"Woran denken wir in Hamburg? Alster, Michel, Schmidt-Theater und an ... das Stadthaus-Hotel, na klar!!"

Autor:in - Andreas Hinz
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein". Veranstaltungszeitraum: 6. - 8. Juni 1996 in Innsbruck, Veranstalter: "Tafie - Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung" in Zusammenarbeit mit der "Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder" und dem "Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck".
Copyright: © Andreas Hinz 1996

"Woran denken wir in Hamburg? Alster, Michel, Schmidt-Theater und an ... das Stadthaus-Hotel, na klar!!"

Die Schilderung des Projekts durch Jens Lüttensee will ich mit Ausführungen zu drei Punkten ergänzen: zur Entwicklung des Projekts, zu seiner Struktur und zu den Gästen. Am Schluß folgt noch eine Liste von Veröffentlichungen.

Entwicklung des Projekts

Das Stadthaus-Hotel ist Teil eines Gesamtprojekts, das vom Werkstadthaus Hamburg e.V. betrieben wird. Die Entwicklung des Projekts zeigt Abbildung 1 im Überblick.

Es begann mit einer Elterngruppe einer Klasse in einer antroposophischen Schule für Geistigbehinderte, die über die Gastweise Unterbringung des Hamburger Spastikervereins mit zwei (damals) StudentInnen der Sonderpädagogik in Kontakt kamen. Nachdem über Jahre die gleiche Gruppe z.T. mit den gleichen BetreuerInnen auf Reisen ging, wurden dort erste Ideen für ein Projekt ersponnen, das die Zusammengehörigkeit der sehr heterogenen Gruppe dieser Klasse auch nach der Schule sichern sollte. Es tauchte dabei die Idee einer Teestube auf, die aber mangels finanzieller Ertragsmöglichkeiten durch die Utopie einer Pension ersetzt wurde. Diese ersten Utopien mündeten in die Entwicklung eines Konzepts. Dessen Kernpunkte waren neben dem Erhalt der Gruppe u.a.:

  • Wir wollten von den Stärken der Gruppe ausgehen. Sie lagen nicht im Sortieren, Zählen, Montieren von Dingen, sondern im Herstellen einer annehmenden Atmosphäre und in einem großen Potential für die Rolle von GastgeberInnen.

  • Wir wollten, daß die Gruppe mitten in der Stadt mit einer Vielzahl von 'Außen'-Kontakten arbeiten und leben können sollte (von Projekten 'draußen auf dem Land' hatten wir immer wieder gehört, daß sie sehr 'im eigenen Saft schmorten').

  • Es sollte nicht ein Projekt 'für Behinderte', sondern ein Projekt von behinderten und nichtbehinderten Menschen für die Umgebung sein (und unser Produkt sollten nicht gekauft werden, weil 'unsere lieben Behinderten' es 'hergestellt' haben, sondern weil es hochwertig und einfach gut ist und einem echten Bedarf entspricht).

  • Die behinderten und nichtbehinderten MitarbeiterInnen im Hotel sollten sich in ihren Kompetenzen partnerschaftlich ergänzen - sie verdanken sich dem Konzept nach gegenseitig ihre Arbeitsplätze. Und auch in der Wohngruppe sollte es kein hierarchisches Verhältnis zwischen BewohnerInnen und ihren AssistentInnen geben.

  • Und schließlich sollten Arbeitsplätze entstehen, bei denen die ArbeitnehmerInnen sozialversichert sind und die ortsüblich tariflich entlohnt werden.

Nachdem wir mit elf Mitgliedern einen Verein gegründet hatten (der inzwischen 14 Mitglieder umfaßt), kam nun eine Phase vielfältiger Aktivitäten:

  • Die Gruppe mußte von fünf auf acht Personen vergrößert werden, wegen der größeren Vielfältigkeit, aber auch wegen Auflagen der Sozialbehörde. Dazu mußten weitere Interessenten gefunden werden - in Schulen für Geistigbehinderte, über die Bedarfsmeldungslisten der Sozialbehörde, durch Mund-zu-Mund-Propaganda und innerhalb der 'antroposophischen Szene' in Hamburg.

  • Es mußte ein Haus gefunden und dessen Einrichtung geplant werden. Dazu fanden Gespräche statt mit der Wohnungsbaukreditanstalt und mit der Baubehörde, die uns in Kontakt brachte mit der Reichsbund Wohnungsbau, die zu der Zeit ein Projekt sozialen Wohnungsbaus in Altona plante und uns (durch den Architekten) bei den weiteren Planungen mit unseren speziellen Anliegen berücksichtigte.

  • Als fast wichtigste Aufgabe mußten wir uns um die Finanzierung kümmern und dazu Informationen von der Sozialbehörde und vom Paritätischen Wohlfahrtsverband einholen - und hierbei halfen uns die guten Kontakte zum Hamburger Spastikerverein. Außerdem sprachen wir mögliche Sponsoren und private Spender wegen finanzieller Unterstützung an.

  • Dann mußte unser Vorhaben von der Sozialbehörde überhaupt erst einmal für gut und sinnvoll befunden werden. Dies geschah in der Fachabteilung - für uns überraschenderweise - wohl vor allem deshalb, weil in Hamburg rollstuhlgerechte Hotelunterkünfte fehlen und so die Aussicht auf eine gute Auslastung der Unterkunft gegeben schien. Weiter mußte eine Rentabilitätsrechnung vorgelegt werden, mit deren Hilfe die betriebswirtschaftliche Abteilung die Kosten abschätzen konnte.

  • Schließlich ergab sich ein zusätzliches Problem: Als die Gruppe die Schule verlassen mußte, war das Hotel noch nicht fertig. So überlegten wir, ob die Berufsschulpflicht nicht auch ein Recht für die Gruppe auf den Besuch der Berufsschule bedeuten könnte. So nahmen wir Kontakt zur Schulbehörde, zur Schulaufsicht der Berufsschulen und zur in Frage kommenden Berufsschule für Ernährung und Hauswirtschaft (W 2) auf, die gleichzeitig auch für den Berufsschulunterricht derer zuständig ist, die sich im Eingangs- und Trainingsbereich der Werkstätten für Behinderte befinden.

So kamen die jungen Leute in eine eigene Berufsvorbereitungsklasse, in der sie zwei Jahre lang an fünf Tagen in der Woche auf ihre konkreten zukünftigen Aufgaben vorbereitet wurden. Die Schule stellte die LehrerInnen, der Verein die zusätzlich notwendigen sozialpädagogischen Kräfte, die von der Sozialbehörde finanziert wurden. Was zuerst als Problem einer zeitliche Lücke schien, erwies sich im nachhinein als sehr sinnvoller Schritt auf dem Weg von der allgemeinen Schule zur Berufstätigkeit. Während des ersten Jahres der Tätigkeit im Hotel gab es einen Tag zusätzlich noch Berufsschulunterricht; die jungen Leute waren z.T. wohl ganz froh, als sie schließlich ganz vom Status der SchülerInnen zum Status arbeitender Erwachsener übergegangen waren...

Am 17. 9. 1993 war es dann schließlich so weit: Nach achtjähriger Vorbereitungszeit wurde das Stadthaus-Hotel im Rahmen einer Veranstaltung mit dem damaligen Hamburger Sozialsenator feierlich eröffnet. Was anfangs viele als unrealistische Spinnerei empfunden hatten, war nach jahrelangem Krafteinsatz von Eltern und PädagogInnen nun doch Realität geworden.

Struktur des Projekts

Wie das Werkstadthaus-Projekt organisiert ist, zeigt Abbildung 2. Formal besteht es aus zwei Teilen: einer Wohngruppe und dem Hotel mit angeschlossener Wäscherei.

Die Wohngruppe wird - wie andere in Hamburg auch - über einen Pflegesatz finanziert, der je nach Personenkreis nach unterschiedlichen Pauschalen berechnet wird. In der Wohngruppe befinden sich zwei 'schwer-mehrfachbehinderte' und sechs 'normalgeistigbehinderte' (?) junge Leute. Unterstützt wurde die Finanzierung durch zusätzliche Spenden.

Anders als in anderen Wohngruppen ist lediglich die Tatsache, daß für die beiden 'schwer-mehrfachbehinderten' Frauen einen Raum und eine Fachkraft zusätzlich bereitgestellt wird, da sie sonst in eine Tagesförderstätte gehen würden. Stattdessen erhalten sie im Bereich der Wohngruppe spezielle Angebote, die für sie sinn- und lustvoll sind und auch für das Hotel unterstützend wirken können (z.B. eine Quarkspeise herstellen oder Marmelade kochen). Sie 'arbeiten' also in ihrem Kreativraum; und die anderen BewohnerInnen können in der Freizeit gerne dazukommen.

Das Hotel nimmt - wie jedes andere Unternehmen in Deutschland auch - staatliche Zuschüsse in Anspruch: auf drei Jahre befristete Lohnkostenzuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit (im ersten Jahr 80 %, im zweiten 70 % und im dritten Jahr 60 % der Lohnkosten) und den Minderleistungsausgleich nach § 27 der Ausgleichsabgabenordnung nach dem Schwerbehindertengesetz. Die Hauptfürsorgestelle, die die Gelder derjenigen Betriebe verwaltet, die ihre Pflichtquote an schwerbehinderten MitarbeiterInnen nicht erfüllen, sondern pro Monat und Platz 200 DM Ausgleichsabgabe zahlen, bezuschußt hiermit die Arbeitsplätze für schwerbehinderte MitarbeiterInnen. In den Bundesländern unterschiedlich gestaffelt, wird dem Arbeitgeber ein Ersatz dafür geboten, wenn die schwerbehinderten MitarbeiterInnen nicht die 'volle Leistung' bringen können. In Hamburg gibt es für die Einrichtung von acht Arbeitsplätzen eine Stelle als Unterstützung, offiziell befristet auf zwei Jahre; wenn aber der Bedarf weiter besteht, kann man wohl von der Weiterfinanzierung ausgehen. Das Hotel hat natürlich auch eigene Einnahmen durch die Bezahlung der Unterkunft durch die Gäste, und auch hier wirken Spenden unterstützend.

Zur Zeit arbeiten sieben behinderte Mitarbeiter mit je halben Stellen im Hotel. Zu den sechs jungen Leuten ist eine weitere Mitarbeiterin hinzugekommen, die einige Häuser weiter selbständig wohnt. Die sieben behinderten MitarbeiterInnen betreiben das Hotel zusammen mit drei nichtbehinderten, von denen zwei ausgebildete Hotelfachleute sind. Um die langen Öffnungszeiten des Hotels zu besetzen, gibt es noch Aushilfskräfte auf Stundenbasis. Alle hauptamtlichen MitarbeiterInnen sind sozialversichert und werden nach den Tarifen des Hotel- und Gaststättengewerbes ortsüblich bezahlt. Die behinderten MitarbeiterInnen, die in der Wohngruppe leben, müssen allerdings einen großen Teil ihrer Einkünfte an das Sozialamt zur Finanzierung der Wohngruppe abführen und behalten von ihrem Lohn ein monatliches Taschengeld von ca. 300 bis 400 DM zur freien Verfügung (die behinderte Mitarbeiterin, die selbständig wohnt, behält ihr ganzes Einkommen).

Das Hotel stellt elf Betten in sieben rollstuhlgerechten Zimmern bereit (zwei Doppelzimmer, ein Familienzimmer mit drei Betten und Einzelzimmer). Jedes Zimmer verfügt über genügend Platz für die Bewältigung aller Tätigkeiten mit dem Rollstuhl bzw. vom Rollstuhl aus und über die notwendigen Haltegriffe bei der Toilette und im Bad, dessen Dusche stufenlos erreichbar ist. Weiter gibt es für jedes Zimmer eine Notklingel, mit der im Notfall Hilfe geholt werden kann. In der Wäscherei wird die eigene Wäsche, aber auch Wäsche von anderen AuftraggeberInnen gewaschen und gebügelt (dies kann z.B. Wäsche von anderen Wohngruppen sein, die nicht selbst waschen können, aber auch die von jeder anderen Institution). Mit der Wäscherei verbindet sich vor allem die Hoffnung auf zusätzlich zu erwirtschaftende Gelder. Für die behinderten Gäste bietet das Hotel eine stundenweise Assistenz bei Unternehmungen oder im Hause an. Geplant ist ein Stipendium für auswärtige KünstlerInnen, das gegen Kost und Logis zu gegenseitiger Anregung mit dem Kreativbereich beitragen soll.

Die Wohngruppe befindet sich mit den privaten Einzelzimmern im ersten und zweiten Stock, der Gemeinschaftsbereich der Wohngruppe, der Kreativbereich und die Wäscherei liegen im ersten Stock und das Hotel nimmt das Erdgeschoß des siebenstöckigen Sozialwohnungsbaues ein (ursprünglich waren im Erdgeschoß Stellplätze für Autos vorgesehen).

Gäste im Hotel

Eine kleine Befragung der Gäste durch Studierende der Interstaatlichen Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule St. Gallen (Schweiz) Ende 1995 ergab folgendes Bild:

Von den 35 Befragten sind 15 % Menschen mit Behinderungen, das Altersspektrum reicht von 20 bis zu 80 Jahren. Knapp über die Hälfte von ihnen sind Geschäftsreisende, die anderen Ferienreisende.

Informationen über das Hotel haben die Befragten von Bekannten (40% !) oder über die Medien (30%) bekommen; Werbung und das Fremdenverkehrsbüro spielen nahezu keine Rolle als Informationsquelle. Bei den Gründen für die Wahl dieses Hotels gibt es ein breites Spektrum: Zwei Drittel der Befragten geben soziales Engagement an, ein Drittel die Lage (vermutlich die Nähe zum 'Phantom der Oper'), ein Fünftel ist zufällig in diesem Hotel gelandet. Das Hotel lebt also nicht nur von seinem Status als soziales Projekt, sondern hat auch 'Laufkundschaft' und überzeugt durch seinen Standort.

Detailliert wurden die Gäste zu ihrer Zufriedenheit befragt, etwa zum Empfang, zur Sauberkeit, zum Service, zum Frühstück, zum Zimmerdienst und zum Preis-Leistungs-Verhältnis.

Auf einer fünfstufigen Skala wurden insgesamt 245 Angaben gemacht (vgl. Abb. 3): Von ihnen entfielen 210 auf 'zufrieden', 14 auf 'eher zufrieden', 1 auf 'weder noch' und zwei auf 'eher unzufrieden'. Dieses Ergebnis kann positiv verbucht werden, zumal in den Bereichen Service, Frühstück, Sauberkeit, Zimmerdienst, also jenen Bereichen, in denen die Gäste auch mit den MitarbeiterInnen mit Behinderungen zu tun haben, ausschließlich positive Rückmeldungen abgegeben wurden.

Veröffentlichungen zum Projekt

BARK, Christa Maria: Leben und Arbeiten mit Künstlern und Gästen. Das Werkstadthaus Hamburg. Zusammen 10, 1990, H.8, 8-10

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas: Traumziel: Teestube. Zusammen 7, 1987, Heft 9, 10-11

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas: Menschen im Hotel. Das Band 25, 1994, Heft 2, 23-25

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas: Ein Tag im Leben des Jens L. - oder: Was es heißt, ein Hotel zu betreiben. Gemeinsam leben 1994, Heft 4, 30-33

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas: Werkstadthaus Hamburg - Wohnen mitten in der Stadt und Arbeiten in einem rollstuhlgerechten Hotel. Zeitschrift für Heilpädagogik 47, 384-387

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas: Aus der Teestube wurde ein Hotel. Zusammen 15, 1995, H.3, 38-40

HINZ, Andreas: Einbindung von Menschen mit geistiger Behinderung. Contraste 11, 1994, Heft 120, 7

HINZ, Andreas: Konzeptionelle Überlegungen für die Berufsvorbereitung geistig und schwerst-mehrfachbehinderter Jugendlicher. In: Bundesvereinigung Lebenshilfe (Hrsg.): Ein Ort auch für uns! - geistig behinderte junge Erwachsene lernen in der Berufsschule. Marburg: Bundesvereinigung 1994 (im Erscheinen)

HINZ, Andreas (Redaktion): Konzept des Vereins Werkstadthaus Hamburg e.V.. In: Bundesvereinigung Lebenshilfe (Hrsg.): Ein Ort auch für uns! - geistig behinderte junge Erwachsene lernen in der Berufsschule. Marburg: Bundesvereinigung 1994 (im Erscheinen)

Videofilm der Hamburger Schulbehörde über die Vorbereitung in der Berufsschule (Bezug gegen Selbstkostenpreis: Karsten Kühl, Staatliche Schule für Ernährung und Hauswirtschaft, Uferstraße 10, D-22081 Hamburg)

Adressen

Wohngruppe des Vereins Werkstadthaus Hamburg e.V.

Holstenstraße 116

D-22765 HAMBURG

Tel. 0049 / 40 / 38 99 20 - 40

Stadthaus-Hotel Hamburg

Holstenstraße 118

D-22765 HAMBURG

Tel. 0049 / 40 / 38 99 20 - 0

Fax. 0049 / 40 / 38 99 20 - 20

Dr. Andreas Hinz, Arbeitsstelle Integration, Universität Hamburg,

Eduardstr. 28-30, D-20257 Hamburg,

Tel. 0049 / 40 / 4212-2560, Fax 0049 / 40 / 4212-1952

Quelle:

Andreas Hinz: "Woran denken wir in Hamburg? Alster, Michel, Schmidt-Theater und an ... das Stadthaus-Hotel, na klar!!"

Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.01.2005

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