9 Jahre - umsonst?

AK 18: Weiterführung der Integration nach der Pflichtschulzeit - Tagesbericht 7. Juni 1996

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Referat am: 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996; Veranstalter: "Tafie - Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung" in Zusammenarbeit mit der "Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder" und dem "Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck". Einstiegsreferat über die Angebote der Stadt Wien nach dem Ende der Schulpflicht
Copyright: © Elisabeth Zappe, Elisabeth Leskova 1996

Inhaltsverzeichnis

Tagesbericht 7. Juni 1996

Aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen können Maßnahmen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation nur erwerbstätigen Versicherten gewährt werden.

Somit ist es auch heute noch die Hauptaufgabe der Länder für die Rehabilitation jener behinderter Menschen zu sorgen, die vor dem Eintritt in das Berufsleben und damit vor Erlangung des sozialversicherungsrechtlichen Schutzes, eine Behinderung erlitten haben.

Die berufliche Rehabilitation umfaßt die Schulbildung und Erziehung, sowie alle Maßnahmen der beruflichen Ausbildung (Arbeitstraining), die Um- und Nachschulung in Schulen, Betrieben, Werkstätten oder ähnlichen Einrichtungen sowie die Vermittlung auf einen Arbeitsplatz, mit dem Ziel, dem Behinderten ein selbständiges berufliches Leben zu ermöglichen, das seiner Behinderung angepaßt ist und einen ausreichenden Lebensunterhalt sichert. Wobei Berufsfindungsmaßnahmen bzw. Berufsfindungskurse in erster Linie Maßnahmen des Arbeitsmarktservices sind und unter Umständen eine gemeinsame Kostentragung erfolgt .

Eigenständige Maßnahmen des Landes Wien sind die Lehrausbildung behinderter Menschen in der Lehrwerkstätte Stadlau (Träger: Werkstättenzentrum) und beim Verein Jugend am Werk.

Ziel der Werkstätte ist es, Jugendlichen mit Lern- und Leistungsdefiziten eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Die Jugendlichen werden gem. § 29 Berufsausbildunggesetz auf die Lehrabschlußprüfung vor der Prüfungskommission der Lehrlingsstelle der Wiener Handelskammer vorbereitet. Die Mindestausbildungsdauer ist 3 Jahre.

Die Berufe:

  • Maler/In, Anstreicher/In

  • Koch/Köchin Kellner/In

  • Tischler/In Schlosser/In

Ein individuelles Aufnahmeverfahren und der erste Ausbildungsabschnitt in der "Vorbereitungs-Gruppe" soll der Einschätzung der Fähigkeiten und Leistungsgrenzen des Jugendlichen, sowie einer speziellen Förderung der Lern- und Leistungsdefizite sowie der handwerklichen Praxis dienen. Zwischen 6 bis 18 Monate stehen als wichtige Anlaufzeit zur Verfügung. Dann geht es entweder in die künftige Lehrausbildung oder in ein 24 bis 30 Monate dauerndes Arbeitstraining mit hausinternem theoretischem Unterricht. Dieses Arbeitstraining (auch Anlehre-Ausbildung genannt) wird für die Bereiche:

  • Raumpflege/Housekeeping

  • Wäscherei/Büglerei

  • Küchenhilfsdienst

angeboten und soll einen Einstieg in die Arbeitswelt ermöglichen.

Während dieser Ausbildungszeit sind für jeden Jugendlichen 2 X 6 Wochen Praktikum in einschlägigen Betrieben geplant. Damit soll der Schritt in die Realität des Berufslebens trainiert und erleichtert werden. Ein eigener Betriebskontaktereferent macht nicht nur diese Praktikumsstellen ausfindig, sondern ist auch den Absolventen des Arbeitstrainings bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz behilflich. Die Jugendlichen erhalten ein Abschlußzeugnis mit einer ausführlichen Beschreibung der erlernten Fähigkeiten. Dadurch soll die Vermittlung auf den jeweils "maßgeschneiderten" Arbeitsplatz erleichtert werden.

Lehrwerkstätten bei Jugend am Werk:

- Einjähriger Erprobungskurs in der Lehrwerkstätte in Wien 20, Lorenz-Müller-Gasse 3 (finanziert vom Arbeitsmarktservice, Anträge sind im Arbeitsamt für Jugendliche, Wien 7, Hermanngasse 8, einzubringen).

Erprobung in den Bereichen:

METALL, HOLZ, TEXTIL

Ziel: Überleitung in ein Lehrverhältnis

- Lehrausbildung zum Wäschewarenerzeuger

Bürospezifische Anlehre und Weiterbildung für Körperbehinderte

Zielgruppe: Körperbehinderte mit abgeschlossener Pflichtschule

Ziele: Erwerben von Kenntnissen und Fertigkeiten, die im Rahmen einer kaufmännischen Ausbildung notwendig sind. Realitäts- und praxisbezogenes Arbeitstraining mit Besuch der Berufsschule für Bürokaufleute. Umgang mit Personal-Computer und der berufsbezogenen Software.

Weiters Persönlichkeitsschulung, motorisches Training und Elternberatung.

Maximale Schulungsdauer bis zur Arbeitseingliederung sind 6 Jahre.

Ein weiteres Schwerpunktthema ist die berufliche Eingliederung, bzw. Ausbildung von behinderten Jugendlichen, die jetzt bereits mit dem 15. Lebensjahr die Schule verlassen, da in Integrationsklassen Klassenwiederholungen oder Verlängerungen bis zum 13. Schuljahr nicht möglich sind. Gerade für diese Jugendliche müssen neue Aktionen gesetzt werden. Bis zum Jahr 2002 werden 300 behinderte Jugendliche die Integrationsklassen verlassen. Die großen Trägervereine, die Beschäftigungstherapie anbieten, wollen neue Schritte gehen. Mit Hilfe von EU-Geldern und gemeinsamer Projektfinanzierung sind verschiedene Projekte entstanden:

Das Projekt ALPHA-FERTIGUNGSTECHNIK ist ein EU-Projekt mit transnationaler Kooperation (Employment/Horizon) und Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen "Daughters of charity Service" in Dublin, Irland, "Fachdienst für berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung" in Reutlingen, Deutschland, und dem Diakonie-Verbund Eisenach in Wenigenlupnitz in Deutschland.

Der Verein Jugend am Werk hat im Areal der Bau- und Lüftungsspenglerei Firma Prager ein Stockwerk angemietet. Dort sollen rund 20-24 geistig behinderte Menschen auf die berufliche Eingliederung vorbereitet werden. Die Unterbringung der Werkstätte direkt im Gebäude der Firma Prager gewährleistet eine realistische Betriebsatmosphäre. Der Kooperationsvertrag mit der Firma Prager ermöglicht eine praxisbezogene Ausbildung direkt im Produktionsgeschehen.

Die berufliche Eingliederung der geistig behinderten Menschen soll in 4 Phasen erfolgen:

1. Phase: Einführung und Förderung

Im Vordergrund steht die Vermittlung von Arbeitshaltung und Arbeitstechniken. Vorbild sind Ausbildungspläne von Lehrberufen. Es sollen Grundkenntnisse über Produktionsabläufe vermittelt werden. Besondere Bedeutung hat die Förderung der sozialen Kompetenz.

2. Phase: Training und Qualifizierung

Neben der praktischen Tätigkeit im Produktionsbetrieb, bei der komplexere Arbeitsabläufe bereits selbständig bewältigt werden müssen, ist die Förderung der Belastbarkeit und Ausdauer von besonderer Bedeutung.

3. Phase: Vorbereitung auf den Arbeitsplatz

In diesem Abschnitt soll der Einstieg auf einen Arbeitsplatz vorbereitet werden. Die körperliche und psychische Belastbarkeit wird überprüft und für die Auswahl eines geeigneten Arbeitsplatzes berücksichtigt. Hierzu baut Jugend am Werk derzeit ein Netz von Partnerbetrieben auf, die Arbeitsstellen anbieten können. Praktische Unterweisung in den Partnerbetrieben findet statt.

4. Phase: Arbeitsverhältnis bei einem Partnerbetrieb

In dieser Phase ist die Begleitung durch einen Arbeitsassistenten notwendig.

Zielgruppe sind geistig und mehrfach behinderte Menschen, die derzeit in Beschäftigungstherapie-Werkstätten von Jugend am Werk oder anderen Einrichtungen arbeiten und nicht - oder noch nicht - einer Arbeit (geschützter Arbeitsplatz) nachgehen, da sie die notwendige Leistung nicht erbringen können, auf der anderen Seite aber in einer Beschäftigungstherapie-Werkstätte unterfordert sind, und bei denen eine (Re-) Habilitation möglich erscheint. Geplant ist, geistig behinderte Menschen bis etwa zum 25. Lebensjahr im Projekt aufzunehmen.

Zeitlich ist das Programm mit drei Jahren begrenzt.

Projekt "Eingliederung geistig und mehrfach behinderter Jugendlicher in einen Arbeits- und Qualifizierungsprozeß" in Altmannsdorf: (Wien 12, Altmannsdorferstraße 109)

- Eingliederungs- (Clearing-) und Schulungsmaßnahmen für die Integration geistig und mehrfach behinderter Jugendlicher in das Berufsleben (20 Plätze) mit der Führung einer

- Tischlerwerkstätte

- Metallwerkstätte

- Maler- und Anstreicherwerkstätte

- Haushaltsgruppe

Ablaufstruktur:

Die Maßnahmen sind als Modul-System zu sehen.

1. Phase: Einstiegsmaßnahmen (Clearingmaßnahme, Arbeitserprobung)

Dauer: 2 Kurse zu je 6 Monaten - insgesamt 1 Jahr

Im ersten Jahr werden den geistig behinderten Menschen nach der Schulentlassung Clearingmaßnahmen in Form von Schnupperangeboten geboten. Neben der Vermittlung von Grundkenntnissen und Förderung der sozialen Kompetenz wird vor allem die praktische Auseinandersetzung im jeweiligen Bereich und die Eignung erprobt.

2. Phase: Qualifizierungsmaßnahme

Dauer: 2 Kurse zu je 6 Monaten - insgesamt 1 Jahr

Nach Absolvierung der Clearing- und Erprobungsphase werden die jungen Menschen auf einen Beruf und ein Ziel vorbereitet. Idealtypisch soll auf einen konkreten Arbeitsplatz vorbereitet werden: Ausgehend von den bisher vermittelten praktischen und theoretischen Fähigkeiten, soll spezifisch auf die Anforderungen des in Aussicht genommenen Arbeitsplatzes vorbereitet werden.

3. Phase: Begleitung auf dem Arbeitsplatz

Dauer: 1 Jahr

Hier ist das System des JOB COACHING anzuwenden. Der JOB COACH bereitet den behinderten Menschen - auf den zukünftigen Arbeitsplatz vor,

- bereitet das Umfeld am Arbeitsplatz (Mitarbeiter) vor,

- stellt in der ersten Phase das Arbeitsverhältnis durch Begleitung sicher (Garantie für den Unternehmer, daß Arbeitsleistung erbracht wird),

- Unterstützung (weiter fortführende Qualifizierung für den behinderten Arbeitnehmer),

- blendet sich schrittweise aus und übernimmt in der Folge als Ansprechpartner sowohl für den Betrieb, als auch für den Behinderten Menschen die Begleitfunktion.

Projekt "SYMbioSYS":

Eine kleine Gruppe Behinderter unter der Leitung eines Behindertenbetreuers wird betrieblich geschult. Inhalt ist eine dislozierte Beschäftigungstherapie in Wirtschaftsbetrieben. Die Nähe zum betrieblichen Alltag soll den Teilnehmern den Einstieg in das Arbeitsleben erleichtern. Die Behinderten kommen aus Beschäftigungstherapiewerkstätten. Die ersten Gruppen arbeiten bereits bei Fa. EDUSCHO und bei Fa. BAUMAX. Ähnliche Projekte laufen auch in Deutschland und Frankreich.

EU-gefördertes Projekt "Einstellungsbeihilfen":

Das aus dem europäischen Sozialfonds (ESF) geförderte Projekt soll der beruflichen Eingliederung von Personen dienen, die vorher mindestens 6 Monate arbeitslos waren.

Es handelt sich um ein Paket an Maßnahmen von verschiedenen nationalen Leistungsträgern, zu welchen ergänzend ESF-Mittel geleistet werden. Die EU-Förderung läuft für die einzelne Person 3 Jahre. Nach den 3 Jahren sind nur mehr nationale Leistungen, nämlich Lohnzuschüsse, möglich.

Der Förderablauf sieht folgendermaßen aus:

Der Arbeitgeber erhält im ersten Jahr 80 %, im zweiten 50 % und im dritten Jahr den Prozentsatz der Minderleistung auf dem konkreten Arbeitsplatz vergütet.

Die Zuschüsse werden von folgenden Stellen erbracht:

Erste drei Monate Lohnkostenübernahme durch Arbeitsmarktservice. In der Folge leisten entweder die MA 12 oder das Bundessozialamt (je nach Zuständigkeit) Lohnkostenzuschüsse bis zu 50 %. Aus ESF-Mitteln werden die Zuschüsse im ersten Jahr auf jeweils 80 % aufgestockt.

Ein weiterer Schritt zur individuellen beruflichen Integration ist die Einbeziehung von Arbeitsassistenz.

Amerika geht bereits den Weg des !'supported employment". Im Betrieb wird dem Behinderten ein "job coach" zur Begleitung für die Anfangsphase zur Seite gestellt. Dann wird versucht im Betrieb selbst einen "Mentor" zu finden, der den behinderten Menschen betreut.

Aufgabe des Arbeitsassistenten wird es sein, mitzuhelfen, daß für behinderte Menschen in einem Betrieb jene Bedingungen geschaffen werden, die den behinderten Menschen ermöglichen, ihre Arbeitskraft in möglichst hohem Maße einzusetzen. Ich persönlich bin der Überzeugung, daß diese begleitende Fördermaßnahme einen wesentlichen Beitrag zu einer bleibenden Integration behinderter Menschen auf einem Arbeitsplatz in der Wirtschaft darzustellen vermag.

Quelle:

Elisabeth Zappe, Elisabeth Leskova: 9 Jahre - umsonst? AK 18: Weiterführung der Integration nach der Pflichtschulzeit

Referat am: 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 07.03.2006

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