Weil ich arbeiten will

Praxeologische und rechtsanthropologische Perspektiven auf die Arbeit von Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung in Wiener Beschäftigungswerkstätten

Autor:in - Sonja Genner
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Masterarbeit
Releaseinfo: Masterarbeit an der Universität Wien zur Erreichung des akademischen Grades Master of Arts (MA), Studienrichtung Kultur- und Sozialanthropologie; betreut von ao. Univ.-Prof Mag. DDr. Werner Zips.
Copyright: Genner 2014

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Relevanz und Fragestellung

„Lohn und Versicherung statt Taschengeld“ (Ruep 2011), „Immer mehr Menschen mit Behinderung in Werkstätten“ (o.A. 2011) oder „Behinderte wollen mehr als Taschengeld“ (Sussitz 2012); so lesen sich die Schlagzeilen der Zeitungsartikel, die sich in den letzten Jahren mit der Situation von Menschen mit sogenannter[1] geistiger Behinderung in „Beschäftigungstherapiewerkstätten“ auseinandergesetzt haben. Doch wenn in den Medien von der Arbeit behinderter Menschen die Rede ist, etwa in Berichten über die hohe Arbeitslosenrate von Menschen mit Behinderung, so bezieht sich das meist auf Personen mit einer Körper- oder Sinnesbehinderung. Nur selten aber wird die Situation von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung thematisiert, die nur wenige oder gar keine Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Behinderung ist zwar ein Phänomen, das Teil unserer Gesellschaft ist, aber geistige Behinderung scheint in der Öffentlichkeit bis auf wenige, meist stereotype Darstellungen unsichtbar zu sein. Der Großteil geistig behinderter Menschen lebt und arbeitet in Institutionen, die von der Gesellschaft abgeschottet sind. Daher sind die Kontakte zwischen Menschen mit und ohne sogenannte geistige Behinderung sehr eingeschränkt, was impliziert, dass nicht-behinderte Menschen in der Regel wenig über die Lebens- und Arbeitssituation dieser Gruppe wissen. Geistig behinderte Menschen, die keinen regulären Arbeitsplatz finden, arbeiten – nicht durch Arbeitsrecht abgesichert – in Werkstätten beziehungsweise „Beschäftigungstherapie“ für Menschen mit Behinderung.

Diese Einrichtungen zählen in Österreich zum „Ersatzarbeitsmarkt“, bei dem es sich aber nicht um einen tatsächlichen Arbeitsmarkt handelt. Denn laut Definition stellen diese Werkstätten keine Arbeitsplätze, sondern eine Betreuungsstruktur bereit, in der Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen „beschäftigt“ werden. Diese Personen werden hier zu ,KlientInnen‘ (oder je nach Verein auch zu ,KundInnen‘ oder ,MitarbeiterInnen‘), die für ihre Arbeit ein Taschengeld erhalten, ohne dabei sozialversichert zu sein. Daher entfällt auch ein Pensionsanspruch. In diesen Institutionen arbeiten geistig behinderte Menschen segregiert von der Gesellschaft, was im Widerspruch zur 2008 von Österreich ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht. In diesem Rechtsdokument wird Inklusion in allen Lebensbereichen, also auch im Bereich Arbeit, gefordert.

Meine beruflichen Tätigkeit vor dem Studium als Behindertenpädagogin in einer solchen Werkstatt hat mich veranlasst, dieses Thema im Fach der Kultur- und Sozialanthropologie aufzugreifen und mich den Sichtweisen und Erfahrungen geistig behinderter Menschen aus einer wissenschaftlichen Position heraus zu nähern. Bei einer ersten theoretischen Auseinandersetzung mit meinem Forschungsgegenstand hat sich für mich – zumindest in der deutschsprachigen Kultur- und Sozialanthropologie – eine Forschungslücke aufgetan, da die Lebenswelten geistig behinderter Menschen meist aus der Perspektive der Angehörigen oder der Betreuungspersonen behandelt werden. Nur in wenigen Arbeiten aber werden die Stimmen und Sichtweisen von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung dargestellt. Um diese Forschungslücke zumindest teilweise zu schließen, soll daher diese Perspektive im Fokus meiner Arbeit stehen. Dafür habe ich als Beispiel eine Werkstatt der Lebenshilfe Wien gewählt, in der die ,KlientInnen‘ Industrie- und Auftragsarbeiten für Firmen durchführen. In diesem Tätigkeitsbereich werden etwa Stifte in Etuis verpackt oder Programme für Theater kuvertiert und versandt. Dabei ist der rechtliche Kontext, in dem sich die Werkstätten und somit auch die Gruppe der dort betreuten Erwachsenen befinden, von besonderer Bedeutung. Die rechtlichen Rahmenbedingungen strukturieren die beruflichen Möglichkeiten von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung und beeinflussen sie, wenn auch nicht immer direkt, in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Entscheidungen. Daher möchte ich in dieser Arbeit folgende Forschungsfrage beantworten:

Wie erleben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sich selbst und ihre Arbeit in den Werkstätten des Ersatzarbeitsmarktes im Rahmen der rechtlichen Strukturen in Wien am Beispiel einer Werkstatt der Lebenshilfe Wien?

Dabei sind folgende Unterfragen relevant:

Inwiefern nehmen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung die rechtlichen Rahmenbedingungen wahr beziehungsweise inwieweit sind sie sich derer bewusst?

Inwiefern werden sie in ihrer Arbeit davon beeinflusst?

Welche Bedeutung haben die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihr Handeln und ihre Arbeit?

Mit diesen Fragen soll also einerseits geklärt werden, wie die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Situation von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Werkstätten in Wien aussehen und welche konkreten Auswirkungen sie auf die Arbeit und Arbeitsmöglichkeiten dieser Personengruppe haben. Andererseits soll diese Arbeit aufzeigen, wie beziehungsweise ob die betroffenen Erwachsenen diese Strukturen wahrnehmen und wie sie sich selbst und ihre Arbeit in einer solchen Werkstatt erleben. Dabei bin ich am Beginn meiner Forschung von der Hypothese ausgegangen, die dort betreuten Personen wären zu einem großen Teil mit ihrer Situation unzufrieden und würden Veränderungsbedarf sehen, etwa bei der Höhe des Taschengeldes. In meiner eigenen pädagogischen Arbeit in diesem Bereich habe ich zwar zumeist erfahren, dass diese Erwachsenen mit der Arbeit und den Bedingungen in der Werkstatt zufrieden sind. Doch nachdem ich als Einstieg in mein Thema zahlreiche Zeitungsartikel dazu gelesen hatte, in denen unter anderem von Selbstvertretungsorganisationen geistig behinderter Menschen Forderungen wie Lohn und Kollektivvertrag gestellt wurden, habe ich meine Annahme revidiert. Die Hypothese, mit der ich meine Forschung begonnen habe, war, dass die Gruppe der betreuten Erwachsenen ihre Situation und die Rahmenbedingungen in Wien kritisieren würde und zu einem großen Teil damit unzufrieden wäre. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die ich in der Arbeit genau erläutern werde, können aus der Sicht nichtbehinderter Personen durchaus als einschränkend, segregierend und ungerecht bezeichnet werden, weshalb Unzufriedenheit und Kritik seitens der geistig behinderten Personen leicht nachvollziehbar und erklärbar wäre. Wie ich in der Analyse zeigen werde, hat sich aber das Gegenteil herausgestellt. Die Erwachsenen, die ich in meiner Forschung interviewt habe, fühlen sich in den meisten Fällen in der Werkstatt wohl und scheinen dort zufrieden zu sein. Doch wie kann das angesichts der ausgrenzenden Strukturen erklärt werden?

Für die Beantwortung der Fragestellung habe ich einen praxeologischen und rechtsanthropologischen Zugang gewählt. Mithilfe von Bourdieus Theorie der Praxis sollen die Erfahrungen von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in einer solchen Werkstatt sichtbar gemacht und erklärt werden, warum sie ihre Situation trotz der benachteiligenden Strukturen positiv bewerten. Die Praxeologie ermöglicht es zu erklären, warum Menschen auf eine bestimmte Weise handeln. Davor aber müssen diese Strukturen, die sowohl rechtlicher als auch gesellschaftlicher Natur sind, sowie ihre Auswirkungen dargestellt werden. Es geht hier also in der Analyse zuerst darum, die Rahmenbedingungen zu erläutern, um in einem nächsten Schritt zu zeigen, wie die ,KlientInnen‘ mit diesen Strukturen umgehen und diese beziehungsweise ihre Auswirkungen erleben. Die österreichische Gesetzeslage und Politik geben die Rahmenbedingungen für diese Situation vor. Ende der 1950er-Jahre wurden in Österreich die ersten Werkstätten für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung gegründet. Diese Einrichtungen gelten aber als separierend, was wiederum der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen widerspricht, die Inklusion und somit die Abschaffung aller separierenden und aussondernden Strukturen fordert. Somit ergibt sich hier ein rechtlicher Widerspruch, den der österreichische Staat durch die fehlende Umsetzung der Konvention noch nicht gelöst hat. Daher müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen mitgedacht und analysiert werden, um die Situation der betroffenen Personen zu erfassen.

Bevor die Strukturen und die Erfahrungen analysiert werden können, müssen zuerst die theoretischen und methodologischen Zugänge dargestellt werden. Grundlegend für alle weiteren Darstellungen und Erläuterungen in dieser Arbeit ist eine Diskussion über die Begriffe, die in dieser Arbeit verwendet werden, um über Behinderung und Menschen mit Behinderung sprechen zu können. In Kapitel 1.2. werde ich mich in knapper Weise mit dieser Thematik befassen. Danach gliedert sich die vorliegende Arbeit in vier große Abschnitte. In Kapitel 2 wird der allgemeine Kontext des Forschungsfeldes beschrieben. Dabei stehen die Entstehung der „Beschäftigungstherapie“ sowie ihre rechtlichen Rahmenbedingungen in Wien im Zentrum.

Kapitel 3 ist den theoretischen Zugängen gewidmet, die notwendig sind, um meine gewonnenen Daten in einen kultur- und sozialanthropologischen Wissenskanon einzubetten und sie damit zu erklären. Hierbei ziehe ich Ansätze der Disability Studies[2] heran, um ein adäquates Verständnis von Behinderung herauszuarbeiten, anthropologische Theorien zu Arbeit, um den Stellenwert von Arbeit und insbesondere Erwerbsarbeit zu verdeutlichen, und rechtsanthropologische Zugänge, um die soziale Bedeutung von Recht aufzuzeigen. Letztlich folgt als wichtigster theoretischer Ansatz Bourdieus Praxeologie, bei dem das Habituskonzept und die symbolische Gewalt im Mittelpunkt stehen.

In Kapitel 4 stelle ich mein methodisches Vorgehen dar und setzte mich dabei besonders mit den Herausforderungen in der Forschung mit geistig behinderten Menschen auseinander. Die Analyse der erhobenen Daten und die Verknüpfung mit den erwähnten Theorien erfolgt in Kapitel 5, das den Hauptteil dieser Arbeit bildet. Am Ende des Kapitels werden meine Fragestellungen beantwortet.

In Kapitel 6 schließe ich mit einer Conclusio, in der die gesamte Arbeit zusammengefasst wird, ab. An dieser Stelle soll zudem auf weitere Forschungslücken und mögliche Ansätze eingegangen werden, die im Kontext des vorliegenden Themas von Bedeutung sind.

1.2.Begriffsdiskussion

In diesem Abschnitt soll auf die verwendeten Begrifflichkeiten eingegangen werden. Um die Personengruppe zu beschreiben, der eine Behinderung als wesentliches Merkmal zugeschrieben wird, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, wovon aber keine völlig treffend und zufriedenstellend ist. So finden sich neben „Menschen mit Behinderung“ auch „behinderte Menschen“, „Behinderte“, „Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung“ oder „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Mit diesen Begriffen werden Menschen sprachlich zu einer Gruppe zusammengefasst, womit meist negative Konnotationen für die Betroffenen verbunden sind. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage, ob ein spezieller Begriff überhaupt notwendig beziehungsweise angebracht ist. Ein wichtiges Argument, das generell gegen die Verwendung von „Behinderung“ spricht, ist, dass damit eine Stigmatisierung einhergeht (vgl. Felkendorff 2003: 25). Trotz dieses Arguments bleiben unterschiedliche Bezeichnungen weiterhin bestehen und erscheinen notwendig, um ohne sperrige Umschreibungen über das Phänomen Behinderung sprechen zu können (vgl. Lewis/Kellett 2004: 191). Mittlerweile sind zwar als stark diskriminierend geltende Begriffe, die aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts und früher stammen, etwa „Krüppel“, aus dem Sprachgebrauch verschwunden, aber die Beschreibung „Behinderte“ findet weiterhin Verwendung. Dieser Begriff stellt die Behinderung als einziges Merkmal einer Person in den Vordergrund und reduziert sie so auf die Behinderung.

Eine weitere häufige Bezeichnung ist „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, was impliziert, dass diese Personengruppe andere Bedürfnisse hätte als die Durchschnittsbevölkerung. Daraus ließe sich weiters folgern, dass diese Menschen einer besonderen Betreuung bedürften, die am besten in einer separaten Einrichtung geboten werden könnte. Simi Linton, eine Disability Studies-Forscherin, sieht in dieser Bezeichnung zwar einen Versuch, Behinderung positiv zu besetzen, aber letztlich schwingt ihrer Auffassung nach darin eine paternalistische und bevormundende Haltung mit (vgl. Linton 2006: 163).

Die Spezifizierung „geistige Behinderung“, die im angloamerikanischen Sprachraum abgelehnt wird, findet in Österreich regelmäßig Anwendung. Doch Selbstvertretungsorganisationen und andere Instanzen wie NGOs verweisen auf die diskriminierenden Konnotationen, die damit verbunden sind. Hier wird unterstellt, dass die so bezeichneten Menschen Entwicklungsverzögerungen im intellektuellen Bereich aufweisen würden. „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ stellt einen anderen Begriff auf dieser Ebene dar, allerdings fehlt hier eine klare Definition, was damit gemeint ist (vgl. Holzhöfer 2008: 12f., 15). Meiner Ansicht nach reduziert dieser Begriff die Problematik auf das Individuum und blendet die sozialen Barrieren aus. Ebenso verhält es sich mit „intellektueller Beeinträchtigung“, denn auch hier scheint Behinderung etwas zu sein, das nur auf der Ebene des Lernens und Verstehens zu finden wäre.

In dieser Arbeit verwende ich trotz der Diskussionen um diesen Begriff den Terminus „Behinderung“ sowie „Menschen mit Behinderung“ beziehungsweise „behinderte Menschen“ und analog dazu „Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung“ und „geistig behinderte Menschen“, da über alle anderen Begriffe kein Konsens in ihrer inhaltlichen Bestimmung besteht und sie nicht zutreffend erscheinen. Weiters herrscht selbst bei Selbstvertretungsgruppen keine Übereinstimmung über eine geeignete Selbstbezeichnung, was es zusätzlich erschwert, auf einen von diesen Gruppen vorgeschlagenen Begriff zurückzugreifen. Zudem soll mit „Menschen mit sogenannter geistige Behinderung“ betont werden, dass es sich um einen von außen zugeschriebenen Begriff handelt, der eine Personengruppe als geistig behindert festschreibt. Der Begriff „Menschen mit Behinderung“ trägt zwar die Gefahr in sich, den gemeinten Personen „einen speziellen Status als TrägerInnen eines besonderen Merkmals“ zuzuweisen und sie so ebenfalls zu stigmatisieren (Stockner 2010: 9). Aber in Ermangelung besserer Begriffe verwende ich ihn weiterhin in dieser Arbeit, wobei ich mir bewusst bin, dass „Behinderung“ häufig negativ konnotiert ist und deswegen abgelehnt wird. Für „behinderte Menschen“ spricht, dass hier die äußeren Barrieren betont werden und so die soziale und politische Komponente zum Ausdruck kommt (vgl. a.a.O.). Besonders die Disability Studies, eine ursprünglich politische Bewegung und seit den 1980er-Jahren interdisziplinäre Forschungsrichtung, halten am Begriff der Behinderung fest, indem sie ihn neu interpretieren. Während Behinderung lange Zeit (und

teilweise auch heute noch) hauptsächlich medizinisch definiert war, das heißt als ein Problem des Individuums, sehen die Disability Studies Behinderung vor allem in den sozialen Barrieren begründet. So wurde der Begriff „Behinderung“ innerhalb der Disability Studies zu einem politischen Werkzeug, um Forderungen durchzusetzen und auf die ausgrenzenden Strukturen, die eine Behinderung begründen können, hinzuweisen (vgl. Krug 2012: 11f.). Im Englischen wird daher „disabled“ von den Disability Studies in dieser Bedeutung verwendet, um zu betonen, dass Menschen durch gesellschaftliche Barrieren behindert werden (vgl. Felkendorff 2003: 29). In dieser Arbeit gehe ich ebenfalls von einem ähnlichen Verständnis von Behinderung aus und sehe soziale Hindernisse und Einschränkungen, etwa in Form von negativen Einstellungen oder exkludierenden Gesetzen, als wichtige Faktoren, die Behinderung entstehen lassen. Dennoch sollen auch die individuellen Dispositionen in den Blick genommen werden, da beispielsweise chronische Schmerzen und Bewegungseinschränkungen für einzelne Personen ebenfalls eine Behinderung bedeuten können. Das heißt aber nicht, dass Behinderung auf die Person reduziert und somit als rein medizinisches Problem betrachtet wird. Behinderung soll hier als mehrschichtiges Phänomen aus sozialen und individuellen Faktoren verstanden werden, das sich je nach Person aus unterschiedlichen Einflüssen konstituiert und sich daher nicht universell definieren lässt. Was Behinderung ist, muss daher für jede Person und Situation neu und individuell festgestellt werden.



[1] Durch den Zusatz „sogenannte“ soll verdeutlicht werden, dass es sich bei dem Terminus „geistige Behinderung“ um eine von außen zugeschriebene Kategorisierung handelt, die in dieser Arbeit nicht unhinterfragt übernommen werden soll.

[2] Wie in Kapitel 3.1. erklärt wird, handelt es sich dabei um einen interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Zugang zum Themenfeld Behinderung.

2. „Beschäftigungstherapie“ und ihr rechtlicher Kontext in Wien

In diesem Abschnitt wird dargestellt, wer Anspruch auf einen Betreuungsplatz in der Tagesstruktur hat und wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für diesen Bereich in Wien gestalten.

2.1. Die drei Arbeitsmärkte in Österreich

Wenn von Arbeit von Menschen mit Behinderung die Rede ist, muss immer konkretisiert werden, auf welchen Bereich sich die Angabe bezieht, da in Österreich zwischen drei Arbeitsmärkten unterschieden wird, in denen Menschen tätig sein können. In diesem Abschnitt werden in knapper Weise diese drei Arbeitsmärkte charakterisiert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden hier nur kurz angerissen, weil sie in einem späteren Kapitel ausführlicher dargelegt und analysiert werden.

Neben dem ersten oder allgemeinen Arbeitsmarkt, der durch das österreichische Arbeitsrecht geregelt ist und in dem der Großteil der Erwerbstätigen beschäftigt ist, existieren auch der zweite oder geschützte und der dritte oder Ersatzarbeitsmarkt. Unterscheidungen lassen sich besonders in Bezug auf Arbeitsrechte, Entlohnung und Versicherungsleistungen feststellen (vgl. Zierer 2010: 50). Da Menschen mit Behinderung häufig aufgrund von niedrigeren Bildungschancen und –niveaus und Vorurteilen von ArbeitgeberInnen einen erschwerten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben, gilt die Arbeitslosenquote für diese Gruppe europaweit als relativ hoch. Diese Arbeitslosenquote wird als doppelt so hoch angegeben wie die Quote von Menschen ohne Behinderung (vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 2009: 19f.; Pinetz 2008: 416). Daher finden vor allem Menschen ohne Behinderung eine Anstellung am allgemeinen Arbeitsmarkt, während Menschen mit Behinderung häufig exkludiert sind. Dieser Bereich wird durch das österreichische Arbeitsrecht geregelt. Zusätzlich gibt es durch das 1970 geschaffene Bundes- Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) rechtliche Mechanismen, die die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung am ersten Arbeitsmarkt fördern sollen. Dieses Gesetz beinhaltet Aussagen zu Quotenregelungen, Ausgleichszahlungen, Kündigungsschutz und Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt. So ist in Österreich jede Firma verpflichtet, pro 25 MitarbeiterInnen mindestens einen sogenannten „begünstigten Behinderten“ einzustellen. Als „begünstigt Behinderte“ definiert dieses Gesetz Personen, die einen Grad der Behinderung von mindestens 50% aufweisen, was durch das Bundessozialamt festgestellt wird (vgl. BEinstG §1, §2, §14). Kommt eine Firma dieser Bestimmung nicht nach, muss sie eine monatliche Ausgleichstaxe in der Höhe von 244 Euro mit Stand 2014 für jede nicht beschäftigte Person an das Bundesministerium für Soziales entrichten (vgl. Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen 2014: o.S.).

Das Bundes-Behinderteneinstellungsgesetz regelt auch den zweiten Arbeitsmarkt, der durch den Staat besondere Förderungen erhält. Dieser Arbeitsmarkt wird „aus Mitteln des Ausgleichstaxenfonds, der Arbeitsmarktverwaltung und der Länder gefördert“ (Zierer 2010: 52) und setzt sich aus geschützten Arbeitsplätzen am ersten Arbeitsmarkt und acht Integrativen Betrieben zusammen. Integrative Betriebe sind laut Bundes- Behinderteneinstellungsgesetz „Einrichtungen zur Beschäftigung begünstigter Behinderter, die wegen Art und Schwere der Behinderung noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, bei denen aber eine wirtschaftlich verwertbare Mindestleistungsfähigkeit vorliegt“ (BEinstG §11). Neben der Überbrückung der Lücke zwischen allgemeinem und Ersatzarbeitsmarkt stellen diese Betriebe auch Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderung bereit. Wie auch Beschäftigte am ersten Arbeitsmarkt unterliegen die Beschäftigten des zweiten Arbeitsmarktes dem österreichischen Arbeitsrecht und sind demnach kollektivvertraglich versichert und erhalten einen Lohn.

Da aber nicht alle Personen die vorgeschriebenen 50% Mindestleistungsfähigkeit – ein Mensch mit Behinderung muss mindestens die Hälfte der Arbeitsleistung eines Menschen ohne Behinderung im gleichen Beruf erbringen – erreichen, bleibt für viele als letzte Möglichkeit nur der Ersatzarbeitsmarkt (vgl. Zierer 2010: 52f.). Dieser dritte Arbeitsmarkt, der auch „Beschäftigungstherapie“, „Werkstatt“ oder „Tagesstruktur“ genannt wird, ist durch neun unterschiedliche Landesgesetze geregelt, weshalb jedes Bundesland eine andere Definition und Bezeichnung für die Tagesstruktur verwendet (vgl. Zierer: 55). In Wien legt das 2010 in Kraft getretene „Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung in Wien“, oder kurz Chancengleichheitsgesetz (CGW), mit dem Paragraph 9 die Rahmenbedingungen für den Ersatzarbeitsmarkt fest. Hierin ist festgehalten, dass die Tagesstruktur besondere „Leistungen für Menschen mit Behinderung, die aktuell oder dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können“, darstellen (CGW §9). Die Bundesländer stellen die finanziellen Mittel zur Verfügung und in Wien übernimmt der Fonds Soziales Wien die Umsetzung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen auf administrativer Ebene. Der Fonds Soziales Wien gibt diese Länderförderungen in Form von Tagsätzen an die durchführenden Institutionen – meist handelt es sich hier um private Vereine, die Verträge mit der Landesregierung haben – weiter, die mit diesem Geld einen Großteil der Betreuungskosten abdecken. Unter Tagsatz wird ein bestimmter Geldbetrag verstanden, der pro betreuter Person vom Land an die Institution ausbezahlt wird. Weitere Finanzierungsquellen der Vereine stellen der Erlös aus verkauften Produkten und durchgeführten Auftragsarbeiten, Spenden und Eigenbeiträgen der „TeilnehmerInnen“ dar (vgl. Müller 2005: 51; Zierer 2010: 55). Dabei betont der Fonds Soziales Wien, dass es sich bei der Arbeit in diesen Tagesstrukturen nicht um ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis handelt und die Menschen mit Behinderung daher keine Anstellung, keinen kollektivvertraglichen Lohn und keinen Anspruch auf Sozialversicherung und Pension haben (vgl. Fonds Soziales Wien 2011: o.S.). Die „TeilnehmerInnen“ der Tagesstrukturen erhalten aber als „Leistungsanerkennung“ ein „therapeutisches Taschengeld“ von der Institution, wobei dieser ebenfalls die Höhe und Auszahlungsart obliegt (Fonds Soziales Wien 2012: 4).

Somit lässt sich der dritte Arbeitsmarkt eigentlich nicht als Arbeitsmarkt oder Ersatzarbeitsmarkt im Sinne eines arbeitsrechtlich geschützten Beschäftigungsverhältnisses sehen, sondern ist vielmehr als Betreuungsstruktur ohne den Leistungsdruck der anderen beiden Arbeitsmärkte zu verstehen. Die Arbeit in den Werkstätten gilt daher auch nicht als Erwerbsarbeit. Aufgrund dieses Unterschiedes steht auch nicht so sehr die Arbeitsleistung im Vordergrund, sondern häufig bilden die generelle Tagesstrukturierung und Förderung der vorhandenen Fähigkeiten den Kern der „Beschäftigungstherapie“. Je nach Institution erfolgt das über die Bereitstellung unterschiedlicher Tätigkeiten. Die Palette der Arbeitsangebote reicht von „basalen Gruppen“ für Menschen mit sogenannten schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen über kreative Angebote bis hin zu Gruppen, die Industriearbeiten und Dienstleistungen wie Übersiedlungshilfe durchführen.

Österreichweit sind etwa 19.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten des Ersatzarbeitsmarktes beschäftigt. In Wien betreuen 21 verschiedene Organisationen derzeit etwa 4000 Menschen mit Behinderung (vgl. Fonds Soziales Wien 2011: o.S.; Koenig 2010: 4, 13). Die Lebenshilfe Wien – in den 1960er-Jahren als Elternverein gegründet – bietet als einer dieser Vereine für etwa 320 Menschen mit Behinderung in sechs Werkstätten neben den Bereichen Handwerk und kreative Arbeit, Hauswirtschaft, elektronische Medien und Außenarbeiten sowie Industrie- und Auftragsarbeiten spezielle Angebote für SeniorInnen, SchulabgängerInnen und Menschen mit schwerer Behinderung an (vgl. Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013; Lebenshilfe Wien 2013a: 2; Lebenshilfe Wien 2013b: 1f.).

2.2. Entstehung und Diskussion der „Beschäftigungstherapie“

Die ersten Einrichtungen der Tagesstruktur in Österreich gingen aus den Psychiatrien hervor, in denen Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung bis zur Psychiatriereform in den 1970er- und 1980er-Jahren – danach entstanden spezielle Wohn- und Arbeitseinrichtungen für geistig behinderte Menschen außerhalb der Psychiatrien – institutionalisiert waren. In diesem psychiatrischen Kontext wurden bereits einfache Tätigkeiten angeboten, um diese Personengruppe einerseits zu disziplinieren, andererseits, um ihnen eine Beschäftigung zu bieten, wobei deren Sinn für die Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung nicht immer nachvollziehbar war. Im Zuge der Weiterentwicklung der Angebote in den Psychiatrien entstand daneben die „Beschäftigungstherapie“, in der der Fokus auf der Herstellung von Handwerksprodukten und Basteltätigkeiten lag. Diese Organisationen, die der Pädagoge Koenig aufgrund der im vorigen Kapitel angeführten Charakteristika als therapeutische Modelle bezeichnet, wurden häufig von Elternvereinigungen gegründet, so auch der Verein Lebenshilfe. Heute geht es in der „Beschäftigungstherapie“ nicht nur um den Erhalt der vorhandenen Fähigkeiten, sondern auch darum, durch sinnvolle Tätigkeiten die Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung, zur Herstellung einer Lebensperspektive sowie zu sozialen Beziehungen zu schaffen (vgl. Koenig 2010: 5; Paterno 2008: 32, 50; Valchers 1999: o.S.; Zierer 2010: 56f.).

Je nach Bundesland wird die Tagesstruktur unterschiedlich bezeichnet. In Wien waren die Werkstätten lange als „Beschäftigungstherapie“ bekannt. Das 2010 in Kraft getretene Chancengleichheitsgesetz, welches das Wiener Behindertengesetz abgelöst hat, spricht von „Tagesstruktur“, ebenso wie der Fonds Soziales Wien, allerdings hält sich der Terminus „Beschäftigungstherapie“ im alltäglichen Sprachgebrauch weiter. Dieser Begriff ist heute vielfach negativ konnotiert, wird als diskriminierend empfunden und impliziert, dass die ,KlientInnen‘ beschäftigt werden müssen und eine sinnvolle Arbeit nicht möglich wäre. Die MitarbeiterInnen mit Behinderung erscheinen als passiv, womit die Annahme verbunden ist, dass sie keiner Arbeit nachgehen, sondern ihren Tag mit Beschäftigungen wie Basteln verbringen würden. Zudem handelt es sich hier keinesfalls um eine Therapie im medizinischen oder psychologischen Sinne, weshalb „Therapie“ hier irreführend ist. Schon im Jahr 1990 hat das Österreichische Komitee für Sozialarbeit auf diese Problematik hingewiesen und nicht nur für eine Abschaffung dieses Begriffes, sondern auch für eine Vereinheitlichung der Bezeichnung in den Landesgesetzen plädiert (vgl. Müller 2005: 51; Paterno 2008: 51).

Dieser Argumentation folgend werde ich in dieser Arbeit die Begriffe „Werkstatt“ und „Tagesstruktur“ verwenden.

Das Arbeitsangebot der Werkstätten, das, wie im vorigen Kapitel erwähnt, eine große Bandbreite an Tätigkeiten abdeckt, wird ebenfalls teilweise kritisiert. Besonders die Industriearbeit, bei der für Firmen Aufträge durchgeführt werden, wird immer wieder hinterfragt. Die Industriearbeit als Arbeitsfeld hat sich als Teil der „Beschäftigungstherapie“ entwickelt, denn diese Tätigkeiten erwiesen sich als sinnvoll, um die große Zahl an Menschen in den Psychiatrien beschäftigen zu können (vgl. Valchars 1999: o.S.). Während den Menschen mit Behinderung damals aber nicht aufgezeigt wurde, welchen Zweck die fertigen Produkte haben, ist das heute eine zentrale Anforderung an die Betreuungspersonen. Daneben wird vielfach auch die Monotonie der Industriearbeit als negativer Aspekt gesehen. Dennoch bietet dieses Tätigkeitsfeld auch Vorteile: Die Arbeit kann in einzelne Schritte zerlegt werden, so dass jede/r mitarbeiten kann und Erfolge sind schnell erkennbar. So kann die individuelle Arbeitsleistung etwa anhand der Anzahl der fertig gepackten Schachteln sichtbar gemacht werden. Zudem wollen nicht alle Menschen mit Behinderung kreativ oder handwerklich arbeiten, weshalb diese Arbeit eine brauchbare Alternative darstellt. Und gerade die gleich bleibenden Arbeitsabläufe bilden für einige Personen einen wichtigen Orientierungsrahmen, der Strukturierung und Stabilisierung bietet. Die hier nur kurz angerissene Diskussion werde ich in der Analyse wieder aufgreifen, da sie ein wichtiges Element dafür darstellt, wie Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ihre Arbeit erleben.

2.3. Rechtlicher Kontext

Die Rechte und Regelungen, die Menschen mit Behinderung betreffen, sind in Österreich nicht einem bestimmten Bereich, etwa dem Behindertenwesen, zugeordnet, sondern finden sich verteilt in einer Vielzahl an Landes- und Bundesgesetzen wieder. Behinderung gilt daher als „Querschnittsmaterie, die alle Politikfelder betrifft“ (Stockner 2010: 7). Aus dieser Vielfalt ergibt sich, dass Behinderung in den meisten Gesetzestexten unterschiedlich und oftmals medizinisch definiert ist (vgl. Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2013:17). Diese Kompetenzaufteilung wird in der österreichischen Behindertenpolitik aber als positiv betrachtet, „weil sie es ermöglicht, sich mit Problemen behinderter Menschen dort auseinanderzusetzen, wo sie auftreten“ (Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 2009: 42). Diese Fülle an Gesetzen – etwa 100, die Menschen mit Behinderung direkt und indirekt betreffen, sowie viele weitere Gesetze, die nur eine geringere Rolle spielen – macht dieses Feld nur schwer überschaubar (vgl. Stockner 2010: 44). Eine Konkurrenz der Kompetenzen ist zwar nicht vorgesehen, aber dennoch können für ein Problemfeld mehrere verschiedene gesetzliche Regelungen zuständig sein, die den Sachverhalt aus jeweils anderen Blickwinkeln betrachten (vgl. Höfle/Leitner/Stärker 2006: 23).

Die Behindertenpolitik soll sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung am Arbeits- und Sozialleben teilhaben und sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Häufig erfolgt in den Gesetzen durch die Verbindung von Behinderung und Arbeit aber eine Gleichsetzung von Behinderung mit Arbeitsunfähigkeit. Allerdings ist zu beachten, dass die Grenzziehung zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit keineswegs natürlich ist, sondern immer von der jeweiligen Definition abhängt (vgl. Bieker 2007b: 377; Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2003: 15, 26). Der Bildungswissenschaftler Cloerkes verweist ebenfalls darauf, dass Behinderung in „unserer Gesellschaft fast ausschließlich an Leistungsprinzipien ausgerichtet“ ist, wobei der Arbeitsfähigkeit ein besonderer Stellenwert zukommt (Cloerkes 1997: 8). In diesem Kapitel wird es vorrangig darum gehen, die für den Bereich der Tagesstruktur in Wien relevanten Gesetze herauszuarbeiten und ihre Inhalte kompakt darzustellen. Dabei sind aber nicht nur die landesgesetzlichen Regelungen von Bedeutung, sondern auch rechtliche Rahmenbedingungen auf anderen Ebenen, insbesondere die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Der rechtliche Kontext soll also beschrieben, aber noch nicht analysiert werden.

Vorweg muss festgehalten werden, dass die soziale Absicherung von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, die in einer Tagesstruktur beschäftigt sind, in Österreich vor allem über das zweite soziale Netz gedeckt ist. Während das erste soziale Netz aus Leistungen besteht, die durch die Versicherungsbeiträge berechtigter Personen finanziert werden und auch einklagbar sind, etwa beim Arbeitslosengeld, stellt sich die Lage beim zweiten sozialen Netz differenzierter dar. Hierfür sind die Landesgesetze sowie die Leistungen aus der Sozialhilfe zuständig. Um Anspruch auf diese Leistungen zu erhalten, darf kein anderer Träger Leistungen für die Person erbringen und auch Erwerbstätigkeit spielt hier keine Rolle. Da Menschen mit Behinderung in Tagesstrukturen keinen Lohn erhalten und somit keine Versicherungsbeiträge für das erste soziale Netz erbringen, etwa um im Falle von Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld zu erhalten, sind sie meist auf das zweite soziale Netz angewiesen. In Wien erhält diese Personengruppe, die als arbeitsunfähig gilt, daher auch finanzielle Unterstützung auf Basis des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (vgl. Lebenshilfe Wien 2012: o.S.).

In diesem zweiten sozialen Netz sind die Rechtsansprüche aber beschränkt und Menschen mit Behinderung werden häufig „in die Rolle von BittstellerInnen gedrängt“ (Stockner 2010: 46). Zudem beinhalten diese Regelungen meist sehr spezifische Definitionen von Behinderung, um die Zahl der möglichen BezieherInnen einzuschränken (vgl. ebd.: 41).

Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die Werkstätten direkt und indirekt betreffen, findet sich auf der Bundesebene an oberster Stelle der Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes, der ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Behinderung ausspricht (vgl. Höfle/Leitner/Stärker 2006: 25). Daneben sind das Bundesbehindertengesetz, das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) und das Bundes-Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) von Bedeutung. Im Bundesbehindertengesetz sind vorrangig „Maßnahmen zur Rehabilitation behinderter Menschen“ geregelt. Hierin finden sich aber auch Bestimmungen zur Einrichtung eines Bundesbehindertenbeirates und des Monitoringausschuss. Der Monitoringausschuss ist ein unabhängiges Gremium, das „die Einhaltung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen durch die öffentliche Verwaltung für den Bereich der Bundeskompetenz überwacht“ (Unabhängiger Monitoringausschuss o.J.a.: o.S.).

Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz zielt darauf ab, „die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten“ (BGStG §1). Während sich dieses Gesetz gegen die Diskriminierung in der Gesellschaft allgemein richtet, zielt das im vorigen Kapitel erwähnte Bundes- Behinderteneinstellungsgesetz darauf ab, einen Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt, also am ersten und zweiten Arbeitsmarkt, zu bieten. In allen drei Gesetzen ist Behinderung folgendermaßen definiert:

Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten“ (BGStG §3).

Neben dem Bundesbehindertengesetz, das für die Situation der Werkstätten nicht von direkter Bedeutung ist, verfügt jedes Bundesland über ein eigenes Behindertengesetz. Die Landesgesetze weisen je nach Bundesland unterschiedliche Leistungen aus und diese sind, wie oben beim zweiten sozialen Netz beschrieben, nur subsidiär einsetzbar. Diese Regelung gilt vor allem für Personen, deren Behinderung vor dem Eintritt in das Erwerbsleben aufgetreten ist. Diese Menschen verfügen daher nicht über die Absicherung durch das erste soziale Netz, weil sie keine Versicherungsbeträge einzahlen können (vgl. Höfle/Leitner/Stärker 2006: 176).

Das Wiener Chancengleichheitsgesetz hat zum Ziel, „Menschen mit Behinderung beim chancengleichen, selbstbestimmten Zugang zu allen Lebensbereichen, insbesondere bei der chancengleichen Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben zu unterstützen“ (CGW §1). Dabei definiert das Gesetz Menschen mit Behinderung als

„Personen, die auf Grund nicht altersbedingter körperlicher, intellektueller oder psychischer Beeinträchtigungen oder auf Grund von Sinnesbeeinträchtigungen in ihrer Entwicklung oder in wichtigen Lebensbereiche, insbesondere bei der Berufsausbildung, der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Teilnahme am Leben in der Gesellschaft dauernd wesentlich benachteiligt sind“ (CGW §3).

Die Tagesstruktur, die als förderbare Leistung bezeichnet ist, gilt für Personen, „die aktuell oder dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können“ (CGW §9). Anspruch auf einen Platz in der Tagesstruktur haben demnach Personen, auf die diese Behinderungsdefinition zutrifft. Der Fonds Soziales Wien als administratives Organ des Landesgesetzes zieht dieselbe Behinderungsdefinition wie das Wiener Chancengleichheitsgesetz heran. Für die Gewährung der Förderung ist ein Nachweis über die Behinderung in Form von ärztlichen oder psychologischen Gutachten oder von Familienbeihilfebescheiden notwendig (vgl. Fonds Soziales Wien 2012: 2). In diesem Verfahren werden „Personen zunächst als ,ausgegrenzt‘ bzw. als ,behindert‘ und ,hilfebedürftig‘ adressiert“ (Wansing 2007: 286), um überhaupt Anspruch auf bestimmte Leistungen zu haben.

Der Paragraph 9 des Wiener Chancengleichheitsgesetzes, der die Tagesstruktur regelt, ist allerdings sehr knapp formuliert und gibt daher nur einen groben Rahmen, aber keine konkreten Anweisungen zur Umsetzung vor. Für die praktische Arbeit werden andere, rechtlich aber nicht bindende Richtlinien herangezogen, etwa die vom Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen aufgestellten Qualitätskriterien, die eine wichtigere Orientierung für die Einrichtungen darstellen als das Wiener Chancengleichheitsgesetz. Daher richten sich Werkstätten bei der Umsetzung des Gesetzes nicht vorrangig am Gesetzestext selbst aus, sondern an rechtlich nicht bindenden Vorgaben anderer Stellen (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Die konkrete Umsetzung obliegt also den Werkstätten selbst. Die Personen mit Behinderung, die einen positiven Bescheid über die Förderung der Leistung Tagesstruktur sowie einen Platz in einer Werkstatt erhalten haben, schließen mit der Institution einen Betreuungsvertrag ab, in dem neben zahlreichen finanziellen Regelungen auch die Rechte und Pflichten der ,KlientInnen‘ in einer allgemeinen Form festgehalten sind. Die spezifischen, in der jeweiligen Werkstatt geltenden Rechte und Pflichten sind hier aber nicht aufgelistet, sondern werden den zu betreuenden Personen bei Eintritt in die Werkstatt und im Arbeitsalltag mitgeteilt. Häufig bestehen aber eine bindende Hausordnung und eigens für die Werkstatt erstellte Regeln. Im Werkstattkonzept der Lebenshilfe Wien ist etwa festgehalten, dass die ,KlientInnen‘ Anspruch auf Unterstützung bei der Arbeit haben. Zusätzlich steht ihnen das Recht auf Mitsprache zu (vgl. Lebenshilfe Wien 2013b: 2f.).

Ein wichtiges, aber nur deklaratives und daher nicht einklagbares Rechtsinstrument auf internationaler Ebene ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (vgl. Dembour 1996: 29; Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Bei der Konvention handelt es sich um einen internationalen Vertrag, durch dessen Ratifizierung – Österreich hat die Konvention 2008 ratifiziert – sich die unterzeichnenden Staaten verpflichten, die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen umzusetzen und zu schützen. Der Zweck der Konvention ist, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2013: 16). Die Juristin Stefanie Schmahl umreißt den Zweck der Konvention folgendermaßen: „Die Instrumente des Rechts sollen vor allem dazu beitragen, gesellschaftliche Strukturen, die es Menschen mit Behinderungen erschweren, ein Bewusstsein ihrer eigenen Würde zu entwickeln, systematisch zu überwinden“ (Schmahl 2007: 526). Für den österreichischen Staat bedeutet das, dass diese Richtlinien in den österreichischen Gesetzen umgesetzt werden müssen und so die Gesetzeslage an die internationalen Standards angepasst wird. Neben der Bundes- und Landesgesetzgebung betrifft diese Regelung auch die Bereiche Verwaltung und Rechtsprechung. Gesetze, die der Konvention nicht entsprechen, müssen geändert werden (vgl. Osterkorn 2011: o.S.; Schulze 2011: 17; Unabhängiger Monitoringausschuss o.J.a.: o.S.). Erst wenn die UN-Behindertenrechtskonvention in den österreichischen Gesetzen umgesetzt ist, werden diese Rechte für Individuen einklagbar (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Wie oben bereits kurz angeschnitten, überwacht und überprüft der Monitoringausschuss die Umsetzung und Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Bundesebene. Seine Handlungsmöglichkeiten bestehen vor allem darin, Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben und Beschwerden zu bearbeiten, aber auch in der Mitwirkung an Gesetzgebungsprozessen (vgl. Schulze 2011: 22; Unabhängiger Monitoringausschuss o.J.a.: o.S.).

Diese Schaffung einer eigenen Konvention für die Menschenrechte von Menschen mit Behinderung erschien deswegen notwendig, da Menschen mit Behinderung in der allgemeinen Menschenrechtskonvention kaum Beachtung gefunden haben. Zudem wird hier Behinderung nicht explizit als Diskriminierungsgrund erwähnt, was dazu geführt hat, dass dieser Personengruppe „vielfach die ausdrückliche Anerkennung ihrer Menschenrechte verwehrt“ geblieben ist (Schulze 2011: 12).

Für den Bereich Arbeit enthält die Konvention den Artikel 27, in dem das Recht formuliert wird, „den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird“, einschließlich „Chancengleichheit und gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit“ (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2013: 144). Allerdings ist dieser Abschnitt nicht konkret genug formuliert, was dazu führt, dass es sich um „Gewährleistungen programmatischer Art, die unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen stehen und vom Wirtschaftspotenzial des jeweiligen Staates abhängen“, handelt (Schmahl 2007: 536). Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation sowie der Monitoringausschuss konstatieren einen Widerspruch zwischen den Forderungen der Konvention und der realen Arbeitssituation von Menschen mit Behinderung in Österreich.

Besondere Kritik erfahren dabei segregierende Einrichtungen wie die sogenannte „Beschäftigungstherapie“, die der Konvention widersprechen, denn Österreich hat sich durch die Ratifizierung zur Inklusion und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung verpflichtet (vgl. Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2013: 145, 147; Sigot: 2011: 47). Die Erziehungswissenschaftlerin Kirsten Puhr fasst den Widerspruch folgendermaßen zusammen: „In funktional differenzierten Gesellschaften besteht der Anspruch, Inklusion für alle Menschen zu ermöglichen, alle müssen an allen Funktionssystemen teilhaben können. Exklusion, auch Exklusion aus dem Arbeitsmarkt ist sozialstrukturell und moralisch nicht gerechtfertigt“ (Puhr 2008: 530). Es lässt sich also an dieser Stelle bereits festhalten, dass die Arbeit von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in den Werkstätten nicht den Rechtsnormen entspricht, die in der UN-Konvention beschlossen wurden und denen sich Österreich verpflichtet hat.

Im Gegensatz zur UN-Behindertenrechtskonvention findet sich auf europäischer Ebene ein Menschenrechtspaket, das auf rechtlichem Wege einklagbar ist. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aus dem Jahr 1950 ist an die 1948 beschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen angelehnt und ist Teil der österreichischen Verfassung. In dieser Konvention ist die Einklagbarkeit der Rechte ausdrücklich gegeben (vgl. Dembour 1996: 30; Nowak 1988: 107, 142). Hierfür wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingerichtet, der aber bei einer Individualbeschwerde erst angerufen werden kann, wenn alle nationalen Rechtsmittel hinreichend ausgeschöpft wurden (vgl. Hembach o.J.: o.S.). Die Anthropologin und Juristin Dembour sieht darin „one of the most, and historically certainly the first, efficient pieces of international legislation in human rights“ (Dembour 1996: 24). Zwar findet sich in dieser Rechtsvorschrift keine explizite Erwähnung der Situation von Menschen mit Behinderungen wie in der UN-Behindertenrechtskonvention, aber besonders der Artikel 14 „Verbot der Benachteiligung“ ist relevant, wenn sich behinderte Personen diskriminiert und in ihren Rechten verletzt fühlen: „Der Genuß [sic] der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist“ (EMRK, Artikel 14). Menschen mit Behinderungen, die hier im Zusatz „im sonstigen Status“ inkludiert sind, werden in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die unter anderem auf der Europäischen Menschenrechtskonvention beruht, explizit erwähnt. Die 2009 in Kraft getretene Grundrechtecharta schreibt die Rechte aller in der Europäischen Union lebenden Menschen fest. Mit dieser Grundrechtecharta wird das Ziel verfolgt, die Rechte übersichtlicher darzustellen und sie einklagbar zu machen. Die Artikel 21 „Nichtdiskriminierung“ und 26 „Integration von Menschen mit Behinderung“ sprechen Menschen mit Behinderung direkt an (vgl. Europäisches Parlament/Informationsbüro in Deutschland o.J.: o.S.; Osterkorn 2011: o.S.). So verbietet der Artikel 21 ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund von Behinderung neben einer Reihe weiterer Gründe und Artikel 26 schreibt die Integration als Recht folgendermaßen fest: „Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft“ (Osterkorn 2011: o.S.). Durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union besitzen Menschen mit Behinderung somit eine konkrete rechtliche Möglichkeit, ihre Menschenrechte einzufordern. In der Analyse werden die genannten Gesetze und Rechte wieder aufgegriffen und ihre Bedeutung für die Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten dargestellt.

3. Theoretische Konzeption

In diesem Kapitel werde ich die theoretischen Zugänge darstellen, die ich benötige, um meine Daten zu erklären. Die hier verwendeten Theorien sollen somit einerseits der besseren Darstellung und Erklärung meiner eigenen Daten dienen und meine Ergebnisse andererseits in einen bestehenden wissenschaftlichen Diskurs einbetten.

3.1. Eine Heranführung an das Phänomen Behinderung

In der Kultur- und Sozialanthropologie hat Behinderung als Forschungsthema lange Zeit nur wenig Beachtung gefunden. Mittlerweile gibt es aber zahlreiche anthropologische Forschungen und zudem hat sich ein ergiebiger Austausch zwischen der Anthropologie und den sozialwissenschaftlichen Disability Studies entwickelt beziehungsweise haben sich die Disability Studies als ein Subfeld der Anthropologie etabliert. In der anthropologischen Herangehensweise an Behinderung geht es weniger um Definitionen, sondern vielmehr darum, was Menschen als behindernd erleben (vgl. Reynolds Whyte/Ingstad 2007: 6, 11; Neubert/Cloerkes 2001: 6).

In diesem Kapitel werde ich daher auf die Disability Studies zurückgreifen, um ein für diese Arbeit sinnvolles Verständnis von Behinderung herauszuarbeiten, das ich in der Analyse wieder aufnehmen werde. Allerdings werde ich hier keine geschlossene und endgültige Definition von Behinderung oder geistiger Behinderung ausarbeiten, da es sich bei Behinderung, wie an späterer Stelle noch näher erläutert wird, um ein relatives und historisches Konstrukt handelt, das sich einer universellen Definition entzieht. Daher lässt sich kein einheitlicher Behinderungsbegriff ableiten. Weiters ist zu beachten, dass jede Behinderungsdefinition andere Konsequenzen für die davon betroffenen Menschen nach sich zieht. Somit kann auch geistige Behinderung nicht endgültig bestimmt werden. Besonders diese Bezeichnung impliziert bestimmte Vorstellungen über die damit gemeinte Personengruppe. Dennoch ist die Suche nach einem besseren Begriff beziehungsweise die Frage, ob ein bestimmter Terminus überhaupt notwendig ist, bis heute stark diskutiert (vgl. Lipburger 2009: 19f.; Speck 2007: 136).

Die interdisziplinäre, aber international nicht einheitliche Forschungsrichtung der Disability Studies hat ihre Anfänge in der politischen Behindertenbewegung der späten 1960er-Jahre in den USA und Großbritannien (und teilweise im deutschsprachigen Raum), die sich für gleiche Rechte und Emanzipation von Menschen mit Behinderung eingesetzt hat. Diese politische Bewegung wollte ein anderes Verständnis von Behinderung entwickeln, in dem Menschen mit Behinderung als Teil einer unterdrückten Minderheit gesehen wurden. Zuvor herrschte eine individuelle, defizitorientierte Auffassung von Behinderung vor, bei der Behinderung als Problem des Individuums betrachtet wurde. Dieses medizinische Modell implizierte eine mögliche Besserung oder gar Heilung von Behinderung durch Therapie, Medizin und Pädagogik. Erst durch die politische Agitation entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass Behinderung durch gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Barrieren verursacht wird. Ab den 1980er-Jahren setzten sich vorwiegend WissenschaftlerInnen mit Behinderung mit dem Thema auseinander. Dabei sollten vorrangig die Erfahrungen behinderter Menschen in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten untersucht werden, ohne auf die Disziplinen Medizin, Psychologie und Behindertenpädagogik, die bisher die Definitionsmacht über Behinderung inne hatten, zurückzugreifen (vgl. Dederich 2007: 17, 21ff., 31; Hermes/Rohrmann 2006: 7; Schönwiese 2005: o.S.; Waldschmidt 2005: 9). Die Disability Studies ziehen stattdessen gesellschaftstheoretische Ansätze zur Erklärung heran und zielen durch die Forschung auf die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ab. Sie haben also neben dem wissenschaftlichen Interesse auch immer eine politische Zielsetzung. Der Untersuchungsgegenstand der Disability Studies ist nicht der behinderte Mensch an sich, sondern Behinderung und ihre soziale und kulturelle Herstellung. Dennoch hält sich das individuell-medizinische Modell von Behinderung weiterhin und Menschen werden aufgrund der ihnen zugeschriebenen Schädigung und Beeinträchtigung von der Gesellschaft ausgesondert (vgl. Hermes 2006: 15, 18; Naue 2006: 57f.). In diesem

„defizitorientierten medizinischen Modell wird der behinderte Mensch als unzulängliches Mangelwesen und ewig Kranker betrachtet, mit der Folge, dass dem Betroffenen jegliche Urteils-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit abgesprochen und er an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird“ (Hermes 2006: 17).

In den 1980er-Jahren entwickelte sich das soziale Modell von Behinderung als Gegenperspektive, das das medizinisch-individuelle Modell radikal in Frage gestellt hat. Behinderung galt nun nicht mehr als Problem und Defizit eines Individuums, sondern die diskriminierenden und ausgrenzenden gesellschaftlichen Strukturen und Einstellungen wurden als Ursache von Behinderung ausgemacht, wobei nicht nur –wie im medizinischen Modell – eine einzelne Person, sondern eine ganze Gruppe von Menschen von diesen Bedingungen betroffen ist (vgl. Hermes 2006: 18ff.). Das soziale Modell veränderte die Perspektive auf Menschen mit Behinderung: „Aus der Sicht des sozialen Modells sind behinderte Menschen keine passiven Empfänger von Sozialleistungen, sondern mündige Bürgerinnen und Bürger, die zu Selbstbestimmung und demokratischer Partizipation fähig sind“ (Waldschmidt 2006: 86). Die Disability Studies gehen daher in ihren Grundzügen von einem konstruktivistischen Ansatz aus, der eine individuell-medizinische Definition von Behinderung ablehnt und diese stattdessen als sozial und kulturell hergestellt sieht, zum Beispiel durch Einstellungen oder Strukturen wie etwa segregierende Institutionen oder Gesetze. Der soziale, kulturelle, ökonomische, politische und historische Kontext spielt also eine entscheidende Rolle für das Verständnis und die Bewertung von Behinderung (vgl. Hermes 2006: 20).

Lange Zeit war dieses soziale Modell von Behinderung in den Disability Studies vorherrschend, aber zusehends kam auch daran Kritik auf. Zwar wäre es wegen seiner leichten Verständlichkeit politisch wirksam, um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, aber um Behinderung zu erklären und zu verstehen, wäre es zu universalistisch und simplifizierend. Außerdem wurde die AutorInnenschaft kritisiert, denn die HauptakteurInnen der politischen Bewegung waren vor allem weiße, heterosexuelle Männer mit einer Körperbehinderung. Daher war hier das Verständnis von Behinderung relativ eng gefasst und die Anliegen bestimmter Gruppen wie Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung fanden in der Bewegung nur wenig Beachtung. Auch die generelle Annahme, dass Menschen mit Behinderung immer unterdrückt werden, wird mittlerweile hinterfragt (vgl. Krug 2012: 22; Shakespeare 2004: 15; Shakespeare 2006: 200). Zudem wären für viele Menschen nicht nur die gesellschaftlichen Umstände behindernd, sondern auch individuelle körperliche Dispositionen, wie etwa Bewegungseinschränkungen oder chronische Schmerzen. Diese individuellen Aspekte dürften daher nicht ausgeblendet werden, da sie für zahlreiche Menschen real sind und ebenfalls Beeinträchtigung und Behinderung bedeuten. Im deutschsprachigen Raum ist in diesem Zusammenhang die Herangehensweise der Soziologin Anne Waldschmidt zu beachten, denn sie kritisiert sowohl das individuelle als auch das soziale Modell, da beide Behinderung grundsätzlich, wenn auch mit unterschiedlichen Lösungsansätzen, als etwas Problematisches betrachten würden. Zudem verortet sie auch im sozialen Modell einen Essentialismus, der die Ebene der körperlichen Schädigung oder Beeinträchtigung als „naturgegeben“ annimmt. Waldschmidt verweist aber darauf, dass auch diese Ebene sozial konstruiert sein kann (vgl. Hermes 2006: 23f.; Waldschmidt 2006: 88f.). Den Kern dieser Diskussion bildet die strikte Unterscheidung zwischen „impairment“ als individueller Schädigung oder Beeinträchtigung und „disability“ als soziale Behinderung, wobei sich das individuelle Modell auf die impairment-Ebene und das soziale Modell auf die disability-Ebene konzentrieren (vgl. Söder 2009: 71). Da im sozialen Modell aber die impairment-Ebene, die für ein Verständnis von Behinderung ebenfalls von Bedeutung ist, völlig ausgeblendet wird, wird davon ausgegangen, dass „Behinderung durch einen sozialen Wandel und den Abbau von Barrieren behoben werden kann“ (Krug 2012: 23).

Waldschmidt entwirft nach ihrer Kritik ein kulturelles Modell, bei dem sie davon ausgeht, dass „Behinderung keine universelle und uniforme Praxis darstellt. Vielmehr findet man über die Jahrhunderte und zwischen den Kulturen eine große Vielfalt in den Sichtweisen von Behinderung und den Umgangsformen mit behinderten Menschen“ (Waldschmidt 2006: 91). In ihrem Modell geht es darum, die Prozesse, die jemanden als behindert kategorisieren, in ihrer Historizität und Relativität aufzuzeigen und dabei die konstruierte Dichotomie Behinderung/Normalität zu hinterfragen. Daher wäre das Zugeständnis gleicher Rechte nicht der alleinige Lösungsweg, sondern auch die kulturelle Repräsentation müsste sich verändern, damit Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe erfahren können. Behinderung soll aus dieser Sicht als ein selbstverständlicher Teil der vielfältigen Lebenserfahrungen von Menschen anerkannt werden (vgl. Waldschmidt 2005: 13; Waldschmidt 2006: 91f.). In den Disability Studies gilt Behinderung nicht als Defizit eines Individuums, sondern als „konstituierender Faktor von Normalität“ (Degener 2003: 450).

Für diese Arbeit gehe ich vorrangig von Waldschmidts Zugang zu Behinderung aus, da dieser nicht nur die sozialen, sondern auch die historischen Bedingungen mit einbezieht und Behinderung nicht als ein endgültig definierbares Phänomen versteht. Somit ist Behinderung keine unveränderliche Gegebenheit, sondern entsteht immer in einem Wechselspiel aus sozialen, kulturellen, ökonomischen, rechtlichen und historischen Aspekten, die meist eine soziale Benachteiligung nach sich ziehen (vgl. Waldschmidt 2003: 197). Wie durch die Analyse meiner Daten gezeigt werden wird, sind nicht nur soziale, sondern auch individuelle Aspekte wichtig für ein holistisches Verständnis von Behinderung. Nicht soziale, rechtliche, strukturelle oder ökonomische Barrieren allein sind für viele Menschen ausschlaggebend, ob sie sich als behindert fühlen. Auch wenn soziale Beschränkungen einen wichtigen Teil von Behinderung ausmachen, so ist auch die individuelle Ebene, etwa in Form von Schmerzen, relevant. Dabei gehe ich aber nicht von einem medizinischen Modell aus, das Behinderung wieder am Individuum festmacht, sondern sehe die individuellen Dispositionen nur als eine weitere Ebene neben zahlreichen anderen Aspekten, wie sozialen Barrieren, die meist von größerer Bedeutung für die individuelle Behinderungserfahrung sind.

Waldschmidt behandelt in ihrem kulturellen Zugang zu Behinderung die Diskussion um Norm und Normalität ausführlich. Normalität ist im Diskurs um Behinderung ein oft angeführtes Schlagwort. Das Gegenstück „Behinderung“ führt dazu, dass eine heterogene Personengruppe unter dem Etikett „behindert“ subsummiert, somit sprachlich als von der Norm abweichend markiert und auf besondere Institutionen verwiesen wird: „Behinderte Menschen werden auf diese Weise als Gruppe sichtbar und regierbar, denn durch ihre körperliche Individualisierung aufgrund des Nicht-Entsprechens der Norm werden sie zugleich als Gruppe außerhalb eben dieser Norm-Referenz-Gruppe zusammengefasst“ (Naue 2006: 12). Allerdings sind die Kriterien, anhand derer bestimmte Menschen zu der Gruppe „Menschen mit Behinderung“ subsumiert werden, nicht eindeutig und stabil, was letztlich zu problematischen universalisierenden Annahmen über Menschen mit Behinderung führt (vgl. Naue 2006: 54).

Bedeutend ist hier der Unterschied zwischen Normativität und Normalität. Normativität meint „gesellschaftliche Erwartungshaltungen und Regeln“ (Waldschmidt 2003: 192), die durch Kontrollmechanismen eingehalten werden sollen. Meist finden sich solche Normen im juristischen Bereich, in dem es eine klare Trennung zwischen richtig und falsch gibt (vgl. Dederich 2007: 133). Bei der Normalität hingegen geht es um einen deskriptiven Durchschnittswert, der als Maßstab den Vergleich mit anderen Menschen impliziert. Hier gibt es keine äußere Regel, sondern der Durchschnittswert wird von allen Menschen gemeinsam hergestellt. Dieser zu Beginn neutrale Wert wird erst in einem weiteren Schritt mit Bewertungen und Normen im Sinne der Normativität versehen. Die (freiwillige) Orientierung an der Norm wird meist als etwas Positives betrachtet (vgl. Dederich 2007: 133; Waldschmidt 2003: 192).

Weiters wird zwischen dem Protonormalismus und dem flexiblen Normalismus differenziert. Protonormalistische Strategien orientieren sich an der Normativität und trennen strikt zwischen dem Normalen und dem Pathologischen; der flexible Normalismus ist – wie bereits im Namen enthalten – durchlässiger. Dieser letztgenannte Normalismus geht davon aus, dass sich die Trennung zwischen normal und anormal jederzeit verändern kann und daher nicht fixiert ist. Wenn also Normalität flexibel definierbar und daher gesellschaftlich veränderbar beziehungsweise herstellbar ist, bedeutet das, dass die Unterscheidung zwischen Behinderung und Normalität nicht mehr so strikt verläuft. Waldschmidt sowie der Erziehungswissenschaftler Dederich gehen davon aus, dass dieser flexible Normalismus heute, unter anderem in der Behindertenarbeit, vorherrschend ist, während der Protonormalismus, der eine Ausgrenzung des Pathologischen propagiert, rückläufig wäre. Dennoch ist der flexible Normalismus nicht einfach als das positive Gegenstück des Protonormalismus zu sehen, da mit dem flexiblen Normalismus immer die Forderung nach Selbstnormalisierung einhergeht. Der behinderte Mensch soll sich weiterhin an Durchschnittswerten orientieren, aber dieser Zwang ist nicht mehr von außen oktroyiert, sondern bereits internalisiert. Somit bleibt die Dichotomie behindert/normal letztlich weiterhin bestehen (vgl. Dederich 2007: 135ff., 141; Waldschmidt 2003: 192f., 195, 201). Diese Dichotomie kann schließlich zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung im Sinne von „Ableismus“ führen (ähnlich wie bei „Sexismus“ als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts), bei der ihnen Eigenschaften zugeschrieben werden, die gesellschaftlich nicht als normal und akzeptabel gelten (vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2012: 99ff.).

Auch auf der politischen und pädagogischen Ebene erfolgt der Rekurs auf Normalitätsstandards und normalistische Normen, was bestimmte Konsequenzen für Menschen mit Behinderung nach sich zieht, denn damit ist „zugleich auch der mögliche Partizipations- und Verhandlungsrahmen festgelegt“ und häufig stark eingeschränkt (Naue 2006: 22). Die Politikwissenschaftlerin Naue konstatiert eine deutliche Orientierung an Normen in der österreichischen Behindertenpolitik, was sich beispielsweise bei integrativen Maßnahmen zeigt (vgl. Naue 2006: 113). Durch Integration wird das Ziel verfolgt, Menschen mit Behinderung in alle Bereiche nicht-behinderter Menschen einzugliedern und volle Teilhabe daran zu ermöglichen. Dabei erfolgt immer eine Bezugnahme auf das, was für ein bestimmtes Lebensalter als normal betrachtet wird (vgl. Cloerkes 1997: 194f.; Waldschmidt 2003: 195). In der Behindertenpädagogik spielt hierbei das Normalisierungsprinzip eine besondere Rolle, das Waldschmidt als Beispiel für den flexiblen Normalismus nennt (vgl. Waldschmidt 2003: 195). Als Urheber des Normalisierungsprinzips gelten der Jurist Bank- Mikkelsen, der 1959 in einem Fürsorgegesetz festhalten ließ, dass Menschen mit Behinderung ein Leben so normal wie möglich führen sollen, sowie der Sonderpädagoge Nirje, der es 1969 weiter ausformulierte. Hierbei soll Behinderung als etwas, das normal zum menschlichen Leben gehört, akzeptiert werden. Weiters sollen Menschen mit Behinderung die gleichen Bedürfnisse und Rechte wie Menschen ohne Behinderung zugestanden werden, was ihnen schließlich ein Leben ermöglichen soll, das sich an der Lebensrealität nicht-behinderter Menschen orientiert. Wenn hier von Normalität die Rede ist, bezieht sich das auf zwei Ebenen (vgl. Klauß 2005: 128ff.). Einerseits wird hier eine statistische Norm angestrebt, das bedeutet, Menschen mit Behinderung soll das zur Verfügung stehen, was für die durchschnittliche Bevölkerung „normal“ ist, andererseits gilt es eine Idealnorm zu erreichen, nämlich das, „was nach allgemeinen Wertvorstellungen als normales Anrecht jedes Menschen gemeint ist“ (Klauß 2005: 129). Beim Normalisierungsprinzip geht es aber nicht darum, den Menschen mit Behinderung zu „normalisieren“, sondern es sollen die gesellschaftlichen Strukturen, in denen Menschen mit Behinderung leben, verändert werden. Schließlich wurde dieses Prinzip von Nirje direkt mit den Menschenrechten in Verbindung gebracht, da die Menschenrechte den juristischen Rahmen für die Umsetzung bieten. Neben Forderungen wie einem normalen Tages-, Wochen- und letztlich Lebensrhythmus sollen Menschen mit Behinderung so auch Zugang zu normalen ökonomischen Lebensbedingungen, zu denen auch Arbeit zählt, erhalten (vgl. Klauß 2005: 130ff.; Waldschmidt 2003: 195).

Einen Weg zu diesen normalen Lebensverhältnissen soll die Integration bieten. Allerdings gibt es an dieser Vorgehensweise Kritik, denn bei der Integration handelt es sich um

„geregelte Formen gemeinsamen Lernens und Lebens – allerdings eben nur für diejenigen, die sich in der Lage sehen, den herrschenden Normalitätsstandards zu genügen. Da dies auch im Falle von Empowerment-Ansätzen nur in Einzelfällen gelingen kann, müssen differenzierte Systeme der Förderung und Sondermaßnahmen fortbestehen“ (Dannenbeck 2007: 112).

Das bedeutet, dass Integration für viele Menschen mit Behinderung weiterhin in segregierenden Institutionen stattfindet, die aber versuchen, normale Bedingungen zu schaffen, etwa durch eine geringere Größe. Die Politikwissenschaftlerin Naue erkennt hierin ebenfalls eine Orientierung an gesellschaftlichen Normen:

„Wenn also bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zur Norm erklärt und das Vorhandensein bestimmter Beeinträchtigungen als Abweichung von der Norm gesehen werden, wird die Frage der Ausgrenzung im Sinne von Nicht-Abweichung beziehungsweise Abweichung von diesen Fähigkeiten, Eigenschaften und Beeinträchtigungen verstanden“ (Naue 2006: 61f.).

Während Menschen bestimmten Anforderungen genügen müssen, um an integrativen Maßnahmen teilhaben zu können, zielt das Konzept der Inklusion „auf die notwendige Umgestaltung der sozialen Umwelt als Voraussetzung für die gemeinsame Nutzung und gesellschaftliche Teilhabe durch heterogene Gruppen“ ab (Dannenbeck 2007: 111f.). Die Teilhabeansprüche sollen bei der Inklusion aber auch rechtlich fixiert werden (vgl. Theunissen 2007: 171f.). Auf diese Umgestaltung der sozialen Bedingungen setzt auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, denn sie verfolgt langfristig durch die Abschaffung segregierender Institutionen und Maßnahmen ebenfalls eine inklusive Gesellschaft.

Lange Zeit wurde angenommen, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderung am besten über Arbeit funktionieren würde. Daher werde ich im nächsten Kapitel auf den Themenkomplex Arbeit und die Bedeutung von Arbeit für Menschen mit Behinderung eingehen.

3.2. Anthropologie der Arbeit

Arbeit ist in westlichen Gesellschaften allgegenwärtig und wird besonders durch das Fehlen von Erwerbsarbeit in Form von Arbeitslosigkeit deutlich sichtbar. Diese Präsenz des Themas Arbeit spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wider. So hat sich in der Kultur- und Sozialanthropologie die Anthropologie der Arbeit als Subfeld der ökonomischen Anthropologie herausgebildet. Trotz dieser Entwicklung sieht der Anthropologe Hochleithner eine disziplinäre Vernachlässigung des Themas und bemerkt hier eine Tendenz hin zu Reduktionismen. Diese reduktionistische Sichtweise kommt durch ein universalistisches Konzept von Arbeit zum Ausdruck, das außer Acht lässt, wie vielschichtig und relativ dieses Phänomen ist. Arbeit würde nach Hochleithner auch in der Anthropologie unhinterfragt für alle Gesellschaften als universell betrachtet werden. Diese postulierte Universalität lässt das Phänomen Arbeit als selbstverständlich und daher für eine Forschung als nicht ergiebig erscheinen. Doch Hochleithner plädiert für eine kritische Betrachtung, bei der erkennbar wird, dass es sich hier um ein europäisches Konzept handelt. Zwar wurde schon vor der Entstehung des Kapitalismus eine Unterscheidung zwischen mühevollen und produktiven Tätigkeiten und Tätigkeiten, die freiwillig verrichtet werden und Muße bereiten, getroffen, doch erst im Kapitalismus wurde die Dichotomie aus Arbeit und Nicht-Arbeit mit einer Bewertung versehen. Den Tätigkeiten, die als Arbeit klassifiziert wurden, wurde in einer Hierarchisierung ein höherer Stellenwert beigemessen (vgl. Hochleithner 2011: 39f., 46, 48f., 62; Schiemer 2010: 10). Arbeit ist somit „die Bezeichnung der europäischen Variante der Organisation von bestimmten, gesellschaftlich eingegrenzten Tätigkeiten“ (Hochleithner 2011: 62). Aus dem Grund, dass das Konzept Arbeit nicht in allen Gesellschaften existiert, kann es keine weltweit gültige Definition von Arbeit geben (vgl. Busse 2009: 25; Hochleithner 2011: 60, 62).

Deshalb wird es in dieser Arbeit nur um ein westliches Verständnis von Tätigkeiten und Handlungen gehen, die als Arbeit bezeichnet werden. Arbeit ist demnach „a descriptive terminology for what ,western capitalism’ considers to be work” (Schiemer 2010: 25). Aber auch innerhalb des europäischen Verständnisses von Arbeit existiert eine Bandbreite von möglichen Definitionen, wobei Arbeit meist als etwas beschrieben wird, das anstrengend ist, nicht freiwillig getan wird und häufig bezahlt ist. Eng damit ist ein Verständnis von Arbeit als Pflichterfüllung verbunden. Doch trotz der negativen Konnotationen kann Arbeit auch positiv als Verrichtung einer gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit sowie als Mittel zur Selbstverwirklichung betrachtet werden (vgl. Lieger 2011: 13f.). Auf diese mögliche Definitionsvielfalt macht auch der Anthropologe Richard Brown aufmerksam, wobei er ebenfalls den sozialen Kontext betont:

Work can refer to any physical and/or mental activities which transform natural materials into a more useful form, improve human knowledge and understanding of the world, and/or provide or distribute goods to others. The definition of work cannot be limited to references to activities alone, however, but most also consider the purposes for which, and the social context within which, those activities are being carried out” (Brown 1996: 919).

Unter dem Oberbegriff Arbeit werden unterschiedliche Tätigkeiten subsumiert, etwa bezahlte Erwerbstätigkeit, unbezahlte Hausarbeit, Beziehungsarbeit und Trauerarbeit. Dennoch findet sich im öffentlichen Diskurs häufig eine Gleichsetzung von Arbeit mit bezahlter Erwerbsarbeit, wobei es sich um eine rezente Entwicklung handelt, in der der Wert und die Nützlichkeit eines Menschen an seine Arbeitsfähigkeit gebunden werden. Die eigene Arbeitskraft wird hier in einem marxistischen Sinn zu einer handelbaren Ware, wobei nichtbezahlte Tätigkeiten, wie etwa Hausarbeit, nicht als Arbeit klassifiziert werden. Erwerbsarbeit hat daher in kapitalistisch geprägten Gesellschaften einen hohen Stellenwert (vgl. Hochleithner 2011: 54; Lieger 2011: 23; Müller 2005: 22; Paterno 2008: 43f.). Mit dieser Entwicklung geht auch die Internalisierung neuer Werte einher, wie etwa maximale Leistungsfähigkeit als positive Eigenschaft eines Menschen. In einer pessimistisch anmutenden Sichtweise sind die Menschen gezwungen, ständig an sich zu arbeiten, um im Wettbewerb um die Vermarktung der eigenen Ware „Arbeitskraft“ bestehen zu können. Auf diese Weise erhält jeder Mensch einen Platz in der Gesellschaft und gleichzeitig wird die Gesellschaft strukturiert. Die Sozialpsychologin Marie Jahoda macht darauf aufmerksam, dass die Erwerbsarbeit den Menschen innerhalb dieser Strukturen besondere Erfahrungen aufzwingt (vgl. Brown 1996: 920; Bröckling/Horn 2002: 8ff.; Müller 2005: 23f.). Sie zählt folgende Erfahrungen auf, die sich generell aus der Erwerbstätigkeit ergeben und keine Spezifika einer bestimmten Arbeitsstelle sind:

„Auferlegung einer festen Zeitstruktur, die Ausweitung der Bandbreite sozialer Erfahrungen in Bereiche hinein, die weniger stark emotional besetzt sind als das Familienleben, die Teilnahme an kollektiven Zielsetzungen oder Anstrengungen, die Zuweisung von Status und Identität durch die Erwerbstätigkeit und die verlangte regelmäßige Tätigkeit“ (Jahoda 1986: 99).

In diesen Erfahrungen, die situativ sowohl als angenehm als auch als unangenehm empfunden werden können, sieht Jahoda eine Entsprechung zu bestimmten menschlichen Bedürfnissen, die so erfüllt werden. Allerdings relativiert sie diese Sichtweise, indem sie darauf hinweist, dass bestimmte Bedürfnisse erst durch die Gesellschaftsstrukturen geschaffen werden, die die Erwerbsarbeit dann befriedigen soll (vgl. Jahoda 1986: 137f.). In Beschreibungen über die Funktion und den Sinn von (Erwerbs-)Arbeit findet sich diese gesellschaftliche Prägung von Bedürfnissen wieder. Arbeit strukturiert demnach den Tag, bietet Ziele und soziale Kontakte außerhalb der Familie, bringt Abwechslung, vermittelt Identität, verleiht einen bestimmten Status und gibt unserem Handeln einen Rahmen. Weitere häufig genannte Funktionen von Arbeit sind die Möglichkeit, sich als produktiv zu erleben, die Förderung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls, die Ausbildung von Interessen und fachliche Weiterentwicklung sowie lebenslanges Lernen. Die Aneignung sozialer Kompetenzen wird ebenfalls häufig betont, denn um mit anderen Menschen zusammenarbeiten zu können, bedarf es verschiedener Arbeitstugenden wie die Befolgung sozialer Regeln, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Durch die Erwerbsarbeit erfährt man, je nach Arbeitsbereich, gesellschaftliche Anerkennung, die sich auch in Form der Bezahlung widerspiegelt. Daneben spielt die Bezahlung die grundlegende Rolle, das finanzielle Überleben zu sichern. Wie schon bei Jahoda angemerkt, vermittelt Arbeit aber nicht ausschließlich positive Erfahrungen, sondern ist häufig auch mit Anstrengung, Zwang, Monotonie und ungerechter Entlohnung verbunden (vgl. Brown 1996: 920; Klauß 2005: 338f.; Müller 2005: 29ff.). Auch Arbeitslosigkeit muss als negative Kehrseite von Erwerbsarbeit bedacht werden, denn in einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft bedeutet Arbeitslosigkeit im besten Fall eine Verringerung der Lebensqualität, im schlimmsten Fall aber Armut und Ausschluss aus der Gesellschaft (vgl. Jahoda 1986: 15). Wenn Arbeit zu einem positiven Selbstbild beiträgt und dem Dasein einen Sinn gibt, „so führt Arbeitslosigkeit bei vielen Menschen zum Gefühl der Sinnlosigkeit und des Ausgestoßenseins; trägt Arbeit zu Selbstachtung bei, so führt der Verlust von Arbeit zu einem Verlust an Selbstachtung“ (Dederich 2001: 143).

Alle genannten Funktionen von Arbeit treffen in gleichem Maße auf Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zu, aber sie sind im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung häufiger von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen und finden die Erfüllung dieser Bedürfnisse daher entweder gar nicht oder in Sonderinstitutionen wie den Werkstätten. Daher kann auch gerade für diese Gruppe schneller das Gefühl von Nutzlosigkeit entstehen, da sie in einer Gesellschaft, in der Arbeitsfähigkeit hoch bewertet wird, „mit dem Tatbestand konfrontiert“ sind, „nur noch über eine ,Arbeitskraft minderer Güte‘ zu verfügen“ (Zierer 2010: 38). Besonders bedeutend erscheint hier, dass Menschen mit Behinderung in den Werkstätten das Gefühl erhalten können, einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Aber auch der Faktor der Sozialkontakte ist erwähnenswert, da Menschen mit Behinderung häufig nur über sehr eingeschränkte Sozialkontakte in Form von Familie und BetreuerInnen verfügen. Für viele Menschen mit Behinderung sind diese Sozialkontakte von größerer Bedeutung als die Arbeit selbst (vgl. Schönhuth o.J.: 13; Bieker 2007a: 28). In den Werkstätten wird im Hinblick auf die oben genannten Funktionen und Bedürfnisse versucht, eine möglichst normale Arbeitssituation zu bieten und durch spezielle pädagogische Maßnahmen auf die individuelle Ausgangslage einzugehen. Allerdings fehlt hier der Aspekt der gerechten Entlohnung. Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, die in Werkstätten beschäftigt sind, können sich mit dem erhaltenen Taschengeld finanziell nicht selbst erhalten und müssen daher, wie im Kapitel über den rechtlichen Kontext der „Beschäftigungstherapie“ erklärt, soziale Unterstützung in Anspruch nehmen. Daher bedeutet die Aufnahme einer Erwerbsarbeit für diese Personengruppe einen höheren Statuszugewinn als für Menschen ohne Behinderung (vgl. Bieker 2007a: 28; Klauß 2005: 343; Zierer 2010: 37).

Häufig werden die Werkstätten auch als vorbereitender Lernort für den ersten Arbeitsmarkt gesehen und Arbeit dient hier als Instrument, um Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung im Sinne von Inklusion in die Gesellschaft einzugliedern. Dahinter steht die für lange Zeit vorherrschende Idee, dass Menschen mit Behinderung durch sinnvolle und gesellschaftlich anerkannte Tätigkeiten am besten in die Gesellschaft integriert werden könnten. Soziale Teilhabe erfolgt in dieser Sichtweise vor allem über Erwerbsarbeit. Heute werden zwar auch andere Lebensbereiche wie Wohnen und Freizeit als Orte gesehen, an denen Inklusion stattfinden kann und soll, aber die Integration durch Erwerbsarbeit behält weiterhin einen hohen Stellenwert. Nicht zuletzt setzen auch viele Maßnahmen der rezenten Behindertenpolitik in diesem Bereich an und behalten so die Verknüpfung von Behinderung und Arbeits(un)fähigkeit weiter bei (vgl. Bösl, 2006: 113, 117, 120; Pfaffenbichler 2012: 5f.).

Da Rechte das Leben und besonders das Arbeitsleben von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung strukturieren, muss an dieser Stelle auf anthropologische Perspektiven auf Recht eingegangen werden.

3.3. Rechtsanthropologische Perspektiven

In diesem Kapitel werde ich den rechtsanthropologischen Zugang herausarbeiten, der besonders bei der Analyse des rechtlichen Rahmens des Forschungsfeldes zur Anwendung kommt.

Die Rechtsanthropologie ist ein etablierter Teilbereich der Kultur- und Sozialanthropologie, der sich längst nicht mehr nur mit Recht und Rechtspluralismus in ehemaligen kolonialisierten Gebieten beschäftigt. Die Anfänge der Rechtsanthropologie finden sich zwar in eben diesen Gebieten, wo es vorrangig darum ging, das Recht zu rekonstruieren, das durch den Kolonialismus als verschwunden geglaubt wurde. Doch heute wendet sich dieses Subfeld der Anthropologie verstärkt den rechtlichen Vorstellungen im Westen zu. Einen wichtigen Bereich dabei stellen internationale Rechtskomplexe, wie etwa die Menschenrechte, dar. Der anthropologische Zugang zu dem Themenfeld Recht setzt sich aber nicht nur mit Recht an sich auseinander, sondern beachtet in gleichem Maße auch den sozialen, politischen und ökonomischen Kontext der Rechtssituation, um ein ganzheitliches Bild zeichnen zu können (vgl. Benda-Beckmann 2003: 179f.; Moore 2005b: 1). Der Rechtsanthropologe Benda- Beckmann betont, dass eine Erforschung des Rechts, ohne den Kontext in den Blick zu nehmen, nicht zielführend ist: „Rechtsethnologische Forschung machte deutlich, dass, was Recht ist, und welche gesellschaftliche Bedeutung es hat, kontextuell ist“ (Benda-Beckmann 2003: 189). Diese kontextuellen Rahmenbedingungen beeinflussen das Recht, welches aber auf diesen Rahmen zurückwirkt und so stehen beide in einer gegenseitigen Wechselwirkung zueinander. Soziale Praktiken sind also nicht von Regeln und Gesetzen zu trennen und häufig orientieren sich Menschen in ihrem Handeln, wenn auch nicht immer bewusst, an normativen Vorgaben. Dennoch sollte die tatsächliche Wirksamkeit von Gesetzen und anderen Normen nicht überschätzt werden, denn nicht alle Menschen können ihre Vorstellungen im Recht einbringen und daran teilhaben. Somit erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Recht nicht nur in Form von Regelbefolgung, sondern auch über den Widerstand gegen rechtliche Normen. Die direkte Anwendung normativer Systeme impliziert eine Anpassung an die soziale Praxis, was eben auch dazu führt, dass Regeln missachtet und manipuliert werden. Somit stimmen vorgegebene Normenkomplexe und die soziale Wirklichkeit nie völlig überein (vgl. Baer 2011: 77; Moore 1978: 3; Moore 2005a: 245; Sarat 2009: 563). Das Kernthema hier ist das Verhältnis zwischen dem Rechtsideal und dem tatsächlich gelebten Recht. Daher braucht die rechtsanthropologische Forschung immer auch die empirische Auseinandersetzung mit der gelebten Rechtspraxis (Benda-Beckmann 2003: 189; Zips 2007: 94). Die „Spannung zwischen ,Sein und Sollen‘, zwischen Faktizität und Geltung“ (Zips 2007: 93) stellt daher einen wichtigen Aspekt der Rechtsanthropologie dar.

Das Forschungsfeld selbst, „the domain of the normative“ (Moore 2005b: 29), also der Bereich des Rechts, umfasst unterschiedliche soziale Bereiche, in denen alle Rechte, Gesetze, normativen Vorgaben und Regelungen von Bedeutung sind und ist nicht etwa auf staatliches Recht beschränkt. Für den Rechtsanthropologen Rouland stellt sich das Forschungsfeld folgendermaßen dar:

Legal ethnography [Hervorhebung im Original] is concerned with the collection and description of evidence of a legal character in the three areas of discourse – behaviour, value systems and beliefs – within a given society. Legal ethnology [Hervorhebung im Original] is concerned with the interrelations between these three areas, and their combined effect on the general operation of the society in question” (Rouland 1994: 104).

Das macht deutlich, dass Recht als kulturelles Bedeutungs-, Vorstellungs- und Denksystem gesehen werden kann, durch das Menschen ihren Lebenswelten und ihren Handlungen Sinn geben. Durch das Recht, das meist klare Funktionen, wie Streitschlichtung oder (Wieder-) Herstellung der sozialen Ordnung, hat, drücken sich auf diese Weise auch Wertvorstellungen aus. Dieses Wissen und Denken über Recht kann auch als Rechtsbewusstsein bezeichnet werden (vgl. Baer 2011: 72; Fuller 1994: 11; Rouland 1994: 114, 117). In der vorliegenden Arbeit gehe ich von dieser Definition von Rechtsbewusstsein aus und greife sie in der Analyse wieder auf.

Die Rechtsanthropologie ist aber nicht eindeutig von anderen Feldern wie der Wirtschafts- oder der Politikanthropologie abzugrenzen. Das hängt damit zusammen, dass Recht „als die normative Dimension gesellschaftlicher Organisation“ (Benda-Beckmann 2003: 179) immer ein Teil der gesellschaftlichen Vorstellungen und Strukturen ist und soziale, politische und wirtschaftliche Ordnungen legitimiert. Besonders das politische System ist von Bedeutung, denn in Nationalstaaten hat die Regierung das Monopol auf die Gesetzgebung, was aber andere Institutionen wie etwa Firmen nicht hindert, ihre eigenen Regeln aufzustellen, deren Missachtung ebenfalls Konsequenzen nach sich zieht (vgl. Deflem 2008: 147, 162). Recht gilt zudem als „Ort der sozialen Integration“, an dem eine Gesellschaft strukturiert und zusammengehalten wird (Zips 2007: 93). Doch Recht hat nicht nur positive Effekte, wie in seiner Funktion als Mittel zur Konfliktlösung, sondern es wurde auch als Instrument zur Unterdrückung erkannt (vgl. Benda-Beckmann 2003: 190).

Lange Zeit wurde darüber diskutiert, wie Recht definiert sein sollte und was als Recht gilt, wobei klar wurde, dass Recht – wie auch Arbeit – keine universelle Kategorie ist. Aus einer instrumentellen Sicht lässt sich Recht als eine soziale Institution begreifen, die Ordnung schaffen, Veränderung herbeirufen und Sinn geben kann oder soll. Dabei liegt der Fokus auf der Effektivität von Recht für die Erfüllung dieser Funktionen. Recht dient aber nicht nur als Werkzeug, sondern hat auch konstituierende Bedeutung, in dem Sinn, dass bestimmte gesellschaftliche Zustände überhaupt erst durch Recht geschaffen werden. Beim Recht handelt es sich um etwas, das gesellschaftlich hergestellt und ausgehandelt wird und daher nie stabil und statisch ist (vgl. Call 2012: 22; Sarat 2009: 560f., 564). Heute geht es weniger darum, eine Definition von Recht aufzustellen, als vielmehr um Fragen von Macht und Kontrolle in einem bestimmten Feld. Dabei wird erforscht, wer die Regeln und Gesetze aufstellt, wer die Macht hat, sie durchzusetzen beziehungsweise sich ihnen zu widersetzen, und wie sie moralisch gerechtfertigt werden. Häufig spiegelt die Gesetzgebung eines Staates nur die Interessen bestimmter Gruppen wider, weshalb das staatliche Recht nie für die gesamte Bevölkerung zufriedenstellend sein kann. Dabei ist zu beachten, dass der Staat und seine offiziellen Organe nur ein Teil der Institutionen sind, die Gesetze und Regelungen aufstellen, wobei Widersprüche ein Teil dieses Rechtskomplexes sind (vgl. Fuller 1994: 9; Moore 2005a: 246; Moore 2005b: 2). Dieser Aspekt der Widersprüchlichkeit zeigt sich besonders im Kontext des Rechtspluralismus, einem Konzept, das innerhalb der Rechtsanthropologie intensiv behandelt wird.

Rechtspluralismus wird generell als die gleichzeitige Geltung von Regeln definiert, wobei die verschiedenen Gesetze und Regeln eine unterschiedliche Reichweite und Wirkungskraft besitzen. Bedeutender als die Feststellung, dass mehrere Rechtsebenen neben- oder miteinander existieren, ist die Qualität der Beziehungen zwischen den Regelkomplexen (Baer 2011: 32; Benda-Beckmann 2003: 180; Merry 1988: 879). Die Konstellation der Rechtsebenen zueinander kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Ihre Beziehung kann von Nicht-Wahrnehmung, aber auch von gegenseitiger Akzeptanz der Rechtskomplexe gekennzeichnet sein, sie können sich beeinflussen, sich zurückweisen und letztlich in Konflikt zueinander stehen (vgl. Baer 2011: 71; Merry 1988: 884; Zips/Weilenmann 2011: 12). Da aber Rechtspluralismus oft als diffuses und schwer eingrenzbares Phänomen beschrieben wird, haben verschiedene AnthropologInnen genauere Bestimmungsversuche unternommen (vgl. Fuller 1994: 10). Die Anthropologin Merry unterscheidet zwischen einem klassischem und einem neuen Rechtspluralismus. Während sich die klassische Form mit dem Verhältnis zwischen indigenem und europäisch-kolonialem Recht auseinandersetzt, nimmt der neue Rechtspluralismus verstärkt Europa und die USA in den Fokus. Hier werden mehrere unterschiedliche rechtliche Ordnungen als bestimmend für ein Feld betrachtet, wobei das Rechtsverständnis nicht nur staatliches Recht umfasst, sondern durch den Einbezug anderer Normenbereiche weiter greift (vgl. Merry 1988: 872f.). Ein anderer Ansatzpunkt ist die Unterscheidung der Rechtssoziologin Baer in einen räumlichen und einen personalen Rechtspluralismus. Der räumliche Rechtspluralismus zeichnet sich durch verschiedene Rechtsebenen aus. So bestehen etwa in der EU internationales, europäisches und nationales Recht nebeneinander, wobei im Sinne der Subsidiarität das Gesetz gilt, das dem zu regelnden Bereich am nächsten steht. Im personalen Rechtspluralismus betreffen eine Person mehrere Rechte und Regeln auf verschiedenen Ebenen (vgl. Baer 2011: 100f.). So finden sich beispielsweise für Menschen mit Behinderung in Österreich, wie schon in Kapitel 2 besprochen, mehrere Regelungen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Rechtspluralismus lässt sich heute in jeder Gesellschaft feststellen. In Österreich etwa gelten neben Landesgesetzen sowohl Bundesgesetze als auch übergeordnete Gesetze wie Europarecht und Menschenrechte. Daneben finden sich noch zahlreiche Regelkomplexe einzelner Institutionen, die zumindest in dem Wirkungsbereich der Organisation oder des Unternehmens zusätzlich zu den anderen Ebenen von Bedeutung sind und ebenfalls über Sanktionen verfügen. Wer Teil dieser Institutionen sein will, muss sich an diese Regeln anpassen (vgl. Baer 2011: 71; Deflem 2008: 147; Moore 2005a: 246).

Im Rechtspluralismus wird die Frage, was als Recht zu gelten habe, wieder aktuell. „Die Vielzahl von Regelungen, von denen einige als Recht, andere aber vielleicht nur als soziale Praxis gesehen werden können, prägt tatsächlich einen Rechtspluralismus“ (Baer 2011: 71), dennoch wäre es reduktionistisch, Recht nur als staatliches und als Rechtstext vorliegendes Recht zu definieren, denn nicht nur staatliche Normen regeln das alltägliche Leben. Zentraler Diskussionspunkt war lange Zeit, ob als Recht nur das gelten soll, was der Staat als solches definiert, wobei hier die Gefahr besteht, einen westlichen Rechtsbegriff universalistisch auf andere Gesellschaften zu übertragen. Andererseits wurden die WissenschaftlerInnen, die für einen weiten Rechtsbegriff plädierten, dafür kritisiert, das Konzept Recht zu verwässern. Die Rechtsanthropologie hat sich aber von dieser engen Sichtweise abgewendet und nimmt eine größere Bandbreite an Regeln und Normen in den Blick, wobei die Anerkennung verschiedener Rechtsnormen keine davon „bevorzugt“ (vgl. Benda-Beckmann 2003: 187f.; Benda-Beckmann/Benda-Beckmann 2007: 15; Zips/Weilenmann 2011: 11f.). Die Rechtssoziologin Baer unterscheidet zwischen staatlichem Recht, etwa in Form von Gesetzen, und nicht-staatlichem oder informellem Recht sowie Mischungen aus beiden Formen, die sich als Rechtspluralismus äußern können. Die Anthropologin Merry weist aber darauf hin, dass das staatliche Recht ebenfalls durch einen Pluralismus gekennzeichnet ist, da es unterschiedliche Bereiche regelt und für jeden Menschen etwas Anderes bedeuten kann. Das informelle Recht kann in Form von religiösem Recht, Betriebsvereinbarungen, sozialen Regeln wie Höflichkeit und Rücksichtnahme bestehen. Diese Rechtsform wird aber ebenfalls sanktioniert, wenn auch mit anderen Mitteln als beim staatlichen Recht. Generell sieht Baer unterschiedliche Typen von Normen, wie Regeln, Gesetze, Konventionen und Gewohnheitsrechte, als Recht an (vgl. Baer 2011: 49, 87, 100; Merry 1988: 885). Aus anthropologischer Perspektive werden daher im Rechtspluralismus auch gesetzesähnliche Regelungen und Praktiken miteinbezogen, die aus einer Notwendigkeit heraus im sozialen Leben entwickelt werden (Moore, 1978: 80; Moore 2005b: 1).

In diesem Zusammenhang spricht die Anthropologin Moore auch von semiautonomen sozialen Feldern, die dadurch gekennzeichnet sind, dass

„hier Gebräuche, Regeln und Symbole generiert werden, die aber auch anfällig für Regeln, Entscheidungen und andere Kräfte von außen sind. Akteure haben hier die Möglichkeit eigene Regeln aufzustellen und dessen Befolgung durchzusetzen, gleichzeitig kann und wird das Feld aber durch die größere soziale Matrix beeinflusst und durchdrungen“ (Gilsdorff o.J.: 12).

Diese Felder sind zwar von außen etwa durch staatliche Gesetze beeinflusst, stellen aber auch eigene Regeln auf und versuchen so, eine gewisse Autonomie zu wahren, wobei diese Felder unterschiedlich lang bestehen können (vgl. Moore 1978: 80). Auch eine Werkstatt für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung kann als ein solches semiautonomes soziales Feld betrachtet werden, da es zwar eine Rahmung durch staatliches Recht gibt, dieses aber für die Praxis nicht sehr wirkkräftig ist. Daher muss sich eine Werkstatt an anderen Normen orientieren und selbst Regeln aufstellen, um das Funktionieren des sozialen Gefüges zu garantieren.

Da nicht alle Lebensbereiche verrechtlicht, also (vollständig) durch staatliche Gesetze geregelt sind, sondern anderen rechtlichen Ordnungen unterliegen, „ist Recht also mehr als eine staatliche Zwangsordnung, die in Texten fixiert und von bestimmten Personen in Institutionen gehütet und durchgesetzt wird“ (Baer 2011: 88). Dennoch ist Verrechtlichung ein Phänomen, das in immer stärkerem Maße wichtig wird und auch Bereiche erfasst, die bisher durch die Ethik geregelt wurden. Die Betonung von Rechten für Menschen mit Behinderung, um ihre Lebenssituation zu verbessern, fällt ebenfalls in diesen Bereich (vgl. Söder 2009: 76f.).

In dieser Arbeit gehe ich von einem weiter gefassten Rechtsbegriff aus und verstehe Recht als Komplex aus Normen, Ideen, Regeln, Prinzipien und Praktiken, die durch (politische) Macht Legitimation finden sollen (vgl. Moore 1978: 54). Neben offiziellen Gesetzen beziehe ich alle Regeln, Rechte und Normen mit ein, die für die Situation von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Werkstätten auf verschiedenen Ebenen von Relevanz sind. Eine wichtige Rechtsebene stellen dabei die Menschenrechte dar, die, in Verbindung mit dem nationalen Recht betrachtet, ein rechtspluralistisches Gefüge bilden. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern diese beiden Ebenen kompatibel sind beziehungsweise auf welche Art sie zusammenwirken, denn die Menschenrechte erlegen den einzelnen Staaten bestimmte Verpflichtungen auf, allen voran die Verpflichtung, die Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen (vgl. Quane 2013: 677f., 682).

Bei den Menschenrechten handelt es sich um ein Wertesystem, das zwar universell gültig sein soll, aber „keine vorgefertigten Antworten auf die diversen Fragen des Lebens“ bietet, sondern es stellt vielmehr ein „grobmaschiges Geflecht von Mindeststandards und Verfahrensregeln“ dar (Nowak 2002: 13). Es gibt zudem keine allgemein gültige Definition der Menschenrechte und hier werden „konkretes positives Recht und abstrakte Ideen von Gerechtigkeit und Moral, die von bestimmten Vorstellungen des spezifischen kulturellen und sozialen Kontexts geprägt sind“, vermischt (Call 2012: 8). Um die Frage, inwieweit diese Rechte, die als Produkte eines westlichen politischen Denkens gelten, tatsächlich universell gültig sein können und sollen, gibt es in der Rechtsanthropologie zahlreiche Diskussionen.

Auf dieses Thema werde ich hier allerdings nicht näher eingehen, da diese Abhandlung im Rahmen dieser Arbeit einen zu großen Raum einnehmen würde (vgl. Benda-Beckmann 2003: 184; Kuppe 2012: 40).

Diese Rechte, die sich an den Prinzipien der Gleichheit, Freiheit und Menschenwürde orientieren, erhält ein Mensch allein wegen seines Menschseins und sie regeln alle Lebensbereiche. Durch die Menschenrechte ziehen Menschen eine Grenze zwischen sich und dem Staat, die der Staat durch die Einhaltung der Menschenrechte zu wahren hat. Zwar regeln sie vor allem das Verhältnis zwischen Individuum und Staat, aber sie ordnen auch die Beziehungen zwischen den Menschen (vgl. Dembour 1996: 26; Nowak 2002: 13; Schmahl 2007: 517; Schulze 2011: 11). Alle Staaten der Welt haben die allgemeinen Menschenrechte in ihren Verfassungen verankert und sollen daher ihr politisches Handeln rechtlich verbindlich danach ausrichten (vgl. Nowak 2002: 14f.). Dieser Prozess ist aber keineswegs einfach, da die tatsächliche Geltung in den einzelnen Staaten immer das „Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, Resultat auch strategischer Kämpfe“ ist (Baer 2011: 36). Das trifft in besonderem Maße auf die spezifischen Rechte für Menschen mit Behinderung zu, die, wie die allgemeinen Menschenrechte, als „Reaktion auf bestimmte Bedrohungs- und Unterdrückungssituationen“ entstanden sind (Nowak 2002: 15). Recht ist daher etwas Lebendiges, das sich in der Auseinandersetzung mit der sozialen Praxis immer wieder verändert und neu bildet. Wie bereits im Kapitel über den rechtlichen Kontext angesprochen, wurde die Schaffung einer eigenen UN-Konvention für die Menschenrechte von Menschen mit Behinderung deswegen als notwendig erachtet, weil Behinderung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht explizit als Diskriminierungsgrund aufgelistet war und Menschen mit Behinderung daher nicht ausreichend Beachtung fanden. Dieser rechtliche Umstand barg die Gefahr in sich, dass dieser Personengruppe ihre Rechte verwehrt wurden.

Die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2006 nach fünfjähriger Ausarbeitungszeit fertiggestellt wurde, geht vorrangig von einem sozialen Verständnis von Behinderung aus und sieht Inklusion als einen wichtigen Weg, soziale Hindernisse zu überwinden (vgl. Schmahl 2007: 523; Schulze 2011: 12, 16). Dennoch ist die Konvention nur ein erster Schritt dorthin, denn Menschen mit Behinderung werden häufig immer noch als „Objekte angesehen, die medizinische Behandlung und gesellschaftlichen Schutz benötigen, denn als Rechtssubjekte“ (Schmahl 2007: 522). Auf dieser Basis werden ihnen daher wesentliche Rechte wie die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abgesprochen. Die einzelnen Staaten, die wie Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben, sind daher verpflichtet, Menschen mit Behinderung ihre Rechte zu sichern. Dazu müssen sie einen Gesetzesrahmen schaffen, in dem die Prinzipien der Menschenrechte umgesetzt werden können. So soll die Behindertenpolitik, die die Fürsorge in den Vordergrund rückt, von einer Behindertenpolitik abgelöst werden, die Menschen mit Behinderung als vollwertige Rechtssubjekte begreift. Genau dieser Punkt der Verpflichtung wird aber häufig kritisiert, denn die Vertragsstaaten haben das Recht, den Umfang und die Intensität der rechtlichen Verbindlichkeit einzuschränken und können sich so vorläufig den Verpflichtungen entziehen, etwa im Bereich Arbeit (vgl. Nowak 2012: 273; Schmahl 2007: 528, 534ff.). Die Anthropologin und Juristin Dembour sieht den Kern des Problems daher im Charakter dieses Übereinkommmens begründet: Die von den Vereinten Nationen beschlossenen allgemeinen Menschenrechte, wie auch die Sonderrechte für Menschen mit Behinderung, sind nur eine Deklaration, was bedeutet, dass sie rechtlich nicht einklagbar sind. Dennoch hat diese Deklaration einen hohen moralischen Wert und eine überzeugende Autorität und gilt als einzuhaltendes Gewohnheitsrecht, was eine Nicht-Einhaltung der Konvention für die einzelnen Staaten ethisch nicht vertretbar macht. Die Europäische Menschenrechtskonvention hingegen bietet die Möglichkeit, die darin festgeschriebenen Menschenrechte einzuklagen (vgl. Dembour 1996: 29f., 32).

Trotz der rechtlichen Verpflichtung lässt sich gerade im Bereich Arbeit von Menschen mit Behinderung ein Widerspruch zwischen österreichischer Gesetzgebung und den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention feststellen. In Österreich bilden segregierende Strukturen wie Werkstätten einen wichtigen Teil der Behindertenpolitik; die UN-Behindertenrechtskonvention sieht solche separierten Einrichtungen aber als Hindernis für eine inklusive Gesellschaft. Daher stellt sich die Existenz der Werkstätten als unvereinbar mit den Standards der UN-Behindertenrechtskonvention heraus.

Bei Konventionen für spezielle Gruppen wie Menschen mit Behinderung, ergibt sich die bisher ungelöste Frage, ob es sich hier noch um dieselben Menschenrechte handelt oder ob etwa die UN-Behindertenrechtskonvention eine Erweiterung mit neuen Rechten darstellt. Häufig wird angemerkt, dass durch die Konvention keine neuen Rechte geschaffen wurden, sondern dass sie auf dem allgemeinen Menschenrechtskanon aufbaut und so durch die besondere Hervorhebung die Wahrung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderung sichern soll. In diesem Sinne stellen diese Sonderrechte ein Werkzeug für einen bestimmten Zeitraum dar, bis die Diskriminierung verschwunden und eine reale Gleichstellung erreicht ist (vgl. Nowak/Januszewski/Hofstätter 2012: 420f.; Stockner 2010: 31). Gegenpositionen allerdings vertreten die Ansicht, die Menschenrechte würden durch diese spezielle Konvention reformuliert und ausgeweitet beziehungsweise würden hier sogar neue Rechte geschaffen werden (vgl. Mégret 2008: 494).

Mit den Menschenrechten ist die Idee von Gleichheit und Gerechtigkeit verbunden, wobei das Recht als Werkzeug gesehen wird, diese Gerechtigkeit herzustellen. Gerechtigkeit ist aber kein neutraler Begriff, sondern mit ihm sind in erster Linie moralische Vorstellungen verbunden, wobei das, was als gerecht betrachtet wird, je nach Kontext variiert (vgl. Dembour 1996: 19; Höffe 2001: 9; Rouland 1994: 115f.). Diese Frage nach Gerechtigkeit spiegelt sich in besonderem Maße in der UN-Behindertenrechtskonvention wider. Durch die Menschenrechte sollen in einer instrumentellen Sichtweise über das Medium Gesetzgebung Veränderungen in der Gesellschaft in Bezug auf die Lebenssituation behinderter Menschen geschaffen werden. Recht soll so in seiner Integrationsfunktion Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft inkludieren und ihre Lebensbedingungen verbessern (vgl. Baer 2011: 104, 106).

Die Disability Studies, die vor allem die sozialen Barrieren in der Herstellung von Behinderung betonen, sehen ebenfalls rechtliche Rahmenbedingungen als einen konstituierenden Faktor für Behinderung: „Behinderung existiert in Europa und Nordamerika in einem Rahmen von staatlichen, gesetzlichen, wirtschaftlichen und biomedizinischen Institutionen und wird gleichzeitig von diesen geschaffen“ (Lipburger 2009: 45). Behinderung kann daher als rechtliche, aber nicht einheitlich bestimmte Konstruktion begriffen werden, wobei in einem ersten Schritt überprüft werden muss, von welchem Behinderungsbegriff die Gesetze ausgehen, das heißt, ob sie Behinderung im Sinne des medizinischen Modells an der Person festmachen oder ob sie Behinderung als Ergebnis sozialer Barrieren begreifen oder als eine Mischung daraus. Daran und an normativen Vorstellungen orientieren sich in weiterer Folge die vom Staat vorgeschlagenen Lösungsansätze, wobei das medizinische Modell weiterhin dominierend ist. Die Politikwissenschaftlerin Naue verweist darauf, dass Behinderung aus einer medizinischen Perspektive betrachtet häufig nicht als politisches Thema behandelt wird, da die Ursache der Behinderung im Individuum zu suchen ist. Erst durch den Fokus auf die sozialen Hindernisse, die Menschen mit Behinderungen zu bewältigen haben, wird Behinderung politisch relevant. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmen, wer als behindert gilt und wer Anspruch auf welche Leistungen hat, wobei für Menschen mit Behinderung hier häufig Zugangshürden bestehen (vgl. Benda-Beckmann 2007: 166; Degener 2003: 451ff.; Naue 2006: 113, 154). Für Naue stehen dabei Machtverhältnisse im Vordergrund: „Es geht hierbei immer wieder um die Frage hegemonialer Machtverhältnisse, die behinderte Menschen von tatsächlicher Chancengleichheit ausschließen“ (Naue 2006: 77). Menschen mit Behinderung werden durch die Rechtssituation an einer gleichberechtigten Partizipation gehindert. Das zeigt sich besonders am Beispiel von Sonderinstitutionen für Menschen mit Behinderung. Wird Behinderung als medizinisch-individuelles Problem betrachtet, gilt die Unterbringung in diesen Einrichtungen nicht als Diskriminierung und Ausgrenzung, sondern als das geeignetste Lebensmodell für Menschen mit Behinderung. Denn in dieser Sichtweise sind soziale Barrieren keine Hindernisse, „sondern die erlaubte Normalität, an der behinderte Menschen aufgrund ihres tragischen Schicksals scheitern“ (Degener 2003: 457). Dabei erscheinen Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten tätig und daher über Sozialleistungen abgesichert sind, als abhängig von externer Hilfe, was ihren Status als gleichberechtigte BürgerInnen in den Hintergrund treten lässt. Letztlich wird über diese Sondereinrichtungen keine gesellschaftliche Veränderung erreicht, da die dorthin verwiesenen Menschen von der Gesellschaft abgegrenzt sind. Ein Großteil der Bemühungen in der österreichischen Behindertenpolitik ist auf eben diesem segregierenden Bereich gerichtet (vgl. Degener 2003: 453ff.; Stockner 2010: 79f.). Die Juristin Degener sieht die bisher einseitige Ausrichtung der rechtlichen Maßnahmen als problematisch an: „Das am medizinischen Modell orientierte Wohlfahrtsrecht gewährt staatliche Sozialleistungen um den Preis der Ausgrenzung und Sonderbehandlung. Es konstruiert behinderte Menschen als hilfsbedürftige Außenseiter“ (Degener 2003: 456), wobei die Ursache der Ungleichbehandlung beziehungsweise Diskriminierung beim Individuum lokalisiert wird.

Um Sozialleistungen und Förderungen wie die Tagesstruktur in Anspruch nehmen zu können, muss zuerst festgestellt werden, dass der behinderte Mensch tatsächlich nicht in der Lage ist, sich durch Erwerbsarbeit selbst zu erhalten und deswegen auf Hilfe angewiesen ist. Personen, die lange genug in diesem rechtlichen System verweilen, lernen, „daß [sic] sie möglichst unfähig und abhängig zu sein haben, um Leistungen zu bekommen, die ihnen die Teilnahme am Leben ermöglichen sollen“ (Degener 2003: 457). Dennoch lassen sich in den letzten Jahren Veränderungen in der Behindertenpolitik erkennen, die verstärkt auf Gleichstellung im Bereich der Gesetzgebung gerichtet sind und Behinderung als sozial bedingt begreifen. Daher bestehen beide Rechtsansichten nebeneinander, da (noch) nicht alle Probleme über Gleichstellungsgesetze gelöst werden können. Im Bereich Arbeit finden sich in Österreich Strategien der Einkommensersatzpolitik, etwa Pensionen, Mindestsicherung und Förderungen für die Tagesstruktur, und der Arbeitsmarktpolitik, beispielsweise Rehabilitation, Ausbildung und Integration, nebeneinander. Solange Menschen mit Behinderung Barrieren beim Zugang auf den ersten Arbeitsmarkt vorfinden, bleiben Sozialleistungen weiterhin von Bedeutung, um einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Durch die Abkehr vom medizinischen Modell wird Diskriminierung als solche erkannt, wobei gesellschaftliche Barrieren als Ursache ausgemacht werden. Auf diese Weise wird das Bewusstsein dafür gestärkt, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigte BürgerInnen sind (vgl. Degener 2003: 458, 461, 465; Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2003: 15, 54, 241). Doch damit Menschen mit Behinderung zu ihrem Recht kommen, brauchen sie zu allererst ein Rechtsbewusstsein, denn „wer eigene Rechte durchsetzen will, muss aber auch ein Anspruchsbewusstsein haben“ (Baer 2011: 209). Degener ist der Ansicht, dass die Orientierung hin zu einer Gesetzgebung, die Gleichstellung und Antidiskriminierung in den Vordergrund rückt, es Menschen mit Behinderung ermöglicht, sich als BürgerInnen mit gleichen Rechten wahrzunehmen und so auch für die eigenen Rechte einzutreten (vgl. Degener 2003: 464f.).

3.4. Bourdieus Praxeologie

Recht beeinflusst und strukturiert soziale Praktiken, allerdings nicht ausschließlich, indem Gesetze und Regeln von außen auf Menschen einwirken und befolgt werden, sondern vielmehr durch eine Internalisierung von Recht und seinen Bedeutungen. Diese Verinnerlichung wirkt auf die sozialen Beziehungen zurück und schafft so eine soziale Praxis (vgl. Sarat 2009: 562). Bei der Analyse dieser sozialen Praxis geht es letztlich immer darum, herauszufinden, warum Menschen auf eine bestimmte Weise agieren. Für diesen Zweck hat der Soziologe und Anthropologe Pierre Bourdieu mit seiner Theorie der Praxis ein sehr einflussreiches Konzept vorgelegt. In seiner Praxeologie löst er sich vom strukturalistischen Paradigma, in dem die Strukturen als vollständig bestimmend für das Handeln gelten. Bourdieu schreibt den AkteurInnen wieder mehr Bedeutung zu und zieht dafür Begriffe wie Habitus, Feld, Kapital, Strategie und Interesse heran, die miteinander eng verknüpft sind. So verbindet er die Individuen und ihr Handeln mit der Gesellschaft und ihren Strukturen (vgl. Jurt 2008: 37; Zips 2008b: 243f.).

In diesem Abschnitt werde ich auf die zentralen Punkte der Praxeologie eingehen, da sich sowohl die ,KlientInnen‘ als auch die BetreuerInnen in den Werkstätten in Strukturen befinden, die über Jahrzehnte gewachsen und somit auch im Habitus verankert sind. Dabei sind diese Personen weder völlig selbstbestimmt in ihrem Handeln noch ausschließlich durch die Strukturen bestimmt. Aber dennoch haben sie die Strukturen internalisiert und sie reproduzieren durch ihr Handeln dieselbigen und halten sie so aufrecht (vgl. Sieder 2008: 147). Rechte, Gesetze und Regeln stellen in Bereich der Werkstätten ein wichtiges strukturierendes Prinzip dar, wobei ich bei diesen Überlegungen von Recht als etwas sozial Konstruiertem ausgehe, das gleichzeitig auf eine Gruppe von Menschen wirkt und so eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung schafft, die aber auch durch die Handlungen dieser Menschen verändert werden kann. Das Handeln selbst besitzt aber eine unbewusste Dimension, die es durch empirische Forschung aufzudecken gilt. Das bedeutet, dass Menschen dadurch, dass sie in die Strukturen hinein sozialisiert wurden, in ihrem Handeln unbewusst angemessen auf soziale Situationen reagieren. Das Schlüsselkonzept hierbei ist der Habitus, der vermittelnd zwischen den Menschen und ihrem Handeln sowie den gesellschaftlichen Strukturen steht (vgl. Jurt 2008: 54, 57; Zips 2008a: 222).

Bourdieu übernimmt die Idee des Habitus von Marcel Mauss und entwickelt sie weiter, um damit dauerhaft erlernte und verkörperte Dispositionen für das Handeln zu beschreiben (vgl. Eriksen 2001: 91). Genauer handelt es sich beim Habitus um ein „durch Sozialisation erworbenes Bündel aus Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata“, das das Denken und Handeln der AkteurInnen strukturiert (Zips 2007: 95). Der Habitus bezeichnet das gesamte Auftreten eines Menschen und umfasst alle Gewohnheiten und Wertvorstellungen sowie den Lebensstil, in denen die sozialen Strukturen und Machtbeziehungen eingeschrieben sind. Deshalb spiegelt sich in ihm die Gesellschaft wider, womit er auch als verkörperte Kultur beschrieben werden kann (vgl. Eriksen 2001: 91; Fuchs- Heinritz/König 2005: 113; Zips 2007: 97). Das Soziale wird somit zu einem Teil der Person. Mittels des Habitus bringen Menschen diese sozialen Strukturen in Form von Praxis wieder hervor und können so quasi natürlich an dieser teilnehmen, denn das Handeln ist unbewusst an die soziale Welt angepasst und erscheint daher als vernünftig, ohne auf rationale Überlegungen zurückzugreifen. Das Handeln folgt also einer inneren, unbewussten Logik. Unbewusst bedeutet in diesem Zusammenhang, dass vergessen wird, wie und wodurch der Habitus angeeignet wurde (vgl. Bourdieu 1972: 354; Fuchs-Heinritz/König 2005: 114, 116; Zips 2008b: 242, 255, 258).

Dennoch sind die Menschen in ihrem Handeln dem Habitus nicht „ausgeliefert“, sondern können durch Reflexion auch bewusste Entscheidungen treffen und haben innerhalb der vorstrukturierten Grenzen einen bestimmten Handlungsspielraum, was bedeutet, dass der Habitus letztlich auch veränderbar ist. Im Allgemeinen ist der Habitus zwar eher starr und wird nur in neuen und unbekannten Situationen sichtbar. Da der Habitus die Strukturen und Bedingungen, in denen er problemlos funktioniert, erhalten möchte, stellen neue Situationen eine Herausforderung für ihn dar. Aber durch seine grundsätzliche Veränderungsfähigkeit kann der Habitus auch mit neuen Situationen umzugehen lernen und sich an sie anpassen. Die Strukturen selbst, die mit dem Habitus in Übereinstimmung stehen, werden nur in den Praktiken beobachtbar (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 122, 130f.; Zips 2007: 95; Zips 2008b: 262).

Somit handelt es sich beim Habitus selbst um strukturierte und strukturierende Strukturen, die durch die Sozialisation erworben werden. Doch diese Sozialisierungs- und somit Erzeugungsgeschichte des Habitus wird vergessen und ist somit unbewusst (vgl. Bourdieu 1972: 165; Zips 2008b: 258). In diesem Sinne kann der Habitus auch als „Produkt von Geschichte“ bezeichnet werden, denn im Habitus ist seine gesamte Herstellungsgeschichte präsent (Zips 2008b: 257).

Der Habitus ist aber nie nur ein rein individueller Habitus; dieser stellt immer eine besondere Erscheinungsform eines kollektiven Habitus einer Gruppe dar. In einer sozialen Gruppe verfügen die Mitglieder über relativ ähnliche Habitusformen, die aufgrund ihrer Übereinstimmung auch ein aufeinander abgestimmtes Handeln hervorbringen. Diese Übereinstimmung kommt dadurch zustande, dass die Mitglieder einer Gruppe dieselben Strukturen internalisiert haben. Die individuelle Form des Habitus bildet sich in Abhängigkeit von der Stellung in den sozialen Strukturen heraus. Daher sind auch die Praktiken, die der Habitus als strukturierte Struktur hervorbringt, sowohl individuell als auch sozial (vgl. Bourdieu 1972: 172, 187ff.; Fuchs-Heinritz/König 2005: 119, 121; Zips 2008b: 255, 257, 263f.).

Das Gegenstück des Habitus bildet das Feld, das auch als sozialer Raum oder Handlungsraum verstanden werden kann. Die AkteurInnen bewegen sich und handeln in einem mehr oder weniger geschlossenen sozialen Feld, das sich aus den Positionen und Beziehungen der Menschen zueinander bildet. Die soziale Welt entsteht daher erst durch die Beziehungen zwischen den Personen. Daraus ergibt es sich eine bestimmte Struktur, die aber aufgrund der Relationen dynamisch und veränderlich ist. Die Relationen sind dabei von Auseinandersetzungen und interessegeleiteten Kapitaleinsätzen[3] bestimmt, wobei die Strukturen je nach individueller Position im Feld verändert oder aufrechterhalten werden sollen. Verfügen die AkteurInnen über Macht, tendieren sie eher dazu, die Strukturen, die ihnen diese Macht verleihen, aufrechtzuerhalten. Die Logik eines Feldes gibt zwar eine bestimmte Handlungsrichtung vor, determiniert die Praxis aber nicht. Die einzelnen Felder überschneiden sich zudem, etwa das Feld des Rechts und das Feld der Politik, aber sie versuchen gleichzeitig, eine gewisse Autonomie mit eigenen Regeln, Werten und Logiken zu erreichen (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 139, 143, 150; Jurt 2008: 91, 94, 98). Die Grenzen eines Feldes liegen dort, „wo die in dem einen Feld geltenden Ziele nicht mehr interessant erscheinen“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 147).

In einem Feld herrschen bestimmte „Spielregeln“, die weniger als Regeln denn als „strukturelle Tendenzen des in einem Feld üblichen, erwarteten und insofern vernünftigen Verhaltens“ (Zips 2007: 95) verstanden werden können. Indem Menschen verschiedene Kapitalformen einsetzen, um ihre Position im Feld zu erhalten beziehungsweise zu verändern, entstehen konkrete, beobachtbare Praktiken. Dabei passen sich die Menschen aber nicht nur an das Feld an, sondern üben auch Widerstand, unterwerfen sich oder weisen die Strukturen gänzlich zurück (vgl. Zips 2007: 100; Zips 2008b: 255, 265). Das Handeln folgt somit keinen vorgegebenen Regeln, auch wenn es regelmäßig erscheint, sondern ist durch den Habitus an die soziale Welt angepasst. Diese Passung entsteht durch die Historizität des Habitus und des Feldes. Nicht nur der Habitus verfügt über eine Geschichte, sondern auch das jeweilige Feld, wobei der Habitus auch die Geschichte des Feldes internalisiert. Beide sind somit aneinander angepasst und bedingen sich gegenseitig, denn im Habitus sind die Strukturen des Feldes verinnerlicht und das Feld entsteht erst durch die habituellen Praktiken (vgl. Jurt 2008: 65, 101). Als Grund für ihr Handeln werden von den Menschen zwar Regeln genannt, aber „die wirklich wirksamen Gesichtspunkte in ihrer Praxis sind ihrem Bewusstsein kaum zugänglich“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 118).

Wer, im Gegensatz zu Menschen, die in ein Feld hineingeboren wurden, neu in ein Feld kommt, übernimmt die Ziele des Feldes als eigene, aber muss sich zu deren Erreichung erst die erforderlichen „Spielregeln“ aneignen. Dieser Lernprozess und die Ausformung zu einem Teil des Feldes werden aber, wie oben erwähnt, vergessen und bleiben somit unbewusst. Dabei besteht die Gefahr, die Regeln und Notwendigkeiten des Feldes nie gänzlich zu habitualisieren und dadurch Nachteile im Feld davonzutragen (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 136, 148; Jurt 2008: 69). Explizite Regeln wie etwa Gesetze dienen im Sinne der Praxeologie daher dazu, „das partielle Versagen des Habitus zu regulieren, d.h. die Patzer wiedergutzumachen, die während der Einprägungsphase geschehen sind“ (Bourdieu 1972: 215) und somit ein dem Feld angemessenes Verhalten und Handeln zu ermöglichen. Bereits internalisierte Regeln werden aufgrund der Natur des Habitus vergessen, aber unbewusst befolgt. Durch die Regelbefolgung können sich Menschen in manchen sozialen Feldern außerdem Anerkennung verschaffen (vgl. Bourdieu 1972: 216f.).

Da jedes Feld in Wechselwirkung mit dem Habitus bestimmte, dem Feld eigene Praktiken hervorbringt, lässt sich folgern, dass ein gänzlich anderes Feld auch andere Praktiken entstehen lässt. Daher hat auch dasselbe Verhalten in unterschiedlichen Feldern jeweils eine andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert (vgl. Jurt 2008: 101; Zips 2008b: 251). Letztlich lässt sich das Wechselspiel zwischen Habitus, Struktur und Praxis in einem Feld folgendermaßen zusammenfassen: „Die Akteure strukturieren [Hervorhebung im Original] die gesellschaftlichen Verhältnisse durch ihre Interaktionen und werden zugleich selbst durch die Regeln der Interaktionen, durch die Verhältnisse, Beziehungen und Ressourcen strukturiert, in denen und mit denen sie tätig sind“ (Sieder 2008: 147). Dabei ist zu beachten, dass die Strukturen verinnerlicht in den Personen als auch außerhalb der Personen im Feld wirken. Neben der Strukturierung der Individuen erfolgt auch eine Strukturierung der Beziehungen zwischen den Individuen, wobei hier unterschiedliche Machtverhältnisse mitspielen (vgl. Sieder 2008: 147; Zips 2007: 94).

Eng mit dem Feld sind auch die Begriffe Kapital und Strategie verknüpft, denn in jedem Feld gelten andere „Spielregeln“ und Wertvorstellungen, woraus sich eine feldspezifische Ökonomie ergibt (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 142). In den Feldern, die auch als „Arenen des sozialen Lebens mit ihren Kämpfen um Positionen“ (Zips 2008a: 221) verstanden werden können, wirken verschiedene Machtverhältnisse, wobei die Menschen unterschiedliche Mittel einsetzen, um ihre Position zu halten oder zu verbessern. Bourdieu beschreibt diese Mittel als Kapital. Die AkteurInnen setzen in ihren Strategien das Kapital jedoch nicht nach rein rationalen Überlegungen ein, sondern sie tun dies meist unbewusst in Übereinstimmung mit ihrem Habitus. Das bedeutet, dass sie ihre Handlungen und Kapitaleinsätze, die vernünftig erscheinen, zwar strategisch ausrichten, aber das geschieht nicht in Form eines rationalen Abwägens, sondern als Produkt der habituellen Möglichkeiten (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 157, 171f.).

Mit dem Begriff Kapital erfasst Bourdieu aber ein wesentlich breiteres Verständnis von Kapital als eine rein marxistische Auffassung, für die Kapital ausschließlich ökonomisch definiert ist. Für Bourdieu handelt es sich dabei um verschiedene Formen der Macht. Um sich diese Macht anzueignen, bedarf es Arbeit, die je nach Kapital unterschiedlich ausfällt. Daher kann das Kapital auch als akkumulierte Arbeit oder soziale Energie betrachtet werden (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 157; Jurt 2008: 70). Bourdieu unterscheidet zwischen vier Kapitalarten, die er in ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital einteilt. Das ökonomische Kapital stellt den materiellen Besitz in Form von Geld und Gütern, die mit Geld erworben werden können, dar. Zwar scheint das ökonomische Kapital dominierend zu sein, indem Bourdieu diese Art den anderen Kapitalarten zugrunde legt, aber der Besitz anderer Kapitalien kann nicht immer direkt auf den Besitz ökonomischen Kapitals zurückgeführt werden. Das zeigt sich etwa beim kulturellen Kapital, das in drei Formen möglich ist. Erstens handelt es sich dabei um Objekte wie Gemälde, Kunstwerke und Bücher, wobei hier der Zusammenhang mit dem ökonomischen Kapital meist noch klar erkenntlich ist. Schwieriger wird diese Verknüpfung bei den anderen beiden Formen kulturellen Kapitals. Diese Kapitalart tritt zweitens auch in inkorporierter Form in Erscheinung, nämlich als Bildung und besonderes Wissen. Hier braucht es zwar persönliche Arbeit, um das Wissen an den eigenen Körper zu binden, aber nicht immer auch ökonomisches Kapital. Zudem ist diese Kapitalart nicht direkt in Geld umzuwandeln. Als dritte Form wird diese Bildung wieder veräußerlicht und in Form von Bildungstiteln und Abschlüssen sichtbar. Hier ist die Umwandlung des kulturellen in ökonomisches Kapital einfacher, da mit einem Abschlusszeugnis der Weg zur Erwerbsarbeit erleichtert wird (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 161-165; Jurt 2008: 70).

Das soziale Kapital bildet die dritte Kapitalform. Dabei handelt es sich um alle sozialen Beziehungen, die jemand einsetzen kann, um Unterstützung und Anerkennung zu erhalten. Diese Unterstützung ist nicht nur zwischenmenschlicher Art, etwa in Form von Trost, sondern besonders für die Akkumulation kulturellen und ökonomischen Kapitals relevant. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe kann die Chancen auf diese Kapitalbildung und -vermehrung steigern oder auch verringern. Hier wird der Aspekt der Arbeit für die Kapitalanhäufung ebenfalls deutlich, denn um die Beziehungen aufrecht und wirksam zu halten, bedarf es der ständigen Beziehungspflege (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 166; Jurt 2008: 77). Für Bourdieu stellt aber das symbolische Kapital die wertvollste Kapitalform dar (vgl. Bourdieu 1972: 349). Hierbei handelt es sich um die „Chancen, soziale Anerkennung und soziales Prestige zu gewinnen und zu erhalten“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 169). Genau genommen stellt es keine eigenständige Form dar, sondern es handelt sich dabei um das Ansehen und damit auch um die Macht, die jemand durch den Besitz einer der drei genannten Kapitalformen in einer Gruppe erhält. Erst wenn mit dem Besitz einer bestimmten Kapitalart Prestige und Anerkennung verbunden ist, wird dieses spezifische Kapital, zum Beispiel ein Bildungsabschluss, in einem sozialen Feld bedeutsam. Aber das Ansehen, das jemand mit dem Besitz einer Kapitalform bekommt, ist nicht einfach von einem Feld in ein anderes transferierbar. Was in einem Feld anerkannt und geschätzt ist, kann in einem anderen völlig wertlos oder gar kapitalmindernd sein (vgl. Jurt 2008: 84f.). Gruppen, die über wenig oder gar kein Kapitel in ökonomischer, kultureller oder sozialer Form verfügen, bleibt daher auch das symbolische Kapital verwehrt (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 171). Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, lassen sich als Beispiel für eine soziale Gruppe nennen, die in der österreichischen Gesellschaft kaum Ansehen und Anerkennung genießt.

Es geht in jedem Feld darum, Kapital zu bekommen und anzuhäufen, um die eigenen Position darin zu verbessern. Dabei sind die einzelnen Kapitalarten in einem Feld aber gegenseitig bis zu einem gewissen Maß konvertierbar, „weil Arbeit, Anstrengung und Mühe in jeder von ihnen materialisiert sind“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 160). Allerdings hat in jedem Feld jeweils eine andere Kapitalform besonderen Wert, weshalb das Kapital nicht einfach von einem Feld in ein anderes übertragbar ist (vgl. Zips 2008b: 255). Die Arbeit, die in die Anhäufung des Kapitals fließt, wird häufig als interessenslos dargestellt und somit verdeckt. Damit werden aber gleichzeitig auch die dahinterstehenden Machtbeziehungen unkenntlich gemacht (vgl. Zips 2007: 100). Das beinhaltet eine unhinterfragte und „bedingungslose Anerkennung der Einsätze“ und zugleich die „Verkennung des Willkürcharakters des Wertes“ (Bourdieu 1972: 354).

Einen besonders wichtigen Punkt in Bourdieus Praxeologie stellt das symbolische Kapital in Bezug auf Macht dar. Das symbolische Kapital dient dazu, einer Person Macht zu verleihen, wobei die Machtverhältnisse (meist) nicht offensichtlich sind. Die Autorität, die mit dem Besitz des symbolischen Kapitals einhergeht, lässt das Feld und die soziale Ordnung als natürlich und legitim erscheinen (vgl. Jurt 2008: 86). Diese vorherrschenden, anerkannten und unhinterfragten Deutungen der sozialen Welt nennt Bourdieu symbolische Gewalt. Diese Herrschaft durch die symbolische Gewalt wird aber von denen, die sich ihr unterwerfen, nicht bewusst angenommen und als gerechtfertigt anerkannt, sondern ist dem Habitus durch Sozialisation, etwa durch das Schulsystem und staatliche Institutionen, eingeschrieben. Durch den Habitus sind die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsspielräume vorstrukturiert, aber keineswegs determiniert, weshalb auch Personen, die in einem Feld eine niedrige Position einnehmen und deren Interessen nur wenig Berücksichtigung finden, die dominierenden Deutungen unbewusst akzeptieren. Widerstand kann in Folge nur aus diesen Deutungen heraus entwickelt werden. Somit werden die Machtbeziehungen von den Mächtigen und den sich Unterwerfenden gleichermaßen internalisiert. Häufig halten auch die Beherrschten an den Machtverhältnissen fest, da der Habitus, wie oben beschrieben, danach trachtet, die Strukturen, in denen er wie natürlich agieren kann, aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise reproduzieren die Beherrschten die Machtverhältnisse ebenso wie die Herrschenden und exkludieren sich so gewissermaßen unbewusst von bestimmten Lebenschancen (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 201f., 207ff.; Goeke/Kubanski 2012: o.S; Zips 2008b: 258f.).

Denn durch den Habitus sind dem Denken und Handeln Grenzen auferlegt und somit erscheinen nicht alle Handlungen durchführbar beziehungsweise alle Ziele erstrebenswert und erreichbar. Durch diese symbolische Gewalt werden „Grenzen (der Berechtigung, des Einflusses, von Lebenschancen etc.) zwischen Individuen und zwischen Gruppen gezogen“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 208). Mit einem bestimmten Habitus sind daher immer auch gewisse Handlungsspielräume und –chancen verbunden, die je nach Position unterschiedliche Möglichkeiten bieten.

Eingeschränkte Möglichkeiten betreffen besonders Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, denn Behinderung als soziale Ungleichheit impliziert eine andere, meist benachteiligte Ausgangslage als bei Menschen ohne Behinderung. Ihre Selbstbestimmung ist in vielen Feldern eingeschränkt beziehungsweise finden sie erst gar keinen Zugang zu Feldern, die gesellschaftliche Anerkennung versprechen. Bereits im Kindesalter werden sie etwa durch medizinische und pädagogische Gutachten bestimmten Institutionen und somit Feldern zugewiesen und so von der Gruppe nicht-behinderter Menschen ausgeschlossen (vgl. Maschke 2007: 299; Goeke/Kubanski 2012: o.S.). In manchen Feldern kann „Behinderung als inkorporierte, erzieherische und sozialisatorische Erfahrungsgeschichte“ (Goeke/Kubanski 2012: o.S.) daher eine Integration erschweren oder verhindern.

Wie die Sozialwissenschafterinnen Goeke und Kubanski deutlich machen, können die „Beschäftigungstherapiewerkstätten“ als Felder gesehen werden,

„in denen bestimmte ökonomische, kulturelle und soziale Bedingungslagen den Erwerb von Kapitalien ermöglichen oder einschränken. Aktuelle Forschungsarbeiten verdeutlichen, dass in diesen Feldern besondere subjektive Wahrnehmungen, Wertschätzungen und Wahlpräferenzen existieren, die sich bspw. durch die eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten von Kapitalien auszeichnen“ (Goeke/Kubanski 2012: o.S.).

Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung verfügen meist über weniger Kapital in jeder Form, was ihre Handlungsschancen einschränkt. Die Menschen, die als ,KlientInnen‘ in den Werkstätten tätig sind, können oft nur einen Sonderschulabschluss vorweisen, womit beispielsweise keinerlei kulturelles Kapital verbunden ist. Während sie also aus bestimmten Feldern ausgeschlossen werden, kann diese Personengruppe in anderen Feldern wie der Werkstatt dennoch feldspezifisches Kapital erwerben und so in einem beschränkten Rahmen Anerkennung finden (vgl. Goeke/Kubanski 2012: o.S.).

In diesem Feld „Beschäftigungstherapie“, in dem Macht- und Kraftverhältnisse zwischen den AkteurInnen herrschen, verinnerlichen die Personen, sowohl die ,KlientInnen‘ als auch die BetreuerInnen, die Strukturen in ihren Habitus (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 155). Der Habitus ermöglicht es, sich dem Feld und all seinen Veränderungen quasi natürlich anzupassen. So verändert sich etwa der Habitus der ,KlientInnen‘ mit den Strukturen und passt sich beispielsweise an die Paradigmenwechsel innerhalb der Behindertenarbeit – von Verwahrung in psychiatrischen Einrichtungen bis hin zu Selbstbestimmung und Inklusion – an. In ihm spiegeln sich aber auch die Machtverhältnisse und Ungleichheiten des Feldes. Ein solcher Habitus wird häufig als anpassungswillig, freundlich, unkritisch und dankbar beschrieben, wobei diese Personengruppe gelernt hat, das Vorgefundene hinzunehmen und Veränderungswünsche nicht zu äußern, da damit eventuell negative Konsequenzen verbunden sein könnten (vgl. Spiess 2004: 121). Diese Ausführungen machen nachvollziehbar, dass die Möglichkeiten und die Selbstbestimmung von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung aufgrund ihrer habituellen Dispositionen eingeschränkt sind. Letztlich „kann daher betont werden, dass für Menschen mit Behinderungen andere Spielregeln [Hervorhebung im Original] gelten als für Menschen ohne Behinderungen, die den Zugang zu den unterschiedlichen Feldern ermöglichen oder versperren“ (Goeke/Kubanski 2012: o.S.).



[3] Auf Bourdieus Kapitalverständnis, das mehr als das ökonomische Kapital umfasst, wird ab Seite 51 näher eingegangen.

4. Methodischer Zugang

Dieses Kapitel setzt sich mit den Methoden auseinander, die für die Datenerhebung angewendet wurden. Dabei wird besonders auf die Punkte eingegangen, die bei der Forschung mit und über geistig behinderte Menschen beachtet werden sollen.

4.1. Personengruppe

In der Feldforschung habe ich meinen Fokus auf die Sichtweisen und Erfahrungen von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung gelegt, da diese meiner Einschätzung nach nur selten zu Wort kommen. Wenn es in sozialwissenschaftlichen Arbeiten um Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung geht, werden vorwiegend nur die Sichtweisen und Erfahrungen Angehöriger oder der BetreuerInnen erfragt. Meist wird nur über diese Personengruppe gesprochen, ohne sie nach ihren Erfahrungen zu befragen. Häufig wird auf diese Weise für sie gesprochen und ihnen somit die Möglichkeit genommen, für sich selbst zu sprechen. Damit steht die Meinung in Verbindung, Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung könnten keine gültigen Informationen geben. Wie auch die Pädagogen Koenig und Buchner, die der „Annahme der größtmöglichen sprachlichen Kompetenz des Interviewpartners bzw. der Interviewpartnerin“ folgen (Koenig/Buchner 2011: 146), gehe ich ebenfalls aufgrund meiner beruflichen Erfahrung vom Gegenteil aus. Für meine Forschung gelten Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung als die glaubwürdigsten InformantInnen, wenn es um ihre Lebenssituation und Sichtweise geht, denn „people with an intellectual disability are experts on their own experiences“ (Knox/Mok/Parmenter 2010: 57).

In der Forschung, für die ich einen qualitativen Zugang gewählt habe, um die Erfahrungen geistig behinderter Erwachsener zu erheben, habe ich mich auf Personen konzentriert, die sich verbal ausdrücken können und dabei im Interview als methodische Vorgabe besonders auf einfache Formulierung geachtet. Personen, die ausschließlich non-verbal mit Hilfsmitteln oder anderen körpereigenen Ausdrucksformen als der Sprache, zum Beispiel Gebärdensprache, Sprachausgabecomputer oder Bildkarten, kommunizieren, habe ich nicht interviewt, da es hierfür eine stärkere Vertrauensbasis braucht, um zielgerichtet miteinander kommunizieren zu können. Weiters hätte ich hier eine andere Methodik benötigt (Anfertigung von Symbolkarten, GebärdensprachdolmetscherIn), um die Interviews durchführen zu können. Zudem wäre hier die Auswertungsstrategie anders anzulegen als bei leitfadengestützten Interviews. Durch diese Einschränkung ist mir bewusst, dass in meiner Forschung nur ein kleiner Teil der Menschen mit Behinderung zu Wort kommt und wiederum die Sichtweise der Personen exkludiert wird, die ohnehin kaum „gehört“ werden, also jene, die über keine verbale Kommunikation verfügen, dafür aber über ein breites Repertoire an non-verbalen Ausdrucks- und Mitteilungsformen.

4.2. Auswahl des Vereins

Da die Werkstätten in Wien unterschiedliche Arbeitsbereiche von kreativer Arbeit bis hin zu Dienstleistungen wie Gartenpflege und Übersiedelungshilfe anbieten, habe ich mich entschlossen, mich auf einen Tätigkeitsbereich zu beschränken. Jeder Arbeitsbereich hat unterschiedliche Anforderungen, Abläufe und somit eine eigene „Logik“. Ich habe mich für die Industrie- und Auftragsarbeit entschieden, da ich diese aus meiner Arbeit relativ gut kenne und sie nicht unumstritten ist. Für einige Werkstätten stellt die Ausführung von Industriearbeiten im Auftrag verschiedener Firmen einen wichtigen Teil des Beschäftigungsangebotes und teilweise der Finanzierung der Institution dar. Firmen geben einen Teil ihrer Produktion (etwa Sortierarbeiten, Einpacken von Arbeitskleidung) an Werkstätten ab, da diese die Arbeiten sehr günstig ausführen. Zudem können Aufträge so in einzelne Arbeitsschritte zerlegt werden, dass jede/r wie bei einem Fließband mitarbeiten und sich so als produktiv erleben kann. Andererseits werden aber die Monotonie der gleichbleibenden Arbeitsschritte sowie die geringe finanzielle Entschädigung für die Arbeit kritisiert.

In der konzeptuellen Phase der Arbeit habe ich daran gedacht, in mehreren Werkstätten verschiedener Vereine zu forschen. Da sich dieses Vorhaben schnell als viel zu komplex erwiesen hat, habe ich beschlossen, mich nur auf einen Verein zu konzentrieren und innerhalb des Vereins mehrere Werkstätten abzudecken. Dazu habe ich die Homepages aller Vereine, die in Wien eine Tagesstruktur anbieten, nach Industriearbeit durchsucht, wobei laut diesen Informationen nur die drei Vereine Lebenshilfe, Jugend am Werk und Bandgesellschaft Industrie- und Auftragsarbeiten durchführen. Ich habe schließlich den Verein Lebenshilfe ausgewählt, da er in Wien zu den größten und ältesten Vereinen gehört. Zudem ist das Leitbild des Vereins online leicht zugänglich und laut Zeitungsberichten will die Lebenshilfe verstärkt als Arbeitgeberin auftreten und kollektivvertraglichen Lohn anbieten. Die Lebenshilfe ist in Bezug auf diese Forderungen medial sehr präsent. Außerdem unterhält der Verein Kontakte zu politischen EntscheidungsträgerInnen, unter anderem durch die starke SelbstvertreterInnen-Bewegung. Selbstvertretung bedeutet, dass Menschen mit Behinderung für sich selbst sprechen und sich für ihre Rechte einsetzen, etwa eigene Entscheidungen treffen zu können. Je nach Bedarf erfolgt dieses Für-Sich-Selbst-Sprechen mit Unterstützung durch Personen ohne Behinderung (vgl. Kennedy/Killius 2004: o.S.).

Nachdem ich mich mit den rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen vertraut gemacht und mich mit ersten relevanten theoretischen Ansätzen beschäftigt habe, war der nächste Schritt die Kontaktaufnahme per E-Mail mit den vier Lebenshilfewerkstätten, die Industriearbeit anbieten. Von zwei Werkstätten habe ich keine Rückmeldung erhalten, eine weitere hat aufgrund von Zeitmangel abgesagt und eine Werkstatt hat mir schließlich die Zusage zur Forschung gegeben. Somit musste ich mein Forschungsvorhaben auf eine Werkstatt reduzieren, was sich aber im Laufe der Forschung als sehr positiv herausgestellt hat. Zum einen war die Phase der Datenerhebung intensiver als gedacht und zum anderen konnte ich so einen tieferen Einblick in die Abläufe und Strukturen der Werkstatt gewinnen. In einem Erstgespräch mit dem Werkstättenleiter habe ich mein Vorhaben erklärt und mit ihm festgelegt, dass ich in allen Gruppen der Werkstatt teilnehmende Beobachtung und Interviews durchführen kann. Der Pädagoge Buchner verweist auf die Problematik, die mit der Vorgehensweise, die Einrichtungen direkt zu kontaktieren, verbunden ist. Denn häufig entscheiden die EinrichtungsleiterInnen darüber, ob in der Institution überhaupt geforscht werden darf und wenn sie die Forschung ermöglichen, würden sie oft vorgegeben, wer mit welcher Methode befragt werden sollte (vgl. Buchner 2008a: 518). Ich war in meinem Forschungsvorhaben zwar sehr stark von der allgemeinen Bereitschaft der WerkstättenleiterInnen abhängig, allerdings habe ich die von Buchner beschriebenen Einschränkungen in der Werkstatt selbst nicht erlebt. Dort sind alle MitarbeiterInnen der Werkstatt meiner Forschung offen und interessiert gegenüber gestanden und es gab ihrerseits keine Vorgaben bezüglich der zu befragenden Personen oder der geeignetsten Methoden.

4.3. Beschreibung der Werkstatt und der ,KlientInnen‘

Die Werkstatt, in der etwa 60 Menschen mit sogenannter geistiger und mehrfacher Behinderung arbeiten, besteht aus vier Gruppen, die alle mehr oder weniger Industriearbeit durchführen, wobei jede Gruppe einen eigenen Schwerpunkt hat. Ich habe in drei der vier Gruppen geforscht. Die Industrie- und Auftragsarbeiten, die in der Werkstatt ausgeführt werden, kommen meist von den Firmen, mit denen schon seit vielen Jahren Verträge bestehen. Zu den wichtigsten Firmen zählen eine große österreichische Schreibwarenfirma, ein Wiener Theater und eine in Wien ansässige Botschaft. Die häufigsten Arbeiten, die ich in der Zeit, in der ich in der Werkstatt geforscht habe, kennengelernt haben, waren folgende: Einsortieren von Stiften, Malkreiden und anderem Schreibzubehör in Etuis aus Blech oder Karton, danach Einschweißen der Etuis in Plastikfolie und Verpacken in Kartons; Betriebsanweisungen für Personenlifte in Mappen einordnen; Versandarbeiten (Kuverts mit Adressensticker bekleben, Einladungen und Programme einkuvertieren und für den Versand fertigstellen). Bei den Aufträgen, etwa für die Schreibwarenfirma, werden alle Bestandteile einzeln geliefert, was bedeutet, dass die MitarbeiterInnen mit Behinderung alle Arbeitsschritte durchführen. So müssen beispielsweise erst die Kartonetuis gefaltet oder die Adressen auf die zu versendenden Kuverts geklebt werden, bevor Stifte oder Einladungen hineingegeben werden können.

Die erste Gruppe, in der ich auch die meiste Zeit verbracht habe, besteht zum Zeitpunkt der Forschung aus 18 SchulabgängerInnen und jungen Erwachsenen, die in einem zweieinhalbjährigen Berufsorientierungskurs Praktika absolvieren, um ihre berufliche Zukunft zu planen. Die Jugendlichen machen neben der Arbeit in der Werkstatt interne Praktika bei der Lebenshilfe, wobei sie in andere Gruppen und Arbeitsbereiche hinein schnuppern können. Weiters absolvieren einige von ihnen auch externe Praktika bei Firmen am ersten Arbeitsmarkt, um möglicherweise dort ein Langzeitpraktikum oder eine Anstellung zu finden. Einen Großteil der Zeit verbringen sie aber in der Werkstatt, wo sie Auftragsarbeiten für Firmen erledigen. Für diese Gruppe sind drei reguläre GruppenbetreuerInnen zuständig, die den Ablauf in der Werkstatt strukturieren, und drei IntegrationsbegleiterInnen, die Praktika organisieren.

Die zweite Gruppe, in der ich aber nicht geforscht habe, macht zwar auch Industriearbeit, aber in einem geringeren Maße. In dieser Gruppe arbeiten vor allem Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf, weshalb hier andere Tätigkeiten wie die generelle Strukturierung des Tages und die Vermittlung alltagspraktischer Fähigkeiten mehr im Vordergrund stehen als die Industriearbeit.

Die dritte Gruppe, in der 13 Menschen arbeiten, hat neben der Industriearbeit auch einen kreativen Schwerpunkt und wird von zwei BetreuerInnen begleitet. Die vierte Gruppe besteht aus 15 ,KlientInnen‘ und hat ebenfalls einen zusätzlichen Schwerpunkt. Diese Gruppe widmet sich der Öffentlichkeitsarbeit, was bedeutet, dass diese Gruppe Vorträge in und außerhalb der Werkstatt über ihre Arbeit hält. Wenn neue Zivildiener eingeschult werden oder KrankenpflegeschülerInnen die Werkstatt besuchen, referiert diese Gruppe über ihre Tätigkeiten.

Die Gruppen sind allgemein sehr heterogen hinsichtlich des Alters, der diagnostizierten Behinderung (unter anderem auch körperliche Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen) und der Arbeitsfähigkeit. Die individuelle Ausgangslage der ,KlientInnen‘ ist teilweise höchst unterschiedlich. Ich nenne in dieser Arbeit keine Diagnosen und gebe keine einzelnen Falldarstellungen – zumal ich auch keine Berechtigung besitze, Einblick in Akten der ,KlientInnen‘ zu nehmen und das auch gar nicht wollen würde – , aber es soll festgehalten werden, dass die Art der Behinderung für die rechtliche Definition, etwa ob jemand Anspruch auf einen Platz in der Tagesstruktur hat, wichtig ist. Zudem soll der Fokus durch eine solche Diagnose und Definition nicht auf Defizite gelenkt werden, womit die zugeschriebene Behinderung als dominierendes Merkmal der Person in den Vordergrund gerückt werden würde. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Behinderung, wie oben erwähnt, kein universell definierbares Phänomen ist, sondern es immer von historischen und kulturellen Entwicklungen und Bedingungen abhängt, was als Behinderung gesehen wird. Für diese Arbeit sind also einzelne Diagnosen und Behinderungsbilder nicht von Bedeutung, sondern vielmehr, wie Personen, die von offiziellen Stellen nach bestimmten Kriterien als behindert eingestuft werden, ihre Situation selbst erleben. Es geht um die Erfahrungen und Sichtweisen dieser Menschen und nicht darum, welche Art von Behinderung ihnen diagnostiziert wurde und wie sich diese äußert. Dabei ist, wie sich in der Analyse zeigen wird, für die Personen selbst Behinderung nicht immer ein dominierendes Thema.

4.4. Verwendete Methoden

Die Phase der Datenerhebung hat sich von Anfang Oktober 2013 bis Ende Jänner 2014 erstreckt. Ich war bis Mitte Jänner wöchentlich jeden Montag und Dienstag ganztägig in der Werkstatt, um dort teilnehmende Beobachtung und Interviews durchzuführen. In der Zeit danach habe ich noch letzte Interviews mit Expertinnen und der Initiatorin der Selbstvertretung der Lebenshilfe Wien geführt. Um einen fundierten Einblick in das Forschungsfeld zu erhalten, habe ich eine Kombination verschiedener Methoden gewählt, die sich gegenseitig ergänzen und unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund rücken.

4.4.1. Teilnehmende Beobachtung

Die Datenerhebung habe ich mit der teilnehmenden Beobachtung begonnen, um das Forschungsfeld und den Arbeitsalltag kennenzulernen und darauf aufbauend die Interviews zu strukturieren. Wie oft in der Methodenliteratur empfohlen, stellt diese Methode in anthropologischen Forschungen meist nur eine unter mehreren dar. Diese Methodentriangulation bietet den Vorteil, dass sich die verschiedenen methodischen Zugänge gegenseitig ergänzen (vgl. Beer 2003: 11; Mason 2002: 84). Wie bedeutsam gerade die Kombination aus teilnehmender Beobachtung und Interviews ist, betont der Anthropologe Bruno Illius: „Interview und teilnehmende Beobachtung sind untrennbar; sie brauchen und bedingen einander“ (Illius 2003: 88). Auch im Forschungsfeld Werkstatt waren beide Methoden notwendig, um die Erfahrungen der MitarbeiterInnen mit Behinderung erfassen zu können. Denn während es in Interviews vor allem um die inhaltliche und sprachliche Ebene geht, umfasst die teilnehmende Beobachtung mehr, „it also involves knowledge through the body, through all the senses“ (Okely 2012: 77). Diese sensorische Ebene war für mich insofern von Bedeutung, als dass ich selbst erfahren habe, wie es ist, eine gleichbleibende Tätigkeit zuerst zu erlernen und dann über einen Zeitraum von mehreren Stunden durchzuführen, wie dies bei der Industriearbeit der Fall ist.

Die AnthropologInnen Dewalt, Dewalt und Wayland und der Soziologe Mayring verstehen die teilnehmende Beobachtung, die als die zentrale Methode der Kultur- und Sozialanthropologie gilt, als die Teilnahme an sozialen Situationen, wie etwa Ritualen, Interaktionen und Alltagsabläufen, um dadurch die Innensicht der Personen, die in diesem sozialen Feld agieren, besser verstehen zu können. So werden nicht nur explizite, sondern besonders implizite Aspekte, die in Interviews nicht deutlich hervortreten, greifbar (vgl. Dewalt/Dewalt/Wayland 1998: 260f.; Mayring 2002: 80f.). Ich habe versucht, möglichst offen, aber gleichzeitig mit meiner Forschungsfrage im Hinterkopf, ins Feld zu gehen und hatte anfangs noch keine genaue Punkte, die ich beobachten wollte. Die Forschungsfrage hat zwar eine Richtung vorgegeben, aber die relevanten Aspekte wurden erst im Laufe der Zeit deutlich. Daran anknüpfend habe ich informelle Gespräche sowohl mit ,KlientInnen‘ als auch BetreuerInnen geführt, um langsam eine Vertrauensbasis aufzubauen. Ich habe mich zu den ,KlientInnen‘ gesetzt und mit ihnen mitgearbeitet, um besser ins Gespräch zu kommen und die tatsächlichen Tätigkeiten kennenzulernen. Kennenlernen der Tätigkeiten bedeutet, dass ich die Arbeiten auch selbst ausprobiert habe, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, etwa den ganzen Tag Stifte in Kartons einzufüllen, und um so die Erfahrungen der MitarbeiterInnen mit Behinderung besser nachvollziehen zu können. Dabei habe ich nicht nur beobachtet, welche Arbeiten wie verrichtet wurden, sondern besonders wer mit wem wie im Arbeitsprozess interagiert hat und welche Themen von den Personen dabei besprochen wurden. Diese Teilnahme impliziert auch eine emotionale Involvierung, was eine Gratwanderung zwischen Sympathie und Objektivität zur Folge hat (vgl. Dewalt/Dewalt/Wayland 1998: 262). Zudem ist jede Beobachtung subjektiv und selektiv, weshalb es eine ständige Reflexion des eigenen Tuns und Interpretierens benötigt (vgl. Mason 2002: 86, 89).

Besonders wichtig dabei war eine Reflexion über meine Rolle als Forscherin. Ich habe mich in jeder Gruppe vorgestellt und erklärt, was ich hier mache und betont, dass ich keine Betreuerin bin. In den ersten Wochen war es für die MitarbeiterInnen mit Behinderung sichtlich schwierig, mich einzuordnen, denn ich war weder Betreuerin noch Praktikantin. Auch wenn sehr häufig Menschen ohne Behinderung in die Werkstatt kommen, so sind es doch meist BesucherInnen einschlägiger Ausbildungen oder PraktikantInnen. Daher gibt es nur wenige Rollen für Menschen ohne Behinderung in der Werkstatt, wozu die Rolle der Forscherin/des Forschers wahrscheinlich kaum zählt. Daher musste ich besonders während der Arbeit immer wieder verdeutlichen, dass ich keine Betreuerin bin. Ich wurde aber bis zum Schluss meiner Forschung von einigen MitarbeiterInnen mit Behinderung um Erlaubnis für bestimmte Tätigkeiten gebeten, worauf hin ich erklärt habe, welche Rolle ich einnehme und dass ich dafür nicht zuständig bin. Um meine Rolle klar zu machen, habe ich Betreuungstätigkeiten weitgehend vermieden. Ich wurde nur äußerst selten von BetreuerInnen zu einfachen Betreuungstätigkeiten aufgefordert und wenn doch, wurde ich vorher gefragt, ob ich es machen will. Aufgrund meiner Ausbildung war diese Abgrenzung nicht immer einfach und hat besonders viel Reflexionsarbeit erfordert. Ich habe mir auch wiederholt die Frage gestellt, welches Verhalten von mir erwartet wird beziehungsweise was ich glaube, welches Verhalten von mir erwartet wird. Situationen, in denen ich als Behindertenpädagogin klar eingegriffen hätte, aber als Forscherin zurückhaltend geblieben bin, waren für mich teilweise schwierig. Diese Unsicherheit bezüglich der Erwartungen wird besonders von AnthropologInnen beschrieben, die mit Kindern mit Behinderungen geforscht haben. In solchen Forschungen wird empfohlen, eine „playful friend role“ einzunehmen, was in einem noch stärkeren Kontrast zu der Rolle der Betreuungsperson steht. Aber gerade in diesen Forschungsfeldern werden AnthropologInnen häufig dazu aufgefordert, einfache Betreuungstätigkeiten zu übernehmen. So werden ForscherInnen in einem Setting wie Kindergarten oder Schule oftmals schneller und leichter in eine eher autoritäre Rolle „gedrängt“ (vgl. Davis/Watson/Cunningham-Burley 2000: 213-217). Mir war es deswegen so wichtig, als Forscherin und nicht als Betreuerin wahrgenommen zu werden, um die Machtverhältnisse, die in einem Betreuungsverhältnis unweigerlich mitspielen, zu reduzieren und so eine andere Vertrauensbasis zu schaffen. Zudem war ich von Beginn an mit allen MitarbeiterInnen mit Behinderung per Sie – selbst wenn sie mich mit „Du“ angesprochen haben – um Ihnen auch auf der sprachlichen Ebene zu vermitteln, dass ich eine andere Position als die MitarbeiterInnen ohne Behinderung einnehme. So wollte ich nicht nur das Verhältnis zwischen mir und den MitarbeiterInnen mit Behinderung auf eine andere Ebene stellen, sondern ihnen so auch vermitteln, dass ich Ihnen in der Forschung als erwachsene Menschen begegne. Ich war nur mit den MitarbeiterInnen mit Behinderung per Du, die mir von sich aus das Du-Wort angeboten haben.

In den Pausen und in Phasen, in denen ich nicht bei den MitarbeiterInnen mit Behinderung gesessen bin, habe ich mir Notizen über meine Beobachtungen gemacht. Am Anfang war es für die MitarbeiterInnen mit Behinderung ungewohnt, da ich zu Beginn immer wieder gefragt wurde, was ich denn da aufschreibe. Meine Antwort war, dass ich wichtige Dinge, die ich erfahren habe, aufschreibe, um sie nicht zu vergessen. Schreiben oder damit verbundene Tätigkeiten, wie das Führen von Listen am Computer, scheinen in der Werkstatt aber normal zu sein, da die BetreuerInnen ebenfalls sehr viel Zeit mit der Dokumentation von Arbeitsabläufen, Anwesenheit und besonderen Vorfällen verbringen. Breidenstein et.al. verweisen darauf, dass die Gelegenheiten, das Beobachtete notieren zu können, je nach Forschungsfeld sehr unterschiedlich sind und es „in Feldern, in denen das Schreiben selbst ständig praktiziert wird“, relativ normal erscheint, etwas aufzuschreiben (Breidenstein et.al. 2013: 88). Im Laufe der Zeit wurde es selbstverständlich, dass ich in den Pausen schreibe, was von den MitarbeiterInnen mit Behinderung häufig so kommentiert wurde: „Du schreibst, weil du das für deine Arbeit brauchst“.

4.4.2. Leitfadengestützte Interviews

Im Laufe der Feldforschung habe ich insgesamt 25 leitfadengestützte Interviews geführt. Davon fanden 16 Interviews mit MitarbeiterInnen mit Behinderung in der Werkstatt statt, vier Interviews mit Betreuungspersonen und dem Leiter der Werkstatt, vier Interviews mit pädagogischen und juristischen ExpertInnen und ein Interview mit der Gründerin der SelbstvertreterInnen der Lebenshilfe Wien. Ein Interviewleitfaden sollte als Hilfsmittel dienen, um alle notwendigen Informationen zu bekommen und um den Erzählfluss durch Nachfragen aufrechtzuerhalten. Für die verschiedenen Interviewgruppen habe ich angepasste Interviewleitfäden erstellt. Ich habe die Methode des leitfadengestützten Interviews deswegen gewählt, da diese Interviewform eine große Flexibilität erlaubt (vgl. Flick 2002: 143). Je nach Bedarf konnte ich die Fragen sehr offen und narrativ, aber auch geschlossen und fokussiert formulieren. Ein weiterer Grund für diese Methode war, dass ich dadurch Einblick in einen bestimmten Ausschnitt der Lebenswelt der Interviewten erhalten konnte. Narrative Interviews wären für diese Thematik und die befragten Personen, wie ich weiter unten noch genauer ausführen werde, zu breit und teilweise überfordernd gewesen. Dennoch gibt es in zahlreichen Interviews narrative Abschnitte, was aber sehr stark von der jeweiligen Person abhängig war.

4.4.2.1. Interviews mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung

Lange galten Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung als nicht befragbar, weshalb die methodischen Anweisungen für solche Interviews besonders im deutschsprachigen Raum nur in einem geringen Umfang entwickelt sind (vgl. Buchner 2008a: 516; Koenig/Buchner 2011: 146). Generell gibt es nur wenig anthropologische Methodenliteratur für die Erforschung der Lebenswelten von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Ich habe mich daher an allgemeine Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie angelehnt und orientiert, aber dort, wo es notwendig war, die Methode angepasst. Aus dem pädagogischen Bereich gibt es zwar konkretere Anweisungen für Interviews mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, aber auch diese erfolgen meist nur in Form kurzer Vermerke (vgl. Buchner 2008a: 516). Daher habe ich mir vorwiegend aus der pädagogischen Literatur sehr viele methodische Anweisungen geholt.

Die Interviews mit den MitarbeiterInnen mit Behinderung hatten eine Dauer von 10 Minuten bis zu einer Stunde. Die meisten Interviews waren aber im Bereich von 35 bis 45 Minuten angesiedelt, was auch in der Methodenliteratur bestätigt wird (vgl. Buchner 2008a: 522). Obwohl ich in allen Interviews Erzählaufforderungen und von Beginn an offene Fragen gestellt habe, haben diese nur teilweise einen wirklichen Erzählfluss provoziert. Daher musste ich sehr häufig zwischen offenen und geschlossenen Fragen wechseln. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass bei geschlossenen Fragen noch sehr oft eine Erzählung kam, was bei offenen Fragen nur bei wenigen Personen der Fall war. Der Pädagoge und Rehabilitationswissenschaftler Schäfers verweist auf die relativ hohe kognitive Kompetenz, die bei offenen Fragen gefordert ist. Daher kommt es bei offenen Fragen oftmals zu einer Überforderung, was sich in „Antwortverweigerung oder einer ,Weiß-nicht‘-Antwort äußert“ (Schäfers 2008: 160). Das hat sich auch in meiner Forschung bestätigt. Um eine solche Überforderung zu vermeiden, wird in der Methodenliteratur empfohlen, dem/der Interviewpartner/in Hilfestellungen zu geben, indem offene Fragen eingegrenzt oder geschlossen werden (vgl. Spiess 2004: 119). Möglicherweise sind es Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung auch einfach nicht gewöhnt, frei und lang zu erzählen. Generell lässt sich sagen, dass es stark personenabhängig war, wie lang die Interviews gedauert haben und ob eher Erzählungen oder kürzere Antworten überwogen haben. Der Pädagoge Buchner empfiehlt ein „offenes Interviewkonzept [Hervorhebung im Original] – mit genügend Platz und Flexibilität für eventuell im Zuge des Gesprächs auftauchende, nicht im Leitfaden enthaltene Bereiche und Aspekte“ (Buchner 2008a: 521), was sich auch für mein Vorgehen als äußerst sinnvoll erwiesen hat.

Zudem hatte ich den Eindruck, dass die Interviewsituation für viele ungewohnt und teilweise unbekannt war. Zwar waren es einige meiner InterviewpartnerInnen gewöhnt, Interviews zu geben, aber für den Großteil scheint es eine neue Erfahrung gewesen zu sein. Bei meiner Anfrage, ob sie mir ein Interview geben würden, wussten einige der MitarbeiterInnen mit Behinderung nicht, was ein Interview ist. Daher musste ich das im Vorfeld erklären, danach habe ich aber immer eine Interviewzusage erhalten. Auffällig war weiters, dass einige meiner InterviewpartnerInnen im Werkstättenalltag sehr gesprächig und eloquent waren, im Interview selbst aber wirkten sie verunsichert und wortkarg. Mit ein Grund für die Verunsicherung war für einige zu Beginn des Interviews auch das Aufnahmegerät, das zwar klein, aber doch präsent war. Wenn ich gemerkt habe, dass sie das Gerät verunsichert, habe ich meine InterviewpartnerInnen darauf angesprochen und ihnen erklärt, dass sie es ausblenden sollen. Die Aufnahme würde nur für mich sein und nur ich würde sie hören. Nach den ersten Fragen konnten aber alle das Gerät ausblenden und schienen sich nicht mehr dadurch verunsichert gefühlt zu haben.

Nach Ende des Interviews habe ich mit allen, die das wollten, kurze Ausschnitte des Interviews angehört, um ihnen das Medium Aufnahmegerät näher zu bringen und um sie die eigene Stimme hören zu lassen, was meist sehr humorvoll kommentiert wurde. Daher kann angenommen werden, dass die Interviewsituation etwas ist, womit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung selten in Berührung kommen oder das gar etwas völlig Unbekanntes darstellt, was sich auch mit der Annahme decken würde, dass diese Personen selten als InterviewpartnerInnen in Betracht gezogen werden (vgl. Spiess 2004: 119). Hier verweist Buchner auf das „weit verbreitete Vorurteil, dass Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung nicht ausreichend reflektieren, abstrakt denken und sich mitteilen können“ (Buchner 2008a: 518f.). In meiner Forschung wurde ganz klar deutlich, dass dieses Vorurteil nicht zutreffend ist.

Bei der Fragenformulierung selbst habe ich, noch bevor ich tatsächliche methodische Anweisungen gelesen hatte, versucht, die Fragen einfach und konkret zu stellen. Schon vor Beginn der Interviews war klar, dass die Fragen so nahe wie möglich an den Lebenswelten und Erfahrungen der MitarbeiterInnen mit Behinderung sein müssen. So sollen sich die befragten Personen im Interview kompetent fühlen können und die „Situation muss ihnen bewältigbar erscheinen“ (Spiess 2004: 122). Alle Fragen, die zu abstrakt waren, stellten in den Interviews eine große Herausforderung dar und waren für die meisten nicht zu beantworten. Mit diesen Erfahrungen konnte ich die Fragen von Interview zu Interview verbessern und wusste, worauf ich achten musste, um die Situation für die InterviewpartnerInnen angenehm zu machen. Wichtig war dabei besonders das Interviewsetting, bei dem empfohlen wird, das Interview in der gewohnten Umgebung der Personen durchzuführen (vgl. Breinlinger 2011: 81). Vor den Interviews habe ich meine InterviewpartnerInnen gefragt, wo sie das Interview machen wollen. Nur von wenigen kamen konkrete Vorschläge, daher habe ich meist das Besprechungszimmer oder den Ruheraum der Werkstatt vorgeschlagen, weil diese Räume während der Betreuungszeit nur wenig genutzt werden. Die MitarbeiterInnen mit Behinderung kennen diese Räume, weshalb die Interviews in einem der beiden Räume stattgefunden haben.

Für den Großteil der interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung waren der Datenschutz und die Anonymisierung ein wichtiges Thema. Ich habe vor jedem Interview gefragt, ob ich den Namen anonymisieren soll, was für einige wenige unwichtig war. Der Großteil aber wollte anonymisiert werden, weshalb ich in der Arbeit alle Namen der MitarbeiterInnen mit Behinderung verändert und die Werkstatt selbst anonymisiert habe. Zudem hätte ich entweder die Eltern oder die SachwalterInnen der MitarbeiterInnen mit Behinderung kontaktieren müssen, um den Namen verwenden zu können, was im Rahmen dieser Arbeit viel Zeit beansprucht hätte[4]. Eine Anonymisierung erscheint mir hier außerdem ethisch als besonders wichtig, damit der interviewten Personengruppe keine Nachteile aus der Forschung erwachsen. Besonders in einem institutionellem Kontext können sich Aussagen in Interviews für diese Menschen negativ auswirken, vor allem wenn in den Interviews Kritik an der Einrichtung und den verantwortlichen Personen geübt wird (vgl. Buchner 2008b: o.S.). Für die Anonymisierung habe ich die Nachnamen geändert, um die interviewten Personen als erwachsene Menschen zu repräsentieren. Eine Benennung mit Vornamen beinhaltet meiner Meinung nach die Gefahr, diesen Menschen ihren Erwachsenen-Status nicht gleichberechtigt zuzuerkennen. Einzig den Namen der Initiatorin der SelbstvertreterInnen, Frau Tomacek, habe ich beibehalten, da eine Anonymisierung für sie nicht wichtig war und sie im Kontext der Arbeit als Selbstvertreterin eine wichtige (politische) Stellung einnimmt.

Für zwei MitarbeiterInnen mit Behinderung war die Tonbandaufnahme an sich mit Ängsten behaftet. Ihnen war besonders wichtig, dass nur ich die Aufnahme höre und niemand sonst. Ein Mann hat mich nach dem Interview gebeten, die Aufnahme nicht ins Internet, konkret auf „You Tube“, zu stellen, und eine Frau meinte, ich dürfe die Aufnahme nicht „herschenken“. Diese Frau hat mich im Laufe der Feldforschung noch zweimal darauf angesprochen, ob ich die Aufnahme wirklich nicht „herschenken“ würde. Ich habe mit ihr, wie bereits vor dem Interview, jedes Mal darüber gesprochen, dass die Aufnahme nur ich hören werde und niemand sonst und ich sie daher auch nicht „herschenken“ werde. Zudem habe ich ihr das mit Handschlag versichert, um ihr eine zusätzliche Sicherheit zu geben. Nur an diesen zwei Beispielen zeigt sich die Angst davor, dass die Daten missbräuchlich verwendet werden und die Kontrolle über das, was im Interview gesagt wurde, verloren gehen könnte. Daher war und ist es mir besonders wichtig, sensibel und sorgfältig mit den erhobenen Daten umzugehen.

4.4.2.2. ExpertInneninterviews

Neben diesen Interviews habe ich vier ExpertInneninterviews zu pädagogischen und juristischen Aspekten meines Themas geführt. Bei dieser Form des Interviews liegt das Hauptinteresse nicht auf der Person und ihren Erfahrungen an sich, sondern auf ihrer Funktion als Experte/Expertin für ein bestimmtes Feld (vgl. Flick 2002: 139). Wer als Experte oder als Expertin gilt, wird in der Literatur unterschiedlich gehandhabt, wobei der Status des/der Experten/in häufig durch die Forschenden verliehen wird. Für die vorliegende Forschung gilt als Experte/Expertin, wer über besonderes Wissen über Zusammenhänge und Bedingungen eines Forschungsfeldes verfügt (vgl. Gläser/Laudel 2004: 9; Meuser/Nagel 2002: 72). ExpertInnen haben „relevantes Wissen über einen Sachverhalt“ (Bogner/Menz 2002a: 40), wobei die Soziologen Bogner und Menz zudem von einem relationalen ExpertInnenverständnis ausgehen: „Die Frage, wer als Experte in methodischer Hinsicht zu gelten hat, muss also immer in Relation zum konkreten Handlungsfeld, in dem der Experte agiert, und in Hinsicht auf das Untersuchungsspektrum der empirischen Erhebung beantwortet werden“ (Bogner/Menz 2002a: 46). Interviews mit ExpertInnen haben den Vorteil, dass sie rasch und relativ unkompliziert relevante Informationen liefern, die man sonst selbst durch lange Recherchewege erheben müsste (vgl. Bogner/Menz 2002b: 7). Ich habe sowohl eher zu Beginn meiner Forschung als auch gegen Ende dieser ExpertInneninterviews durchgeführt, um die Kontextbedingungen des Forschungsfeldes zu erheben und zu konkretisieren. In der Anfangsphase haben mir diese Interviews dabei geholfen, Einblick in die wesentlichen Aspekte des Forschungsfeldes zu bekommen; am Ende dienten sie mir zur Strukturierung und Überprüfung der erhobenen rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen. Der/die Interviewer/in sollte über ausreichende inhaltliche Kompetenz verfügen, um ein Gespräch „auf gleicher Augenhöhe“ im Sinne eines Austausches unter ExpertInnen zu ermöglichen, wobei der/die Interviewer/in den Status eines/r Quasi-Experten/Expertin erreicht (vgl. Pfadenhauer 2002: 120f., 125, 127). Dass auch der/die Interviewer/in über das entsprechende Wissen verfügt, ist notwendig, damit

„er [der/die Experte/in; Anmerkung S.G.] die grundlegenden Sachverhalte bzw. Zusammenhänge voraussetzen darf und dass er – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne – fürchten muss, missverstanden zu werden, weil sein Gegenüber nicht mit den Fachtermini und vor allem den hier geltenden, sein Denken und Handeln strukturierenden Relevanzen vertraut wäre“ (Pfadenhauer 2002: 118).

Diese Anforderung konnte ich einerseits durch das pädagogische und rechtliche Vorwissen aus meiner fachspezifischen Ausbildung und andererseits durch gezielte Vorbereitung durch Lesen der entsprechenden Literatur und Gesetzestexte vor den Interviews erfüllen. Das spezifische Wissen der ExpertInnen soll anhand eines Interviewleitfadens erfragt werden, wobei dieser sicherstellen soll, dass die tatsächlich relevanten Punkte im Interview herausgearbeitet werden. Zudem erfolgt über die Arbeit, die in die Erstellung des Leitfades fließt, die Aneignung des Wissens, das für das Interview selbst notwendig ist (vgl. Flick 2002: 139f.; Meuser/Nagel 2002: 77). Für diesen Zweck habe ich für jede/n Expertin/Experten einen individuellen Leitfaden erstellt.

Als ExpertInnen habe ich zum einen Personen gewählt, die ich aus meiner Ausbildungszeit als Lehrende kannte, zum anderen wurden mir von einem dieser ExpertInnen zwei weitere Expertinnen empfohlen. Wie auch von Bogner und Menz beschrieben, finden sich bei ExpertInneninterviews hohe Zustimmungsquoten, was sich in meiner Forschung bestätigt hat (vgl. Bogner/Menz 2002b: 7). Nur ein Experte hat mich an eine andere Expertin weiter verwiesen, da er meinte, nicht über ausreichend Einblick in die praktische Arbeit und Anwendung zu verfügen und daher die von ihm empfohlene Expertin die bessere Ansprechperson wäre. Ansonsten haben sich alle ExpertInnen sofort für ein Interview bereit erklärt und eine Expertin hat sich über das Interesse an diesem speziellen Forschungsfeld besonders erfreut gezeigt. Der ExpertInnenpool setzt sich aus dem Juristen Mag. Josef Fraunbaum, den zwei pädagogischen Expertinnen in Leitungspositionen in zwei unterschiedlichen Vereinen Mag. Maria Pfaffenbichler und Mag. Ksenija Andelic sowie der Menschenrechtsexpertin Dr. Marianne Schulze, die Vorsitzende des Monitoringausschusses ist, zusammen.

4.4.3. Anfrage bei Firmen

Als letzte Methode habe ich Anfragen bei Firmen gestellt, warum sie Arbeiten an Werkstätten abgeben. Ich habe drei Firmen, die häufig große Aufträge an die Werkstatt vergeben telefonisch und per E-Mail gefragt, was ihre Beweggründe dafür sind. Eine genauere Darstellung der Ergebnisse findet sich im Analyseteil.



[4] Wenn eine erwachsene Person einzelne oder alle Lebensbereiche aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung nicht mehr ohne Nachteil für sich regeln kann, übernimmt ein/e Sachwalter/in die Aufgabe der gesetzlichen Vertretung. Dadurch sind die betroffenen Personen rechtlich eingeschränkt (vgl. Bundesministerium für Justiz 2014: o.S.). Geistig behinderte Erwachsene sind häufig in vollem Umfang besachwaltet und gelten damit nicht als entscheidungsberechtigte Rechtspersonen.

5. Auswertung und Analyse der erhobenen Daten

In diesem Kapitel werde ich die Ergebnisse meiner Forschung präsentieren und diskutieren. Dabei werde ich die im Kapitel 3 dargestellten Theorien heranziehen, um meine Daten zu erklären und in einen kultur- und sozialanthropologischen Kontext einzubetten. Anhand dieser Darstellungen werde ich am Ende des Kapitels meine Fragestellung beantworten: Wie erleben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sich selbst und ihre Arbeit in den Werkstätten des Ersatzarbeitsmarktes im Rahmen der rechtlichen Strukturen in Wien am Beispiel einer Werkstatt der Lebenshilfe Wien?

Folgende Unterfragen sollen ebenfalls behandelt werden:

Inwiefern nehmen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung die rechtlichen Rahmenbedingungen wahr beziehungsweise inwieweit sind sie sich derer bewusst?

Inwiefern werden sie in ihrer Arbeit davon beeinflusst?

Welche Bedeutung haben die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihr Handeln und ihre Arbeit?

5.1. Auswertungsstrategie

Die oben genannten Methoden der teilnehmenden Beobachtung, der leitfadengestützten Interviews und der Anfrage bei Firmen haben unterschiedliche Daten generiert. Daher war der erste Schritt der Auswertung die Transkription der Interviews, um sie, wie die Feldnotizen, in schriftlicher Form bearbeiten zu können.

In meiner Auswertung habe ich mich, wie in der Einleitung bereits kurz erläutert, an Bourdieus Praxeologie orientiert. Wie die SoziologInnen Fuchs-Heinritz und König ausführen, soll es hier um eine zweistufige Analyse gehen. Zuerst werden die „objektiven Strukturen (…) rekonstruiert“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 243), wobei hier die Sichtweisen der betroffenen Personen noch nicht dargestellt werden. Erst in einem nächsten Schritt „werden dann die Auffassungen und Bewertungen der Menschen und Gruppen von diesen Strukturen hinzugefügt“ (ebd.: 244). Die Strukturen sollen deswegen zuerst herausgearbeitet werden, da die „Auffassungen, Bewertungen usw. der Akteure systematisch mit ihrer Position innerhalb der objektiven Strukturen zusammenhängen“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 244). Fuchs-Heinritz und König betonen aber, dass diese Strategie zwar häufig empfohlen wird, aber nicht ohne Kritik blieb. Daher kommt es maßgeblich darauf an, wie diese beiden Ebenen verbunden werden (vgl. a.a.O.).

Diese Analysestrategie erscheint mir angesichts meiner Daten deswegen als besonders sinnvoll, da die rechtlichen Strukturen bereits sehr lange existieren und somit zwar nicht immer einen direkten, aber doch eine wesentlichen Einfluss auf die Situation der ,KlientInnen‘ in der Tagesstruktur haben. So entwickelt sich innerhalb der Rahmenbedingungen ein bestimmter Habitus, der besondere Denk- und Handlungsweisen mit sich bringt. Der Rückgriff auf Bourdieus Praxeologie erlaubt mir eine differenziertere und theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit meinen erhobenen Daten und erklärt auch, warum sehr viele der MitarbeiterInnen mit Behinderung angeben, trotz der benachteiligenden Strukturen mit ihrer Situation zufrieden zu sein. Den Anstoß, Bourdieus Praxeologie überhaupt heranzuziehen, hat die Transkription eines Interviews mit einem Betreuer in der Werkstatt gegeben, dessen Aufgabe es ist, den ,KlientInnen‘ einer bestimmten Werkstattgruppe Praktikumsplätze am ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, um einen möglichen Berufseinstieg vorzubereiten. In diesem Zitat, das ich in der Analyse darstellen werde, werden die zugrundeliegenden Strukturen, die den Habitus der ,KlientInnen‘ formen, besonders deutlich.

Innerhalb dieser beiden Analyseschritte habe ich mich für das offene Codieren entschieden. Codieren bedeutet „Begriffe finden und sie bestimmten Stellen im Text zuweisen“ (Breidenstein et.al. 2013: 135), wobei das offene Codieren eine Form darstellt, in der es um „eher großflächige Lektüren und die Suche nach einer den Datenkorpus übergreifenden analytischen Ordnung“ geht (ebd.: 139). Dafür muss das verschriftlichte Material – im vorliegenden Fall Feldnotizen und Interviewtranskripte – geordnet und mehrmals genau durchgelesen werden, um sich mit den erhobenen Daten wieder vertraut zu machen. Dabei werden bereits erste Ähnlichkeiten, Unterschiede und Zusammenhänge zwischen den Aufzeichnungen erkennbar. Der nächste Schritt ist das erste systematische Codieren, wobei für Abschnitte der Aufzeichnungen Begriffe gebildet werden. Wichtig ist dabei, die Textstellen nicht einfach zusammenzufassen, sondern einen treffenden Begriff zu finden (vgl. Breidenstein et.al. 2013: 125f.). Ich habe diese Begriffe neben die relevanten Textabschnitte notiert und so hat sich zuerst eine Vielzahl an Begriffen ergeben, die ich in einem nächsten Schritt in Begriffscluster geordnet habe. Die Begriffe selbst stellen vorrangig etische Codes dar, das heißt, es sind Begrifflichkeiten, die nicht aus dem sozialen Feld stammen, sondern die ich selbst eingeführt beziehungsweise aus kultur- und sozialanthropologischen Theorien übernommen habe. Dennoch sind einige Codes auch emisch; es handelt sich also um Begriffe, die im Feld „Werkstatt“ von Bedeutung sind (vgl. Breidenstein et.al. 2013: 126f.). Die Anordnung der Begriffe in Cluster lässt erste Zusammenhänge und Vernetzungen erkennen. Somit konnte ich die Begriffe zu größeren Kategorien oder Codes zusammenfassen und theoretische Verknüpfungen erkennen, die ich in Form von Memos zu den Begriffen festgehalten habe. Letztlich hat sich aus den Begriffsclustern eine bestimmte Vernetzung und Hierarchisierung ergeben, wobei sich bestimmte Codes als wichtiger und andere als weniger relevant erwiesen haben. Besonders wichtig dabei ist es, die Beziehungen zwischen den Kategorien herauszuarbeiten, was letztlich auch die Textproduktion erleichtert (vgl. ebd.: 127, 136f.). Diese Schritte habe ich zwei Mal durchgeführt, einmal, um die Strukturen herauszufiltern, und das zweite Mal, um das Denken, Fühlen und Handeln der AkteurInnen in Bezug auf diese Strukturen zu erkennen. Dafür habe ich zwei Codelisten geführt, bei denen ich den Begriffen die passenden Zitate und Textausschnitte zugeordnet habe. Durch die Arbeit an diesen Begriffslisten haben sich die Zusammenhänge zwischen den Kategorien und zwischen den beiden Analyseebenen ergeben. Die in den nächsten zwei Kapiteln dargestellten Daten werden so präsentiert, dass die Relationen deutlich werden. Die einzelnen Überschriften stellen dabei die Kategorien dar, wobei aber festgehalten werden muss, dass es sich dabei um analytische Kategorien handelt, denn in der sozialen Realität sind die einzelnen Bereiche nicht oder nur teilweise voneinander zu trennen.

Der Analyse muss vorangestellt werden, dass es sich bei den ,KlientInnen‘, die ich interviewt habe, um eine sehr heterogene Gruppe hinsichtlich des Alters, ihrer Ziele und generell der individuellen Ausgangslage (etwa medizinisch diagnostizierte Behinderung) handelt. Zwar lässt sich so etwas wie ein kollektiver Habitus feststellen, aber dennoch sollen auch die Unterschiede innerhalb der Gruppe sichtbar gemacht werden.

5.2. Analyse der Strukturen

In diesem Abschnitt werden die rechtlichen und somit gesellschaftlichen Strukturen, die die Arbeit von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung beeinflussen und steuern, analysiert. Neben den Gesetzen und Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen müssen auch die Paradigmen, unter denen in der Behindertenpädagogik gearbeitet wird und die die Struktur der Werkstätten prägen, beachtet werden. Dafür orientiere ich mich vorrangig an den Interviews mit ExpertInnen und BetreuerInnen sowie an meinen Feldnotizen, aber auch die Sichtweise der ,KlientInnen‘ kann hier nicht vollständig ausgeblendet werden, da auch in ihren Aussagen Strukturen zu Tage treten. Die Bildungswissenschaftler Koenig und Buchner verweisen ebenfalls auf die Notwendigkeit, Lebensgeschichten geistig behinderter Menschen in Bezug auf die Umsetzung der UN-Konvention zu erforschen, denn „schließlich können anhand ihrer Analyse nicht nur die realen Erfahrungen von behinderten Menschen zutage gebracht, sondern darüber hinaus auch die politischen und sozialen Strukturen und Kräfte analysiert werden, welche das Leben von Individuen beeinflussen“ (Koenig/Buchner 2011: 149). Insofern halte ich mich nicht strikt an die von Bourdieu vorgeschlagene Analysestrategie. Zudem handelt es sich bei dieser Trennung in Strukturen und Denken/Fühlen/Handeln um eine analytische Differenzierung, denn in einem sozialen Feld sind beide Ebenen stark miteinander vernetzt und nur schwer zu trennen.

Für die theoretische Einbettung ziehe ich besonders rechtsanthropologische Zugänge heran, um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu analysieren. Dabei stehen der Dualismus von „Sollen“ und „Sein“ eines Gesetzes, also die Wirkkraft einer Regelung, ebenso im Vordergrund wie die Beziehungen zwischen den Rechtsebenen, die ich in Kapitel 2 dargestellt habe. Außerdem ist hier die soziale Bedeutung von Recht interessant, da in den relevanten Gesetzen definiert wird, wer als behindert gilt und wer daher in welche Einrichtung muss beziehungsweise darf, wodurch eine bestimmte Personengruppe in ihrer tatsächlichen Lebensführung betroffen ist. Gesetze beinhalten Definitionen von Behinderung, die eine Personengruppe somit zu „Menschen mit Behinderung“ machen. Dahinter stehen bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen über Behinderung.

In der folgenden Analyse werde ich nur die Rechtsebenen Menschenrechte, Landesgesetze und Rechte und Pflichten in der Werkstatt darstellen, da die Bundesgesetze für die Situation in Wien nicht direkt von Bedeutung sind.

5.2.1. Landesebene

Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, findet sich in Österreich eine Vielzahl von Gesetzen auf unterschiedlichen Ebenen, die das Feld Behindertenpolitik betreffen. Bereits auf der Landesebene wird ersichtlich, dass es keine einheitlichen Regelungen gibt, da Österreich hier über neun verschiedene Behindertengesetze verfügt. Jedes dieser Gesetze umfasst im Sinne des Föderalismus unterschiedliche geförderte Leistungen, was zu Ungleichheiten zwischen den Bundesländern führt. Innerhalb der geförderten Leistungen ist die Auswahl für die betroffenen Personen beschränkt, das bedeutet, ein geistig behinderter Mensch ist in der Wahl bezüglich des Werkstattplatzes nicht völlig frei in seiner oder ihrer Entscheidung (vgl. Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Unterschiede zeigen sich auch darin, wie Behinderung in den Landesgesetzen definiert wird. Im Wiener Chancengleichheitsgesetz handelt es sich bei Menschen mit Behinderung um

„Personen, die auf Grund nicht altersbedingter körperlicher, intellektueller oder psychischer Beeinträchtigungen oder auf Grund von Sinnesbeeinträchtigungen in ihrer Entwicklung oder in wichtigen Lebensbereichen, insbesondere bei der Berufsausbildung, der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dauernd wesentlich beeinträchtigt sind“ (CGW §3).

Behinderung wird in dieser Definition zu einem Merkmal der Person, das den betroffenen Menschen an einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindert. Hierin spiegelt sich deutlich ein medizinisch-individueller Zugang zu Behinderung, wie er von den Disability Studies kritisiert wird. Behinderung wird ausschließlich als Mangel im Individuum verortet, soziale Barrieren scheinen nicht zu existieren. Die Bezugnahme auf nicht altersbedingte Zustände sowie auf eine Benachteiligung in der Entwicklung impliziert einen Vergleich mit einer Norm im Sinne der oben erwähnten Normalität als statistischer Durchschnittswert. Man orientiert sich daran, was für eine bestimmte Altersgruppe als normal gilt und Abweichungen werden demnach als nicht normal beziehungsweise als behindert festgeschrieben. Zudem wird auch hier die Erwerbsfähigkeit beziehungsweise deren Einschränkung angesprochen. Erwerbsunfähigkeit wird so zu einem bestimmenden Charakteristikum von Behinderung; kurz ließe sich sagen, wer auf eine bestimmte Weise behindert ist, ist erwerbsunfähig. Außerdem lässt sich in dieser Behindertendefinition auch die Vorstellung vermuten, gesellschaftliche Integration könne am besten über Arbeit gelingen. Dass sich die „Behindertenbewegung“ mit dem 2010 eingeführten Gesetz „nicht recht zufrieden“ gezeigt hat (Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013), erscheint nachvollziehbar.

5.2.2. Dualismus von Sollen und Sein

Das Wiener Chancengleichheitsgesetz ist aber, wie in Kapitel 2 angesprochen, in seinen Formulierungen nicht so präzise, als dass es für die Praxis direkt anwendbar wäre. Der Dualismus von „Faktizität und Geltung“ (Zips 2007: 93) wird in diesem Gesetz besonders deutlich, da seine Wirkkraft für die Praxis eingeschränkt ist. Der Jurist Mag. Fraunbaum merkt dazu an:

„Das ist glaub ich der Kern der Sache. Das Gesetz sagt (…) zwar, dass du irgendwelche Tagesstrukturen kriegen kannst und so weiter, aber wie du dort zu behandeln bist, welche Rechte du dort hast, das steht da gar nicht drin. Da gibt´s im Kern eigentlich gar nix dazu. Das ist, glaub ich, einer der größeren Kritikpunkte“ (Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013).

Daher werden in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, wie schon in Kapitel 2 aufgezeigt, andere Leitlinien herangezogen, an denen sich die Institutionen orientieren, etwa an den „Vorgaben von den Kontrollen und an den Paradigmen, die es so in (…) der Szene gibt“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Weiters existieren Richtlinien des Fonds Soziales Wien, der die Tagesstruktur auf der Verwaltungsebene regelt. Diese Regelungen sollen vereinheitlichen, wie eine Institution aufgebaut ist und welche Rechte und Möglichkeiten Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung darin haben. Daneben sind die Qualitätskriterien des Dachverbandes Wiener Sozialeinrichtungen für die tatsächliche Umsetzung des Gesetzes relevant, denn sie legen – ohne rechtliche Bindung – fest, wie die Betreuung stattzufinden hat (vgl. Interview Mag Andelic, 14.01.2014; Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Daher lässt sich hier festhalten, dass das offizielle Gesetz, das die Tagesstruktur in Wien regelt, für die tatsächliche Praxis nicht von großer Bedeutung ist. Die Funktion dieses Gesetzes wird von anderen, informellen Regelungen übernommen, die allerdings rechtlich nicht bindend sind. Somit existiert im Bereich der Werkstätten eine relativ offene und teilweise gesetzlich ungeregelte Situation.

5.2.3. Ausschluss aus dem ersten Arbeitsmarkt

Für Menschen, „die aktuell oder dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können“ (CGW §9), wird die Tagesstruktur als staatliche Leistung gefördert. Somit erfolgt über die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit der Ausschluss aus dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt, denn die Arbeitskraft geistig behinderter Menschen scheint hier nicht von ausreichendem Wert zu sein (vgl. Zierer 2010: 38). Den betroffenen Personen bleiben daher nur wenige andere Optionen, die in den meisten Fällen aus „daheim bleiben“ oder „Werkstatt“ bestehen: „Und wenn´s jetzt die Einrichtung (…) nicht gäbe, dann müssen sie halt daheim sein, so wie´s vielleicht eh früher oft war, nicht. Und das wäre schlimm, denk ich mir, für viele, wenn sie da überhaupt keine Struktur hätten oder überhaupt keine Kontakte nach außen“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013). Die Werkstätten gelten dabei als segregierende Strukturen, wodurch eine bestimmte Personengruppe vom Erwerbsleben ausgeschlossen ist. Diese Benachteiligung stellt eine Form der Diskriminierung, wie sie im Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes verboten wird, dar. Nach Degener handelt es sich hierbei um eine strukturelle Diskriminierung, die durch historisch gewachsene Barrieren, wie etwa Vorurteile gegenüber Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, entsteht. Um diese Diskriminierungsform, die häufig nicht als solche erkannt wird, zu bekämpfen, braucht es unter anderem rechtliche Veränderungen (vgl. Degener 2003: 457, 459).

Zwar existiert keine Regelung, die einen Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung dazu verpflichtet, in einer Werkstatt zu arbeiten, aber mangels Alternativen und hoher Anforderungen, um eine Arbeitsstelle am ersten Arbeitsmarkt zu finden, bleibt für viele Menschen nur diese Möglichkeit übrig. Im Gegenteil wird diese Möglichkeit, die für viele den einzigen Weg zu Arbeit darstellt, als etwas beschrieben, das eine Person mit den geeigneten Voraussetzungen in Anspruch nehmen darf (vgl. Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Umgekehrt lässt sich zwar ebenso wenig behaupten, dass es Gesetze gäbe, die Menschen mit Behinderung direkt vom ersten Arbeitsmarkt ausschließen, aber informelle Hürden, auf die ich später in der Analyse noch zu sprechen komme, stellen dafür ein ebenso großes Hindernis dar. An dieser Stelle kann daher auf die konstituierende Funktion von Recht verwiesen werden, denn die Wiener Gesetzes- und administrative Lage schaffen erst bestimmte gesellschaftliche Zustände und Bedeutungen. In diesem Fall wird so eine Personengruppe als arbeitsunfähig bezeichnet und von Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen.

5.2.4. Widerspruch zwischen UN-Konvention und österreichischem Recht

Dem Wiener Chancengleichheitsgesetz gegenüber steht die Forderung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach gleichberechtigter Teilhabe in allen Lebensbereichen, also auch im Erwerbsleben. Behinderung wird hierin als Ergebnis einer „Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern“ (Rat der europäischen Union 2009: 2), gesehen. Im Gegensatz zum Wiener Chancengleichheitsgesetz spielen hier die sozialen Barrieren eine besondere Rolle und Behinderung scheint nicht etwas zu sein, das allein ein Problem des Individuums wäre. Somit wird Behinderung politisch, weil die Problematik nicht mehr auf das Individuum verlagert wird. Österreich hat diese Konvention 2008 ratifiziert, allerdings handelt es sich um „eine Absichtserklärung und damit nichts rechtlich Verbindliches“, wobei die Idee hinter den Menschenrechten generell gewesen wäre, „einen rechtlich verbindlichen Text zu schaffen“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Dennoch sieht die Konvention eine Verpflichtung für die Vertragsstaaten vor, die Menschenrechte in vollem Umfang zu gewährleisten und dafür „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen“ und „alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen“ (Rat der europäischen Union 2009: 10). In den allgemeinen Menschenrechten wurde Behinderung lange nicht als Diskriminierungsgrund wahrgenommen, was eine eigene Konvention für diese Personengruppe notwendig machte (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Die Unterzeichnung der Konvention durch die Staaten fand mit dem Hintergedanken statt, „dass die Verhandlungen nicht wirklich Schwung gewinnen würden, (…) dass das wieder verdunsten würde“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014), und eine Umsetzung der neuen Regelungen nicht so bald notwendig werden würde. Das zeigt sich auch darin, dass Österreich

„in Artikel 50 des Bundesverfassungsgesetzes einen Vorbehalt vorsieht, dass internationale Verträge nur soweit anwendbar sind (…), dass sie auch tatsächlich in ein einfaches Gesetz übertragen worden sind. Das heißt, so lang ein Text wie zum Beispiel die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht eins zu eins in einfachgesetzliche Maßnahmen wieder drin ist, ist es nicht bei einem Bezirksgericht oder ähnlichem einklagbar oder einforderbar“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Diese Situation ist möglich, weil sich die Staaten, wie in Kapitel 3.3. erwähnt, den Verpflichtungen für eine gewisse Zeit entziehen können. In welchem Umfang der Vertrag erfüllt wird, obliegt nämlich zu einem großen Teil den Vertragsstaaten selbst (vgl. Nowak 2012: 273; Schmahl 2007: 535). Auch hier tritt der Dualismus aus Sollen und Sein eines Gesetzes deutlich zu Tage. Der österreichische Staat hat sich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, doch der Monitoringausschuss sieht besonders in der Situation von Menschen mit Behinderungen in der Tagesstruktur eine Konventionsverletzung und somit eine fehlende Umsetzung der Forderungen (vgl. Unabhängiger Monitoringausschuss o.J.b.: 3). Rechtsanthropologisch gesehen kann diese Situation mit Einschränkungen als rechtspluralistisch bezeichnet werden, auch wenn es sich dabei nicht um einen Rechtpluralismus im oben definierten Sinne handelt, da unterschiedliche rechtliche Normen nebeneinander in einem Widerspruch existieren, der in dieser Form nicht bestehen dürfte. Auf der einen Seite stehen die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention nach Inklusion und Gleichberechtigung; auf der anderen Seite findet sich aber das Wiener Chancengleichheitsgesetz, das noch nicht an die Standards der Konvention angepasst ist. Aufgrund der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dürften sich diese beiden Ebene aber nicht widersprechen, sondern das Landesgesetz müsste in Einklang mit der Konvention gebracht werden. Besonders die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation kritisiert, dass seit der Ratifizierung noch „keine praktisch-politischen konkreten und umfassenden Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention unternommen worden“ seien (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2013: 22).

Werden Merrys und Baers Unterscheidungen herangezogen, ließe sich diese Rechtskonstellation am ehesten einem neuen Rechtspluralismus, wie ihn Merry definiert, zuordnen (vgl. Merry 1988: 872f.) und in Baers Konzeption könnte sie als räumlicher Rechtspluralismus bezeichnet werden, jedoch mit der oben erwähnten Einschränkung, dass zwar das Gesetz wirksam ist, das dem zu regelnden Bereich am nächsten ist, aber dabei widerspricht dieses subsidiäre Gesetz der übergeordneten Rechtslage (vgl. Baer 2011: 100f.). Die Beziehung der einzelnen Rechtsebenen zueinander ist von einem starken Widerspruch geprägt, weshalb das Festhalten am Wiener Chancengleichheitsgesetz im Bereich Arbeit in der derzeitigen Fassung nicht mit der UN-Konvention konform geht. Diese Konstellation ist rechtlich aber „eine große Herausforderung, weil Normen nicht nur nebeneinander stehen, sondern auch miteinander in Konflikt treten können“ (Baer 2011: 71). Hier stehen sich zwei Normenkomplexe konträr gegenüber, Segregation und Inklusion scheinen unvereinbar.

Die Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze verweist zusätzlich auf die eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten der individuellen behinderten Person in Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention:

„Aber man handhabt das so und somit ist die Konvention eigentlich nur sehr bedingt verpflichtend im Sinne von der Staat ist sehr wohl daran gebunden, aber eine Einzelperson kann wenig rechtlich tun. Politisch kann man immer Einiges tun, rechtlich tun, um den einzelnen Bestimmungen im Alltag zur Geltung zu verhelfen“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Auf internationaler Ebene sieht die UN-Behindertenrechtskonvention neben regelmäßigen Stellungnahmen des UN-Ausschusses, ein ExpertInnen-Gremium, und der Überprüfung regelmäßiger Staatenberichte durch dieses Organ die Möglichkeit eines Individualbeschwerdeverfahrens beim UN-Ausschuss vor. Dieser letztgenannte Durchsetzungsmechanismus ist jedoch rechtlich nicht verbindlich und erst anwendbar, wenn nach dem Prinzip der Subsidiarität alle nationalen Beschwerdemöglichkeiten genutzt wurden. Dennoch könnte dieser Mechanismus politische Wirkung erzielen (vgl. Schmahl 2007: 532f.; Schulze 2011: 21). Auf der nationalen Ebene stellt der Unabhängige Monitoringausschuss das wichtigste Kontrollorgan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Bundesebene dar. Dieser Ausschuss erstellt Berichte und gibt Empfehlungen zur Gesetzgebung und -änderung ab. Einzelpersonen und Gruppen steht auch hier die Möglichkeit offen, Beschwerden an den Ausschuss zu richten, die dieser dann überprüft und bearbeitet (vgl. Schulze 2011: 22).

Der Jurist Josef Fraunbaum sieht die fehlende rechtliche Einklagbarkeit der Konvention ebenfalls als Problem und schlägt eine andere Lösung auf Bundesebene vor:

„Weil (…) aus juristischer Sicht wäre für mich ein Behindertengleichstellungsgesetz, das Ecken und Kanten hat, wo drin steht, wenn ich diskriminiert werde, kann ich klagen, (…) und es gibt einen Unterlassungsanspruch, dann ist es juristisch sozusagen die interessantere Geschichte“ (Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013).

Somit stehen der Einzelperson in Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention kaum rechtlich bindende Instrumente zur Verfügung; der Staat hingegen hätte alle Mittel und die Verpflichtung, die Rechtssituation zu verändern. Das macht wiederum deutlich, dass eine solche Veränderung stark vom politischen Willen abhängig ist und die Felder Recht und Politik nicht eindeutig voneinander abzugrenzen sind. Da diese Veränderung aber noch nicht geschehen ist, scheint Behinderung in der österreichischen Politik weiterhin ein Randthema zu sein (vgl. Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013).

Um Österreich zu einer tatsächlichen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu bewegen, zieht Marianne Schulze die Möglichkeit in Betracht, die moralische Dimension heranzuziehen,

„mit dem Peinlichkeitsmoment zu operieren und zu sagen, einer der reichsten Staaten dieser Welt, der sich doch sehr gern damit schmückt, dass er so fürchterlich modern ist und so wahnsinnig den Menschenrechten zugetan ist und jedenfalls Tieren, aber möglicherweise auch Menschen mit Behinderungen nichts zuleide tun will, dass das einfach sehr schräg kommt, wenn dann ausgerechnet die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen mit Füßen getreten werden“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Anders gestalten sich die rechtlichen Möglichkeiten behinderter Menschen, wenn die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union herangezogen werden. Wie im Kapitel über den rechtlichen Kontext beschrieben, besteht hier ganz konkret die Möglichkeit, die Menschenrechte einzuklagen. Die Europäische Menschenrechtskonvention zeichnet sich somit durch einen anderen Rechtscharakter als die UN-Behindertenrechtskonvention aus, denn „[t]he European Convention, then, provides enforceable legal rights, while the UN Declaration (generally) does not“ (Demour 1996: 30). Durch ihren Verfassungsrang ist die Europäische Menschenrechtskonvention zudem am österreichischenVerfassungsgerichtshof einklagbar, bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden kann. Zusätzlich ist mit dem Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes die Gleichbehandlung nicht-behinderter und behinderter Menschen in der Verfassung verankert und somit bei Verletzung ebenfalls einklagbar. Wenn auch die direkte Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die medial wesentlich präsenter sein dürfte, rechtlich von Einzelpersonen nicht eingeklagt werden kann, so stehen Menschen mit Behinderungen durch die europäischen Menschenrechtsabkommen und Bundesverfassungsgesetze wirksame Möglichkeiten offen, ihre Menschenrechte einzufordern. Ein möglicher Kritikpunkt scheint in den europäischen Menschenrechtsbeschlüssen aber die unklare Formulierung zu sein. Während die Situation von Menschen mit Behinderungen in der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht explizit erwähnt und berücksichtigt wird – ein Kritikpunkt der auch für die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen zutrifft und zur Schaffung einer eigenen Konvention für behinderte Menschen geführt hat –, ist auch der Artikel 26 der Grundrechtecharta zur Integration von Menschen mit Behinderung sehr knapp formuliert. Da hierin keine konkreten Umsetzungsforderungen festgeschrieben sind, entsteht ein breiter Interpretationsspielraum darüber, was „berufliche Eingliederung“ oder „Teilhabe am Leben der Gemeinschaft“ (Osterkorn 2011: o.S.) tatsächlich bedeuten und wie Integration aussehen soll.

Letztlich wäre laut der Menschenrechtsexpertin und Vorsitzenden des Monitoringausschusses Marianne Schulze ein inklusiv und barrierefrei formuliertes Gesetz notwendig, um den Herausforderungen im Bereich Arbeit zu begegnen, wie etwa Einführung einer Sozialversicherung für alle, die in Werkstätten beschäftigt sind, und Erhöhung der Ausgleichstaxe, um mehr Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt zu schaffen (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Doch es reicht nicht, nur die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern, wenn sich das dahinterstehende Menschenbild nicht wandelt. Auf diesen Aspekt werde ich weiter unten genauer eingehen.

5.2.5. Widerspruch im Bereich „Beschäftigungstherapie“

Besonders im Bereich der „Beschäftigungstherapie“, wie auch bei Sonderschulen, ist der Widerspruch zwischen der UN-Forderung nach Inklusion und der Situation in Österreich besonders deutlich erkennbar:

„Die Konvention sieht für sämtliche Gesellschafts- und Lebensbereiche Inklusion und Barrierefreiheit vor. In den ganz zentralen Bereichen Wohnen, Bildung und Arbeit heißt das, dass es keine Spezialgesetze gibt und keinen spezialen Institutionen, keine spezialen Strukturen, sondern dass bestehende Strukturen, Gesetze, Regelungen, die für Otto Normalverbraucher, die für die sogenannten chronisch Normalen, für die gesellschaftspolitische Mitte völlig selbstverständlich sind, dass die barrierefrei gestaltet werden, so dass man ungehindert Zugang hat und ungehindert die Möglichkeit hat, sich selbst zu verwirklichen und sich einzubringen. Wir haben momentan in Österreich sehr wohl Parallelstrukturen und Parallelregelungen, also in Form von Werkstätten haben wir einfach die physische Manifestation von dieser Separation. Wir haben aber eben auch Ausnahmebestimmungen und Zusatzregelungen für Taschengeld und wie man das auch euphemistisch nennt, aber Beträge, die hier minimalst geleistet werden für eine Arbeit, die eine äquivalente Arbeit ist, den völligen Mangel an sozialversicherungsrechtlicher Absicherung und, ja, einfach eine gewisse Schutzlosigkeit, weil es eben nicht den arbeitsrechtlichen Bestimmungen unterliegt, die sonst gelten. Und ich denk mir, das ist auch so der Hauptdreh- und angelpunkt, klarzukriegen, dass Spezialregelungen einfach der Idee der Inklusion widersprechen“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Der Monitoringausschuss sieht die „Beschäftigungstherapie“ ebenfalls als nicht mit der UN-Konvention vereinbar (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Auch BetreuerInnen, die in diesem System ihr Geld verdienen, sehen die Werkstätten kritisch: „[E]s gehört überhaupt in Frage gestellt, dieses System Beschäftigungstherapie mit Taschengeld und Sonstigem“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013). Doch hier ergibt sich das Problem, dass diese separierenden Strukturen über Jahrzehnte gewachsen sind und daher auch nicht in kurzer Zeit abgeschafft werden können, da Alternativen fehlen. Das wird auch in den Institutionen, die eine Tagestruktur anbieten, so gesehen. Davon ist etwa Ksenija Andelic, stellvertretende Bereichsleiterin für den Bereich Wohnen bei Jugend am Werk, überzeugt, denn „laut UN-Konvention sollte man von heute auf morgen alles zusperren. Wir werden es sicher nicht machen, weil wir nicht wissen, was wir mit unseren Leuten machen sollen“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Sie merkt zwar an – wie auch Maria Pfaffenbichler, Leiterin für den Bereich Arbeit bei der Lebenshilfe Wien – dass die Tagesstruktur zwar nicht die optimalste Form wäre und sich die Vereine durch die Forderungen der UN-Konvention anfangs stark unter Druck gesetzt gefühlt hätten, doch alternative Angebote würden fehlen und daher würde die Tagesstruktur in dieser Form noch länger bestehen bleiben. Durch die Ratifizierung der UN-Konvention hätte die „Beschäftigungstherapie“ einen besonders schlechten Ruf erhalten (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014; Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Auch aus der Sicht der Menschenrechtsvertretungen wird es nicht als sinnvoll erachtet, die Strukturen so rasch zu verändern, dass die betroffenen Personen dabei benachteiligt wären. Es bräuchte daher

„einen Stufenplan (…), um auf der einen Seite sicherzustellen, dass die Arbeitsangebote, die es in der gesellschaftspolitischen Mitte gibt, dass deren Barrierefreiheit und Inklusivität erhöht wird, (…) und parallel dazu eben Bemühungen, die Zahl jener, die in Beschäftigungstherapie sind, zu reduzieren“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Da die Werkstätten durch die UN-Konvention in Frage gestellt werden, ergibt sich die Problematik, wie die Zukunft der Vereine, die bisher Tagesstrukturen angeboten haben, aussehen soll. Das bedeutet aber nicht, „dass ich die jetzt von der Bildfläche nehmen muss und dass die keine Zukunft haben, sondern im Gegenteil, ich kann mir ja auch überlegen, wie kann ich eine Beschäftigungstherapie, die Einrichtung, die bis jetzt segregiert (…) unterwegs war, so gestalten, dass sie inklusiv ist“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Die Vereine selbst haben ein Interesse daran, weiterhin Dienstleistungen anbieten zu können, wobei dies in anderer Form geschehen wird, wenn die UN-Konvention tatsächlich umgesetzt wird. Ksenija Andelic sieht für die Zukunft einen Rückgang der Betreuungsplätze in Werkstätten, wobei hier vor allem Personen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf betreut werden und besonders junge Menschen andere Angebote in Anspruch nehmen würden (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Sie spricht in diesem Zusammenhang von der „Endstation Beschäftigungstherapie“, also einem „Auffangbecken“ für Personen, die sonst keine Alternativen haben. Maria Pfaffenbichler ist ähnlicher Ansicht, denn die Gruppen, die die Werkstätten in Zukunft in Anspruch nehmen werden, würden einen sehr hohen Betreuungsbedarf haben, wobei sie eine Gegenbewegung sieht, „die Leute auf den Arbeitsmarkt zu bringen“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Eine andere Sichtweise vertritt Marianne Schulze, die keine Notwenigkeit für ein „Auffangbecken“ in Form separierender Strukturen sieht. Für sie ist das Ziel der UN-Konvention erreicht, wenn es keine Werkstätten mehr braucht, um Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zu einer sinnvollen Tätigkeit zu verhelfen (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Ein weiterer Punkt im Wiener Chancengleichheitsgesetz, der ebenfalls der UN-Konvention widerspricht, ist jener, dass ein betreuter Wohnplatz nur vergeben wird, wenn die Person auch gleichzeitig eine Tagesstruktur, Berufsqualifizierungsmaßnahmen oder Arbeitsintegration in Anspruch nimmt. Ksenija Andelic verweist aber darauf, dass diese Regelung bisher nicht kontrolliert worden ist und es daher zahlreiche Menschen gäbe, die eine vollbetreuten Wohnplatz haben, aber keine Tagesstruktur besuchen würden. Erstaunlich daran ist, dass dieser Paragraph 12 im Wiener Chancengleichheitsgesetz zwei Jahre nach Ratifizierung der UN-Konvention festgeschrieben wurde und die Inhalte der Konvention zu diesem Zeitpunkt schon bekannt waren (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

5.2.6. Verwaltungsebene

Die Umsetzung des Wiener Chancengleichheitsgesetzes wird auf der Verwaltungsebene vom Fonds Soziales Wien übernommen. Wie bereits in Kapitel 2 erklärt, bezahlt der Fonds Soziales Wien nach einem positiven Bescheid einen Tagsatz für jede zu betreuende Person an die Werkstatt aus, womit die Betreuungskosten gedeckt werden sollen. In diesem Tagsatz sind aber auch die Kosten für das Taschengeld, das die MitarbeiterInnen für ihre Arbeit erhalten, inkludiert. Bei der Lebenshilfe reicht die Spanne des Taschengeldes von zehn bis 70 Euro monatlich. Für 50 Tage Abwesenheit eines/r ,Klienten/in‘, also 25 Tage Urlaub und maximal 25 Tage Krankenstand, bezahlt der Fonds Soziales Wien die Tagsätze weiter an die Werkstatt, was für die einzelnen Werkstätten eine finanzielle Erleichterung darstellt (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Obwohl es diese Regelung bereits seit vielen Jahren gibt, haben verschiedene ältere ,KlientInnen‘ in den Interviews erzählt, dass das Taschengeld früher abgezogen wurde, wenn man länger als diese 50 Tage abwesend war. Diesen Punkt werde ich später wieder aufgreifen, um näher darauf eingehen.

Eine Problematik auf der Verwaltungsebene ist, dass der Fonds Soziales Wien nur die volle Tagesstruktur finanziert. Das bedeutet, dass eine Person ihre gesamte Zeit in der Werkstatt verbringen muss, aber nicht etwa eine Teilzeitanstellung am ersten Arbeitsmarkt annehmen und die übrige Zeit in der Werkstatt arbeiten kann. Daher entfällt auch die Möglichkeit, geringfügig in den ersten Arbeitsmarkt hinein zu schnuppern, um zu erproben, ob die Person mit den dortigen Anforderungen zurechtkommt. Wie Ksenija Andelic erklärt, wäre der erste Arbeitsmarkt für viele ,KlientInnen‘ der Werkstätten mit Ängsten behaftet, weshalb eine Art Probelauf helfen könnte, Ängste abzubauen. Doch durch diese Verwaltungsregelung wird diese Hilfestellung erst gar nicht ermöglicht. Für den Fonds Soziales Wien gäbe es nur „entweder behindert oder nicht behindert, arbeitsfähig oder nicht arbeitsfähig“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014), wobei der Fonds Soziales Wien durchaus auch finanzielle Vorteile hätte, wenn für jeden Tag, an dem die ,KlientInnen‘ außerhalb der Werkstatt arbeiten, kein Tagsatz bezahlt werden würde. Auch der Integrationsbegleiter der Berufsorientierungsgruppe sieht diese Regelung als problematisch: „[E]s ist auch ganz einfach schlicht unmöglich, gleichzeitig was angestellt zu verdienen, sei´s auch nur geringfügig, und eine Tagesstruktur zu besuchen (…). Das geht nicht beides parallel, da ist eine Mauer dazwischen“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013). Bei der Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt handelt es sich für den Fonds Soziales Wien um „eine Vermittlung ganz oder gar nicht“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Die ,KlientInnen‘ in den Werkstätten sind daher aufgrund der starren Finanzierung durch den Fonds Soziales Wien in ihren Wahl- und Erprobungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ebenso ist die Finanzierung alternativer Arbeitsprojekte davon abhängig, welchen Tagsatz die Institution mit dem Fonds Soziales Wien verhandelt (vgl. Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Daher bestehen bisher nur wenige andere Wahlmöglichkeiten neben den Werkstätten. Um diese Palette zu erweitern, hat die Lebenshilfe Wien für die Werkstatt, in der ich meine Forschung durchgeführt habe, ein Projekt geschaffen, das innerhalb der Werkstattstruktur einen schrittweisen Einstieg in das Erwerbsleben durch Praktika ermöglichen soll. Der Integrationsbegleiter formuliert klar,

„dass wir eigentlich das Unmögliche versuchen, nämlich aus Paragraph 9, also aus einer Maßnahme für KlientInnen, die eigentlich schon festgelegt wurden für eine Karriere Beschäftigungstherapie, doch noch einmal zu versuchen, über diesen Rand Beschäftigungstherapie hinauszuschauen Richtung Arbeitsleben“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

Diese Aussage verdeutlicht die Schwierigkeiten für ,KlientInnen‘, aus der Werkstattstruktur in ein selbstständiges Erwerbsleben überzutreten.

5.2.7. Sozialhilfe vs. Taschengeld

Da die ,KlientInnen‘ in der Werkstatt nur ein Taschengeld erhalten, sind sie finanziell von Sozialleistungen wie der Mindestsicherung oder Pensionen abhängig. Der Leiter der Werkstätte sieht darin trotz der fehlenden Sozialversicherung eine relativ gute soziale Absicherung für die MitarbeiterInnen mit Behinderung (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Wer es schafft, eine Arbeitsstelle am ersten Arbeitsmarkt zu finden, verliert diese Ansprüche aber. Daher müsste die Person zumindest 25 Wochenstunden arbeiten, um finanziell eine ähnlich hohe Summe zu erhalten wie vorher durch die Sozialleistungen. Der Werkstättenleiter und Maria Pfaffenbichler stellen dabei die Bestrebungen, möglichst viele ,KlientInnen‘ auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, in Frage, wenn sie dabei finanziell benachteiligt werden. Das Recht auf Arbeit wäre zwar wichtig, aber eine starke Reduzierung des Einkommens wäre dabei nicht vertretbar (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014; Interview Mag. Pfaffenbichler, 13. 11.2013). Hiermit wird auch implizit die Idee in Frage gestellt, dass Integration am besten über Erwerbsarbeit gelingen könnte.

Zwar gibt es in Wien ein Rückversicherungsmodell, falls der Arbeitsversuch am ersten Arbeitsmarkt scheitert, doch eine Garantie, dass die Person wieder alle Sozialleistungen wie vor dem Arbeitsversuch erhält, ist dabei nicht gegeben (vgl. Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013). Ebenso verhält es sich bei den berufsvorbereitenden Praktika, die im Rahmen der Tagesstruktur absolviert werden, denn auch hier darf es

„zu keinen Zahlungen kommt, die die Klienten in irgendwelche Schwierigkeiten betreffend (…) Waisenpension, Mindestsicherung und sonst was bringen. Also, man muss aufpassen, dass die KlientInnen nicht zu viel Geld bekommen. Weil sie ja von der öffentlichen Hand sozusagen unterstützt werden und gar nicht so viel dazu verdienen dürfen“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

Auch das ausbezahlte Taschengeld muss unterhalb der Zuverdienstgrenze liegen (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Diese Regelungen halten geistig behinderte Menschen im Status „hilfsbedürftig und abhängig“, der nur durch eine erfolgreiche Integration am ersten Arbeitsmarkt überwunden werden kann. Das gestaltet sich aber schwierig, da am Weg dorthin auch informelle Hürden überwunden werden müssen, denen ein langer Lernprozess vorausgeht. Auf diesen Punkt werde ich weiter unten genauer eingehen.

In diesen Ausführungen wird die Komplexität dieses Themas deutlich, bei dem die Gesamtheit der rechtlichen und administrativen Regelungen und Zusammenhänge in den Blick genommen werden muss. Nicht nur Gesetze selbst sind daher für die Rahmenbedingungen von Bedeutung, sondern auch Regelungen, die aus finanziellen und administrativen Gründen heraus entstanden sind.

Ein geringer Teil der ,KlientInnen‘, die ich interviewt habe, besonders jene aus der Berufsorientierungsgruppe, sind sich dessen bewusst, dass ihr Einkommen größtenteils aus Sozialhilfeleistungen besteht: „[V]om Sozialen leb ich auch, leben wir, die Kollegen“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014) oder: „Weil ich geh zur Bank am Freitag und da brauch ich mich ja nicht zu beschweren. Weil ich hab nämlich eine Mindestsicherung (…) und da geh ich immer zur Bank (…) bei mir in der Nähe, brauch ich nur 20 Euro in Zehner holen oder 40 Euro, was auch immer“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Der 24-jährige Herr Markovic möchte Arbeit am ersten Arbeitsmarkt finden, um Geld zu verdienen, da er die Einkünfte durch die Mindestsicherung als zu niedrig empfindet (vgl. Interview Herr Markovic, 04.11.2013). An diesen drei Beispielen wird deutlich, dass klar zwischen den verschiedenen Geldquellen Taschengeld, Sozialhilfe und Lohn unterschieden wird, wobei nur die wenigsten der Interviewten mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld unzufrieden sind. Im zweiten Analyseschritt soll diese Beobachtung mit dem Habituskonzept erklärt werden.

5.2.8. Separierende Strukturen seit der Schule

Fast alle interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung haben bis auf wenige Ausnahmen direkt nach der Sonderschule – einem ebenfalls segregierenden System – in die Werkstatt gewechselt. Der Großteil hat sich mehrere Werkstätten angeschaut, bevor die Entscheidung für diese gefallen ist. Besonders die jüngeren ,KlientInnen‘ in der Berufsorientierungsgruppe haben diese Gruppe gewählt, um schrittweise neue Möglichkeiten kennenzulernen. Für die meisten Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ist der Weg ab dem Kindesalter vorgegeben:

„Der Übergang vom Kindergartenwesen in das Schulwesen ist also eindeutig mit einer Segregation behinderter Kinder verbunden. Diese Segregation setzt sich auch nach dem Schulabschluß [sic] fort. Behinderte bekommen weit schwerer Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten. Dies ist sowohl auf das Fehlen von spezifischen Ausbildungseinrichtungen für behinderte Menschen (...) als auch auf die geringe Bereitschaft der Unternehmen zur Ausbildung Behinderter (...) zurückzuführen. Das Erwerbsleben ist von einer Trennung behinderter Menschen, die im offenen Arbeitsmarkt mit nicht behinderten konkurrieren und jene, die in Sonderinstitutionen untergebracht sind, geprägt“ (Badelt/Österle 1993: 146f.).

Marianne Schulze sieht ebenfalls diese strukturelle Vernetzung von Schulsystem und Arbeit, wobei sie bei der Inklusion als Lösung ansetzt, denn in den letzten Jahren wäre zunehmend erkannt worden,

„dass Inklusion etwas ist, das umfassend ist und das man nicht partiell in einigen Bereichen umsetzen kann und dass gerade der Bereich Arbeit so dermaßen eng mit dem (…) Bereich Bildung verbunden ist und dass ich ohne ein inklusives Bildungssystem schwerlich das Thema inklusives Arbeiten wirklich umsetzen kann“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Besonders die älteren ,KlientInnen‘ haben bereits einen langen Prozess der Ausschließung hinter sich. Frau Tomacek, Initiatorin der Selbstvertretungsgruppe der Lebenshilfe Wien, ehemalige ,Klientin‘ in den Werkstätten des Vereins und heute in der Mitbestimmungsgruppe der Lebenshilfe Wien tätig, ist seit 40 Jahren bei der Lebenshilfe und hat die segregierenden Strukturen bereits im Kindergarten kennengelernt (vgl. Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). In den Interviews wurde diesbezüglich kaum Kritik durch die MitarbeiterInnen mit Behinderung geübt. Eine Erklärung kann hier Bourdieus Praxeologie bieten, denn der in der primären Sozialisation durch die Familie ausgebildete Habitus wird in der sekundären Sozialisation in der Schule weiter geformt und verstärkt (vgl. Jurt 2008: 66). Wenn hier also geistig behinderte Menschen „lernen“, dass sie in Sondereinrichtungen am besten aufgehoben wären und ihnen kaum Alternativen aufgezeigt werden, werden diese Perspektiven in den Habitus eingeschrieben und erscheinen als normal und selbstverständlich. Auf diese Weise wird eine Gruppe von Menschen von der Kindheit an von bestimmten Feldern wie einem selbstständigen Erwerbsleben weitestgehend ausgeschlossen. Ein Beispiel dafür ist das Zitat einer 25-jährigen Frau, die auf die Frage, warum es ihr in der Werkstatt so gut gefalle, antwortet: „Einfach, weil ich diese Werkstatt so lang kenne“ (Interview Frau Gruber, 10.12.2013). Das gewohnte Umfeld gibt ihr Sicherheit und dafür wird scheinbar auch das Fehlen von Alternativen in Kauf genommen. Diese Personen können also „nichts anderes tun, als sich den anerkannten Deutungen von Natur und Sozialwelt zu unterwerfen und sich ihrer eventuell von innen heraus zu bedienen“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 202). Dass dieses Infrage-Stellen eines Systems von innen heraus tatsächlich passiert, werde ich im nächsten Analyseschritt zeigen, in dem das Denken, Fühlen und Handeln der ,KlientInnen‘ dargestellt wird.

Doch dass sich der Übergang von Sonderschule in die Werkstatt trotz systemischer Ähnlichkeiten oft schwierig gestaltet, zeigt folgende Aussage einer Integrationsbegleiterin:

„Ich kann das grad vorwegs bei meinen Klienten sagen, die alle sehr jung noch sind, in einem sehr geschützten Rahmen auch aufwachsen, bei der Familie sehr gut eingebettet sind (…) und teilweise verwöhnt werden, (…), was ja sehr schön ist, die haben diesen Übergang von Schule in Werkstatt teilweise gar noch nicht geschafft. Obwohl sie schon teilweise über ein Jahr da sind. Aber das merk ich einfach, dass immer wieder kommt, und dann fahren wir zurück in die Schule“ (Interview Integrationsbegleiterin, 12.11.2013).

Hier wird deutlich, dass erst die „Spielregeln“ des sozialen Feldes Werkstatt erlernt werden müssen, um darin sicher und auf eine selbstverständliche Art agieren zu können. Damit gehen eingeschränkte Wahlmöglichkeiten einher, denn für die ,KlientInnen‘ stehen nach der Sonderschule nicht viele Alternativen bereit, was auch Ksenija Andelic so sieht:

„Die Wahlmöglichkeiten muss er kriegen und das ist unser größeres Problem. Es gibt die Wahlmöglichkeiten nicht. Ich glaube nicht, dass so viele Leute in die heutige Beschäftigungstherapie gehen müssten oder würden, wenn´s andere Wahlmöglichkeiten geben würde“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Wenn den SonderschulabgängerInnen kulturelles Kapital in Form eines gesellschaftlich anerkannten Schulabschlusses fehlt, bleibt ihnen meist auch der Zutritt zum ersten Arbeitsmarkt verwehrt. In der Werkstatt selbst hat das kulturelle Kapital keine große Bedeutung, da es keine Eintrittsvoraussetzung darstellt. Welche beruflichen Maßnahmen die Person nach der Schule in Anspruch nehmen kann, ist auch davon abhängig, wie gut die Angehörigen darüber informiert sind. Maria Pfaffenbichler verweist aber darauf, dass bei vielen Projekten sehr hohe Anforderungen an die TeilnehmerInnen gestellt werden, denen SchulabgängerInnen häufig nicht gewachsen seien: „Und dann gibt´s eben diese Arbeitsmarktintegrationsprojekte, das sind die sogenannten Paragraph 10-Maßnahmen [laut Wiener Chancengleichheitsgesetz; Anmerkung S.G.] (…), die halt schon gewisse Voraussetzungen verlangen, damit man das überhaupt schaffen kann. Ich sag immer, es ist für die obersten fünf oder zehn Prozent, maximal zehn Prozent“ und weiter: „Was es dann auch noch gibt, sind die integrativen Betriebe und da ist die Frage, wie weit man da mit 16, 17 nicht auch überfordert ist“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Durch die vorangegangene Sozialisierung in segregierenden Institutionen kann hier möglicherweise auch kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entstehen, um sich überhaupt erst an die Erprobung dieser Möglichkeiten zu wagen.

5.2.9. Menschenbild und Behinderung

Dass diese separierenden Strukturen mit eingeschränkten Wahlmöglichkeiten in dieser Form trotz Ratifizierung der UN-Konvention in Österreich noch existieren, ist, wie an anderer Stelle bereits angemerkt, vom Willen der Politik abhängig. Hinter jeder Behindertenpolitik steht ein bestimmtes Verständnis von Behinderung, das sich in den gesetzten Maßnahmen sowie in der Gesetzgebung widerspiegelt. Der Rechtsanthropologe Benda-Beckmann verweist auf die Verwobenheit der Rechtssituation mit den kontextuellen Bedingungen; aus dieser Perspektive hat das Menschenbild also direkte Auswirkungen auf politische Bestimmungen (vgl. Benda- Beckmann 2003: 189). Ksenija Andelic sieht nicht vorrangig die Gesetze, sondern das dahinter stehende Menschenbild als problematisch:

„[E]s ist nicht nur Gesetze, es ist einfach ein Menschenbild, das sich ändern muss und unser Geschäft. Und dafür ist die Politik verantwortlich. In dem Moment, wo es ein anderes Bild von Menschen mit Behinderung gibt, wenn man nicht so wie Licht ins Dunkel, ich reparier die Psychologie, ich reparier deine Beine, ich reparier, also ich werde Arzt, Neurologe und (…) dann, wenn wir alle so groß sind, dann bist du wieder ganz gesund. (…) Also, wir können noch immer Behinderung reparieren, so ist unser Menschenbild. So lang das nicht verändert wird, wird´s auch keine Gesetze geben und Angebote, die einen Menschen mit Behinderung als ein arbeitsfähiges Individuum, das mit besten Wissen und Gewissen seine Leistungen bringt (…) Und die UN-Konvention ist eh dahinter, dass sich da Sachen tun. Aber das ist alles Pipifatz (…) zu dem, wenn sich ein Menschenbild ändert, was sich dann in den anderen Köpfen auch, dann wird´s selbstverständlicher, dass man Menschen mit Behinderungen einstellt, zur Teilzeitkraft, zur Fünf- Stundenkraft (…) Da können Gesetze leider, also ich glaub, das reicht nicht, dass sich Gesetze, natürlich werden sich Gesetze, aber davor, (…), die Behindertenszene hat zu wenig Lobbying“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Auch Marianne Schulze übt Kritik am Bild des behinderten Menschen als hilfsbedürftiges Wesen:

„Und dann können wir auch noch lang über Licht ins Dunkel diskutieren, ja. Einfach die Bilder, die Assoziationen zum Thema Menschen mit Behinderungen gehen auf irgendwelche armseligen, spendenbedürftigen Personen, denen der Speichel aus dem Mund rinnt, hinaus, denen man über den Kopf streichelt und nicht in Richtung potenziell ein Stephen Hawking, der schwarze Löcher erklärt, denen man selbst nicht folgen kann, weil der Physikunterricht nicht gut genug war. Und da ist ein bisschen, da geht die Grätsche ziemlich auf“ (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014).

Dieses Menschenbild ist geprägt von Vorurteilen und Ängsten geistig behinderten Menschen gegenüber, was nach Frau Schulzes Einschätzung der oben genannte Segregation ab dem Schulwesen und teilweise davor geschuldet ist. Ihrer Ansicht nach werden Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung als „das große Unbekannte, Bedrohliche“ wahrgenommen (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Das gesellschaftliche Bild wird nochmals unterschieden in Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung und Menschen, die etwa durch einen Unfall auf den Rollstuhl angewiesen sind:

„Einer, der geistig behindert ist und wie ein Kind ist, ich sag das jetzt absichtlich so, der wird natürlich anders wahrgenommen als einer, der zwar körperbehindert ist, einen Unfall gehabt hat, wie auch immer, ein schweres persönliches Schicksal, aber sich vertreten kann. Beide tun einem leid, möglicherweise der Bevölkerung, ich glaub nur, dass das Leid-Tun eine andere Dimension ist“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2013).

Hier kommt es zu einem „Othering“ einer Personengruppe, einem Festschreiben von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung als „anders“, „fremd“, „anormal“ und „bedrohlich“. Da geistig behinderte Menschen in der Öffentlichkeit kaum sichtbar sind, bleiben die wenigen medial transportierten Bilder dominant und fördern diesen Prozess. Hier wird deutlich, dass Menschen mit Behinderung zahlreiche negative Attribute zugeschrieben werden, die sich letztlich einschränkend auf sie auswirken. Die Integrationsbegleiterin streicht diese sozialen Aspekte, die Behinderung bedingen, deutlich hervor: „[W]eil wenn, beeinträchtigen wir die Menschen und nicht sie selbst sind die Beeinträchtigung“. Weiters wäre ihrer Ansicht nach Behinderung immer noch ein Tabuthema, das mit Scheu verbunden wäre: „Das find ich und das merk ich auch, also auch, wenn ich öffentlich unterwegs bin, gewisse Blicke (…) und abwertende Worte sind schon noch sehr stark vorhanden“ (Interview Integrationsbegleiterin, 12.11.2013).

Für Marianne Schulze kann dieses Menschenbild nur durch „den Abbau von Barrieren in den Köpfen über diese Doppelschiene Bewusstseinsbildungskampagne und Bildungssystem inklusiv“ passieren (Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Es muss sich also auch die habituelle Wahrnehmung von Behinderung durch Menschen ohne Behinderung ändern.

5.2.10. Politische Mitbestimmung

Dieses Menschenbild, das geistig behinderte Menschen nicht als gleichberechtigte BürgerInnen versteht, bewirkt auch, dass sie bei den Entscheidungen, die sie direkt betreffen, kaum miteinbezogen werden. Das zeigt sich nicht nur im kleinen Rahmen wie in der Familie, sondern auch auf der Makroebene der politischen Mitbestimmung (vgl. Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Dennoch versuchen sich Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zu organisieren und fordern so Mitbestimmung ein. Das geschieht meist in Form von Selbstvertretungsgruppen oder Werkstatträten. Diese Selbstvertretungsgruppen waren auch an der Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention beteiligt (vgl. Interview Dr. Schulze, 29.01.2014). Frau Tomacek, die die Selbstvertretung der Lebenshilfe 1999 initiiert hat, erzählt von ihrer Motivation, ein Mitbestimmungsinstrument zu installieren:

„Wir waren (…) in Den Haag und da hat´s einen Kongress gegeben, wo Selbstvertreter von der ganzen Welt waren. (…) Und ich war so begeistert, dass ich dann beim Heimfliegen, beim Heimfliegen hab ich dann zu unserem Sozialarbeiter gesagt, du, es war so interessant, können wir vielleicht eine machen. (…) Ja, viele haben gesagt, ja, ist interessant, wir wollen dabei sein. (…) Und am Anfang waren nur (…) wenig und dann sind wir schon mehr geworden. (…) Und jetzt (…) gibt´s die Selbstvertretergruppe seit 1999, also, heuer werden wir 15 Jahre (…) alt“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014)

Das lange Bestehen der Selbstvertretung macht Frau Tomacek stolz: „Keiner hat gesagt, nein machen wir nicht. Jeder hat gesagt, ja, machen wir. Und ich bin stolz, dass wir die Gruppe haben“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014).

Ksenija Andelic verweist auf das politische Engagement der Selbstvertretungsgruppen: „Ja, und die Wohnräte und Werkstatträte sind sich auch nicht zu blöd, Briefe zu schreiben und diese VertreterInnen. Und die sind mittlerweile schlau genug, dass sie wissen, dass es ohne Geld nicht geht“ und sie streicht weiters die Erfolge dieser Gruppen heraus:

„So wie der Betriebsrat, sie haben erreicht, dass sie den Urlaub mitnehmen dürfen ins nächste Jahr[5]. Sie haben erreicht, dass es Weihnachts- und Urlaubstaschengeld gibt. Sie haben erreicht, dass sie auch Pflegeurlaub gehen dürfen, ja. Also, so gewerkschaftlich gesehen, betriebswirtlich gesehen, einiges“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Werden die Forderungen hartnäckig gestellt, müssen sie auch politisch in Betracht gezogen werden. Auf dieser Ebene können die Strukturen durch die betroffenen Personen bis zu einem gewissen Grad mitbestimmt und verändert werden.

5.2.11. Werkstattebene

In der Werkstatt selbst haben die ,KlientInnen‘ bestimmte Rechte und Pflichten, die entweder im Betreuungsvertrag oder in der Hausordnung schriftlich festgehalten sind, aber nicht im Wiener Chancengleichheitsgesetz. Dabei handelt es sich meist um sehr allgemeine Vorschriften, wie Betreuungszeitraum oder Kostenbeiträge für das Mittagessen (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Daneben gibt es Regeln und Sanktionen, die jede Werkstatt und teilweise jede Gruppe aus einer Notwendigkeit heraus entwickelt hat, etwa ein Handyverbot während der Arbeitszeit oder Taschengeldabzug bei dauerhafter Unpünktlichkeit (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Hier zeigt sich, dass Recht nicht starr ist, sondern auf Veränderungen der sozialen Praxis reagiert. Wie bereits im Kapitel 3.3. erwähnt, sehe ich die Werkstatt nach Moore als ein semiautonomes soziales Feld, das einerseits von übergeordneten rechtlichen Rahmenbedingungen wie dem Wiener Chancengleichheitsgesetz strukturiert wird, aber andererseits versuchen diese semiautonomen Felder, Autonomie zu erlangen, indem sie eigenen Regeln aufstellen (vgl. Moore 1978: 80). Die Rechtsanthropologin Moore bezeichnet diese Regeln als „law-like“ (Moore 2005b: 1), also als dem staatlichen Recht ähnlich, da diese Regeln ebenfalls eingehalten und sanktioniert werden. Die Werkstatt ist sozusagen ein „Mikrokosmos“, der Parallelen zum ersten Arbeitsmarkt aufweist und eigene Regeln hat, aber doch wesentlich von den äußeren Strukturen mitbestimmt ist, das heißt, Rechte und Gesetze sind „Spielregeln“, die das Handeln zwar strukturieren, aber deswegen nicht automatisch determinieren. Josef Fraunbaum verweist darauf, dass es rechtlich sehr wenig Verbindliches in Bezug auf die Rechte und Pflichten der ,KlientInnen‘ gibt und

„ansonsten ist es im Kern aus dem, was du dir mit der Institution ausmachst und das sind, also schriftliche Dinge gibt´s da oft ganz wenig. (…) Also, die rechtliche Materie, das heißt, der Jurist tut sich schwer (…) ich kann nicht etwas nehmen und sagen, so ist das, weil das ja oft nicht drin steht“ (Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013).

Fühlt sich ein/e Mitarbeiter/in mit Behinderung in ihren Rechten verletzt, ist der/die Betreuer/in meist die erste Ansprechperson. Die Werkstätten haben zudem ein Beschwerdeprozedere, das meist schriftlich erfolgt. Außerdem gibt es „dann noch das Bestreben, dass man Werkstatträte, so wie Betriebsrat oder Vertreter, installiert“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014), die laut Ksenija Andelic das „Pendant zum Betriebsrat“ darstellen (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Ein Werkstattrat ist ein/e gewählter/e Mitarbeiter/in mit Behinderung, um den ,KlientInnen‘ „eine Beschwerdemöglichkeit auf ihrer Ebene“ bieten zu können (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2013). Über die Selbstvertretung und die Werkstatträte sollen die ,KlientInnen‘ ein Mitspracherecht bei Entscheidungen in der Werkstatt erhalten.

Da das Arbeitsrecht in den Werkstätten nicht gültig ist, weil es sich hier rechtlich um keinen Arbeitsplatz, sondern um eine Betreuungsstruktur handelt, wurden zu den Themen Taschengeld, Urlaub, Kollektivvertrag, Pensionsanspruch und Sozialversicherung von den Vereinen eigene Regelungen aufgestellt, die meist auf der administrativen Ebene, wie oben ausgeführt, verankert sind. Doch das „ist alles im Wesentlichen ungeregelt, das heißt zum Beispiel aber auch, du hast auf deinen Urlaub keinen Rechtsanspruch“ (Interview Mag. Fraunbaum, 05.12.2013). Ein eigener Kollektivvertrag sowie eine Sozialversicherung über die Arbeit und nicht wie bisher über Pensionen oder Mitversicherung bei den Eltern, werden teilweise im politischen Diskurs besprochen, bislang aber ohne Ergebnis. Vor wenigen Jahren wurde ein Fortschritt erzielt und eine Unfallversicherung für die MitarbeiterInnen mit Behinderung in den Werkstätten in Wien eingeführt (vgl. Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Zusammenfassend lässt sich hierzu sagen, dass nur wenige Bereiche tatsächlich rechtlich beziehungsweise administrativ geregelt sind. Somit entwickeln die Werkstätten selbst immer mehr arbeitsähnliche Strukturen. In einem quasi „rechtsfreien“ Raum – weil das Wiener Chancengleichheitsgesetz keine reale Wirkkraft hat – wird versucht, arbeitsrechtähnliche Strukturen zu installieren, zum Beispiel Werkstatträte, Pensionsanspruch oder Mitnahme von Urlaubstagen in das nächste Jahr. Das lässt sich als Versuch deuten, Strukturen des ersten Arbeitsmarktes im Ersatzarbeitsmarkt zu installieren, allerdings ohne rechtliche Basis. Ein Beispiel dafür sind die Werkstatträte:

„[E]s gibt nur das Wiener Chancengleichheitsgesetz, wo drinnen steht, dass gewünscht wird, also, es ist eine Kann-Bestimmung, keine Muss-Bestimmung, leider Gottes, dass Selbstvertreter, Wohn-und Werkstättenräte in Organisationen aufgebaut werden sollen. Nein, sie haben sich eigene Statuten und Regeln erarbeitet, wie das gehandhabt wird. Da gibt´s nichts Offizielles. Auch nicht vom Staat“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Somit hat noch keine vollständige Verrechtlichung der Werkstatt im Sinne staatlicher Gesetze stattgefunden; eine Verrechtlichung auf einer informellen Basis lässt sich aber durchaus feststellen.

5.2.12. „Auftragsnot“

Da die Werkstatt administrativ und finanziell gesehen wie ein Betrieb agiert, ist sie davon abhängig, neben den Tagsätzen, die vom Fonds Soziales Wien bezahlt werden, Einkünfte durch Aufträge von Firmen zu erzielen (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Dabei steht die Werkstatt aber in Konkurrenz zu anderen Vereinen und zu „Billigstländer, wo MitarbeiterInnen halt nicht so viel kosten“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Diese Problematik spricht auch die Pädagogin Spiess an, die eine noch stärkere Verlagerung der Aufträge in Billiglohnländer für die Zukunft prognostiziert (vgl. Spiess 2004: 68). Dennoch geben Firmen Aufträge an Werkstätten, weil es eine „Niedrigpreisarbeit“ ist und „wir sind auf alle Fälle viel billiger als jede Arbeitskraft, die sie sich anstellen“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Die Firmen selbst schlagen aus den Aufträgen für Werkstätten und aus angebotenen Praktika symbolisches Kapital. Bei meiner Nachfrage bei drei Firmen hat sich gezeigt, dass Aufträge nicht aus Altruismus vergeben werden, sondern die Firmen erwarten sich dadurch soziales Ansehen. Eine Firma antwortete, es wäre schon immer „gang und gäbe“ gewesen, Aufträge an solche Werkstätten zu vergeben. Sie würden die Aufträge erstens deswegen vergeben, damit die ,KlientInnen‘ in den Werkstätten beschäftigt werden und Arbeit haben und auch „dass solche Leute gefördert und beschäftigt werden“ (Feldnotizen, 10.01.2014). Zweitens hätte die Firma intern nicht die Kapazität dafür und müsse daher Aufträge abgeben. Die zweite Firma konnte mir die Frage nicht beantworten. Die Ansprechperson meinte, der Mitarbeiter, der das organisiert hätte, wäre nicht mehr da, aber er wäre generell sozial engagiert gewesen und sie könne sich das als Grund vorstellen. Die dritte Firma betonte die „sozialen Zielsetzungen“, die sie damit verfolgen würden. Außerdem wäre die Firma personalmäßig unterbesetzt und daher bräuchte sie Unterstützung bei verschiedenen Arbeiten wie Kuvertieren und Versenden. Zudem würden die Lebenshilfe Werkstätten die Arbeit immer gut und zeitgerecht ausführen (vgl. Feldnotizen 10.01.2014, 14.01.2014). Durch die Übernahme sozialer Verantwortung, indem Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung mit „normaler“ Arbeit sinnvoll beschäftigt werden sollen, soll symbolisches Kapital angehäuft werden.

5.2.13. Behindertenpädagogische Paradigmen

In den Werkstätten wird pädagogisch nach den Paradigmen Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung, Normalisierungsprinzip und individuelle Förderung gearbeitet (vgl. Lebenshilfe Österreich 2013; Lebenshilfe Wien 2013b: 1). Die Arbeit selbst soll an einer „normalen“ Arbeit ausgerichtet sein:

„Ich denk mir (…), dass was geleistet wird und dass nicht nur aufs Wohlfühlen, sondern dass man versucht, die Leute so normal wie möglich zu behandeln. Das ist schon ein Teil vom Normalisierungsprinzip. Ein weiterer Teil ist, dass sie von acht bis drei arbeiten gehen, so wie jeder andere Menschen und nicht, so wie´s früher auch oft war, mit den Hauspatschen ins Nachbarhaus gegangen ist oder nur einen Stock tiefer und dort war schon die Tagesgruppe“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Weiters bedeutet Normalisierung auch,

„mit anderen Leuten zusammenkommen. Das ist auch gegeben, ja. Das einzige, was nicht gegeben ist, ist die Inklusion zwischen behindert und nicht behindert. (…) Also, das mit der Normalisierung, kommt drauf an, was man versteht unter Normalisierung, nicht. Wenn ich hauptsächlich verstehe, ich geh wohin arbeiten, haben wir das da auch“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Dieses Zitat macht deutlich, dass das Normalisierungsprinzip relativ flexibel umgesetzt und interpretiert werden kann und auch von den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen und Einstellungen mitbestimmt wird. In gewisser Weise ist es immer ideologisch geprägt, da darin auch ausverhandelt wird, was als „normal“ gilt (vgl. Jenkins 1998: 22). Ein Leben „so normal wie möglich“ für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung bedeutet nicht automatisch, dass ihnen alle Rechte, die Menschen ohne Behinderung besitzen, zugesprochen werden. Daher muss immer präzisiert werden, wie Normalisierung verstanden wird. Im Arbeitsalltag wird von den ,KlientInnen‘ Selbstständigkeit erwartet, was ebenfalls Teil der Normalisierung ist:

„Und dann ist (…) für mich auch wichtig mit meinen Kollegen, dass man dann auch schaut, so viel wie möglich selbstständig machen und auch so viel wie möglich auch sich selber das Arbeitsmaterial besorgen und bei manchen ist es so, dass sie es zwar könnten, aber sie trauen sich noch nicht. Also, das ist dann auch so ein Prozess, dass man das rausfindet, also, eigentlich könnte er es, tut es aber nicht. Dass man da halt einfach auch mit Motivation und so ein bisschen arbeitet“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

Doch diese Forderung kollidiert mit dem „anerzogenen“ Habitus der MitarbeiterInnen mit Behinderung, den sie hätten „gelernt, dankbar, unkritisch, freundlich und anpassungsbereit zu sein“ (Spiess 2004: 121), was auch die Erwartung impliziert, die Arbeit ohne Nachfragen einfach hingestellt zu bekommen:

„Und ein weiteres Risiko ist meiner Meinung nach, und das gilt besonders für Leute, die länger in Institutionen oder Tagesstrukturen sind, wenn man da einmal in diesem ganzen Alltag und in diesem Anpassungsprozess und in diesem Betreut-Werden drin ist ein paar Jahre, ist es schwierig da wieder rauszukommen oder sich umzugewöhnen oder sich dann weiterzuentwickeln. Also, auch das in der Institution-Sein ist sicherlich nicht förderlich. Also, ich beobachte schon, dass eigentlich wir von den Klienten ziemlich arge Sachen verlangen, weil einerseits wollen wir Integrationsbegleiter, dass sie selbstständig sind und was riskieren, was ausprobieren, was Neues machen, nach außen gehen (…) und andererseits wird hier in der Tagesstruktur von der Institution eine ziemlich hohe soziale Anpassung und Unselbstständigkeit gefördert. Durch das, dass halt alles gemacht wird für die Leute, dass das Essen ihnen bestellt wird, ihnen auf den Teller gegeben (...). Also, das sind eigentlich sehr widersprüchliche Botschaften, die da an unsere selbstständigen KlientInnen herangetragen werden“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

Hier werden gegensätzliche Forderungen an die ,KlientInnen‘ gestellt, mit denen sie erst umgehen lernen müssen. Dieses Zitat, das für mich deutlich gemacht hat, dass das Handeln und Denken der MitarbeiterInnen mit Behinderung Folge eines spezifischen Habitus ist, lässt die Strukturen, innerhalb derer dieser Habitus ausgebildet wird, sichtbar werden.

Als besonders wichtig wird es in der pädagogischen Arbeit erachtet, vom Individuum und dessen Bedürfnissen auszugehen: „Ich glaub, am wichtigsten ist, auf die Person genau hinzuschauen. Nicht Inklusion und Arbeitsintegration zu machen, weil´s modern ist, sondern weil´s für die Person passt und dann die erforderliche Unterstützung, die er braucht“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Daher soll im Bereich Arbeit das Angebot gefunden werden, das für die Person am besten passt:

„Und das kann je nach Fähigkeiten und Interesse sein, dass sie ganz einfach nur schauen, was ist für sie die ideale Tagesstruktur, welche Lebenshilfe-Werkstätte wollen sie vielleicht (…) besuchen. Das kann aber auch sein, dass sie neben der Tageswerkstätte was suchen, wo sie extern was arbeiten können, z.B. in einer dislozierten Beschäftigung. Für ein paar der selbstständigsten KlientInnen (…) ist es aber auch ein Thema, einen Arbeitsplatz zu finden, wo sie auch mal richtig unter Anführungszeichen Geld verdienen können beziehungsweise ein richtiges angestelltes, sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis haben“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

Für die BetreuerInnen ist die Zufriedenheit der ,KlientInnen‘ dabei besonders wichtig:

„Aber die Möglichkeiten sollen von bis sein, ohne Wertung jetzt, weil das Wichtigste ist, dass man im Beruf zufrieden ist oder gern in die Arbeit geht, so wie´s für uns auch ist, denk ich mir, wird´s für unsere Leute auch sein. Und das ist halt das Ziel, dass man was findet, was gut passt“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

Auch an dieser Stelle wird ebenfalls implizit die Annahme kritisiert, dass die Integration am erfolgreichsten über den Bereich Arbeit stattfinden könnte. Der hohe Stellenwert von Erwerbsarbeit und der Zwang, ein ökonomisch nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, werden somit ebenfalls in Frage gestellt.

5.2.14. Industriearbeit

Für viele MitarbeiterInnen mit Behinderung stellt die Industriearbeit in den Werkstätten einen solchen Bereich dar, mit dem sie zufrieden sind. Doch wie in Kapitel 2.2. bereits kurz angerissen, wird die Sinnhaftigkeit der Industriearbeit immer wieder diskutiert. Einerseits lässt sich die Arbeit in viele Einzelschritte zerlegen, so dass jede/r mitarbeiten und somit sehr schnell ein Erfolgserlebnis verspüren kann. Auch die gleichbleibenden Arbeitsschritte wirken für einige ,KlientInnen‘ beruhigend und entspannend. Andererseits kann genau dieser Punkt zu Langeweile führen. Zudem wird die niedrige Bezahlung der Industriearbeit kritisiert (vgl. Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Bei diesem Tätigkeitsbereich lässt sich ebenfalls eine Parallele zum Normalisierungsprinzip ziehen: „Naja, dadurch, dass ich überzeugt bin, dass das für manche Leute wichtig ist, halte ich es für sehr zeitgemäß. Und das zweite ist, dass es ja auch Firmen gibt, die am Fließband arbeiten“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.12.2013). Wie in einer „richtigen“ Firma, in der, wie betont wird, ebenfalls ähnliche Tätigkeiten durchgeführt werden, kann hier „wirklich Arbeit in einer Realitätsgeschichte“ ausprobiert werden, denn: „Bei den Arbeiten, die sie am Arbeitsplatz machen werden, wenn sie einen Arbeitsplatz haben sollten, werden auch nicht viel anspruchsvoller sein. Regal einschlichten beim Merkur oder Stifte einordnen, ich glaub, der Unterschied ist ein marginaler“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Hierbei geht es um eine Erprobung der Fähigkeiten für den ersten Arbeitsmarkt, wobei der Habitus durch das Erlernen neuer Fertigkeiten auf eine mögliche zukünftige Anstellung hin orientiert werden soll. Eine wichtige Fähigkeit, die für die Arbeit am ersten Arbeitsmarkt zentral zu sein scheint, ist die Teamfähigkeit:

„[D]er Vorteil ist auch, dass wir viele Arbeiten haben, wo jetzt nicht nur einer allein arbeitet, sondern dass wir auch so Straßen machen oder so Gemeinschaften, wo jetzt drei Leute zusammenarbeiten. Und da ist natürlich auch der Vorteil, dass ich lern auch, bisschen auf den anderen Rücksicht zu nehmen. (…) Und andererseits auch die, die langsamer sind, haben vielleicht den Ansporn auch, dass sie sagen, schau, dass ich da gut mitkomm. Also so, dass sie auch ein bisschen lernen Verantwortung und auch Rücksichtnahme“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

Ebenfalls wie am ersten Arbeitsmarkt sollen Sinn und Zweck der Arbeit für die MitarbeiterInnen mit Behinderung nachvollziehbar sein, was zu Beginn der „Beschäftigungstherapie“ aber keineswegs im Zentrum der pädagogischen Arbeit stand:

„[M]eine ersten Erfahrungen waren schlimm, weil die Leute haben nichts zu tun gehabt, haben wirklich gebastelt, gezeichnet und der hat das neben ihnen in den Papierkorb geschmissen. Da ist man wirklich weg davon heute. Heute geht´s darum, dass möglichst sinnvolle Geschichten gemacht werden“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Obwohl die ,KlientInnen‘ großteils wissen, was sie für welche Firma verpacken, sind ihnen, wie sich in den Interviews gezeigt hat, die nächsten Schritte in der „Biographie der Dinge“ (vgl. Kopytoff 1986) teilweise nicht klar. Auf die Frage, ob sie wissen, was mit den Stiften oder kuvertierten Einladungen weiter passiert, wenn sie von der Firma abgeholt werden, haben etwa fünf ,KlientInnen‘ mit Nein geantwortet.

5.2.15. Hürden am Weg zum „richtigen Job“

Auch wenn sich die ,KlientInnen‘ Fertigkeiten für den ersten Arbeitsmarkt aneignen, so sind doch die Hürden und Anforderungen, um Arbeit am ersten Arbeitsmarkt zu finden, hoch. So gibt es einerseits die administrativen Hürden, die es, wie oben erklärt, verhindern, überhaupt erst in den ersten Arbeitsmarkt hinein zu schnuppern, aber andererseits scheinen die informellen Barrieren, die sich teilweise aus dem oben dargestellten Menschenbild ableiten, ebenso oder noch bedeutender zu sein:

„Naja, eben, dass man 30, 40 Stunden arbeiten muss, dass man einfach hackelt, (…) dass man wirklich fit ist, dass man vom Verhalten her keine Auffälligkeiten hat, dass man auch so gut wie keine Unterstützung braucht, dass man sich ziemlich anpasst (…). Ich hab einmal gehört von einem Arbeitgeber: Dass er arbeiten kann, ist gar nicht so wichtig. Freundlich muss er sein und darf nicht zurückreden. Und das sagt es irgendwie so (lacht). Ja. Also, das Verhalten ist sicher auch eine große Geschichte“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Die Wichtigkeit des sozial angepassten Verhaltens wird auch von BetreuerInnen betont:

„Naja, was schon eine Voraussetzung eigentlich ist, ist eine gewisse soziale Anpassungsfähigkeit hier in der Institution und auch in der Gruppe. Also, das ist eine Voraussetzung, einmal hier sein zu können und mit allen KollegInnen und Betreuern gut auszukommen“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

Diese Aussagen verdeutlichen, dass das Verhalten der Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung einer gesellschaftlich anerkannten Norm entsprechen muss, was in der Werkstatt in einem geschützten Rahmen trainiert werden soll. Aber auch Selbstständigkeit wird in diesem Kontext wieder in den Vordergrund gerückt, wobei sich das, wie im Zitat des Integrationsbegleiters oben deutlich wurde, in der Werkstatt als Widerspruch und besondere Schwierigkeit herausstellt. Wenn es die MitarbeiterInnen mit Behinderung gewohnt sind, dass alles für sie erledigt wird, muss Selbstständigkeit häufig erst in einem langen Prozess erlernt werden.

Für die ,KlientInnen‘, die in der Berufsorientierungsgruppe sind, stellt die erfolgreiche Absolvierung des zweieinhalb-jährigen Kurses eine wichtige Voraussetzung für einen „richtigen Job“ dar: „Im Kurs bin ich jetzt da, ich brauch das fertig machen bis Oktober 2014, bis Oktober oder Mai sagen sie mir. Ich schau jetzt neuen Job, ich versuche“ (Interview Herr Markovic, 04.11.2013). Zudem wäre Pünktlichkeit eine weitere notwendige Voraussetzung, um ein Praktikum und letztlich die Möglichkeit auf einen „richtigen Job“ zu erhalten (vgl. Interview Herr Markovic, 04.11.2013). Ein anderer Mitarbeiter mit Behinderung erzählt in einem informellen Gespräch, dass Praktika zwar nicht bezahlt werden, er würde diese aber machen, um irgendwann am ersten Arbeitsmarkt arbeiten zu können (vgl. Feldnotizen, 14.10.2013).

Ein älterer Mann, der lange Zeit am ersten Arbeitsmarkt tätig war und wegen gesundheitlicher Probleme nach einem langen Prozess in die Werkstatt gekommen ist, macht im Interview deutlich, wie hoch die Anforderungen für ihn sind:

„Das war so, ich hab im Beruf nicht mehr weiter können und da hat mir meine Schwester teilweise geholfen. Dann hab ich einen Sachwalter eingesetzt, vom Sachwalter hab ich nachher da in der Werkstatt die Arbeit gekriegt, weil sie gesagt hat, geschützten Arbeitsplatz. Da hab ich nachher angenommen, ich hab gewusst, dass ich eine andere Arbeit nicht mehr schaff“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013).

Für ihn wäre, wenn er jünger wäre, die Berufsorientierungsgruppe eine interessante Option: „Wenn sie das schon früher gemacht hätten, ja, da hätte ich eine Chance, andere Arbeitschancen gehabt. Aber jetzt will ich nicht mehr. Ich bin eigentlich fast eh selbstständig“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013). Die Hürden scheinen für ihn so hoch zu sein, dass er keinen Willen entwickelt, sich auch in einem höheren Lebensalter noch nach anderen Optionen umzusehen.

5.2.16. Zusammenfassung der Analyse der Strukturen

In diesem Analyseabschnitt habe ich die strukturellen Rahmenbedingungen für die Situation von geistig behinderten Menschen in Werkstätten in Wien herausgearbeitet. Dabei wurden die Rechtsebenen Menschenrechte, Landesgesetze und Regelungen in der Werkstatt in den Blick genommen.

Die Landesebene ist von einem Föderalismus geprägt, da jedes Bundesland über ein eigenes Behindertengesetz verfügt, was unterschiedliche Definitionen von Behinderung und Leistungsansprüche nach sich zieht. Im Wiener Chancengleichheitsgesetz ist Behinderung als rechtliche Konstruktion immer noch medizinisch definiert, wobei das Individuum als Ursache der Beeinträchtigung gesehen wird. Weiters wird hier ein Bezug zur Erwerbsfähigkeit hergestellt. Behinderung und Erwerbsunfähigkeit sind also auch hier verknüpft. Doch für die rechtliche Praxis ist dieses Gesetz kaum von Relevanz, da es unklar und offen formuliert ist. Die Werkstätten orientieren sich daher an anderen Vorgaben, um den Rahmen, den das Gesetz vorgibt, umzusetzen. Auf dieser Ebene wird der Dualismus aus Sollen und Sein des Gesetzes erstmals deutlich.

Die Rechte und Pflichten auf der Werkstattebene sind meist sehr allgemein formuliert und in Betreuungsverträgen festgehalten. Daneben gibt es interne Regeln der Werkstatt, die häufig informell an die ,KlientInnen‘ weitergegeben werden. Die Werkstatt kann nach Moore als semiautonomes Feld gesehen werden, das zwar von den rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst wird, aber eigene Regeln aufstellt und so eine Eigenständigkeit erlangt. Doch die Regeln der Werkstatt sind rechtlich nicht verbindlich und auch das Arbeitsrecht ist hier nicht anzuwenden, da es sich um eine Betreuungsstruktur handelt. Dennoch versuchen die Werkstätten arbeitsrechtähnliche Strukturen, wie den Werkstattrat als Gegenstück zum Betriebsrat, zu installieren, jedoch ohne rechtliche Basis.

Aber auch auf der Ebene der Menschenrechte, besonders in Form der UN-Behindertenrechtskonvention, findet sich der Dualismus aus Sollen und Sein erneut wieder. Denn obwohl Österreich diese Konvention ratifiziert hat, wird sie im Bereich der Arbeit nur lückenhaft umgesetzt. Die Konvention fordert Inklusion und Teilhabe an allen Lebensbereichen, wodurch die Werkstätten in die Kritik geraten. Die Werkstätten stellen ein System dar, das in Österreich seit Jahrzehnten segregierend wirkt und Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung vor allem im Bereich der Arbeit von der Gesellschaft trennt. Diese Separation beginnt für die meisten geistig behinderten Menschen bereits im Kindesalter mit dem Eintritt in die Sonderschule, was einen bestimmten Habitus hervorbringt. Dieser Habitus äußert sich häufig in Anpassungswilligkeit und Unselbstständigkeit, was mit den pädagogischen Bestrebungen nach Selbstbestimmung und Selbstständigkeit nicht in Einklang steht. Diese Fähigkeiten müssen daher oft erst in einem langen Prozess erlernt werden. Doch diese Strukturen werden von den ,KlientInnen‘ meist nicht kritisiert, da sie sie als normal erleben und diese im Sinne der symbolischen Gewalt für sie selbstverständlich erscheinen. Die ,KlientInnen‘ haben die Machtstrukturen in ihren Habitus internalisiert, so dass ihre Wahrnehmungs- und Deutungsspielräume vorstrukturiert beziehungsweise eingeschränkt sind. Damit geht auch einher, dass sie in rechtlicher Hinsicht als möglichst abhängig gelten sollen, um Sozialleistungen zu erhalten (vgl. Degener 2003: 457). Auch dieser „Anspruch“ ist im Habitus verankert.

Obwohl die UN-Konvention in Österreich offiziell rechtliche Geltung besitzt, wird den darin enthaltenen Forderungen in Bezug auf die Werkstätten nicht nachgekommen. Somit ergibt sich die Situation, dass für die Werkstätten die UN-Konvention und das Wiener Chancengleichheitsgesetz von Bedeutung sind, diese stehen aber in einem deutlichen Widerspruch zueinander, der aufgrund der Ratifizierung nicht existieren dürfte. Aus einer anthropologischen Perspektive ergibt sich hier eine mit Einschränkungen rechtspluralistische Situation – zwei rechtliche Normen bestehen zwar nebeneinander, im vorliegenden Beispiel stellt die untergeordnete Rechtsnorm aber eine Verletzung der übergeordneten dar –, die zwar formell eindeutig zu lösen wäre, indem das österreichische Gesetz der UN-Konvention angepasst wird, aber in der Praxis gestaltet es sich wesentlich schwieriger. Es fehlen Alternativen zu den Werkstätten, weshalb diese auch in den nächsten Jahren nicht einfach abgeschafft werden können, da den ,KlientInnen‘ so häufig nur die Option „zuhause bleiben“ offen steht. Am Weg zu einer Arbeit am ersten Arbeitsmarkt, müssen große Hürden überwunden werden, die für die ,KlientInnen‘ oftmals unüberbrückbar erscheinen beziehungsweise teilweise unüberbrückbar sind. Einerseits ist hier die Verwaltungsebene durch den Fonds Soziales Wien zu beachten, der nur die volle „Beschäftigungstherapie“ finanziert und somit ein Hineinschnuppern in den ersten Arbeitsmarkt verhindert.

Andererseits existieren informelle Barrieren, die eine Verhaltensänderung der geistig behinderten Menschen verlangen. Wenn am ersten Arbeitsmarkt ein sozial angepasstes Verhalten gefordert wird, das sich an einer Verhaltensnorm orientiert, so müssen viele ,KlientInnen‘ diese Norm erst internalisieren und sich habituell an sie anpassen. Ihnen fehlt zudem das kulturelle Kapital in Form eines Bildungsabschlusses, das eine wesentliche Voraussetzung für den ersten Arbeitsmarkt darstellt. Damit ist auch ein Fehlen symbolischen Kapitals als soziale Anerkennung verbunden, was in einem bestimmten Bild von geistig behinderten Menschen begründet ist.

Da die UN-Konvention für die Einzelperson nicht einklagbar ist, wird die Politik als Instrument gesehen, mittels dessen Veränderung herbeigeführt werden kann. Im politischen Bereich versuchen Selbstvertretungsgruppen Einfluss und Mitsprache zu erlangen, wobei ihre Forderungen zunehmend ernstgenommen werden. Hinter jeder Behindertenpolitik steht ein bestimmtes Menschenbild, das Auswirkungen auf die gesetzten Maßnahmen hat. In der Analyse wurde herausgearbeitet, dass dieses Bild von geistig behinderten Menschen stark von Vorurteilen und Ängsten geprägt ist und diese Personengruppe in einem „Othering“-Prozess als „anders“, „hilfsbedürftig“ und „abweichend“ konstruiert wird. Die Trennung von behinderten und nicht-behinderten Menschen in den zentralen Lebensbereichen Schule und Arbeit trägt wesentlich zur Entwicklung und Aufrechterhaltung dieses Bildes bei. Bei der Begegnung mit Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung reagieren Menschen ohne Behinderung deswegen häufig verunsichert, was den nicht-behinderten Habitus – der Habitus wird nur in neuen und unbekannten Situationen, an die er nicht angepasst ist, sichtbar – zu Tage treten lässt. Viele politische Maßnahmen sind daher weiterhin an einem medizinisch-individuellem Verständnis von Behinderung orientiert und darauf gerichtet, den behinderten Menschen an eine Norm anzupassen, um den eigenen nicht-behinderten Habitus nicht adaptieren zu müssen. Wie die Politikwissenschaftlerin Naue anmerkt, wird Behinderung aus der medizinischen Perspektive entpolitisiert, was bedeutet, dass nicht die sozialen oder rechtlichen Hindernisse als veränderungswürdig erkannt werden, sondern der Fokus auf das Individuum gerichtet ist (vgl. Naue 2006: 154). Erst wenn sich der Blick auf Behinderung verändert und Behinderung in den Bereich des Politischen rückt, sich also der Kontext der Rechtssituation wandelt, kann auch der rechtliche Rahmen so adaptiert werden, dass sich die Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Normenkomplexen, etwa Inklusion und Segregation, auflösen.

5.3. Das Denken, Handeln und Erleben der ,KlientInnen‘

In diesem zweiten Teil der Analyse soll gezeigt werden, inwiefern sich die ,KlientInnen‘ der oben herausgearbeiteten Strukturen bewusst sind und wie sie ihre Situation darin erleben und damit umgehen. Ich gehe von der Annahme aus, dass Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, die in Werkstätten arbeiten und in anderen Institutionen untergebracht sind, als Gruppe einen ähnlichen Habitus entwickelt haben, der ihnen hilft, sich an meist von außen vorgegebene Strukturen flexibel anzupassen und Veränderungen als unvermeidlich hinzunehmen. Dennoch gibt es Einflüsse, die den Habitus „bewegen“ und so einen abweichenden Umgang mit den Strukturen möglich machen, etwa im Bereich der Selbstvertretung. Doch nicht nur die ,KlientInnen‘ reproduzieren diese Strukturen, sondern auch die BetreuerInnen. Wie bewegen, verhalten sich und arbeiten also Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung innerhalb dieser Strukturen? Inwiefern sind ihnen diese Strukturen bewusst und inwieweit sehen sie Veränderungsbedarf? Inwiefern werden sie in ihrer Arbeit von den Strukturen beeinflusst?

Meine Hypothese zu Beginn der Forschung war, dass ein Großteil der ,KlientInnen‘ mit ihrer Situation in den Werkstätten unzufrieden ist oder zumindest einen Veränderungsbedarf sieht. Doch diese Annahme hat sich im Laufe der Feldforschung als falsch erwiesen, was für mich anfangs schwer zu erklären war. Doch mithilfe des Habituskonzeptes wurde es mir möglich, zu erläutern, warum viele ,KlientInnen‘ trotz der Ungleichheiten und strukturellen Benachteiligungen mit ihrer Situation zufrieden sind. Der Pädagoge Schäfers zieht hier die Sozialisierung in institutionellen Kontexten als Erklärung heran:

„Zudem ist besonders in institutionellen Zusammenhängen davon auszugehen, dass die befragten Betroffenen u.U. engere Gestaltungsspielräume erfahren (z.B. aufgrund höherer Abhängigkeit von Hilfe) und somit ihre Selbstbeurteilungen an diesen gewohnten Erfahrungsräumen ausrichten“ (Schäfers 2008: 151).

Dieses eingeschränkte Wissen über Möglichkeiten kann dazu führen, „dass selbst geringe Entscheidungsspielräume im Ergebnis positiv bewertet werden“ (a.a.O.), was sich zu einem überwiegenden Teil auch in der folgenden Analyse zeigen wird.

5.3.1. Bewusstsein über Rechte und Pflichten

In einem ersten Schritt soll hier das Rechtsbewusstsein der ,KlientInnen‘, also das Wissen und Denken über Recht, aufgezeigt werden. Recht stellt in diesem Zusammenhang ein Denksystem dar, durch das bestimmte Beziehungen und gesellschaftliche Zustände normal und selbstverständlich erscheinen (vgl. Baer 2011: 72; Fuller 1994: 11), besonders wenn die rechtlichen Gegebenheiten von den betroffenen Personen nicht hinterfragt werden. In den Interviews mit den MitarbeiterInnen mit Behinderung hat sich gezeigt, dass ein Rechtsbewusstsein in dem Sinne, dass sie wissen, was ihr Recht ist und wie sie es in Anspruch nehmen können, kaum ausgebildet ist. Eine Schwierigkeit dabei stellt sicherlich auch der Rechtsbegriff an sich dar, denn dieser ist abstrakt und muss erst näher erläutert werden. Doch auch die Frage nach den Tätigkeiten, die in der Werkstatt erlaubt sind, war für die meisten InterviewpartnerInnen schwer zu beantworten. Was in der Werkstatt verboten ist und was sie tun müssen, war für sie hingegen wesentlich einfacher zu beantworten. Das deckt sich mit dem beschriebenen Habitus, denn dieser ist eher darauf ausgerichtet, Regeln zu befolgen als sie zu hinterfragen oder Rechte aktiv einzufordern. Zudem kann angenommen werden, dass in den institutionellen Strukturen das Augenmerk auf die Befolgung der Regeln gelegt wird, um das Funktionieren der Einrichtung sicherzustellen. Personen, die die gegebene Ordnung in Frage stellen und ihre Rechte einfordern, würden diese Ordnung gefährden. Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, die schon lange in separierenden Institutionen untergebracht sind, haben sich daher einen Habitus angeeignet, der von Passivität geprägt ist und Regeln befolgt, um negative Konsequenzen zu vermeiden (vgl. Knox/Mok/Parmenter 2010: 58). Buchner verweist auf das „Machtgefälle zwischen Personal und NutzerInnen sowie die daraus resultierenden Abhängigkeitsmuster“, denn:

„Viele Personen mit so genannter geistiger Behinderung haben sich im Rahmen ihrer Sozialisation in Institutionen und den dabei gesammelten Erfahrungen Verhaltensformen angeeignet, die einer sozialen Erwünschtheit (hier Erwünschtheit von Seite des Personals) entsprechen“ (Buchner 2008: 519).

Auch Ksenija Andelic nimmt darauf Bezug, dass diese Personengruppe tendenziell eher angepasst und unselbstständig agiert: „[I]ch denk mir, der Paradigmenwechsel von, ich werde behütet und es wird alles getan, ist noch nicht so lang“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014), weshalb sich der Habitus, der eher starr ist, noch nicht an die neuen Paradigmen wie Selbstbestimmung angepasst hat. Das bedeutet, dass, selbst wenn in der Behindertenbetreuung nach diesen Maßstäben gearbeitet wird, Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen sowie eine Hierarchie zwischen Betreuungspersonen und ,KlientInnen‘ bestehen bleiben.

Der Werkstättenleiter stellt eine Verbindung zwischen Rechtsbewusstsein und den eigenen Wertigkeiten her: „Also, die Bewusstseinslage ist, das hat primär damit zu tun, was ist mir wichtig und was ist mir nicht wichtig“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Sind der Betroffenheitsgrad und die eigene Wertigkeit höher, so ist man sich der Rechte und Pflichten möglicherweise eher bewusst. In den Interviews wurden auf Nachfrage mehrere Regeln genannt, die es als ,KlientIn‘ zu befolgen gilt. Die zwei am häufigsten genannten waren Pünktlichkeit und Handyverbot während der Arbeitszeit. Die Befolgung der Regeln scheint den meisten wichtig zu sein: „Ja, Regeln gibt´s überall. Wenn´s Regeln gibt, muss man sich schon an die Regeln halten. (…) Ja, ich versuch mich immer an die Regeln zu halten“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Seine Rechte sind diesem Mann aber weniger bewusst beziehungsweise macht er sie vom Willen der Betreuungspersonen abhängig: „Da muss man immer um Erlaubnis fragen. Die Betreuer, ob man das machen darf oder nicht“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Der 21-jährige Herr Lehner sagt zwar, dass ihm die Regeln nicht so wichtig sind, aber unbewusst befolgt er sie trotzdem:

„Ich halt mich nur an die Regeln, die was ich, die man mir hier sagt, was ich machen kann. Ich mein, Regeln, für mich spielen da irgendwie keine Regeln, ich denk auf die Regeln da gar nicht. Ich mach´s einfach. Ich mein, nicht erlaubt, ich mein die Arbeit, dass meine Arbeit weiter, auf die Regeln, die sind mir da irgendwie wurscht, ob das erlaubt ist oder nicht. Ich möchte nur meine Arbeit hier eigentlich fertig bringen, sonst gar nichts“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Ein älterer Mann, der aufgrund von Hüftproblemen nicht mehr so schnell gehen kann, betont die Konsequenzen seines Zu-spät-Kommens: „Ja, manchmal krieg ich Schimpfen, nur weil ich spät komm“ (Interview Herr Winkler, 10.12.2013). Konsequenzen betreffen manchmal auch unbeteiligte Personen, was von Herrn Lehner als ungerechtfertigt empfunden wird: „Und dann kommt die Betreuerin rein und die macht uns dann alle nieder, nur wegen einem, nur weil der. Statt dass sie dem da sagen würde, dass der aufhören soll“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Pünktlichkeit bezieht sich nicht nur darauf, zeitgerecht in der Werkstatt zu sein, sondern auch auf den Arbeitsbeginn, der um 8:30 Uhr ist. Als eine Frau um 8:45 noch etwas im Internet recherchieren möchte, ermahnt sie eine Kollegin: „Nein, mach das nicht. Es ist schon Arbeitszeit“ (Feldnotizen, 02.12.2013). Die Regeln sind so weit internalisiert, dass es keine Betreuungsperson mehr benötigt, die darauf hinweist. Das wird auch in einer Szene deutlich, in der zwei junge Männer über ihren Arbeitskollegen sprechen, der häufig zu spät kommt und Schimpfwörter verwendet. Sie reden darüber, dass es keinen Sinn mehr hätte, sich darüber aufzuregen, dass er immer zu spät kommt. Außerdem sind sie der Ansicht, dass man „in einer richtigen Firma“ nicht so schimpfen könne, weil man dann „rausgeschmissen“ werden würde (Feldnotizen, 13.01.2013). In dieser Aussage wird zudem zwischen der Werkstatt und einer „richtigen Firma“ unterschieden. Diesen Aspekt, der besonders für die ,KlientInnen‘, die sich am ersten Arbeitsmarkt orientieren, von Bedeutung ist, greife ich später wieder auf.

Bourdieu verweist darauf, dass Regelbefolgung in manchen sozialen Feldern Anerkennung bringen kann (vgl. Bourdieu 1972: 216f.). Im Habitus der MitarbeiterInnen mit Behinderung ist die Regelbefolgung mit positiven Konsequenzen von Seiten der Betreuungspersonen verknüpft. Aber wie in den obigen Zitaten deutlich wird, erlangen die MitarbeiterInnen mit Behinderung auch innerhalb der ,KlientInnengruppe‘ Anerkennung, also symbolisches Kapital, wenn sie sich an die Regeln halten. Die 19-jährige Frau Schneider antwortet auf die Frage nach den Rechten und Pflichten: „Keinen Blödsinn anstellen“ beziehungsweise „wenn man nicht so brav arbeitet, bekommt man Taschengeldabzug“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013), was eine Verkindlichung zum Ausdruck bringt. Auf diesen Aspekt, der gerade im Bereich der geistigen Behinderung von Bedeutung ist, werde ich an späterer Stelle ebenfalls genauer zu sprechen kommen.

Diese Regeln betreffen aber nur die Werkstattebene; übergeordnete Regeln und Gesetze sind den wenigsten bewusst. Das liegt möglicherweise an den engen Handlungsspielräumen, in denen übergeordnete Regeln ohnehin keine Rolle spielen. Somit kann an dieser Stelle für die Beantwortung der Fragestellung bereits festgehalten werden, dass die Regeln auf unterschiedlichen Ebenen zwar die Arbeit der ,KlientInnen‘ beeinflussen, aber diese Strukturen sind ihnen nur in wenigen Fällen bekannt. Besonders Regeln wie das Wiener Chancengleichheitsgesetz oder die UN-Konvention müssen meist erst von außen an die MitarbeiterInnen mit Behinderung herangetragen werden, da ihre Wahrnehmungs-, Deutungs-und Handlungsspielräume durch ihre Sozialisation in den institutionellen Kontexten häufig in enger Weise vorstrukturiert sind, sodass der Zugang zu diesen Informationen für sie nicht gegeben ist. Damit ist auch die Meinungsbildung eingeschränkt, was die Bildungswissenschaftlerin Postek auf Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zurückführt: „Dies dürfte einerseits daran liegen, dass Betroffene meist in Abhängigkeitsverhältnissen leben, die ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen“ (Postek 2011: 54) und weiter: „Durch die Produktion und Reproduktion von Machtverhältnissen in den Institutionen wird die aktive Teilhabe an der Gesellschaft sowie das Bilden einer eigenen Meinung verhindert“ (a.a.O.). Daher kann angenommen werden, dass sich das Fehlen einer eigenen Meinung auch auf das Rechtsbewusstsein auswirkt.

Für Probleme in der Werkstatt machen daher die ,KlientInnen‘ in den meisten Fällen auch nicht die Regelungen der Werkstatt oder übergeordnete Gesetze verantwortlich, sondern die MitarbeiterInnen mit und ohne Behinderung. Dieser Aspekt findet sich auch in Arbeitsfeldern des ersten Arbeitsmarktes wieder, wie der Anthropologe Durrenberger anmerkt. Eine Außensicht würde zwar strukturelle Faktoren als Ursache erkennen, die betroffenen Personen selbst sehen die Probleme aber in den Beziehungen zu Vorgesetzten – im Fall der Werkstatt BetreuerInnen – und zu KollegInnen begründet. Durrenberger hält die zwischenmenschliche Ebene als bestimmender für das Denken und Erklären als die rechtliche Ebene (vgl. Durrenberger 2012: 140f.). Diese Sichtweise lässt sich auch in Feld der Werkstatt erkennen.

Die ,KlientInnen‘, die politisch engagiert sind, würden über ein stärker ausgeprägtes Rechtsbewusstsein verfügen, was Ksenija Andelic anhand eines Zahlenwertes auf einer Skala von eins bis zehn – je höher, desto stärker ist das Rechtsbewusstsein – verdeutlicht:

„Auf einer Skala von eins bis zehn kommt das eben auf das Individuum an, ja. (…) Und jetzt sagen wir mal, es kommt auf die Position an. Ich glaub, einem Wohnrat, es gibt Wohnräte, die machen das von Anfang an, ist das mittlerweile sehr bewusst, da würd ich sagen, acht, neun, einem Werkstattrat. Einem Kunden, der keine Funktionen übernehmen möchte, der sagt, nein, lasst mich doch, ich will nur mein Essen haben zu Mittag, meine Sachen machen, ja, zwei. Und dann gibt´s halt die Palette dazwischen“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Besonders die MitarbeiterInnen mit Behinderung, „die schon seit ewig beim Wohn- und Werkstattrat, also die haben viele Fortbildungen genossen auch, auch politische Bildung und so. Also, die wissen schon mittlerweile, was sie wollen und wovon sie reden“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Wie oben erwähnt, sind Aspekte, von denen die Person direkt betroffen ist, bewusster, so etwa der Urlaubsanspruch, der von den ,KlientInnen‘ als ihr Recht erkannt wird: „Ja, wenn man Urlaub braucht, kann man sich schon Urlaub nehmen. Ich mein, Urlaub steht ja jedem zu. Den Klienten so wie den Betreuern. So, wenn sie Urlaub brauchen, wenn man halt eine Pause braucht, braucht man eine Pause. Dafür sind Urlaube da eigentlich“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Die 56-jährige Frau Bauer, die als Selbstvertreterin arbeitet, reagiert wie die meisten anderen MitarbeiterInnen mit Behinderung auf die Frage nach den Rechten verunsichert, betont dann aber ganz klar die Selbstbestimmung: „Aber was Recht ist, was ein Mensch tun darf, kann er doch selber entscheiden“, wobei sie Bezug auf ihre Rolle als Selbstvertreterin nimmt: „Ich kann entscheiden, was ich, ich kann entscheiden. Ich als Selbstvertreter entscheide, was ich tue“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013). Sie ist auch die Einzige, die im Interview die UN-Konvention erwähnt: „[I]ch kann nicht auf Urlaub gehen, weil es für Rollstuhlfahrer sehr schwer ist. Das heißt UN-Konvention“ und weiter: „UN-Konvention heißt, Urlaub und das ist das Thema, was ich nicht machen kann. (…) Nein, ich kann nicht in der WG Urlaub machen, weil ich mir selber nichts nehmen kann. Da brauch ich sehr viel Unterstützung“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013). Sie sieht hier eine Beschränkung der ihr zustehenden Rechte und fordert diese in dem größeren Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention ein. Dabei erkennt sie auch die Problematik der Segregation: „Und bei der, Inklusion heißt, man soll Nicht-Behinderte und Behinderte nicht ausschließen“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013).

Das Bewusstsein für übergeordnete Rechte entsteht meist erst dadurch, dass es von außen an die MitarbeiterInnen mit Behinderung herangetragen wird:

„[D]adurch dass es uns beschäftigt, sickert das natürlich bis zu den Betreuern und wiederum thematisieren wir es als BetreuerInnen bei den KundInnen. (…) Und das ist auch ein Thema, also, UN-Konvention hat schon jeder gehört, wie sehr es ihn interessiert und beschäftigt ist natürlich sehr individuell“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Auf diesen Aspekt des politischen Inputs von außen werde ich weiter unten noch genauer eingehen. Als weiteres Recht wird das Recht auf Taschengeld genannt, wobei die SelbstvertreterInnen erkämpft haben, dass es, wie in Kapitel 5.2.6. kurz erwähnt, bei langem Krankenstand nicht mehr abgezogen wird:

„Sag ich, ich find es ja eine Frechheit, nach vier Wochen komm ich in die Arbeit, dann krieg ich mein Taschengeld und anstatt die 900 Schilling hab ich nur gehabt 750. (…) Da waren von den Selbstvertretern ein paar dabei, drei, vier, und Leiter und der, was für das Geld zuständig war, wir haben diskutiert und ich hab gesagt, also, stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Beispiel über die Straße, Sie werden niedergefahren, Sie sind ein Jahr im Krankenstand. Was passiert? Ich kann überhaupt nichts dafür, dass ich mit einer Lungenentzündung daheim gelegen bin. Dann haben sie gesagt, da muss man sich was überlegen. (…) Und seitdem, das war unser erster großer Erfolg, und eigentlich seit wir uns, seit ich mich damals beschwert hab und wir dann ein Gespräch gehabt haben, eine Diskussion, sind wir, wenn wir krank sind, wird nichts mehr abgezogen. Das war unser erster großer Erfolg. Da waren die Selbstvertreter alle stolz“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014).

Aber nicht alle wollen sich mit dem geringen Taschengeld zufrieden geben und fordern für ihre Arbeit eine gerechte Entlohnung: „Aber fix möchte ich hier nicht bleiben, da. Weil wenn ich hier fix bin, dann mach ich gleich gar nichts. Weil für nur 40 Euro arbeiten, das brauch ich nicht. Da spiel ich nicht mit“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014). Geld für die Arbeit zu erhalten, ist für die meisten MitarbeiterInnen mit Behinderung zumindest symbolisch wichtig. Diesen Punkt werde ich später genauer behandeln.

5.3.2. Instrumente zur Veränderung

Bei Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten in der Werkstatt sehen die ,KlientInnen‘ unterschiedliche Möglichkeiten zur Veränderung. Einige meinen, gar nichts tun zu können, etwa in Bezug auf eine Erhöhung des Taschengeldes: „Ändern, ändern kann ich gar nichts. Da bin ich nicht zuständig für das. (…) Ich mein, ich kann´s eh nicht ändern, ich bin ja nicht für das nicht zuständig. Ich bin ja nicht der Chef, ich bin auch kein Politiker. Da kann ich nichts tun, nein“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014). Während in diesem Zitat ein Gefühl von Ohnmacht durchscheint, stellen für andere MitarbeiterInnen mit Behinderung meist die Betreuungspersonen die ersten AnsprechpartnerInnen bei Problemen dar. Die 19-jährige Frau Schneider fordert diese Funktion auch klar ein: „Die sind dafür zuständig, dass alles okay ist, dass einen niemand blöd anmacht und so“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Neben der Möglichkeit, die Betreuungspersonen oder den Werkstättenleiter bei Problemen zu konsultieren, wird beispielsweise von der 25-jährigen Frau Gruber die „Individuelle Entwicklungsplanung“ (IEP) genannt, ein Werkzeug der Lebenshilfe zur Qualitätskontrolle, in dem gemeinsam mit dem/der Mitarbeiter/Mitarbeiterin mit Behinderung Ziele und Veränderungswünsche besprochen und umgesetzt werden. Sie spricht die Individuelle Entwicklungsplanung an, als es im Interview um Veränderungswünsche geht: „Da muss ich das im IEP sagen“ (Interview Frau Gruber, 10.12.2013). Sie erkennt darin eine Möglichkeit, ihre Wünsche einzubringen. Für den 60-jährige Herrn Steiner stellt auch die tägliche Gesprächsrunde am Morgen ein Instrumentarium dar, mittels dessen etwas verändert werden kann:

„Dann wird´s in der Morgenrunde angesprochen und da kann man sich jeden Freitag, da kann man sich was wünschen zum Beispiel. Da gibt´s drei Möglichkeiten: grün, ein grüner Strich, der Daumen ist hoch. Gelb so mittelmäßig, rot, die Woche möchte ich nicht mehr erleben. Wenn man sich was wünscht, sagt, das und das wünsch ich mir von Ihnen oder von dir, ich wünsch mir von dir, dass du nicht schimpfst, dass du mich nicht das und das nicht nennst. Ist schon oft vorgekommen, schon oft darüber gesprochen. Wenn man demjenigen sagt, ich wünsch mir von dir, dass du das nicht sagst, es wird angenommen. Wenn nicht, zwei, dreimal wiederholen, derjenige wird dann schon wissen, was ich mein. Und das ist auch fein. Das ist eine gute Einführung mit den drei Symbolen. Das ist schon ganz gut. Das ist schon einmalig“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013).

Die SelbstvertreterInnen der Lebenshilfe Wien, die zum Zeitpunkt der Forschung aus etwa 15 Mitgliedern bestehen, verfügen dabei über „privilegierte“ Mittel, da sie innerhalb der Lebenshilfe anerkannt sind und professionelle Unterstützung durch sogenannte „UnterstützerInnen“ erhalten. Die Sozialwissenschaftlerinnen Goeke und Kubanski verweisen darauf, dass MitarbeiterInnen mit Behinderung, die sich als SelbstvertreterInnen oder Werkstatträte engagieren, Anerkennung in der Werkstatt, also symbolisches Kapital, erhalten (vgl. Goeke/Kubanski 2012: o.S.). Zudem tragen sie ihre Forderungen direkt an die Politik heran, auch wenn bemängelt wird, dass es zu wenig Kontakt zu PolitikerInnen gäbe: „Wenn wir eine Einladung kriegen ins Parlament, dann können wir schon mit den Politikern so reden. (…) Die nehmen uns schon ernst“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). Die SelbstvertreterInnen können in diesem Zusammenhang als Interessensvertretung geistig behinderter Menschen gesehen werden, auf deren Forderungen ich unten näher eingehen werde. Doch das politische Interesse scheint nicht der vorrangige Grund zu sein, warum sich ,KlientInnen‘ bei den SelbstvertreterInnen, deren Treffen außerhalb der Arbeitszeiten stattfinden, engagieren. Ein häufig genannter Grund waren die Sozialkontakte, die bei Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung häufig stark eingeschränkt sind: „Und ich freu mich, dass ich bei den Selbstvertretern bin, dass ich unter die Leute komme und dass ich nicht in der WG immer alle zwei Wochen oder drei Wochen sitzen muss“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013). Aber auch Neugier und der Erfahrungsaustausch sind wichtige Beweggründe für die politische Aktivität. So antwortet ein etwas älterer Mann auf die Frage, warum er Selbstvertreter wurde: „Weil ich wissen will, wie das ist“ (Interview Herr Winkler, 10.12.2013). Die Motivation, politisch etwas zu bewirken, scheint daher erst durch den Erfahrungsaustausch zu entstehen. Die Betonung der Sozialkontakte in den Interviews lassen zwar auf den ersten Blick auf eine Freizeitaktivität schließen, doch bei der Selbstvertretung handelt es sich für die ,KlientInnen‘ um Arbeit, was für viele MitarbeiterInnen mit Behinderung als zu anstrengend empfunden wird, um sich zu beteiligen: „Ja, ich kenn welche [SelbstvertreterInnen; Anmerkung S.G.], aber dort zu sein, hab ich, für die, die Zeit fehlt mir, wissen Sie, die Zeit“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013). Andere MitarbeiterInnen mit Behinderung haben zwar einmal an einer Sitzung teilgenommen, aber: „Ich war einmal dort und dann bin ich einmal gegangen. Hab gesagt, mir hat´s nicht getaugt. Mir hat´s nicht so richtig getaugt“ (Interview Frau Auer, 16.12.2013) oder:

„War ich einmal dabei, aber jetzt nicht mehr. Das hat mir mal gefallen, jetzt nie mehr, weil mir nach der Arbeit nicht viel Zeit bleibt. (…) Aber hab mir gedacht, nein, das ist mir zu anstrengend, wenn so viel Arbeit ist die ganze Zeit, noch mehr als wie da. Und jetzt Selbstvertreter will ich nicht mehr, ich hab keine Zeit mehr. Früher hab ich mit ihnen mitgemacht, es freut mich nicht mehr, weil´s ein bisschen fad ist“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013).

Für andere wäre es eine Umstellung des gewohnten Alltags, an Sitzungen nach der Arbeitszeit teilzunehmen: „Weil das dann wieder eine andere Umstellung für mich wär oder andere Situationen für mich wären“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Hierein wird erkennbar, dass neuen und unbekannten Situationen schon von vornherein aus dem Weg gegangen wird, um den Habitus nicht „herauszufordern“.

Die oben angesprochenen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse bedingen häufig ein Fehlen von Information, weshalb der Großteil der interviewten ,KlientInnen‘ die Selbstvertretung gar nicht kennt. Aber auch wenn nur wenige der interviewten ,KlientInnen‘ bei den SelbstvertreterInnen sind beziehungsweise sie kennen, so verbinden doch ein paar MitarbeiterInnen mit Behinderung etwas mit dem Begriff Selbstvertretung: „Und die machen auch so Projekte, so, die reden auch so über, wie man Menschen behandeln soll oder mit ihnen umgehen soll oder so“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). In diesem Zitat wird die Forderung nach gerechter und gleichberechtigter Behandlung – wenn auch nicht explizit – deutlich. Auch der Werkstättenleiter versteht die politischen Aktivitäten der ,KlientInnen‘ als Forderung nach Gleichberechtigung:

„Und dass sie, dass der tiefe Wunsch dahinter steht, ich will einfach gleich behandelt werden, ist eine Inklusionsgeschichte eigentlich, wie jeder andere Mensch eigentlich und deswegen möchte ich auch ein eigenes Einkommen, möchte ich auch sozialversichert sein und nicht auf Almosen abhängig sein, ist natürlich ein klarer Reflex“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014).

Hier kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Selbstvertretung zwar relativ unbekannt ist beziehungsweise wollen viele MitarbeiterInnen mit Behinderung nicht dabei sein, weil es ihnen als zu zeitaufwendig und mühsam erscheint, aber sie profitieren von ihrer Arbeit und ihren Erfolgen. Neben der Selbstvertretung werden im Rahmen der habituellen Möglichkeiten unterschiedliche Handlungsoptionen erkannt, etwa werkstattinterne Instrumentarien, aber auch das Gefühl, nichts verändern zu können.

5.3.3 Politische Forderungen

Die allgemeine Forderung nach Gleichberechtigung und Gerechtigkeit beinhaltet verschiedene Einzelforderungen der MitarbeiterInnen mit und ohne Behinderung. Ksenija Andelic fasst die aktuellen Forderungen im Behindertenbereich zusammen:

„Bezahlung. Also, Bezahlung ist schon lang Thema. Pensionierung, echte Pensionierung somit. Viele Leute gehen sie, dadurch, dass sie im vollbetreuten Wohnen wohnen, also, offiziell bleiben dürfen. Sie dürfen dann zuhause bleiben, wenn sie ohne Begleitung gut zurechtkommen. Ist es aber so, dass eine Unterstützung notwendig ist, dann hört es sich auf im vollbetreuten Wohnen, weil wir für eine Person nicht einen Betreuer abstellen können. Eine große Forderung, sowohl vom Wohnrat wie vom Werkstattrat, dass die Betreuung untertags bezahlt wird, weil es schon einige ältere Menschen gibt, die in Tagesstrukturen gehen, die in der Früh aufstehen müssen, in die Werkstatt gehen müssen und nicht zuhause bleiben können. Großes Thema Bezahlung. (…) Da ist einfach noch genug zu tun. Also, richtige Bezahlung für richtige Arbeit. Pensionierung und zuhause bleiben können“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014).

Auch Maria Pfaffenbichler nennt die Bezahlung als ein wichtiges Thema:

„Und die wichtigsten Forderungen von Seiten der KlientInnen sind einerseits Gehalt zu bekommen, wirklich. Wir haben ja das Taschengeld ist zwar leistungsabhängig, aber das bewegt sich von zehn bis 70 Euro im Monat und Leute, die um die Bedeutung des Geldes verstehen und wissen, wissen natürlich, dass das lächerlich ist“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Auch ein Kollektivvertrag scheint auf der Liste der Forderungen auf:

„Naja, die Selbstvertreter, die fordern das. Meines Wissens haben sie diese Forderungen auch schon an Politiker getragen, aber ich hab so das Gefühl, da steckt´s. Die Lebenshilfe Österreich fordert es, fordert es auch medial, fordert es auch in Papier, in Konzepten. Meiner Meinung nach steht´s“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013).

Die Einführung eines Kollektivvertrages würde die ,KlientInnen‘ aus arbeitsrechtlicher Sicht zwar absichern, aber letztlich würde das nichts an der Separation ändern. Die Forderungen nach gerechter Bezahlung und Pension sind auch bei den SelbstvertreterInnen präsent:

„Das ist noch ein großes Thema und das wegen der Pension. Dass wir in Pension gehen können, wenn wir wollen. Also, ich, ich möchte sicher in Pension gehen. (…) Denn ich kenn da Kollegen, die schon um die 70 sind und gehen noch in die Werkstatt. Das möchte ich nicht. Ich möchte sagen, bis 62 oder 63 arbeiten und dann möchte ich in Pension“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014).

Außerdem soll das Taschengeld in Lohn umbenannt werden, wobei aber von der Selbstvertretung keine Erhöhung gefordert wird, was sich damit erklären ließe, dass sich die SelbstvertreterInnen bewusst sind, dass ihre Einkünfte durch Sozialleistungen, wie etwa die Mindestsicherung, gesichert sind. Als andere Erklärung kann das Habituskonzept herangezogen werden. Diesen Ansatz werde ich in Kapitel 5.3.13., in dem das Thema Geld noch explizit behandelt wird, erläutern. Eine Umbenennung lässt sich auf den Wunsch zurückführen, wie ein erwachsener Mensch behandelt werden zu wollen. Dieser Punkt wird ebenfalls unten genauer behandelt.

Eine andere Forderung, die, wie im ersten Analyseschritt ausgeführt, eine Übernahme von Elementen des ersten Arbeitsmarktes in den „Ersatzarbeitsmarkt“ bedeutet, jedoch ohne rechtliche Basis, ist die Mitnahme von Urlaubstagen in das nächste Arbeitsjahr:

„Das geht bei uns nicht. Jetzt haben wir gesagt, gut, gehen halt ein paar Leute von den Selbstvertretern zum Fonds Soziales Wien und werden einmal sich erkundigen, wieso das nicht geht. Weil es heißt immer, bis Ende Dezember müssen wir die Urlaubstage verbrauchen, sonst verfallen sie. Wir haben gesagt, der Lebenshilfe werde ich sicher keinen Urlaub schenken“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014).

Ein Problem, das ,KlientInnen‘ betrifft, die nicht selbstständig in die Arbeit fahren können, ist, den Fahrtendienst nutzen zu müssen, der für viele der Interviewten ein Ärgernis darstellt. Die betroffenen MitarbeiterInnen mit Behinderung fühlen sich durch die FahrerInnen gehetzt. Dieses Themas nehmen sich auch die SelbstvertreterInnen an: „Aufschreiben und, gestern wurde alles aufgeschrieben und dann wird das für den Fahrtendienst ausgeschnitten, nicht hetzen, nicht so hetzen. (…) Im Frühling, im Sommer, im März werden sie eingeladen, die Fahrer. (…) Reden und sagen, tut´s uns nicht so hetzen“ (Interview Herr Brunner, 26.11.2013).

Dass die Forderungen der SelbstvertreterInnen wirksam sind, zeigt sich in Ksenija Andelics Aussage. Auch wenn die genannten Forderungen von der Politik noch nicht umgesetzt beziehungsweise vielleicht noch gar nicht wahrgenommen wurden, so wird in den Institutionen daran gearbeitet und hier wurden einzelne Forderungen bereits realisiert: „Weil ich glaub nicht, dass wir freiwillig das gemacht hätten, ja, wenn nicht die SelbstvertreterInnen das eingefordert hätten. Warum auch? Kostet ja alles Geld“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Dennoch würden die SelbstvertreterInnen noch nicht fordernd genug auftreten: „Auch ein bisschen schwierig ist, dass die Selbstvertreter ihre Anliegen in die Einrichtungen selber rein tragen. Das funktioniert nicht gut“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014).

Dennoch stellt diese Interessensvertretung ein wichtiges Instrument dar, denn die Forderungen der SelbstvertreterInnen haben teilweise Rückwirkung auf die Gesetzgebung, etwa, dass bei Krankenstand kein Taschengeld mehr abgezogen wird, wodurch sich ,KlientInnen‘, die sonst von außen vorgegebene Regeln befolgen müssen, auch wirkmächtig erleben können. Diese Forderungen stellen eine Kritik an den Strukturen von innen heraus dar. Weil die Machtstrukturen von den Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung habitualisiert sind, können die Strukturen nur durch Reflexion und Anregungen von außen erkannt und in weiterer Folge hinterfragt werden. Auf diese Weise entwickelt sich Widerstand gegen die Deutungen und rechtlichen Normen, denen sie sich aufgrund der symbolischen Gewalt unbewusst unterwerfen.

5.3.4. Politischer Input für ,KlientInnen‘ kommt von außen

Wie oben kurz angerissen, entstehen Forderungen häufig außerhalb der ,KlientInnengruppe‘ und werden dann von Menschen ohne Behinderung in diese hineingetragen. Die durch den Habitus vorstrukturierten engen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsspielräume, die die ,KlientInnen‘ in institutionellen Kontexten erlernen, lassen Veränderungswünsche oftmals erst gar nicht entstehen, da die gewohnten Möglichkeiten als ausreichend und befriedigend wahrgenommen werden. Zudem könnten Forderungen die etablierten Machtbeziehungen in Frage stellen und so negative Konsequenzen nach sich ziehen. Somit entstehen Veränderungswünsche in vielen Fällen erst durch den politischen Input von außen, was auch der Werkstättenleiter in Bezug auf die Forderungen nach Sozialversicherung und Kollektivvertrag anspricht und als nicht unproblematisch sieht:

„[W]obei ich immer bemerke, dass auch da nicht das allgemein angeschaut wird, auch im Verein, sondern immer nur punktuell. Dass die Klienten das nicht allumfassend anschauen, ist mir auch klar, ja. Ich hab auch überhaupt nichts dagegen, wenn sie arbeiten gehen. Um das geht´s jetzt überhaupt nicht, sondern wenn, wird diese Sozialversicherung von außen rein getragen in diese Diskussion, weil die kommt nicht von ihnen. Da gibt´s sehr viele Leute, die mitspielen und da spielen vor allem auch diese Körperbehindertenverbände mit und die Rollstuhlleute. Und deren Situation ist eine ganz eine andere natürlich als die von geistig und mehrfach behinderten Leuten. Es wird aber sehr oft halt in einem Punkt gesehen. Und das große Problem für mich ist, dass der geistig Behinderte nicht dermaßen selbstständig allein artikulieren kann und durchsetzten kann und in die Öffentlichkeit gehen kann wie halt nur ein Körperbehinderter. Und das find ich, ist auch ganz prinzipiell an dieser Selbstvertretung so, so ganz wichtig. Wird aber immer ein bisschen schwächer sein, weil es einen nicht behinderten Begleiter, Assistenten und Vertreter braucht. Und wenn die Situation hart auf hart geht, dann sind natürlich die Leute, die sich wirklich selber vertreten können, immer im Vorteil als die, die Hilfe brauchen“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014).

Dabei würden Eltern und BegleiterInnen eine große Rolle spielen:

„Das heißt, sie [die SelbstvertreterInnen; Anmerkung S.G.] haben wirklich drauf gesetzt, sie haben natürlich gesagt, wir sollen selbst, wir wollen gleichgestellt werden, wir wollen dieses und jenes haben. Und da sind dann die Forderungen natürlich auch von außen, von den Eltern und so weiter gekommen. Es funktioniert ja nie abgeschottet solche Sachen. Wenn aber Selbstvertreter natürlich, und ich mein das nicht kritisch, sondern durchaus okay, wenn da ein Begleiter dabei ist und Unterstützer dabei ist, ist es einfach menschlich unmöglich, dass nicht in einer gewissen Art und Weise die Meinung der Begleiter, Unterstützer mit hineinkommt“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014).

Dabei wäre es aber auch entscheidend, auf welche Weise die Informationen an die ,KlientInnen‘ herangetragen werden, um sie nicht zu überfordern und die Zusammenhänge zu verdeutlichen (vgl. Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014). Denn nur wenn die Informationen so aufbereitet werden, dass sie verständlich und nachvollziehbar sind, können die vorherrschenden Deutungen erkannt und in Frage gestellt werden.

5.3.5. Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung

Für geistig behinderte Menschen, denen jahrzehntelang die Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Selbstbestimmung abgesprochen wurden, stellt sich das Spannungsfeld Selbstbestimmung-Fremdbestimmung nach wie vor problematisch dar. Abhängigkeit und Machtverhältnisse spielen in den Betreuungsverhältnissen trotz Reflexion und bewusstem Entgegen-Arbeiten weiterhin eine Rolle. Zudem muss vorausgeschickt werden, dass eine Person zwar selbstbestimmt sein kann, aber dennoch von der Hilfe anderer abhängig ist, was zu einem Gefühl von Hilflosigkeit führen kann, wenn der Unterstützungsbedarf nicht oder willkürlich erfüllt wird.

Der Fahrtendienst, oben bereits kurz erwähnt, bringt die ,KlientInnen‘, die nicht selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können, etwa weil sie im Rollstuhl sitzen, in die Werkstatt und von dort wieder nachhause, wie beispielsweise die 23-jährige Frau Özcan: „Aber ich sitze im Rollstuhl, darum ich muss mit dem Fahrtendienst fahren“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). Sie wäre gern früher in der Werkstatt, ist aber vom Fahrtendienst abhängig: „Aber es geht nicht. Ich hasse, wenn ich so spät komme. Ich will auch länger arbeiten. (…) Weil ich so spät komme, der Tag ist für mich kurz, kurz. Aber ich will länger arbeiten. (…) Das nervt mich langsam“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). Sie ärgert sich über die lange Fahrt in die Arbeit und den späten Arbeitsbeginn, doch „die Firma will nicht kapieren. Die Firma will mich irgendwie ärgern“, weshalb sie lieber selbstständig in die Arbeit kommen würde: „Wenn ich gehen würde, dann könnte ich mit U-Bahn da her kommen oder öffentlich da her kommen. Aber ich sitz im Rollstuhl, ich fahr mit Fahrtendienst. Das tut mich verärgern“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). Hier ist nicht vorrangig ihre körperliche Einschränkung das Problem, sondern die Abhängigkeit von einem Transportunternehmen und die empfundene Willkür.

Die ,KlientInnen‘ sind von diesem Dienst abhängig, weil es keine anderen Alternativen gibt, um in die Werkstatt zu kommen, und daher müssen sie sich häufig dem Druck der FahrerInnen fügen. Frau Tomacek nennt den Fahrtendienst als ein wichtiges aktuelles Thema der SelbstvertreterInnen:

„Jetzt haben wir ein Thema Fahrtendienst, Fahrtendienste. Und wir wollen ja die, wir wollen ja die Chefs einladen vom Fahrtendienst und die kommen ja nur, wenn die wollen und so geht das nicht. Eine Kollegin, die Kollegin, die ist einmal schon gekommen schon eine Stunde vorher, da war noch gar niemand da. Die ist anstatt um halb neun um halb acht gekommen. (…) Oder sie kommen zeitig, dann wird gesagt, wenn du in fünf Minuten nicht unten bist, dann musst du schauen, dass du, dann musst du schauen, wie du heim kommst. So geht das ja nicht. Diese Drohungen. Oder einer war einmal oben, da war es halb drei. Um dreiviertel vier dürfen sie die holen. Ist er gekommen, ich brauch den, weil wir gesagt haben, erst um dreiviertel drei, hat er die Tür zugehaut. Ich bin ihm nach, hab gesagt, bitte, so nicht, sag ich, ich werd mich bei Ihnen beschweren. Ja, beschweren Sie sich. Aber er hat gewartet. Sag ich, ich werd mich über Sie beschweren. Machen Sie das. Dann haben wir schon erfahren, dass die Chefs den Fahrern gar nicht sagen, dass die ab dreiviertel drei schon abgeholt werden. Die kommen einfach. Wir haben gesagt, so geht das nicht“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014).

In den folgenden Zitaten sollen der Druck und die damit verbundene Hilflosigkeit aufgezeigt werden: „Die kommen wirklich, wann sie wollen“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014) und weiter:

„Voriges Jahr waren wir bei der Weihnachtsfeier (…) im Treff (…) und ich wollte bleiben, ist der [Fahrtendienst; Anmerkung S.G.] schon gekommen und darauf hat mich das geärgert. Ich wollt noch ein Keks essen (…). Und das hat mich so geärgert, über den Fahrtendienst, weil sie machen, was sie wollen“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013).

Darüber berichtet auch ein anderer Selbstvertreter:

„Ist der Taxichauffeur gekommen, ist ein bisschen zu früh gewesen, dann muss man wieder aufhören zu essen, genau bei mitten beim Essen, bei Weihnachtsessen. Dann muss ich immer aufhören zu essen und dann bin ich wieder zuhause gefahren. Und find ich unfair. Hab ich eh schon Selbstvertreter gesagt“ (Interview Herr Winkler, 10.12.2013).

Einige ,KlientInnen‘ belastet dieser Druck und das Gefühl des Ausgeliefert-Seins stark und sie äußern das auch verbal: „Entweder er kommt später oder er kommt gar nicht mehr, weil dieses lange Warten immer macht mich sehr nervös“ und „der Fahrtendienst hat am Handy einen Terror gemacht“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013). Dass Frau Bauer hier das Wort „Terror“ verwendet, veranschaulicht ihre Emotionen, wenn sie in der Früh auf den Fahrtendienst warten muss: „ [U]nd einmal ist er um neun gekommen, da waren die anderen, haben sie Team gehabt und da war ich nervös und da wollt ich schon in die Arbeit und da wollt ich schon in die Arbeit und dann war ich verzweifelt“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013). Sie kritisiert offen den Umgang der FahrerInnen mit den ,KlientInnen‘, „weil die Chauffeure wissen manchmal nicht, wie sie mit uns umgehen“ (a.a.O.). Auch der 50-jährige Herr Brunner, ebenfalls ein Selbstvertreter, wünscht sich eine Veränderung: „Über die Fahrtendienstfahrer, dass die nicht immer so ,Gemma, gemma, hopp, hopp, gemma, gemma!‘“ (Interview Herr Brunner, 26.11.2013), wobei er sich besonders darüber ärgert, während einer Besprechung der SelbstvertreterInnen vom Fahrtendienst angerufen und aufgefordert zu werden, sich zu beeilen. Hier wird explizit das Recht nach einer angemessenen Umgangsform eingefordert.

Auch im Bereich der Urlaubsgestaltung sind die MitarbeiterInnen mit Behinderung häufig von Betreuung abhängig: „Nein, ich kann nicht in der WG Urlaub machen, weil ich mir selber nichts nehmen kann. Da brauch ich sehr viel Unterstützung. (…) Weil dann niemand in der WG ist. (…) Und darum ist das für mich sehr schwierig, Urlaub zu nehmen“ (Interview Frau Bauer, 02.12.2013).

Der Wechsel von einer Werkstatt in die andere verläuft für einige ,KlientInnen‘ ebenfalls nicht zwanglos, etwa für Herrn Winkler, der aufgrund von Streitigkeiten in seiner alten Werkstatt in diese Werkstatt wechseln musste. Für ihn stellt sich die Situation folgendermaßen dar: „Naja, die Betreuerin hat mir auch schon gesagt, pack deine Sachen zusammen und geh jetzt. (…) Naja, ich wollt eh nicht wechseln“, aber „ich muss da her kommen, ich hab keine andere Wahl (…), weil mich in anderer Firma auch keiner will“ (Interview Herr Winkler, 10.12.2013). Besonders der letzte Satz veranschaulicht, dass seine Wahlmöglichkeiten beschränkt sind und er in der Werkstatt bleiben muss, in der er „erwünscht“ ist. Warum ihn eine andere „Firma“ – damit meint er vermutlich die Werkstatt, da er diese während der Forschung häufig als „Firma“ bezeichnet hat – nicht will, führt er aber nicht näher aus. Aus dem Interviewkontext könnte man auf die erwähnten Streitigkeiten als Grund schließen, denn Herr Winkler meint weiters: „Na, dann muss ich gehen, wenn ich Probleme krieg. Da ist auch der Betreuer, wenn´s dir nicht passt, dann geh nachhause. Und dann geh ich“ (Interview Herr Winkler, 10.12.2013). Er scheint sich bei Konflikten ausgeliefert und hilflos zu fühlen. Dieses Gefühl beschreibt auch Herr Markovic, der erzählt, wie er auf Konflikte mit BetreuerInnen reagiert: „Ich bin ruhig, ich gusch“ (Interview Herr Markovic, 04.11.2013). Das Still-Sein kann als eine Verhaltensweise gedeutet werden, die angebracht ist, um negative Konsequenzen zu vermeiden und sich ebenfalls in das Bild des beschriebenen Habitus einfügen würde.

Das Leben der ,KlientInnen‘ ist in vielen Bereichen von außen reglementiert und fremdbestimmt und häufig, vor allem wenn eine körperliche Einschränkung vorliegt, von direkter Abhängigkeit geprägt. Diese Abhängigkeit zeigt sich besonders bei elementaren Grundbedürfnissen wie dem WC-Gang, bei dem RollstuhlfahrerInnen in der Werkstatt auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Ein häufiges Einfordern dieser Bedürfniserfüllung wurde einmal während meiner Forschung von einer Betreuungsperson abwertend als „Klotheater“ bezeichnet (vgl. Feldnotizen, 02.12.2013). Die Fremdbestimmung findet sich daher auf unterschiedlichen Ebenen, von der individuellen Ebene der körperlichen Bedürfnisse bis hinauf zur rechtlichen und administrativen Ebene, die von außen eine Behinderung und Arbeitsunfähigkeit zuschreibt und so die Möglichkeiten einschränkt.

5.3.6. Thematisierung von Behinderung

Während das Thema Behinderung von den meisten ,KlientInnen‘ nicht angesprochen wurde, haben sich einige wenige explizit in den Interviews darauf bezogen. Die 23-jährige Frau Özcan, die im Rollstuhl sitzt, hebt im Interview individuelle Defizite hervor, die sie daran hindern, alle Arbeiten in der Werkstatt durchzuführen: „Ich will alles probieren, aber ich kann nicht probieren. Und ich will auch einmal über den Küchendienst Teller waschen oder Schweinekübel, Teller putzen. Aber ich kann das nicht. Ich kann nur aufdecken, sonst nix“. Als Grund dafür nennt sie: „Weil ich meine Hand nicht so hoch heben kann, weil ich schwach bin“. Diese individuelle Funktionsbeeinträchtigung verringert ihre Freude an der Arbeit: „Bei Industriearbeit das gefällt mir nicht, wenn so viele, ein dickes Heft und zweimal müssen wir das Heft doppelt hineingeben. Und das schaff ich nie hinein. Und das gefällt mir nicht“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013).

Dennoch macht sie auch bauliche Barrieren dafür verantwortlich, dass sie nicht wie die anderen MitarbeiterInnen mit Behinderung an dislozierten Tätigkeiten – Arbeiten, die außerhalb der Werkstatt für eine Firma durchgeführt werden, etwa am Westbahnhof – mitarbeiten kann:

„Weil es keinen Aufzug gibt. Westbahnhof ist so eng und das WC ist so eng. (…) Ich würde mitgehen, aber ich kann nicht alleine aufstehen. Ich brauch auch Unterstützung beim WC und ich hab auch gar keinen Hebelift zum Angurten und Anschnallen. Und der Hebelift hebt mich hoch und ohne Hebelift kann ich nicht. Und ich will so immer mich so heben, das hasse ich. Darum. Ich würde mitfahren oder irgendwohin, aber es geht nicht. (…) Ich werde gehen, laufen, aber ich bin so geboren. Die anderen gehen und ich bin in der Werkstatt. Und das macht mich traurig. Das ist für mich ganz schwer. Meine Freundinnen sind dort und ich bin da alleine“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013).

Auch die Abhängigkeit vom Fahrtendienst ist für sie, wie oben beschrieben, ein Aspekt, der sie ärgert. In diesen Zitaten werden sowohl soziale und bauliche als auch individuelle Bedeutungen von Behinderung ersichtlich. Einerseits wird eine körperliche Funktionsbeeinträchtigung als hinderlich für bestimmte Tätigkeiten gesehen, andererseits könnten diese mit Unterstützung bewältigt werden. Als mindestens genauso wichtig sind hier die baulichen Barrieren zu nennen, die, weil sie aus einer rechtlichen Sicht nicht zulässig sind, aber noch nicht beseitigt wurden, auch als soziale Barrieren gesehen werden können. Frau Özcan würde gern an dislozierten Arbeiten teilnehmen, wird aber von Hindernissen wie Stufen oder einem fehlenden Hebelift davon abgehalten.

Die 50-jährige Frau Wagner erzählt, dass sie seit einem Unfall, bei dem beide Beine gebrochen waren, im Rollstuhl sitzt. Sie fokussiert im Interview ebenfalls auf die Tätigkeiten, die sie aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung nicht durchführen kann: „Wegräumen mag ich auch nicht. (…) Sessel raufstellen kann ich nicht. Kann ich nicht alleine. Und anziehen auch nicht alleine die Jacke, kann ich auch nicht selber anziehen“ (Interview Frau Wagner, 19.11.2013). Ein weiterer ,Klient‘ macht ebenfalls eine Sinnesbeeinträchtigung dafür verantwortlich, dass er seinen Beruf am ersten Arbeitsmarkt verloren hat und jetzt in der Werkstatt arbeitet:

„Dann kommt später leider der Hörsturz. Und mit meinem Hörsturz hab ich momentan Probleme. Ich hab überhaupt nicht mehr oder nicht gut gehört. Dann bin ich dort in Krankenstand gegangen, dann ist es leider passiert, dass mich zum Beispiel eine Sekretärin mich hinausgeschmissen hat, weil wegen dem Krankenstand. (…) Hab dann später dann meine Hörgeräte bekommen, dass ich schlecht gehört habe. (…) Und dann später bin ich, weil ich noch mehr schlecht gehört habe, bin ich da nachher in die geschützte Werkstatt der Lebenshilfe Wien gekommen. Weil ich schon Probleme hab mit meiner ganzen Behinderung“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013).

Auch in dieser Erzählung finden sich neben den individuellen Aspekten soziale Hindernisse. Sein Hörsturz führte zu einem langen Krankenstand, der die Kündigung zur Folge hatte und aufgrund seiner Sinnesbeeinträchtigung war es für ihn schwierig, eine andere Arbeitsstelle zu finden. Aber auch in seinem familiären Umfeld wird seine Sinnesbeeinträchtigung problematisiert:

„Aber ich kenn auch eine Verwandtschaft von mir, wenn ich sag, sie sollen es wiederholen, wollen sie nicht. Einmal, zweimal sagen, müsst ihr mir zweimal sagen, na. Deswegen mach ich um meine Familie einen Bogen, weil sie es nicht so will so, weil ich mich so anstrengen muss das Ganze, nicht“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013).

Diese Stelle verdeutlicht, dass seine Behinderung zu einem großen Teil sozial bestimmt ist und durch gegenseitige Kooperation nicht mehr als belastend empfunden werden könnte. Aber auch die eigenen Fähigkeiten werden angezweifelt: „Das kann ich nicht so gut. Schaff ich nicht, nie getraut. Da bin ich so, da fangt die Hand zu zittern“ (Interview Frau Auer, 16.12.2013). Diese Frau traut sich eine Tätigkeit gar nicht zu, weil ihr möglicherweise der Erfahrungsraum fehlt, in dem sie gelernt hätte, etwas ohne Risiko auszuprobieren und dabei auch gefahrlos scheitern zu können. Dieses fehlende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten äußert sich auch körperlich durch Zittern. Der 22-jährige Herr Stankovic hingegen vertraut auf sein Wissen und Können: „Und mit, ja, ich bin dafür, dass wir auch richtig arbeiten können mit unseren Schwierigkeiten, mit Lern, mit Behinderung, dass man trotzdem arbeiten können mit Beeinträchtigung, trotz der arbeiten können“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014). Er sieht zwar die Behinderung als ein Element seiner Person, für ihn stellt diese aber kein Hindernis dar. Dennoch werden eine geistige Behinderung und ein damit einhergehendes Verhalten, das als nicht der sozialen Norm entsprechend gilt, als problematisch für den ersten Arbeitsmarkt gesehen. Eine Integrationsbegleiterin erzählt in einem informellen Gespräch von einem ,Klienten‘, für den es schwierig war, Praktikumsstellen zu finden, da er den Menschen beim Gespräch nicht in die Augen sieht und er deswegen für nicht kompetent genug gehalten wurde. Hier wird ersichtlich, dass Behinderung stark sozial konstruiert wird, denn indem fehlender Blickkontakt als sozial auffälliges Verhalten gedeutet wird, das Rückschlüsse auf die Arbeitsfähigkeit zulässt, wird eine Person als behindert eingeordnet (vgl. Feldnotizen, 21.10.2013).

Generell scheint das Thema Behinderung für die interviewten ,KlientInnen‘ nicht von so großer Bedeutung zu sein, um darüber zu sprechen, denn für sie stellt es den Normalzustand dar. Dennoch kann von den einzelnen Zitaten darauf geschlossen werden, dass für viele eine individuelle Einschränkung belastend ist. Doch häufig kann diese individuelle Beeinträchtigung mit Unterstützung und Hilfsmitteln soweit überwunden werden, dass eine Lebensführung „so normal wie möglich“ verwirklichbar ist. Allerdings wird dieser individuelle Aspekt, der für die betroffene Person selbst kein Hindernis darstellt, oftmals gesellschaftlich problematisiert, indem Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht zugetraut oder bauliche Barrieren nicht entfernt werden. Daher schließe ich mich mit diesen Ausführungen Anne Waldschmidts Zugang an, die Behinderung vorrangig als ein Zusammenspiel aus sozialen, kulturellen, ökonomischen, rechtlichen und historischen Aspekten begreift, das meist eine soziale Benachteiligung zur Folge hat (vgl. Waldschmidt 2003: 197), wobei aber die individuelle Ebene nicht ausgeblendet werden darf, da diese ebenfalls als behindernd erlebt werden kann.

5.3.7. Von außen vorgegebene Strukturen

Aus den Interviews und meinen Beobachtungen geht hervor, dass der Tag in der Werkstatt genau vorgegeben und strukturiert ist. Diese Struktur soll den MitarbeiterInnen mit Behinderung Orientierung und Sicherheit bieten. Dennoch ist diese Tagesstruktur nicht starr, sondern kann bedarfsweise verändert werden. Dass die Strukturierung den MitarbeiterInnen mit Behinderung von außen durch die BetreuerInnen vorgegeben wird, wird bei der Arbeit ersichtlich, denn diese bestimmen, was gearbeitet werden soll. Dabei sind die BetreuerInnen in ihren Entscheidungen aber ebenfalls nicht völlig frei, da sie auf die Aufträge der Firmen angewiesen sind. Zudem muss bedacht werden, dass nicht jede/r alle Tätigkeiten durchführen kann, weshalb die Arbeit an die Person angepasst werden muss.

Die meisten der interviewten ,KlientInnen‘ haben in den Interviews erzählt, dass sie die Arbeiten machen würden, die ihnen aufgetragen beziehungsweise hingestellt werden: „Die Betreuerin sagt immer, man muss was da nehmen und da nehmen und dann zum Arbeitsplatz hingehen und das machen“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013) oder: „Das tun immer die Betreuer entscheiden, das kann ich nicht entscheiden“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Auf die Frage, ob eine Arbeit auch abgelehnt werden könnte, fielen die Antworten unterschiedlich aus. Während einige der Interviewten angaben, hierbei eine Entscheidungsfreiheit zu besitzen, sahen andere es eher als Zwang zur Pflichterfüllung: „Manchmal macht das keinen Spaß, aber trotzdem, ich mach das trotzdem“, denn „wenn man zum Beispiel sagt, das will ich nicht, und die sagen, das musst du machen. Sonst verdienen sie nicht so viel Geld“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Mit dem letzten Satz spricht Frau Schneider den Taschengeldabzug an, der als Sanktion bei Nicht-Einhaltung der Werkstattregeln eingesetzt wird.

Diese Vorgaben implizieren eine Unselbstständigkeit der ,KlientInnen‘, denn viele warten in der Früh darauf, dass ihnen die BetreuerInnen die Arbeit auf den Tisch stellen (vgl. Feldnotizen, 13.11.2013). Von den ,KlientInnen‘ wird nicht gefordert, darüber nachzudenken, was sie gern arbeiten würden, was sich auch in diesem Zitat ausdrückt: „Sonst mach ich mir das, was mir die Leute anschaffen, das mach ich dann sofort, das ist automatisch gewöhnt“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013). Ein Gruppenbetreuer bewertet in einem informellen Gespräch Phasen, in denen aufgrund von Auftragsmangel Langeweile herrscht, positiv, denn dann würden die ,KlientInnen‘ selbst überlegen, was sie tun könnten und wollen. So würden sie lernen, was sie möchten, denn das Ziel der Gruppe wäre es, Entscheidungen zu treffen und Selbstbestimmung zu lernen (vgl. Feldnotizen, 29.10.2013). Auch diese Passage verdeutlicht den Habitus der MitarbeiterInnen mit Behinderung, die Fremdbestimmung verinnerlicht haben und die Entwicklung eigener Bedürfnisse und Wünsche in den Hintergrund stellen. Zu wissen, was man will, muss demnach erst erlernt werden.

Mit diesem Arbeitsmodus geht auch eine „Überwachung“ der Strukturen durch die BetreuerInnen einher. Diese müssen darauf achten, dass die Arbeits- und Pausenzeiten sowie die Werkstattregeln eingehalten werden. Auch bei der Arbeit selbst müssen die Arbeitsschritte sowie das Endprodukt auf Fehler hin kontrolliert werden, was Frau Tomacek, die vor ihrer aktuellen politischen Tätigkeit in der Mitbestimmungsgruppe ebenfalls in einer Werkstatt Industriearbeiten durchgeführt hat, als negativ empfindet: „Da waren immer die Betreuer hinter dir, dass du gearbeitet hast. Oder, wenn wir vergessen haben auf die Zeit, ihr wisst eh, seit fünf Minuten wäre schon Arbeit gewesen. Sag ich, die waren wirklich immer hinter dir. (…) [D]u musst arbeiten, das musst du machen, Küchendienst ist“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). Dieses Zitat lässt das Bild eines Überwachungsmechanismus entstehen, der ein eigenständiges Denken und Handeln einschränkt, was sich letztlich im Habitus widerspiegelt.

5.3.8. Der „angepasste“ Habitus

Innerhalb der genannten Strukturen entsteht ein bestimmter Habitus, den ich an anderen Stellen der Analyse bereits beschrieben habe und den ich hier als „angepassten“ Habitus bezeichne. Der Habitus ist dem sozialen Feld zwar immer so angepasst, dass er darin problemlos funktionieren kann, aber bei der Gruppe der ,KlientInnen‘ ist diese Beschreibung noch zutreffender, da sie sich an meist von außen vorgegebene Regeln und Strukturen orientieren müssen, um in Institutionen sein zu können. Da jede Institution andere Regeln hat, muss der Habitus aber auch flexibel sein, um sich erneut anzupassen. Die externen Strukturen sind von eingeschränkten Wahlmöglichkeiten geprägt, was zu Unselbstständigkeit und oft unhinterfragter Befolgung der Regeln führt. Das trifft auf ältere ,KlientInnen‘ eher zu, denn sie sind meist schon seit ihrer Kindheit in diesem System. Jüngere ,KlientInnen‘ profitieren verstärkt von Veränderungen wie integrativen Klassen und können dadurch auch andere und neue Perspektiven für ihr Leben entwickeln, was sich in der Zufriedenheit in der Werkstatt und weiter gefassten Berufswünschen widerspiegelt.

Der Integrationsbegleiter kennzeichnet den Habitus auch als „routiniert, sie kennen es ja so. Wahrscheinlich schon aus der Schule und dann halt aus anderen Tagesstrukturen oder halt vom Alltag in der Institution, wenn sie schon länger da sind“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013) und auch seine Kollegin, ebenfalls Integrationsbegleiterin, formuliert es ähnlich:

„Die Tagesstruktur an sich ist eine große Problematik, um die Selbstständigkeit zu fördern. Es wird ihnen hier eigentlich alles gesagt. Jetzt fangen wir an, jetzt ist Morgenrunde, jetzt ist Pause, jetzt ist Mittagessen. Sie müssen nie selber etwas entscheiden. Das ist ein großes Problem find ich, weil wie soll jemand, der, auch im Wohnhaus, jahrelang gesagt kriegt, jetzt aufstehen, jetzt frühstücken, jetzt mach das, wie soll der alleine aufstehen, hinfahren, selbstständig sich eine Arbeit suchen sozusagen und zu arbeiten beginnen, ohne dass irgendjemand ihm gesagt hast, mach das. (…) Also, es ist, es sind, es läuft alles nach Regeln und man muss sich einfach bei jedem Konstrukt neu einleben sozusagen, und nach deren Regeln tanzen. Und ich find, dass eine Tagesstruktur, Wohnhäuser, das alles eine Selbstständigkeit, eine Selbstverwirklichung natürlich teilweise unterdrückt. Aber auch natürlich verständlich, das muss ich auch sagen, man braucht Strukturen, weil sonst ist es nicht handlebar“ (Interview Integrationsbegleiterin, 12.11.2013).

Hier wird die Problematik angesprochen, dass es zwar Regeln braucht, damit die Werkstatt funktioniert – Regeln sollen also Ordnung schaffen – doch diese schränken die darin agierenden Menschen in ihrer Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ein.

Frau Tomacek, die bei sich selbst durch ihre Arbeit als Selbstvertreterin eine Veränderung bemerkt hat, beschreibt sich rückblickend ebenfalls als sehr angepasst: „Ich muss ehrlich sagen, früher war ich sehr feig, früher war ich wirklich sehr feig. Ich hab alles gemacht, was

man mir gesagt hat. (…) Und ich muss ehrlich sagen, seit ich bei den Selbstvertretern bin, lass ich mir nichts mehr gefallen“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). Für sie haben sich durch das politisches Engagement erweiterte Denk- und Handlungsmöglichkeiten ergeben. Die Arbeit in der Werkstatt ist ein Beispiel für solche Strukturen, an die sich die ,KlientInnen‘ anpassen müssen. Hier könnte von einem Lernprozess gesprochen werden, in dem die Arbeit, die mehr ist als die bloße Tätigkeit – damit sind immer auch bestimmte Regeln und Erfahrungen verbunden – erlernt wird. Der Habitus wird quasi an die Bedingungen adaptiert. Hier sollen nicht nur die Tätigkeiten erlernt werden, sondern auch Teamfähigkeit und soziale Umgangsformen (vgl. Interview Integrationsbegleiterin, 12.11.2013). Es kann aber auch angenommen werden, dass die spezifischen Bedürfnisse, die durch die Erwerbsarbeit erfüllt werden, erst hier erlernt werden. Bei Jahoda findet sich der Verweis, dass die westlich-kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen diese Bedürfnisse erst kreieren, um sie anschließend durch Erwerbsarbeit zu erfüllen (vgl. Jahoda 1986: 137f.). Besonders für die SchulabgängerInnen benötigt dieser Lernprozess Zeit, denn,

„wenn sie von der Schule kommen, das sind sie einen ganz anderen Rhythmus gewöhnt, da dauert der Tag meistens bis Mittag und bei uns dauert der Tag bis drei. Und einmal diese Umgewöhnung von Schule auf Arbeitsleben. Dann eben die ganzen Arbeitstugenden wie Ausdauer und Selbstständigkeit, dass ich jetzt weiß, was für eine Arbeitsschritt ist da jetzt notwendig, was für ein Arbeitsmaterial und je nachdem kann ich mir das Material selber besorgen oder brauch ich die Betreuer als Hilfe dazu“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

In dieser Zeit braucht es eine „permanente Arbeit an sich selbst“ (Bröckling/Horn 2002: 10f.), um den Anforderungen der Institution gerecht zu werden. Neben den expliziten Regeln und Tätigkeiten müssen auch implizite Vorschriften und Verhaltensweisen erlernt werden. Am Ende des Prozesses, also wenn der Habitus an das Feld angepasst ist, verfügen die ,KlientInnen‘ durch ihr Können und ihre Sozialkontakte über kulturelles und soziales Kapital innerhalb der Werkstatt, das ihnen als symbolisches Kapital in Form von Anerkennung, Lob und guten Beziehungen zu anderen KollegInnen und zu den BetreuerInnen zur Verfügung steht. Herr Haas sieht seine Hilfsbereitschaft als Stärke; durch diese Eigenschaft scheint er meinen Beobachtungen nach in der Werkstatt beliebt zu sein (vgl. Interview Herr Haas, 19.11.2013). Einige der interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung sehen diese stetige Arbeit an sich aber positiv im Sinne einer Weiterentwicklung: „Gefällt mir sehr gut da, da gibt´s immer andere, man muss sich immer weiterentwickeln oder vieles Neues probieren“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Auch Herr Steiner sieht das ähnlich:

„Aber man denkt schon ein bisschen nach, wie macht, wie kann man das anders machen. Man schaut sich das an und denkt, ah, das kann man, das machen wir ein bisschen anders und das ist auch was Feines. Man lernt von den anderen. Wie gesagt, man lernt von den anderen. Und das ist schon toll“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013).

Die ,KlientInnen‘ üben dadurch Kritik an sich selbst, wie etwa Frau Özcan, die bei Werkstattführungen Vorträge hält:

„Ich schau meinen Vortrag an [die Videoaufzeichnung; Anmerkung S.G.] und ich fühle mich, ich hab das schlecht gemacht. (…) Ich muss lauter sprechen und mehr an Pause denken. Aber ich sprech automatisch weiter. Das kann ich nicht merken. Für mich ist es ganz schwer. Aber ich muss noch üben, die Pausen, Pausen machen“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013).

Auch die 50-jährige Frau Wagner kritisiert an sich, dass sie zu langsam arbeiten würde: „Ich müsste schneller sein“ (Interview Frau Wagner, 19.11.2013). Besonders in der letzten Aussage zeigt sich, dass durch die Arbeit bestimmte Werte verinnerlicht wurden, in diesem Fall Schnelligkeit. Aber auch der Verpflichtungscharakter von Arbeit sowie die Überwachung durch andere ist etwas, das Erwerbsarbeit häufig prägt und auch bei den MitarbeiterInnen mit Behinderung eine Rolle spielt (vgl. Brown 1996. 920).

Die jüngeren ,KlientInnen‘, die eine Arbeitsstelle am ersten Arbeitsmarkt anstreben, stellen den Aspekt des Lernens neuer Fähigkeiten in den Vordergrund: „Lernen auch was, verpacken lernt man. Hab ich früher nicht gewusst, wie man verpackt, jetzt weiß ich´s, ja“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014) oder: „Ich hab Lust lernen immer, macht Spaß arbeiten“ (Interview Herr Markovic, 04.11.2013). Frau Schneider beschreibt es als „Übungssache“ und meint: „Naja, wenn zum Beispiel jemand neu ist, zum Beispiel, dann ist es natürlich klar, dass es neu ist, dass es schwierig ist für den Anfang, aber wenn man dann hineinkommt und länger hier bleibt, desto leichter wird´s eigentlich“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Dabei wird aber kritisiert, dass manchen MitarbeiterInnen mit Behinderung nicht die Gelegenheit gegeben wird, bestimmte Tätigkeiten zu erlernen: „Aber das Problem ist, weil die nehmen immer dieselben, (…) die anderen Kollegen sind auch da, so sag´s ich immer. Die müssen das ja auch irgendwann mal lernen“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Dabei sind wichtige Grundsätze schon internalisiert und müssen von den BetreuerInnen nicht mehr explizit erwähnt werden, etwa, dass die Arbeit genau durchgeführt werden muss: „Wir arbeiten ganz genau die Adressen, ordentlich muss geklebt werden und es darf nicht schief sein und es muss immer gerade sein“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013), da es sonst keine Aufträge mehr gäbe. Es geht letztlich darum, den „Job“ in der Werkstatt „richtig“ zu machen (Interview Herr Markovic, 04.11.2013).

5.3.9. Ist es Arbeit?

Diese Frage wurde von den meisten Interviewten – egal ob MitarbeiterIn mit Behinderung, BetreuerIn oder Experte/in – mit ja, es ist Arbeit, was die ,KlientInnen‘ in der Werkstatt machen, beantwortet. Rechtlich betrachtet ist es zwar keine Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit, sondern ein Betreuungsangebot, denn es kommt zu „keiner Anstellung, weil das ist kein bezahlter Job“ (Interview Mag. Andelic, 14.01.2014). Aber schon auf der sprachlichen Ebene lassen sich erste Hinweise finden, dass die ,KlientInnen‘ die Werkstatt als ihren Arbeitsplatz und großteils als ein Äquivalent zu einer Arbeitsstelle am ersten Arbeitsmarkt sehen. Sehr häufig wurde die Werkstatt während meiner Forschung als „Firma“ und der Werkstättenleiter als „Chef“ bezeichnet (vgl. Feldnotizen, 26.11.2013). Auch der 19- jährige Herr Swoboda beschreibt das Aufnahmegespräch eher als Vorstellungsgespräch: „Das war einmal im Jänner, im letzten Abschlussgespräch, hab ich gezittert, ob ich den Job kriege oder nicht“ (Interview Herr Swoboda, 05.11.2013). Auch der Werkstättenleiter sieht es als ernsthafte Arbeit:

„Und was soll das Anderes sein als Arbeit? Und ich denk mir, es ist auch sehr wichtig, ob wir selber Betreuer das auch so vermitteln können, dass das Arbeit ist und ich sag, dass das nicht Arbeit spielen ist. Wenn ich der Meinung bin, dass das, was ich da mach, ist Arbeit spielen, dann hab ich schon verloren. Wenn ich der Meinung bin, dass das wirklich auch Arbeit ist und zwar für mich ist es eine leichte Arbeit, weil ich locker bis tausend zählen kann und für die ist es eine schwerere Arbeit. Das kann schon sein, aber es bleibt Arbeit. Also, das ist, denk ich mir, grundsätzlich ganz wichtig. Der Betreuer muss auch der Meinung sein, dass nicht nur das, was er tut, Arbeit ist (…), sondern dass das, was die Leute hier tun, auch Arbeit ist. Und dass ein jeder es macht, so viel er kann. Aber das, sein individueller Einsatz bei der Arbeit, in der Arbeit, ist subjektiv gesehen eine Arbeit. Für mich, das ist, glaub ich, auch ein relativ zentraler, ein wichtiger Punkt“ (Interview Werkstättenleiter, 13.01.2014).

Er spricht hier den Punkt des Ernstnehmens an. Nur wenn die Tätigkeiten als richtige Arbeit gesehen werden, können sich die ,KlientInnen‘ ernstgenommen fühlen und ein Selbstwertgefühl entwickeln.

Die Personen, die die Werkstatt als Zwischenstation am Weg zum ersten Arbeitsmarkt sehen, betrachten die Frage, ob es sich hier um Arbeit handelt, kritischer:

„Ja, ja irgendwie schon, irgendwie. Weil man da auch irgendwie sitzt und man tut den ganzen Tag verpacken. Also, ich find, es ist eine Arbeit, oder. Ich find schon halt. Ich mein, vielleicht nicht so wie eine Arbeit, aber es ist eine Arbeit. Immerhin. Eine, wie sagt man zu dem, eine Freizeitbeschäftigungstherapie nennt man das da, ist das, oder ein Kurs“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

In diesem Zitat wird eine Unterscheidung zwischen einer Arbeit am ersten Arbeitsmarkt und der Arbeit in der Werkstatt vorgenommen. Die Tätigkeiten in der Werkstatt wären zwar auch Arbeit, was etwa an der Dauer der Tätigkeit festgemacht wird, aber es würde sich nicht um Arbeit im Sinne einer „richtigen“ Erwerbsarbeit handeln. Die Arbeit in der Werkstatt wird sogar mit Freizeit in Verbindung gebracht. In dieser Abwertung der Arbeit in der Werkstatt spiegelt sich auch der hohe Stellenwert von Erwerbsarbeit in westlich-kapitalistischen Gesellschaften wider. Daraus ließe sich weiters schließen, dass nur Tätigkeiten, die auch adäquat bezahlt werden, als „richtige“ Arbeit gelten. Wie bereits im Kapitel über Arbeit angesprochen, werden unbezahlte Tätigkeiten häufig nicht als Arbeit klassifiziert, weshalb die Arbeit in den Werkstätten, die mit einem geringen Taschengeld entlohnt wird, möglicherweise ebenfalls auf dieser Stufe gesehen wird. Auch die Gruppenbetreuerin unterscheidet zwischen beiden Arbeitsformen, möchte die Arbeit in der Werkstatt aber trotzdem genauso ernstnehmen:

„Natürlich gibt´s Unterschiede. Das ist klar. Jetzt zu einem Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft gibt´s natürlich Unterschiede. Ich mein, es ist uns schon wichtig, dass die Jugendlichen auch lernen, Verantwortung zu übernehmen, ja, und dass eine Ernsthaftigkeit auch da ist, ja, aber es ist jetzt natürlich so, wenn´s jetzt einmal einem schlecht geht oder sonst was, dann wird man ihn jetzt nicht zwingen, dass er an dem Tag weiß ich was für Höchstleistungen bringt“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

Da die meisten ,KlientInnen‘ die Werkstatt aber als ihren Arbeitsplatz benennen, kommen sie wegen der Arbeit in die Werkstatt: „Das ist mein Arbeitsplatz, ich bleibe da. Wenn´s was Anderes gibt, vielleicht, aber sonst bleib ich da“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013). Der Wille zu arbeiten ist ein wichtiger Grund, in die Werkstatt zu kommen: „Weil ich arbeiten will. Weil ich arbeiten will und Werkstatt-Führung. Und arbeiten wie ich kann“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). In folgenden Zitat eines Mannes drückt sich eine gewisse Entscheidungsfreiheit aus: „Mir gefällt die Arbeit da sehr gut, sonst wär ich ja nicht hier“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Würde ihm die Arbeit nicht mehr gefallen, würde er vielleicht die Werkstatt wechseln, was deutlich macht, dass er für sich andere Möglichkeiten erkennt.

Auch die Tatsache, dass tagsüber eine adäquate Betreuung zuhause oder in der Wohngemeinschaft fehlt, wird als Grund genannt: „Ich muss in die Arbeit kommen, sonst kann ich nicht alleine zuhause bleiben. Wenn ich Anfall habe oder irgendwas, dann muss ich in die Arbeit kommen. Ich darf nicht alleine zuhause bleiben“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). Aber als zentrale Motivation werden die Sozialkontakte in der Werkstatt gesehen. Die ,KlientInnen‘ haben hier meist gute FreundInnen gefunden: „Ich spür meine Gefühle, wenn Arbeitskollegen von mir zusammenkommen, bin ich wieder ganz gesund. Wenn ich alleine bin, hab ich Probleme, da wird das ganze Ding halt, bin ich bisschen einsam“ (Interview Herr Horvath, 09.12.2013). Da die MitarbeiterInnen mit Behinderung großteils wenige Freundschaften außerhalb der Werkstatt haben, stellen die Sozialkontakte in der Werkstatt ein wichtiges soziales Kapital dar. Arbeit ist daher mehr als die bloße Tätigkeit. Am Beispiel der Werkstatt lässt sich gut erkennen, dass die persönliche und soziale Ebene von Arbeit besonders wichtig ist und es für die ,KlientInnen‘ nicht nur um die Arbeit an sich geht. Zufriedenheit in der Werkstatt, wie bei diesem Mann, „Weil´s mir gut geht und zufrieden“ (Interview Herr Schmidt, 17.12.2013), und einfach die Freude an der Tätigkeit, „Weil´s mir einen Spaß macht“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013), scheinen besonders wichtig zu sein. Aber auch Geld und die Aussicht auf eine Arbeit am ersten Arbeitsmarkt sind vor allem für die jüngeren ,KlientInnen‘ bedeutende Gründe, in die Werkstatt zu kommen: „Weil ich mein Praktikum beenden hier möchte, meine zweieinhalb Jahre“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014) und weiter: „Dass ich ein bisschen mehr verdienen kann, das Geld“ (Interview Herr Swoboda, 05.11.2013) oder:

„Ich hab gehört, hier verdienen wir auch sehr viel Geld, auch von außerhalb, zum Beispiel vom Westbahnhof zum Beispiel, von Waggon Lits. Da machen wir so Sackerln mit Wasser, Seife und Handtuch und die Zetteln. Und da wird´s dann geliefert, bei den Zügen, und da arbeiten wir halt und da kriege ich auch sehr viel Geld“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013).

Alle genannten Gründe, warum die ,KlientInnen‘ in die Werkstatt kommen und ob sie ihre Tätigkeit als Arbeit sehen, finden sich in ähnlicher Weise auch in anderen Studien wieder. So zeigt der Anthropologe Schönhuth, dass die sozialen Beziehungen häufig wichtiger sind als die Arbeit an sich (vgl. Schönhuth o.J.: 17) und die Sozialwissenschaftlerin van Maastricht nennt ebenfalls Sozialkontakte als Grund. Sie führt weiters aus, dass die von ihr interviewten ,KlientInnen‘ zweier Werkstätten in Griechenland und Wales ihre Tätigkeiten ebenfalls als Arbeit sehen. Die Tätigkeiten werden zu Arbeit aufgrund der Bedeutung, die die ,KlientInnen‘ ihnen geben, der Bezahlung, der Tagesstruktur und der Sozialkontakte. Besonders die Strukturierung von Zeit und Ort wären ausschlaggebende Faktoren, die Arbeit konstituieren (vgl. van Maastricht 1998: 142f., 145f., 149). Hierin spiegelt sich eine westlich geprägte Auffassung von Arbeit, denn die genannten Punkte stellen wichtige Charakteristika der kapitalistischen Erwerbsarbeit dar.

5.3.10. Bedeutung von Arbeit

Die Strukturierung des Tages und der Wechsel zwischen Wohn- und Arbeitsort werden von Marie Jahoda als wichtige Funktionen von Arbeit genannt. Durch ihre Struktur erlegt die Erwerbsarbeit den Menschen bestimmte Erfahrungen auf, unter anderem Sozialkontakte, Ziele über das private Umfeld hinaus und Status und Identität (vgl. Jahoda 1986: 99). Die in Kapitel 3.2. aufgezählten Funktionen von Arbeit finden sich auch in der Werkstatt wieder, denn „Arbeit sollte eine sinnvolle Beschäftigung sein, die auch gleichzeitig Struktur im Tagesablauf gibt und das Gefühl hinterlässt, dass man etwas Sinnvolles bewegen kann“ (Interview Mag. Pfaffenbichler, 13.11.2013). Dieser Sinn trägt zur Zufriedenheit bei: „Man ist zufrieden, wenn man arbeiten kann. Ich bin froh, dass ich hergekommen bin“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013). In der Arbeit möchten Menschen auch Bestätigung und Anerkennung finden, was sich beispielsweise in folgender Szene aus meinen Feldnotizen zeigt: „Nach jeder fertigen Schachtel zeigt er sie stolz den BetreuerInnen und dabei ruft Herr Vukovic so lang ihre Namen, bis die Betroffenen reagieren und ihn loben. Herr Vukovic lächelt dann und scheint sich zu freuen“ (Feldnotizen, 12.11.2013). Dass Arbeit auch Struktur und damit Sicherheit gibt, lässt sich ebenfalls in einer Aussage eines Mannes finden, der an einem Morgen sehr aufgebracht in die Werkstatt gekommen ist und meinte, er würde jetzt arbeiten wollen, denn das würde ihn ablenken und entspannen (vgl. Feldnotizen, 18.11.2013). Weil die Industriearbeit so gleichförmig ist, aber trotzdem Konzentration erfordert, kann sie helfen, sich zu beruhigen und abzulenken. Gleichzeitig werden die Arbeiten auch als lustvoll empfunden, was sich darin zeigt, dass bei der morgendlichen Aufgabenverteilung in den Gruppen bestimmte Tätigkeiten besonders beliebt sind oder die Arbeit als Spiel gesehen wird: „Die meisten machen sich ein Spiel daraus und schießen die gefalteten Schachteln wie einen Eishockeypuck zu mir über den Tisch, damit ich sie in die leere Schachtel gebe, besonders Herr Schmidt und Frau Özcan scheint das großen Spaß zu machen“ (Feldnotizen, 09.12.2013). Wie an diesen Ausführungen sichtbar wird, erfüllt die Arbeit in den Werkstätten für eine Großteil der geistig behinderten Erwachsenen in den Grundzügen dieselben Funktionen wie für Menschen, die am ersten Arbeitsmarkt tätig sind, wobei es aber auf der Ebene der Bezahlung deutliche Unterschiede gibt.

5.3.11. Faktor Zeit: Stress vs. Langeweile

Arbeit hat nicht nur angenehme und positive Seiten, was sich in der Werkstatt, die von Aufträgen abhängig ist, beobachten lässt. Wenn viele Aufträge gleichzeitig fertig werden müssen, verspüren die ,KlientInnen‘ Stress:

„Manchmal schon, aber ich denk mir dann so, das gehört aber dazu, weil es ist in einer Firma so, in einer Arbeit, dass es stressig ist. So denk ich halt. Ich weiß nicht, wie es die anderen machen, aber ich denk so, weil es ist einmal üblich, dass es stressig ist. Weil in einer richtigen Firma, wenn der Chef Druck macht, muss man es auch machen“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Hier wird wieder der Vergleich zu einer „richtigen“ Firma angestellt und Stress wird als etwas hingenommen, das normaler Bestandteil von Arbeit ist. Aber auch das Gegenteil, nämlich Langeweile, prägt den Werkstattalltag phasenweise, wenn es keine Aufträge und somit keine Arbeit gibt:

„Da haben sie gesagt, der kommt einen Tag später, dann ist der wieder nicht gekommen. Eine Woche lang halt haben wir das schon mal gehabt. Voriges Jahr, das zwei Mal aber. Da ist mir fad gewesen. Da hab ich mir gedacht, für was sollen wir da herkommen, wenn wir eh keine Arbeit jetzt derweil kriegen?“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Ohne Arbeit fehlt der Sinn, womit in Frage gestellt wird, warum man überhaupt in die Werkstatt kommen soll. Die ,KlientInnen‘ hätten in einer solchen Situation Probleme, sich selbst zu beschäftigen, worin sich der erwähnte unselbstständige Habitus zeigt:

„Weil die Struktur dann halt ein bisschen fehlt und manche tun sich leichter. Ich mein, wir haben immer wieder Jugendliche auch, die könnten sich den ganzen Tag selber unterhalten mit irgendwas, also das wär kein Problem. Aber bei vielen ist es doch so, dass dann, Animation ist jetzt nicht das richtige Wort, aber, weißt, dass man halt so ein bisschen ein Programm vorgibt“ (Interview Gruppenbetreuerin, 17.12.2013).

Aufgrund unterschiedlicher Arbeitstempi gibt es häufig auch Wartephasen, was ebenfalls zu Langeweile und Müdigkeit führt:

„Herr Stankovic hat am Schrumpfer viel zu tun, Herr Markovic und Herr Moser verbringen aber viel Zeit mit Warten, da Herr Stankovic am Schrumpfer allein nicht schnell genug ist. Besonders Herr Markovic wirkt müde, gelangweilt und genervt auf mich und er bestätigt mir das auf meine Nachfrage auch, dass er sehr viele Wartezeiten hätte“ (Feldnotizen, 08.10.2013).

Manchmal schlafen die MitarbeiterInnen mit Behinderung am Tisch ein, wenn sie in ihrem Arbeitsschritt auf die davor arbeitenden KollegInnen warten müssen. Die KollegInnen wecken die schlafende Person auf, manchmal auch in gereizter Weise, weil somit die Arbeitsstraße unterbrochen ist: „Du schläfst schon wieder! Du schläft immer ein!“ (Feldnotizen, 19.11.2013).

Die Industriearbeit zeichnet sich durch gleichförmige Arbeitsschritte aus, wobei es zwar genaue Vorgaben gibt, wie das Endprodukt aussehen muss, aber der Weg dorthin wird von den ,KlientInnen‘ unterschiedlich gestaltet. Genauso unterschiedlich wird auch die Gleichförmigkeit der Arbeit wahrgenommen. Während es für die einen Struktur, Sicherheit und Ablenkung bedeutet, führt diese Gleichförmigkeit für die anderen zu Monotonie und Langeweile: „Wir machen das ja nicht nur einmal. Wir machen das jeden Tag und das, find ich, ist zach ein bisschen. Immer dasselbe“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014). Zudem gefällt die Arbeit nicht immer, weil sie anstrengend ist: „Manchmal ist es auch sehr anstrengend, wird man auch sehr leicht müde“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Die meisten der interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung empfinden aber Freude an der Arbeit, die auch eine Herausforderung im positiven Sinne darstellen kann. Wichtig ist auch die Sichtbarkeit der geleisteten Arbeit, nicht nur in Form von Stückzahlen, sondern auch als Zeichen am Körper: „Am meisten tut mir, wenn ich schmutzige Hände habe mit Filzstifte, das gefällt mir. (…) Weil ich wieder nachher Hände waschen muss, dann. Und das gefällt mir nicht, wenn ich Handschuhe habe“ (Interview Frau Özcan, 02.12.2013). Auch eine bestimmte Freiheit und Selbstständigkeit bei der Arbeit, was besonders bei dislozierten Tätigkeiten gegeben ist, werden positiv bewertet: „Das ist schon auch fein, dass man ohne Betreuer fährt. (…) In der Apotheke (…) haben wir keine Betreuer, das ist am schönsten, wenn keiner sagt, tu das und tu das“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013). Das Arbeiten ohne die „Überwachung“ durch BetreuerInnen wird als positiver Aspekt genannt, wodurch es näher an „normales Arbeiten“ rückt.

5.3.12. Status und Normalität

Auch wenn die Werkstatt für viele ,KlientInnen‘ ein „normaler“ Arbeitsplatz ist, nehmen andere die Werkstatt nicht als solchen wahr. Sie haben in der Werkstatt keine Berufsbezeichnung, sondern sind betreute ,KlientInnen‘, was auch von ihnen selbst artikuliert wird: „Klient ist hier, bei der Lebenshilfe heißt das so, Klienten. (…) Dann bin ich kein Klient mehr, sondern Angestellter. Das ist super“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014). Auch in folgender Formulierung wird deutlich, dass die Werkstatt nicht als Endstation gesehen und ein „richtiger“ Beruf angestrebt wird: „Naja, das ist noch die Frage eigentlich, weil ich überlege jetzt grade, was ich wirklich machen will. (…) Muss ich noch überlegen, was ich werden will“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013).

Die MitarbeiterInnen, die am ersten Arbeitsmarkt arbeiten wollen, differenzieren zudem, wie oben schon erwähnt, zwischen Werkstatt und „richtigem Job“: „Da ist Beschäftigungstherapie, da ist, da kann man nur eine gewisse Zeit bleiben. (…) Wenn die aus sind, muss man suchen Arbeit“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014) oder:

„Genau, jetzt bin ich aber eh bald fertig mit dem, nächstes Jahr, 2015 dann, dann bin ich woanders schon, eine andere Firma, in einer richtigen. (…) Das darf man da ja nicht vergleichen mit einer richtigen Firma. So irgendwie. Eine richtige Firma, das ist anders irgendwie als da wieder“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Die Werkstatt stellt dabei aber keine „richtige“ Arbeit dar, sie scheint vielmehr etwas zu sein, das Arbeit nur „vortäuscht“: „Ja, da hat man nicht richtig eine Arbeit, das ist keine richtige Arbeit hier, deswegen“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014). Auch die Pädagogin Spiess erkennt in den Werkstätten eher eine Simulation eines Betriebes des ersten Arbeitsmarktes denn eine realistische Arbeitserfahrung (vgl. Spiess 2004: 76). Die Werkstatt wird aber als Notwendigkeit am Weg zum „richtigen“ Job gesehen: „Ich hab die Chance, wo zu arbeiten in richtiger Firma (…) mit Oberchefs, mit Beamten und so, also, mit angestellt, also, als Angestellter zu arbeiten“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2013). „Mal in einer richtigen Firma arbeiten“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014) ist für einige ein großer Wunsch: „Naja weil ich mir gesagt hab, ich muss fix einmal wo, ich möchte wo einmal wo eine Arbeit haben, fix wo, einen guten Job halt. Gut verdienen, weil es ist nicht gut, wenn ich die ganze Zeit nur dort bin bei der Lebenshilfe, weil da verdien ich nicht viel“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Auch im Bereich der Bezahlung werden Unterschiede erkannt und problematisiert: „Da hab ich auch die, naja, da krieg ich ja richtiges Gehalt, keine Dauerleistung“, denn Geld wäre wichtig, um ein „normales“ Leben zu führen: „Naja, ich muss Miete zahlen können, Strom und Essen kaufen und Gewand. (…) Weil wenn ich dann vielleicht, wenn ich dann auch eine Familie hab zum Beispiel Frau und Kind, dann ist auch, viel Geld brauch ich dann“ (Interview Herr Stankovic, 14.01.2014).

Mit einem „richtigen Job“ ist ein anderer Status verbunden, der mehr symbolisches Kapital verspricht. Dahinter steht der Wunsch nach Normalität, was sich im Rahmen der Werkstatt bereits in den dislozierten Arbeiten und in Praktika zeigt: „Andererseits haben diese externen Praktika schon ein ziemliches Prestige auch bei den KlientInnen und sie waren eigentlich stolz und haben sich total gefreut, wie diese Praktika angeboten wurden“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013). Diese stellen eine Vorstufe zur gewünschten Normalität eines „echten Jobs“ dar: „Bis 2014 kannst du neuen Job haben, echten Job (…) kannst du auch was machen aus deinem Leben“ (Interview Herr Markovic, 04.11.2013). Die Formulierung „was machen aus deinem Leben“ verweist sehr stark auf die Normalität und den Wunsch nach Anerkennung durch die Arbeit und sie impliziert, dass dies in der Werkstatt nicht möglich wäre.

Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt ist aber ein langer und langsamer Prozess, bei dem sich die ,KlientInnen‘ erst beweisen müssen, denn, wie im ersten Teil der Analyse erwähnt, bestehen hier oft große Hürden, die von den Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung eine Verhaltensänderung beziehungsweise –anpassung an eine gesellschaftliche Norm verlangen. Diese Anpassung muss aber erst bewältigt werden und dazu braucht es teilweise Unterstützung.

5.3.13. Geld

Wie bereits erklärt, sind die MitarbeiterInnen mit Behinderung durch Sozialleistungen abgesichert und erhalten in der Werkstatt nur ein Taschengeld in der Höhe von zehn bis 70 Euro. Die Rolle von Geld in Bezug auf den Status, den man durch einen „normalen Job“ erhält, wurde im vorigen Abschnitt kurz angesprochen. Die ,KlientInnen‘ wünschen sich vereinzelt, mehr zu verdienen, allerdings hätten sie

„teilweise schon sehr unrealistische Vorstellungen, was man so verdienen kann, mit einem Job nämlich, der für diese Klientel realistisch ist, also hauptsächlich Jobs, die ohne Ausbildung machbar sind oder die angelernt sind oder helfende Tätigkeiten. Und da ist leider der Unterschied zwischen dem, was jobgeldmäßig zu erwarten ist und zwischen dem, was die KlientInnen jetzt schon haben durch ihre finanziellen, durch ihre Einkommen wie Mindestsicherung, Waisenpension, erhöhte Kinderbeihilfe oder was auch immer, Unterhaltsleistungen, die Differenz ist leider nicht so wahnsinnig groß oder teilweise wahrscheinlich gar nicht vorhanden. Das heißt, das wird für die meisten keine wirkliche großartige Einkommenssteigerung bedeuten dann, aber Status und Prestige werden sie natürlich schon“ (Interview Integrationsbegleiter, 16.12.2013).

In der Werkstatt selbst ist die Bedeutung von Geld als ökonomisches Kapital unterschiedlich. Nicht alle ,KlientInnen‘ haben einen Bezug zu Geld, aber für viele andere stellt das Taschengeld eine Form der Anerkennung dar: „Das Taschengeld, wenn man Geld verdient, ist das sehr wichtig, dass man das bekommt. Und wenn man sagt, okay, du hast etwas Gutes geleistet, und so, dafür kriegt man Taschengeld“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Die Kausalkette Arbeit = Taschengeld ist für die meisten MitarbeiterInnen mit Behinderung nachvollziehbar, wenn auch für sie der Wert des Geldes nicht immer klar ist. Der Besitz ökonomischen Kapitals gibt zudem Sicherheit, selbst wenn mit dem Taschengeld eine finanzielle Überlebenssicherung nicht möglich ist: „Ich mein, Geld ist gut, dass man es hat, weil Geld doch ein bisschen auch beruhigt. (…) Fühlt sich halt gut an, wenn man Geld hat“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013).

Meine Vorannahme, dass die MitarbeiterInnen mit Behinderung mit der Höhe des Taschengeldes unzufrieden wären, hat sich in den Interviews nicht bestätigt. Die meisten sind zufrieden und meinen, das Geld würde ihnen reichen. Das lässt sich ebenfalls mit den habituellen Denkräumen erklären. Die Sichtweise der eigenen Person und der Möglichkeiten sind durch den institutionellen Sozialisierungsrahmen eingeschränkt, weshalb auch enge Entscheidungsspielräume nicht kritisiert, sondern als positiv betrachtet werden (vgl. Schäfers 2008: 151). Das geringe Taschengeld erscheint als normal und wird zumeist nicht hinterfragt. Als Ende November aufgrund des Urlaubstaschengeldes die doppelte Summe ausbezahlt wurde, haben einige MitarbeiterInnen mit Behinderung durch die Prämien der dislozierten Arbeit und die Fahrtkosten über 100 Euro erhalten. Ein Mann freut sich darüber und meint: „Ich bin ein reicher Mann“ (Feldnotizen, 03.12.2013). Die Summe erscheint zudem auch als besonders hoch, weil die Relationen zu einem durchschnittlichen Einkommen am ersten Arbeitsmarkt fehlen, was ebenfalls Teil der engen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsspielräume ist.

Dennoch gibt es auch Widerstand durch die Personen, die sich der herrschenden Ordnung unbewusst unterwerfen, in diesem Fall die ,KlientInnen‘, jedoch kann dieser Widerstand nur aus den vorgegebenen Deutungen heraus entwickelt werden. Wie an anderen Stellen angemerkt, gibt es auch Kritik einiger ,KlientInnen‘ daran, dass Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Werkstätten arbeiten müssen, weil sie nur wenig andere Möglichkeiten haben oder daran, dass das Taschengeld zu niedrig ist:

„Ja. [Für das; Anmerkung S.G.] Putzen geben sie auch wenig. Sie geben mir mehr Arbeit und geben mir wenig. (…) 40, 45 plus, das ist alles. 90 Euro, 100 kriegst du plus. (…) Geh einmal mit uns putzen, du siehst das, du sagst, (…) hast du recht, was geben sie dir ur viel putzen, das ist gemein. Du sagst, das ist gemein“ (Interview Herr Markovic, 04.11.2013).

Diese Kritik aus dem gewohnten System heraus wird auch daran deutlich, dass einige ,KlientInnen‘ die Werkstatt für eine Arbeit am ersten Arbeitsmarkt verlassen wollen:

„Nein, ich bin nicht fix normal nicht da, nein. Ich arbeite nur noch ein Jahr da und dann hab ich eine andere Arbeit, eine richtig fixe Arbeit dann in der Firma. (…) Das ist, für mich wäre das da nichts, den ganzen Tag da nur hackeln und nichts verdienen. Geld muss man ja auch verdienen, man muss ja auch irgendwie leben. (…) Aber fix möchte ich hier nicht bleiben, da. Weil wenn ich hier fix bin, dann mach ich gleich gar nichts. Weil für nur 40 Euro arbeiten, das brauch ich nicht. Da spiel ich nicht mit“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Die Formulierung „da spiel ich nicht mit“ verweist einerseits darauf, dass es sich für Herr Lehner dabei um ein ernstes und emotionales Thema handelt und andererseits kommt auf der sprachlichen Ebene Widerstand gegen den vorgegebenen rechtlichen Rahmen zum Ausdruck. Die Pädagogin Spiess nennt das Motiv „mehr Geld verdienen“ ebenfalls als wichtigen Grund, die Werkstatt für einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt verlassen zu wollen (vgl. Spiess 2004: 93). Für andere stellt die Werkstatt einen geschützten Raum dar, den sie nicht verlassen möchten. Der Habitus ist ideal an dieses Feld angepasst und eine Veränderung wäre für diese Gruppe daher anstrengend und verunsichernd.

5.3.14. Verkindlichung

Eng mit dem oben erwähnten Status ist verbunden, dass Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung häufig nicht als vollwertige Erwachsene betrachtet werden. Wie im ersten Teil der Analyse aufgezeigt, tragen einseitige mediale Repräsentationen zu diesem Bild bei. Dieser Status wird von den ,KlientInnen‘ unbewusst durch ihren Habitus reproduziert und die Machtverhältnisse bleiben so aufrecht, was sich beispielsweise in diesem Interviewausschnitt über eine dislozierte Arbeit zeigt: „Da bekommen wir manchmal Süßigkeiten und so. Wenn man brav gearbeitet hat und ,Hallo‘ sagt und ,Auf Wiedersehen‘ sagt, dann kriegen wir hin und wieder Süßigkeiten“ (Interview Frau Schneider, 28.10.2013). Die Formulierung „brav arbeiten“ sowie die Belohnung durch Süßigkeiten sind stark mit Kindern assoziiert. Kinder werden zudem aufgefordert, die Umgangsregeln in Form von Grüßen und Freundlich-Sein, einzuhalten.

Doch auch hier wird Kritik an den vorherrschenden Deutung geübt und besonders die SelbstvertreterInnen fordern Respekt ein: „Unser Satz ist ja immer, wir wollen ernst genommen werden. Das sag ich immer. Ich sag immer, also, ich will ernst genommen werden“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). Herr Steiner wehrt sich auf einer anderen Ebene gegen die symbolische Gewalt: „Das erste Mal, wie ich hier her gekommen bin, das erste Mal, hab ich zu demjenigen gesagt, die Betreuer, ich möchte nicht mit Du angesprochen werden. Der hat das nicht begriffen“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013). Der Erwachsenen- Status wird hier eingefordert, indem die Beziehung mit dem „Sie“ sprachlich auf eine andere Stufe gehoben wird. Er verlangt zudem, dass die Umgangsregeln eingehalten werden, was ebenfalls Teil des Status als Erwachsener ist: „Jede Arbeit mach ich gern. Aber nur kein Zwang. Nur Bitte und Danke vorausgeschickt, vorausgesehen. Ja, können Sie bitte, mach ich, aber nicht mit Zwang“ (Interview Herr Steiner, 03.12.2013). Andere kritisieren explizit, dass sie sich wie Kinder behandelt fühlen:

„Naja, bei dem Betreuern ist mir schon ein bisschen was aufgefallen. Ich mein, nicht nur mir, einigen Kollegen da auch. Weil wen wir über was reden, dass die immer (…) daher kommen und sagen, könnt ihr still sein, ihr müsst arbeiten. Das ist ja, weiß ich nicht, das ist ja auch keine Art, oder? (...) Ich mein, wir sind erwachsene Menschen, so sag´s ich, weil wir sind ja keine kleinen Kinder“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

In Situationen, in denen die BetreuerInnen den ,KlientInnen‘ bei schwierigen Arbeiten behilflich sein wollen, wird das Erwachsen-Sein ebenfalls klar formuliert, etwa wenn ein Mann sagt: „Ich kann das!“ oder „Ich bin kein kleines Kind“ (Feldnotizen, 11.11.2013). Die Verkindlichung drückt sich besonders im Taschengeld aus, denn

„Menschen mit Behinderung, die in einer Beschäftigungstherapiewerkstatt arbeiten, wird dieses Erwachsensein ein Stück weit vorenthalten, da sie ihr Entgelt nur in Form von Taschengeld beziehen. Taschengeld bekommt man üblicherweise als Kind bzw. als Jugendlicher und im Normalfall muss nichts dafür geleistet werden. Menschen mit Behinderung leisten in den Beschäftigungswerkstätten jedoch sehr wohl etwas“ (Müller 2005: 47).

Hier setzen auch die SelbstvertreterInnen an, denn sie fordern zwar keine Erhöhung, aber eine Umbenennung in „Lohn“: „Nach meiner Meinung kriegen Kinder Taschengeld. Wir sind erwachsene Leute, wir kriegen kein Taschengeld. Wir kriegen einen Lohn. (…) Wir wollen das Taschengeld los haben auf einen Lohn. Sonst bin ich dann eh schon zufrieden“ (Interview Frau Tomacek, 16.01.2014). Einige der interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung sehen das genauso:

„Naja, Taschengeld, das hört sich irgendwie kindisch an. Irgendwie ein Taschengeld. Warum wirklich nicht Lohn eigentlich? (…) Naja, Taschengeld, das hört sich irgendwie noch so an als wie wenn du jetzt sagen würdest, du kriegst jetzt nur fünf Euro in die Hand. Und ein Lohn, das ist wieder, das ist schon was Richtiges“ (Interview Herr Lehner, 14.01.2014).

Einige ,KlientInnen‘ fordern den Status als Erwachsene auf verschiedenen Ebenen explizit ein, sei es durch einen grundlegenden Respekt und ein Ernstgenommen-Werden oder einfach durch eine adäquate Sprache. Daneben werden aber kaum Veränderungswünsche geäußert und der Großteil der ,KlientInnen‘ scheint in der Werkstatt zufrieden sein, was sich, wie zu Beginn des zweiten Analyseteils erwähnt, mit Bourdieus Habituskonzept erklären lässt. Dazu passt auch folgende, abschließende Antwort eines Mannes auf die Frage, was er in der Werkstatt gern verändern würde: „Verändern kann man sich immer nur selber. Nein, eigentlich nichts“ (Interview Herr Haas, 19.11.2013). Dieses Zitat kann so interpretiert werden, dass er einerseits zufrieden ist, er andererseits aber auch keine Möglichkeiten sieht, selbst etwas an den Bedingungen verändern zu können. Daher bleibt nur die Arbeit an sich selbst und die Adaptierung des Habitus an neue Umstände.

5.4. Zusammenfassung und Beantwortung der Fragestellung

In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse der beiden Analyseschritte zusammengefasst werden, um meine Forschungsfrage sowie die Unterfragen zu beantworten:

Wie erleben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sich selbst und ihre Arbeit in den Werkstätten des Ersatzarbeitsmarktes im Rahmen der rechtlichen Strukturen in Wien am Beispiel einer Werkstatt der Lebenshilfe Wien?

Folgende Fragen waren dabei ebenfalls von Bedeutung:

Inwiefern nehmen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung die rechtlichen Rahmenbedingungen wahr beziehungsweise inwieweit sind sie sich derer bewusst?

Inwiefern werden sie in ihrer Arbeit davon beeinflusst?

Welche Bedeutung haben die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihr Handeln und ihre Arbeit?

Zuerst wurden die Strukturen analysiert, um danach das Denken und Handeln der AkteurInnen in Bezug auf diese herauszuarbeiten. Es ist deswegen wichtig, die Strukturen und ihre Auswirkungen zu verstehen, da die Sichtweisen und Erfahrungen der davon Betroffenen direkt mit ihrer Position innerhalb dieser korrelieren. Die Analyse der Strukturen, die ich in einem ersten Schritt herausgearbeitet habe, hat gezeigt, dass es sich bei der Rechtslage im Bereich der Werkstätten in Wien um eine Rechtssituation handelt, bei der sich das Wiener Chancengleichheitsgesetz und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen widersprüchlich gegenüberstehen. Österreich ist zwar zur Umsetzung der UN-Konvention durch ihre Ratifizierung verpflichtet, kann sich der Verantwortung aber durch Regelungen, die dem einzelnen Staat bestimmte Handlungsfreiheiten überlassen, vorläufig noch entziehen. In der Konvention wird Inklusion in allen Lebensbereichen, also auch im Bereich Arbeit, gefordert. Das Wiener Chancengleichheitsgesetz hingegen schreibt fest, dass Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung, die nicht in der Lage sind, eine Arbeit am ersten Arbeitsmarkt auszuführen, die Tagesstruktur als geförderte Leistung in Anspruch nehmen dürfen. Behinderung wird hier mit Erwerbsunfähigkeit verknüpft und da geistig behinderte Menschen häufig keine andere Wahl haben, als zuhause zu bleiben, stellt die Werkstatt die einzige Option dar, um arbeiten zu können. Arbeit, insbesondere Erwerbsarbeit, besitzt in kapitalistischen Gesellschaften eine hohen Wert und wer nicht arbeiten kann oder will, erfährt häufig Abwertung und Ausschluss. Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung sind davon besonders betroffen, da für sie besondere Hürden bestehen, an diesem zentralen Lebensbereich teilzunehmen.

Das Wiener Chancengleichheitsgesetz hat dabei aber für die Praxis keine reale Wirkkraft, weshalb andere Regelungen, wie etwa Vorschriften des Fonds Soziales Wien auf der Verwaltungsebene, herangezogen werden. Diese Regelungen sind aber relativ starr und bieten den Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung nur wenige Wahlmöglichkeiten. So können sie beispielsweise nicht in der Werkstatt arbeiten und daneben geringfügig am ersten Arbeitsmarkt angestellt sein, was eine Erprobung der Arbeitsmöglichkeiten verhindert. Insofern besteht ein starker Einfluss auf die Arbeit von Menschen mit Behinderung und ihre Handlungsmöglichkeiten durch die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die soziale Bedeutung von Recht, nämlich, dass durch die Vorgaben und Einschränkungen die sozialen Praktiken der geistig behinderten Erwachsenen strukturiert werden, zeigt sich stärker auf der administrativen als auf der juristischen Ebene. Da die Gesetze die Werkstatt zwar vorstrukturieren, aber nicht vollständig bestimmen, erhält die Tagesstruktur eine gewisse Eigenständigkeit, was ihre interne Regelung anbelangt. Daher kann hier die Werkstatt als semiautonomes soziales Feld gesehen werden, das eigenen Regeln aufstellt und sich nur grob an übergeordneten Instanzen orientiert.

Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung werden häufig bereits ab dem Kindesalter von der Gesellschaft ausgeschlossen, indem sie in segregierenden Institutionen wie der Sonderschule betreut werden. Diese Segregation setzt sich im Arbeitsleben durch die Werkstätten fort, wodurch sich bei dieser Gruppe ein bestimmter Habitus entwickelt, der von Abhängigkeit, Unselbstständigkeit und Anpassungsbereitschaft geprägt ist. Bourdieus Habituskonzept und seine theoretischen Überlegungen zu symbolischer Gewalt stellen hier den Schlüssel dar, um zu erklären, warum diese Personengruppe trotz der von außen als ungerecht und benachteiligend wahrgenommenen Strukturen großteils zufrieden mit ihrer Situation ist. Der Habitus als „Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix“ (Bourdieu 1972: 169) ist den Strukturen angepasst; diese sind im Fall von geistig behinderten Menschen von außen vorgegeben und „verlangen“ eine Befolgung der Regeln, um das Funktionieren der Institutionen, zum Beispiel Sonderschule, Wohneinrichtungen und Werkstätten, zu gewährleisen. Ein Zuwiderhandeln ist in diesen Kontexten häufig mit negativen Konsequenzen verbunden. Die herrschende Ordnung erscheint Menschen, die in diesen Strukturen sozialisiert wurden, in denen die Selbstbestimmung zu Gunsten der Regelbefolgung eingeschränkt ist, als normal und naturgegeben (vgl. Bourdieu 1972: 324). So werden die Machtverhältnisse verdeckt und bleiben so lange bestehen (vgl. Jurt 2008: 86), bis „die Beherrschten über die materiellen und symbolischen Mittel verfügen, um die Definition der sozialen Welt, die ihnen vermittels der die sozialen (…) reproduzierenden logischen Strukturen aufgezwungen wird, zurückzuweisen“ (Bourdieu 1972: 331). Bourdieu verwendet den Begriff der symbolischen Gewalt, um die Macht zu beschreiben, Deutungen der sozialen Welt durchzusetzen und als legitim erscheinen zu lassen (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 207). Die Regelbefolgung wird der Gruppe der Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung durch die Sozialisation auf diese Weise eingeschrieben. In der Analyse wurde gezeigt, dass das Bewusstsein darüber, welche Rechte die Person hat, bei geistig behinderten Menschen nur schwach ausgeprägt ist, denn für das Funktionieren der Einrichtung ist die Regelbefolgung notwendig und ein Einfordern der Rechte würde die etablierten Machtverhältnisse in Frage stellen. Daher war es für die Interviewten wesentlich einfacher, die Frage nach dem, was in der Werkstatt verboten ist, zu beantworten, als nach den eigenen Rechten. Die Regelbefolgung selbst bringt in der Werkstatt symbolisches Kapital, also Anerkennung durch Betreuungspersonen und KollegInnen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden dabei aber fast ausschließlich auf der Werkstattebene wahrgenommen; übergeordnete Rechtsstrukturen sind aufgrund des durch die Sozialisation eingeschränkten Informationszuganges nahezu unbekannt und spielen daher in der Wahrnehmung der ,KlientInnen‘ keine Rolle für ihre Arbeit, auch wenn sie aus einer Außenperspektive sehr wohl einen gewissen Einfluss darstellen.

Diese Personengruppe kann das System daher nur von innen heraus in Frage stellen, benötigt dafür aber eine Erweiterung der engen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsräume. Meist wird diese Erweiterung durch politischen Input von außen an sie herangetragen. ,KlientInnen‘, die sich politisch beispielsweise bei den SelbstvertreterInnen engagieren, verfügen daher über größere Spielräume und damit auch über mehr Kapital, etwa in Form von Kontakten zu PolitikerInnen oder kulturelles Kapital in Form von politischer Bildung. Dementsprechend werden auch die Möglichkeiten zur Veränderung artikuliert. Jemand, der nicht über diesen innerhalb der Werkstatt privilegierten Zugang zu Kritik an den Strukturen verfügt, fühlt sich den Strukturen gegenüber machtlos und meint, eine Veränderung wäre nicht möglich, außer man verändert sich selbst. Andere genannte Instrumentarien zur Veränderung bleiben auf der Ebene der Werkstatt, wie etwa die Morgenrunde oder das Gespräch mit BetreuerInnen. Politische Forderungen, etwa die Forderung nach Gleichberechtigung in Bezug auf Bezahlung und Pension, entstehen erst, wenn einerseits ein „Auftrag“ von außen an die ,KlientInnen‘ herangetragen wird, und andererseits, wenn die MitarbeiterInnen mit Behinderung ihre Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsräume erweitern können und auf diese Weise Unzufriedenheit und Kritik entstehen.

Dass die meisten der interviewten ,KlientInnen‘ mit der Höhe des Taschengeldes zufrieden sind, lässt sich ebenfalls mit dem Habituskonzept erklären, denn durch die Internalisierung der Strukturen seit dem Kindesalter werden auch spärliche Entscheidungsmöglichkeiten und enge Spielräume positiv bewertet, wodurch auch die geringe Entlohnung als gerechtfertigt und ausreichend erscheint. Doch besonders an diesem Beispiel wird deutlich, dass auch Kritik an den vorherrschenden Strukturen geübt wird, etwa wenn ein Mann sagt, er würde auf Dauer nicht „mitspielen“ bei einem so geringen Taschengeld. Wenn ein Bewusstsein darüber ausgebildet wurde, dass es auch noch andere Möglichkeiten als die Werkstatt gibt, wird diese kritischer betrachtet. Dieser „angepasste“ Habitus der MitarbeiterInnen mit Behinderung ist durch eingeschränkte Wahlmöglichkeiten und Unselbstständigkeit geprägt. Ich benenne diesen spezifischen Habitus deshalb so, weil sich die ,KlientInnen‘ in den institutionellen Kontexten an meist von außen vorgegebene Strukturen anpassen müssen. Damit ist häufig auch die Selbstbestimmung eingeschränkt, was eine Fremdbestimmung und Abhängigkeit auf unterschiedlichen Ebenen zur Folge hat. Als Beispiel wurde in der Analyse der Fahrtendienst genannt, der diese Abhängigkeit trotz Selbstbestimmung – eine Fähigkeit, die oft erst mühsam erlernt werden muss – sehr deutlich macht. Lange Zeit wurden Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung die Möglichkeit und auch Fähigkeit zur Selbstbestimmung abgesprochen, weshalb sich der Gruppenhabitus noch nicht ideal an die rezenten Paradigmen der Behindertenarbeit wie Selbstständigkeit und Selbstbestimmung angepasst hat. Diese Strukturen fordern auch eine Anpassung im Bereich der Arbeit, denn hier müssen die Arbeitsschritte so wie die werkstattinternen Regeln erst erlernt werden. Auch in der Werkstatt befinden sich die ,KlientInnen‘ in von außen vorgegebenen Strukturen, deren Aufrechterhaltung für das Funktionieren der Einrichtung notwendig ist.

Obwohl diese Personengruppe in der Werkstatt keine Berufsbezeichnung hat, sondern als ,KlientInnen‘ betreut wird, stellt die Tagesstruktur für den Großteil der Interviewten ihren Arbeitsplatz dar. Aber auch hier wird der Status in Frage gestellt und Normalität eingefordert, indem einigen, KlientInnen‘ einen Unterschied zwischen der Arbeit in der Werkstatt und einer richtigen“ Erwerbsarbeit erkennen und auch als solchen artikulieren. Hierin wird zudem der hohe Stellenwert von Erwerbsarbeit in Österreich deutlich, wodurch andere Formen von Arbeit implizit abgewertet werden.

Die Arbeit in der Werkstatt selbst ist durch gleichbleibende Arbeitsschritte gekennzeichnet, was für einige MitarbeiterInnen mit Behinderung schnell langweilig und monoton wird, während andere darin Entspannung und Ablenkung sehen. Selbst wenn in der Werkstatt kein mit dem ersten Arbeitsmarkt vergleichbarer Arbeitsdruck besteht, kann Stress entstehen und die ,KlientInnen‘ haben den Zwang internalisiert, ständig an sich selbst zu arbeiten, um immer schneller zu werden. Dabei wird von den MitarbeiterInnen mit Behinderung, die eine Arbeit am ersten Arbeitsmarkt anstreben, häufig eine Parallele zu einem „richtigen Job“ gezogen, denn dort herrsche auch Stress und man müsse sich verbessern, um die Arbeitsstelle nicht zu verlieren. Zusammenfassend lässt sich hier sagen, dass der Großteil der interviewten MitarbeiterInnen mit Behinderung mit ihrer Arbeitssituation zufrieden ist und durch ihre Tätigkeit Sinn findet. Wie oben erwähnt, kann die Zufriedenheit trotz struktureller Ungleichheiten und Benachteiligungen auf die habituelle Internalisierung eingeschränkter Spielräume zurückgeführt werden. Wichtig dafür, wie sich Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in ihrer Arbeit in der Werkstatt erleben, sind auch die beiden Aspekte Behinderung und Verkindlichung. Wie in den Interviews erzählt und in der Beobachtung bestätigt wurde, wurde die Behinderung von den ,KlientInnen‘ kaum thematisiert. Eine Erklärung dafür kann sein, dass es sich für sie um einen Normalzustand handelt, eine körperliche Einschränkung und soziale Barrieren zu erfahren, weshalb eine explizite Erwähnung nicht als notwendig erachtet wird. Wenn Behinderung aber zur Sprache gekommen ist, so hat sich gezeigt, dass es sich dabei meist um ein Wechselspiel aus individuell-körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen und sozialen Hindernissen, wie einem abwertenden Menschenbild und hohen informellen Zugangsbarrieren zum ersten Arbeitsmarkt, handelt. Diese Behinderung, die häufig aber nur der Person selbst, aber nicht gesellschaftlichen Barrieren zugeschrieben wird, führt zu einer Verkindlichung der betroffenen Personen. Die habituelle Unselbstständigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden reproduziert, indem geistig behinderte Erwachsene wie Kinder behandelt werden. Am Beispiel des Taschengeldes wurde gezeigt, dass auch an dieser gesellschaftlichen Wahrnehmungsfolie von innen heraus Kritik geübt wird, etwa indem eine Umbenennung des Taschengeldes in Lohn gefordert wird.

Eine Veränderung der Situation kann einerseits nur auf der Makroebene der rechtlichen Strukturen erfolgen, indem die UN-Konvention ernstgenommen und umgesetzt wird. Dabei muss aber beachtet werden, dass sich diese Umsetzung nicht in kurzer Zeit vollziehen kann, da geeignete Alternativen zu den Werkstätten fehlen. Die Schaffung dieser Alternativen, etwa durch inklusive Arbeitsprojekte und den Ausbau von persönlicher Assistenz, stellt womöglich die größte Herausforderung in diesem Zusammenhang dar. Zudem müsste der erste Arbeitsmarkt zugänglich und barrierefrei gestaltet werden, was aus der Sicht von ExpertInnen aktuell nur durch eine merkbare Erhöhung der Ausgleichstaxe und andere rechtliche Veränderungen zugunsten der Gleichberechtigung erreicht werden kann. Grundlegend ist hierbei die Frage, wer aus welchen Gründen an bestimmten Machtverhältnissen, die durch die rechtlichen Bedingungen geschaffen und aufrechterhalten werden, festhalten möchte. Zuerst muss also das Interesse ergründet werden, das hinter dem systematischen Ausschluss geistig behinderter Erwachsener aus dem Arbeitsleben steht. Darin wird deutlich, dass Recht nie die Interessen aller Menschen eines Nationalstaates berücksichtigen kann, auch wenn es das Ziel von Gesetzen ist, politische Partizipation zu ermöglichen (vgl. Deflem 2008: 162). Nur wenn die Machtverhältnisse und die Interessen hinter diesem Ausschließungsmechanismus erkennbar sind, können sie auch hinterfragt und verändert werden.

Aber andererseits müssen auch auf der Mikroebene der Behindertenarbeit die Paradigmen von Inklusion und Selbstbestimmung weiterhin verfolgt werden, da sie im Habitus der Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung noch nicht ausreichend verankert sind. Erst wenn Selbstbestimmung selbstverständlich geworden ist, werden sich für diese Personengruppe mehr Möglichkeiten eröffnen, die auch aktiv eingefordert werden können. Eine weitere Grundvoraussetzung für ein inklusives Arbeiten von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ist die Veränderung des vorherrschenden Menschenbildes. Wenn davon ausgegangen wird, „dass sowohl behinderte als auch nicht behinderte Menschen Denk-und Emotionsschemata anwenden, in denen sich bereits bestehende Herrschaftsverhältnisse in Bezug auf den Umgang miteinander wiederfinden“ (Goeke/Kubanski 2012: o.S.), dann können diese sozialen Barrieren nur abgebaut werden, wenn geistig behinderte Menschen nicht länger als hilfsbedürftig und anders wahrgenommen werden, sondern als gleichberechtigte BürgerInnen.



[5] Jeder Verein stellt diesbezüglich eigene Regelungen auf. Jugend am Werk hat in Verhandlungen mit dem Fonds Soziales Wien die Mitnahme von Urlaubstagen in das nächste Jahr erreicht. Die Lebenshilfe Wien verhandelt noch darüber.

6. Conclusio

In dieser Arbeit habe ich mich mit der Arbeitssituation von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung in einer Werkstatt der „Beschäftigungstherapie“ in Wien auseinandergesetzt. Weil diese Erwachsenen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Behinderung sehr schwer einen Arbeitsplatz finden, bleibt ihnen meist nur die Möglichkeit, als ,KlientInnen‘ in „Beschäftigungstherapiewerkstätten“ zu arbeiten. Da es sich hierbei aber um kein Arbeitsverhältnis handelt, sind sie nicht durch das Arbeitsrecht abgesichert, wodurch ihnen auch der Zugang zu Lohn, Kollektivvertrag und Pension verwehrt bleibt. Zudem schließen diese Institutionen geistig behinderte Menschen im Bereich Arbeit von der Gesellschaft aus. Diese Situation steht im Widerspruch zu den Forderungen der UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, deren Umsetzung die österreichische Politik bislang noch nicht nachgekommen ist. Hierin wird Inklusion, also ein gemeinsames Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung, gefordert.

Ich habe mich dabei besonders für die Sichtweise und Erfahrungen von geistig behinderten Menschen interessiert und zu diesem Zweck teilnehmende Beobachtung in einer Werkstatt der Lebenshilfe Wien durchgeführt. Im Rahmen dieser Feldforschung wurden vor allem geistig behinderte Erwachsene interviewt. Ausgehend von der Hypothese, dass die ,KlientInnen‘ die rechtlichen Strukturen ebenfalls als ungerecht und benachteiligend empfinden, hat sich im Laufe der Forschung aber herausgestellt, dass sie großteils zufrieden mit ihrer Arbeit in der Werkstatt sind. Diese Tatsache stellte mich daher vor ein Erklärungsproblem. Während der Transkription eines Interviews mit einem Betreuer der Werkstatt wurde ich aber darauf aufmerksam, dass es sich dabei um das Produkt eines bestimmten Habitus handelt, was mich direkt zu Bourdieus Praxeologie geführt hat. Mithilfe dieser Theorie kann erklärt werden, warum trotz der rechtlichen und gesellschaftlichen Strukturen, die die Möglichkeiten der ,KlientInnen‘ stark einschränken, eine hohe Zufriedenheit besteht. Durch die Sozialisation wird ein bestimmter Habitus ausgebildet, durch den die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsspielräume vorstrukturiert sind. Im Fall von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung handelt es sich um relativ enge Entscheidungsräume, die aber aufgrund der habituellen Internalisierung positiv bewertet werden. Dennoch sind die Personen den Strukturen und ihrem Habitus nicht völlig „ausgeliefert“, denn sie stellen die anerkannten Deutungen auch in Frage und üben Kritik an den Bedingungen. In einer zweiteiligen Analyse wurden zuerst der rechtliche Rahmen, der die Situation dieser Personengruppe in der Werkstatt bedingt, ausgearbeitet. Danach standen das Denken und Handeln der MitarbeiterInnen mit Behinderung in Bezug auf diese Strukturen im Fokus. Wenn auch die Strukturen nicht immer bewusst sind, so haben sie doch einen bedeutenden Einfluss auf die Entscheidungs- und Arbeitsmöglichkeiten dieser Gruppe. Für die Analyse wurden neben Bourdieus Habituskonzept auch Ansätze der Disability Studies, der Anthropologie der Arbeit und rechtsanthropologische Theorien herangezogen, die die erhobenen Daten erklären und in ein kultur- und sozialanthropologisches Theoriengefüge einbetten können.

Diese Arbeit deckt zwar nur einen kleinen Teil einer Forschungslücke ab; die gewonnenen Ergebnisse sind aber umso wichtiger, da sie die Erfahrungen einer Personengruppe zeigen, die in wissenschaftlichen Arbeiten nur selten zu Wort kommt. Kultur- und sozialanthropologische Studien über die Lebenssituation geistig behinderter Menschen aus ihrer Perspektive stellen ein weites und ergiebiges Forschungsfeld dar, das bisher noch zu wenig Beachtung gefunden hat, was umso erstaunlicher ist, da die Anthropologie unter anderem das Ziel verfolgt, die Innensicht von Gruppen, insbesondere marginalisierter Gruppen, darzustellen. Zudem könnten die Ergebnisse solcher Forschungen einer praktischen Anwendung im politischen und pädagogischen Bereich dienlich sein. Ob die in dieser Arbeit gewonnen Einsichten auch auf andere Werkstätten in Wien oder Österreich generell übertragbar sind, müsste erst komparativ überprüft werden. Doch nachdem davon ausgegangen werden kann, dass die institutionellen Strukturen österreichweit relativ ähnlich sind, kann auch auf ähnliche Ergebnisse in anderen Werkstätten geschlossen werden.

Von außen betrachtet stellt die Werkstatt einen „Mikrokosmos“ der Gesamtgesellschaft dar, in dem fast alle sozialen Beziehungen in einem kleinen Maßstab wiedergefunden werden können. Während meiner Forschung haben sich zahlreiche interessante Aspekte aufgetan, die ich im Rahmen dieser Arbeit leider nicht weiterverfolgen konnte. Besonders im Hinblick auf Freundschaften und Liebesbeziehungen oder Machtbeziehungen wäre eine weitere Erforschung, etwa mithilfe der Methode der Netzwerkanalyse, lohnenswert. Aber auch im Bereich der Organisations- und Betriebsanthropologie könnten interessante Ergebnisse gewonnen werden, da die Werkstätten als Betriebe agieren und dabei die unterschiedlichen Organisationsebenen deutlich zum Ausdruck kommen.

Besonders bei der Gruppe der alten Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung könnten Biographieforschung und ethnohistorische Untersuchungen reiche Erkenntnisse in Bezug auf die Veränderung des gesellschaftlichen Umganges mit Menschen mit Behinderung bringen. Letztlich kann Intersektionalität, also die Überkreuzung von Differenzkategorien, einen wertvollen Ausgangspunkt darstellen. Gerade in Wien bilden die Werkstätten die Diversität innerhalb der Bevölkerung ab, da hier Personen mit unterschiedlichen religiösen und ethnischen Hintergründen betreut werden. In diesem Bereich überschneiden sich Kategorien wie Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnizität, Religion und eben auch Behinderung, was zu unterschiedlichen Identitätskonstruktionen, aber auch Diskriminierungen führt.

Allein an diesen wenigen Beispiele, die sich als weitere Ansatzpunkte aus meiner Forschung ergeben haben, zeigt sich, dass das Feld Behinderung zahlreiche ergiebige Möglichkeiten für kultur- und sozialanthropologische Studien bereithält.

7. Literaturverzeichnis

BADELT, Christoph/ÖSTERLE, August. 1993. Zur Lebenssituation behinderter Menschen in Österreich. Wien.

BAER, Susanne. 2011. Rechtssoziologie: Eine Einführung in die interdisziplinäre Rechtsforschung. Baden-Baden.

BEER, Bettina. 2003. Einleitung: Feldforschungsmethoden, in Beer, Bettina (Hg.): Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin: 9-31.

BENDA-BECKMANN, Franz von. 2003. Rechtsethnologie, in Beer, Bettina/Fischer, Hans (Hg.): Ethnologie: Einführung und Überblick. Berlin: 179-195.

BENDA-BECKMANN, Keebet von. 2007. Soziale Sicherung und ihre vielen Gesichter, in Benda-Beckmann, Franz von/Benda-Beckmann, Keebet von (Hg.): Gesellschaftliche Wirkung von Recht: Rechtsethnologische Perspektiven. Berlin: 165-175.

BENDA-BECKMANN, Franz von/BENDA-BECKMANN, Keebet von. 2007. Einleitung, in Benda-Beckmann, Franz von/Benda-Beckmann, Keebet von (Hg.): Gesellschaftliche Wirkung von Recht: Rechtsethnologische Perspektiven. Berlin: 7-19.

BIEKER, Rudolf. 2007a. Arbeit, in Theunissen, Georg/Kulig, Wolfram/Schirbort, Kerstin (Hg.): Handlexikon Geistige Behinderung: Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: 28-29.

BIEKER, Rudolf. 2007b. Werkstatt für behinderte Menschen, in Theunissen, Georg/Kulig, Wolfram/Schirbort, Kerstin (Hg.): Handlexikon Geistige Behinderung: Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: 377-378.

BOGNER, Alexander/MENZ, Wolfgang. 2002a. Das theoriegenerierende Experteninterview: Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: 33-70.

BOGNER, Alexander/MENZ, Wolfgang. 2002b. Expertenwissen und Forschungspraxis: Die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um Experten: Zur Einführung in ein unübersichtliches Problemfeld, in Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: 7-29.

BÖSL, Elsbeth. 2006. Integration durch Arbeit?: Westdeutsche Behindertenpolitik unter dem Primat der Erwerbsarbeit 1949-1974, in Traverse: Zeitschrift für Geschichte 3: 113-124.

BOURDIEU, Pierre. 1972. Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main.

BREIDENSTEIN, Georg et.al. 2013. Ethnografie: Die Praxis der Feldforschung. Konstanz.

BREINLINGER, Stefanie. 2011. Forschen nicht ‚über’ sondern ‚mit’ Menschen mit Behinderung: Peer-Interview als Möglichkeit der Erfassung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung – anhand eines Beispiels aus dem Wohnbereich der Lebenshilfe Salzburg. Diplomarbeit Universität Salzburg. http://bidok.uibk.ac.at/library/breinlinger-peerdipl.html#idp8778208 (Zugriff am 07.11.2013; 10:09).

BRÖCKLING, Ulrich/HORN, Eva. 2002. Einleitung, in Bröckling, Ulrich/Horn, Eva (Hg.): Anthropologie der Arbeit. Tübingen: 7-16.

BROWN, Richard. 1996. Work and Leisure, in Kuper, Adam/Kuper, Jessica (Hg.): The Social Science Encyclopedia. New York: 919-920.

BUCHNER, Tobias. 2008a. Das qualitative Interview mit Menschen mit so genannter geistiger Behinderung: Ethische, methodologische und praktische Aspekte, in Biewer, Gottfried/Luciak, Mikael/Schwinge, Mirella (Hg.): Begegnung und Differenz: Menschen- Länder-Kulturen: Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: 516-528.

BUCHNER, Tobias. 2008b. Das qualitative Interview mit Menschen mit so genannter geistiger Behinderung: Ethische, methodologische und praktische Aspekte. http://www.academia.edu/360919/Das_Qualitative_Interview_Mit_Menschen_Mit_So_Genannter_Geistiger_Behinderung_Ethische_Methodologische_Und_Praktische_Aspekte (Zugriff am 04.07.2013; 11:47).

BUNDESAMT FÜR SOZIALES UND BEHINDERTENWESEN. 2014. Ausgleichstaxe und Prämie. http://www.bundessozialamt.gv.at/basb/UnternehmerInnen/Ausgleichstaxe_und_Praemie (Zugriff am 06.03.2014; 09:40).

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT, SOZIALES UND KONSUMENTENSCHUTZ. 2009. Behindertenbericht 2008: Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderungen in Österreich 2008. Wien. http://www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/7/4/9/CH2092/CMS1359980335644/behindertenbericht-09-03-17.pdf (Zugriff am 12.07.2013; 11:46).

BUNDESMINISTERIUM FÜR JUSTIZ. 2014. Sachwalterschaft. https://www.help.gv.at/Portal.Node/hlpd/public/content/290/Seite.2900100.html (Zugriff am 04.05.2014; 12:34).

BUSSE, Milena. 2009. Berufliche Teilhabeerfahrungen und wahrgenommene Lebensqualität von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Österreich. Diplomarbeit Universität Wien.

CALL, Leonhard. 2012. Menschenrechte an den Grenzen: Eine rechtsanthropologische Analyse des Menschenrechtsdiskurses innerhalb des EU-Grenzregimes. Diplomarbeit Universität Wien.

CLOERKES, Günther. 1997. Soziologie der Behinderten: Eine Einführung. Heidelberg.

CZOLLEK, Leah Carola/PERKO, Gudrun/WEINBACH, Heike. 2012. Praxishandbuch Social Justice und Diversity: Theorien, Training, Methoden, Übungen. Weinheim/Basel.

DANNENBECK, Clemens. 2007. Paradigmenwechsel Disability Studies?: Für eine kulturwissenschaftliche Wende im Blick auf die Soziale Arbeit mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, in Waldschmidt, Anne/Schneider, Werner (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung: Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld:103-125.

DAVIS, John/WATSON, Nick/CUNNINGHAM-BURLEY, Sarah. 2000. Learning the Lives of Disabled Children: Developing a Reflexive Approach, in Christensen, Pia/James, Allison (Hg.): Research with children. New York: 201-224.

DEDERICH, Markus. 2001. Menschen mit Behinderung zwischen Ausschluss und Anerkennung. Bad Heilbrunn.

DEDERICH, Markus. 2007. Körper, Kultur und Behinderung: Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld.

DEFLEM. Mathieu. 2008. Sociology of Law: Visions of a Scholarly Tradition. Cambridge.

DEGENER, Theresia. 2003. Behinderung als rechtliche Konstruktion, in Lutz, Petra/Macho, Thomas/Staupe, Gisela/Zirden, Heike (Hg.): Der (im-)perfekte Mensch: Metamorphosen von Normalität und Abweichung. Köln: 448-466.

DEMBOUR, Marie-Bénédicte. 1996. Human rights talk and anthropological ambivalence: The particular contexts of universal claims, in Harris, Olivia (Hg.): Inside and Outside the Law: Anthropological studies of authority and ambiguity. London/New York: 19-40.

DEWALT, Kathleen/DEWALT, Billie/WAYLAND, Coral. 1998. Participant Observation, in Bernard, Russell (Hg.): Handbook of Methods in Cultural Anthropology. Walnut Creek/London/New Delhi: 259-299.

DURRENBERGER, Paul. 2012. Labour, in Carrier, James (Hg.): A Handbook of Economic Anthropology: Second Edition. Cheltenham/Northampton: 128-144.

ERIKSEN, Thomas Hylland. 2001. Small Places, Large Issues: An Introduction to Social and Cultural Anthropology. London/New York.

EUROPÄISCHES PARALMENT/INFORMATIONSBÜRO IN DEUTSCHLAND. o.J. Die Grundrechtecharta. http://www.europarl.de/de/europa_und_sie/europa_vorstellung/grundrechtecharta.html (Zugriff am 21.07.2014; 13:16).

FELKENDORFF, Kai. 2003. Ausweitung der Behinderungszone: Neuere Behinderungsbegriffe und ihre Folgen, in Cloerkes, Günther (Hg.): Wie man behindert wird: Texte zur Konstruktion einer sozialen Rolle und zur Lebenssituation betroffener Menschen. Heidelberg: 25-52.

FLICK, Uwe. 2002. Qualitative Sozialforschung. Reinbek bei Hamburg.

FONDS SOZIALES WIEN. 2011. Tagesstruktur. http://behinderung.fsw.at/beschaeftigung/beschaeftigungstherapie/ (Zugriff am 12.07.2013; 12:02).

FONDS SOZIALES WIEN. 2012. Spezifische Förderrichtlinie für Tagesstruktur. http://fsw.at/downloads/foerderwesen_anerkennung/foerderrichtlinien/spezifisch/Spez_FRL_fuer_Tagesstruktur.pdf (Zugriff am 02.12.2013; 18:11).

FUCHS-HEINRITZ, Werner/KÖNIG, Alexandra. 2005. Pierre Bourdieu: Eine Einführung. Konstanz.

FULLER, Chris. 1994. Legal anthropology, legal pluralism and legal thought, in Anthropology Today 10(3): 9-12.

GILSDORFF, Boris. o.J. Auf der Suche nach dem Rechtspluralismus. http://www.lai.fuberlin.de/forschung/lehrforschung/wem_gehoert_die_metropole/media/9_Perspektiven/Auf_der_Suche_nach_dem_Rechtspluralismus_-_Boris_Gilsdorff.pdf?1367082482 (Zugriff am 26.01.2014; 20:10).

GLÄSER, Jochen/LAUDEL, Grit. 2004. Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. Wiesbaden.

GOEKE, Stephanie/KUBANSKI, Dagmar. 2012. Menschen mit Behinderungen als GrenzgängerInnen im akademischen Raum: Chancen partizipatorischer Forschung, in Forum Qualitative Sozialforschung 13(1): Art.6. o.S. http://www.qualitativeresearch.net/index.php/fqs/rt/printerFriendly/1782/3302 (Zugriff am 15.04.2014; 11:44).

HEMBACH, Holger. o.J. EMRK online. http://emrk-online.info/ (Zugriff am 21.07.2014; 10:12).

HERMES, Gisela. 2006. Der Wissenschaftsansatz Disability Studies: Neue Erkenntnisgewinne über Behinderung?, in Hermes, Gisela/Rohrmann, Eckhard (Hg.): Nichts über uns – ohne uns!: Disability Studies als neuer Ansatz emanzipatorischer und interdisziplinärer Forschung über Behinderung. Neu-Ulm: 15-30.

HERMES, Gisela/ROHRMANN, Eckhard. 2006. Einleitung, in Hermes, Gisela/Rohrmann, Eckhard (Hg.): Nichts über uns – ohne uns!: Disability Studies als neuer Ansatz emanzipatorischer und interdisziplinärer Forschung über Behinderung. Neu-Ulm: 7-11.

HOCHLEITHNER, Stephan. 2011. Anthropologie der Arbeit: Annäherung und Plädoyer dagegen, in Hochleithner, Stephan/Leitner, Katharina (Hg.): Arbeit verhandeln. Wien: 39-65.

HÖFFE, Otfried. 2001. Gerechtigkeit: Eine philosophische Einführung. München.

HÖFLE, Wolfgang/LEITNER, Michael/STÄRKER, Lukas. 2006. Rechte für Menschen mit Behinderung: Informationen zu medizinischer Hauskrankenpflege, Steuern, Förderungen, Arbeitsrecht, Schulrecht für Betroffene, Angehörige, Berater und Behörden. Wien.

HOLZHÖFER, Judith. 2008. Unterstützungs- und Belastungsnetzwerke von Menschen mit intellektueller Behinderung in Wien. Diplomarbeit Universität Wien.

ILIUS, Bruno. 2003. Feldforschung, in Beer, Bettina/Fischer Hans (Hg.): Ethnologie: Einführung und Überblick. Berlin: 73-98.

JAHODA, Marie. 1986. Wieviel Arbeit braucht der Mensch?. Weinheim/Basel.

JENKINS, Richard. 1998. Culture, classification and (in)competence, in Jenkins, Richard (Hg.): Questions of Competence: Culture, Classification and Intellectual Disability. Cambridge: 1-24.

JURT, Joseph. 2008. Bourdieu. Stuttgart.

KENNEDY, Michael/KILLIUS, Patricia. 2004. Selbstvertretung: Für sich selbst sprechen. http://bidok.uibk.ac.at/library/kennedy-selbstvertretung.html#idp131760 (Zugriff am 04.05.2014; 01:06).

KLAUSS, Theo. 2005. Ein besonderes Leben: Grundlagen der Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung: Ein Buch für Pädagogen und Eltern. Heidelberg.

KNOX, Marie/MOK, Magdalena/PARMENTER, Trevor. 2010. Working with the Experts: Collaborative research with people with an intellectual disability, in Disability&Society 15(1): 49-61.

KOENIG, Oliver. 2010. Werkstätten und Ersatzarbeitsmarkt in Österreich. Diplomarbeit Universität Wien.

KOENIG, Oliver/BUCHNER, Tobias. 2011. Die Bedeutung von Lebensgeschichten für die UN-Konvention, in Flieger, Petra/Schönwiese, Volker (Hg.): Menschenrechte – Integration – Inklusion: Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn: 139-152.

KOPYTOFF, Igor. 1986. The Cultural Biography of Things: Commoditization as Process, in Appadurai, Arjun (Hg.): The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective. Cambridge: 64-94.

KRUG, Clara. 2012. Zwischen Isolation und Freundschaft: Über die sozialen Beziehungen von Menschen mit geistiger Behinderung in einer österreichischen Betreuungseinrichtung. Diplomarbeit Universität Wien.

KUPPE, René. 2012. Human Rights from an Anthropological Perspective, in Nowak, Manfred/Januszweski, Karolina/Hofstätter, Tina (Hg.): All Human Rights for All: Vienna Manual on Human Rights. Wien/Graz: 39-43.

LEBENSHILFE ÖSTERREICH. 2013. Inklusion Leben: Unser Leitbild. http://www.lebenshilfe.at/index.php?/de/Ueber-uns/Unser-Leitbild (Zugriff am 31.07.2013; 17:34).

LEBENSHILFE WIEN. 2012. Ein Jahr Mindestsicherung, vormals Dauerleistung. http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=12913 (Zugriff am 07.03.2014; 10:47).

LEBENSHILFE WIEN. 2013a. Montage, Konfektionierung, Buffets und mehr. www.lebenshilfe-wien.at/fileadmin/inhalte/pdfs/Werbebroschuere_Dienstleistungen.pdf (Zugriff am 02.10.2013; 13:09).

LEBENSHILFE WIEN. 2013b. Unser Werkstattkonzept. http://www.lebenshilfewien.at/Unser-Werkstattkonzept.146.0.html (Zugriff am 31.07.2013; 17:34).

LEWIS, Vicky/KELLET, Mary. 2004. Disability, in Fraser, Sandy/Lewis, Vicky/Ding, Sharon//Kellet, Mary /Robinson, Chris, (Hg.): Doing Research with children and young people. London/Thousand Oaks/New Delhi: 191-205.

LIEGER, Nicole. 2011. Arbeit, Wertschöpfung und Bruttonationalglück: Über die Sichtbarmachung nicht-monetarisierten Lebens, in Hochleithner, Stephan/Leitner, Katharina (Hg.): Arbeit verhandeln. Wien: 13-34.

LINTON, Simi. 2006. Reassigning Meaning, in Davis, Lennard (Hg.): The Disability Studies Reader. New York/Oxon: 161-172.

LIPBURGER, Saskia. 2009. Herausforderung Integration: Zur Bedeutung der Schule im Integrationsprozess von Migrantenkindern mit körperlicher Behinderung. Diplomarbeit Universität Wien.

MASCHKE, Michael. 2007. Behinderung als Ungleichheitsphänomen: Herausforderung an Forschung und politische Praxis, in Waldschmidt, Anne/Schneider, Werner (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung: Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: 299-320.

MASON, Jennifer. 2002. Qualitative Researching. London.

MAYRING, Philipp. 2002. Einführung in die qualitative Sozialforschung: Eine Anleitung zu qualitativem Denken. Weinheim/Basel.

MÉGRET, Frédéric. 2008. The Disabilities Convention: Human Rights of Persons with Disabilities or Disability Rights?, in Human Rights Quarterly 30(2): 494-516.

MERRY, Sally. 1988. Legal Pluralism, in Law & Society Review 22(5): 869-896.

MEUSER, Michael/NAGEL, Ulrike. 2002. ExpertInneninterviews: Vielfach erprobt, wenig bedacht: Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: 71-93.

MOORE, Sally Falk. 1978. Law as Process: An Anthropological Approach. London.

MOORE, Sally Falk. 2005a. Enforceable Rules Inside and Outside the Formal Law, in Falk Moore, Sally (Hg.): Law and Anthropology: A Reader. Malden/Oxford/Carlton: 245-248.

MOORE, Sally Falk. 2005b. General Introduction, in Falk Moore, Sally (Hg.): Law and Anthropology: A Reader. Malden/Oxford/Carlton: 1-4.

MÜLLER, Silvia. 2005. Bezahlte Arbeit für Menschen mit Behinderung in Beschäftigungswerkstätten?!: Bildungstheoretische Diskussion der Ausweitung der Arbeitsideologie auf Menschen mit Behinderung. Diplomarbeit Universität Wien.

NAUE, Ursula. 2006. Behindertenpolitik heute: Zwischen alten Inhalten und neuen Möglichkeiten: Eine vergleichende Studie. Dissertation Universität Wien.

NEUBERT, Dieter/CLOERKES, Günther. 2001. Behinderung und Behinderte in verschiedenen Kulturen: Eine vergleichende Analyse ethnologischer Studien. Heidelberg.

NOWAK, Manfred. 1988. Politische Grundrechte. Wien.

NOWAK, Manfred. 2002. Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz.

NOWAK, Manfred. 2012. Introduction to Human Rights Theory, in Nowak, Manfred/Januszweski, Karolina/Hofstätter, Tina (Hg.): All Human Rights for All: Vienna Manual on Human Rights. Wien/Graz: 269-278.

NOWAK, Manfred/JANUSWESKI, Karolina/HOFSTÄTTER, Tina. 2012. Human Rights of Specific Groups: Preliminary Note, in Nowak, Manfred/Januszweski, Karolina/Hofstätter, Tina (Hg.): All Human Rights for All: Vienna Manual on Human Rights. Wien/Graz: 420-421.

O.A. 2011. Immer mehr Menschen mit Behinderung in Werkstätten, in Der Standard 13.5.2011. http://derstandard.at/1304551591530/Integration-misslingt-Immer-mehr-Menschen-mit-Behinderung-in-Werkstaetten (Zugriff am 12.07.2013; 11:22).

OKELY, Judith. 2012. Anthropological Practice: Fieldwork and the ethnographic method. London/New York.

ORGANISATION FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG. 2003. Behindertenpolitik zwischen Beschäftigung und Versorgung: Ein internationaler Vergleich. Frankfurt/New York.

OSTERKORN, Maria. 2011. Die UN–Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Umsetzung von Artikel 27 in Österreich. http://bidok.uibk.ac.at/library/osterkorn-artikel27.html (Zugriff am 21.07.2014; 10:28).

ÖSTERREICHISCHE ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR REHABILITATION. 2013. Bericht zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Österreich anlässlich des 1. Staatenberichtsverfahrens vor dem UN-Ausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wien. http://www.oear.or.at/ihr-recht/unbehindertenrechtskonvention/zivilgesellschaftsbericht/1-osterreichischerzivilgesellschaftsbericht/Zivilgesellschaftsbericht_2013_final_2608.doc (Zugriff am 06.01.2014; 13:54).

PATERNO, Christof. 2008. Endstation Beschäftigungstherapie?: Eine Untersuchung zur Zielsetzung der beruflichen Rehabilitation in Beschäftigungswerkstätten. Diplomarbeit Universität Wien.

PFADENHAUER, Michaela. 2002. Auf gleicher Augenhöhe reden: Das Experteninterview: Ein Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte, in Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Opladen: 113-130.

PFAFFENBICHLER, Maria. 2012. Von der Beschäftigung zur Arbeit, in Lebenshilfe Wien (Hg.): Mitmachen: Zeitschrift der Lebenshilfe Wien. Herbst 2012: 5-6.

PINETZ, Petra. 2008. Berufliche Rehabilitation: Zur Einführung in die Thematik, in Biewer, Gottfried/Luciak, Mikael/Schwinge, Mirella (Hg.): Begegnung und Differenz: Menschen- Länder-Kulturen: Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: 415-420.

POSTEK, Natalia. 2011. Die UN-Konvention und politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten, in Flieger, Petra/Schönwiese, Volker (Hg.): Menschenrechte – Integration – Inklusion: Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn: 53-58.

PUHR, Kirsten. 2008. Forschungsmethodische Zugänge zu Lebensgeschichten in sonderpädagogischen Kontexten, in Biewer, Gottfried/Luciak, Mikael/Schwinge, Mirella (Hg.): Begegnung und Differenz: Menschen-Länder-Kulturen: Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: 529-539.

QUANE, Helen. 2013. Legal Pluralism and International Human Rights Law: Inherently Incompatible, Mutually Reinforcing or Something in Between?, in Oxford Journal of Legal Studies 33(4): 675-702.

RAT DER EUROPÄISCHEN UNION. 2009. Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Gemeinschaft. Brüssel. http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/09/st15/st15540.de09.pdf (Zugriff am 26.07.2013; 13:47).

REYNOLDS WHYTE, Susan/INGSTAD, Benedicte. 2007. Introduction: Disability Connections, in Ingstad, Benedicte/Reynolds Whyte, Susan (Hg.): Disability in Local and Global Worlds. Berkeley/Los Angeles/London: 1-29.

ROULAND, Norbert. 1994. Legal Anthropology. Stanford.

RUEP, Stefanie. 2011. Lohn und Versicherung statt Taschengeld, in Der Standard 15.12.2011. http://www.lebenshilfe-salzburg.at/kongress2011/Kongress2011-standard.pdf (Zugriff am 13.09.2012; 12:11).

SARAT, Austin. 2009. Law, in Kuper, Adam/Kuper, Jessica (Hg.): The Social Science Encyclopedia: 3rd Edition. London/New York: 560-564.

SCHÄFERS, Markus. 2008. Lebensqualität aus Nutzersicht. Wiesbaden.

SCHIEMER, Benjamin. 2010. What is Work?: An Ethnography of Starbucks. Diplomarbeit Universität Wien.

SCHMAHL, Stefanie. 2007. Menschen mit Behinderungen im Spiegel des internationalen Menschenrechtsschutzes: Überlegungen zur neuen UN-Behindertenkonvention, in Archiv des Völkerrechts 45: 517-540.

SCHÖNHUTH, Michael. o.J. Gruppenfeldforschung in der Werkstatt zum Thema „Behinderung“: 12-27. http://www.ethnologie.unihamburg.de/de/_pdfs/Ethnoscripts_pdf/es12_2artikel.pdf (Zugriff am 04.06.2013; 19:44).

SCHÖNWIESE, Volker. 2005. Perspektiven der Disability Studies, in Behinderte in Familie und Gesellschaft 5: 16-21. http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-studies.html (Zugriff am 27.08.2013; 14:38).

SCHULZE, Marianne. 2011. Menschenrechte für alle: Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in Flieger, Petra/Schönwiese, Volker (Hg.): Menschenrechte – Integration – Inklusion: Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn: 11-25.

SHAKESPEARE, Tom. 2004. Social models of disability and other life strategies, in Scandinavian Journal of Disability Research 6(1): 8-21.

SHAKESPEARE, Tom. 2006. The Social Model of Disability, in Davis, Lennard (Hg.): The Disability Studies Reader. New York/Oxon: 197-204.

SIEDER, Reinhard. 2008. Erzählungen analysieren – Analysen erzählen: Narrativbiographisches Interview, Textanalyse und Falldarstellung, in Wernhart, Karl/Zips, Werner (Hg.): Ethnohistorie: Rekonstruktion und Kulturkritik: Eine Einführung. Wien: 145-172.

SIGOT, Marion. 2011. Die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen und ihre Auswirkungen auf die Situation von Menschen mit Lernschwierigkeiten, in Flieger, Petra/Schönwiese, Volker (Hg.): Menschenrechte – Integration – Inklusion: Aktuelle Perspektiven aus der Forschung. Bad Heilbrunn: 47-51.

SÖDER, Martin. 2009. Tensions, perspectives and themes in disability studies, in Scandinavian Journal of Disability Research 11(2): 67-81.

SPECK, Otto. 2007. Geistige Behinderung, in Theunissen, Georg/Kulig, Wolfram/Schirbort, Kerstin (Hg.): Handlexikon Geistige Behinderung: Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: 136-137.

SPIESS, Ilka. 2004. Berufliche Lebensverläufe und Entwicklungsperspektiven behinderter Personen: Eine Untersuchung über berufliche Werdegänge von Personen, die aus Werkstätten für behinderte Menschen in der Region Niedersachsen Nordwest ausgeschieden sind. Paderborn.

STOCKNER, Hubert. 2010. Österreichische Behindertenpolitik im Lichte der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Diplomarbeit Universität Innsbruck.

SUSSITZ, Hermann. 2012. Behinderte wollen mehr als Taschengeld, in Der Standard 30.8.2012. http://derstandard.at/1345165694602/Behinderte-wollen-mehr-als-Taschengeld (Zugriff am 10.06.2013; 13:19).

THEUNISSEN, Georg. 2007. Inklusion, Inclusion, in Theunissen, Georg/Kulig, Wolfram/Schirbort, Kerstin (Hg.): Handlexikon Geistige Behinderung: Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. Stuttgart: 171-172.

UNABHÄNGIGER MONITORINGAUSSCHUSS ZUR UMSETZUNG DER UNKONVENTION ÜBER DIE RECHTE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG. o.J.a.

Unabhängiger Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ( 13 Bundesbehindertengesetz). http://www.monitoringausschuss.at/ (Zugriff am 02.12.2013; 18:28).

UNABHÄNGIGER MONITORINGAUSSCHUSS ZUR UMSETZUNG DER UNKONVENTION ÜBER DIE RECHTE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG. o.J.b. Stellungnahme Arbeit und Beschäftigung. http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/Stellungnahmen (Zugriff am 21.07.2014; 09:49).

VALCHERS, Gerd. 1999. Beschäftigungstherapie: Sinn und Unsinn, in Stimme von und für Minderheiten 30: o.S. http://minderheiten.at/stat/stimme/stimme30c.htm (Zugriff am 12.07.2013; 12:05).

VAN MAASTRICHT, Sylvia. 1998. Work, opportunity and culture: (In)competence in Greece and Wales, in Jenkins, Richard (Hg.): Questions of Competence: Culture, Classification and Intellecutal Disability. Cambridge: 125-152.

WALDSCHMIDT, Anne. 2003. Die Flexibilisierung der „Behinderung“, in Ethik in der Medizin 3: 191-202.

WALDSCHMIDT, Anne. 2005. Disability Studies: Individuelles, soziales und/oder kulturelles Modell von Behinderung?, in Psychologie und Gesellschaftskritik 1: 9-31.

WALDSCHMIDT, Anne. 2006. Brauchen die Disability Studies ein „kulturelles Modell“ von Behinderung?, in Hermes, Gisela/Rohrmann, Eckhard (Hg.): Nichts über uns – ohne uns!: Disability Studies als neuer Ansatz emanzipatorischer und interdisziplinärer Forschung über Behinderung. Neu-Ulm: 83-96.

WANSING, Gudrun. 2007. Behinderung: Inklusions- oder Exklusionsfolge?: Zur Konstruktion paradoxer Lebensläufe in der modernen Gesellschaft, in Waldschmidt, Anne/Schneider, Werner (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung: Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: 275-297.

ZIERER, Magdalena. 2010. Beschäftigungstherapiewerkstätten in Österreich: Ein Sprungbrett zum allgemeinen Arbeitsmarkt?: Eine quantitative Erhebung zu den Beschäftigungstherapiewerkstätten und den Möglichkeiten der beruflichen Partizipation beziehungsweise Rehabilitation der EinrichtungsnutzerInnen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Diplomarbeit Universität Wien.

ZIPS, Werner. 2007. Das Stachelschwein erinnert sich: Ethnohistorie als praxeologische Strukturgeschichte. Wien.

ZIPS, Werner. 2008a. The Good, the Bad, and the Ugly: Habitus, Feld, Kapital im (Feld des) jamaikanischen Reggae, in Wernhart, Karl/Zips, Werner (Hg.): Ethnohistorie: Rekonstruktion und Kulturkritik: Eine Einführung. Wien: 221- 238.

ZIPS, Werner. 2008b. Die Macht ist wie ein Ei: Theorie einer gerechten Praxis. Wien.

ZIPS, Werner/WEILENMANN, Markus. 2011. Introduction: Governance and Legal Pluralism: An Emerging Symbiotic Relationship?, in Zips, Werner/Weilenmann, Markus (Hg.): The Governance of Legal Pluralism: Empirical Studies from Africa and Beyond. Wien/Münster: 7-34.

Gesetzestexte

Behinderteneinstellungsgesetz. 1970. Bundesgesetz: Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Wien. http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10008253/BEinstG%2c%20Fassung%20vom%2001.10.2013.pdf (Zugriff am 01.10.2013; 11:20).

Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. 2005. Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundesbehindertengleichstellungsgesetz – BGStG). Wien. http://www.bizeps.or.at/gleichstellung/rechte/bgstg.php (Zugriff am 12.07.2013; 11:39).

Chancengleichheitsgesetz Wien. 2010. Landesgesetz: Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung in Wien (Chancengleichheitsgesetz Wien 158 – CGW). Wien. http://www.wien.gv.at/recht/landesrechtwien/rechtsvorschriften/pdf/s0100000.pdf (Zugriff am 04.12.2012; 16:29).

Europäische Menschenrechtskonvention. 1958. Bundesgesetz. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Wien. https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000308 (Zugriff am 23.07.2014; 11:34).

8. Anhang

8.1. Liste der geführten Interviews

  1. Frau Schneider, 28.10.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  2. Herr Markovic, 04.11.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  3. Herr Swoboda, 05.11.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  4. Integrationsbegleiterin, 12.11.2013, im Büro der IntegrationsbegleiterInnen in der Werkstatt

  5. Mag. Maria Pfaffenbichler, 13.11.2013, in ihrem Büro in der Zentrale der Lebenshilfe in der Schönbrunnerstraße 179, 1120 Wien; Funktion: Bereichsleiterin Arbeit bei der Lebenshilfe Wien

  6. Frau Wagner, 19.11.2013, im Ruheraum der Werkstatt

  7. Herr Haas, 19.11.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  8. Herr Brunner, 26.11.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  9. Frau Özcan, 02.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  10. Frau Bauer, 02.12.2013, zuerst im Ruheraum, dann wegen Lärms Wechsel in den Besprechungsraum der Gruppe 4

  11. Herr Steiner, 03.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  12. Mag. Josef Fraunbaum, 05.12.2013, im Kaffeehaus Aida in der Praterstraße in 1020 Wien; Funktion: Sozialrechtsexperte bei der Arbeiterkammer Niederösterreich, Lehrender an der Schule für Sozialbetreuungsberufe in 1100 Wien

  13. Herr Horvath, 09.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  14. Frau Gruber, 10.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  15. Herr Winkler, 10.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  16. Frau Auer, 16.12.2013, im Besprechungsraum der Gruppe 4

  17. Integrationsbegleiter, 16.12.2013, im Büro der IntegrationsbegleiterInnen in der Werkstatt

  18. Herr Schmidt, 17.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  19. Gruppenbetreuerin, 17.12.2013, im Besprechungszimmer der Werkstatt

  20. Werkstättenleiter, 13.01.2014, im Büro des Werkstättenleiters

  21. Herr Lehner, 14.01.2014, im Ruheraum der Werkstatt

  22. Herr Stankovic, 14.01.2014, im Computerraum der Gruppe 1

  23. Mag. Ksenija Andelic, 14.01.2014, in ihrem Büro in der Zentrale von Jugend am Werk in der Thaliastraße 85, 1160 Wien; Funktion: Stellvertretende Bereichsleiterin Wohnen bei Jugend am Werk

  24. Frau Tomacek, 16.01.2014, im Kaffeehaus Felber auf der Meidlinger Hauptstraße, 1120 Wien; Funktion: Gründerin der SelbstvertreterInnen der Lebenshilfe Wien und aktuell Mitarbeiterin in der Mitbestimmungsgruppe der Lebenshilfe Wien

  25. Dr. Marianne Schulze, 29.01.2014, in ihrem Büro in der Lilienbrunngasse 18, 1020 Wien; Funktion: Menschenrechtsexpertin und Vorsitzende des österreichischen Monitoringausschusses

8.2. Abstract

Diese Arbeit setzt sich mit der Arbeitssituation von Erwachsenen mit einer sogenannten geistigen Behinderung in einer Werkstatt der „Beschäftigungstherapie“ in Wien auseinander. Obwohl geistige Behinderung ein Teil unserer Gesellschaft ist, scheint über diese Personengruppe und ihre Lebenswelt wenig bekannt zu sein. Dieses Nicht-Wissen sowie häufig damit verbundene Vorurteile erschweren es diesen Menschen, einen Arbeitsplatz zu finden, weshalb ein Großteil mangels Alternativen in Werkstätten arbeitet. Hierbei handelt es sich aber um kein sozialversichertes Arbeitsverhältnis, sondern um eine Betreuungsstruktur, wodurch ihnen auch der Zugang zu Lohn, Kollektivvertrag und Pension verwehrt bleibt und sie im Bereich Arbeit von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Auf der rechtlichen Ebene ergibt sich hier ein Widerspruch zwischen der Wiener Gesetzeslage, die diese segregierenden Institutionen regelt, und der von Österreich 2008 ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, in der Inklusion in allen Lebensbereichen gefordert wird.

Die Frage, wie Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung sich selbst und ihre Arbeit in diesen Werkstätten im Rahmen der rechtlichen Strukturen in Wien erleben, wurde methodisch anhand teilnehmender Beobachtung in einer Werkstatt der Lebenshilfe Wien, leitfadengestützter Interviews mit den dortigen MitarbeiterInnen mit Behinderung und BetreuerInnen sowie ExpertInneninterviews beantwortet. Der theoretische Erklärungsrahmen setzt sich aus den Disability Studies, anthropologischen Zugängen zu Arbeit und Recht sowie Bourdieus Praxeologie zusammen. Trotz der rechtlich benachteiligenden Strukturen scheinen die meisten der interviewten Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung mit ihrer Situation zufrieden sein. Eine Begründung hierfür können Bourdieus Habituskonzept und seine Theorie der symbolischen Gewalt geben. Durch die Sozialisation wird ein bestimmter Habitus ausgebildet, durch den die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsspielräume vorstrukturiert sind. Im Fall von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung handelt es sich um relativ enge Entscheidungsräume, die aber aufgrund der habituellen Internalisierung und der herrschenden symbolischen Gewalt positiv bewertet werden. Dennoch werden diese anerkannten Deutungen der „behinderten“ Lebenswelt durch die Interviewten auch in Frage gestellt und es wird Kritik an ihnen geübt.

This Master Thesis deals with the working situation of adults with a so-called mental disability in a day-care center in Vienna. Although mental disability is part of our society only little is known about this group of persons and their living and working situation. This lack of knowledge as well as prejudices makes it difficult for these persons to find a job. For the lack of alternatives most of them work in day-care centers, but these institutions are not places of employment but care facilities. Hence, they are not entitled to wages, pension claims and wage agreements. Further, these institutions segregate mentally disabled people from the society. There is a contradiction at the legal level between the Viennese Law, which regulates these segregating day-care centers, and the UN Convention on the Rights of Persons with Disability, which Austria ratified in 2008. The Convention clearly criticizes segregating institutions and promotes inclusion into all areas of social, economical and political life.

The research question, how mentally disabled people experience themselves and their work in day-care centers within the legal framework in Vienna, is answered by the methods participant observation in one day-care center of the Lebenshilfe Vienna, guided interviews with mentally disabled persons and caretakers and interviews with experts. The theoretical framework is composed of the Disability Studies, anthropological approaches to work and law and Bourdieu´s Practice Theory. Despite the discriminating legal structures most of the mentally disabled adults are satisfied with their situation. This can be explained by Bourdieu´s habitus concept and his theory of symbolic violence. In the process of the socialization a certain habitus is developed which is marked by limited scopes to decide and act. Because of the symbolic violence even narrow scopes seem to be positive and enough for this group of persons. But these accepted interpretations of the social world are also questioned and criticized by the interviewed adults.

8.3. Curriculum Vitae

Persönliche Daten

Name ............................................................................................... Sonja Genner

Geburtsdatum .................................................................................. 08.05.1985

Staatsangehörigkeit ......................................................................... Österreich

Kontakt ............................................................................................ sonja.genner@gmx.at

Schule und Ausbildung

2009 – 2014 Studium der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien

2004 – 2007 Ausbildung zur Dipl. Behindertenpädagogin (Dipl. Fachsozialbetreuerin Behindertenbegleitung, einschließlich Basismodul Unterstützung bei der Basisversorgung) an der Lehranstalt für heilpädagogische Berufe in Wien

1995 – 2003 Bundesgymnasium Waidhofen an der Thaya/NÖ Berufserfahrung und Praktika

10/2007 – 8/2009 Behindertenbetreuerin Werkstatt für Menschen mit Behinderung der Caritas in Waidhofen an der Thaya/NÖ

9/2006 – 4/2007 Praktikum Verein LOK (Leben ohne Krankenhaus) im Arbeitsprojekt LOK Couture in 1070 Wien

7/2006 Behindertenbetreuerin ÖJRK-Sommerlager für Kinder mit Körper- und Mehrfachbehinderung in Horn/NÖ

9/2005 – 6/2006 Praktikum Basale Förderklasse für schwerstbehinderte Kinder in 1030 Wien

7/2005 Praktikum Werkstatt für Menschen mit Behinderung der Caritas in Waidhofen an der Thaya/NÖ

10/2004 – 6/2005 Praktikum Wohngruppe für Menschen mit geistiger und Sinnesbehinderung Verein ÖHTB in 1110 Wien

9/2003 – 7/2004 Freiwilliges soziales Jahr Industriewerkstatt für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Peuerbach/OÖ

Auslandsaufenthalte

4/2013 – 5/2013 dreiwöchiges universitäres Feldpraktikum in Leonidio und Patras/Griechenland zu den Zukunftsperspektiven junger Menschen unter der Leitung von ao. Univ.-Prof. Mag. DDr. Werner Zips

8/2005 dreiwöchiges Workcamp in Lliria/Spanien zur Verhütung von Waldbränden

Sonstiges

Leitung von Erstsemestrigentutorien im Wintersemester 2012/13 und Wintersemester 2013/14 (Unabhängiges Tutoriumsprojekt der ÖH)

Organisation und Leitung eines Workshops zum Thema „Aussiedlung Truppenübungsplatz Allentsteig – Das vergisst man nicht!“ (Thema der Bachelorarbeit) im Rahmen des Herbstkongresses der Katholischen Männerbewegung St. Pölten in Stift Zwettl/NÖ, 21.09.2013

Sprachkenntnisse

Deutsch: Muttersprache

Englisch: fließend

Latein: Maturaniveau

Tschechisch, Polnisch, Russisch, Österreichische Gebärdensprache: Grundkenntnisse

Publikationen

GENNER, Sonja/SOWA, Martin/STUMPF, Sandra/WUKOVITS, Josef. 2013. Eine Griechische Tragödie?: Über die Zukunftsperspektiven junger Griech_innen, in Paradigmata: Zeitschrift für Menschen und Diskurse 10: 46-51.

GENNER, Sonja/STUMPF, Sandra. 2013. Leonidioresearch: The hard life of social researchers. leonidioresearch.wordpress.com (Zugriff am 02.05.2014; 19:35).

Quelle

Sonja Genner: Weil ich arbeiten will - Praxeologische und rechtsanthropologische Perspektiven auf die Arbeit von Erwachsenen mit sogenannter geistiger Behinderung in Wiener Beschäftigungswerkstätten. Masterarbeit an der Universität Wien; Studienrichtung: Kultur- und Sozialanthropologie, 2014.

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 08.05.2015

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation