Das Persönliche Budget - mehr Selbstbestimmung in Sicht?!

Autor:in - Brigitte Faber
Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: WeiberZeit, Zeitschrift des Projektes "Politische Interessenvertretung behinderter Frauen" des Weibernetz e.V., Ausgabe 4/Juli 2004, S.5-6 WeiberZeit (04/2004)
Copyright: © Verein Weibernetz e.V. 2004

Das Persönliche Budget - mehr Selbstbestimmung in Sicht?!

Lang erkämpft und ebenso lang herbeigesehnt - Mit dem 01. Juli wird das Persönliche Budget in Deutschland flächendeckend eingeführt. Menschen mit Behinderung, die im Alltag Pflege oder Unterstützung benötigen, haben diese bisher in erster Linie als Sachleistung erhalten. Damit einher ging die Abhängigkeit von Stunden- und Personalplänen sowie von der jeweiligen Vorstellung der Dienste, welche die Leistungen erbracht haben. Ein Einfluss auf die Art und Weise wie eine Leistung erbracht wird, oder zu welcher Uhrzeit oder gar von wem war meist so gut wie gar nicht möglich. Selbst in intimsten Bereichen wie z.B. der Körperpflege bestand letztlich kein Selbstbestimmungsrecht.

Dies soll nun mit dem persönlichen Budget anders werden. Die Idee ist einfach: Nicht mehr die Leistungserbringer, die eine bestimmte Arbeit für Menschen mit Behinderung anbieten, erhalten und verwalten das Geld und entscheiden über das wann, wie, wo und durch wen. Vielmehr erhält der Mensch, der einen bestimmten behinderungsbedingten Hilfe-/ Assistenzbedarf hat, den entsprechenden Betrag auf das eigene Konto. Sie oder er kann sich dann "auf dem Markt" diese Unterstützung kaufen und entsprechend den eigenen Bedürfnissen einsetzten.

Dieses Modell der Unterstützung und Assistenz wird in Schweden seit Jahren praktiziert. Es hat dort mit dazu geführt, dass fast keine Menschen mit Behinderung in Heimen leben und dass bei der Ausführung der Assistenz- und Pflegetätigkeiten Menschen mit Behinderung die größtmögliche Selbstbestimmung haben.

Gab es bisher in Deutschland in einigen Bundesländern Modellprojekte, so wird mit dem 01.Juli das Persönliche Budget bundesweit zur Erprobung eingeführt. AnprechpartnerInnen sind die entsprechenden Kostenträger wie z.B. die Kranken- oder Pflegekassen. Aber auch bei den Integrationsämtern oder den Servicestellen können entsprechende Anträge gestellt werden.

Ein Persönliches Budget beantragen können sowohl Menschen, die bereits von einem oder mehreren Kostenträgern entsprechende Leistungen erhalten als auch solche, bei denen erst jetzt ein Bedarf aufgetreten ist, die also zum ersten Mal einen Antrag stellen. Dabei müssen nicht alle Kostenträger einzeln angegangen werden. Vielmehr muss der zuerst angefragte Kostenträger die Beteiligung der anderen zuständigen Kostenträger veranlassen. Auch die Leistungen werden nicht einzeln, sondern als so genannte trägerübergreifende Komplexleistung erbracht.

Das Persönliche Budget gilt in der Regel für einen Zeitraum von zwei Jahren. Danach erfolgt eine Neufeststellung. Treten Umstände ein, die gegen eine Fortsetzung des Budgets sprechen, kann es auch vor Ablauf der zwei Jahre jederzeit gekündigt werden. Dann erfolgt ebenfalls eine Neufeststellung und die Leistungen können anschließend wieder als Sachleistung bezogen werden.

Rechtliche Grundlagen für das Persönliche Budget sind das SGB IX (§ 17 Abs. 2-4, § 21a), das SGB XII sowie die Budgetverordnung. Letztere regelt das Verfahren und die Zusammenarbeit zwischen den Kostenträgern und der Person, die das Budget für sich in Anspruch nehmen möchte. Dabei wird sowohl in dem Budgetfeststellungsverfahren als auch besonders in der Zielvereinbarung der beantragenden Person eine mitgestaltende Rolle eingeräumt. Menschen mit Assistenz - und/oder Pflegebedarf erhalten somit im Vergleich zu früheren Feststellungsverfahren endlich eine aktivere Rolle in einem Prozess, dessen Ziel schließlich die Verbesserung ihrer persönlichen Situation ist.

Familienarbeit und Auszug aus dem Heim - hier wird es spannend

Die flächendeckende Einführung des Persönlichen Budgets als auch die Beteiligung der Menschen mit Behinderung im Feststellungsprozess sind ganz grundsätzlich sehr zu begrüßen.

Spannend bleibt es jedoch weiterhin bei der Frage, in wieweit sich gerade für Frauen mit Behinderung die Situation durch das Persönliche Budget verbessern lässt.

Denn sie sind leider immer noch in erster Linie für die Versorgung von Kindern, dem Partner oder dem Haushalt sowie für die Pflege von Angehörigen zuständig. Nur dass sie hierfür bisher nur sehr schwer eine entsprechende Unterstützung erhalten. Hier muss die Praxis zeigen, inwieweit bei der Umsetzung des Persönlichen Budgets frauenspezifische Belange berücksichtigt werden - wie es ja Paragraf 1 des SGB IX ausdrücklich vorsieht.

Auch bleibt abzuwarten, in welchem Umfang das Persönliche Budget tatsächlich den Auszug aus den Heimen ermöglicht. Für Menschen, die lange Zeit in Heimen gelebt haben, kann es ohne entsprechende Unterstützung sehr schwierig bis unmöglich sein, das Persönliche Budget - d.h. den entsprechenden Geldbetrag - selbst bedardsdeckend zu verwalten. Für diese Personengruppe wird von unterschiedlichen Behindertenverbänden die Einführung einer zusätzlichen Budgetassistenz gefordert. Diese Forderung wurde mit dem Argument der Kosten nicht in das Gesetz aufgenommen.

Fazit

Das Persönliche Budget bietet eine gute Chance in Richtung Selbstbestimmung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Leistungen bedarfsdeckend zuerkannt werden. Die relativ offene Gestaltung der Budgetverordnung bietet den Vorteil, dass über den individuellen Bedarf beraten, "verhandelt" werden kann. Somit ist Spielraum für passgenaue Lösungen. Die Gefahr in einer solch offenen Vorgabe liegt gerade in Zeiten des großen Sparens in den unter Umständen gegenläufigen Interessen von Kostenträgern und der beantragenden Person. Es empfiehlt sich auf alle Fälle, als beantragende Person gut informiert zu sein und den eigenen Bedarf genau zu kennen und zu benennen. Auch kann es nicht schaden, in die Verhandlungen eine Person des Vertrauens mitzunehmen.

Menschen mit Behinderung haben jahrelang für die Einführung des Persönlichen Budgets gekämpft. Jetzt werden die getroffenen Regelungen zwei Jahre lang bundesweit erprobt. Es ist, wie gesagt, eine Chance, die auch genutzt werden sollte.

Sollte sich allerdings während der Verhandlungen herausstellen, dass von den Kostenträgern lediglich Einsparungen vorgesehen sind, so gibt es immer noch die Möglichkeit, den Antrag zurückzuziehen.

Brigitte Faber

Eine kurze Übersicht über den Inhalt der Budgetverordnung sowie die Verordnung selbst gibt es unter www.weibernetz.de (oder für diejenigen ohne Internet-Zugang: bei uns im Büro). Eingehend mit dem Thema beschäftigt sich auch ForseA (Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.), www.forsea.de

Leicht Lesen

Diesen Text gibt es auch in leichter Sprache: http://bidok.uibk.ac.at/library/wzl-4-04-faber-budget.html

Quelle:

Brigitte Faber: Das Persönliche Budget - mehr Selbstbestimmung in Sicht?!

Erschienen in: WeiberZeit, Zeitschrift des Projektes "Politische Interessenvertretung behinderter Frauen" des Weibernetz e.V., Ausgabe 4/Juli 2004, S.5-6

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 20.04.2009

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