Der "Herr Doktor" ordiniert

Integration durch "Kunst machen"

Themenbereiche: Arbeitswelt
Schlagwörter: Erfahrungsbericht, Kunst
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: erschienen in bidok works 02/09, S. 4-6
Copyright: © Daniel Praxmarer, Ernst Forcher 2009

Vorwort der bidok-Redaktion

Dieser Artikel stammt aus "bidok works - Zeitschrift für berufliche Integration in Tirol", Ausgabe 02/09. Die digitale Zeitschrift widmet sich Erfahrungs- und Praxisberichten sowie Projektbeschreibungen rund um den Themenschwerpunkt der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung in Tirol. bidok works erscheint zwei Mal pro Jahr und richtet sich insbesondere an Mitarbeiter und MitarbeiterInnen in diesem Bereich.

Download von bidok works unter folgendem Link: http://bidok.uibk.ac.at/projekte/arbeitswelt_tirol/works.html

Der "Herr Doktor" ordiniert

Ernst Forcher hat eine körperliche Beeinträchtigung, die ihn nicht dran hindern kann, Farben und Formen in seinem Stil auf Papier, Leinen, Holz und Stein zu bringen. Die Kunst ist ihm sehr wichtig, inzwischen verdient er durch den Verkauf von Bildern Geld. Daher betont er immer wieder, dass das SEINE ARBEIT ist. Er geht jetzt "buggeln", wie er immer stolz im Dialekt sagt, wenn er wieder auf dem Weg ins Atelier ist.

Begonnen hat seine Künstlerkarriere vor ca. 15 Jahren als im Bezirkhauptort Reutte ein Malkurs durchgeführt wurde, an dem Ernst teilnahm. Sich kreativ mit Farben auseinander zu setzen gefiel ihm, er hat ein sehr gutes Gefühl für Farbe und Komposition. Deswegen wurde für ihn das Projekt Malen weitergeführt und der Leiter der Gruppe begann dann mit ihm zu malen.

Sein erstes Atelier hatte er in seinem Elternhaus. Seine Schwester - eine Physiotherapeutin - zog mit ihrer Praxis aus diesem Raum aus. Ernst gefiel es nicht, dass sich keine Praxis mehr in seinem Elternhaus befand und beschloss kurzer Hand, diese Praxis zu übernehmen. Wer eine Praxis führt ist ein Dr., so dachte er und mit der Übernahme des Raumes seiner Schwester entstand sein Künstlername: ‚Dr. Ernst Forcher'. Er bestand darauf, dass dieser Name in Form eines Praxisschildes bereits an der Tür sichtbar war. Diese Praxis wurde zu seinem eigenen Reich, in dem er selbstständig "ordinieren" konnte.

2004 übersiedelte sein Atelier nach Reutte in die Kursräume des Elternvereines Vianova. Bald darauf gab es dann auch die ersten Ausstellungen mit seinen Bildern.

Im Atelier hat Ernst Forcher eine eigene Ablaufprozedur entwickelt. Als Einstieg wird zuerst Kaffee gemacht, eine kleine Jause gegessen, über alltägliches geredet und eine seiner geliebten CDs angehört. Nach dieser Einstimmung wird der Arbeitsmantel angezogen, das zu bemalende Werkstück, Pinsel, Farben und Wasser her-gerichtet und dann kann es langsam losgehen.

Ernst Forcher muss sich auf das Malen einstellen und nimmt sich die dazu notwendige Zeit. Erst danach kann mit dem Malen begonnen werden. Wenn er malt vergisst er alles rund um sich und arbeitet sehr konzentriert.

Mit einem Stift wird zuerst vorgezeichnet, danach kommt erst die Farbe dazu, wobei wie es in einem künstlerischen Prozess üblich ist, mit der Farbe alles wieder auch überarbeitet wird und so das Gezeichnete teilweise wieder verschwindet und das Bild seine eigenen Wege geht. Ernst Forcher malt so wie es ihm passt, daher nimmt er auch keine Rücksicht darauf, was er eigentlich zuerst machen wollte. Der Prozess ist wichtig, in dem er ganz versunken ist und so lange malt und übermalt bis es für ihn dann schlussendlich stimmig ist.

In einem solchen, für ihn typischen künstlerischen Prozess lässt sich Ernst Forcher nur ungern unterbrechen. Selbst beendet er eine solche Schaffensphase nie, so muss der Assistent dann unterbrechen, weil die Arbeitszeit abgelaufen ist.

Das Thema wird vorher besprochen, manchmal gibt es aber auch einfach ein abstraktes Bild, wenn kein Thema in der Luft liegt, es kommt immer auf die Stimmung von Ernst Forcher an. So sind die Themen, die sich in der Kunst von Ernst Forcher wiederfinden ganz unterschiedlich: von Flug-zeugen, Motorrädern, Autos, Handys bis zu Clowns, Mäusen und Kühen malt er alles, was ihn gerade beschäftigt. Am Bild arbeitet er völlig eigenständig, er malt so wie es für ihn in diesem Moment gerade passt. Ab und an sucht er den Dialog mit dem Assistenten. Ihn fragt er dann mit welcher Farbe er weitermalen sollte. Letztlich greift Ernst aber immer zu der Farbe, mit der er von Beginn an arbeiten wollte.

Neben der malerischen Umsetzung beschäftigt sich Ernst Forcher vor allem auch mit Skulpturen. Seine Skulpturen sind in der Regel aus Holz. Sie entstehen in einem sehr eigenwilligen Prozess. Zuerst bemalt er einige Holzstücke. Danach werden diese Stücke zusammengesetzt: entweder geklebt, geschraubt oder genagelt mit der Unterstützung des Assistenten. Ernst Forcher bestimmt das Wie und Womit sie zusammen-gesetzt werden. Am Ende gibt er der Skulptur einen Titel, beim Malen ist dies der erste Schritt.

Der Assistent ist bemüht Ernst Forcher auch immer wieder neue künstlerische Arbeitstechniken vor zustellen. Ernst Forcher lehnt diese erst mal fast immer prinzipiell ab und probiert erst nach langem hin und her, zum Teil aus Neugierde sie dann kurz aus. In der Regel findet er Gefallen an diesen Techniken und erarbeitet sie sich sehr ehrgeizig. So war es auch beim Malen mit Buntstiften. Erst nach mehrmaligen Vorschlägen probierte er es aus vorgezeichnete Motive mit Buntstiften auszumalen. Am Anfang bereitete diese Technik ihm Schwierigkeiten, da er oft mit den Strichen über den vorgezeichneten Rand hinaus kam. Dies ärgerte ihn sehr, die Koordination seiner linken Hand bereitete ihm große Schwierigkeiten. Er blieb aber hartnäckig dabei, übte Blatt für Blatt weiter und durch seinen Ehrgeiz entwickelte er eine erstaunliche Feinmotorik. Mit der Zeit malte er dann genau der Linie entlang, nichtsging mehr darüber hinaus und er war sichtlich und zu Recht stolz auf diese Leistung. Er freut sich jetzt immer über die exakt gemalten Bilder, die durch das intensive Üben entstanden sind. Inzwischen gehört die Stiftzeichnung zu seinem Repertoire an Techniken.

Ernst Forcher favorisierte Technik ist die Malerei mit Acrylfarben. Sein Kunststil ist schwer zu beschreiben. Es finden sich in ihm Elemente der naiven aber auch der abstrakten Malerei. Ernst Forcher konnte sich die Fähigkeit erhalten wie ein Kind zu malen. In dem er nach Gefühl, ohne zu viel vom Kopf gesteuert zu sein malt. Somit hat er Picasso einiges voraus, der ja gegen Ende seines Lebens über sein letztes künstlerisches Ziel gesagt hat, "er möchte wieder so malen können wie Kinder es tun".

Inzwischen hat sich Ernst Forcher in seiner Heimat einen Namen als Künstler machen können. Es ist ein Dialog zwischen ihm und anderen Künstlern entstanden, er besucht Symposien und Ausstellungen anderer Künstler. Letztes Jahr nahm er auch bei einem Bilderrondo des Reuttener Kulturvereines "Huanza" teil, wo er am Kirchplatz eine große Tafel künstlerisch gestaltete. Kürzlich war er in Bremen bei den Blaumeiern. Sie haben eine Theater- und Atelierwerkstatt, dort hat Ernst Forcher zusammen mit seinen Assistenten an dem angebotenen Programm teilgenommen. Eine Reihe von Anregungen hat er wieder mit nach Reutte genommen für seine künstlerische Arbeit.

Man darf also gespannt sein, wie sich die Künstlerkarriere von ‚Dr. Ernst Forcher' weiter-entwickeln wird.

Kontakt

‚Dr. Ernst Forcher'

Künstler

Bielefeld 76

6644 Elmen

Tel.: +43 (0)676 55 374 51

dr.ernst.forcher@gmail.com

Daniel Praxmarer

Bildhauer und Kunsttherapeut

Assistent

Hauptstraße 165

6651 Häselgehr

Tel.: +43 (0)676 61 533 12

daniel@holz-bildhauer.at

www.holz-bildhauer.at

VIANOVA - Elternverein für die Integration von Menschen mit Behinderung

Mühlerstraße 12

6600 Reutte

Tel.: +43 (0)5672 624 86

www.vianova-austria.at/

Titelbild: Strand

Quelle:

Daniel Praxmarer, Ernst Forcher: Der "Herr Doktor" ordiniert. Integration durch "Kunst machen".

erschienen in bidok works, Ausgabe 02/09

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 18.05.2011

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