Inwieweit fördern Inhalte der heutigen Lehrerinnenbildung eine kritische Auseinandersetzung mit alten und neuen Lehrformen und -methoden?

Welche Bilder von Unterricht werden vermittelt und in welchem Ausmaß können angehende Lehrerinnen neue Formen auf der Handlungsebene erfahren?

1.3.3 Gegenüberstellung der Kriterien des Offenen und Frontalen Unterrichts

In diesem Kapitel sind die Merkmale des Offenen und Frontalen Unterrichts aufgelistet, sie können als Orientierung, Diskussionsgrundlage, Perspektivenerweiterung, Grundlage für kritische Auseinandersetzung, usw. dienen. Die ersten drei Tabellen (Tab.2, Tab.3, Tab.4) bieten einen Überblick über gängige Kriterien und Auffassungen in der Diskussion über Qualität von Unterrichtsformen. Die Kriterien in der Tabelle 5 sind zueinander hart abgegrenzt, sodass man genau sagen kann, das sind Merkmale des Frontalunterrichts und das sind jene des Offenen Unterrichts. Diese Tabelle wurde im Rahmen dieser Arbeit zusammengestellt und kann zugleich als Ergänzung zu den anderen drei Tabellen gesehen werden.

Im Vorfeld drei Auszüge (Tab. 2,3,4) von aussagekräftigen Kriterien für Offenen und Frontalen Unterricht:

1) Auf der Grundlage der Forschungen zur Unterrichtsqualität haben Jank und Meyer Gütekriterien für Unterricht zusammengestellt. Diese Kriterien beziehen sich forschungsbedingt auf einen lehrerinnenzentrierten Unterricht und sie sollen vordergründig als Basis für eine Diskussion der Unterrichtsqualität dienen. Die Liste wird von den Autoren als noch nicht vollständig bezeichnet, weil sie bei Berücksichtigung eines schülerinnenzentrierten Unterrichts in erweiterter Form dargestellt werden müsste. Weiters sagen die Kriterien auch nichts über die Art der alltäglichen Umsetzungen und Anwendung der Methoden und Inhalte aus. Dieser Bereich müsste anhand der Liste separat diskutiert werden.[113]

Tabelle 2: Gütekriterien des Unterrichts Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002, S.127ff.

1. klare Strukturierung des Unterrichtsablaufes

Unterricht, in dem die Aufgabenstellung nicht nur dem Lehrer, sondern auch den Schülern klar ist, der klar gegliedert ist und bei dem die Rollendefinitionen in jedem Unterrichtsschritt klar sind, führt zu dauerhaft besseren Lernergebnissen. Dies Kriterium ist empirisch besonders gut belegt.

2. hoher Grad "echter" Lernzeit der Schüler

Oft ist die reine Lernzeit im Unterricht zu knapp, weil es Unterrichtsstörungen gibt, weil Lehrer und/oder Schüler schlecht vorbereitet sind, weil zu viel Organisationskram in die Stunde hineingetragen wird usw. Guter Unterricht zeichnet sich demgegenüber durch eine gewisse "Regungslosigkeit" der Lehrerinterventionen und die "Allgegenwärtigkeit" des Lehrers aus. Damit ist gemeint, dass der Lehrer durch sorgfältiges Beobachten und schnelles Reagieren kleine Störungen unauffällig nebenher behebt.

3. fachliche Korrektheit

Die fachliche Korrektheit ist in den zitierten Studien nur selten erfasst worden. Aber sie zählt natürlich mit zu den Gütekriterien - das Einzige, das völlig unbestritten ist.

4. klar formulierte und kontrollierte Leistungserwartungen

Klar formulierte und dann auch kontrollierte Leistungserwartungen führen zu dauerhaft besseren Erfolgen.

5. erfolgreiche Steuerung der Schüleraufmerksamkeit

Wir haben wiederholt die Beobachtung gemacht, dass Lehrer, deren Schüler unaufmerksam sind, dies auf fehlende Lernvoraussetzungen und das soziale Umfeld der Schüler zurückführen, während Lehrer, deren Schüler aufmerksam sind, dies auf ihr didaktisches Geschick zurückführen. Nun wäre es unlogisch, nur im positiven Falle die Wirksamkeit der Lehrerinterventionen zu unterstellen, aber im Negativfall den Schülern die Schuld zu geben. Entweder gilt das fünfte Gütekriterium für jeglichen Unterricht oder überhaupt nicht. Wir meinen: Das Kriterium gilt, wie schon ein Vergleich einer x-beliebigen Klasse beweisen kann, die beim einen Lehrer aufmerksam ist und beim anderen nicht.

6. lernfreundliche Arbeitsatmosphäre

Dass eine positive Atmosphäre das Lernen befördert, leuchtet jedem ein. Dennoch gilt dieses Kriterium nicht überall. Es gibt auch Klassen, die zu guten Lernergebnissen gekommen sind, obwohl die Atmosphäre spröde, streng oder sogar schlecht gewesen ist.

7. Methodenvielfalt

Durch die PISA-Studie ist bestätigt worden, dass der Unterricht in Deutschland noch zu sehr nach Schema F abläuft und dass sich dies negativ auf den Leistungserfolg auswirkt. Wir benötigen eine neue Methodenkultur, in der Vielfalt nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern mit dem Ziel hergestellt wird, die Schülerinnen und Schüler zu mehr Methodenbeherrschung zu führen.

8. regelmäßiges und folgenreiches Schülerfeedback

Die Idee, den Unterricht durch regelmäßiges Schüler-Feedback zu verbessern, wird im deutschsprachigen Raum erst seit kurzem intensiver erprobt. Deshalb gibt es noch keine Untersuchungen über die tatsächlichen Wirkungen dieser Innovation. Wir rechnen aber damit, dass sie über kurz oder lang vorgelegt werden.

9. Das Doppelkriterium der Stimmigkeit und Folgerichtigkeit der didaktischen Entscheidungen

Wir haben fünf Strukturmomente des Unterrichts bestimmt, in denen jeweils eine wichtige Gestaltungsaufgabe steckte: Die Aufgabenstellung, die Themenformulierung, die Gestaltung der sozialen Architektur, die Handlungs- und Verlaufsplanung. Die Qualität des Unterrichts ist sowohl bei der Analyse wie auch beider Planung und Realisierung daran zu erkennen, dass die einzelnen Strukturmomente stimmig sind und folgerichtig aufeinander aufbauen.[a]

10. Das übergeordnete Prinzip der Anbahnung von Mündigkeit

Die einzig vernünftige übergeordnete Norm, an der didaktische Modell und unterrichtspraktisches Handeln von Lehrern und Schülern zu messen sind, ist die Verpflichtung zur Aufklärung und Mündigkeit[b]

[a] Pkt. 9 ist eine Erweiterung von Jank/Meyer und ist in ausführlicherer Form auf S.121-123 bei Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002 zu finden.

[b] Pkt. 10 ist eine Erweiterung von Jank/Meyer und ist in ausführlicherer Form auf S.92 bei Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002 zu finden.

2) In der Tabelle3 von Kron Friedrich wird der Frontalunterricht mit Kleingruppenarbeit verglichen. Sie zählt im weitesten Sinne zum Offenen Unterricht, was sich anhand der Inhalte und aus dem Vergleich mit der Tabelle4 feststellen lässt, in der 10 Qualitätskriterien des Offenen Unterrichts genannt werden.

Überblick über Tätigkeiten und Vorgänge bei Kleingruppenarbeit im Vergleich zum Frontalunterricht. Die folgende Darstellung enthält die wesentlichen Tätigkeiten und Vorgänge beider Unterrichtsformen:

Tab.3: Interaktionsmerkmale in Kleingruppenarbeit und Frontalunterricht (Tausch/Tausch 1979, 259ff.) Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S. 220f.

Tätigkeiten von Lehrern und Vorgänge bei Kleingruppenarbeit

Tätigkeit von Lehrern und Vorgänge bei Frontalunterricht

  • der Lehrer stellt geeignete Arbeitsmaterialien, Lehrtexte und Informationsblätter bereit

  • er untergliedert den komplexen Unterrichtsstoff in gemeinsamer Absprache mit den Schülern in Unterrichtsabschnitte

  • Der Lehrer dirigiert und lenkt fortwährend alle Schüler der Klasse durch Fragen, Befehle und Anordnungen und bestimmt den Unterrichtsverlauf

  • er berät und hilft einzelnen Kleingruppen oder Schülern und steht ihnen auf Anforderung zur Verfügung, z. B. für persönliche Gespräche...

  • er informiert die Schüler überwiegend durch Lehrervortrag oder eigene Erklärungen...

Intellektuelle Vorgänge bei Schülern während der Kleingruppenarbeit

Intellektuelle Vorgänge bei Schülern während des Frontalunterrichts

  • die Schüler arbeiten und denken weitgehend individuell ...

  • die Schüler nehmen Wissen, Auffassungen und Urteile des Lehrers häufig rezeptiv und schweigend auf ...

  • Sie erarbeiten sich relativ selbständig Wissenskenntnisse unter Verwendung von Hilfsmitteln und Beiträgen anderer

  • Sie sind relativ selten selbständig aktiv und entscheiden selten verantwortlich über den Fortgang des Unterrichtsgeschehens, sie sind lehrerorientiert und lehrerabhängig

  • sie haben die häufige Möglichkeit zu produktivem und kombinierendem Denken ...

  • Sie haben selten die Möglichkeit zu selbständigem Problemdenken

Soziale Vorgänge bei Schülern während der Kleingruppenarbeit

Soziale Vorgänge bei Schülern während des Frontalunterrichts

  • die Schüler haben engen Kontakt zu Mitschülern und kooperieren miteinander und helfen sich gegenseitig

  • die Schüler haben selten Kontakt zu Mitschülern während des Unterrichtes, sie kooperieren nicht miteinander und helfen sich nicht gegenseitig

  • sie arbeiten gruppenzentriert ...

  • sie arbeiten lehrerzentriert und häufig egozentrisch und rivalisieren und konkurrieren miteinander ...

  • sie berücksichtigen die Meinung der anderen

  • sie lernen, ihre Meinung durch Kenntnisse der Meinung der anderen zu ändern

  • sie kennen kaum die Meinungen der anderen, sie entwickeln geringe Sensitivität für die Vorgänge der Mitschüler

  • sie entwickeln Arbeitsregeln, lernen sie beachten und kontrollieren sie ...

  • sie zeigen häufig ein unterwürfiges oder opponierendes Verhalten gegenüber dem Lehrer und seinen Anordnungen ...

Gefühlsvorgänge bei Schülern während der Kleingruppenarbeit

Gefühlsvorgänge bei Schülern während des Frontalunterrichts

  • die Schüler erfahren größere Zufriedenheit durch selbstbestimmtes Handeln

  • die Schüler sind häufig unzufrieden aufgrund geringer Selbstbestimmung und ihrer überwiegend reaktiven und rezeptiven Tätigkeit

  • sie erleben befriedigende Kontakte zu anderen

  • sie erleben keine intensiven zwischenmenschlichen hilfreichen Beziehungen zum Mitschüler oder Lehrer

  • sie drücken häufiger ihr fühlen aus, auch schüchterne Kinder

  • sie sind sehr entfernt vom eigenen Fühlen und dem Fühlen anderer

  • sie stehen unter geringern beeinträchtigenden Spannungen

  • sie stehen häufig unter seelisch-körperlichen Spannungen und Streß aufgrund rezeptiven Zuhörens und geringer eigener Aktivität in Reden und Handeln

  • sie sind arbeitsmotivierter und arbeitsfreudiger

  • sie sind weniger lernmotiviert

3) Die "10 Qualitätskriterien Offenen Unterrichts" wurden im Rahmen von wissenschaftlicher Begleitung von Offenen Schulen entwickelt. Sie dienen auch "als Arbeitsgrundlage in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen, Pädagogischen Konferenzen, auf Veranstaltungen mit Eltern"[114]. Sie werden auch verwendet, wenn Bedenken hinsichtlich der Öffnung in der Klasse bestehen. Weiters können die Kriterien als "Prüfsteine" benutzt werden, um die eigene Einstellung bzw. Unterrichtsform hinsichtlich des Offenen Unterrichts zu beleuchten.[115]

Tab.4: 10 Qualitätskriterien Offenen Unterrichts Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule, 1991. S. 170f.

10 Qualitätskriterien Offenen Unterrichts

1. Methodenvielfalt

Gibt es (in welchem Umfang?) mehrere unterschiedliche Methoden wie Freie Arbeit, Projekte, Kreisgespräche, Kleingruppenarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, Berichte von Schülern? Wie weit werden diese Methoden zur Lehr-Lernorganisation von Kindern als hilfreich, vielfältig und transparent erfahren?

2. Freiräume

Gibt die Klasse/Schule den Kindern definitiv in ihrem Organisationsrahmen Freiräume zum vertiefenden, spielerischen, selbständigen, entdeckenden Lernen? Wochenplanarbeit, Freie Arbeitszeit, Projekte, Projektwochen, -tage?

3. Umgangsformen

Gibt es klare Regeln, die von beiden Seiten eingehalten werden? Wie weit sind Lehrerinnen und Lehrer bereit, Kinder in ihrer emotionalen Befindlichkeit anzunehmen? Werden Konflikte bearbeitet? Gibt es eindeutige Interpunktionen (Gewichtungen) im Sinne sozialen Lernens? Lob? Ermutigungen? Humor?

4. Selbständigkeit und Inhalte

Werden Kindern/Schülern aktive Rollen bei der Steuerung von Lernprozessen ermöglicht? Gibt es das Helfersystem? Gehen die Kinder wirklich ihren eigenen Fragen nach?

5. Lernberatung

Gibt es Beratungssituationen im Unterricht? Ist der Unterricht förderungsorientiert? Werden Umwege, Irrwege, Fehler als notwendige Bestandteile des Lernprozesses akzeptiert, und wird entsprechend beraten? Beschäftigung mit leistungsschwachen Schülern? Diagnosekompetenz für Leistungsversagen?

6. Öffnung zur Umwelt

Bietet der Unterricht / die Schule neue Erfahrungen in direkter Begegnung mit der Umwelt? Erkundungsgänge? Exkursionen? Experten in der Klasse?

7. Sprachkultur

Bietet der Unterricht Möglichkeiten zur direkten Koppelung von Sprache an sinnlich-konkrete Erfahrungen? Gesprächskultur? Schriftkultur? Freier Ausdruck in Texten? Sprachspiele? Narrative Kultur? Kreisgespräche? Drucken? Zusammenhang von Sprache und Sache (Kulturtechniken - Sachunterricht)?

8. Lehrerrolle

Wird der Beziehungsarbeit Raum gegeben? Geduld, Gelassenheit und Toleranz für langsame Schüler? Sind Lehrerfragen anspruchsvoll (problemlösungsorientiert und anwendungsorientiert)? Verfügbarkeit über Bearbeitungsinstrumente zur Klärung von Störungen und Konflikten? Umgang mit pädagogischen "Imperativen" (Bewusstsein über die eigene Rolle, Umgang mit den Zwängen, "guten" Unterricht machen)?

9. Akzeptanz des Unterrichts

Wie weit wird der Unterricht als gemeinsame Arbeit verstanden? Wie gut wird die Unterrichtszeit genutzt? Stoffbewältigung im Unterricht und nicht über Hausarbeiten? Erfahrbarkeit von Person und Unterricht als Positiven Zusammenhang?

10. Lernumgebung

Gibt es handlungsorientierte Materialien? Offene Lernflächen? Karteien, Differenzierungsmaterial, Spiele, Druckerei, Experimentierecke, Leseecke usw.?

Kriterien, die im Rahmen dieser Arbeit erstellt wurden:

Die Teilbereiche der Gegenüberstellung des Frontalunterrichts und Offenen Unterrichts beziehen sich auf das Organigramm im Kapitel: Schulischer Kontext (siehe Abbildung 2). Die spezifischen Bereiche sind das jeweilige Unterrichtssystem, die Rolle der Lehrerin, die Rolle der Schülerin und die Funktion des Lerngegenstands.

Hier findet eine klare Abgrenzung zwischen Frontalunterricht und Offenem Unterricht statt. Mischsysteme, wie sie im Unterrichtsalltag oft Verwendung finden, werden hier außer Acht gelassen. Ohne zu werten, werden die Kriterien nicht nach dem Schema von Vorteilen und Nachteilen gegenübergestellt, sondern im Verständnis von gegebenen Fakten.

Tab.5: Merkmale des Offenen und Frontalen Unterrichts

Teilbereich

Frontalunterricht

Offener Unterricht

Unterrichtssystem

  • Isolierungssystem

  • Homogenitätsmodell

  • Separierungssystem

  • Man geht hier von einer Homogenität der Klasse aus (alle Lernen zur gleichen Zeit das Selbe)

  • Lehrerinnenzentriert[a]

  • Lernzielorientiert[b]

  • Integrationssystem[c]

  • Differenzierungsmodell[d]

  • Kooperationssystem

  • Die Entwicklungsunterschiede werden berücksichtigt (alle Lernen zur unterschiedlichen Zeit Unterschiedliches)

  • Schülerinnenzentriert

  • Gruppenzentriert[e]

Rolle der Lehrerin

  • Lehrerin ist alleiniger Infogeber

  • Lehrerin trägt ganze Verantwortung

  • Motivation geht von der Lehrerin aus

  • Lehrerin gibt vor[f]

  • Lehrerin ist Beraterin / Begleiterin

  • Lehrerin überträgt Teile der Verantwortung an Schülerinnen

  • Partnerschaftliche Beziehung[g]

Rolle der Schülerin

  • Schülerin auf sich bezogen und isoliert

  • Schülerin als rezeptives lernendes Individuum[h]

  • Schülerin wird im Lernprozess fremdgesteuert d.h. von der Lehrerin.[i]

  • Interaktion zwischen den Schülerinnen

  • Schülerin trägt Mitverantwortung

  • Motivation durch Einbindung aller Interessen

  • Schülerin bestimmt mit

  • Schülerin kann Lernprozess weitgehend selbst steuern[j]

Lerngegenstand

  • Wird vorgegeben

  • Für alle gleich[k]

  • Anwendung / Vermittlung erfolgt hauptsächlich im Sinne des Frage-Antwort-Verfahrens: a) Anwendbar wo logische Verhältnisse bestehen, b) Erreicht die Grenzen, wenn es darum geht inhaltsorientierte Lösungen zu finden und darauf angeschlossene Entscheidungen zu treffen[l]

  • Lerngegenstand kann in einem klar definierten Rahmenplan vorwiegend selbst gewählt werden[m]

  • Lerngegenstand ist differenziert[n]

[a] Fußnote bezieht sich auf die ersten 5 Aufzählungen, Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.154-158

[b] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.287

[c] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, 178f.

[d] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, 178-185

[e] Fußnote bezieht sich auf die Aufzählungen 3-6, Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.287-290

[f] Fußnote bezieht sich auf alle 4 Aufzählungen, Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.154f. siehe auch Tabelle 3 unter Tätigkeit von Lehrern und Vorgänge bei Frontalunterricht.

[g] Fußnote bezieht sich auf alle 3 Aufzählungen, Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule, 1991. S. 107

[h] Fußnote bezieht sich auf die ersten 2 Aufzählungen, Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.158

[i] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.160f.

[j] Fußnote bezieht sich auf alle 5 Aufzählungen, Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.288f.

[k] Fußnote bezieht sich auf die ersten 2 Aufzählungen, Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.161f.

[l] Fußnote bezieht sich auf die letzten 3 Aufzählungen, Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.160

[m] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.289f.

[n] Harald Riedel: Ein Modell zur Differenzierung von Lernprozessen. 2001, S.1f

Wenn Unterricht als System begriffen wird, dann können die oben genannten Kriterien als Erkenntnisse genutzt werden, um die jeweiligen Ausformungen der Unterrichtspraxis (auch Mischsysteme) zu analysieren und um eventuell den verwendeten Unterrichtsstil neu zu überdenken.



[24] in: Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II: Für Fortgeschrittene. Cornelsen Verlag, Berlin 1997, S. 95

[25] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I: Für Anfänger. Cornelsen Verlag, Berlin 1997, S.332

[26] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.332f

[27] ebenda, S.333

[28] ebenda, S.333

[29] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.335

[30] ebenda, S.335

[31] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.330

[32] Schratz, Michael: Methoden der Schul- und Unterrichtsforschung. In: Hug, Theo (Hrsg.):Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? 2001, S.414

[33] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.329

[34] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.380f.

[35] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.337

[36] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.37

[37] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. Ernst Reinhard Verlag, München Basel 19942, S.268-270

[38] Hier die wichtigsten Autoren (Titel der Bücher siehe Literaturliste): Rolf Arnold, Hilbert Meyer, Hartmut von Hentig, Wolfgang Klafki, Friedrich W. Kron, Susanne Popp, Harald Riedel, Michael Schratz, Reinhard Voß.

[39] Kösel, Edmund: Modellierung 1997, S.78

[40] Voß, Reinhard: Unterricht ohne Belehrung - Kontextsteuerung, individuelle Lernbegleitung, Perspektivenwechsel. In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Kinder. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel, 2002, S.47

[41] Resinger, Paul: ILS-Ausbildung auf der Couch (2) S.8f., In: ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 1/2003, S.8-9

[42] In: ils-Mail, Ausgabe 1/2003, S.8

[43] In: ils-Mail, Ausgabe 1/2003, S.9

[44] Bernsmann, Christian; Schmidt, Elisabeth: Offene Lernformen an der Hochschule - Notwendigkeit, Chance und Grenzen veränderter Lehr- und Lernformen in der universitären Lehrerausbildung. S.361, In: Zeitschrift für Heilpädagogik, Verband Sonderpädagogik e.V., 55. Jahrgang, Ausgabe 8/2004, S.361-368

[45] Bernsmann, Christian; Schmidt, Elisabeth: Offene Lernformen an der Hochschule S.362, In: ZF Heilpädagogik 8/2004

[46] Bernsmann, Christian; Schmidt, Elisabeth: Offene Lernformen an der Hochschule. S.361-368, In: ZF Heilpädagogik, 8/2004

[47] Arnold, Rolf (Hrsg.): Lebendiges Lernen. 1996, S.238

[48] Spitzer, Manfred: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg Wien, 2002, S.155f., 171f., 193-195.

[49] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.14-22 In den Interviews zur Frage "Was heißt für Sie Didaktik" wird transparent, wie von Grundschullehrerinnen bis hin zu Seminarleitern in der Erwachsenenbildung die Unterrichtsauffassung im jeweiligen persönlichen und gesellschaftlichen Kontext interpretiert und eingebettet wird.

[50] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.266

[51] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.51

[52] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.51

[53] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.52

[54] Riedel, Harald: Ein Modell zur Differenzierung von Lernprozessen unter dem Gesichtspunkt der Selbständigkeit. Lernen auf eigenen Wegen! 2001; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/riedel-selbstaendigkeit.html Stand: 20.09.2004

[55] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, S. 166

[56] ebenda: S.166

[57] ebenda: S.81-86

[58] Resinger, Paul: Über welche Kompetenzen sollen LehrerInnen und LehrerausbilderInnen in Zukunft verfügen? In: ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 2/2003, S.5

[59] Wallrabenstein, Wulf: Offener Unterricht. 1991, S.273

[60] Reischmann, Jost; Dieckhoff, Klaus: "Da habe ich was gelernt". Lebendiges Lernen von Erwachsenen: Selbststeuerung oder Ermöglichungsdidaktik. S.180f. In: Arnold, Rolf (Hrsg.): Lebendiges Lernen. 1996, S.162-183

[61] S.181

[62] Decker, Franz: Strukturwandel des Lernens und des Unterrichts. In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Schul-Visionen. Theorie und Praxis systemisch-konstruktivistischer Pädagogik. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 1998, S.121

[63] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. Ratgeber für Eltern und Lehrer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991. S. 83

[64] Götz, Klaus; Häfner, Peter: Didaktische Organisation von Lehr- und Lernprozessen. Ein Lehrbuch für Schule und Erwachsenenbildung. Beltz Verlag, Weinheim Basel, 20026, S.84

[65] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.83

[66] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.63

[67] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, S. 334

[68] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, 103

[69] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.52, siehe auch Band II, 1997, S.98

[70] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.52

[71] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, S.98

[72] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.334

[73] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.334

[74] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.335

[75] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.336f.

[76] 1978 in der Volksschule in Feldkirch Altenstadt (Vlbg.) am eignen Leib erfahren.

[77] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.154-162

[78] Hinz, Andreas: Heterogenität in der Schule. Integration - Interkulturelle Erziehung - Koedukation, Hamburg: Curio 1993; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-heterogenitaet_schule.html Stand: 20.09.2004, S.83

[79] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.154f.

[80] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.155

[81] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.156

[82] Das Verhältnis ergibt sich daraus, dass sich die Zahl 3210 auf eine Lehrerin und die Zahl 2180 auf ca. 32 Schülerinnen bezieht (in diesem Fall kommen auf eine Schülerin im Durchschnitt ca. 68 Worte in einer Unterrichtsstunde).

[83] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.156

[84] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.156f

[85] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.158

[86] Niedermair, Claudia: Zur Pragmatik der Vision einer Schule für alle. Integrative Unterrichtsgestaltung im Spiegel von Theorie und Alltagspraxis am Beispiel der ersten Hauptschulintegrationsklassen in Vorarlberg. Teil 4e, Dissertation am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, Innsbruck 2002; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/niedermair-schule4e.html Stand: 20.09.2004, S.11

[87] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.158

[88] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.158

[89] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.160

[90] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.160

[91] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.161

[92] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.162

[93] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.161f.

[94] Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. 1981, S.162

[95] Anita Duller: Lernwerkstätten als alternative Formen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von LehrerInnen. Die österreichische Lehrerausbildung zwischen Schulpolitik und Integrationsbewegung und die Entstehung der Lernwerkstätten -unter besonderer Berücksichtigung der Lernwerkstatt in Reutte. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, am Institut für Erziehungswissenschaften, Innsbruck 1997; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/duller-lernwerkstaetten.html Stand: 20.09.2004, S.69

[96] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.32

[97] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.324

[98] Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002, S.25

[99] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.88-90

[100] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.380

[101] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.380

[102] Götz / Häfner: Didaktische Organisation. 2002, S.114

[103] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.66f.

[104] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.279

[105] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.61

[106] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.61

[107] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.285

[108] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.285

[109] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.165

[110] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.165f.

[111] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.288

[112] Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 1994, S.288

[113] Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002, S.129

[114] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.169

[115] Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. 1991, S.169

Kapitel II - Integration - Inklusion

"Der Mensch ist nichts Festes, Gewordenes, und Fertiges, nichts Einmaliges und Eindeutiges, sondern etwas Werdendes, ein Versuch , eine Ahnung und Zukunft, Wurf und Sehnsucht der Natur nach neuen Formen und Möglichkeiten." (Hesse) [116]

2.1 Integration - ein historischer Streifzug

Die Idee der Integration ist keine des 20.Jahrunderts, sondern die Ansätze liegen weiter zurück. Hilbert Meyer drückt dies so aus:

"Die bildungstheoretischen Einsichten, Forderungen und Grenzziehungen der Integrationsdidaktik sind nicht wirklich neu, sondern nur in mehr oder weniger radikaler Weise neu gedacht." [117]

Wichtige Inhalte der Integration kommen beispielsweise aus den Konzepten der Integrationsbefürworter Maria Montessori (1870-1952), Célestin Freinet (1896-1966) und Johann Amos Comenius (1592-1670).[118]

Marquis de Condorcet forderte 1792 mit seinem Entwurf "Allgemeine Organisation des Öffentlichen Unterrichtswesens" erstmals Stufen- bzw. Integrationsschulen.[119]

Erst 1920 wurden Ansätze davon verwirklicht und langsam aber doch stetig findet das Stufenschulenprinzip (Integrationsprinzip) einen festen und sicheren Boden in den Schulen, während das Selektionsschulenprinzip so langsam aufgeweicht wird.[120]

Die ersten Integrationsüberlegungen nach 1945, die in Richtung soziale Integration gingen, fanden in den 60er Jahren statt. Damals wurde kritisiert, dass die Grundschule für zuwenig Chancengleichheit sorge und die soziale Integration nicht gelinge (Integration von behinderten Kindern war damals kaum im Gespräch).[121]

Mit den Forderungen in den letzten Jahrzehnten nach einem Wandel des Unterrichts wurden unter anderem folgende Gründe genannt:

  • Der Wandel der Lebenswelten: reduzierte körperliche Bewegungen durch verdichtete Wohngegend, veränderte Konsumangebote, dies führt zur Verinselung der räumlichen Erfahrung.

  • Eine stetige Zunahme des Fernsehkonsums ist feststellbar (Fernsehzeit im Vergleich zur Schulzeit ist bei manchen Schülerinnen größer).

  • Die Familie ist im Wandel begriffen, was sich darin zeigt, dass die Großfamilie langsam von der Kleinfamilie abgelöst wird.

  • Die Verplanung der Tagesstruktur (Schule und Freizeitplanung) des Kindes ist schon Bestandteil der Gesellschaft.

  • Eine Expertisierung der Betreuung (z.B. Psychologinnen, Animateurinnen, geschultes Personal bei Freizeitaktivitäten, Pädagoginnen).

  • Die Einwanderungswellen führten dazu, dass eine stark heterogene Kultur entstanden ist, die verschiedenste soziale Milieus beherbergt.[122] "An vielen Schulen gibt es 20, manchmal 30 verschiedene Ethnien und ein entsprechend erfrischendes ‚multikulturelles Durcheinander' im Schulalltag."[123]

Diese Bereiche führten zu einer Veränderung der Lebensbereiche der Schülerinnen und zu einem Wandel der Schule.[124] Wie oben schon genannt, war zuerst die Chancengleichheit für alle sozialen Schichten im Vordergrund.

In den 70er kam es dann zur Öffnung des Unterrichts[125] und zur Entstehung von Elterninitiativen, die einen integrativen Unterricht von "behinderten" und "nichtbehinderten" Kindern forderten. Somit wurde auch die Grundlage für einen integrativen Unterricht für "Menschen mit Behinderung" gelegt.

Georg Feuser schreibt in seinem Artikel "Von der Integration zur Inclusion", dass der Zeitraum, in dem man von einer Historie der Integration im deutschsprachigen Raum sprechen kann, ca. 30 Jahre umreißt. Die Integrationsbewegung in Deutschland mit dem Aufruf "Gemeinsam leben - gemeinsam - lernen" und in Österreich mit der Forderung "Gesetz vor Gnade", die von Eltern und Fachleuten getragen wurde, sorgte in den 90er dafür, dass es zu gesetzlichen Regelungen kam, die die Integration in Schulen gewährleistet.[126]

In Deutschland wurde 1994 der Grundsatz des Art.3, Abs.3 um folgende Passage ergänzt: niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Seit 2002 ist ein Gleichstellungsgesetz der Bundesregierung in Deutschland in Kraft.

Am 9.Juli 1997 wurde folgendes von allen Parlamentsparteien einstimmig beschlossen und in der österreichischen Bundesverfassung (Art 7, Abs.1 B-VG) verankert:

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. [127]

Feuser spricht im Zusammenhang der Integrationsbewegung von zwei Entwicklungsphasen der schulischen Integration. Die erste Phase ist gekennzeichnet durch:

  1. "die Bemühungen der Eltern und einiger weniger Fachleute, den gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs um die Integration anzustoßen und die für dieses Denken und Tun verschlossenen Türen aufzustoßen ...,

  2. die Etablierung der praktischen Erprobung und Durchführung der Integration in Kindergärten und Schulversuchen ... als damals einzig gangbarer Weg, die Integration in die Schulen hineinzutragen und

  3. durch erste gesetzliche Regelungen der Integration."[128]

Die zweite Phase baut auf den drei oben genannten Punkten auf und sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Entwicklung der Integration in den Verantwortungsbereich der Lehrerin rückt. Zwei der wichtigsten Aufgaben sind:

  1. "hinsichtlich der Qualität einer auf kooperativen Lehr- und Lernhandlungen aller am Unterricht beteiligten Personen - also der Lehrer und Schüler - Ergebnisse zu zeitigen, die hinsichtlich der kognitiven, emotional-erlebnismäßigen und sozialen Kompetenzen, die die Lernenden in einem solchen Unterricht herausbilden und sich aneignen können, die noch immer gegen »eine Schule für alle« bestehenden gesellschaftlichen, bildungspolitischen und administrativen Barrieren und Blockaden abbauen und

  2. endlich zu erkennen und zu praktizieren, dass Integration unteilbar ist, d.h. sie konsequent in der Spanne der nach den traditionellen Klassifikationsschemata als schwerst-mehrfachbehindert eingeschätzten Schüler bis hin zu solchen, die wir als »hochbegabt« einschätzen, zu realisieren."[129]

Eine qualitative Weiterentwicklung der Integration ist unabdingbar, um den Stellenwert der Integration in der Gesellschaft zu erhöhen und um noch bessere Konditionen zu schaffen.[130]

Integration im Wandel zur Inklusion

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der Begriff Integration in den Reihen der Befürworterinnen vermehrt zur Diskussion steht, zum Teil sogar in Kritik gerät und zunehmend der Begriff Inklusion auftritt. In dieser aktuellen Fachdebatte werden Grundsätze diskutiert, "wie Antidiskriminierung, Forderungen nach Gleichbehandlung / Gleichstellung, nach uneingeschränkter Teilhabe und Heterogenität in allen Feldern."[131]

Die Integration hat sich dahingehend entwickelt, dass Menschen mit Behinderungen mit besonderen Rechten in die Gesellschaft einbezogen werden.[132]

Der Ansatz der Inklusion hingegen favorisiert, erweitert zum Integrationsbegriff, eine gleichberechtigte Teilnahme aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, d.h. die Einbindung aller Menschen, egal welcher kulturellen, ethnischen, sozialen und religiösen Angehörigkeit. Es darf auch kein Mensch "wegen eines individuellen Merkmals - welcher Art auch immer dieses sei - ausgegrenzt"[133] werden.

Die entstandene Diskussion um beide Begrifflichkeiten kann als Bereicherung angesehen werden, denn dadurch wird ein qualitativer Wandel der Integration forciert. Andreas Hinz erwähnt da drei Bereiche:

  • "Sie geht den Schritt von einer individuumszentrierten Integration von Behinderten zu einer systemischen inklusiven Pädagogik für alle Mehrheiten und Minderheiten im Sinne einer Pädagogik der Vielfalt.

  • Sie nimmt neben der Veränderung von institutioneller Strukturen auch (und vor allem) die Veränderung der Wahrnehmung von Personen und Gruppen in den Blick - im Sinne des Abbaus von administrativer Etikettierung, der gleichberechtigten Wertschätzung und der pädagogisch untrennbaren Heterogenität.

  • Sie weist auf diesem Hintergrund der betreffenden Person zur Klärung von Situationen und Perspektiven einen zentralen Platz zu und bezieht sie in die Klärungsprozesse so weit wie möglich als DialogpartnerIn ein."[134]

Für die Schule und Unterricht bedeutet ein inklusiver Ansatz, dass Lernwelten und Entwicklungsstand der Schülerinnen in Beziehung zu ihren individuellen Bedürfnissen gesetzt und berücksichtigt werden, d.h. alle Schülerinnen haben die Möglichkeit, im gemeinsamen Lebens- und Lernraum Schule in Kooperation miteinander zu leben und zu lernen, auf der Grundlage ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen.[135]

2.2 Entwicklung

In diesem Kapitel geht es nicht vordergründig darum, die verschiedensten Entwicklungstheorien zu beschreiben, sondern vielmehr um deren Anwendung, d.h. wie können Entwicklungstheorien unterstützend wirken und wo sind Gefahren der Stigmatisierung gegeben. Es gibt in der Wissenschaft einen vielseitigen Zugang zum Begriff Entwicklung und eine Anzahl an Theorien, die z.B. aus

  • psychologischer

  • pädagogischer

  • medizinisch-biologisch

  • systemtheoretisch

  • konstruktivistischer

  • humanistischer

  • philosophischer

  • usw.

Sichtweise entstanden sind und vertreten werden. Die Beschreibung dieser Theorien ist in diversen Fachliteraturen optimal dargestellt und skizziert.

Ein Ansatz, der in diesem Zusammenhang eine wertvolle Erweiterung darstellt, ist der Entwicklungsbegriff Vygotskijs "die Zonen der nächsten Entwicklung", auf den weiter unten eingegangen wird.

2.2.1 Entwicklungsprozess im Kontext von interner und externer Entwicklung

Rolf Huschke-Rhein spricht in diesem Zusammenhang von einem "internen Entwicklungsbegriff", der mit einem in sich natürlich angelegten Wachstum gleichgesetzt werden kann. Doch dieser natürliche Entfaltungsprozess steht immer im Zusammenhang mit der Umwelt des Individuums. Eine Interaktion (z.B. Eine Schülerin mit einer Lehrerin oder Erzieherin) beeinflusst die Entwicklung maßgeblich und kann als "externer Entwicklungsbegriff" bezeichnet werden. Entwicklung erfolgt immer in Verbindung mit Fremdeinwirkung, deshalb können wir davon ausgehen, dass sich ein Kind ohne Hilfe und Begleitung eines Erwachsenen kaum entwickeln würde. Die Aufgabe des Erwachsenen bestehe darin, das Umfeld so zu gestalten, dass sich das Kind zu einer autonomen selbstentscheidenden Person entwickelt kann.[136]

Es hat sich aber herausgestellt,

"dass die pädagogischen Steuerinstanzen der Moderne ..., die doch zunächst nur begleitende Hilfe zur besseren Entwicklung leisten wollten, mit gleichsam wachsender Steuerungswut und Eingriffsgier zu Werke gingen: Sie selbst bestimmen jetzt die Normen und Maßstäbe der Entwicklung, die ihnen Anvertrauten haben keinen Raum und keine Zeit mehr, in denen sie sich selbst nach eigenen Maßstäben entwickeln könnten, sondern über ihre Entwicklung wird immer schon von Außen und durch vorgegebene Maßstäbe verfügt." [137]

In der Entwicklung von außen bestimmt zu werden ist in unserer Gesellschaft schon kulturell institutionalisiert. Mit folgender Beschreibung trifft Rolf Huschke-Rhein dies genau auf den Punkt:

"Denn es wird immer deutlicher, dass die Entwicklung eines Kindes zunehmend von normativen Leistungs- und Funktionserwartungen bestimmt wird, die die Pädagogen, die Psychologen und die Eltern von außen an das Kind herantragen und die das Entwicklungstempo in demselben Sinne von außen bestimmen, wie dies beispielsweise in einer Schulklasse Jahr für Jahr durch die vorgegebenen Stoffpläne geschieht - also nicht vom eigenen Entwicklungstempo eines Kindes her, sondern eben von außen. Und das, obwohl doch der Entwicklungsbegriff selber ursprünglich genau das Gegenteil bedeutete: eine Pflanze entwickelt sich, also nach ihren eigenen Maßstäben und zeitlichen Kriterien, nicht aber, indem eine andere Pflanze ihr das Wachstumstempo vorschreiben würde." [138]

Einige Menschen richten sich nach verschiedenen Entwicklungstheorien und machen diese wiederum zur Norm, anstatt sie als Hilfsmodelle zur Strukturierung für die Begleitung von Entwicklungsschritten zu verwenden. Wie zum Beispiel als

"eine Mutter in Sorge geriet, weil ihr zweites Kind bestimmte verbale Leistungen nicht dem normativen Schema entsprechend erbrachte. Wenig später zeigte sich, dass dieses Kind völlig ‚normal' entwickelt war; es hatte einfach keine Lust, früher als unbedingt erforderlich zu sprechen." [139]

Wenn Entwicklungstheorien als Normierungen verwendet werden, entsteht ein Druck in die Richtung gleich zu sein (zu werden) wie alle anderen. Eine Produktion der Gleichschaltung und Anpassung wird begünstigt. Die Entwicklung der Kreativität und Selbstverantwortlichkeit eines Individuums wird dadurch behindert.

"Das Leben zeigt uns, dass die ‚Langsamen' oder die ‚Dummen' der Schule, die dem Druck zum Gleichwerden mit den anderen erfolgreich widerstanden hatten, nicht immer auch später hintenan bleiben. Der klassische Fall Einsteins, der in der Schule als unbegabt galt, dürfte wohl nicht ganz vereinzelt sein. Doch leider müssen wir befürchten, dass allzu viele Kinder, die in der Schule wenig Geschick zur Anpassung zeigen, schon früh den Glauben an sich selbst verlieren und ihre Weiterentwicklung fürs ganze Leben an den Nagel hängen. Ebenso wahr ist es, dass die ‚Klassenbesten', die es ihren Lehrern immer recht machen konnten, sich im Leben oft nur dann zurechtfinden, wenn sie ihre Zuflucht in solchen Berufen suchen, die ihnen auf verschiedene Weise Schutz vor unvorhergesehenen Lebenssituationen versprechen." [140]

Oft wird Entwicklung, die nicht normativ verläuft, auch als Störfall angesehen, den es zu vermeiden gilt. Die Folgen sind langwierige Therapien[141], Sondereinrichtungen, die den "Entwicklungsgestörten" wieder "normal" machen sollen, bis hin zur Frage, ob dieser Mensch überhaupt lebenswert ist.[142] Das Bild des perfekten Menschen steht als Symbol für die Entwicklung des Individuums, die es zu realisieren gilt.

Wenn wir den Begriff der Perfektion aber bis zu Ende denken, dann ist damit das Endstadium der Entwicklung erreicht. Die Perfektion führt aus der Lebendigkeit hinaus. Karikiert gesprochen: "Ein perfekter Mensch ist ein ‚toter' Mensch", es gibt keine Entwicklung mehr. Sich der eigenen Lebendigkeit hinzuwenden, und die darin enthaltene Vielfältigkeit des Lebens zu entdecken ist eine Qualität, die Entwicklung beinhaltet. "Einseitiges Perfektionsstreben wirkt dieser Lebendigkeit entgegen, tut der Lebendigkeit Gewalt an, führt dazu, Menschen Maschinen ähnlich zu machen."[143] Einseitiges Perfektionsstreben beinhaltet auch starke Normierungszwänge. Um diesen Zwängen entgegenzuwirken, dürfen Entwicklungstheorien nicht als Leitfaden für Normen dienen, sondern zur Strukturierung und zum besseren Verständnis von Entwicklung, sonst werden Menschen stigmatisiert. Von diesem Schema der Normierung sind Menschen mit Lernschwierigkeiten und "Behinderungen" besonders betroffen. Im Artikel "Wie man lernbehindert wird" zeichnet Rudolf Forster ein genaues Bild, wie Aussonderung im Unterricht erfolgt.[144]

Hat zum Beispiel eine Person die entsprechende Entwicklungsstufe noch nicht erreicht, muss dieser Ansicht zufolge alles unternommen werden, um sie im schnellsten Wege auf die entsprechende Stufe zu bekommen. Manche brauchen jedoch mehr Zeit für einen Entwicklungsschritt als andere, deshalb sollte jedes Individuum eine eigene Reifungszeit zugestanden bekommen. Edmund Kösel meint dazu:

"Es wurde dabei vergessen, dass Kinder - wie alles junge Leben - eine bestimmte Entwicklungszeit brauchen, die die Natur über Jahrmillionen hinweg herausexperimentiert hat. Es wurde dabei vergessen, dass kognitive Entwicklung zugleich auch emotionales Wachstum benötigt und umgekehrt." [145]

Um den Entwicklungsbereichen, die außerhalb der sogenannten "gesellschaftlichen Norm" liegen, gerecht zuwerden, ist es sinnvoll, sich die Frage zu stellen:

Wie kann die Person so qualitativ wie möglich in ihrer Entwicklung unterstützt werden?

2.2.2 Zone der aktuellen und nächsten Entwicklung

Die "Zone der aktuellen und nächsten Entwicklung" von Vygotskij schließt eine qualitative Entwicklungsförderung mit ein und nimmt auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten einer Person Rücksicht.

"Mit dem Begriff der aktuellen Entwicklung bezeichnet Vygotskij alle Fähigkeiten, die das Kind ohne Hilfe eines Anderen beherrscht. Die Zone der nächsten Entwicklung bezeichnet alle Fähigkeiten, die das Kind sich mit Hilfe eines Anderen aneignen will und kann." [146]

Dies besagt, dass eine Entwicklung nur dann möglich ist, wenn man auf dem vorhandenen Wissen und den Fähigkeiten des Individuums aufbaut. Lehren bedeutet somit, auf die Interessenswelten des Lernenden einzugehen, denn "Man kann ein Kind aber nur das lehren, was es schon zu lernen fähig ist."[147]

Der Entwicklungstand einer Gruppe ist heterogen und um alle Individuen in den Unterricht mit einbeziehen zu können, sagt Vygotskij:

"Wir müssen stets die unterste Grenze des Unterrichts bestimmen. Aber damit ist die Sache nicht getan: wir müssen auch imstande sein, die oberste Grenze des Unterrichts zu bestimmen. Nur innerhalb dieser Grenzen kann der Unterricht fruchtbar sein." [148]

Wird weiters der Lerngegenstand des Unterrichts auf den Fähigkeiten und anhand der Ressourcen des Kindes aufgebaut und im Dialog weitergeführt, dann kann Unterricht auch Motor sein, um die nächste Zone der Entwicklung zu wecken.[149]

2.3 Differenzierung des Unterrichtsprozesses

Um Integration/Inklusion im Unterricht überhaupt möglich zu machen, braucht es eine Differenzierung im Lernprozess. Hilbert Meyer definiert dies so: "Differenzierung bezeichnet die zeitlich befristete und/oder dauerhafte Aufteilung der Gesamtheit der Schüler und Schülerinnen in arbeitsfähige Lernverbände"[150] und beschreibt die Schritte schulischer Differenzierung. Er nennt die äußere und innere Differenzierung.

Die äußere Differenzierung bezieht sich auf die Auswahl der Schule und die interne Verteilung der Schülerinnen in die jeweilige Klasse, Stammgruppe, den jeweiligen Kurs oder einen sonstigen festen Lernverband. Die äußere Differenzierung ist zumeist Leistungsdifferenzierung und die interne Verteilung der Schülerinnen erfolgt meist auf dieser Basis, jedoch hängt dies immer von Schultypen ab, an einer Grundschule orientiert sich die Differenzierung an anderen Maßstäben als bei einer Montessorischule.[151] Für diese Differenzierungsmaßnahmen braucht es Kriterien, die einer pädagogischen Kritik standhalten können.[152] Doch unter Einbeziehung der Integration/Inklusion müsste es folgend lauten: "... braucht es Kriterien, die einer inklusionspädagogischen Kritik standhalten können".

Die innere Differenzierung hat das Ziel im heterogenen Unterrichtsmilieu auf individuelle Lernwelten und Kompetenzen der Schülerinnen Rücksicht zu nehmen. Bei Schulen mit hoher Selektivität, wie bei Gymnasien und Realschulen, finden sich kaum innere Differenzierungen. An Grundschulen und integrierten Gesamtschulen sind innere Differenzierungen sehr ausgeprägt, besonders dann, wenn Offener Unterricht stattfindet.[153]

Eine "Schule für Alle" müsste so aufgebaut werden, dass die äußere Differenzierung durch zigfache Schulformen von einer inneren Differenzierung abgelöst wird. Das würde auch heißen, dass der Unterricht sich vom Frontalunterricht hin zum Offenen Unterricht verändern müsste.[154]

Aber wie muss eine Differenzierung gestaltet sein, damit integrativer Unterricht bzw. Unterricht für alle stattfinden kann?

Um ein plastisches Bild von einer Integrationsgruppe und den damit notwendigen Differenzierungen (-maßnahmen) zu bekommen, ist es von Vorteil, sich einmal eine Zusammensetzung eines solchen Klassenverbands anzuschauen.

Das nachfolgende Beispiel stammt aus einem Bericht, dem eine wissenschaftliche Begleitung einer Integrationsklasse zugrunde liegt. Es wird die Zusammensetzung einer Integrationsklasse beschrieben, die als Klasse I bezeichnet wird.

Die integrative Klasse setzt sich aus 17 Kindern zusammen, 9 Mädchen und 8 Jungen, davon sind 13 aus einem Integrationskindergarten.

Zwei Mädchen und ein Junge sind als "behindert" eingestuft:

  • Frederike, ein Mädchen, ist blind

  • Katrin, ein Mädchen mit Lernbehinderung und Verhaltensproblemen

  • Konrad, ein Junge mit schweren Beeinträchtigungen im Verhaltens- und Kommunikationsbereich

Dazu kommen drei Jungen und ein Mädchen aus einer Vorklasse:

  • Franco aus italienischer Herkunft und mit Verhaltensproblemen

  • Murad aus marokkanischer Herkunft, mit Verhaltensproblemen und von Lernbehinderung bedroht (wird von der Lehrerin als solches Beschrieben)

  • Die anderen beiden Kinder werden nicht mehr näher beschrieben.

In weiterer Folge kommt es zu einem Wechsel in der Zusammensetzung der Klassengemeinschaft, der aus der vorhandenen hohen Anzahl von Verhaltensproblemen und zusätzlichen Einstufungen in Lernbehinderung resultiert.

Franco kommt in eine Parallelklasse und ein neues Mädchen, Doris, kommt von dort in die integrative Klasse, sie hätte sonst in eine Schule für Lernbehinderte gehen müssen. Es wird auch ein weiterer Junge aus einer anderen Grundschule aufgenommen, so dass die Klasse schlussendlich aus 18 Kindern besteht, von denen 4 als behindert gelten.[155]

Bei einer Zusammensetzung des Klassenverbandes von Kindern aus unterschiedlichen Kulturen, mit verschiedenem Entwicklungsniveau, mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten stellt sich nicht die Frage, ob es eine innere Differenzierung des Unterrichts braucht, sondern wie kann der Unterricht so differenziert werden, dass alle mit ihrer Lernwelt und ihrem Entwicklungsniveau aktiv daran teilnehmen können.

Weiters stellt sich hier die Frage: Wie kann in einer solch heterogenen Gruppe qualitatives Lernen für alle stattfinden?

Neben den räumlichen Veränderungen (z.B. Sofaecke, Raumteiler, Arbeitsecke) und flexiblen Sitzordnung (Tischgruppen, Stuhlkreis, einzelne Arbeitsplätze) sind Auswahl von Unterrichtsstil (Freie Arbeit, Wochenplan)[156] und Didaktik (Methoden, Dialog/Interaktion) für die Qualität der Lernprozesse von großer Bedeutung.

Im Verständnis von integrativer / inklusiver Pädagogik ist eine Orientierung an einer "Allgemeinen Didaktik", die alle Schülerinnen im Blick hat, im Unterricht (besonders im integrativen / inklusiven Unterricht) unabdingbar.[157] Interessant ist hier, ein Didaktikkonzept aus der "kulturhistorischen Schule", das auf der Tätigkeitstheorie beruht, zu betrachten.

2.3.1 Differenzierung des Lernprozesses im Verständnis der Tätigkeitstheorie

Die Tätigkeit eines Individuums wird als System angesehen, d.h. "eine beliebige Art von Tätigkeit enthält faktisch alle (oder fast alle) Arten psychischer Funktionen (Wahrnehmung, Gedächtnis, Emotionen u.a.)"[158]. Wichtig zu erwähnen ist, dass hier nicht von einer Psychologie der Funktionen (d.h. den Blick hauptsächlich nur auf Wahrnehmung oder Gedächtnis oder Emotionen usw. gereichtet) sondern einer Psychologie der Tätigkeiten gesprochen wird, nämlich von der Struktur der Handlung.

"Sie enthält unbedingt Elemente wie Gegenstand der Handlung, Motiv und Ziel der Handlung, Operationen und Orientierungsgrundlage der Handlung. Auf der funktionalen Ebene verfügt die Handlung, wie die Tätigkeit, über einen Orientierenden, einen ausführenden, einen kontrollierenden und einen korrigierenden Teil, die in jedem funktionierenden System vorhanden sind." [159]

Auf den Unterricht bezogen geht es um eine Orientierungsgrundlage der Handlung. Darunter versteht man diejenige Information, worauf sich das Subjekt bei der Ausführung der Handlung stützt. Verfügt eine Schülerin über alle notwendigen Parameter um ein Aufgabe zu lösen, so erreicht ihre Handlung das Ziel. Sind die Informationen nur zum Teil vorhanden oder das Individuum orientiert sich nur an einem Teil der Informationen oder ersetzt sie durch eine andere, führt dies zu einem Fehler in der Handlung.

Nina F. Talyzina erklärt dies anhand eines Beispiels von sechs Streichhölzern, die von Probanden zu vier gleichschenkligen Dreiecken konstruiert werden sollen.

  1. Einige zerbrachen die Streichhölzer in Hälften und erreichten so das Ziel. Aber die Bedingung die Dreiecke aus Streichhölzern (nicht aus Hälften) zu erstellen, wurde nicht berücksichtigt. Somit war die Orientierungsgrundlage ihrer Handlungen unvollständig.

  2. Andere versuchten die Dreiecke in der Ebene zu konstruieren. Hier wurde die Orientierungsgrundlage erweitert. Sie nahmen eine Bedingung hinzu, die nicht in der Aufgabe enthalten war, nämlich die Dreiecke in nur einer Ebene zu legen.

  3. Wird die Orientierungsgrundlage vollständig und richtig aufgefasst, wird die Lösung erreicht. Die Einbeziehung des dreidimensionalen Raums ist notwendig: In einer Ebene werden drei Streichhölzer als Dreieck aufgelegt, die anderen drei werden als Pyramide auf den Eckpunkten des Dreiecks in der Ebene aufgesetzt, somit erhält man im gesamten die vier gleichschenkligen Dreiecke.

Doch nicht nur die Vollständigkeit der Informationen (des Wissens) charakterisiert die Orientierungsgrundlage der Handlung, sondern noch zwei weitere kennzeichnende Eigenschaften:

a) Das Maß der Allgemeinheit der Orientierung

"Die Orientierungsgrundlage der Handlung kann eine spezielle, für den Einzelfall geeignete sein, sie kann aber auch allgemein sein, das Wesen einer ganzen Klasse von Einzelfällen widerspiegeln und sich folglich zur Orientierung in jedem dieser Fälle eignen."[160]

b) Das Verfahren ihres Erhalts, sie werden in zwei Bereiche aufgeteilt

  • Die Orientierungsgrundlage der Handlungen wird den Lernenden in fertiger Gestalt gegeben.

  • Die Orientierungsgrundlage der Handlungen wir von den Lernenden selbständig zusammengestellt, entweder durch Versuch und Irrtum oder durch Anwendung einer Methode.[161]

Typen des Lernens

Im Zusammenhang mit der Tätigkeitstheorie werden drei Typen genannt, die sich auf die drei oben genannten Bereiche der Vollständigkeit, das Maß der Allgemeinheit und den Erhalt des Verfahrens beziehen.

Beim ersten Typ ist die Orientierungsgrundlage des Individuums Unvollständigkeit. Durch Versuch und Irrtum ermittelt das Subjekt die vollständige Orientierungsgrundlage. Die Herausbildung der Handlung erfolgt in diesem Kontext sehr langsam und sie reagieren sensibel auf kleinste Veränderungen der gegebenen Bedingungen.

Beim zweiten Typ sind alle notwendigen Bedingungen zur richtigen Ausführung der Handlung gegeben. Doch sie liegen dem Subjekt als fertige Gestalt und in spezieller Gestalt vor (siehe Zündhölzer-Beispiel 3). Die Herausbildung der Handlung erfolgt schnell und fehlerfrei, aber die Übertragung der erlernten Handlung ist eingeschränkt, es sind ähnliche konkrete Bedingungen des Erlernten für weitere Ausführungen notwendig.

Beim dritten Typ sind die Orientierungsgrundlagen vollständig gegeben, doch in verallgemeinerter Gestalt, die auf eine ganze Klasse von Erscheinungen zutreffen können. Das Subjekt ermittelt die Orientierungsgrundlage der Handlung in jeder konkreten Aufgabe selbst, durch zu Hilfenahme einer allgemeinen Methode, die ihm gegeben wird. Die sich herausentwickelte Handlung ist hinsichtlich des Herausbildungsprozesses mit Schnelligkeit und Fehlerlosigkeit gekennzeichnet und auch mit einer großen Beständigkeit und breiter Übertragung.

Im ersten und dritten Typ erfolgt die Ermittlung der Orientierungsgrundlagen selbständig, doch die Verfahren basieren auf verschiedenen Grundlagen: beim ersten Typ durch Versuch und Irrtum, beim dritten mit Hilfe der den Lernenden gegebenen Methode.[162]

Die Herausbildung einer Handlung wird anhand eines Beispiels, bei dem Kinder das Schreiben erlernen, anschaulich dargestellt.

  1. Die Anwendung der Orientierungsgrundlage der Handlung nach dem ersten Typ: Einem Kind wird vorgezeigt und erklärt, wie ein Buchstabe geschrieben wird. In der Ausführung der Handlung wird das Kind auf die gemachten Fehler aufmerksam gemacht und die richtige Schreibweise nochmals erklärt. Die Erklärungen und Übung werden solange fortgesetzt, bis das Kind den Buchstaben drei Mal hintereinander ohne Fehler darstellen kann. Danach erfolgt die Übung nach demselben Schema für den nächsten Buchstaben. Für den ersten Buchstaben brauchte es 174 Wiederholungen. Interessant ist, dass die Schülerin, nachdem sie einen Buchstaben erlernt hatte, nicht imstande war, die Orientierungsgrundlage der Handlung für den zweiten Buchstaben zu ermitteln. Für den zweiten Buchstaben musste sie sich wieder neu orientieren, dazu brauchte sie 163 Wiederholungen. (Die Orientierungsgrundlage war unvollständig. Die Lernende bekam nur bestimmte Angaben für die auszuführende Handlungen, doch die richtige Ausführung erfolgt erst nach zahlreichen Versuchen.)

  2. Die Anwendung der Orientierungsgrundlage der Handlung nach dem zweiten Typ: Dem Kind wird statt des Buchstabens ein System von Punkten, das einem Buchstaben entspricht, auf das Papier aufgetragen. Das Kind erkennt und lernt dieses System sehr schnell, doch nur auf diesen Buchstaben bezogen. Es lernt immer noch nicht, dieses System der Punkte selbständig auf einen anderen Buchstaben zu übertragen. Es sind zwar anstatt von 174 Wiederholungen nur noch 22 für den ersten Buchstaben und 17 für den zweiten notwendig, doch die Lehrerin muss jeweils erneut die Orientierung vorgeben. (Die Orientierungsgrundlage ist zwar vollständig, muss aber für jeden neuen Fall nochmals vollständig und neu gegeben werden)

  3. Die Anwendung der Orientierungsgrundlage der Handlung nach dem dritten Typ: Dem Kind wird nicht die fertige Orientierungsgrundlage geboten, sondern das Prinzip ihrer Ermittlung. Der Lernenden wird erklärt, dass die unterstützenden Punkte genau an den Stellen des Buchstabens angebracht werden müssen, wo die Linien die Richtung wechseln. An einem Buchstaben wird es repräsentativ gezeigt und die Lernende kann es anhand einiger typisierter Buchstaben des Alphabetes selbständig erlernen. Im Vergleich zu den ersten beiden Typen reduzierten sich die Wiederholungen massiv. Beim ersten Buchstaben zeigten sich noch 14 Wiederholungen, beim zweiten nur noch acht und vom achten Buchstaben an wurde jeder beliebige Buchstabe beim ersten Versuch richtig geschrieben. (Die Orientierungsgrundlage war nicht vollständig gegeben, aber es beinhaltet ein verallgemeinertes Prinzip ("Einheit der Kontur"), das in jedem Einzelfall anwendbar ist. Die Schülerin kann anhand dieses erlernten Prinzips jeden Buchstaben selbständig ermitteln)[163]

Nina F. Talyzina führt weiter aus:

"Bei der Orientierung vom dritten Typ bilden sich bei den Schülern allgemeine Methoden der intellektuellen Tätigkeit heraus. Diese werden vorläufig ausgearbeitet, überprüft, und dann bilden sie sich schon bei den Schülern. Untersuchungen haben gezeigt, dass Schüler, die die allgemeine Methode beherrschen, nicht selten bessere Ergebnisse bringen als ihre Lehrer." [164]

In der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung gibt es hinsichtlich der Auswahl der Typen 2 oder 3 unterschiedliche Auffassungen. Die einen sehen den Typus 3 als die geeigneteste Orientierungsgrundlage und andere glauben den Typus 2 für geeigneter zu halten, weil die "Lerntätigkeit Geistigbehinderter im schulischen Rahmen im wesentlichen ‚gelenkt-reproduktive Tätigkeit' ist und für lange Zeit so bleibt, so erscheint zunächst eine Orientierungsgrundlage vom Typ 2 als angemessen."[165]

2.3.2 Differenzierung nach P.J. Galperin

Nach Galperins Auffassung braucht ein Individuum, bevor es an eine Aufgabenstellung herangeht, eine Orientierung. Bei dieser Orientierungstätigkeit ist eine Orientierungsgrundlage notwendig, d.h. die Lernende braucht im Kontext der Aufgabenstellung Informationen, auf die sich ihr Handeln stützen kann. Galperin bezeichnet dies als die Orientierungsgrundlage der Handlung[166], dies entspricht genau dem oben beschriebenen Bereich aus der Tätigkeitstheorie.

In weiterer differenzierterer Form verläuft der Prozess der Aneignung des Lerngegenstands nach folgenden Kriterien:

  1. Motivation (Sinn und Bedeutung): Unter Einbindung der Interessen von den Schülerinnen wird ein gemeinsames Lernmotiv entwickelt. "Die Kinder und die Lehrer müssen in der Lernstunde den gemeinsam geteilten Sinn und die gemeinsam geteilte Bedeutung der Tätigkeit erfahren."[167]

  2. Orientierung (Weg und Ziel): Damit die Kinder eigenständig arbeiten können, gibt die Lehrerin ihnen Orientierungsgrundlagen. Galperin unterscheidet drei Formen der Orientierung: 1. Versuch und Irrtum, 2. Nachahmung, 3.prinzipelles Arbeiten. Das Ziel ist, dass die Kinder sich beim Lösungsprozess von Versuch und Irrtum und der Nachahmung emanzipieren. Der Lernprozess soll dorthin gehen, dass die Schülerinnen die Grundsätze des Lösungsweges erkennen.

  3. Die Handlung (Werkzeug, Material, Produkt) und Kommunikation (Lautsprache, Zeichensprache): Der Lösungsprozess erfolgt auf der Ebene der gemeinsamen geteilten äußeren Handlung mit Gegenständen und eine lautsprachliche Begleitung findet statt. Alle fünf Sinne werden mit einbezogen. "In der Entwicklungsorientierten Lesedidaktik entspricht dieser Schritt der aktuellen Entwicklungszone des Kleinkindes."[168]

  4. Die materialisierte Handlung (Bilder, Fotos, Miniaturen, Piktogramme, Gebärden usw.) und Kommunikation: Der Lösungsprozess erfolgt auf der Ebene der gemeinsam geteilten symbolischen Tätigkeit. Die Schülerinnen entwickeln Gegenstände und Tätigkeiten (z.B. Zeichnungen, Miniaturen, Fotos, usw.) mit deren Hilfe sie ihr Handeln anleiten. Die Kommunikation geschieht über Gebärden. "In der Entwicklungsorientierten Lesedidaktik entspricht m.E. dieser Schritt der aktuellen Zone des Vorschulkindes."[169]

  5. Die Sprache:a) Soziale Kommunikation (Sprache für andere): Die Sprache wird als Verständigungsmittel in Form von Gestik und lauter Sprache verwendet und dient den Kindern unter anderem zur Unterweisungen anderer Kinder. b) Flüstersprache (innere Sprache für sich): Das Kind spricht mit sich selbst und dies dient zur Unterstützung zum eigenständigen Handeln. Die innere Sprache wandelt sich später in Denken um.

  6. Die Schriftsprache: Die Schriftzeichen dienen als Verständigungsmittel des Subjekts. "In der Entwicklungsorientierten Lesedidaktik entspricht m.E. dieser Schritt der aktuellen Zone des Schulkindes."[170]

Wenn wir uns auf den obengenannten dritten Typus der Orientierungsgrundlage der Handlung mit dem Beispiel der Buchstaben beziehen, dann braucht es speziell beim Ansatz einer Allgemeinen Didaktik, die alle Kinder berücksichtigt, die Einbeziehung aller fünf Sinne (riechen, schmecken, fühlen, sehen, hören) um ein einheitliches, funktionelles Hirnsystem aufzubauen.[171] Das Einbeziehen aller Sinne ist für das Lernen von großer Bedeutung, denn "in dem Maße, wie Tastsinn, Sehen, Hören, Riechen und Schmecken im Mutterleib heranreifen und funktionstüchtig werden, bilden sie auch die Grundlage für erstes Lernen, das bereits im Mutterleib stattfindet. Bereits im Mutterleib hört, tastet, schmeckt und riecht der Säugling."[172]

In Christel Manskes Buch "Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht für alle Kinder" findet sich ein plastisches Beispiel nach den Lernschritten von Galperin.

Die Kinder erstellen einen Buchstaben mit Hilfe von Arbeitsgeräten und Material, z.B. Auf der Handlungsebene wird ein Teig zuerst durchgewalkt, dann gebacken und mit der Nase gerochen, gegessen und mit der Zunge geschmeckt. In der materialisierten Handlung werden wichtige Charaktere des Produkts, in diesem Falle ein gebackener Buchstabe M, erarbeitet. Das Schriftzeichen wird auf ein Blatt Papier gelegt und die Konturen werden wie bei einer Schablone nachgezeichnet. Die weiteren Schritte erfolgen wie sie schon oben am Beispiel des Typus 3 genannt wurden. Die Lehrerin malt die Richtungspunkte für das M ein (siehe Abb.8), in Folge zeichnet die Schülerin die Punkte selbständig in die erstellte Schablone. Die Orientierungspunkte zeigen, wann der Strich seine Richtung ändert. Die Lehrerin gibt der Schülerin eine verbale Anleitung und fordert sie auch auf, das Schreiben selbst sprachlich zu begleiten: "Sprich dir den Buchstaben vor. Setze den ersten Punkt auf die Grundlinie. Setze den zweiten Punkt auf die Oberlinie. Wann ändert dein Strich seine Richtung?" Auf diese Weise bildet sich bei der Schülerin ein Übergang zur inneren Sprache. Das Kind flüstert in verkürzter Form zu sich selbst: "M - Punkt unten - oben - unten - oben - unten." Die Erarbeitung eines Buchstabes erfolgt danach ohne Unterstützung der Lehrperson vollkommen selbständig mit Hilfe der Methode der Richtungspunkte.[173]

Abb.8: M mit Richtungspunkten In: Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.80

2.3.2 Differenzierung nach Georg Feuser

Feuser ist der Meinung, dass es notwendig ist, die Theorie und Praxis von integrativer Erziehung und Unterricht in ihrer pädagogisch-didaktische Struktur zu beschreiben, damit Bedingungen einer qualitativen und erfolgreichen Integration festgelegt werden können. Weiters meint er:

"Als integrativ bezeichne ich eine Allgemeine (kindzentrierte und basale) Pädagogik, in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander, auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau, nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen, in Orientierung auf die ‚nächste Zone ihrer Entwicklung', an und mit einem ‚gemeinsamen Gegenstand' spielen, lernen und Arbeiten." [174]

Didaktische Fundamente einer Integration, wie "Kooperation am gemeinsamen Gegenstand" und "Innere Differenzierung durch Individualisierung" sind wichtige und zentrale Bestandteile zur Realisierung eines integrativen Unterrichts.[175]

In Abbildung 9 wird ein didaktisches Feld einer Allgemeinen Pädagogik skizziert. Die einzelnen Felder Sachstruktur, Tätigkeitsstruktur und Handlungsstruktur werden differenziert dargestellt. Ein wesentlicher Teil ist, dass die jeweiligen Bereiche in Zusammenhang stehen und in einer historisch-logischen Struktur gesehen werden müssen.

Damit ein differenzierter und somit integrativer Unterricht möglich ist, braucht es eine Analyse der drei folgenden Felder:

  1. Analyse der Sachstruktur: Es ist zu überlegen, welche Vorhaben, Inhalte, Gegenstände Sachzusammenhänge usw. im Projekt gewählt werden, um eine innere Differenzierung zu erreichen. Welche momentanen Handlungskompetenzen sind bei einem Kind gegeben und welche neue Handlungskompetenz soll bzw. will das Kind erwerben und welche didaktisch-mediale Strukturhilfe braucht es dazu? (Diese Bereiche sind immer unter Berücksichtigung von (2) und (3) zu überlegen)

  2. Analyse der Tätigkeitsstruktur: Ausgehend von der Stufe der dominierenden Tätigkeit (Abb.6: 1-6) des Kindes wird geprüft, in welcher Zone der aktuellen Entwicklung sich das Kind befindet und welche lernstrukturelle und/oder therapeutische Hilfen es braucht, um in die Zone der nächsten Entwicklung treten zu können.[176]

  3. Analyse der Handlungsstruktur: Welche Handlungsstruktur wendet ein Kind an, um in wechselseitiger Austauschbeziehung mit seiner (Lern- und Lebens-) Umwelt zu treten? Welche Orientierungsgrundlage der Handlung im Sinne von Galperin wird dem Kinde geboten? - Damit sich beim Kind, im "Sinne der Ausdifferenzierung des "inneren Abbilds", ein qualitativ neues und höheres Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsniveau anbahnen und absichern kann."[177]

Diese drei Grundcharakteren stehen derart miteinander in Beziehung, dass sich "entsprechend dem Zusammenhang 'Subjekt <=> Tätigkeit <=> Objekt' eine dreidimensionale Didaktik"[178] modellieren lässt.

Abb.9: Das didaktische Feld einer Allgemeinen integrativen Pädagogik. (1) a-k = Projekt-, vorhaben-, inhalts-, gegenstands-, sachzusammenhangsbezogene historisch-logische und wissenschaftsbereichsbezogene Gliederung der Inhaltsseite des Unterrichts im Sinne der "didaktischen Analyse" (z.B. Klafki, Schulz/Otto/Heumann, Möller); (2) 1-6 = Stufen der "dominierenden Tätigkeit": 1 - perceptive, 2 - manipulierende, 3 - gegenständliche Tätigkeit, 4 - Spiel, 5 - (schulisches) Lernen, 6 - Arbeit (z.B. Leont'ew, Piaget, Spitz, Vygotskij); (3) = Etappen der Ausbildung der geistigen Operationen: I - Orientierungsgrundlage, II - materialisierte Handlung, III - lautsprachliche Handlung, IV - äußere Sprache für sich, V - innere Sprache, VI - Denken; A-C = Parameter der Qualität der (Lern-)Handlung auf jedem Niveau (I-VI): A - Entfaltung, B - Verallgemeinerung, C - Beherrschung, D - Verkürzung (Galperin) In: Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.177

Neben der Strukturanalyse braucht es auch eine didaktische Struktur. Die von Feuser vorgestellte integrative und differenzierte Pädagogik schildert er anhand eines Baumes. (siehe Abbildung 10)

Abb.10: Die didaktische Struktur einer Allgemeinen integrativen Pädagogik In: Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.179

Der Stamm: Er versinnbildlicht "die äußere thematische Struktur eines Projekts"[179]. Projekte berücksichtigen die Erfahrungswelten und Bedürfnisse der Schülerinnen und ermöglichen ein kooperatives Miteinander.

Die Äste und Zweige: Sie stellen die Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten am "Gemeinsamen Gegenstand" dar, "mittels deren die Inhalte des Projektes (entwicklungspsychologisch gesehen) sinnlich konkret (am Astansatz) bis hin zu einer abstrakt-logisch symbolisierten inneren Repräsentation, z.B. in Form von Sprache, Schrift, und Formeln (Astspitze) - damit für alle Entwicklungsniveaus der Schüler - subjektiv erfahrbar und fassbar werden."[180]

Die Wurzeln: Sie repräsentieren den jeweils möglichen Erkenntnisstand i.S. der entfaltenden Wissenschaften zu einzelnen Sachgebieten und, darin eingeschlossen, die subjektive Erkenntnismöglichkeit der Welt (des Inhalts/Gegenstands).[181]

Ein Beispiel: Alle Schülerinnen arbeiten am gleichen Projekt (Baumstamm) nach ihren unterschiedlichen Möglichkeiten (Äste und Zweige).

Das Projekt bezieht sich auf die Grundlagen der Thermodynamik. Die gemeinsame Tätigkeit/Handlung kann das Kochen eines Eis sein. Die daraus erzielten Erkenntnisse können verschieden sein: Die einen verstehen, dass die Wärme die Konsistenz des Eis verändert (diese Kinder befinden sich in den Ästen). Die anderen können es abstrahierter verstehen, und erkennen den Vorgang als ein Gesetz der Thermodynamik (diese Kinder befinden sich in den äußersten Zweigspitzen).[182]

Feusers didaktisches Modell bietet eine weitreichende Orientierung für einen integrativen Unterricht. Es berücksichtigt die enorme Heterogenität, die durch den gemeinsamen Unterricht von "geistig behinderten" und "geistig normalen" Schülerinnen entsteht. "Allerdings hat in der Vergangenheit auch die wissenschaftliche Geistigbehindertenpädagogik das schon immer gesuchte einheitliche didaktische Konzept nicht in der Stringenz und Radikalität ausentwickelt, wie es nunmehr von Feuser vorgelegt worden ist."[183]

2.3.3 Erweitertes Modell von Hans-Jürgen Pitsch

Pitsch hat auf Grundlage von Galperin und Feusers "didaktischem Feld einer Allgemeinen integrativen Pädagogik" (siehe Abb.9) ein erweitertes Modell (siehe Abb.11) entwickelt, das die Differenzierung des Unterrichts und der Lernprozesse betrachtet.

Seine Erweiterung an Feusers Modell bezieht sich auf:

a) Eine Ergänzung der Orientierungsgrundlage

b) Variation der materiellen und materialisierten Handlung

c) Variation des Einsatzes der Sprache

d) Variation der inneren Sprache

e) Variation der Steuerung der Schülerinnen

Ad a) Pitsch sieht hier eine Notwendigkeit, Feusers Modell hinsichtlich der Orientierungsgrundlage zu ergänzen. Er stellt fest, dass das von Galperin "betonte Problem der Orientierungsgrundlage in Feusers Darstellung noch nicht die gebührende Beachtung findet."[184] Wie in den Kapiteln 2.3.1 und 2.3.2 schon ausführlich beschrieben, ist bei jeder Aufgabenstellung für die Schülerin eine Orientierung notwendig, um eine Aufgabe bearbeiten zu können. Diese Orientierungstätigkeit fordert eine Orientierungsgrundlage, die soweit gegeben sein muss, dass sich das Individuum mit seinem Handeln darauf stützen kann. Ziel ist, die Vermittlung der Orientierungsgrundlage auf die Lern- und Entwicklungswelt des Schülers anzupassen und alle notwendigen Informationen für eine erfolgreiche Handlung am Lerngegenstand zu geben, d.h. die Lernende soll die Möglichkeit geboten bekommen, sich Struktur und Erkenntnisse anzueignen, mit der er weitere Arbeitsaufgaben und Lösungen selbständig erarbeiten kann.[185]

Ad b) Pitsch kritisiert, dass die Handlungsstrukturanalyse (siehe Abb.9 unter II) nur einer "materialisierten Handlung" zugrunde liegt (Lernen an Abbildungen, Modellen, Karten usw.). Das Modell von Galperin, das eine tatsächliche, konkret-praktische Handlung anhand von konkreten Gegenständen anwendet, kommt hierbei zuwenig zur Geltung. Speziell in der Arbeit mit "geistig behinderten Menschen" ist es notwendig, auf der Ebene der "materiellen Handlung" Tätigkeiten auszuüben.

Z.B. Das Kochen von Eiern wird mit echten Eiern erlernt (materielle Handlung) anstatt mit Abbildungen (materialisierte Handlung). Die Handlung wird mit einem funktionstüchtigen Herd und einem echten Topf mit Wasser, das zum Kochen gebracht wird, durchgeführt. Das Lernen auf der materialisierten Handlung bezieht sich z.B. nur auf Bilder, die den Kochvorgang darstellen.

Pitsch erweitert das Modell auf der Handlungsstruktur insofern, als das er die materielle Handlung (II) vor der materialisierten Handlung (III) einfügt (siehe Abb.11)

Ad c) In Feusers Modell könnte fälschlicher weise angenommen werden, dass die Orientierungsgrundlage, materielle und materialisierte Handlung ohne Sprache ablaufe und sie erst in der lautsprachlichen Handlung einsetze. Dies ist in der Praxis jedoch nicht der Fall, denn "die Gegenstände, deren Eigenschaften, die Tätigkeiten müssen sprachlich bezeichnet, müssen ‚verwörtert' werden, damit sich umfassende, verallgemeinerte Begriffe entwickeln können. Sprache ist dabei sowohl von der Lehrerin / Erzieherin wie von den Schülerinnen einzusetzen, von den Schülerinnen im Einzelfall möglicherweise nur passiv, im Zuhören, im Aufnehmen einer sprachlichen Bezeichnung."[186] Die Handlungsstruktur von I - III wird mit noch einem weitern Element "unter sprachlicher Begleitung" ergänzt (siehe Abb.11)

Ad d) Feuser hat in seinem Modell bei der Handlungsstruktur die "innere Sprache" als eigenen Parameter ausgewiesen. Da die "innere Sprache" als Übergang zum Denken jedoch nicht mehr beobachtbar ist, kann auf eine getrennte Darstellung verzichtet werden.[187]

Ad e) Hier kommt ein gänzlich neues Element hinzu. Bei einer Planung eines integrativen Unterrichts, in der eine starke Heterogenität besteht, ist zu überlegen, inwieweit die einzelne Schülerin Handlungen selbständig ausführen kann und wo Hilfen notwendig sind. Es stellt sich die Frage: Bis zu welchem Grad ist bei der einzelnen Schülerin eine Fremdsteuerung durch die Lehrerin erforderlich?

Folgende sieben Steuerungsformen sind aus Pitschs Artikel "Entwicklungslogische Didaktik und Methodik" entnommen:

  1. Vollständige körperliche Steuerung. Dies entspricht der Technik des "intensiven Führens" bei Félicie Affolterer, wobei der gesamte Handlungsvollzug des Kindes durch den Lehrer/Erzieher/Therapeuten körperlich-motorisch gesteuert wird.

  2. Teilweise körperliche Steuerung. Die Technik des "Führens" wird nur noch in solchen Handlungsabschnitten eingesetzt, in denen der Schüler den motorischen Ablauf noch nicht beherrscht (einhelfendes Führen) oder in denen er Fehler macht oder zu machen droht (korrektives Führen).

  3. Steuerung durch Modellübernahme. Der Schüler ahmt die Bewegung eines Vorbilds, z.B. des Lehrers, nach, ohne mit diesem in unmittelbaren körperlichen Kontakt zu geraten.

  4. Ikonische Steuerung. Der Schüler orientiert seine Handlungsvollzüge an einer Bildfolge (wie oben bei Ad b) materialisierte Handlung beschrieben)

  5. Lautsprachliche Steuerung. Der Schüler handelt nach lautsprachlichen Anweisungen

  6. Schriftsprachliche Steuerung. Der Schüler handelt nach einer schriftlich vorliegenden Anweisung. Die hier beschriebenen Steuerungsformen sind nur des analytischen Zweckes wegen getrennt zu betrachten. In der Realität sind sie nicht unabhängig voneinander, überlappen sich und wechseln im Handlungsvollzug häufig: Beim Lesen einer Gebrauchsanweisung wird ein Wort nicht verstanden und muss vorgelesen/erläutert werden, beim Arbeiten nach mündlicher Anweisung oder in Nachahmung eines Verhaltensmodells muss eine Bewegung durch körperlichen Zugriff korrigiert werden, eine Bildfolge als Handlungsplan bedarf beim Übergang von einem Bild als Handlungsimpuls zum nächsten des Zurufs. usw.

  7. Keinerlei Steuerungsbedarf. Dies gilt als ein Idealfall gelungener Erziehung zur vollkommenen Selbständigkeit. [188]

Diese beschriebene Steuerungsform wird sozusagen als Deckel auf das veränderte Feusersche Modell aufgesetzt (siehe Abb.11) und dient als weitere Orientierungshilfe bei der Unterrichtsplanung. Das veränderte Modell beschreibt nun vier Dimensionen:

  1. Tätigkeitsstruktur: Langfristige Zeitdimension von der Geburt bis ins Erwachsenenleben

  2. Handlungsstruktur: kurzfristige bis mittelfristige Zeitdimension; Ablauf des / eines Aneignungsprozesses

  3. Sachstruktur: Inhaltsdimension, Dimension der Komplexität, Von der Bewegungsaufgabe zur komplexen Tätigkeit

  4. Steuerungsform: Lenkungsdimension, Von der vollständigen Fremdsteuerung zur vollständigen Selbststeuerung. [189]

Abb.11: Erweitertes Modell zu Feusers "Didaktisches Feld einer Allgemeinen Pädagogik" In: Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.182

2.3.4 Resümee

Anhand der oben dargestellten Modelle lässt sich feststellen, dass ein Frontalunterricht mit all seinen Elementen für einen integrativen/inklusiven Unterricht zu eng gefasst ist, weil wenig bis gar keine Differenzierung stattfindet. Auch ein Frontalunterricht mit erweiterten Elementen des Offenen Unterrichts ist unzureichend für einen integrativen/inklusiven Unterricht. Diese Erweiterung kann jedoch als erste Orientierung hin zum Offenen Unterricht angesehen werden.

Für Riedel bedeutet ein integrativer Unterricht logischerweise Differenzierung hinsichtlich der Didaktik, Lernprozesse, Lernobjekte, Lernsituationen usw.

Hinter dem Begriff der "Differenzierung" steht die Absicht, die jeweiligen persönlichen Erfahrungen der Lernenden, ihrem "Wissenstand" und ihren unterschiedlichen "Lernstilen" gerecht zu werden.[190]

Um einen integrativen/inklusiven Unterricht für alle Kinder zu ermöglichen ist die Form des Offenen Unterrichts unabdingbar. Anhand der Tabelle 5 im Kapitel 1.3.3 Kriterien des Offenen Unterrichts können die Merkmale des Offenen und Frontalen Unterrichts mit den oben beschriebenen didaktischen Modellen in Beziehung gesetzt werden. Daraus lässt sich klar feststellen, dass Integration in Form von Frontalunterricht unweigerlich scheitern muss. Wie soll ein Unterrichtssystem, dass z.B. von einem Homogenitätsmodell ausgeht, die Schülerinnen isoliert und der Lerngegenstand für alle gleich ist, einen integrativen/inklusiven Unterricht für alle Kinder durchführen, wenn nach Feusers Meinung, wie oben schon erwähnt, Projekte die Basis darstellen?

Mischsysteme, d.h. hauptsächlich Frontalunterricht mit mehr oder weniger offenen Elementen gemischt, können Kinder mit Lernschwierigkeiten miteinbeziehen, doch Kinder mit schweren Lernbeeinträchtigungen können allzu leicht ausgegrenzt werden.

2.4 Grenzen der schulischen Integration

Wenn etwas die schulische Integration begrenzt, dann sind es die Grenzen in den Köpfen der Menschen. Es sind von uns gesetzte Grenzen, die Menschen mit Behinderungen aus dem gesellschaftlichen Leben verbannen. Wenn wir ein gemeinsames Leben und Lernen mit einem schwer behinderten Kind und die notwendigen organisatorischen Bedingungen nicht herstellen können, dann liegt es allein daran, dass wir uns das in unseren Gedanken nicht vorstellen können. "Zu schnell sind wir oft bereit, die Lernmöglichkeiten eines Kindes zu begrenzen, wo es richtiger wäre, die Fähigkeiten und die Veränderungsbereitschaft von Erwachsenen stärker zu fördern."[191]

"Vor allem im Kontext von geistiger Behinderung, Schwerstbehinderung bzw. schwerer Mehrfachbehinderung sind längst überholt geglaubte Denkkategorien immer noch präsent, so bspw. die Dogmen von Unerziehbarkeit, Unverständlichkeit und Bildungsunfähigkeit."[192]

Die Folge von unserem begrenzten Vorstellungsvermögen ist, dass institutionalisierte Strukturen, die andere Menschen ausgrenzen, nicht verändert sondern sogar vehement verteidigt werden. Einstellungen und Ängste von betroffenen Lehrerinnen, Schulbeamtinnen und Eltern können so manche Integrationsprojekte zum Scheitern bringen.[193]

Eine weitere Grenze der Integration stellt die Hilflosigkeit mancher Pädagoginnen dar, die keine adäquate Ausbildung haben und deshalb nicht in der Lage sind, behinderte Kinder "ihren Möglichkeiten gemäß" zu fördern. Fehlende Weiterbildungen und kontinuierliche Teamberatung zu den konkreten Problemen verstärken die Unsicherheit der Pädagoginnen noch mehr.[194]

Politischer Druck, Bürokratie und einseitige Informationspolitik führen dazu, dass integrative Projekte schon in ihren Ansätzen zunichte gemacht werden.[195]

Weiters können finanzielle Ressourcen und bildungspolitische Entscheidungen Integration zu Fall kommen lassen.[196]

Das Umfeld, das geschaffen wird um Integration zu ermöglichen oder zu verhindern, wird von uns Menschen gestaltet. In uns allen liegt die Verantwortung, ob eine Gesellschaft entsteht, die alle Menschen gleichberechtigt daran teilhaben lässt oder nicht. "Integration ist eine originäre Aufgabe der gesamten Gesellschaft, nicht nur der Teilgesellschaft ‚Schule'. Deshalb kann und muss Integration von der Gesellschaft gewollt werden, wenn sie wirksam werden soll."[197]



[116] In: Lüpke, Hans von; Voß, Reinhard (Hrsg): Entwicklung im Netzwerk. Systemisches Denken und professionsübergreifendes Handeln in der Entwicklungsförderung. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel 20003, S.59

[117] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.396

[118] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.396; die Jahreszahlen sind aus Bd.II S.167

[119] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.351

[120] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.351

[121] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.377

[122] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.379

[123] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.379

[124] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.380

[125] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.380f.

[126] Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. "Allgemeine (integrative) Pädagogik" und Fragen der Lehrerbildung. 2002, S.1f.; In: http://www.feuser.uni-bremen.de/texte Stand: 25.08.2004

[127] Ziemen, Kerstin: Annerkennung - Selbstbestimmung - Gleichstellung. Auf dem Weg zu Integration/Inklusion. Vortrag auf der Fachtagung "Gleich Stellung beziehen in Tirol!", 13./14. Juni 2003, S.7; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/ziemen-gleichstellung.html Stand: 20.09.2004

[128] Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. 2002, S.2

[129] Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. 2002, S.2

[130] Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. 2002, S.3

[131] Ziemen, Kerstin: Annerkennung - Selbstbestimmung - Gleichstellung. 2003, S.2

[132] Hinz, Andreas: "Niemand darf in seiner Entwicklung behindert werden - von der integrativen zur inclusiven Pädagogik?" Überarbeitete Fassung eines Vortrags am 16. 9. 1998 in der Französisch-reformierten Gemeinde Frankfurt am Main. S.2; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-inclusion.html Stand 20.09.2004

[133] Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. 2002, S.3

[134] Hinz, Andreas: "Niemand darf in seiner Entwicklung behindert werden. 1998, S.9

[135] Gitta Bintinger, Marianne Wilhelm: Inklusiven Unterricht gestalten. Creating Inclusive Education. S.5, ursprünglich erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Nr. 2/2001; Reha Druck Graz, S.41-60; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh2-01-bintinger-inklusiv.html Stand: 20.09.2004

[136] Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ökosystemischer Selbststeuerung. In: Lüpke, Hans von; Voß, Reinhard (Hrsg): Entwicklung im Netzwerk. Systemisches Denken und professionsübergreifendes Handeln in der Entwicklungsförderung. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel 20003, S.24f.

[137] Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ... 20003, S.26

[138] Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ökosystemischer Selbststeuerung. 2000, S. 28

[139] Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ... 20003, S. 32

[140] Wild, Rebeca: Erziehung zum Sein. Erfahrungsbericht einer aktiven Schule. Arbor Verlag, Heidelberg 19915, S.227

[141] Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ... 20003, S. 33-35

[142] Feuser, Georg: "Geistigbehinderte gibt es nicht!" Zum Verhältnis von Menschenbild und Integration. Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996, S.2; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/feuser-geistigbehinderte.html Stand: 20.09.2004

[143] Lüpke, Klaus von: Nichts Besonderes. Zusammen-Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Klartext-Verlag, Essen 1994, S.20

[144] Forster, Rudof: Wie man lernbehindert wird. Zur Aussonderung "dummer" Schüler. Erschienen in: Forster, Rudolf/ Schönwiese, Volker (Hrsg.): BEHINDERTENALLTAG - wie man behindert wird, Jugend und Volk, Wien 1982, S. 153 - 170; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/forster-lernbehindert.html Stand: 20.09.2004, S.1-12

[145] Kösel, Edmund: Die Modellierung von Lernwelten. 19973, S.17

[146] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht für alle Kinder. Die nichtlineare Didaktik nach Vygotskij. Beltz Verlag, Weinheim Basel 2004, S.16

[147] Wygotski, Lew Semjonowitsch: Denken und Sprechen. (Johannes Helm Hrsg.), Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1977, S.240

[148] ebenda: S.241

[149] Obuchova, Ludmilla Filipovna: Einführung in das Problem der Entwicklungsaufgabe im Kontext der Theorie von Vygotskij und seine Schule. In: Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht für alle Kinder. Die nichtlineare Didaktik nach Vygotskij. Beltz Verlag, Weinheim Basel 2004, S.137

[150] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II, 1997, S.179

[151] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.180-385

[152] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.180

[153] Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I, 1997, S.385

[154] Pitsch Hans Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. Ergänzung und Variationen zu Georg Feusers Konzept. S.169, In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete VHN, Hrsg. Haeberlein Urs vom Heilpädagogischen Institut der Universität Freiburg Schweiz, 68. Jahrgang, Heft 2/1999, S.166-184

[155] Cowlan, Gabriele; Deppe-Wolfinger, Helga; Kreie, Gisela; Kron, Maria; Reiser, Helmut: Integrative Grundschulklassen in Hessen, Wissenschaftliche Begleitung von Klassen mit behinderten und nichtbehinderten Kindern an Schulen des Primarbereichs in Hessen. Evangelische Französisch-reformierte Gemeinde Franfurt (Hrsg.): Schriftenreihe Lernziel Integration. Heft Nr. 13, Reha-Verlag, Bonn 1994, S.118f.

[156] Cowlan et al: Integrative Grundschulklassen. 1994, S.120-123

[157] Ziemen, Kerstin: Integrative Pädagogik und Didaktik. (Berichte aus der Pädagogik) Shaker Verlag, Aachen 2003, 54-57

[158] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie des Lenens als Grundlage einer neuen Didaktik. S.204, In: Jantzen, Wolfgang (Hrsg.): Jeder Mensch kann lernen: Perspektiven einer kulturhistorischen (Behinderten-)Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied Berlin 2004, S. 204-220

[159] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.205

[160] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.206

[161] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.204-206

[162] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.206f.

[163] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.208f.

[164] Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie. 2004, S.208f.

[165] Pitsch Hans Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik. 1999, S.177

[166] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.175f.

[167] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.79

[168] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.79

[169] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.79

[170] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.80

[171] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.80

[172] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.225

[173] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.80

[174] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und Aussonderung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, S.168

[175] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.174

[176] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.176f.

[177] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.178

[178] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.178

[179] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.178

[180] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.181

[181] Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. 1995, S.180

[182] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.170

[183] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.175

[184] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.175

[185] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.175ff.

[186] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.179

[187] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.179f.

[188] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.180f.

[189] Pitsch Hans-Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. 1999, S.182f.

[190] Riedel, Harald: Ein Modell zur Differenzierung. 2001, S.1

[191] Schöler, Jutta: Herausforderung: Kleine bunte Wedel. Erschienen in: TAFIE (Hrsg.): Pädagogik und Therapie ohne Aussonderung, 5. Gesamtösterreichisches Symposium 1989, S. 9-24; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoeler-wedel.html Stand: 20.09.2004, S.1

[192] Ziemen, Kerstin: Anerkennung und Aneignung. Grundlegende Kategorien einer Behindertenpädagogik / Integrativen Pädagogik; In: http://www.senist.net Stand: 20.09.2004, S.2

[193] Triendl, Richard: Vom frühen Ende einer Utopie, oder: Wie man einem integrativen Projekt den Wind aus den Segeln nimmt. S.67-87; In: Hug, Reinhard (Hrsg.): Integration in der Schule der 10 bis 14jährigen. Österreichischer Studien Verlag, Innsbruck 1994, S.76f.

[194] Hinz, Andreas: "Integrationsfähigkeit" - Grenzen der Integration? Erschienen in: Behindertenpädagogik 29, 1990, S.131-142; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-grenzen.html Stand: 20.09.2004, S.7f.

[195] Triendl, Richard: Vom frühen Ende einer Utopie. 1994, S.85f.

[196] Hinz, Andreas: "Integrationsfähigkeit" - Grenzen der Integration? 1990, S.7

[197] Begemann, Ernst: Lernen verstehen - Verstehen lernen. Zeitgemäße Einsichten für Lehrer und Eltern. Mit Beiträgen von Heinrich Bauersfeld. Reinert. Gerd-Bodo (Hrsg.): Erziehungskonzeption und Praxis, Bd.44, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2000, S.333; zitiert nach Ochsenreither 1994

Kapitel III - Gehirnforschung - Lernen

"Lehren ist eine Kunst. Aber kein Lehrer, und sei er noch so geschickt, kann lernen machen. Eine Eins-zu-eins-Abbildung des Gelehrten im Gelernten ist deshalb grundsätzlich unmöglich." [198]

3.1 Lernen

Wenn Menschen zum Lernen befragt werden, kann sich folgendes Bild, wie es Georg Feuser unten beschreibt, ergeben:

" ‚Lebenslanges Lernen?' - Nein! Entschieden Nein! - so höre ich Jugendliche und Erwachsene mit und ohne Behinderungen sagen, wenn ich sie danach frage, ob sie Angebote der Weiterbildung oder Erwachsenenbildung wahrnehmen. Sie wollen in Ruhe gelassen werden. Sie wollen nach einer langen Schulzeit nichts mehr in sich hineinpfropfen lassen, über sich selbst bestimmen, frei sein." [199]

Frederic Vester meint, dass einem das Lernen für immer verleidet werden kann liegt daran, "weil mit der Speicherung des Stoffes, mit dem Lernvorgang selbst, auch die negativen Sekundärinformationen mitgespeichert werden und unter Umständen das ganze Leben damit assoziiert bleiben."[200]

Manfred Spitzer sagt, dass das Lernen ein schlechtes Image habe, welches aus den negativen Erfahrungen in der Schule resultiere.[201]

Andererseits jedoch lernen Menschen in der Freizeit und nach abgeschlossener Schulbildung, sie machen z.B. einen Computerkurs, Fremdsprachenkurs, erlernen im Selbststudium eigene Fertigkeiten, usw.

Feuser nennt plausible Gründe, wieso doch noch eine "Versöhnung" mit dem Lernen stattfindet. Manche Menschen finden Leute mit ähnlichen Interessen und Fragen, die gemeinsam an einem Umfeld mit partnerschaftlichem Lernen teilhaben. Sie machen positive Erfahrungen mit Lernen,[202] auch wenn manches nicht als solches angesehen wird, besonders freizeitliche Tätigkeiten im sogenannten außerschulischen Bereich, wie in Peergroups, am Computerspiel, im Fitnesscenter, beim Fernsehen und Einkaufen.[203]

Lernen kann somit doch auch als etwas Sinnvolles und etwas, wobei man sogar Spaß haben kann, erfahren werden. Lernen ist kein passiver Vorgang wie es anhand des "Nürnberger Trichter" dargestellt wird, sondern ein aktives Geschehen. Das Ermöglichen eines generell fröhlichen, gedeihlichen und aktiven Lernens ist kein explizites Problem der Schule, es betrifft die ganze Gesellschaft und die von ihr getragenen Kultur.[204]

Wenn wir den Blick nun auf die Lernbilder lenken, die wir über Menschen mit geistiger Behinderung und Lernschwierigkeiten haben, so muss sich in den Köpfen der Menschen noch sehr viel bewegen. Feuser meint dazu:

"Aus der Sicht des Nichtbehinderten wird ein Mensch, dem wir eine geistige Behinderung zuschreiben, noch immer überwiegend als defizitär, als in seinem Menschsein minderbemittelt, als begrenzt begriffen. ... die wir als geistigbehindert bezeichnen. Und dadurch haben diese Menschen Probleme - mit uns!" [205]

Wird bei Kindern eine geistige Behinderung diagnostiziert, so wird oft eine sich selbsterfüllende Prophezeiung für eine "behindernde" geistige Entwicklung mit auf den Weg gegeben, d.h. sie werden als defekte und lernbehinderte Wesen stigmatisiert.[206]

Diesbezüglich kritisiert Vygotskij die Defektorientiertheit der Diagnosensteller:

"In unseren Händen liegt es, so zu handeln, daß das gehörlose, das blinde und das schwachsinnige Kind nicht defektiv sind. Dann wird auch das Wort selbst verschwinden, das wahrhafte Zeichen für unseren eigenen Defekt."[207]

Im Artikel "Der Wille zur Norm - Zur Rolle der Eigenzeit in der geistigen Entwicklung" schildert Andrè Zimpel sein Erlebnis mit einem 13-jährigen Jungen in einer Lernbehindertenschule, bei dem Autismus diagnostiziert wurde (und somit als geistig behindert bezeichnet wurde):

"1. Der damals 13jährige Aleph war aufgrund der Diagnose Autismus Schüler der oben genannten Einrichtung. Seine ernste und sachliche, aber durchaus kontaktfreudige Art zeigte mir schon bei der ersten Begegnung, daß er keine autistischen Züge aufwies. Aufgrund einer Herzinsuffiziens (im Gutachten Linksherzinsuffiziens) hielt sich Aleph oft im Krankenhaus auf.

Als gläubiger Moslem verbrachte er einen Großteil seiner Freizeit in der Zentralmoschee. Sprachlichen Anforderungen fühlte er sich gewachsen. Lesen und Schreiben lernte er leicht. Räumliche Gegebenheiten wurden von ihm allerdings nur sehr grob erfaßt. Wegbeschreibungen gab er durch Aufzählung von Details: "Erst kommt da ein Baum, dann die Telefonzelle, das Haltestellenschild...".

Räumliche Anweisungen, wie etwa "Oben links..." oder "Wenn du hineingehst, gleich auf der rechten Seite!", befolgte er nur unsicher. Aleph neigte dazu, Metaphern und ironische Bemerkungen ernst zu nehmen, konterte doch schlagfertig mit logischen Argumentationen, die sein Gegenüber meist entwaffneten. So faßte er die Fabel "Die Taube und der Rabe", in der sich ein Rabe mit Kreide weiß färbt, um an das Futter der Tauben zu gelangen, mit einem Satz zusammen: "Die Tauben, der Rabe, die Tauben - Ein Rabe kann keine Taube sein, ist doch logisch." Es gibt Hinweise darauf, daß vor allem seine rechte Hirnhemisphäre von Durchblutungsstörungen infolge der Herzinsuffiziens betroffen sei. Für ihn als Rechtshänder wäre das die nicht dominante Hirnhemisphäre. Damit ließen sich die Besonderheiten seiner Raumorientierung, seine stark sprachlich-logisch geprägte Haltung, aber auch sein fehlendes Störungsbewußtsein in Einklang bringen.

Aleph spricht fließend deutsch, obwohl seine Muttersprache türkisch ist. Häufig fungierte er als Dolmetscher. Als wir ihn für unser Projekt "Teilhauptschulabschlüsse" gewannen, fiel auf, daß er innerhalb eines Tages das Prinzip der Bruchrechnung verstand und sie erfolgreich anwendete. Vieles sprach für eine kompensatorische Steigerung linkshemisphärischer Leistungen bei Aleph. Auch der Imam (Lehrer und Vorbeter in der Moschee) war von Alephs besonderen Fähigkeiten überzeugt. Er meldete ihn zur Europameisterschaft im Koranlesen an. Innerhalb von 6 Wochen lernte er den Koran auswendig. Obwohl Arabisch für Aleph eine Fremdsprache ist, hielt er den kritischen Fragen der Kommission mit Bravour stand und wurde Europameister im Koranlesen. Der Imam kritisierte nur die noch etwas verbesserungswürdige Betonung der 114 Suren, die der Prophet Mohammed zwischen 608 und 632 in Mekka und Medina verkündete. Trotzdem konnte ich nachweisen, daß Aleph sie nicht mechanisch auswendig lernte, sondern eine komplizierte Mnemotechnik entwickelte, bei der er die Reimprosa und die Tatsache, daß die Suren nach ihrer Länge sortiert sind, ausnutzte. Für diese beeindruckende Leistung erhielt Aleph den Rang eines Hafis. Ein Schüler einer Geistigbehindertenschule mit dem Rang eines Gelehrten ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Sicherlich macht dieses Beispiel die Hilflosigkeit einer klassifizierenden Sonderpädagogik im besonderen Maße deutlich. Derzeitig bereitet sich Aleph an einer Lernbehindertenschule mit großen Aussichten auf Erfolg auf seinen Hauptschulabschluß vor." [208]

Wenn jemand einen Mensch als lernunfähig bezeichnet, dann kann dies nur auf einer einseitigen Sichtweise oder Unwissenheit beruhen. Denn neueste Erkenntnisse aus der Gehirnforschung besagen, dass das Gehirn nicht nicht lernen kann. Jedes Gehirn und somit jeder Mensch ist ununterbrochen am Lernen[209], sogar im Schlaf und beim scheinbaren nichts tun.[210] Die Abstempelung einer Schülerin als "lernunfähig" ist wissenschaftlich nicht zu legitimieren und schulpraktisch ebenso wenig. Manfred Spitzer, der als Mediziner, Psychologe und Philosoph in diesem Bereich forscht, meint dazu: "Den Anteil der Menschen, die selbst lernen, schätze ich - anderes verkündender Pessimisten zum Trotz - mit 100 Prozent ein. Ob wir es wollen oder nicht - wir lernen immer."[211]

3.2 Die Funktion des Gehirns beim Lernen

Um Lernen besser zu verstehen, ist es von Vorteil, ein Wissen über die Funktion des Gehirns zu besitzen. Das Lernen spielt sich im Gehirn ab. Es ist das Organ, welches für unser Lernen und Denken zuständig ist und die Basis des Lernens bildet. Manfred Spitzer sagt: Lernen "beginnt mit dem Organ, das jeder benutzt, wenn er lernt: dem Gehirn."[212] Gerade deshalb ist es als Lehrende und Lernende unabkömmlich, sich über die Grundprinzipien des Gehirns, des Lernens und dessen Zusammenhangs einen Überblick zu verschaffen. Doch nur mit einer Übersicht über diese Bereiche ist es nicht getan, vielmehr ist es unabdingbar, die Erkenntnisse der neurologischen Forschung, besonders die neuesten, in das Lernen und Lehren einzubetten. Trotz dieser Tatsache wissen die meisten sehr wenig über ihr Lernorgan (-instrument) bescheid.

1949 konnten zwei Wissenschaftler, Magoun und Moruzzi, nachweisen, dass das menschliche Gehirn ein neuronales Netzwerk bildet und die Neuronen nicht isoliert Information von A nach B transportieren, sondern sich im gegenseitigen Austausch befinden.[213] (Eine übersichtliche Erklärung der Funktion von Neuronen und Synapsen mit Abbildungen findet sich am Ende der Arbeit im Anhang.)

Das Gehirn kann als ein dynamisches Ökosystem bezeichnet werden. Massen an Neuronen, die untereinander in netzwerkartigen Verbindungen stehen, verarbeiten die eintreffenden Reize. Neue Erfahrungen und Verhaltensweisen werden verarbeitet und im Netzwerk des Gehirns entstehen neue Neuronenpopulationen. Das Gehirn ist so dynamisch, dass ungenutzte Verbindungen und neuronale Verschaltungen verkümmern bzw. sogar absterben.[214] Deshalb ist es wichtig, das Gehirn durch Lernen aktiv und fit zu halten. Das Gehirn eines erwachsenen Menschen "ist zugleich formbar und widerstandsfähig und stets lernbereit. Unsere Erfahrungen, Gedanken, Handlungen und Emotionen verändern seine Struktur. Wenn wir das Gehirn ansehen, als wäre es ein Muskel, der geschwächt, aber auch gestärkt werden kann, dann können wir aktiv einwirken und selbst entscheiden, was aus uns wird."[215] Bei einem regelmäßigen kognitiven Training kann dafür gesorgt werden, dass das Gehirn gesund und vital bleibt bis ins hohe Alter, nur Krankheiten könnten dies verhindern.[216]

Abb.12: Das Gehirn: Atmung und Herzschlag steuert der Hirnstamm (im wesentlichen Mittelhirn, Brücke, verlängertes Rückenmark).Das Kleinhirn koordiniert die Bewegung. Doch erst die Verschaltung der Hirnregionen (Großhirnrinde [dem Cortex], Kleinhirn, Hirnstamm, usw.) mit unzähligen Nervenzell-Kontakten schafft die Grundlage für Wahrnehmen, Fühlen, Wissen, Denken und Lernen. In: GEO Wissen. Denken, Lernen, Schule. Hamburg Heft Nr. 1/1999, S.41

Noch vor einigen Jahren glaubte man noch, dass das Gehirn ein statisches Organ sei, doch 1997 wurde erstmals bei Mäusen festgestellt, dass neue Nervenzellen im Hippokampus entstanden. Ein Jahr später konnte man dies auch bei Menschen nachweisen, jedoch im Kortex konnte kein Wachstum nachgewiesen werden.[217] Dies mindert aber in keinem Fall die Plastizität und Dynamik des Gehirns. Denn bei sogenannten irreparablen Gehirnschäden (z.B. wenn nach einem Schlaganfall eine Funktion einer Hirnregion abstirbt) konnte festgestellt werden, dass andere Bereiche des Gehirns die verlorengegangene Funktion kompensieren können. Das braucht zwar Zeit und die Qualität der wiedererlangten Fertigkeit ist nicht mehr so gut wie die ursprüngliche Fähigkeit, jedoch kann eine Schlaganfallpatientin bei Verlust der Sprache wieder einigermaßen Sprechen lernen.[218]

Mit den heutigen Erkenntnissen kann man sagen, dass die Grobstruktur der Gehirnentwicklung genetisch gesteuert ist, jedoch die Feinabstimmung erfolgt in der Interaktion zwischen Gehirn und Umwelt.[219]

Stetige Informationen, die zum Gehirn strömen, z.B. Sinneswahrnehmungen über die Außenwelt oder Botschaften über die Innenwelt des Körpers (innerer Erregungszustand, Aktivität der Organe, usw.), sorgen dafür, dass sich die eigenen neuronalen Netze modifizieren. "Ohne Übertreibung lässt sich sagen, daß wir nach jeder neuen Erfahrung nicht mehr der Mensch sind, der wir vorher waren."[220]

Die Innenwelt des Körpers, speziell die emotionalen Vorgänge sind stark am Lernen beteiligt und müssen im System Gehirn berücksichtigt werden. Alexander R. Lurija meint dazu:

"Psychische Prozesse sind keineswegs unteilbare ‚Funktionen' oder ‚Fähigkeiten', sondern komplexe funktionelle Systeme, die aus der Zusammenarbeit verschiedener Gehirnregionen, von denen jede ihren Anteil am Aufbau dieser Prozesse beisteuert, hervorgehen." [221]

Das Gehirn ist kein geschlossenes System, es hat mehrere Zugänge und sobald Informationen eintreffen, werden sie interpretiert und neue Vernetzungen geschaffen.[222] Weiters sagt John J. Ratey:

"Ich kann nicht oft genug betonen, daß die althergebrachte Ansicht, jede Hirnfunktion sei völlig isoliert in einer bestimmten Region des Gehirns angesiedelt, falsch ist. Räumliche Orientierung, Sprache, Emotionen und viele andere Funktionen nutzen Teile desselben Systems gemeinsam und bringen verschiedene Hirnregionen auf unterschiedliche Weise ins Spiel." [223]

Für das Erlernen von Fähigkeiten und Fertigkeiten ist das oben genannte sehr interessant, insbesondere auch für die Gestaltung des Unterrichts. Wenn wir etwas lernen, dann sind mehrere Gehirnregionen beteiligt und je mehr Sinneskanäle beim Lernen verwendet werden, desto leichter werden Informationen gespeichert und lassen sich Erinnerungen wieder abrufen. Vester spricht von einem Netzwerk des Lernens, womit er unter anderem meint, dass Aufmerksamkeit, Erinnern, Assoziationen, Kurzzeitgedächtnis, Eingangskanäle, Motivation, Erfolgserlebnisse, Informationen und viele andere miteinander als Netzwerk in unserem Organismus in Verbindung stehen.[224] Für die Lernenden bedeutet das, den eigenen Lerntyp kennen zu lernen, der bei jeder Person anders ist (bei 20 Personen gibt es 20 verschiedene Lerntypen), um sich selbst die bestmöglichte Lernvoraussetzung (Lernumwelt, Lernzeit, Lerngewohnheiten, usw.) zu schaffen. Auf den Unterricht bezogen heißt dies, dass er so gestaltet sein muss, dass diese Lernvielfalt angesprochen und gewährleistet wird.[225] Chritel Manske, die einen handlungsorientierten Unterricht vertritt, meint dazu: "Beim Lernen sollten alle fünf Sinne tätig sein, um ein einheitliches, funktionelles Hirnsystem aufzubauen"[226]

Faktoren, die zum Speichern des Gelernten wichtig sind

Neben den fünf Zugangskanälen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten, sind für das Lernen zwei weitere Qualitätsmerkmale wichtig, die unser Gehirn automatisch dazu veranlassen, Ereignisse abzuspeichern:

  1. Neuigkeit

  2. Bedeutsamkeit

In der Schule wird sehr viel neuer Lernstoff angeboten, aber die Bedeutsamkeit des zu Lernenden ist oft nicht vorhanden. Der Hippokampus ist jener Teil des Gehirns, in dem neu erlernte Sachverhalte aufgenommen werden. Bei einer Patientin, die an einer nicht behandelbaren Epilepsie litt, wurde der Hippokampus auf beiden Seiten operativ entfernt. Sie konnte danach keine neuen Ereignisse mehr erlernen (sie las die gleiche Zeitung immer wieder und die Inhalte waren für sie jedes Mal neu), jedoch Fertigkeiten konnte sie sich ohne Probleme aneignen (ihr wurde die Spiegelschrift beigebracht, die sie so gut wie jeder andere, der den Hippokampus besitzt, beherrschte). Fertigkeiten oder allgemeine Regeln durch vielfaches Üben zu erlernen ist auch ohne Hippokampus möglich.[227]

Dieses Beispiel veranschaulicht einerseits den Lernprozess, der im Hirn abläuft und andererseits ist das Lernen immer von der Gehirnstruktur abhängig, es kommt nicht darauf an was, sondern wie etwas gelernt wird um einen nachhaltigen Lernerfolg zu gewährleisten, besonders bei Menschen mit geistiger Behinderung und Lernschwierigkeiten.

Weiters ist Aktivität wichtig, denn "Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vorgang, in dessen Verlauf sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden abspielen."[228]

Die Aufmerksamkeit des Lernenden ist auch ein zentraler Bestandteil bei der Einspeicherung von Gedächtnisinhalten. Je stärker die Aufmerksamkeit auf das zu Lernende gerichtet ist, desto besser werden Lerninhalte behalten.[229]

Ein weiterer Faktor sind die Emotionen. Stress wirkt sich ungünstig auf das Lernen und Behalten von Informationen aus. Stresshormone vermindern die Energiezufuhr ins Gehirn und für die Neuronen, die notwendig für die Informationsverarbeitung und -speicherung sind. Chronischer Stress kann sogar zu hippokampalen Schäden und entsprechender Leistungsminderung führen. Deshalb ist beim Lernen darauf zu achten, dass mit positiven Emotionen gearbeitet wird. "Angst und Furcht können zwar kurzfristig das Einspeichern von neuen Inhalten fördern, führen jedoch langfristig zu den genannten negativen Effekten von chronischem Stress."[230] Hier muss jedoch hinzugefügt werden, dass Angst und Furcht auch zu kurzfristigen bzw. massiven Denkblockaden führen können. D.h. etwas Gelerntes oder neu zu Erlernendes kann nicht abgerufen bzw. gespeichert werden, egal wie fleißig oder intelligent man ist.[231]

Untersuchungen in der Gehirnforschung zur Motivation haben ein interessantes Ergebnis zu Tage gebracht: "Menschen sind von Natur aus motiviert, sie können gar nicht anders, denn sie haben ein äußerst effektives System hierfür im Gehirn eingebaut. Hätten wir dieses System nicht, dann hätten wir gar nicht überlebt. Dieses System ist immer in Aktion, man kann es gar nicht abschalten, es sei denn, man legt sich schlafen."[232]

Wieso ist in der Schule die Motivierung der Schülerinnen dennoch ein Problem? Weil die Lehrende dieses Problem selbst erzeugt, in dem sie von der Lernenden verlangt etwas zu tun, was diese nicht will bzw. ihr nicht gemäß ist. Weiters muss die Frage gestellt werden: Was demotiviert die Lernende? Das sind zum Beispiel Wettbewerbe, Herausheben der Besten, usw., sie führen dazu, dass sich wenige ganz gut fühlen und die meisten anderen sich schlecht fühlen und sukzessiv demotiviert werden. Im Unterricht muss deshalb ein Raum geschaffen werden, in dem Feedback über die Fähigkeiten der einzelnen Schülerinnen zeitnah, spezifisch und für die Schülerin klar nachvollziehbar erfolgen kann.[233]

Fassen wir zusammen: Damit das Gehirn optimal lernen kann, wäre eine Lernumgebung notwendig, in der die Möglichkeit besteht

  • alle Sinne zum Lernen zu nutzen,

  • Lernereignisse als Neues und Bedeutsames zu erleben,

  • aktiv zu lernen,

  • in einer positiv emotionalen Umgebung zu arbeiten,

  • mit der von Natur aus vorhandenen Motivation zu arbeiten.

Diese aufgezählten Bereiche sind speziell aus der Gehirnforschung auf das Lernverhalten des Gehirns bezogen und spiegeln nur einen kleinen Teil der gesamten Lernwelt des Lernenden wider. Doch es sollte genügen, um zu verstehen, dass Lernen in seiner Gesamtheit erfasst gesehen werden muss und somit auch die Gestaltung der Lernumwelt.

Wenn wir uns nochmals das Kapitel Frontalunterricht und Offener Unterricht vergegenwärtigen, dann wird nun vielleicht klarer, weshalb die Form des Offenen Unterrichts für die Lernende von Vorteil ist. Im Offenen Unterricht lassen sich alle oben genannten Punkte verwirklichen.

Im Hinblick auf das von Pitsch erweiterte Modell (Abb.11) zu Feusers "Didaktisches Feld einer Allgemeinen Pädagogik" können wir feststellen, dass auch hier die oben genannten Bereiche inkludiert sind.

3.3 Das Lernen lernen

Wie wir vom oben Beschriebenen wissen, ist das Gehirn ein System, und alles was von Außen kommt wird vom Gehirn auf Wichtigkeit und Tauglichkeit interpretiert und bewertet. Alles was nicht als wichtig für das lernende Gehirn angesehen wird, wird nicht gespeichert.

"Informationen nicht zu kodieren ist ein maßgeblicher Teil des Lernprozesses, weil es den Lärm, das Rauschen, ausblendet, das sonst unsere Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken würde. Vergessen ist zwar frustrierend, aber unverzichtbar! Andernfalls würden triviale Erinnerungen unseren Verstand vernebeln." [234]

Verknüpfungen mit den schon vorhandenen Informationen im Gehirn sind maßgeblich fürs Speichern und das nicht Verknüpfen fürs Vergessen. Doch manchmal ist es lästig, wenn etwas gelernt werden soll und das Merken der Informationen schwer fällt. In diesem Kapitel wird darauf eingegangen, wie man sich Dinge leichter einprägen kann unter zu Hilfenahme von Lerntechniken.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, um sich Inhalte anzueignen, ist das Lernen zu lernen. Wieso sollen sich manche Schüler mit dem erlernen von Stoff "quälen" oder Unmengen an Zeit dafür aufwenden, wenn es Lerntechniken gibt, die dafür sorgen, dass Gelerntes leicht und nachhaltig gespeichert werden kann. Die Anwendung von sogenannten "Eselsbrücken" oder anders ausgedrückt das Bilden von "Assoziationsketten", kann das Lernen wesentlich erleichtern. Spitzer schreibt, "die besten Eselsbrücken sind diejenigen, die man sich selber macht ... durch das Bauen der Brücken im Geist [wird der] Inhalt x-mal hin und her gewendet, über ihn nachgedacht und ihn genau dadurch im Gedächtnis verankert."[235]

Kron meint, "daß das Lernen von Lerntechniken zu den unabdingbaren Aufgaben des Lehrens überhaupt gehört, wenn Lernen erfolgreich für die Lebenstätigkeit der Lernenden sein soll."[236]

Spitzer stellt anhand seiner Forschungen und Auseinandersetzung mit Lernen und Schule fest, "dass Schüler und Studenten vor allem eines lernen müssen: Lernen. Dieses vollzieht sich sowohl in der Gemeinschaft als auch allein, aber immer mit Neugier und Spaß."[237]

Tony Buzan schreibt in seinem Buch "Nichts Vergessen", dass Lerntechniken, wie z.B. Memoriersysteme, nicht nur zum stupiden Auswendiglernen angewandt werden können, sondern auch als riesige Speichersysteme für das Gehirn nutzbar gemacht werden können. Dadurch wird ein rascher und ökonomischer Zugriff auf gespeicherte Inhalte ermöglicht und das Erlernen der Wissensinhalte erheblich erleichtert.[238]

Bevor wir auf Lerntechniken zu sprechen kommen, wird im Vorfeld ein kurzer Überblick über den Speichervorgang gegeben, der zum besseren Verständnis für die Anwendung der Lerntechniken dienen soll.

Wenn das Gehirn Neues aufnimmt, wird es kurzzeitig gespeichert (Kurzzeitgedächtnis) und geht entweder ins Langzeitgedächtnis über oder geht verloren (wird vergessen). Das Kurzzeitgedächtnis wird auch als Arbeitsgedächtnis (siehe auch Abb.13) bezeichnet, in dem Informationen nur Minuten bzw. bis zu einigen Stunden behalten werden können. Das Arbeitsgedächtnis kann mit dem Arbeitsspeicher eines Computers verglichen werden, solange am Computer gearbeitet wird, sind die Daten im Arbeitsspeicher vorhanden, sobald der Arbeitsspeicher voll ist werden die vorhandenen Daten von den nachfolgenden gelöscht und wenn das Gerät ausgeschaltet wird, gehen sämtliche Daten verloren.

Abb.13: DAS GEDäCHTNISSYSTEM Die wesentlichen Teile des Gedächtnissystems werden hier gezeigt. Nachdem die Information durch den hinteren Cortex wahrgenommen wurde, wird sie durch den präfrontalen Cortex erfaßt und gespeichert. Das Stirnhirn hält die Information zunächst für eine Weile im Arbeitsgedächtnis fest. Nach ein paar Minuten läßt es sie wieder los, und der Hippocampus muß herangezogen werden, um sie wieder aufzufinden. Wenn eine Erinnerung mit Hilfe des Hippocampus wachgerufen wird, wird sie wieder in das Arbeitsgedächtnis im Stirnhirn aufgenommen. Ich bezeichne das als unseren Arbeitsspeicher, in dem Worte und räumliche Repräsentationen festgehalten und bearbeitet werden. Diese Funktionen stimmen in etwa mit den beiden Komponenten überein, die Allan Baddeley eingeführt hat, der phonologischen Schleife und dem räumlich-visuellen Skizzenblock. Einige Jahre, nachdem die Erinnerung erworben wurde, kann das Stirnhirn direkt und ohne Unterstützung durch den Hippocampus darauf zurückgreifen. Ein weiterer Erinnerungstyp, das Handlungsgedächtnis, das sich mit dem Erlernen motorischer Fähigkeiten wie Radfahren befaßt, wird durch das Striatum und das Kleinhirn gesteuert. In: Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.236

Das Langzeitgedächtnis kann mit einer Festplatte des Computers verglichen werden. Die Daten werden dort dann abgelagert, wenn der Nutzer auf "Speichern" klickt, einmal auf der Festplatte gespeichert, können wir immer wieder darauf zurückgreifen.[239] Aber um etwas ins Langzeitgedächtnis zu bekommen, muss die Information für uns eine Bedeutung haben oder bedeutsam gemacht werden, wie wir schon im Kapitel "3.2.1 Faktoren, die zum Speichern des Gelernten wichtig sind" kennen gelernt haben. Genau hier können uns die Lerntechniken weiterhelfen, denn durch verschiedene Techniken können Informationen für die Lernende an Bedeutungsinhalt gewinnen.

Laut Buzan gibt es mehrere Grundregeln der Memorierungen (auch Mnemonik genannt), um Informationen für die Lernende Bedeutung zu geben. Der Lerninhalt wird durch Verknüpfungen folgender Bereiche aufbereitet: Synästhesie / Sensualität (Synästhesie bedeutet Verschmelzen von Eindrücken mehrer Sinne), Bewegung, Assoziation, Sexualität, Humor, Phantasie, Zahlen, Symbole, Farbe, Ordnung und/oder Folge (z.B. Größenabstufung, Farbgruppierung, Sortierung nach Kategorien), positive Bilder und Übertreibung.

Wird das zu Lernende mit all diesen aufgezählten Eigenschaften verknüpft, dann wird das Erlernte nachhaltig abgespeichert und leicht zugänglich gemacht.

Zur Veranschaulichung als Beispiel das elementarste Mnemoniksystem, das sogenannte Verknüpfungs-System. Durch Einbeziehung der oben genannten Basisprinzipien und der fünf Sinne wird eine Verknüpfungskette durch eine Geschichte erstellt. Wenn eine Liste mit folgenden Dingen z.B. für einen Einkauf gemerkt werden soll, wie ein versilberter Schöpflöffel, sechs Trinkgläser, Bananen, Kernseife, Eier, biologisches Waschpulver, Zahnseide, Vollkornbrot, Tomaten und Rosen, dann kann dies anstatt auf einen Zettel geschrieben oder auswendig gelernt zu werden, mit den oben genannten Prinzipien folgend verknüpft werden:

"Stellen Sie sich vor, wie Sie aus Ihrer Haustür gehen und dabei einen tollen Balanceakt vollführen: Zwischen den Zähnen halten Sie den Stiel eines riesigen Schöpflöffels aus versilbertem Metall, den Sie in Ihrem Mund schmecken und fühlen.

Vorsichtig balancieren Sie in der Kelle des Löffels sechs auffallend dekorative Kristallgläser, die das Sonnenlicht so stark widerspiegeln, daß es Ihren Augen weh tut. Gleichzeitig hören Sie, wie die Gläser in der Silberkelle fein klingen. Wenn Sie auf die Straße hinausgehen, treten Sie auf eine riesige gelb- und braunfarbige Banane, die aufplatzend unter Ihren Füßen wegglitscht. Da Sie ein glänzender Balancierer sind, schaffen Sie es gerade noch, sich zu fangen, und setzen zuversichtlich den anderen Fuß auf, nur um festzustellen, daß Sie auf einen schimmernd weißen Riegel Kernseife getreten sind. Da dies sogar für einen Balancekünstler wie Sie zuviel ist, fallen Sie nach hinten und landen mit dem Hinterteil in einem Haufen Eier. Sie hören das Platzen der Schalen, sehen die Brühe aus gelbem Dotter und Eiweiß und fühlen, wie die Feuchtigkeit Ihre Kleider durchdringt.

Beflügelt von Ihrer Phantasie und der Lust zu Übertreibung, sind Sie in Windeseile ins Haus zurückgegangen, haben sich in wenigen Sekunden ausgezogen, die beschmutzten Kleider mit biologischem Waschpulver gewaschen und sind schon wieder in der Haustür. Diesmal jedoch, vorsichtig geworden durch den vorherigen Unfall, ziehen Sie sich an einem riesenlangen Seil aus Millionen von Zahnseidenfäden entlang, das Ihre Haustür mit der Drogerie verbindet.

Gerade als diese Übung Sie hungrig zu machen beginnt, trägt der warme Wind einen unglaublich starken Duft frischgebackenen Vollkornbrotes heran. Das Wasser läuft Ihnen im Mund zusammen, als Sie an den Geschmack des frischen Brotes denken. Sie betreten den Bäckerladen und bemerken zu Ihrer Verwunderung, daß jeder Laib Brot in den Regalen mit leuchtend roten Tomaten verziert ist, eine neue Modekreation des Bäckers.

Als Sie die Bäckerei verlassen, geräuschvoll an Ihrem Vollkorn-Tomaten-Brot kauend, sehen Sie vor sich eine Frau mit phantastischem Sex-Appeal in beschwingtem Rhythmus die Straße hinuntergehen. Ihre unmittelbare Reaktion ist, der Frau Rosen zu kaufen. Sie stürzen in den nächsten Blumenladen und lassen sich den ganzen Vorrat an roten Rosen geben. Der Duft des Riesenstraußes ist betörend, und Sie fühlen, wie Dornen Ihre Hand aufritzen.

Nachdem Sie diese grotesk-phantasievolle Geschichte gelesen haben, schließen Sie Ihre Augen und versuchen, den ganzen bildhaften Ablauf zu rekonstruieren. Wenn Sie meinen, Sie könnten sich an alle Gegenstände auf der Einkaufsliste erinnern, dann [schreiben Sie sich die Antworten auf und vergleichen Sie mit der oben genannten Auflistung]. Wenn nicht, lesen Sie dieses Kapitel noch einmal durch, und vergegenwärtigen Sie sich die bildhafte Verknüpfung der einzelnen Glieder dieser Geschichte." [240]

Auf solcher an sich einfachen Methode basiert die Mnemotechnik, und die Verknüpfungen können sogar soweit gehen, dass sich eine Lernende über tausend Gegenstände und Zahlen merken kann. Buzan erklärt dies weiters in seinem Buch anhand von Übungsbeispielen mit folgenden Memorierungssystemen: Zahlen-Form-System, Zahlen-Reim-System, römisches Raum-System, Alphabeth-System, Major-System und Mind Maps.[241]

Auf Grund solcher Verknüpfungen wird im Gehirn die gelernte Information im neuronalen Netzwerk vielschichtiger abgespeichert und steht dann beim Erinnerungsvorgang leichter zur Verfügung. Ratey beschreibt dies folgendermaßen: "Einzelne Bestandteile einer Erinnerung werden sogar in verschiedenen Neuronennetzwerken im Gehirn aufbewahrt. Wir fügen die Teile zusammen, wenn es an der Zeit ist, diese Erinnerung wachzurufen."[242]

Vergleichbar ist dieser Speicherungs- und Erinnerungsvorgang mit z.B. Dominosteinen, die nacheinander aufgestellt werden und dann, wenn der erste Dominostein angestoßen wird, alle der Reihe nach umfallen. Ist die Strecke irgendwo unterbrochen, dann geht's nicht mehr weiter. Sind aber mehrere Verbindungen aufgebaut, dann ist die Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen um ein Wesentliches höher als mit nur einem Weg. So ähnlich läuft es im Gehirn ab: Wird ein Lerninhalt nur mit einem Sinneskanal gelernt, dann kann, wenn beim Erinnerungsvorgang eine leichte Interferenz entsteht, das auf der "Festplatte" Gespeicherte nicht in Erinnerung gerufen werden. Sind beim Lernen mehrere Kanäle aktiv, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Abrufen der Erinnerung in jedem Fall erfolgt, wesentlich höher.[243]

Wichtig zu erkennen ist, dass es beim Lernen mehr um die Vernetzung und das Verstehen des Erlernten geht als um reine Wissensaneignung, das bei einer Prüfung reproduziert wird ohne dabei wirklich verstanden zu haben um was es eigentlich geht.

Die anderen Bereiche, wie die unterschiedlichen Lerntypen, Berücksichtigung der Lernzeit, Einteilung der Lernwiderholungen usw. werden in dieser Arbeit nicht vertieft. In den zwei Büchern von Tony Buzan wird darauf näher eingegangen:

Buzan, Tony: Kopftraining. Anleitung zum kreativen Denken. Tests und Übungen. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1993.

Buzan, Tony: Nichts Vergessen! Kopftraining für ein Supergedächtnis. Wilhelm Goldmann Verlag, München 200011.

3.4 Soziales Lernen

Menschen sind soziale Wesen, die in einer Gemeinschaft leben und sogar auf sie angewiesen sind. Aristoteles nannte den Menschen ein zoon poitikon, ein Gemeinschaftswesen.[244] Wie die Gemeinschaft organisiert ist und wie die Rahmenbedingungen für das Erlernen von Kooperation und Sozialverhalten sind, wird von den Menschen erstellt, die miteinander leben. Auf die Schule bezogen bedeutet das, dass Strukturen vorhanden sein müssen, die ein soziales und kooperatives Verhalten zulassen und fördern. Für den Einzelnen in der Gemeinschaft heißt das, Verantwortung für sich und die Mitmenschen zu übernehmen, eigene Entscheidungen zu verantworten und gemeinschaftliche Entscheidungen mitzutragen, auch wenn man vielleicht selbst dagegen ist.[245]

Ob ein Umgang mit den Mitmenschen ein sozialer ist oder nicht wird in der Gemeinschaft erlernt. Viele dieser erlernten Verhaltensmuster sind in uns so verankert, dass sie in verschiedenen Situationen automatisiert ablaufen. In der Fachsprache der Gedächtnisforschung wird dies "implizites Gedächtnis" genannt. Es sind erlernte Fähigkeiten und Handlungsabläufe, die wir ohne jedes Nachdenken beherrschen, wie Klavierspielen, Auto fahren usw. Im Umgang miteinander kann das, wenn keine adäquaten Verhaltensmuster in der jeweiligen Situation zur Verfügung stehen, aber fatale Folgen haben. Wenn ein Konflikt ausgetragen wird kann ein Verhaltensmuster aktiv werden, das den Streit eskalieren lässt. Aus der Sicht von Neurowissenschaftlern gesprochen bedeutet dies, dass sich im Gehirn ein neuronales Verschaltungsmuster etabliert hat, das bei bestimmten Wahrnehmungsreizen aktiv wird.[246] Von der Geburt an bis zum Erwachsen werden lernt unser Gehirn Verhaltensregeln im Umgang miteinander, die von einzelnen Neuronen mit anderen Neuronen in einem Netzwerk miteinander gespeichert werden. Jede weitere Erfahrung bzw. Verhaltensregel wird in das Netzwerk aufbauend eingebettet und bei Bedarf herangezogen. Ein wesentlicher Teil der erlernten Muster aus der Umwelt und Mikroumwelt des Kindes "bestehen - da das Kind unweigerlich in eine soziale Welt hineinwächst - aus interpersonellem Austausch und, später, aus intersubjektiver Erfahrung. Dieser Umstand hat den Psychiater Daniel Sigel zu der prägnanten Formulierung veranlasst, daß menschliche Verknüpfungen neuronale Verknüpfungen formen."[247]

Wenn die Art, wie Kinder Kommunikation und Dialog erfahren sie nachhaltig prägt, dann ist wichtig darauf zu achten, dass die Umgebung so gestaltet wird, dass eine kooperative, wertschätzende und konfliktlösende Interaktion stattfinden kann, die ein soziales Verhaltensmuster fördert. Da Kinder einen Großteil ihrer Zeit bis zum Erwachsenwerdens in der Schule verbringen, wäre sie besonders verpflichtet, sozial verhaltensfördernde Strukturen zu schaffen.

Bezugnehmend auf eine prinzipielle Nichtsteuerbarkeit autonomer Systeme und die damit verbundene "Nutzlosigkeit von Belehrungen und Bekehrungen"[248] erfordert dies eine neue Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgeschehen, besonders hinsichtlich der kommunikativen Prozesse.[249]

"Kommunikationstheoretische Modelle, die Interaktionen nach Sender und Empfänger aufschlüsseln, gehen an diesem grundlegend sozialen Charakter von Kommunikation vorbei: Das, was der eine Sprecher sagt, ist so sehr ein gemeinsames soziales Produkt wie das, was der andere sagt. Im Ergebnis ziehen beide Beteiligte unterschiedliche Schlüsse aus dem gemeinsamen hergestellten Geschehen, und beide werden eine andere Erinnerung an die gemeinsame Situation haben - das liegt in den unterschiedlichen Standorten begründet, von denen aus die beiden miteinander sprechen." [250]

Kommunikation nach einem Reiz - Antwort Modell, das sich eben nach diesem Sender und Empfänger Modell orientiert, führen dazu, dass der Aufbau von Autonomie nicht gefördert wird und die Eigenaktivität des Kindes behindert wird. Zur Veranschaulichung eines solchen Gesprächsverlaufs im Unterricht bietet sich hier, aus Vesters Buch entnommen, die Abbildung 14 an.

Abb.14: Der Text des Lehrers stammt aus einem Schulbuch über Infinitesimalrechnung für die Mittelstufe (19/2). Als Bearbeiter werden genannt: ein Ministerialrat, zwei Oberstudiendirektoren, fünf Studiendirektoren und vier Gymnasialprofessoren. Bei solchen deplazierten Schulbuchtexten signalisiert das Gehirn des Schülers: fremd! verworren! feindlich! Vorsicht! In: Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: 1987, S.188f.

Die Streßreaktion hat eingesetzt. Die Worte des Lehrers prallen an dem Schüler ab. Er sitzt wie unter einer Glasglocke.

Der Sympathikusnerv hat die Nebenniere und bestimmte Gehirnregionen erregt. Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet.

Die Schaltstellen im Gehirn werden gestört. Synapsen und Transmitterstoffe arbeiten nicht mehr wie gewohnt.

Die Impulse können nicht mehr weiterlaufen. Mögliche Assoziationen bleiben aus - Denkblockade!

Reiz und Antwort in der Interaktion erschöpfen sich gegenseitig und schließen einen Kreis, der zweidimensional bleibt und die dritte Dimension der Entwicklung und des Schöpferischen ausschließt. In einer Kommunikation, in der Vorschläge des Kindes wahrgenommen und aufgenommen werden und dann mit Gegenvorschlägen einen Dialog aufgebaut wird, fördert die Kreativität und führt dazu, dass die Dialogpartner etwas Neues entwickeln.[251] Diese Art der Kommunikation beinhaltet die Grundhaltung, dass das Kind mit Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet ist und als eigenständiges lernendes Wesen betrachtet wird. Dialog bedeutet auch, dass Entwicklung als ein offener Prozess im wechselseitigen Austausch verstanden wird. In Abb.15 wird Milanis entwickeltes System von Vorschlag und Gegenvorschlag als eine dreidimensionale offene Spirale dargestellt, der sogenannte offene Dialog.

Abb.15: Entwicklungsspirale beim Dialogaufbau In: Milani Comparetti, Adriano: Von der "Medizin der Krankheit". S.25

Auch lässt sich offene Dialog auf der nonverbalen Ebene anwenden. Kommunikation auf der Basis des Unausgesprochenen beschreibt Welzer folgendermaßen:

"Die wechselseitigen Beobachtungen des körperlichen Ausdrucksverhaltens gehen als Daten in die Entscheidung für die nächste Handlung ein. Was nicht gesagt wird, ist fühlbar, ‚an der Außengrenze des Bewußtseins'. Es existiert eine emotionale Grundbefindlichkeit ..., die die jeweiligen Handlungsorientierung bestimmen." [252]

"Sekundäre Emotionen, körperliche Hintergrundempfindungen, kognitive Interpretationen, Ich-Bewußtsein, Erinnerung, Informationen. Dieser multidimensionale Raum ist es, in dem wir kommunizieren und Erfahrungen machen, die in das Gedächtnis eingehen, das unser Selbst bildet." [253]

Andreas Zieger hat gerade auf dieser Ebene der nonverbalen Kommunikation ein dialogisches Konzept in Anlehnung an Milanis Modell entwickelt, das erfolgreich im Dialog mit Menschen mit schwerer Schädelverletzung im Koma angewendet wird. Dieses Konzept lässt sich auch im Dialogprozess mit schwerer geistig behinderten Menschen umsetzen.[254]

Zieger nennt den kooperativen Dialog als fundamentales Mittel von Entwicklung.

"Die Entwicklung des Menschen bedarf unter gesunden wie pathologischen Bedingungen der Betätigung des Gehirns ..., und zwar unter den sozialen Bedingungen eines Dialogs, der als psychischer Organisator in dialektischer Wechselbeziehung von individueller Eigentätigkeit und fördernder erzieherisch-therapeutischer Einflußnahme durch andere Menschen wirkt. Als kleinste elementare Einheit der fördernden Kommunikation der Menschen untereinander läßt sich der kooperative Dialog ... formulieren. Im kooperativen Dialog werden systeminterne Eigentätigkeit und systemexterne Fördertätigkeit ‚strukturell gekoppelt'. Der kooperative Dialog ist der gemeinsame ‚konsensuelle Bereich' beider Systeme." [255]

Weiters führt er auf, dass sogar nach schwerer Hirnschädigung Entwicklung, Lernen und Gedächtnisbildung möglich sind.

"Lernen und Entwicklung hören erst mit dem Tode auf. Lernen und Entwicklung auf menschlichem Gattungsniveau bedürfen sozialer Anregung und Förderung, die die inner-organismischen und ZNS-Systemebenen zueinander und mit den äußeren Lebensprozessen synchronisiert und strukturell koppelt. Das Prinzip der ‚Resonanz-Synchronisation' hat SINZ (1980) für die Reproduktion von Gedächtnisinhalten belegt; es wird aus einem anderen Blickwinkel von SHELDRAKE 1989 als allgemeines strukturbildendes Prinzip (‚Morphische Resonanz') beschrieben und weist Analogien zu JUNGs ‚Archetypen' (Urbilder) im kulturellen wie individuellen Gedächtnis des Menschen auf. Jedes Gehirn konstruiert sein eigenes Weltbild.

Wie z.B. die sogenannte HAWAII-Studie belegt, können sich selbst sogenannte Risiko-Kinder, die bei der Geburt infolge eines Hirnschadens eine schlechtere Entwicklungsprognose aufwiesen als gesunde Kinder, durch dichte soziale Netzwerke und Förderung besser entwickeln als normalgeborene, aber nicht geförderte oder in ungünstigen sozialen Verhältnissen aufwachsende Kinder! (WERNER 1989). Die soziale Lebensweise ermöglicht die Bildung ‚gesunder' funktioneller Hirnsysteme, während die ‚Pathologie' der Situation das Gehirn zwingt, auf unnatürliche Art und Weise zu arbeiten (LURIA 1970), nämlich pathologische funktionelle Hirnsysteme zu bilden, auf die das Individuum seine Lebenstätigkeit nur unvollkommen selbständig und zukunftsbewußt stützen kann." [256]

Dieses Beispiel belegt in beeindruckender Weise, wie wichtig ein soziales Umfeld ist. Deshalb wäre ein soziales Lernen, das wiederum die Bildung von sozialen Gemeinschaften fördert, ein wichtiges Faktum für den schulischen Bereich.

Auf den Unterricht bezogen bedeute dies, dass Grundvoraussetzung, wie den Mensch als ganzheitliches Wesen zu erfassen und wertschätzend zu behandeln, gelebt werden müssten. Carl R. Rogers nennt drei Charakterzüge, die eine Lehrende als Einstellung besitzen muss, damit ein ganzheitliches und soziales Lernen stattfinden kann:

  • Glaubwürdigkeit (Authentizität)

  • Wertschätzung, Annahme, Vertrauen

  • Empathisches Verstehen

Eine weitere Voraussetzung ist, dass diese Einstellung der Lehrenden durch die Lernende wahrgenommen wird.[257]

Rogers nennt als Essenz eines ganzheitlichen und sozialen Unterrichts,

"daß es sich auszahlt, im Unterricht persönlich und menschlich zu sein. Eine menschenfreundliche Atmosphäre ist nicht nur für alle Betroffenen angenehmer, sie fördert mehr - und signifikanteres - Lernen. Wenn Authentizität, Achtung vor dem Individuum und Verständnis für die persönliche Welt des Schülers vorhanden sind, dann geschieht Aufregendes. Die Belohnung besteht nicht nur in Noten und Leistungen, sondern auch in schwer fassbaren Eigenschaften wie größerem Selbstvertrauen, mehr Kreativität, mehr Gefühlen für andere. Kurz, solch ein Unterricht führt zu positivem, die ganze Person umfassendem Lernen." [258]

Abschließen noch ein Zitat von Klaus von Lüpke, das die Inhalte dieses Kapitels nochmals unterstreicht:

"Es liegt im gemeinsamen Interesse von Menschen mit und ohne Behinderung, Kommunikationskultur und Solidaritätspraxis zu entwickeln, die Anerkennung der Menschenrechte für alle zu gewährleisten, Gleichbehandlung und Gerechtigkeit zu verwirklichen, weil dies dem Leben aller, der Menschlichkeit und dem Frieden dient." [259]

3.5. Resümee

Resümierend kann gesagt werden, dass Lernen bei allen Menschen stattfindet. Lernen fängt nicht erst in der Schule an, sondern schon im Mutterleib und zieht sich durch das ganze Leben bis zum Tod. Damit ein inklusiver Unterricht für alle Kinder und somit Lernen für Alle stattfinden kann, sind Offene Formen (siehe Kapitel I) und differenzierte Lernprozesse (siehe Kapitel II) notwendig. Erkenntnisse aus der Gehirnforschung über die Organisation der Gehirnfunktionen beim Lernen belegen eindeutig, dass die Berücksichtigung der verschiedenen Lernwelten unumgänglich mit der Struktur eines Offenen Unterrichtsgefüges verknüpft sein sollte, so dass ganzheitliches Lernen ermöglicht werden kann.

Hier wäre in einer weiterführenden wissenschaftlicher Arbeit spannend zu erforschen, welche bestehenden Lernmodelle sich auf Menschen mit geistiger Behinderung übertragen lassen. Auch interessant wäre es, in der Feldforschung neue Lernmodelle in diese Richtung zu entwickeln



[198] Jank / Meyer: Didaktische Modelle. 2002, S.49

[199] Feuser, Georg: Lebenslanges Lernen für Menschen mit geistiger Behinderung - Selbstbestimmung und Integration. Vortrag am 11.06.98 anläßlich der bundesweiten Tagung "Dialoge" mit der Thematik "Menschen mit Behin-derungen in der Erwachsenenbildung", veranstaltet vom Martinsclub Bremen e.V. im Rahmen der Aktion Grundgesetz vom 11.-13.06.1998 in Bremen; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/feuser-lebenslang_lernen.html Stand: 20.09.2004, S.1

[200] Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann lässt es uns im Stich? Deutscher Taschenbuch Verlag, München 198714, S.128

[201] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.9f.

[202] Feuser, Georg: Lebenslanges Lernen. 1998, S.1f.

[203] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.11

[204] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.4

[205] Feuser, Georg: Lebenslanges Lernen. 1998, S.2

[206] Zimpel, André: Der Wille zur Norm - Zur Rolle der Eigenzeit in der geistigen Entwicklung. Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/98; Reha Druck Graz; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh2-98-rolle.html Stand: 20.09.2004, S1f.

[207] Zimpel, André: Der Wille zur Norm. 1998, S 3; zitiert nach Wygotski, L. S.: Zur Psychologie und Pädagogik der kindlichen Defektologie. Sonderschule 20, 1975, Heft 2, 65-72, S.72.

[208] Zimpel, André: Der Wille zur Norm - Zur Rolle der Eigenzeit in der geistigen Entwicklung. Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/98; Reha Druck Graz; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh2-98-rolle.html Stand: 20.09.2004, S.5f.

[209] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.10f.

[210] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.121ff.

[211] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.19

[212] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.19

[213] Lurija, Alexander R.: Das Gehirn in Aktion. Einführung in die Neuropsychologie. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992, S.42

[214] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.70

[215] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.25

[216] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.25

[217] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.31

[218] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.51

[219] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. Eine Gebrauchsanweisung. Piper Verlag, München 20032, S.24

[220] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.71

[221] Lurija, Alexander R.: Das Gehirn in Aktion. 1992, S.229

[222] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.237

[223] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.178

[224] Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: 1987, S.93

[225] Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: 1987, S.998f.

[226] Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht... 2004, S.80

[227] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S. 21-22

[228] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.4

[229] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.155f.

[230] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.172.

[231] Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: 1987, S.76-79

[232] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.192

[233] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.192f.

[234] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.234

[235] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.9

[236] Kron: Grundwissen Didaktik. 1994, S.281

[237] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.421

[238] Buzan, Tony: Nichts Vergessen! Kopftraining für ein Supergedächtnis. Wilhelm Goldmann Verlag, München 200011, S.11

[239] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.232

[240] Buzan, Tony: Nichts Vergessen! 2002, S.63ff.

[241] Buzan, Tony: Nichts Vergessen! 2002

[242] Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. 2003, S.222

[243] DVD - Video: BBC Dokumentation mit dem Titel "Das Bewusstsein des Menschen". BBC / Discovery-Channel Co-Produktion in Lizenz von BBC Worldwide, gesendet auf VOX / BBC exclusiv, 2003

[244] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.293

[245] Spitzer, Manfred: Lernen. 2002, S.313f.

[246] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. C.H. Beck Verlag, München 2002, S.49ff.

[247] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. 2002, S.66

[248] Voß, Reinhard: Unterricht ohne Belehrung. 2002, S.39; zitiert nach Siebert H. (1996): Über die Nutzlosigkeit von Belehrungen und Bekehrungen. Beiträge zu einer konstruktivistischen Didaktik, Hg. Vom Institut für Schule und Weiterbildung, Soest, Boenen.

[249] Voß, Reinhard: Unterricht ohne Belehrung. 2002, S.39

[250] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. 2002, S.139f.

[251] Milani Comparetti, Adriano: Von der "Medizin der Krankheit" zu einer "Medizin der Gesundheit" S.24f. In: Janssen, Edda; von Lüpke, Hans: Von der Behandlung der Krankheit zur Sorge um Gesundheit. Konzept einer am Kind orientierten Gesundheitsförderung von Prof. Adriano Milani Comparetti (1985); Entwicklungsförderung im Dialog. Überprüfung des gegenwärtigen Stands von Praxis und Forschung an der ‚Leitlinie Milani' (1995), Dokumentation von Fachtagungen der Fortbildungsreihe START INS LEBEN, Mattes Verlag, Franfurt am Main 1996

[252] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. 2002, S.139

[253] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. 2002, S.139

[254] Zieger, Andreas: Informationen und Hinweise für Angehörige von Schädel-Hirn-Verletzten und Menschen im Koma und apallischen Syndrom, Eigenverlag, Oldenburg 19973 ; In: bidok, http://bidok.uibk.ac.at/library/zieger-schaedel.html Stand: 20.09.2004, S.1-16

[255] Zieger, Andreas: Neuropädagogik - Perspektiven neurowissenschaftlichen Denkens und Handelns in Behindertenpädagogik und Rehabilitation. Zentrum für pädagogische Berufspraxis der Universität Odenburg. Oldenburger Vor-Drucke, Nr. 122/91, Oldenburg 19912, S.10

[256] Zieger, Andreas: Neuropädagogik. 1991, S.12

[257] Rogers, Carl R.: Kann Lernen sowohl Gedanken als auch Gefühle einbeziehen? In: Rogers, Carl R.; Rosenberg, Rachel L.: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1980, S.143ff.

[258] Rogers, Carl R.: Kann Lernen sowohl Gedanken als auch Gefühle einbeziehen? S.149

[259] Lüpke, Klaus von: Nichts Besonderes. Zusammen-Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Klartext-Verlag, Essen 1994, S.147

Kapitel IV - Zusammenfassung und Ausblick

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, durch die Ausarbeitung der Kriterien für Offenen Unterricht, die Darstellung eines "Didaktischen Felds für Inklusion" und die Beschreibung der Prozesse des Lernens durch die Gehirnforschung, ein besseres Verständnis für Unterrichtsformen hinsichtlich ihrer Integrations- / Inklusionstauglichkeit zu schaffen.

Betrachtet man den Prozess der Orientierung der Lehrenden vom Frontalunterricht hin zum Offenen Unterricht, dann haben sich Offene Formen im Grundschulbereich schon sehr weit etabliert. Richtet man den Blick jedoch auf die höheren Schultypen wie die Sekundarstufe I und Sekundarstufe II, so muss festgestellt werden, dass hier Offene Prozesse nur marginal zur Anwendung kommen (siehe Kap. 1.2). Erst in der Erwachsenenbildung lassen sich wieder vermehrt Offene Strukturen in der Lernorganisation finden. Hier ist eindeutig ein Nachholbedarf in den höheren Schultypen erkennbar.

Weiters lässt sich anhand der ausgearbeiteten Kriterien von Frontalunterricht und Offenem Unterricht sagen, dass sich integrative Aspekte und Lernen (im Verständnis von Kap. III)

  • im reinen Frontalunterricht gar nicht,

  • in Mischformen (Frontalunterricht weitgehendst durch offene Formen ergänzt) zum Teil und

  • in Offenen Formen gänzlich verwirklichen lassen.

Im Bereich der Integrations- und Inklusionsforschung sind Offene Formen ein fester Bestandteil der Unterrichtsgestaltung, die sich in den Theoretischen Modellen widerspiegeln (siehe Kap. 2.3). Diese Grundlagen finden in den unteren Schulstufen bereits gute Umsetzung, Entwicklungsbedarf ist in den höheren und weiterführenden Schulstufen gegeben. Hier wäre es zielführend, mit geeignetem Unterrichtsmaterial und entsprechenden Schulversuchen verstärkt Feldforschung zu betreiben.

Zum Thema Lernen bietet die Gehirnforschung auch für den Integrationsbereich unterstützende Argumentationen. Lernen fängt nicht erst in der Schule an, sondern sobald sich im Gehirn neuronale Netzwerke bilden, was nichts anderes bedeutet, als dass jeder Mensch sein Leben lang lernt (siehe Kap. 3.1). Auf geistig behinderte Menschen bezogen bedeutet dies, dass sie somit auch lern- und entwicklungsfähig sind, was durch einen Unterricht, der sich auf entsprechende didaktische Modelle (siehe Kap. 2.3) stützt, gefördert werden kann.

Die Gehirnforschung bietet Lehrenden die Chance

  • zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert,

  • somit ein Verständnis zu erlangen, wie Lernen und dessen Prozesse strukturiert sind und

  • zu erkennen, dass jeder Mensch lernfähig ist.

Darauf aufbauend kann Unterricht nur noch so organisiert werden, dass "ein Lernen für alle Kinder" stattfindet und offene Formen zum Zuge kommen.

Zu empfehlen wäre hier eine weiterführende wissenschaftliche Arbeit, in der die Bereiche Gehirn-, Lern-, Integrationsforschung und Offener Unterricht praxisnah und in einem wissenschaftlich begleiteten inklusiven Unterricht zusammengeführt werden. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen könnten Hilfsmodelle und Unterrichtsmaterialien entwickelt werden.

Um einen umfassenden inklusiven Unterricht gestalten zu können, in der die kulturelle Vielfalt und die individuelle Lernwelt der Kinder berücksichtigt werden, braucht es

  • Strukturen, die Offenes Lernen zulassen (siehe Kap.1.3),

  • entsprechend ausgebildete Lehrerinnen (siehe Kap.1.2),

  • Teamarbeit im Sinne von Lehrerin-Lehrerin-Team, Lehrerin-Schülerin-Team, Schülerin-Schülerin-Team,

  • neues Verständnis von Entwicklung, jeder Mensch ist entwicklungsfähig (siehe Kap.2.2),

  • neues Verständnis von Lernen, jeder Mensch ist lernfähig (siehe Kap.III),

  • weitere Feldforschungen, die neue Bilder und Möglichkeiten von Lernorganisationen in der Schule aufzeigen und diese in die Gesellschaft transportiert.

  • ein Menschenbild, das den Menschen in seinen Fähigkeiten und Ressourcen, die er hat, wahrnimmt, d.h. der Mensch ist kein defektes Wesen, das perfekt werden muss, sondern der Mensch ist ein mit Begabung ausgestattetes Wesen, das sich entwickelt.

Nachhaltige Veränderungen in der Schule in Richtung inklusiven Unterrichts können nur geschehen, wenn sich die oben genannten Inhalte und Bilder von Schule weitgehendst im gesamtgesellschaftlichen Bereich etablieren.

Wenn wir das im Einleitungsteil beschriebene Modell von Uri Bronfenbrenner heranziehen, dann wird nochmals klar, dass jedes Individuum im gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet ist. Daraus ergibt sich, dass Veränderungen im System auf das Individuum einwirken und wiederum das Subjekt einen Einfluss auf das System ausübt.

Ein so komplexer Teil wie das Schulsystem, das in die Systeme Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem einfließt, kann sich im Verständnis, wie es in dieser Arbeit beschrieben wurde, nur dann nachhaltig wandeln, wenn sich langfristig in allen Bereichen eine Veränderung vollzieht.

Eine für die Schul- und Inklusionsentwicklung hilfreiche wissenschaftliche Forschung wäre, die wechselseitigen Mechanismen zwischen Schule und Gesellschaftssystem herauszuarbeiten, um dadurch effizienter auf einzelne Bereiche des Gesamtsystems einwirken zu können. Wenn man versteht, wie die Zusammenhänge strukturiert sind und sich gegenseitig beeinflussen, dann besteht ein größerer Handlungs- und Aktionsspielraum, in dem die Chance, dass gezielte Veränderungen herbeiführt werden können, wesentlich steigt.

Mir ist bewusst, dass die oben erwähnten Veränderungen sicherlich noch viel Zeit und Mühen in Anspruch nehmen werden. Doch aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen und mit Hilfe zukünftiger Forschungen lässt sich die Vision einer humanen und inklusiven Schule verwirklichen. Abschließend ein Zitat, das diese Hoffnung zum Ausdruck bringt:

"Viele Kräfte werden zusammenwirken müssen, um einen tragfähigen Boden für das Neue und dieses selbst schaffen zu können. Niemand wird zurzeit verbindlich sagen können, wie die kommende Schule aussehen wird. Das enthebt uns aber nicht der Aufgabe, Hypothesen zu entwerfen und Modelle zu erproben, um gleichsam präludierend dieses Neue vorzubereiten." [260]



[260] Herber, Hans-Jörg; Astleitner, Hermann; Vásárhelyi, Eva; Parisot, Karl Josef: Paradigmen des Lehrens und Lernens. Theoretische Überlegungen um ein Feldexperiment. In: Popp, Susanne (Hrsg.): Grundriss einer humanen Schule. Studien-Verlag, Innsbruck Wien 1998, S. 117; zitiert nach Rupert Vierlinger

Literaturliste

Inhaltsverzeichnis

Arnold, Rolf (Hrsg.): Lebendiges Lernen. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung, Bd. 5, Schneider Verlag, Hohengehren 1996.

Balgo, Rolf; Voß Reinhard: Wenn das Lernen der Kinder zum Problem gemacht wird. Einladung zu einem systemisch-konstruktivistischen Sichtwechsel. S.56-69, In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Kinder. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel, 2002.

Begemann, Ernst: Lernen verstehen - Verstehen lernen. Zeitgemäße Einsichten für Lehrer und Eltern. Mit Beiträgen von Heinrich Bauersfeld. Reinert. Gerd-Bodo (Hrsg.): Erziehungskonzeption und Praxis, Bd.44, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2000.

Bernsmann, Christian; Schmidt, Elisabeth: Offene Lernformen an der Hochschule - Notwendigkeit, Chance und Grenzen veränderter Lehr- und Lernformen in der universitären Lehrerausbildung. S.361, In: Zeitschrift für Heilpädagogik, Verband Sonderpädagogik e.V., 55. Jahrgang, Ausgabe 8/2004, S.361-368.

Bintinger, Gitta; Wilhelm, Marianne: Inklusiven Unterricht gestalten. Creating Inclusive Education. S.5, ursprünglich erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Nr. 2/2001; Reha Druck Graz, S.41-60; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh2-01-bintinger-inklusiv.html Stand: 20.09.2004.

Bronfenbrenner, Uri: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1981.

Bronfenbrenner Uri: Ökologische Sozialforschung. In: Kruse, Lenelis; Graumann, Carl F.; Lantermann, Ernst-D. (Hrsg.): Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Reihe "Umweltpsychologie in Forschung und Praxis", Psychologie Verlags Union, Weinheim 1996, S.77-79

Buzan, Tony: Nichts Vergessen! Kopftraining für ein Supergedächtnis. Wilhelm Goldmann Verlag, München 200011.

Cowlan, Gabriele; Deppe-Wolfinger, Helga; Kreie, Gisela; Kron, Maria; Reiser, Helmut: Integrative Grundschulklassen in Hessen, Wissenschaftliche Begleitung von Klassen mit behinderten und nichtbehinderten Kindern an Schulen des Primarbereichs in Hessen. Evangelische Französisch-reformierte Gemeinde Franfurt (Hrsg.): Schriftenreihe Lernziel Integration. Heft Nr. 13, Reha-Verlag, Bonn 1994.

Decker, Franz: Strukturwandel des Lernens und des Unterrichts. In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Schul-Visionen. Theorie und Praxis systemisch-konstruktivistischer Pädagogik. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 1998.

Duller, Anita: Lernwerkstätten als alternative Formen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von LehrerInnen. Die österreichische Lehrerausbildung zwischen Schulpolitik und Integrationsbewegung und die Entstehung der Lernwerkstätten - unter besonderer Berücksichtigung der Lernwerkstatt in Reutte. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, am Institut für Erziehungswissenschaften, Innsbruck 1997; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/duller-lernwerkstaetten.html Stand: 20.09.2004.

Feuser, Georg: Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und Aussonderung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995

Feuser, Georg: "Geistigbehinderte gibt es nicht!" Zum Verhältnis von Menschenbild und Integration. Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/feuser-geistigbehinderte.html Stand: 20.09.2004.

Feuser, Georg: Von der Integration zur Inclusion. "Allgemeine (integrative) Pädagogik" und Fragen der Lehrerbildung. 2002; URL: http://www.feuser.uni-bremen.de/texte Stand: 25.08.2004

Feuser, Georg: Lebenslanges Lernen für Menschen mit geistiger Behinderung - Selbstbestimmung und Integration. Vortrag am 11.06.98 anläßlich der bundesweiten Tagung "Dialoge" mit der Thematik "Menschen mit Behinderungen in der Erwachsenenbildung", veranstaltet vom Martinsclub Bremen e.V. im Rahmen der Aktion Grundgesetz vom 11.-13.06.1998 in Bremen; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/feuser-lebenslang_lernen.html Stand: 20.09.2004.

Geißler, Erich E.: Allgemeine Didaktik. Grundlegung eines erziehenden Unterrichts. Klett Verlag, Stuttgart 1981.

Götz, Klaus; Häfner, Peter: Didaktische Organisation von Lehr- und Lernprozessen. Ein Lehrbuch für Schule und Erwachsenenbildung. Beltz Verlag, Weinheim Basel, 20026.

Hentig, Hartmut von: Die Schule neu denken. Eine Übung in praktischer Vernunft. Carl Hanser Verlag, München Wien 1993.

Herber, Hans-Jörg; Astleitner, Hermann; Vásárhelyi, Eva; Parisot, Karl Josef: Paradigmen des Lehrens und Lernens. Theoretische Überlegungen um ein Feldexperiment. In: Popp, Susanne (Hrsg.): Grundriss einer humanen Schule. Studien-Verlag, Innsbruck Wien 1998, S.92-120

Hinz, Andreas: Heterogenität in der Schule. Integration - Interkulturelle Erziehung - Koedukation, Curio Verlag, Hamburg 1993; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-heterogenitaet_schule.html Stand: 20.09.2004.

Hinz, Andreas: "Niemand darf in seiner Entwicklung behindert werden - von der integrativen zur inclusiven Pädagogik?" Überarbeitete Fassung eines Vortrags am 16. 9. 1998 in der Französisch-reformierten Gemeinde Frankfurt am Main; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-inclusion.html Stand 20.09.2004.

Hinz, Andreas: "Integrationsfähigkeit" - Grenzen der Integration? Erschienen in: Behindertenpädagogik 29, 1990, S.131-142; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/hinz-grenzen.html Stand: 20.09.2004.

Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Bd.2, Schneider Verlag, Baltmannsweiler Hohengehren 2001.

Huschke-Rhein, Rolf: Entwicklung als Aufgabe ökosystemischer Selbststeuerung. In: Lüpke, Hans von; Voß, Reinhard (Hrsg): Entwicklung im Netzwerk. Systemisches Denken und professionsübergreifendes Handeln in der Entwicklungsförderung. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel 20003, S.24-42

Jank, Werner; Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle. Cornelsen Scriptor Verlag, Berlin 20025.

Janssen, Edda; von Lüpke, Hans: Von der Behandlung der Krankheit zur Sorge um Gesundheit. Konzept einer am Kind orientierten Gesundheitsförderung von Prof. Adriano Milani Comparetti (1985); Entwicklungsförderung im Dialog. Überprüfung des gegenwärtigen Stands von Praxis und Forschung an der ‚Leitlinie Milani' (1995), Dokumentation von Fachtagungen der Fortbildungsreihe START INS LEBEN, Mattes Verlag, Franfurt am Main 1996.

Jantzen, Wolfgang (Hrsg.): Jeder Mensch kann lernen: Perspektiven einer kulturhistorischen (Behinderten-)Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied Berlin 2004.

Kösel, Edmund: Die Modellierung von Lernwelten. Ein Handbuch zur Subjektiven Didaktik. Laub Verlag, Elztal-Dallau 19973.

Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. Ernst Reinhard Verlag, München Basel 19942.

Kruse, Lenelis; Graumann, Carl F.; Lantermann, Ernst-D. (Hrsg.): Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Reihe "Umweltpsychologie in Forschung und Praxis", Psychologie Verlags Union, Weinheim 1996.

Lüpke, Hans von; Voß, Reinhard (Hrsg): Entwicklung im Netzwerk. Systemisches Denken und professionsübergreifendes Handeln in der Entwicklungsförderung. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel 20003.

Lüpke, Klaus von: Nichts Besonderes. Zusammen-Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Klartext-Verlag, Essen 1994.

Lurija, Alexander R.: Das Gehirn in Aktion. Einführung in die Neuropsychologie. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992.

Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht für alle Kinder. Die nichtlineare Didaktik nach Vygotskij. Beltz Verlag, Weinheim Basel 2004.

Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band I: Für Anfänger. Cornelsen Verlag, Berlin 1997.

Meyer, Hilbert: Schulpädagogik. Band II: Für Fortgeschrittene. Cornelsen Verlag, Berlin 1997.

Milani Comparetti, Adriano: Von der "Medizin der Krankheit" zu einer "Medizin der Gesundheit". In: Janssen, Edda; von Lüpke, Hans: Von der Behandlung der Krankheit zur Sorge um Gesundheit. Konzept einer am Kind orientierten Gesundheitsförderung von Prof. Adriano Milani Comparetti (1985); Entwicklungsförderung im Dialog. Überprüfung des gegenwärtigen Stands von Praxis und Forschung an der ‚Leitlinie Milani' (1995), Dokumentation von Fachtagungen der Fortbildungsreihe START INS LEBEN, Mattes Verlag, Franfurt am Main 1996. S.16-27

Niedermair, Claudia: Zur Pragmatik der Vision einer Schule für alle. Integrative Unterrichtsgestaltung im Spiegel von Theorie und Alltagspraxis am Beispiel der ersten Hauptschulintegrationsklassen in Vorarlberg. Teil 4e, Dissertation am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, Innsbruck 2002; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/niedermair-schule4e.html Stand: 20.09.2004.

Obuchova, Ludmilla Filipovna: Einführung in das Problem der Entwicklungsaufgabe im Kontext der Theorie von Vygotskij und seine Schule. In: Manske, Christel: Entwicklungsorientierter Lese- und Schreibunterricht für alle Kinder. Die nichtlineare Didaktik nach Vygotskij. Beltz Verlag, Weinheim Basel 2004, S.134-146.

Peterßen, Wilhelm H.: Lehrbuch Allgemeine Didaktik. Ehrenwirth Verlag, München Ehrenwirth 19892.

Pitsch Hans Jürgen: Entwicklungslogische Didaktik und Methodik. Ergänzung und Variationen zu Georg Feusers Konzept. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete VHN, Hrsg. Haeberlein Urs vom Heilpädagogischen Institut der Universität Freiburg Schweiz, 68. Jahrgang, Heft 2/1999, S.166-184.

Popp, Susanne (Hrsg.): Grundriss einer humanen Schule. Studien-Verlag, Innsbruck Wien 1998.

Ratey, John J.: Das menschliche Gehirn. Eine Gebrauchsanweisung. Piper Verlag, München 20032.

Reich, Kersten: Konstruktivistische Didaktik. Lehren und Lernen aus interaktionistischer Sicht. Luchterhand Verlag, Neuwied 2002.

Reischmann, Jost; Dieckhoff, Klaus: "Da habe ich was gelernt". Lebendiges Lernen von Erwachsenen: Selbststeuerung oder Ermöglichungsdidaktik. In: Arnold, Rolf (Hrsg.): Lebendiges Lernen. 1996, S.162-183.

Resinger, Paul: ILS-Ausbildung auf der Couch (2). In: ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 1/2003, S.8-9.

Resinger, Paul: Über welche Kompetenzen sollen LehrerInnen und LehrerausbilderInnen in Zukunft verfügen? In: ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 2/2003, S.5

Riedel, Harald: Ein Modell zur Differenzierung von Lernprozessen unter dem Gesichtspunkt der Selbständigkeit. Lernen auf eigenen Wegen! 2001; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/riedel-selbstaendigkeit.html Stand: 20.09.2004.

Rogers, Carl R.: Kann Lernen sowohl Gedanken als auch Gefühle einbeziehen? In: Rogers, Carl R.; Rosenberg, Rachel L.: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1980.

Schöler, Jutta: Herausforderung: Kleine bunte Wedel. Erschienen in: TAFIE (Hrsg.): Pädagogik und Therapie ohne Aussonderung, 5. Gesamtösterreichisches Symposium 1989, S. 9-24; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoeler-wedel.html Stand: 20.09.2004.

Schratz, Michael: Methoden der Schul- und Unterrichtsforschung. In: Hug, Theo (Hrsg.):Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Bd.2, Schneider Verlag, Baltmannsweiler Hohengehren 2001, S.413-433.

Speck, Otto: Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Erziehung. Ein heilpädagogisches Lehrbuch. Ernst Reinhard Verlag, München Basel 19937.

Spitzer, Manfred: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg Wien, 2002.

Talyzina, Nina F.: Die Tätigkeitstheorie des Lernens als Grundlage einer neuen Didaktik. In: Jantzen, Wolfgang (Hrsg.): Jeder Mensch kann lernen: Perspektiven einer kulturhistorischen (Behinderten-)Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied Berlin 2004, S. 204-220

Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen: Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann lässt es uns im Stich? Deutscher Taschenbuch Verlag, München 198714,

Voß, Reinhard (Hrsg.): Schul-Visionen. Theorie und Praxis systemisch-konstruktivistischer Pädagogik. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 1998.

Voß, Reinhard (Hrsg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherung an Schule und Pädagogik. Luchterhand Verlag, Neuwied 19993.

Voß, Reinhard (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Kinder. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel, 2002.

Voß, Reinhard: Unterricht ohne Belehrung - Kontextsteuerung, individuelle Lernbegleitung, Perspektivenwechsel. In: Voß, Reinhard (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Kinder. Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel 2002.

Wallrabenstein, Wulf: Offene Schule - Offener Unterricht. Ratgeber für Eltern und Lehrer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991.

Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. C.H. Beck Verlag, München 2002.

Wild, Rebeca: Erziehung zum Sein. Erfahrungsbericht einer aktiven Schule. Arbor Verlag, Heidelberg 19915.

Wiss. Rat d. Dudenredaktion: Günther Drosdowski et all (Hrsg.): Duden Fremdwörterbuch. Bd. 5, Dudenverlag, Mannheim Wien Zürich 19905.

Wygotski, Lew Semjonowitsch: Denken und Sprechen. (Johannes Helm Hrsg.), Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1977.

Zieger, Andreas: Informationen und Hinweise für Angehörige von Schädel-Hirn-Verletzten und Menschen im Koma und apallischen Syndrom, Eigenverlag, Oldenburg 19973; In: bidok, http://bidok.uibk.ac.at/library/zieger-schaedel.html Stand: 20.09.2004.

Zieger, Andreas: Neuropädagogik - Perspektiven neurowissenschaftlichen Denkens und Handelns in Behindertenpädagogik und Rehabilitation. Zentrum für pädagogische Berufspraxis der Universität Odenburg. Oldenburger Vor-Drucke, Nr. 122/91, Oldenburg 19912.

Ziemen, Kerstin: Annerkennung - Selbstbestimmung - Gleichstellung. Auf dem Weg zu Integration/Inklusion. Vortrag auf der Fachtagung "Gleich Stellung beziehen in Tirol!", 13./14. Juni 2003; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/ziemen-gleichstellung.html Stand: 20.09.2004

Ziemen, Kerstin: Integrative Pädagogik und Didaktik. (Berichte aus der Pädagogik) Shaker Verlag, Aachen 2003

Ziemen, Kerstin: Anerkennung und Aneignung. Grundlegende Kategorien einer Behindertenpädagogik / Integrativen Pädagogik; In: http://www.senist.net Stand: 13.07.2004

Zimpel, André: Der Wille zur Norm - Zur Rolle der Eigenzeit in der geistigen Entwicklung. Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/98; Reha Druck Graz; In bidok: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh2-98-rolle.html Stand: 20.09.2004

Zeitschriften

ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 1/2003.

ilsMail, Hrsg. Schratz Michael vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck, Ausgabe 2/2003.

Zeitschrift für Heilpädagogik, Verband Sonderpädagogik e.V., 55. Jahrgang, Ausgabe 8/2004.

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete VHN, Hrsg. Haeberlein Urs vom Heilpädagogischen Institut der Universität Freiburg Schweiz, 68. Jahrgang, Heft 2/1999.

GEO Wissen. Denken, Lernen, Schule. Hrsg. Gruner + Jahr AG & Co, Hamburg, Heft Nr. 1/1999.

Anhang

Erklärung der Funktion von Neuronen und Synapsen

Auszug aus dem Buch: Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. C.H. Beck Verlag, München 2002, S.51-54

Ein Aspekt der fötalen Entwicklung ist - neben der sukzessiven Entwicklung unserer anderen Organe - natürlich die Entwicklung des Gehirns, und zwar auf der Ebene der organischen Heranreifung wie auf der Ebene der Entwicklung einer neuronalen Verschaltungsarchitektur. Neuronen sind Nervenzellen, denen die höchst komplizierte Aufgabe zukommt, die unterschiedlichsten - körperinternen und körperexternen - Wahrnehmungsreize weiterzuverarbeiten. Sie verbinden sich - vermittelt über sehr vielfältige biochemische Ausschüttungen in ihrem Inneren - mit anderen Neuronen zu Netzwerken. An deren Verknüpfungsstellen werden elektrische Impulse «gefeuert» und so zu einer Vielzahl anderer Neuronen weiterverbreitet.

Jedes Neuron hat einen Zellkörper, von dem eine Reihe faserartiger Verzweigungen, die Dendriten, und eine lange Faser, das Axon, abgehen. Die Dendriten sind die Empfänger der elektrischen und biochemischen Signale anderer Neuronen; über das Axon werden die eintreffenden Signale an andere Nervenzellen weitergeleitet.

Eine zentrale Rolle bei diesem Übermittlungsvorgang spielen die Synapsen, die Kontaktstellen der Neuronen zueinander, die erstaunlicherweise eigentlich Lücken sind. Wenn ein Neuron ein Signal empfängt, sendet es über das Axon elektrische Impulse über die Lücke hinweg zum nächsten Neuron. Dieser Vorgang ist selektiv; die Signalübertragung wird über spezielle Neurotransmitter gewährleistet. Ein Signal wird nur von solchen Neuronen empfangen, die über die entsprechenden Rezeptormoleküle für die abgeschickten Neurotransmitter verfügen. Wenn das der Fall ist, wird der Neurotransmitter «in die Lücke - den synaptischen Spalt - ausgeschüttet [...]; er diffundiert dann schnell durch die Lücke zu der benachbarten, postsynaptischen Zelle und bindet an spezielle Rezeptormoleküle, die dort in die synaptische Membran eingelagert sind. Durch diese Bindung verändern sich die Eigenschaften der Rezeptormoleküle in mehrfacher Hinsicht, und das führt im postsynaptischen Neuron zur elektrischen und biochemischen Aktivierung.»

Im Vorgang der Bindung des Neurotransmitters (z. B. Norad-renalin, Glutamat, Gamma-Aminobuttersäure und schätzungsweise mehr als 50 weitere) liegt das eigentliche «Gedächtnis» des neuronalen Systems: Die spezifischen synaptischen Verbindungen, die über diese Transmitter hergestellt werden, bilden Muster - «Engramme» -, die beim Wiederauftreten desselben Reizes erneut aktiviert werden. Eine neuronale Verschaltungsstruktur ist also ein Netzwerk, innerhalb dessen Informationen weitergegeben und in einem komplexen Muster abgelegt werden, das bei einem erneuten gleichartigen Wahrnehmungsreiz wieder aktiviert wird. Sofern wir es mit Verschaltungsstrukturen zu tun haben, die nicht genetisch voreingestellt sind, sondern mit solchen, die sich durch eine Wahrnehmung, deren Einspeicherung und Konsolidierung gebildet haben, haben wir es mit Erinnerung zu tun. Die spezielle Verschaltungsstruktur, die zum Beispiel die Erfahrung Ihres ersten Kusses gebildet hat, bildet ein neuronales Korrelat, ein «Engramm» dieser Ihrer Erfahrung, auf die Sie zurückgreifen können - indem Sie sich lediglich daran erinnern oder indem Sie ein weiteres Mal küssen. Die Komplexität der auf diese Weise entstehenden Systeme ist unermeßlich. Man geht davon aus, daß auf jedes der einhundert Milliarden Neuronen im Gehirn «einige tausend bis 100000 Synapsen einwirken», was bedeutet, daß jedes Neuron die Informationen einer Unzahl anderer empfangen kann. Das Gehirn enthält somit schätzungsweise bis zu 100 Billionen Synapsen.

Abb. 4: Schemazeichnung einer Nervenzelle mit Bezeichnung wichtiger Teilstrukturen. Der Zellkörper mit dem Zellkern dient vor allem den Stoffwechselprozessen der Nervenzelle, die Dendriten stellen den signalaufnehmenden Teil des Neurons dar. Das Axon leitet Informationen zu den Synapsen weiter (vereinfacht nach Markowitsch 2002, S. 77).

Abb. 5: Synapse (vereinfacht nach Kolb & Whishaw 1996, S. 8o,99f).

Quelle:

Hubert Raidel: Die Analyse ausgewählter Unterrichtsformen unter besonderer Berücksichtigung integrativer Aspekte.

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck, eingereicht bei Prof. Dr. Kerstin Ziemen, am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck, Oktober, 2004

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 19.10.2006

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation