Editorial

Nebensache Frau-Sein

Autor:in - Petra Flieger
Themenbereiche: Geschlechterdifferenz
Schlagwörter: Frauen, Intersektionalität
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: AEP Informationen 4/2015: „Nebensache Frau-Sein“. Schwerpunkt zu Mädchen und Frauen mit Behinderung. AEP Informationen (4/2015)
Copyright: © Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft 2015

Inhaltsverzeichnis

Editorial

„Der Ausschuss ist über die mangelnde Wahrnehmung der Interessen von und die mangelnden Unterstützungsstrukturen für Frauen mit Behinderungen besorgt.“[1] So äußerte sich im Jahr 2013 der prüfende Ausschuss der Vereinten Nationen zur Lage von Frauen mit Behinderungen in Österreich, nach dessen erster Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ähnlich fiel das Urteil nach dem Prüfverfahren der Europäischen Union im September 2015 aus: „Der Ausschuss ist besorgt, dass die Europäische Union weder eine Behinderungsperspektive in all ihre Gender-Politiken, -Programme und –Strategien integriert hat, noch eine Gender Perspektive in ihren Strategien für behinderte Menschen.“[2] Diese mangelnde Berücksichtigung einerseits einer Gender-Perspektive bei Maßnahmen speziell für behinderte Menschen, andererseits einer Behinderungs-Perspektive bei anderen Maßnahmen wie z.B. Beratungseinrichtungen für Mädchen und Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die acht Beiträge dieser AEP-Informationen zum Schwerpunkt Mädchen und Frauen mit Behinderungen. Auch dass sich die Zeitschrift in ihrem über 30-jährigen Bestehen erstmals mit dieser Ausgabe dem Thema Behinderungen schwerpunktmäßig widmet, bestätigt dieses Muster.

„Mehr Intersektionalität tut Not!“, möchte frau laut ausrufen. Mehr Intersektionalität, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis aller sozialen Arbeitsfelder und Dienstleistungsbereiche. In ihren Beiträgen weisen darauf alle AutorInnen direkt oder indirekt hin. Dass dabei vor allem Frauen, die selbst die Erfahrung des Behindert-Werdens aufgrund einer Beeinträchtigung gemacht haben, eine zentrale Rolle spielen können und sollen, liegt als Strategie zwar nahe, stellt in der Praxis aber die Ausnahme dar. „Nichts über uns ohne uns!“ – international seit Jahren der Slogan der Selbstbestimmt Leben Bewegung behinderter Menschen – ist speziell für Mädchen und Frauen mit Behinderungen noch nicht selbstverständliche gelebte Realität, muss im Gegenteil vielerorts erst erkämpft werden. Es braucht mehr Vorbildfrauen, mehr behinderte Frauen nicht nur als Rollenmodelle für Mädchen und andere Frauen mit Behinderungen, sondern vor allem auch als deren Peer-BeraterInnen im Rahmen der gesamten Palette psychosozialer Dienstleistungen. Dann müsste die Einzelne ihre positive Identität als Mädchen oder Frau mit Behinderungen nicht mehr alleine gegen alle gesellschaftlichen Abwertungsmechanismen erkämpfen, sondern diese positive Identität würde gemeinsam mit einem tragfähigen Gefühl der Zugehörigkeit systematisch und nachhaltig vermittelt werden.

Die Autorinnen beleuchten in ihren Beiträgen vielfältige Aspekte des Schwerpuntthemas aus unterschiedlichen Perspektiven, einmal mehr als Wissenschafterinnen mit oder ohne Behinderungen, einmal mehr als persönliche Reflexion über Lebens- und Alltagserfahrungen als Mädchen und Frauen mit Behinderungen. Alle beziehen sich auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen und vermitteln - ohne Anspruch auf Vollständigkeit – kleine, aber vertiefte Einblicke in den großen Themenkomplex.



[1] Ausschuss der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2013). Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs, 7. Im Internet: http://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/2/5/8/CH2218/CMS1314697554749/131219_uebereinkommen_ueber_die_rechte_von_menschen_mit_behinderungen.pdf

[2] Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2015). Concluding observations on the initial report of the European Union, 3 (Übersetzung durch die Autorin). Im Internet: http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CRPD/Shared%20Documents/EUR/CRPD_C_EU_CO_1_21617_E.doc

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