Lebenssituationen Gehörloser Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus in Tirol

Autor:in - Andrea Runggatscher
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Institut für Erziehungswissenschaften, Innsbruck 2003, eingereicht bei A. Univ. Prof. Dr. Volker Schönwiese
Copyright: © Andrea Runggatscher 2003

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

Inhaltsverzeichnis

vor(dem)wort

vor dem wort auf papier im computer eingetippt, einer leserInnenschaft preisgegeben, einer bewertung ausgesetzt.

vor dem wort - wörter

gedachte - geschriebene von hand - besprochene - verworfene - befragte - gelesene

ängste

 

illusionen eigenansprüche fragen interesse verlorenes interesse

 

pausen (sehr lang) gespräche wiedergefundenes interesse

 

literatursuche frustration kontaktaufnahmen beruhigungen fehlstarts

 

fehleinschätzungen einschränkungen

 

ängste und neugierde

 

April 2001

"Die uns bekannte Zeit gliedert sich in Früher und Später, Jetzt und GLEICH; DEMNÄCHST und VORHIN, GESTERN und HEUTE, MORGEN, BALD, SCHLIESSLICH, EINMAL, ENDLICH, ZULETZT, EINST, BISLANG und UNTERDESSEN. Dennoch hat jeder dieser Zeitpunkte einmal in einem NUN stattgefunden und wird einmal ein DAMALS sein, nach längerer Zeit sogar ein diffuses IRGENDWANN oder, etwas altmodischer ausgedrückt, ein DERMALEINST. Wie ist das möglich? Kaum zu sagen. Sicher ist nur, daß die Dimensionen miteinander vertunnelt sind. Die Ein- und Ausgänge dieser Tunnel sind die Dimensionslöcher. Durch diese Tunnel fließt die Zeit zwischen den Dimensionen hin und her, womöglich eine Antwort auf die große Frage, wie es kommt, daß die Zeit entschwindet, aber dennoch immer anwesend ist."[1]

Die Ratschläge verwerfend, das Vorwort am Ende der Arbeit zu schreiben und dann voranzustellen, beginne ich damit.

Dermaleinst, vor ungefähr einem Jahr, fällte ich die Entscheidung für das Thema meiner Diplomarbeit. Der an der Universität eingereichte Arbeitstitel heißt: "Die Lebenssituation von gehörlosen Frauen und Männern zur Zeit des Nationalsozialismus in Tirol." DAMALS fielen mir die Fehler und Fehleinschätzungen, die der Arbeitstitel beinhaltet nicht auf. Erst SPÄTER, nach einer eher frustrierenden Literaturrecherche - es ist mir bis JETZT nicht möglich gewesen, Literatur zu finden, die sich explizit mit der/n Geschichte/n Gehörloser während des Nationalsozialismus in Tirol oder Österreich beschäftigt, nach vielem Nachdenken und nicht ZULETZT nach vielen Gesprächen mit Freundinnen, bemerkte ich den ersten Denkfehler:

Ein wichtiger Bestandteil meiner Diplomarbeit sollen die Vorbereitung und Durchführung von Interviews mit gehörlosen Frauen und Männern sein, die die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt haben. BISLANG stellte ich mir die InterviewpartnerInnen ausschließlich als Erwachsene zur Zeit des Nationalsozialismus vor. Dies spiegelt auch der Arbeitstitel wieder.

Die Machtergreifung der NSDAP in Tirol fand im Frühjahr 1938 statt.[2]

Die möglichen InterviewpartnerInnen müßten spätestens im Jahr 1920 geboren sein. SPÄTER geborene erlebten die Zeit der Machtübernahme und des darauf folgenden "Dritten Reichs" als Kinder oder Jugendliche. Diese Einschränkung von InterviewpartnerInnen nach Geburtsjahrgängen liegt aber nicht in meinem Interesse. Mich interessieren erinnerte Lebensgeschichten und Erfahrungen an diese Zeit, egal in welchem Alter die jetzt alten Frauen und Männer DAMALS waren.

Ein zweiter Fehler im Arbeitstitel bezieht sich auf den Singular der "Lebenssituation" im Verhältnis zum Plural der "gehörlosen Frauen und Männer".

Übersetzt bedeutet diese Aussage: Es gibt eine verallgemeinerbare Lebenssituation von mehreren Personen, deren einzige vorangenommenen gemeinsamen Merkmale die Diagnose Gehörlosigkeit, kommunizierbare Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus und der damalige Aufenthaltsort Tirol sind.

"Situation [ ]: 3. die Gesamtheit der äußeren Bedingungen des sozialen Handelns u. Erlebens (Soziol.)."[3]

Der Versuch der Beschreibung einer Lebenssituation kann sich meines Erachtens immer nur auf eine einzelne Person beziehen. Die äußeren Bedingungen im Leben der Menschen unterscheiden sich im Detail gesehen immer. Als ein Beispiel führe ich die Kategorie "Geschlecht" an. Frauen und Männer sowie Mädchen und Buben erfahren unterschiedliche Anforderungen, Erwartungen, Möglichkeiten, Beschränkungen, Bewertungen usw. in ihrem jeweils unterschiedlichen Umfeld. Diese "Rollenzuschreibungen" - wie Mädchen/Frauen bzw. Buben/Männer sein sollen - variieren wiederum entsprechend dem historischen und sozialen Kontext, in dem sie aufwachsen und leben.

ZeitzeugInnen bezeugen die Zeit.

Lebensgeschichtlich geführte Interviews holen vergangene Erfahrungen in die Gegenwart. Das individuell Erlebte wird Teil einer Geschichtsschreibung.

Das Erzählen einer anderen Person von Eigenerlebtem ist meiner Meinung nach bestimmt von Auslassungen, Verschiebungen und Verzerrungen von Seiten der ErzählerIn und von Seiten der ZuhörerIn. Es gewährt subjektiv geprägte Einblicke in Lebensgeschichten.

Diese subjektiv geprägten und ausgewählten Einblicke in das Leben von Frauen und Männern werden Schwerpunkt meiner Diplomarbeit sein.

mit dem wort

dem gewicht der vergangenheit in der gegenwart

eine wichtigkeit einräumen



[1] Moers 1999, 265.

[2] vgl. Walser 1982, 257 ff.

[3] Duden 1982, 706.

EINLEITUNG

Schwerpunkte in der Diplomarbeit

Die gesamte Arbeit gliedert sich in zwei Schwerpunkte:

  1. Entwicklung der Interviewführung mit gehörlosen ZeitzeugInnen und der Interviewinterpretation

  2. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Erarbeitung sozialhistorischer Einblicke in die Lebensfelder der gehörlosen InterviewpartnerInnen

Der relativ umfangreiche Methodenteil ergibt sich dadurch, daß die Interviewführung mit Gehörlosen noch nicht sehr oft erprobt worden ist und ich daher nur auf wenig Literatur zurückgreifen kann.

Die schriftliche theoretische Auseinandersetzung und Vorbereitung der Interviewführung ergänze ich mit der Verschriftlichung der praktischen Durchführung (Verlaufsprotikolle). Fragen und Problemstellungen, die erst in der Interviewsituation auftauchen, können so nochmals bearbeitet werden und damit ein Feld zur weiteren Erkenntnisgewinnung darstellen.

Im zweiten Teil der Arbeit beschäftige ich mich mit dem eigentlichen Thema: Den Lebenssituationen von Gehörlosen zur Zeit des Nationalsozialismus in Tirol.

Um diese jeweiligen Lebenssituationen in einen sozialhistorischen Kontext stellen zu können, setze ich mich einerseits mit den für die Gehörlosen relevanten Institutionen (wie z. B das "Taubstummeninstitut" in Mils und die Hitlerjugend) und andererseits

mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und dessen Bedeutung für die Gehörlosen auseinander.

Formale Erläuterungen

Personengruppen die Frauen und Männer beinhalten werden im Text mit dem "Binnen-I" gekennzeichnet (z. B LehrerInnen, InterviewpartnerInnen). Dies betrifft nicht die Zitate.

Die drei verschiedenen Textarten ("normaler" Text, Zitate aus der Literatur, Zitate aus den Interviews) sind durch unterschiedliche Schriftarten gekennzeichnet.

INTERVIEWFÜHRUNG

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Immerzeit

Nicht wissen

wie die Minuten

verrinnen

Tage

einander verfolgen

Häßliche

schöne

Immerzeit

distelumrankt

Rose Ausländer[4]

Vorbereitung der Interviews

Eine Annäherung

Eines war von Beginn an klar: Ich möchte ZeitzeugInnen befragen.

Ich möchte wissen, was war hier in Tirol.

Was mußten gehörlose Menschen miterleben. Was haben sie erfahren. Wie und durch welche Mittel waren sie bedroht. Was haben sie inhaltlich mitgetragen. Welches Wissen hatten sie um Widerstand. Wie waren sie daran beteiligt. Was hat sich im Nationalsozialismus verändert. Was waren die ganz persönlichen Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus. ...

Fragen über Fragen sammelten sich in meinem Kopf. Zuerst immer in Bezug auf erwachsene gehörlose Frauen und Männer. Erwachsene zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Frauen und Männer, die ich befragen werde, waren damals aber Kinder oder Jugendliche und meine Fragen mußten sich zum Teil ändern. Welches Kind kann sich an einem Widerstand beteiligen?

Gleichzeitig beschäftigten mich aber noch andere Fragen:

Wie finde ich InterviewpartnerInnen? Wer ist bereit, mir ihre/seine Geschichte zu erzählen? Und warum? Ich bin hörend und 1964 geboren. Ich habe weder die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt, noch teile ich die Erfahrung der Gehörlosigkeit in einer hörenden Welt. "Interviews mit gehörlosen ZeitzeugInnen sollten in der vertrauensbildenden Sicherheit zwischen zwei Gehörlosen geschehen, nicht zuletzt aus Gründen der Sprache, in der das Interview geführt wird."[5]

Welches Vertrauen kann es in mich geben?

Welche Kommunikationsmittel stehen für ein Interview zur Verfügung?

Ziemlich bald in meiner Auseinandersetzung mit dem Thema entschied ich mich für die Durchführung narrativer Einzelinterviews. Ich gehe davon aus, daß für viele Gehörlose die Gebärdensprache das entsprechende Kommunikationsmittel ist. Lautsprache und Lippenlesen und die von der Lautsprache abgeleitete Schriftsprache sind in dieser Annahme als Fremdsprache zu verstehen.[6]

Zusätzlich zu diesen inhaltlichen Überlegungen interessieren mich erzählte Lebensgeschichten, liebe ich Gesprächssituationen und wünsche mir den persönlichen Kontakt mit den ZeitzeugInnen.

Neben der Sorge, keine InterviewpartnerInnen zu finden, suchte ich noch Antworten auf folgende Überlegungen zu finden:

Wie können Fragen gestellt werden, die zum Erzählen anregen, und welches Vorwissen über den Nationalsozialismus in Tirol brauche ich? Wie kann eine Interaktion zwischen mir und meiner InterviewpartnerIn entstehen, wenn ich aufgrund meiner nur marginalen Gebärdensprachkenntnisse nicht direkt, sondern mittels einer Gebärdensprachdolmetscherin kommunizieren muß? Wie sollen wir sitzen, daß es Augenkontakt zwischen mir und der InterviewpartnerIn gibt? Welche Rolle spielt die Dolmetscherin und was muß ich mir dazu überlegen?

Die mir bekannte und weit verbreitete Methode Interviews festzuhalten, sind Tonbandaufzeichnungen, die im Anschluß transkribiert werden.

Tonbandaufzeichnungen der Interviews geben aber nur die gesprochenen Worte von mir und der Dolmetscherin wieder, die ZeitzeugInnen selbst bleiben "unsichtbar".

Gefühlsregungen während des Erzählens könnten zum Beispiel nur über ein Zusatzprotokoll festgehalten werden. Dies würde mich wiederum hauptsächlich in die Position einer Beobachterin bringen und meine Aufmerksamkeit auf eine möglichst vollständige Mitschrift konzentrieren. Diese Situation kann meiner Meinung nach die InterviewpartnerIn verunsichern, irritieren und am Erzählen hindern. Ich möchte aber versuchen Rahmenbedingungen zu schaffen, die einerseits meinen InterviewpartnerInnen ein Gefühl des "Aufgehoben-Seins" geben und andererseits mir ermöglichen mich anteilnehmend am Gespräch zu beteiligen.

Aufgrund dieser Überlegungen entschied ich mich dafür, die Interviews mit einer Videokamera aufzuzeichnen.

Der Einsatz von Videoaufzeichnungen bietet die einzige Möglichkeit, Originaldokumente zu erlangen und zu archivieren.

Die Videoaufnahmen bieten auch den Vorteil, die Interviewsituation und die Interaktion zwischen ErzählerIn, Interviewerin und Dolmetscherin zu reflektieren.

Videoaufzeichnungen bedeuten aber auch einen Verlust der Anonymität meiner InterviewpartnerInnen und es braucht genaue Vereinbarungen über Verwendung und Aufbewahrung der Videobänder.

Die Entscheidung für Videoaufnahmen stellte mich auch vor technische Probleme: Wie muß die Kamera optimalerweise aufgestellt werden? Drei Personen sind am Interview beteiligt - wen und was soll die Kamera erfassen? Wie sollen wir sitzen? Ist es nötig, zwei Kameras zu verwenden?

Aber auch die Frage nach der Bezahlung der Dolmetscherinnen und Videomaterialien beschäftigten mich.

Anhand dieser Problemstellungen versuchte ich mich auf die Interviews vorzubereiten - mittels Literatur, Gesprächen, dem Ausprobieren von Interviewsituationen mit Freundinnen und Subventionsansuchen für die Übernahme der entstehenden Kosten.

genau geplant

gut vorbereitet

brachten die Interviews

Überraschungen und Unvorhergesehenes.



[4] Ausländer 1994, 125.

[5] Krausneker 1999, 11.

[6] vgl. Keckeis 1996/97, Lehrveranstaltungsmitschrift.

Methode

Interviewführung

Ich möchte narrative Interviews mit gehörlosen ZeitzeugInnen, aber auch, soweit es möglich ist, mit Lehrpersonal, das zur Zeit des Nationalsozialismus im Milser "Taubstummeninstitut" unterrichtet hat, durchführen.

Da narrative Interviews mit gehörlosen Menschen noch nicht sehr oft erprobt worden sind und ich auch keine Literatur über die Durchführung der Interviews mit einer DolmetscherIn finden konnte, werde ich mich in diesem Kapitel eingehend mit methodischen Überlegungen zur Interviewführung beschäftigen.

Ich werde theoretische Ansätze aus der Literatur anführen und ergänzend dazu versuchen, eine Methode für die Interviewführung mit DolmetscherIn auszuarbeiten.

Zusätzlich werde ich Gedächtnisprotokolle über die ersten Kontakte mit den InterviewpartnerInnen und den Dolmetscherinnen, sowie über die Interviewsituationen anfertigen. Die Gegenüberstellung der erarbeiteten Vorüberlegungen mit den real gemachten Erfahrungen finde ich einerseits sehr spannend, andererseits nehme ich an, daß sie mich zu weiteren Erkenntnissen führen kann.

Die Vorbereitung der Interviews ist mir auch deshalb ein großes Anliegen, da meine InterviewpartnerInnen mir ihr Wissen und ihre Erfahrungen über einen Teil ihres Lebens anvertrauen werden und ich sie so gut als möglich bei diesem Prozeß begleiten möchte.

Mich interessieren die Erinnerungen der jetzt alten Frauen und Männer. Mich interessieren gelebte Leben innerhalb der Bedingungen äußerer Umstände.

"Ein großer Teil der frühen Gehörlosengeschichte kann als elitär beschrieben werden: Geschichte von weißen, meist hörenden Männern, die die Leitung oder Kontrolle über Kirchen, Schulen, Organisationen und Institute verschiedener Art innehatten, die sich mit Gehörlosigkeit oder Gehörlosen befaßten. [...] Da diese elitäre Geschichtskenntnis von geschriebenen Dokumenten abhängig ist, ignoriert sie folglich die historischen Erinnerungen eines großen Teils der Gehörlosengemeinschaft, die mittels Gebärdensprache kommuniziert. Um einen Überblick der Geschichte unterrepräsentierter gebärdender Einzelpersonen zu erhalten, ist es nötig, sich anderen Methoden der Geschichtsforschung zuzuwenden, hauptsächlich den per Video aufgezeichneten Oral History-Interviews."[7]

Interviewführung - Theorie

In meiner theoretischen Auseinandersetzung mit der Interviewführung stütze ich mich hauptsächlich auf Rosenthal[8], Glinka[9], Bernart & Krapp[10], Schütze[11] und Schuchman[12].

Oral History

Ein kurzer Abriß

"Die Methode hält eine Gesprächssituation fest, in der eine Person unter Leitung eines Interviewers ihre Erinnerungen an frühere Ereignisse oder Menschen erzählend wiedergibt."[13]

Oral History ist eine der ältesten Überlieferungsformen historischer Begebenheiten.

Aber erst ab dem 2. Weltkrieg hat diese Methode mit dem Historiker Allan Nevins aus den Vereinigten Staaten einen weitverbreiteten Aufschwung erfahren. Er hat erstmals Interviews mit einem Tonbandgerät aufgenommen, um eine schriftliche Bestandsaufnahme zu ergänzen und zu dokumentieren. In den frühen 50er Jahren war es sein Interesse, die Erinnerungen hochgestellter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft auszuwerten. Später wuchs aber mehr und mehr das Interesse von HistorikerInnen an den Erinnerungen von Minderheiten und marginalisierten Gruppen.

"Die mit Hilfe dieser Methode erzielten Forschungsergebnisse sind nicht besser oder schlechter als jene durch Auswertung schriftlicher Quellen gewonnenen. Historiker unterziehen alle Quellen, seien es mündliche oder schriftliche, zwei Testfragen: Sind sie authentisch? Sind sie glaubwürdig? Soweit mündliche Berichte diesen Überprüfungen standhalten, sind sie genau so zuverlässig wie schriftliche."[14]

Obwohl im Terminus "Oral History" der Begriff "Oral" (den Mund betreffend) inbegriffen ist, ist das Leitwort des Terminus "History" (Geschichte - im historischen Sinn).

Von dieser Schwerpunktsetzung ausgehend ist es egal, ob die Erinnerungen in Lautsprache (gesprochene Sprache) oder in Gebärdensprache vermittelt werden.

"Ob die Verständigung dabei über gesprochene Sprache oder Gebärdensprache läuft, ist nebensächlich. Von Bedeutung ist allein der Inhalt der Erinnerungen."[15]

Trotz dieser Definition von "Oral History", weist der Begriff darauf hin, daß er der Lautsprache entnommen ist. Für Interviews mit gehörlosen ZeitzeugInnen deren Kommunikationsmittel die Gebärdensprache ist, ziehe ich daher den Begriff "Signed History"[16] vor.

Die Interviews mit gehörlosen ZeitzeugInnen sind wichtige Beiträge meiner Forschung. Sie bilden eine Verknüpfung und eine Erweiterung der Ergebnisse der Literatur- und Archivrecherche.

"So sollten sich Historiker um zwei Arten von Dokumentation kümmern, wenn sie nach Zeugnissen zum Erbe der Gehörlosengemeinschaft suchen: erstens, um traditionelle schriftliche Quellen und zweitens, um mündliche (gebärdete) Quellen, nämlich Interviews nach der Methode der Oral History [...].[17]

Das narrative Interview

Das narrative Interview ist eines der Verfahren der Biographie- und Lebenslaufforschung.

Die Biographie- und Lebenslaufforschung ist eine Methode, die einen Einblick in das soziale Leben ermöglichen soll. Dieser Einblick soll möglichst umfassend sein, die Eigenperspektive der handelnden Subjekte thematisieren und historische Dimensionen berücksichtigen.[18]

Fritz Schütze entwickelte das Konzept der "narrationsstrukturellen Lebensweltanalyse". Er geht hierbei von einer Alltagskompetenz des Erzählens aus.

"Als einer der ersten versuchte Schütze, eine in der Soziologie bislang weitgehend brachliegende menschliche Fähigkeit für die Sozialforschung zu nutzen: die Fähigkeit des Erzählens. Schütze wollte diese narrative, schichtübergreifende Kompetenz zur Abbildung von Handlungsabläufen einsetzen. Der Eingriff in das umgangssprachlich gehaltene Gespräch von Seiten des Interviewers ist hierbei gering."[19]

Bei dieser Form der Interviewführung soll die InterviewpartnerIn motiviert werden, ihre Erinnerungen in Form von Geschichten zu erzählen. Die Fragen müssen so ausgewählt werden, daß es nicht zu einem Wechselspiel zwischen Frage und Antwort kommt, sondern die InterviewpartnerIn angeregt wird, sich von den eigenen Erinnerungen leiten zu lassen und diese Erinnerungen der InterviewerIn mitzuteilen.

Die eigene Geschichte in Form von Geschichten zu vermitteln setzt die Bereitschaft der ErzählerIn voraus, Eigenerlebtes weiterzugeben und sich zu öffnen. Geschichten aus dem Leben zu erzählen bedeutet sich zurückzuversetzen in erlebte Begebenheiten und damit möglicherweise auch in die damals erlebte und jetzt erinnerte Gefühlswelt.

"Beim Forschungsverfahren ,narratives Interview' gehen wir also davon aus, daß die Dynamik des Erzählvorgangs die retrospektiven Vorstellungen des Erzählers in Gang setzt und ihn noch einmal in die damaligen Handlungs- und Erleidenssituationen versetzt."[20]

Es bedarf daher einer Atmosphäre des Vertrauens und der Vertrautheit.

Ich glaube, die wichtigsten Voraussetzungen, die die InterviewerIn mitbringen muß, sind Respekt vor den InterviewpartnerInnen und deren erinnerten Lebensgeschichten und Interesse daran, wie die Menschen ihre Welt erlebt haben.

"Lebensgeschichten dürfen niemals angezweifelt oder korrigiert werden: es hat immer einen Grund, warum Menschen von ihnen Erlebtes so und nicht anders darstellen. [...] Die Geschichten sind so gültig, wie sie erzählt werden, man muß sie so respektieren."[21]

Interesse und Respekt, aber auch Toleranz gegenüber den erzählten Lebensgeschichten der InterviewpartnerInnen sind meiner Meinung nach Voraussetzungen für die Durchführung der Interviews. Außerdem sollte die Sinnhaftligkeit der Interviews für die InterviewpartnerInnen transparent sein: Sie haben etwas zum Weitergeben. Ihr Wissen, ihre Erfahrungen sind relevant.

Werner Fuchs beschreibt noch weitere mögliche Motive für Befragte ein Interview zu geben: Motive können darin liegen:

  • es als Ehre zu empfinden, einen Beitrag für ein wissenschaftliches Projekt zu leisten

  • der ForscherIn als Person helfen zu wollen "[...] so wie man auf der Straße einem Fremden hilft, der nicht in der Lage ist, den defekten Reifen seines Autos selbst zu wechseln."[22]

  • daß ein gemeinsames Interesse von InterviewerIn und InterviewpartnerIn am Interview besteht

  • daß die InterviewpartnerIn ein eigenes Interesse am Interview hat, welches vom Interesse der InterviewerIn abweicht - wie zum Beispiel das Erlangen von Einsichten in Handlungsmuster oder die Bezahlung für ein Interview.

Geschichten aus dem eigenen Leben zu erzählen bedeutet auch, daß die ErzählerIn - bewußt oder unbewußt - auswählt, was ihr wichtig ist. "Jeder Mensch wählt eine ihm selbst logische und sinnvolle ,Version' seines Lebens aus."[23]

Der Ablauf des narrativen Interviews

  1. Die Kontaktaufnahme und das Erstgespräch

  2. Das Interview

  3. Die Transkription des Interviews

  4. Die Auswertung

Die Kontaktaufnahme und das Erstgespräch

Glinka beschreibt in seinem Buch zwei Möglichkeiten der Kontaktaufnahme:[24] Die ForscherIn setzt sich mit der potentiellen InterviewpartnerIn direkt in Verbindung, oder sie nimmt Kontakt mit einer Person auf, "[...] in der Funktion eines zentralen Akteurs oder eines sogenannten ,Experten' innerhalb der sozialen Welt, die mit unserem Themenbereich erfaßt werden soll [...]"[25]. Diese Person kann in der Lage sein, einen ersten informellen Kontakt zu der zu befragenden Gruppe herzustellen. Glinka führt als Beispiel SozialarbeiterInnen oder Pfarrer an.

"Eine solche Person wird uns erste Adressen nennen und möglicherweise in ihrer Mittlerfunktion eine erste Plattform für eine solide Vertrauensbasis zwischen uns und dem potentiellen Informanten grundlegen können."[26]

Nach der Anfrage für das Interview ist es günstig, mit der InterviewpartnerIn ein Vorgespräch zu führen. Hier kann ein erstes Kennenlernen stattfinden und das Forschungsvorhaben vorgestellt werden. Die Rahmenbedingungen des Interviews können besprochen und demographische Daten erhoben werden.

"Die eigentliche Interviewzeit sollte dem Erzählen und Nachdenken vorbehalten bleiben."[27]

In diesem ersten Gespräch geht es zunächst darum, der InterviewpartnerIn das Anliegen der ForscherIn nahezubringen. Dies erfordert ein behutsames Vorstellen des Forschungsprojektes und der Erklärung, warum gerade sie mit ihren Erzählungen einen wichtigen Beitrag für das Forschungsvorhaben leisten kann. Es ist von Bedeutung, daß die InterviewpartnerIn erkennen kann, daß sie als ZeitzeugIn einen Wissensvorsprung gegenüber der InterviewerIn hat.

"Der zukünftige Erzähler muß ein Gefühl dafür entwickeln können, daß gerade er auf dem Hintergrund seiner besonderen und für uns forschungsrelevanten Erfahrungsaufschichtung eine Geschichte erzählen kann, die niemand außer ihm so erzählen könnte. Und er müßte sich bereit erklären können, uns ein paar Stunden seiner Zeit zu schenken, er müßte Erinnerungsarbeit leisten und uns an seinem Wissen teilhaben lassen, an seinen Erfahrungsbeständen, über die wir so gut wie nichts wissen."[28]

Schuchman plante Interviews mit Mitgliedern des Happy Hands-Club (einer Vereinigung gehörloser SeniorInnen in Virginia). Er führte die Vorgespräche in Form von Hausbesuchen und schreibt dazu: "Hauptsächlich diente jener Hausbesuch jedoch dazu, eine persönliche Beziehung zum Interviewpartner herzustellen, ohne den Druck, ein komplettes Interview während dieser Zeit abliefern zu müssen. Die anfängliche Reaktion der meisten Gesprächspartner bestand in der Behauptung, sie hätten doch gar nichts ,Interessantes' oder ,Wichtiges' für ein Geschichtsinterview zu berichten. Diese Antwort bot mir die Gelegenheit, die Methode der Oral History und den wertvollen Beitrag zu erläutern, den man erhielt, wenn die Vergangenheit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet würde [...].[29]

Es ist auch wichtig, die Rahmenbedingungen für das Interview zu besprechen. Die angefragte ZeitzeugIn kann sich so auf die besondere Situation des Interviewt-Werdens einstellen und hat auch die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen mitzubestimmen bzw. sich auch gegen ein Interview zu entscheiden.

Die Rahmenbedingungen sollten so gestaltet sein, daß sie für die InterviewpartnerIn transparent sind und eine geschützte Interviewsituation ermöglichen.

  • Der ausgewählte Ort sollte der InterviewpartnerIn vertraut sein und die Anwesenheit anderer Personen ausschließen.

  • Der Termin sollte so gewählt werden, daß kein Zeitdruck entsteht. Bei älteren InterviewpartnerInnen ist zusätzlich darauf zu achten, daß das Interview nicht länger als zwei Stunden dauert. Es ist daher von Vorteil nachzufragen, ob bei offen gebliebenen Fragen noch ein zweiter Interviewtermin möglich ist.

  • Die InterviewpartnerIn muß über die Dokumentationsform aufgeklärt werden. (Bei meinen Interviews handelt es sich um Video- und Audioaufzeichnungen mit anschließender Transkription.) Es muß auch genau vereinbart werden, was mit diesen Originaldokumenten geschieht (z.B Verwendung für die Diplomarbeit) und wie sie weiter verwendet und archiviert werden. Eine Möglichkeit dafür ist die Aufsetzung eines Vertrages.[30]

  • Es ist muß abgeklärt werden, ob die InterviewpartnerIn eine Anonymisierung der Daten wünscht.

  • Es ist wichtig, daß die InterviewpartnerIn darüber informiert wird, welche Personen zusätzlich am Interview beteiligt sind, wie z. B eine DolmetscherIn.

  • Es kann vereinbart werden, daß die InterviewpartnerIn zum Interview historische Dokumente mitbringt. (Fotos, Urkunden...)

  • Die InterviewpartnerIn soll darüber aufgeklärt werden, daß es sich um Stegreiferzählungen handelt und sie sich nicht wie auf ein Referat vorbereiten muß.

  • Noch offene Fragen und Unsicherheiten von seiten der InterviewpartnerIn können besprochen werden.

Die Interviewführung

"Wenn wir jemanden um die Erzählung seiner Lebensgeschichte oder von Phasen seines Lebens bitten und ihn dabei in der Weise unterstützen möchten, daß er sich einem Erinnerungs- und Erzählfluß ohne weitere Anstrengung überlassen kann, sollten wir über spezifische Techniken und Kompetenzen der Gesprächsführung verfügen."[31]

Die Rolle der InterviewerIn ist vor allem die einer aufmerksamen und sensiblen, aber auch zurückhaltenden ZuhörerIn, und es sollte ihr gelingen, erzählgenerierende Fragen zu stellen. Wenn schwierige oder schmerzliche Themen zur Sprache kommen, ist ein anteilnehmendes Zuhören und - falls notwendig - behutsames Nachfragen besonders wichtig.

Die folgenden Ausführungen sollen unterstützend für die InterviewerIn sein, ich bin aber der Meinung, daß es im Ermessen der InterviewerIn liegt, die Vorgehensweise zu verändern - sei es auf Grund inhaltlicher Überlegungen oder weil es sich aus der Interviewsituation ergibt.

Zunächst ist es wichtig, daß die InterviewerIn einige Vorbereitungen trifft, damit das Interview selbst so wenig als möglich gestört wird. Die technischen Geräte werden aufgestellt und eingerichtet, Ersatzbatterien und -kassetten liegen in Reichweite der InterviewerIn.

Zu beginn des Interviews werden die DolmetscherIn und die InterviewpartnerIn einander vorgestellt.

Nach der Begrüßung und einer Anfangsplauderei ist es mir wichtig, der InterviewpartnerIn kurz den Ablauf des Interviews zu erklären, um Irritationen zu vermeiden: "Ich werde Sie bitten, mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Ich werde Sie dabei auch nicht unterbrechen, mir aber Notizen zu Fragen machen, auf die ich dann später eingehen werde. Wenn Sie bereit sind, schalte ich jetzt das Aufnahmegerät ein."

Das Interview gliedert sich in drei Phasen:

  1. Erzählaufforderung

  2. Haupterzählung

  3. Erzählgenerierendes Nachfragen

Erzählaufforderung

Die Erzählaufforderung löst die Phase der Haupterzählung aus.

Der Autobiograph / die Autobiographin wird "[...]mit einer relativ allgemein gehaltenen Erzählaufforderung um die Erzählung seiner Lebensgeschichte oder bestimmter Phasen und Bereiche seines Lebens gebeten [...].[32] Mit der Erzählaufforderung soll der Erzählstimulus gesetzt werden.[33] Glinka beschreibt, daß hier der prozessuale Ablauf der Stegreiferzählung und eine eindeutige Aufforderung zum Erzählen transportiert werden soll. Unmittelbar darauf erfolgt die Redeübergabe an die InterviewpartnerIn.

Haupterzählung

"Nachdem der Informant das Handlungsschema ,Erzählen' ratifiziert und mit dem Erzählen seiner Geschichte begonnen hat, ist im Interviewverfahren vorgesehen, daß wir ihn ohne thematische Interventionen unsererseits bis zum natürlichen Ende seiner Geschichte erzählen lassen. Diese Phase des Interviews nennen wir die Haupterzählung."[34] Die Gestaltung der Erzählung ist der InterviewpartnerIn überlassen und wird nicht durch Zwischenbemerkungen oder Zwischenfragen von Seiten der InterviewerIn gelenkt.

"Jede Frage unterbricht den Fluß der Erinnerung und fordert zu einer Orientierung an den Relevanzen des Interviewers auf. Damit wird der Erinnerungsprozeß für den Erzähler mühsam: Er kann nicht darüber erzählen, was ihm aus dem Gedächtnis vorstellig wird, sondern muß sich auf die Suche nach Erinnerungen machen, die den Interviewer interessieren."[35]

Werden der Erzählstrom, aber auch Nachdenkpausen nicht unterbrochen und spürt die ErzählerIn ein aufmerksames, anteilnehmendes Zuhören, kann sie sich zunehmend den Erinnerungen überlassen und im Gedächtnis tauchen mehr und mehr Einzelheiten und Erlebnisse auf.[36]

Blickkontakt, Mimik, Körperhaltung und parasprachliche Signale versichern der InterviewpartnerIn das Interesse am Erzählten.

An dieser Stelle möchte ich auf die Besonderheit der Interviewsituation mit einer DolmetscherIn hinweisen. Die Rollen der DolmetscherIn und der InterviewerIn sollen klar definiert und aufgeteilt sein, ein entsprechende Anordnung der Sitze ist von großer Bedeutung für das Interview.[37]

Kommt es zu Stockungen in der Erzählung, können erzählauffordernde Fragen, wie z. B: "An was können Sie sich sonst noch erinnern?" oder das Paraphrasieren des Erzählten gesprächsfördernd wirken.[38]

Bei schmerzlichen Themen in der Erzählung, in denen auch Gefühle reaktualisiert werden, braucht es eine besondere Unterstützung der ErzählerIn. Rosenthal führt hier das "Verbalisieren von emotionalen Erlebnisinhalten"[39] an. Spiegelt die ZuhörerIn verbal die Gefühle, die sie bei der ErzählerIn vermutet, zeigt sie damit die Bereitschaft, sich auf das Schwierige einzulassen und wehrt es nicht als zu belastend, peinlich oder unangenehm ab.

Signalisiert die ErzählerIn das Ende der Erzählung, kann zum Nachfrageteil übergegangen werden.

Nachfrageteil

"Im Anschluß an die Haupterzählung werden wir zunächst solche Nachfragen stellen, die das zusätzliche Erzählpotential ausschöpfen sollen."[40]

Erzählte Lebensgeschichten können sich als Aneinanderreihung mehrerer Einzelgeschichten und Einzelereignisse konstruieren. Mit Hilfe der Notizen ist es nun möglich, an einzelnen Geschichten anzuknüpfen und Lücken zu schließen oder in Erfahrung zu bringen, was an diesem oder jenem Erlebten noch zusätzlich interessant wäre.

Bereichsspezifische Fragen, die in der Haupterzählung nicht berührt wurden, aber für das Forschungsvorhaben relevant sind, können im Anschluß gestellt werden. Rosenthal empfiehlt auch hier, "[...] mit relativ offenen Fragen zu beginnen und erst dann einzelne Bereiche bzw. Situationen zu fokussieren."[41]

Der Nachfrageteil bildet den Abschluß des Interviews.

Verzerrungen

Bei einem Interview können Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden.

Bernart und Krapp beschreiben drei Möglichkeiten der Verzerrung[42]:

  • Verzerrung durch die ForscherIn: Die ForscherIn überprüft nicht, was wahr ist, sondern sie wertet aus, was sie selbst für wahr hält.

  • Verzerrung durch eine allgemein wirkende Verhaltensnormierung: Das verbale Verhalten wird weitgehend davon bestimmt, was als erlaubt und erwartet betrachtet wird.

  • Verzerrung durch das Interaktionsverhalten der InterviewpartnerIn: Als Beispiel ist hier erwähnt, daß Antwortverzerrungen durch Unkonzentriertheit der InterviewerIn entstehen können.

Transkribieren

Die mit Tonband und/oder Video festgehaltenen Interviews werden im Anschluß in eine schriftliche Form gebracht, d. h. sie werden transkribiert, wobei möglichst alles erfaßt werden soll. "Es geht um die lautliche Notation, bei der umgangssprachliche Ausdrücke, Dialekteinfärbungen, Redepausen und Nebengeräusche, aber auch parasprachliche Laute wie ,Hm' und ,Ähm' festgehalten werden, um den ganzen Sprechakt so authentisch wie möglich zu erfassen.[43]

Um diesen Anforderungen entsprechen zu können, müßten Interviews, die mit Unterstützung einer GebärdensprachdolmetscherIn geführt werden, von einer Person transkribiert werden, die die Gebärdensprache und die Lautsprache beherrscht. Da ich meine Interviews selbst verschriftlicht habe, konnte ich nur die lautsprachlichen Äußerungen der InterviewerIn und der DolmetscherInnen übernehmen.[44]

Damit aber die Originalaussagen der gehörlosen ZeitzeugInnen nicht verloren gehen, werden die Videoaufzeichnungen mit dem Einverständnis der InterviewpartnerInnen im Haus der Tiroler Gehörlosen archiviert.

Transkription meiner Interviews

Das Interview mit Herrn A, versuche ich mit den meisten Bemerkungen der Interviewerin (mh, aha...) und der genauen Wortwahl der Dolmetscherin als Exemplarbeispiel so ganau als möglich zu transkribieren.

Die folgenden Interviews werden ohne diese Zusatzbemerkungen transkribiert. Lebensgeschichten, die über den Nationalsozialismus hinausgehen, werden nur soweit transkribiert, als sie meines Erachtens Relevanz für die Diplomarbeit haben. Herr C zum Beispiel erzählt in seinem Interview chronologisch von der Kindheit bis zur Pensionierung, wobei seine Erlebnisse am Arbeitsplatz, in der Zeit ab 1951, eine große Gewichtung haben.

Das erste Interview unterscheidet sich auch hinsichtlich der Übersetzung dahingehend, daß hier in der dritten Person und zusammenfassend übersetzt wurde. Bei den darauf folgenden Interviews war die Übersetzung in der ersten Person und möglichst simultan.

Die Interviews sind nicht im Dialekt transkribiert, sondern in umgangssprachlichem Deutsch. Ich entschied mich deshalb dafür, weil die Übersetzung vom Dialekt der Dolmetscherin geprägt ist und der Dialekt der ErzählerIn nicht erkennbar wird.

Schwierigkeiten beim Transkribieren

Es ist für mich schwierig den Dialekt der Dolmetscherin in Umgangssprache zu übersetzen. Bei Wortwiederholungen, Satzabbrüchen und Wörtern wie: "Es war ein mords durcheinander" ist mir nicht klar, ob das der Ausdruck der Dolmetscherin ist oder eine genaue Übersetzung der Worte meiner InterviewpartnerIn. Im Sinne einer Einheitlichkeit werde ich Wort- und Satzabbrüche nicht mittranskribieren, aber es wird mir nicht gelingen bei Dialektwörtern, Redewendungen oder Einschüben wie "eben", "also" einheitlich vorzugehen.

Manche Interviews sind auf der Audiokassette schwer verständlich. Das kommt daher, daß einige der InterviewpartnerInnen selbst mitsprechen und sich die Stimmen der InterviewpartnerIn und der DolmetscherIn überschneiden.

Bei der Transkription der Audiocassette ist oft nicht erkenntlich warum Pausen entstehen. Sie werden daher nicht mittranskribiert. Es können Übersetzungspausen sein oder Nachdenkpausen.

Transkribierregeln

I:

Interviewerin

D:

Dolmetscherin (bei Interview und Interviewpassagen, die in der 3. Person gedolmetscht wurden)

E/D:

ErzählerIn/Dolmetscherin (bei Interviews, die in der 1. Person übersetzt wurden)

E:

ErzählerIn bei Interviews ohne Dolmetscherin

(...)

Pausen - hier ist nicht erkenntlich, ob es sich um Denkpausen oder um eine Dolmetschpause handelt sie. Sind größtenteils nicht mittranskribiert

(unverständlich)

ein oder mehrere lautsprachlich formulierte Wörter sind nicht verständlich

(xxx anm.)

Anmerkungen zur Transkription, wenn z.B nicht klar ist auf wen sich die InterviewpartnerIn bezieht

(xxx → D)

Interviewerin sprich die Dolmetscherin an. Z.B die Bitte, in erster Person zu übersetzen

name(?)

Unklarheit über die Schreibweise eines Namens

...

Unterbrechung oder Abbruch im Satz

[inhalt]

Inhalte in Stichworten, die mir für mein Thema nicht relevant erscheinen (z.B Ausführungen zu Urlauben nach der NS-Zeit)

Auswertung der Interviews[45]

Wie bereits erwähnt bilden die Interviews einen wichtigen Bestandteil meiner Diplomarbeit. Die subjektiv geprägten Eindrücke und Erinnerungen der ZeitzeugInnen ergänzen die mir zugänglichen wissenschaftlichen und historischen Ausführungen, dieses nur marginal beforschten Gebietes, und stehen diesen gegenüber.

Die Aussagen in den Interviews stelle ich nicht in Frage, sehe sie aber als komplexe Erinnerungsmuster[46]. Diese zu interpretieren, übersteigt meine Möglichkeiten und ist nicht Ziel dieses Forschungsvorhabens.[47]

"Eindeutige Regeln für Auswertung und Interpretation biographischer Interviewtexte gibt es nicht."[48]

Die verschiedenen Verfahren der Auswertung und Interpretation sind zu unterschiedlich, als daß eine gemeinsame Grundstruktur des Vorgehens herausgearbeitet werden kann.

Werner Fuchs beschreibt in seinen Ausführungen verschiedene Ansätze der Interpretation und Auswertung von Interviewtexten. Ich werde im Folgenden jene Überlegungen und Verfahren darstellen, die mir für meine Arbeit brauchbar scheinen.

Eine Richtung der verschiedenen Interpretationsansätze befaßt sich mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Selbständigkeit der biographischen Erzählungen und den Kommentaren, Analysen und Interpretationen der WissenschaftlerInnen.

"Wird der spätere Leser der Veröffentlichung die Stimmen der Befragten überhaupt noch hören können? Oder wird er nur noch die Interpretationen und Analysen des Sozialforschers, vielleicht verziert mit einigen ,sprechenden Zitaten' vor sich haben?"[49]

Die Entscheidung über die Ausarbeitung der Interviewtexte hängt vom Forschungsprozeß ab, [...] je nachdem, ob sich der Forscher ohne feste Vorannahmen mit dem Datenmaterial auseinandersetzt und die Entstehung theoretischer Muster abwartet, oder ob er mit feststehenden Theoremen das Material ordnet und nur noch als Illustration zuläßt."[50]

Fuchs beschreibt in diesem Zusammenhang fünf Typen der Datenanalyse, die Faraday und Plummer herausgearbeitet haben:[51]

  1. Der "reine Bericht" der/des Befragten: Die SozialforscherIn versteht sich als HerausgeberIn von Originaldokumenten (Interviewtexte, Tagebücher, Briefe...)

  2. Der "reine Bericht" der SozialforscherIn: Die/der Befragte hat keine Stimme mehr, das gesamte Erzählmaterial wird zu sozialwissenschaftlichen Aussagen verarbeitet.

  3. Die Plausibilisierung der Schlußfolgerungen der ForscherIn durch gezielt herausgesuchte Zitate und Anekdoten

  4. Die kommentierte Herausgabe der Selbstzeugnisse: Die Auffassungen der ForscherIn werden denen der/des Befragten untergeordnet.

  5. Die "systematische thematische Analyse": Die/der Befragte kommt mit ihrer/seiner Auffassung ebenso zu Wort, wie die ForscherIn mit ihren thematischen und theoretischen Beiträgen.

Fuchs beschreibt den letztgenannten Typ der Datenanalyse als den "glücklichsten" zur Lösung des Problems, in welchem Ausmaß die/der Befragte und die ForscherIn das Wort haben sollen.

Eine weitere Problematik bei der Auswertung von Oral-History-Materialien ist die Frage, wie von den lebensgeschichtlichen, daher ichbezogenen Erzählungen auf verallgemeinerbare, verbreitete Verläufe oder Strukturen geschlossen werden kann.

Als Lösung wird hier eine Gegenüberstellung der Erinnerungsberichte zu Daten aus anderen Quellen vorgeschlagen.

"Die Lösung dieser Problematik wird oft darin gesehen, daß Daten über das Umfeld, die Bedingungen usw. aus anderen Quellen als den biographischer Interviews den lebensgeschichtlichen Daten zugeordnet werden."[52]

Dies bedeutet, daß die Interviewprotokolle nach theoretisch interessanten Gesichtspunkten geordnet wird. Diese Interviewpassagen werden aus dem Kontext der Erzählung gelöst und einem vorweg bestimmten Kategoriensystem gegenübergestellt.

Fuchs bezeichnet dieses Auswertungsverfahren "Querschnittauswertung".[53]

Für die Interpretation, der von mir durchgeführten Interviews, bediene ich mich dieser Querschnittauswertung innerhalb des systematischen thematischen Ansatzes.

In Einzelfällen werde ich Interviewpassagen als "reine Berichte" anführen, deren Inhalte Stimmungsbilder und Erlebnisse vermitteln, die ich sonst keiner anderen Quelle entnehmen kann - z. B die Beschreibung des Alltags in der Schule.

Das Interviewsetting - Methoden und Vorüberlegungen zu Sitz- und Kamerapositionen

"Im Gegensatz zur Dokumentation freier Antworten im lautsprachlich durchgeführten Interview müssen diese bei gebärdensprachlichen Interviews mit Gehörlosen mittels Videoaufnahme dokumentiert werden."[54]

Methoden der Videoaufzeichnung

In der Literatur werden verschiedene Methoden zur Videoaufzeichnung der Interviews angeführt. Verena Krausneker hat drei Methoden in ihrem Handout zum Seminar "Gehörlose über ihr Leben interviewen" [55] kurz zusammengefaßt:

  • EINE Kamera: John Schuchman, Geschichte-Professor an der Gallaudet University, meint, für ein Interview zwischen zwei Gehörlosen sei es am besten, eine Kamera mit einer Weitwinkel-Einstellung zu verwenden, so daß beide Beteiligten aufgenommen werden. Ein Nachteil dieser Variante ist, daß die Gebärden nicht sehr gut zu sehen sind.

  • ZWEI Kameras bieten den Vorteil, daß man mit den Kameras nahe an die Gebärdenden heranzoomen kann. Der Nachteil ist, daß man nachher beide Bänder zusammenschneiden muß. Dies bedeutet einen erheblichen Aufwand.

  • VARIANTE mit TechnikerIn - eine dritte Person übernimmt die Kameraführung. Die TechnikerIn muß dabei sehr ruhig sein und soll darauf achten, nicht das Gespräch und die Konzentration zu stören. Der Vorteil dieser Methode ist, daß die Gebärden beider am Interview beteiligten Personen sehr genau aufgenommen werden können. Nachteilig ist aber, daß eine dritte anwesende Person eventuell die Vertrautheit behindert, die zwischen zwei GesprächspartnerInnen entstehen kann.

Prillwitz beschreibt in seinen Aufzeichnungen das Interviewsetting folgendermaßen[56]:

Die InterviewerIn und die InterviewpartnerIn sitzen sich gegenüber. Eine Kamera auf einem Stativ filmt das Interview, wobei die interviewte Person direkt in die Kamera schaut. Die InterviewerIn sitzt ihr gegenüber, mit dem Rücken zur Kamera. Sie wird mittels eines Spiegels von der Kamera erfaßt.

Alle angeführten Varianten der Aufnahmetechnik setzen zwei am Interview beteiligte Personen voraus - die InterviewpartnerIn und die InterviewerIn.

Persönliche Vorüberlegungen zu Sitz- und Kamerapositionen

Bei den Interviews, die ich führen werde, ist zusätzlich zur InterviewerIn und der InterviewpartnerIn eine Gebärdensprachdolmetscherin anwesend. Für diese Form der Interviewführung und deren Dokumentation konnte ich keine Literatur finden.

Es ist mir wichtig, daß alle drei Beteiligten aufgenommen werden, damit die Gesamtheit der Interviewsituation erkennbar wird.

Die Variante mit der Technikerin scheint mir nicht sinnvoll, da ich es mir für die InterviewpartnerIn schwierig vorstelle, wenn noch eine weitere Person anwesend ist. (Mit der InterviewpartnerIn wären vier Personen im Raum)

Auch kommt für mich die Variante mit mehreren Kameras (eine Kamera pro Person) nicht in Frage. Einerseits überfordern mich die technische Umsetzung und der damit verbundene Aufwand, andererseits kann ein Übermaß an verwendeter Aufnahmetechnik Hemmungen bei den InterviewpartnerInnen aufbauen.[57]

Meine Entscheidung fällt daher auf die Verwendung einer Kamera mit einem Stativ.

Die Kamera soll idealerweise das Mundbild, die Mimik und die Gebärden der InterviewpartnerIn und der Dolmetscherin aufzeichnen, sowie die Interaktion zwischen InterviewpartnerIn und Interviewerin. Außerdem soll die Kamera nicht zu nahe an der InterviewpartnerIn positioniert sein und ein bißchen versetzt zur ihr, damit diese nicht direkt in die Kamera schauen muß. Ich vermute, daß ein direkter Blick auf die Kamera unangenehm sein könnte und dadurch auf das Interview hemmend wirken könnte.

Ich nehme an, daß Gespräche, die mittels einer DolmetscherIn geführt werden, die GesprächspartnerInnen dazu verleiten, Augenkontakt mit der DolmetscherIn zu halten und diese auch anzusprechen. Für ein Interviewsetting mit einer GebärdensprachdolmetscherIn stelle ich mir diese Situation sehr schwierig vor. Die InterviewpartnerIn muß, im Gegensatz zu einer lautsprachlichen Übersetzung, die Dolmetscherin anschauen. Meiner Meinung nach erschwert dies die Interaktion zwischen InterviewerIn und InterviewpartnerIn. Es ist mir daher wichtig, daß über eine entsprechende Sitzordnung der Augenkontakt zwischen der InterviewpartnerIn und der Interviewerin unterstützt wird.

Praktische Erprobung verschiedener Sitz- und Kamerapositionen

Angesichts dieser Vorüberlegungen und aufgrund mangelnder Literatur entschloß ich mich, das Interviewsetting mit zwei Freundinnen und einer Videokamera zu erproben.

Beide Frauen sind hörend, haben aber Gebärdensprachkurse besucht. Ausschlaggebend für meine Wahl war, daß beide Frauen gebärden können, so daß ich ausprobieren konnte, das Setting so zu gestalten, daß die Gebärden auf dem Videoband erkennbar sind.

Das Ausprobieren des Interviewsettings erfolgte in der Wohnung einer der beiden Frauen - da dort ein Raum mit genügend Platz zur Verfügung stand und wir nicht gestört wurden. Wir übten das Setting mittels Rollenspiel, also dem Versuch, eine konkrete sehr kurze Interviewsituation nachzuspielen. Wichtig waren hier nicht die Inhalte der gespielten Interviews, sondern das Ausprobieren verschiedener Anordnungen der Sessel und der Kamera[58] In diesen verschiedenen kleinen Rollenspielen übernahm eine Frau die Rolle der Interviewpartnerin und eine Frau die Rolle der Dolmetscherin. Ich übernahm die Rolle der Interviewerin - auch um mich in dieser Position zu üben. Nach jedem abgeschlossenen "Interview" tauschten wir uns aus und veränderten die Sessel- und Kamerapositionen.

Ergebnisse [59]

Keine der ausprobierten Sitz- und Kamerapositionen konnte alle von mir überlegten Kriterien erfüllen.

Ich wählte folgende Anordnung aus:

Der Vorteil dieser Einstellung ist, daß die Interviewerin und die Dolmetscherin relativ nahe beieinander sitzen. Die InterviewpartnerIn hat so immer beide in ihrem Blickfeld. Außerdem gibt der etwas nach hinten versetzte Sessel der Interviewerin den Blick auf die Gebärden der Dolmetscherin frei. InterviewpartnerIn und Dolmetscherin sind gut auf dem Videoband sichtbar.

Der Nachteil dieser Einstellung ist, daß die Interviewerin nur im Profil sichtbar wird und so ihre Mimik nicht zu erkennen ist.

Ich entschied mich trotz dieser Einschränkung für die beschriebene Sitz- und Kameraposition. In allen anderen von mir ausprobierten Einstellungen wurde entweder die Interviewerin völlig von der Dolmetscherin verdeckt oder die Dolmetscherin war nur im Profil sichtbar und dadurch ihre Gebärden nicht erkennbar.

Eine Sitzposition, die mir erst nach erfolgter Aufnahme der Interviews eingefallen ist, wäre, daß die Dolmetscherin leicht versetzt hinter der InterviewerIn sitzt. Dies würde meiner Meinung nach den Blickkontakt zwischen InterviewerIn und InterviewpartnerIn erleichtern und die Kamera könnte alle drei Beteilgten besser erfassen. Diese Anordnung wäre noch zu erproben.

Um mir das Transkribieren zu erleichtern werde ich die Interviews zusätzlich auf Audiokassetten aufnehmen. Das Aufnahmegerät steht während der Interviews außerhalb des Blickfeldes der InterviewpartnerInnen.

Neben der Entscheidungshilfe für die Positionierungen der Kamera und Sitze bestätigte sich in dieser Übungssituation noch eine weitere Vorannnahmen von mir:

Es ist wichtig, daß die DolmetscherIn ihre Übersetzungen in der ersten Person formuliert. Dies unterstützt die Funktion der DolmetscherIn als MittlerIn der Sprache. Sie hat nicht die Aufgabe, eine GesprächsteilnehmerIn zu sein. Übersetzt die DolmetscherIn in der dritten Person - zum Beispiel: "Sie hat heute Nudeln gegessen." - wird sie meine GesprächspartnerIn, die mir etwas über eine dritte Person mitteilt. Diese dritte Person - meine eigentliche GesprächspartnerIn - bleibt "unsichtbar". Ist die Übersetzung in der ersten Person: "Ich habe heute Nudeln gegessen.", ist mir klar, daß dies die Formulierung meiner InterviewpartnerIn ist. Die InterviewpartnerIn bleibt meine Ansprechsperson. In der Übungssituation habe ich bemerkt, wie schwierig es ist, den Augenkontakt zu meiner "Interviewpartnerin" zu halten und sie direkt anzusprechen, wenn die "Dolmetscherin" in der dritten Person übersetzt. Ich bemerkte, daß ich begann, Fragen in der dritten Person zu stellen und dabei die "Dolmetscherin" anzuschauen - zum Beispiel: "Was hat sie nach dem Essen gemacht?" Der Drehpunkt dieses Interviews wurde die Dolmetscherin. Bei mir löste dies einen Wechsel meiner Aufmerksamkeit zwischen der Person der "Dolmetscherin" und der "Interviewpartnerin" aus, meine Interaktion mit der "Interviewpartnerin" war dadurch gestört. Außerdem bekam ich das Gefühl, daß mir das Interview entglitt. Die Übersetzung in der ersten Person brachte mich der "Interviewpartnerin" wesentlich näher.

In der Nachbesprechung der gespielten Interviewsituationen erklärte mir die "Interviewpartnerin", daß es für sie unangenehm war, wenn ich beim Stellen einer Frage oder bei Übersetzungen, die "Dolmetscherin" anschaute.

O-Ton: "Es ist komisch für mich, wenn du die Dolmetscherin anschaust."

Für mich bedeutete dieses Erproben der verschiedenen Sitz- und Kamerapositionen, die Gespräche mit den beiden Freundinnen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse eine große Hilfe bei der Durchführung der Interviews.

Ich war vor den Interviews sehr aufgeregt, und es bedeutete eine Erleichterung für mich, daß ich Sessel und Kamera mit Hilfe eines Plans aufstellen konnte. Mein Kopf konnte so frei bleiben für das Interview selbst und die Interaktion mit der InterviewpartnerIn.



[7] Schuchman 1993, 609.

[8] vgl. Rosenthal 1995.

[9] vgl. Glinka 1998.

[10] vgl. Bernart & Krapp 1998.

[11] vgl. Schütze 1977.

[12] vgl. Schuchman 1993.

[13] Schuchman 1993, 614.

[14] Schuchman 1993, 615.

[15] .Schuchman 1993, 615.

[16] "sign-language" ist der englische Begriff für "Gebärdensprache".

[17] Schuchman 1993, 616.

[18] vgl. Bernart & Krapp 1998, 28.

[19] Bernart & Krapp 1998, 23.

[20] Glinka 1998, 10.

[21] Krausneker 2000, 7.

[22] Fuchs 1984, 240.

[23] Krausnecker 2000, 7.

[24] vgl. Glinka 1998, 129 - 131.

[25] Glinka 1998, 129.

[26] Glinka 1998, 129.

[27] Schuchman, 1993, 618.

[28] Glinka 1998, 130.

[29] Schuchman 1993, 617.

[30] Der von mir vorgelegte Vertrag ist im Anhang angeführt.

[31] Rosenthal 1995, 186.

[32] Rosenthal 1995, 187.

[33] vgl. Glinka 1998, 132.

[34] Glinka 1998, 140.

[35] Rosenthal 1995, 195.

[36] vgl. Rosenthal 1995, 195.

[37] siehe Kapitel zum Interviewsetting und zur Rolle der DolmetscherIn.

[38] vgl. Rosenthal 1995, 201.

[39] Rosenthal 1995, 201.

[40] Glinka 1998, 141.

[41] Rosenthal 1995, 205.

[42] vgl. Bernart & Krapp 1998, 32.

[43] Bernart & Krapp 1998, 33.

[44] Nähere Ausführungen dazu siehe in einem späteren Kapitel.

[45] Ich beziehe mich in diesem Abschnitt auf Werner Fuchs. Vgl. Fuchs 1984, 280 - 299.

[46] Der Begriff "Einnerungsmuster" beinhaltet für mich die Frage: Warum etwas wie erinnert und erzählt wird.

[47] Dieses Interpretationsvorhaben würde auch eine Auseinandersetzung mit Forschungen aus der Gerontologie und der Gedächtnis- und Wahrnehmungspsychologie bedeuten. Vgl. Steinbach in Niethammer 1985.

[48] Fuchs 1984, 280.

[49] Fuchs 1984, 281.

[50] Fuchs 1984, 282.

[51] vgl. Fuchs 1984, 282.

[52] Fuchs 1984, 286.

[53] vgl. Fuchs 1984, 287.

[54] Prillwitz 2001, 36.

[55] vgl. Krausneker, 2000, 12.

[56] vgl. Prillwitz 2001, 38.

[57] vgl. Prillwitz 2001, 37.

[58] Eine Frage war zum Beispiel: "Was haben Sie heute gemacht?"

[59] Aus den Gesprächen (Reflexionen) mit den beiden Frauen (was ihnen aufgefallen ist, wie es ihnen geht) und über die Auswertung der Videoaufnahmen.

Verlaufsprotokolle

Wie ich zu den InterviewpartnerInnen gekommen bin

Eine meiner größten Sorgen war, InterviewpartnerInnen zu finden.

Meine Überlegungen richteten sich dahingehend: Welche Personen kenne ich, die wiederum gehörlose Frauen und Männer kennen, welche die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, und über die ich einen Kontakt zu den möglichen InterviewpartnerInnen herstellen kann.

Die ersten auf der Liste möglicher Kontaktpersonen waren meine Eltern.

Meine Mutter arbeitete früher als Schneiderin in einer Trachtenmodenschneiderei in Innsbruck. Als Kind (in den 70er Jahren) besuchte ich sie manchmal an ihrem Arbeitsplatz. Ich kann mich noch gut an diesen großen Raum mit den vielen Fenstern erinnern, an die vielen Nähmaschinen, die schweren Bügeleisen, Stoffe, Zwirnspulen, Fingerhüte, an den Geruch gedämpften Lodens, an eine Mitarbeiterin und an zwei gehörlose Mitarbeiter meiner Mutter. Ich war sehr gern dort und wenn ich helfen durfte, war ich glücklich. Herr J. ist mir speziell in Erinnerung geblieben, denn bei ihm durfte ich manchmal Heftfäden auftrennen. Ich weiß, daß meine Mama viele Jahre mit diesen gehörlosen Männern zusammengearbeitet hat und als ich sie im Zusammenhang mit der Diplomarbeit auf ihre gehörlosen Mitarbeiter angesprochen habe, erfuhr ich, daß sie damals gelernt hat, sich zum Teil in der Gebärdensprache mit ihren Arbeitskollegen zu unterhalten. Erinnern kann ich mich an Kommunikation zwischen allen MitarbeiterInnen und auch an Kommunikation mit mir, aber nicht an die Art der Kommunikation.

Meine Mutter war gerne bereit, einen Kontakt zwischen ihren ehemaligen Mitarbeitern und mir herzustellen.

Von meinem Vater wußte ich, daß er über das Sportkegeln Kontakte zu gehörlosen Sportkeglern hat. Der Tiroler Landesverband der Gehörlosen hat einen Kegelverein und bei Meisterschaften treffen die verschiedenen Vereine aufeinander. Von diesen Kegelwettkämpfen kennt mein Vater einige ältere gehörlose Sportkegler.

Neben meinen Eltern dachte ich an meine Gebärdensprachlehrerin als eine mögliche Kontaktperson zu gehörlosen älteren Frauen und Männern.

Sie ist selbst gehörlos und aktiv im Verband der Tiroler Gehörlosen tätig.

Auch erinnerte ich mich an eine ältere gehörlose Frau, die neben meiner früheren Arbeitsstelle lebt.

Ich erzählte vielen Bekannten, Freundinnen, StudentInnen von meinem Diplomarbeitsvorhaben und meiner Sorge darum, keine InterviewpartnerInnen zu finden und bekam einige Tips zu Personen, die selbst gehörlos sind oder gehörlose Verwandte oder Bekannte haben. Ich erfuhr bei diesen Gesprächen von einem ähnlichen Forschungsvorhaben einer Studentin im Rahmen einer Seminararbeit vor einigen Semestern. Die Studentin richtete auf der Suche nach InterviewpartnerInnen eine schriftliche Anfrage an den Verband der Tiroler Gehörlosen, aber niemand von den alten Frauen und Männern war bereit, ihr ein Interview zu geben.

Die Erfahrung dieser Studentin schienen meine Überlegungen zu bestätigten, daß es schwierig sein könnte, gehörlose Frauen und Männer zu finden, die bereit sind, mir ein Interview zu geben.

Ich bin hörend und 1964 geboren. Ich habe weder die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt, noch teile ich die Erfahrung von Gehörlosigkeit in einer "hörenden Welt"[60].

Welche Motivation könnte es für die gehörlosen Frauen und Männer geben, mir ein Interview zu geben? Welches Vertrauen kann es in mich geben? Welche Kommunikationsmittel stehen für ein Interview zur Verfügung?

Durch meine Arbeit in der Institustbibliothek habe ich auch Kontakt zu einer gehörlosen Studentin. Für mich ist es immer sehr schön, wenn sie in die Bibliothek kommt und ich mit ihr ein bißchen gebärden kann. Meine Gebärdensprachkenntnisse sind zwar sehr gering, aber die Studentin nimmt sich immer Zeit, um mit mir zu plaudern. So erzählte ich ihr auch von meiner Diplomarbeit. Sie erklärte sich bereit, im Haus der Tiroler Gehörlosen Frauen und Männer wegen eines Interviews anzufragen. Nach einiger Zeit bekam ich von ihr ein mail, daß zwei Männer zu einem Interview bereit wären. Meine Freude darüber war sehr groß, gleichzeitig bemerkte ich aber, daß ich mich über das Setting des Interviews nicht richtig verständlich gemacht hatte. Die Studentin ging von einem Gruppeninterview aus und schrieb mir, ich solle zu einem der regelmäßig stattfindenden SeniorInnentreffen in das Haus der Tiroler Gehörlosen kommen, dort könne ich mich mit den beiden Männern unterhalten, wobei sie dieses Gespräch als Interview verstand. Sie bot mir an, für ein solches Treffen eine Gebärdensprachdolmetscherin zu organisieren.

Daraufhin bat ich die Studentin, sich mit mir zu treffen, damit ich ihr meine Vorstellungen zum Setting des Interviews genauer erklären konnte. Bei diesem Treffen versuchte ich verständlich zu machen, daß ich narrative Einzelinterviews plante, die ich mit einer Videokamera aufzeichnen möchte[61] und daß ich noch einige Zeit brauchte, um mich auf die Interviews vorzubereiten.

Die Studentin bot an, die beiden Männer nochmals zu fragen, ob sie dazu bereit wären, sich mit einer Kamera aufnehmen zu lassen. Sie wollte auch versuchen, Frauen für ein Interview zu finden, da es mir wichtig ist, die Lebenssituationen der gehörlosen Frauen und Männer unter geschlechtsspezifischen Aspekten zu untersuchen.

Eine ganze Weile nach diesem Treffen stellte sich heraus, daß es der Studentin aus Zeitgründen doch nicht möglich war, weitere Kontakte für mich herzustellen - sie gab mir den Ratschlag, selbst zum SeniorInnentreffen zu gehen.

Daraufhin nahm ich Kontakt mit Frau H auf - ich hatte sie schon, im Zuge der Literaturrecherche, kennengelernt. Frau H ist hörend und arbeitet beim Tiroler Landesverband der Gehörlosen im Sekretariat und als Gebärdensprachdolmetscherin.

Ich erklärte Frau H mein Diplomarbeitsprojekt und daß ich auf der Suche nach InterviewpartnerInnen bin. Frau H war sehr entgegenkommend. Sie gab mir die Auskunft, daß die SeniorInnentreffen einmal monatlich stattfinden und daß alle SeniorInnen, die zu den Treffen kommen, in Gebärdensprache kommunizieren. Wir vereinbarte einen Termin für das nächste Treffen. Frau H bot mir an, das Dolmetschen in ihrer Arbeitszeit zu übernehmen, so daß für mich keine Kosten anfallen. Auch meinte sie, daß es kein Problem wäre, die Interviews dort in den Räumlichkeiten des Landesverbandes durchzuführen, sie würde dies noch mit der Obfrau des Vereins rückbesprechen.

Meine Überlegungen zu diesem ersten Treffen mit den potentiellen InterviewpartnerInnen waren folgende:

Es war mir wichtig, einen direkten Kontakt mit den gehörlosen Frauen und Männern herzustellen und so weit als möglich selbst mit ihnen in Kommunikation zu treten. Daher plante ich, mich selbst in Gebärdensprache vorzustellen und dann Frau H zu bitten, weiter zu dolmetschen. Ich wollte über diesen persönlichen Kontakt mein Interesse an der Sprache und der Kultur der Gehörlosen signalisieren und über die direkte Anrede und das Vorstellen meiner Person in Gebärdensprache eine Vertrauensgrundlage herstellen.

Weiters wollte ich das Thema meiner Diplomarbeit darlegen und das Setting des Interviews erklären. Es war mir wichtig, den PensionistInnen zu vermitteln, daß zu diesem Thema bisher in Österreich noch nicht geforscht wurde und ihre Erinnerungen an die Zeit während des Nationalsozialismus eine wichtige Informationsquelle für mich sind.

Außerdem sollte klar werden, daß die Interviews hier in den Räumlichkeiten geplant sind und eine Gebärdensprachdolmetscherin neben mir und der InterviewpartnerIn anwesend sein wird.

Da ich weiß, daß alle in Innsbruck zur Verfügung stehenden Gebärdensprachdolmetscherinnen den Gehörlosen in unterschiedlichem Ausmaß bekannt sind, wollte ich mich nochmals schriftlich oder mündlich mit jeder InterviewpartnerIn in Verbindung setzen, um die jeweilige Dolmetscherin vorher bekannt zu geben. Die InterviewpartnerInnen sollten so die Möglichkeit erhalten, mir mitteilen zu können, ob sie eine bestimmte Dolmetscherin wünschen oder nicht wünschen. Außerdem würde ich dann den Termin für das jeweilige Interview fixieren und könnte auch Vorinformationen über die InterviewpartnerInnen einholen, wie zum Beispiel: Geburtsjahr, Geburtsort, Aufenthaltsort während der Zeit des Nationalsozialismus usw., um mich auf das jeweilige Interview spezieller vorbereiten zu können.

Das gesamte Interview soll mit einer Videokamera aufgezeichnet und der transkribierte Text für die Diplomarbeit verwendet werden.

Zum vereinbarten Zeitpunkt, am 24. April 2001, traf ich mich mit Frau H in ihrem Büro im Haus der Tiroler Gehörlosen. Sie sagt mir, daß es schwierig sein würde Interessierte zu finden. Es habe schon früher einmal eine schriftliche Umfrage zum Thema gegeben, aber niemand habe mitmachen wollen. Außerdem habe sie in der Zwischenzeit zwei Männer gefragt, ob sie für ein Interview bereit wären. Beide waren sehr zögerlich und wollten es sich noch überlegen.

Frau H und ich gingen in den Raum, in dem sich die SeniorInnen aufhielten. Ungefähr 50 Personen waren da. Ich erkannte in dieser Runde die beiden ehemaligen Mitarbeiter meiner Mutter und die ältere gehörlose Frau, die ich von meiner früheren Arbeitsstelle her kannte. Einer der beiden Mitarbeiter meiner Mutter erkannte auch mich und offensichtlich freute er sich, mich wieder zu sehen.

Ein Mann hielt gerade eine Rede und wir mußten noch warten. Ich war schon ziemlich nervös und hoffte, einen guten Einstieg zu finden. Als der Mann geendet hatte, traten Frau H und ich vor. Ab diesem Zeitpunkt verlief alles sehr schnell. Frau H begann sofort zu gebärden. Ich konnte nur einiges davon verstehen wie etwa meinen Namen, Studentin, Diplomarbeit, Nationalsozialismus. Alle im Raum Versammelten folgten den Gebärden von Frau H und ich konnte einige Reaktionen erkennen, wie: "Ich nicht" oder "Ich bin zu jung". Es war mir in dieser Geschwindigkeit nicht möglich, Frau H zu unterbrechen und ihr zu erklären, wie ich mir dieses Treffen vorgestellt habe. Frau H gebärdete weiter. Ich sah, daß ein Mann zustimmte und dann noch einer. Es entspannen sich angeregte Dialoge zwischen den Gehörlosen und mit Frau H. Ich verstand nur sehr wenig. Einzelnen Gesprächen konnte ich entnehmen, daß es darum ging, sich gegenseitig aufmerksam zu machen, wer für diese Interviews in Frage komme, wie zum Beispiel: "Du bist doch alt genug." Frau H übersetzt mir die Aussage einer Frau, die mir gern ein Interview geben würde, sich aber nur an einen Bombenangriff erinnern kann. Ich beteuerte, daß das egal sei, ich interessiere mich für ihre ganz persönlichen Erinnerungen und ihre Geschichte. Frau H übersetzte meine Antwort. Noch immer fanden angeregte Gespräche statt. Ich konnte aber nicht verstehen, worum es ging. Noch weitere Personen meldeten sich für ein Interview, insgesamt zwei Frauen und fünf Männer. Die beiden ehemaligen Mitarbeiter meiner Mutter und die Frau, die ich von meiner Arbeitsstelle her kenne waren unter den interessierten InterviewpartnerInnen.

Als Frau H mich fragte, ob wir die Interviews gleich hier in diesem Raum machen sollen oder in einem anderen, wurde mir das Mißverständnis über das Interviewsetting klar. In aller Kürze erklärte ich ihr, daß ich Einzelinterviews geplant hatte, die ich mit einer Videokamera aufnehmen wollte. Auch würde ich erst in einem Monat mit den Interviews beginnen, damit ich noch Zeit hätte, mich darauf vorzubereiten. Frau H gebärdete dies und aus der Gestik der InterviewpartnerInnen entnahm ich, daß sie einverstanden waren. Eine ältere Frau kam in den Raum und aus den Gebärden von Frau H und einigen Gehörlosen schloss ich , daß sie sie wegen des Interviews anfragten. Ihre Haltung war zuerst ablehnend, sie wollte nicht hier vor allen anderen erzählen. Als Frau H erklärte, daß es sich um Einzelinterviews handelt, stimmte auch sie zu.

Daraufhin wandte sich Frau H an mich, um die Termine für die Interviews zu fixieren. Ihr Vorschlag war, an drei für sie möglichen Tagen jeweils drei Interviews anzuberaumen. Ich sagte zu und wir legten die Termine mit den InterviewpartnerInnen fest.

Nach diesem Treffen war ich glücklich und verwirrt zugleich.

Ich bin der Meinung, daß sich die Frauen und Männer vor allem dank des Engagements von Frau H und des vorherigen Anfragens der Studentin - beide Frauen sind den gehörlosen PensionistInnen bekannt - für ein Interview bereit erklärt haben. Trotzdem wäre es wichtig gewesen, mit der Dolmetscherin vorher genau den Ablauf dieses Treffens und die jeweiligen Funktionen (Gesprächsleitung, Übersetzung) zu besprechen. Ich war von einer völlig anderen Funktion der Dolmetscherin ausgegangen als sie selbst. Frau H hatte sich für mich eingesetzt und die Leitung des Gespräches übernommen. Ich hingegen hatte geplant, das Gespräch selbst zu leiten und die Dolmetscherin sollte die Funktion der Mittlerin der Sprache übernehmen.

Die Geschwindigkeit des Ablaufes, die Freude über die gute Stimmung, meine Befürchtung, die potentiellen InterviewpartnerInnen zu irritieren und meine Hemmung, die von mir nicht bezahlte Arbeitszeit von Frau H, länger in Anspruch zu nehmen hatten bewirkt, daß ich in den Verlauf des Geschehens nicht eingriff.

Erst einige Tage später, als ich mir die geraffte Interviewsituation vorstellte und sie meiner bisherigen theoretischen Auseinandersetzung zur Interviewführung gegenüberstellte, kam ich zur Überzeugung, daß ich die Interviews umstrukturieren muß, auch wenn ich dadurch möglicherweise die InterviewpartnerInnen irritiere und abschrecke.

Ich nahm nochmals Kontakt mit Frau H auf und erklärte ihr, wie ich die Interviews ursprünglich geplant hatte. Frau H bot sich an, mit den InterviewpartnerInnen Kontakt aufzunehmen und wir vereinbarten, daß ich bei der nächsten PensionistInnenversammlung nochmals komme und mit den Frauen und Männern einzeln spreche, um die Termine neu zu fixieren und Vorinformationen einzuholen.

Da ich bisher nur darauf gehofft hatte, ein bis zwei InterviewpartnerInnen zu finden, war ich ganz euphorisch, daß sich acht Frauen und Männer für ein Interview zur Verfügung stellten. Es war mir wichtig, daß alle gehörlosen Frauen und Männer, die sich bereit erklärten, mir ihre Geschichte und Geschichten zu erzählen, diesen Platz bekommen. Ich traf daher keinerlei Auswahl der InterviewpartnerInnen. Jedes der Interviews bleibt als Videodokument vollständig erhalten, auch wenn ich für diese Arbeit nur Ausschnitte verwenden werde.

Vorgespräche und Interviews mit den gehörlosen InterviewpartnerInnen

Vorgespräche

Mit den drei Frauen und fünf Männern, die sich für ein Interview gemeldet haben, vereinbarte ich Termine für Vorgespräche im Büro von Frau H im Haus der Tiroler Gehörlosen. Frau H übernahm das Dolmetschen der Vorgespräche und der ersten drei Interviews. Sie ist Angestellte beim Landesverband der Tiroler Gehörlosenvereine und den InterviewpartnerInnen gut bekannt.

Frau H hat sich auch dahingehend für mein Projekt engagiert, daß sie im Einverständnis mit der Obfrau des Landesverbandes sämtliches Dolmetschen in ihre Arbeitszeit eingegliedert hat. Das bedeutet, daß für mich keine Kosten anfallen.

Für die letzten beiden Interviews engagierte ich Frau I als Dolmetscherin.

Zu den Einzel-Vorgesprächen kamen zwei Frauen und vier Männer. Herr E kam nicht zum Vorgespräch, war aber bereit ein Interview zu geben. Herr J. hatte einen Unfall und Frau L. war krank, beide konnten weder zum Vorgespräch, noch zum Interview kommen. Frau K. erschien nicht zum Interviewtermin. Zu den Interviews kamen eine Frau und vier Männer.

Die Vorgespräche dienten dazu, mein Anliegen nochmals mitzuteilen, die Rahmenbedingungen für die Interviews zu klären (Zeit, Ort, Aufnahmetechnik, Dolmetscherin), mögliche Fragen der InterviewpartnerInnen zu beantworten und demographische Daten aufzunehmen.[62]

Der wichtigste Aspekt an diesen Treffen war für mich der persönliche Kontakt. Ich wollte den Frauen und Männern in einem Einzelgespräch die Möglichkeit geben, mich kennenzulernen und ihnen vermitteln, daß ihre Erinnerungen für mich wichtige und einzigartige Quellen sind.

Frau H und ich eingten uns darauf, unmittelbar vor dem ersten Interview die Dolmetschsituation zu besprechen. Mit Frau I vereinbarte ich einen eigenen Termin für ein Vorgespräch.

Interviews

Die Interviews fanden im Theatersaal im Haus der Tiroler Gehörlosen statt. Dies ist ein Raum, der allen InterviewpartnerInnen vertraut ist.

Trotz meiner Vorüberlegungen zur Interviewführung mit DolmetscherIn, gestaltete sich dieser Aspekt als schwierig:

  • Zwei der InterviewpartnerInnen verwendeten fast keine Gebärden, sondern benutzten die Lautsprache. Ich bat die Dolmetscherin, trotzdem zu übersetzen, da ich Mißverständnisse befürchtete. Nach diesen Interviews überlegte ich mir, ob es klüger gewesen wäre, die Dolmetscherin nur bei Bedarf beizuziehen. Außerdem versäumte ich meine InterviewpartnerInnen zu fragen, ob sie möchten, daß gedolmetscht wird.

  • Die InterviewpartnerInnen, die ausschließlich die Gebärdensprache verwendeten hielten Blickkontakt mit der Dolmetscherin. Sie erzählten ihr ihre Geschichten. Die Dolmetscherin war die aufmerksame "Zuhörerin" mit Kopfnicken, Lachen, usw.. Ich bekam das Gefühl, daß der Verlauf der Interviews von der Anteilnahme der Dolmetscherin abhängt, nicht von meinem aktiven Zuhören. Diese Situation bewirkte bei mir eine ziemliche Verunsicherung, außerdem hatte ich bei längeren Erzählungen Mühe, die Konzentration zu halten.

An dieser Stelle möchte ich die Erinnerungsprotokolle der ersten drei Interviews exemplarisch anführen.

Erinnerungsprotokolle - Interviews

1. Interview

Interviewpartner: Herr A

Herr A ist zur Zeit des Interviews 76 Jahre alt.

Kamera und Platz für das Interview sind schon 20 Minuten vor dem Interviewtermin vorbereitet. Ich bin nervös - auch weil die Dolmetscherin noch nicht bereit ist . Das Interview ist auf 13.00 Uhr angesetzt und ich möchte mit ihr noch genaueres zum Dolmetschen vereinbaren. Herr A erscheint pünktlich. Frau H muß aber noch andere Arbeiten erledigen. Ich bin ziemlich verunsichert und bemerke auch, daß Herr A aufgeregt und verunsichert ist. Ich gehe mit ihm in den Saal und er beginnt sofort, mir die mitgebrachten Fotos von der Hitlerjugend, bei der er Mitglied war zu zeigen. Die Kommunikation ist sehr schwierig und für uns beide verunsichernd. Ich kann zu wenig gebärden und möchte eigentlich noch mit Frau H reden. Ich lasse den alten Mann alleine zurück und weiß nicht, ob er versteht, daß ich Frau H holen gehe. Ich muß noch warten, bis Frau H fertig ist und bemerke, daß sie ziemlich im Streß ist. Um ca. 13.15 ist sie soweit. Noch im Büro versuche ich mit ihr zu besprechen, wie ich mir die Dolmetschsituation vorstelle. Ich bitte sie, simultan zu übersetzen und möglichst genau auch halbe Sätze - aber in deutscher Grammatik. Wir vereinbaren, daß sie immer ein paar Sekunden wartet und dann übersetzt.

Herr A wartet währenddessen alleine, was mir sehr unangenehm ist.

Die Dolmetscherin und ich kommen in den Raum und ich schalte die Kamera ein. Ich habe das Gefühl, daß Herr A sehr verunsichert ist.

Ich erkläre, daß die Kamera und ein Kassettenrecorder eingeschaltet sind und daß ich mit ihm eine schriftliche Übereinkunft zur Verwendung der Videoaufnahme machen möchte. Ich habe angenommen, daß es Herrn A Sicherheit vermitteln würde, wenn ich dies gleich zu Beginn mit ihm bespreche. Jetzt vermute ich, daß es ihn noch mehr verunsichert hat.

Unmittelbar nach dem Ausfüllen und dem Unterzeichnen der Übereinkunft stelle ich die Eingangsfrage:

"I: ich möcht gern in meiner diplomarbeit darüber schreiben, was gehörlose menschen im nationalsozialismus erlebt haben. da gibt es bis jetzt noch gar nichts, da hat noch niemand darüber gearbeitet. darum bin ich ganz froh, daß sie mir ein interview geben und mir ihre geschichte erzählen. sie waren ja damals 1938 schon 13 jahre alt, (...)

D: ja 13

I: sie waren quasi ein junger mann zur zeit im nationalsozialismus. (...)

D: ja. er weiß und kann sich noch erinnern wie österreich an deutschland angeschlossen worden ist im 38er jahr

I: mh (...)

D: und das sind aber fotos aus dem 39er jahr.

I: ja. also mich tät die ganze zeit (unverständlich) vom nationalsozialismus, alles was sie sich erinnern können (...) und daß sie mir ihre lebensgeschichte erzählen. in dieser zeit (...) wie sie die zeit erlebt haben."[63]

Herr A beginnt mit einer kurzen chronologischen Schilderung seines Lebens: Wann und wo er in die Schule gegangen ist und welche Lehre er im Anschluß gemacht hat. Ich versuche dann mit konkreten Fragen weiter zu machen. Das führt zum aufzählen von Fakten, aber nie zu Geschichten aus seinem Leben. Wichtig sind ihm die Fotos, die er mitgebracht hat, und die Personen, die darauf zu sehen sind.

Beim Anschauen des Videos fällt mir auf, daß ich einige Gesprächszapfen nicht aufgegriffen habe um nachzufragen - zum Beispiel die Bemerkung, daß sich Herr A genau an den Anschluß Österreichs an Deutschland erinnern kann.

Die Dolmetschsituation

Manchmal gibt es Dialoge zwischen dem Erzähler und Frau H, die mir nicht übersetzt werden. Ich kann nicht erkennen, ob die Dolmetscherin Verständnisfragen stellt. Ich habe auch den Eindruck, daß Frau H sich sehr an meine Fragen hält. Wenn Herr A etwas anderes erzählt, scheint sie dies nicht zu übersetzen, sondern ihn nochmals auf die von mir gestellte Frage zurückzuführen. Ich stelle anfangs meine Fragen immer direkt an meinen Interviewpartner - z.B: "möchten sie mir erzählen, wie sie die zeit in der schule erlebt haben?" Die Antwort übersetzt die Dolmetscherin folgendermaßen: "wie er noch in mils unten war, hat er eigentlich über die bomben und über den krieg wenig mitgekriegt..." Also nicht genau den Wortlaut des Erzählers. Dies führt dazu, daß ich immer wieder mit der Dolmetscherin kommuniziere und die Fragen an sie richte - z.B: "...und da hat er von anderen gar nichts erfahren?"[64]

Daß die Kommunikation sehr stark von der Dolmetscherin geprägt ist, zeigt sich meines Erachtens auch darin, daß Herr A die mitgebrachten Fotos der Dolmetscherin zeigt.

Frau H macht mich nach dem Interview darauf aufmerksam, daß Gehörlose es nicht gewohnt seien, von Hörenden nach ihrem Leben befragt zu werden. Sie könnten daher mit Fragen wie: "Wie war diese oder jene Situation für Sie?" nicht sehr viel anfangen. Sie würden zwar die Fragen verstehen, aber aus Mangel an Kommunikation nicht wissen, wie sie zu beantworten sind. Frau H rät mir, einen Fragenkatalog zusammenzustellen, da dies zielführender sei.

2. Interview

Interviewpartnerin: Frau B

Frau B ist zur Zeit des Interviews 75 Jahre alt.

Noch bevor Frau B kommt, kann ich die Dolmetscherin bitten, in der ersten Person zu übersetzen und keine eigenen Inputs zu geben. Ich bitte sie auch, eventuelle Verständnisfragen für mich in Lautsprache mitzuübersetzen.

Frau B kommt, noch bevor Frau H bereit ist. Wir gehen in den vorbereiteten Raum und es gelingt mir, obwohl ich nur rudimentäre Gebärdensprachkenntnisse habe, in Kommunikation mit Frau B zu treten. Ich erzähle ihr, daß ich vor einigen Jahren in dem Kindergarten gearbeitet habe, der in dem Haus untergebracht ist, in dem sie wohnt, und daß ich sie damals schon gesehen habe. Frau B kann sich an mich nicht erinnern, scheint sich aber zu freuen, daß es eine Verbindung zwischen mir und ihr gibt. Ich bin auch weniger nervös als beim ersten Interview und es ist kein Problem für mich, daß Frau H noch nicht da ist. Diese "Plauderei" scheint auch für Frau B die Situation ein bißchen zu entspannen.

Als ich Frau B erkläre, daß ich jetzt die Kamera einschalten werde, betont sie nochmals, daß sie die Kamera nicht mag (das hat sie schon im Vorgespräch erwähnt, war aber trotzdem mit der Videoaufnahme einverstanden). Im Lauf des Interviews dreht sich Frau B immer mehr von der Kamera weg und zur Dolmetscherin hin. Ich vermute, das hat mit ihrem Unbehagen der Kamera gegenüber zu tun.

Trotz des Ratschlags von Frau H, einen genauen Fragenkatalog zu erstellen, habe ich mich entschieden, bei einer offenen Eingangsfrage zu bleiben. Frau B beginnt zu erzählen, noch bevor ich die Frage zu Ende stellen kann. Sie wird bei den Erzählungen sehr emotional und betont immer wieder, wie furchtbar die Zeit war und daß sie damals sehr viel Schlimmes erlebt hat. Ich empfinde sie als sehr offen.

Insgesamt scheint mir das Interview gelungen. Frau B erweckt bei mir auch am Ende nicht, daß es ihr nicht gut geht oder sie verunsichert ist.

Ich vermute, daß ihr Vertrauen auch mit der einführenden "Plauderei" zu tun hat. Möglicherweise spielt ebenfalls ihre Sympathie für Frau H eine Rolle. Als diese kommt, ist Frau B sehr erfreut.

3. Interview

Interviewpartner: Herr C

Herr C ist zur Zeit des Interviews 71 Jahre alt.

Beim Vorgespräch habe ich Herrn C erzählt, daß er früher, als ich Kind war, ein Arbeitskollege meiner Mutter war und daß ich mich noch an ihn erinnern kann. Herr C konnte sich nicht mehr an meine Mutter oder mich erinnern und bat mich, zum Interview Fotos mitzubringen.

Zum Interview bringe ich die Fotos mit. Noch bevor Frau H kommt, zeige ich Herrn C die Fotos und er erkennt meine Mutter wieder. Mir scheint, daß diese "Anfangsplauderei" ebenfalls zu einer Entspannung der Situation führt.

Als ich die Videokamera einschalte, setzt sich Herr C so hin, daß ich seine Gebärden gut filmen kann.

Nachdem ich meine Eingangsfrage gestellt habe, beginnt Herr C ganz chronologisch zu erzählen. Er beginnt mit einem Erlebnis aus seiner Kindheit noch vor der NS-Zeit und endet mit der Pensionierung. Die Ausführungen zu seiner Arbeit sind sehr detailliert und ich habe den Eindruck, daß es ihm wichtig ist, davon genau zu erzählen.

Die lebensgeschichtliche Erzählung von Herrn C ist sehr ausführlich und dauert ca. zwei Stunden, ohne daß ich ihn mit Fragen unterbreche.

Als ich die Audiokassette wechseln muß verläßt Frau H den Raum, um zu telefonieren - was mich verwirrt, aber Herrn C nicht sehr viel auszumachen scheint.

Als die Dolmetscherin zurückkommt, sagt sie mir, daß sie nur mehr eine halbe Stunde Zeit hat.

Ich habe zwar den Eindruck, daß Herr C gerne noch weiter von seinen verschiedenen Arbeitssituationen erzählen möchte, aber mit dem Wissen um das Zeitlimit beginne ich hier mit dem Nachfrageteil. Dieser für Herrn C unerwartete Abbruch seiner Erzählung scheint für ihn sehr verwirrend zu sein.

Dieser Teil des Interviews ist geprägt von meinem Streß, Frau H's Zeitlimit nicht zu überschreiten, und ich kann auch einiges nicht mehr nachfragen, was mir wichtig gewesen wäre.

Mein Gesamteindruck von diesem Interview ist aber, daß Herr C es sehr genossen hat, daß sich jemand für sein Leben interessiert.

Das Interview mit Sr. F

Drei der gehörlosen Männer, die ich interviewte, besuchten zur Zeit des Nationalsozialismus die Schule und das Internat der "Taubstummenanstalt" in Mils.[65]

Ich versuchte daher, eine Lehrschwester der damaligen Zeit für ein Interview zu finden.

Ich erhoffte von diesem Interview zusätzliche Informationen, die den SchülerInnen nicht zugänglich waren. Mich interessierte auch, wie diese Zeit von den Schwestern erlebt wurde und wie ihre Sichtweise war.

Während meiner Recherchearbeit im Archiv des St.-Josefs-Institutes erkundigte ich mich nach einer möglichen Interviewpartnerin. Ich bekam die Auskunft, daß eine der Lehrschwestern noch lebt, aber nicht mehr in der Lage sei, ein Interview zu geben.

Ich erfuhr aber, daß eine andere Schwester, nämlich Sr. F im Jahre 1948, also nach dem Krieg, in der Anstalt als "Taubstummenlehrerin" zu arbeiten begann.

In der Annahme, daß Sr. F von ihren Mitarbeiterinnen sicherlich einiges erfahren hatte, bat ich sie um ein Interview.

"E: [...] wie der krieg aus war, bin ich dann in die schule gekommen. und zwar zuerst in die volksschule, drei jahre nach roppen und von dort dann in die sonderschule. und in der sonder schule anfangen war natürlich nicht so einfach. aber es waren alles geprüfte lehrerinnen dort, bis auf zwei. noch eine schwester ist mit mir hingekommen, und wir haben noch keine prüfung gehabt. [...] und genau die, die dort noch waren, wie ich gekommen bin, waren auch in der ns-zeit unten in der schule. ich glaube alle, von der ersten angefangen. gar alle, die dort waren. außer wir zwei neuen, die dazu gekommen sind. und die haben das erlebt."[66]

Sr. F ist hörend und erklärte sich zu einem Interview bereit, betonte aber mehrmals, daß sie nicht viel wisse. Noch im gleichen Gespräch begann sie aber einiges zu erzählen, das für mich von Interesse war.

Das Interview selbst konnte ich in einem Raum des St.-Josefs-Institutes durchführen. Sr. F arbeitete und lebte zur Zeit des Interviews im St.-Josefs-Institut.

Sr. F konnte einiges erzählen.

Auf manche Fragen konnte sie nur Mutmaßungen anstellen oder wußte nichts darüber - einerseits weil sie sich nicht mehr erinnern konnte, andererseits weil ihr die Schwestern nichts darüber erzählt haben.

Sr. F war es sehr wichtig anonym zu bleiben.



[60] siehe Kapitel: "Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen in der Gegenwart".

[61] siehe Kapitel zu "Interviewführung".

[62] Es war mir zum Beispiel wichtig, das Alter und den Wohnort während der Zeit des Nationalsozialismus zu erfahren.

[63] Interview Herr A

[64] Die Unterstreichungen dienen hier zur Verdeutlichung meiner Aussage.

[65] Die vierte Zeitzeugin lebte damals in Wiener Neustadt.

[66] Interview Sr. F

Nachtrag

Interviewführung mit Unterstützung einer GebärdensprachdolmetscherIn

Trotz ausgiebiger Literatursuche konnte ich keine Arbeiten finden, die sich mit methodischen Überlegungen zur Interviewführung mit Unterstützung einer DolmetscherIn befassen. Durch Nachdenken, Gespräche mit Freundinnen, Üben und die Interviewführung selbst konnte ich mir einige methodische Überlegungen erarbeiten.

Erst nach Fertigstellung der Interviews und Verschriftlichung meiner Überlegungen fand ich in einer Arbeitsmappe zur "Beratung und Begleitung von Migrantinnen mit Gewalterfahrung"[67] einen Abschnitt, in dem die Beratung mit Dolmetscherinnen thematisiert wird.

Ich möchte hier einige methodische Überlegungen anführen, da sie sich meiner Meinung nach gut für eine Interviewführung eignen. Zum Teil decken sie sich mit den von mir erarbeiteten Punkten, zum Teil beantworten sie offen gebliebene Fragen von mir und thematisieren Aspekte, die ich nicht bedacht habe.

Im Text der Arbeitsmappe geht es immer um Beratungsgespräche mit Migrantinnen. Ich formuliere diesen Text für das Führen eines Interviews um.

Methodische Überlegungen zur Interviewführung mit Unterstützung einer (Gebärdensprach -) DolmetscherIn

Die Arbeit mit der DolmetscherIn gliedert sich in drei Teile:

  1. Vorgespräch

  2. Interviewsituation

  3. Reflexion

Vorgespräch mit der DolmetscherIn

  • Mögliche Themen und Inhalte des Interviews werden erklärt.

  • Die DolmetscherIn wird auf eventuell auftretende schwierige Situationen vorbereitet - etwa auf intensive Gefühlsäußerungen der InterviewpartnerIn.

  • Die Rolle der DolmetscherIn wird genau definiert. Sie ist die ÜbermittlerIn der Sprache, die Interviewführung liegt bei der InterviewerIn - dies muß auch für die InterviewpartnerIn spürbar sein.

  • Die Regeln für das Interview werden abgesprochen - Verschwiegenheit, Eins-zu-Eins-Übersetzung.

Interviewsituation

(Worauf die InterviewerIn achten soll)

  • In einem Interview mit einer DolmetscherIn ist besonders auf die Sitzordnung zu achten. Günstig erscheint das Sitzen in einem "Dreieck" oder die Variante, daß die DolmetscherIn seitlich hinter der InterviewerIn sitzt. Diese zweite Möglichkeit unterstreicht die alleinige ÜbermittlerInnenfunktion der DolmetscherIn.

  • Die InterviewerIn hält mit der InterviewpartnerIn Blickkontakt, nicht mit der DolmetscherIn.

  • Es sollte in der Planung der Interviews berücksichtigt werden, daß diese mit einer DolmetscherIn mehr Zeit brauchen.

  • Die InterviewpartnerIn soll über die Vorgangsweise und die Verschwiegenheitspflicht der DolmetscherIn informiert werden.

Reflexion mit der DolmetscherIn

  • Nach dem Interview soll die DolmetscherIn die Möglichkeit zu einem Reflexionsgespräch mit der InterviewerIn erhalten. Dieses Gespräch kann für die DolmetscherIn sehr wichtig sein - besonders wenn schwierige Themen Inhalt des Interviews waren.



[67] vgl. Tiroler Frauenhaus, Frauen gegen VerGEWALTigung,... 2001.

Erkenntnisse

Zusätzliche Erkenntnisse aus der Verbindung der theoretischen Vorüberlegungen und der praktischen Durchführung der Interviews

Arbeit mit der DolmetscherIn

  • Für die genauen Absprachen mit der DolmetscherIn sollte ein eigener Termin vereinbart werden - es hat sich als schwierig erwiesen, methodische Details direkt vor den Interviews zu klären.

  • Falls es die DolmetscherIn wünscht, können im Vorgespräch wahrscheinliche Inhalte der Interviews besprochen werden, damit sie die Möglichkeit hat, sich inhaltlich vorzubereiten.

  • Reflexionen mit der DolmetscherIn im Anschluß an die Interviews können hilfreich für die anschließenden Interviews sein. Es können z. B Übersetzungsschwierigkeiten und Veränderungsvorschläge für die kommenden Interviews besprochen werden. Die DolmetscherIn hat hier auch die Gelegenheit, über emotional belastende Interviewinhalte zu sprechen.

  • Mit der DolmetscherIn muß genau besprochen werden, wieviel Zeit sie für Vorgespräche und die einzelnen Interviews mit anschließender Reflexion zur Verfügung hat.

  • All meinen InterviewpartnerInnen waren beide DolmetscherInnen bekannt. Ich hatte den Eindruck, daß dies vertrauensbildend war. Ich kann aber nicht abschätzen, inwieweit dieser Umstand Erzählungen mit schwierigem (z. B schambesetztem) Inhalt beeinträchtigt hat.

  • Der Großzügigkeit der Obfrau des Landesverbandes der Tiroler Gehörlosenvereine und Frau H's., habe ich es zu verdanken, daß ich für einen Teil der Dolmetschkosten nicht aufkommen mußte. Derartige Vereinbarungen sind sehr hilfreich, aber es ist wichtig, genau festzulegen, wieviele Stunden zur Verfügung stehen.

Vorgespräche mit den InterviewpartnerInnen

  • Ich fände es günstig, mit der InterviewpartnerIn über den Blickkontakt zu sprechen. Dabei kann auf die Wichtigkeit des Blickkontaktes zur InterviewerIn hingewiesen werden und darauf, daß die Dolmetscherin die Gebärden trotzdem erkennen kann.

  • Die Funktion der DolmetscherIn ist die der ÜbermittlerIn der Sprache. Es sollte mit den InterviewpartnerInnen abgeklärt werden, ob das Dolmetschen gewünscht wird und inwieweit es für die Verständigung Sinn macht.

  • Es ist günstiger, beim Vorgespräch den Vertrag über die Verwendung der Video- und Audioaufnahmen abzuschließen, als direkt in der Interviewsituation. Die Rechte der InterviewpartnerInnen sind damit gesichert; die Vereinbarung stört dann aber nicht den Ablauf des Interviews.

Interviews

  • Für die Unterstützung des Blickkontaktes zwischen der InterviewpartnerIn und der InterviewerIn, scheint mir die Sitzposition, bei der die DolmetscherIn schräg hinter der InterviewerIn sitzt, am günstigsten zu sein.

  • Die "Plaudereien" am Anfang der Interviews haben sich entspannend auf die gesamte Situation ausgewirkt - für die InterviewerIn und die InterviewpartnerIn.

  • Bei der Berechnung der Interviewzeiten sollte berücksichtigt werden, daß die Übersetzungen Zeit brauchen. Außerdem soll es für die InterviewpartnerIn streßfrei möglich sein, mitgebrachte Unterlagen (z. B Fotos) zu zeigen und darüber zu erzählen

Ein großer Vorteil für die Interviewführung ist, wenn die InterviewerIn vorher Interviews erproben kann. Fehler können dadurch im Vorfeld erkannt und Verbesserungen ausprobiert werden. Außerdem gewinnt die InterviewerIn an Sicherheit.

Anhang

Inhaltsverzeichnis

ÜBEREINKUNFT

zwischen Interviewerin........................................................................und

InterviewpartnerIn.........................................................................................

Die beiden Unterzeichnenden kommen zu folgender Übereinkunft:

Das gemeinsam am ...............................in.............................................................

gemachte Interview ist mit Zustimmung aller Beteiligten auf Video aufgezeichnet worden.

Das Video ist Eigentum der Interviewerin und wird für die Abfassung einer Diplomarbeit an der Universität Innsbruck aufgezeichnet.

Die Interviewpartnerin / der Interviewpartner:

Ich möchte eine Kopie der Videoaufzeichnung

 Ja

 Nein

Ich möchte, daß eine Kopie der Videoaufzeichnung im Tiroler Landesverband der Gehörlosen in Innsbruck aufbewahrt wird

 Ja

 Nein

Die Videoaufzeichnung darf zusätzlich für Arbeiten verwendet werden (Artikel, Vorträge, u.s.w.)

 Ja

 Nein

Ich möchte in allen Arbeiten anonym bleiben

 Ja

 Nein

................................................

..................................................

Interviewerin

InterviewpartnerIn

Zusätzliche Anmerkungen:

SOZIALHISTORISCHE EINBLICKE IN LEBENSFELDER VON GEHÖRLOSEN MENSCHEN

Einleitung

In diesem Teil der Diplomarbeit bearbeite ich die sozialhistorischen Bedingungen in denen das Leben meiner InterviewpartnerInnenn zur Zeit des Nationalsozialismus eingebettet war. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und dessen Umsetzung sowie die Beschreibung der Institutionen, die den Gehörlosen zur Verfügung standen oder sich ihnen aufdrängten.

Die Erinnerungen der ZeitzeugInnen sind im Kontext der äußeren Bedingungen und der erlebten und potentiellen Gefahren z. B durch das GzVeN und den Krieg zu sehen.

Demographische Daten der gehörlosen InterviewpartnerInnen

Herr A

Geboren: 1925

Herr A ist im Jahr des Anschlusses 13 Jahre alt und besucht die "Taubstummenanstalt" in Mils.

1941 schließt er die Schule ab und sucht einen Lehrplatz. 1941 beginnt er in Innsbruck eine Lehre als Sattler.

Herr A ist zum Zeitpunkt des Interviews 76 Jahre alt.

Frau B

Geboren: 1926

Frau B ist im Jahr des Anschlusses 12 Jahre alt und lebt in der Zeit des Nationalsozialismus in Wien und besucht eine Schule für Gehörlose in Wien Speising. Frau B schult 1940 aus.

1941 beginnt sie mit dem Arbeitsdienst in einer Flugzeugfabrik in Wiener Neustadt.

Frau B ist zum Zeitpunkt des Interviews 75 Jahre alt.

Herr C

Geboren: 1929

Herr C verbringt die Zeit des Nationalsozialismus in der "Taubstummenanstalt" in Mils.

Herr c ist zum Zeitpunkt des Interviews 72 Jahre alt.

Herr D

Geboren: 1922

Herr D schult im Jahre 1938 aus der "Taubstummenschule" in Mils aus.

Im Herbst dieses Jahres beginnt er eine Lehre Als Goldschmied

1944 wird er für zum Volkssturm eingezogen.

Herr D ist zum Zeitpunkt des Interviews 80 Jahre alt.

Herr E

Geboren: 1930

Herr D verbringt die Zeit des Nationalsozialismus in der "Taubstummenanstalt" in Mils.

Herr D ist zum Zeitpunkt des Interviews 71 Jahre alt..

Ein großer Teil der Erzählungen werden nach Schwerpunkten gegliedert in den Text eingearbeitet.

Teile der Interviews sind aber nicht behandelt, einerseits liegen diese Erzählpassagen außerhalb der Zeit des Nationalsozialismus, andererseits sind manche Erfahrungen persönlich sehr wichtige Ereignisse, sprengen aber meinen Forschungsrahmen (z. B Erzählungen über die Zerstörung des Elternhauses).

"RASSENHYGIENE" UND "EUGENIK" IM Nationalsozialismus

Halte sie fest

Sträubt sich

dein Wort

gegen den Wind

dieser Zeit

Hinter ihr

atmen noch

leise Minuten

Halte sie

Halte sie

fest

Rose Ausländer [68]

Ideologische und politisch-ökonomische Zusammenhänge

Die systematische Verfolgung, Folterung, Zwangssterilisation und Ermordung von Menschen mit Behinderungen, den so genannten "erblich Minderwertigen" und von "Gemeinschaftsfremden" durch die Nationalsozialisten ist die Zuspitzung des menschenverachtenden Umgangs mit Menschen mit Behinderungen, der in westlichen Gesellschaften eine historische Kontinuität aufweist.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt der Biologe Charles Darwin die "Selektionstheorie", die er aus seinen Beobachtungen der Tierwelt ableitet. Der so genannte "Kampf ums Dasein" und damit verbunden die "Auslese der Schwachen zum besseren Fortkommen der Rasse" wird zur naturgesetzlichen Bestimmung stilisiert und auf die menschliche "Rasse" übertragen.

"O-Ton Darwin zum Thema ,Rassenreinheit':

,Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt, und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit.

Auf der andern Seite thun wir civilisirte Menschen alles nur Mögliche, um den Process dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken, wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen die größte Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. [...] Niemand, welcher der Zucht domesticirter Tiere seine Aufmersamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, daß dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muß. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticirten Rasse führt; aber mit Ausnahme des den Menschen betreffenden Falls ist kein Züchter so unwissend, daß er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuläßt.'"[69]

Die, im Darwin'schen Sinne übernommene Theorie, der "Auslese" wird von Theoretikern aus verschiedenen (wissenschaftlichen) Disziplinen zum Prinzip der menschlichen Gesellschaft erklärt. Zu diesen Disziplinen zählen Medizin, Psychiatrie, Pädagogik, Rechtswissenschaft und Anthropologie.

"Auch in der Gesellschaft würden nur die kräftigsten und lebensfähigsten Individuen und Rassen im Kampf ums Dasein überleben, die Schwächeren unterliegen und zugrunde gehen."[70]

Diese Konzeptionierung der menschlichen Gesellschaft bietet die ethisch- moralische Rechtfertigung für die Aufforderung zu einer aktiven "Aufartung" der Gesellschaft. Die Vorstellungen der Theoretiker reichen von Entziehung des Rechts auf Fortpflanzung, durch Eheverbot oder Sterilisation, bis hin zur Ermordung von Menschen mit zugeschriebenen unerwünschten Eigenschaften.

"In der 1920 erschienenen Schrift ,Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens' des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche wurde erstmals die Ausmerzung der Geisteskranken angesprochen."[71]

Auch Adolf Hitler hat bereits 1925 in seinem Buch "Mein Kampf" die Sterilisierung "Minderwertiger" gefordert.[72]

Die "wissenschaftlichen Diskurse" zur möglichen "Aufartung der Gesellschaft" finden auch Eingang in das Rechtsempfinden weiter Kreise der Bevölkerung.

"Dieser Sozialdarwinismus mit seinen Utopien der Menschenzüchtung und seinen selektorischen Tendenzen zur Ausmerze des angeblich Minderwertigen bzw. erblich Belasteten war keine bloß wissenschaftliche Verirrung; er wurde zum konstitutiven Bestandteil der Ideologie des deutschen Imperialismus, beeinflußte auch große Teile der deutschen Bourgeoisie der Zwischenkriegszeit und wurde vom Nationalsozialismus aufgegriffen und zu verwirklichen versucht."[73]

Sozialdarwinistische und rassenhygiensche Theorien sind in Österreich ebenso verbreitet, wie im Deutschen Reich: "Die Forderungen der zumeist rechts stehenden und nationalen Kreisen angehörenden ,Wissenschaftler' waren nicht weniger radikal und menschenverachtend, die Chance zu ihrer Verwirklichung kam jedoch erst mit dem ,Anschluß' 1938."[74] Seit 1924/25 besteht in Graz und in Wien eine "Gesellschaft für Rassenhygiene". Die Mitglieder der Wiener "Gesellschaft" sind zum größten Teil Akademiker, die ihr rassistisches und eugenisches[75] Gedankengut in öffentlichen Vorträgen an den Universitäten verbreiten. Im Jahre 1935 gliedert sich die "Gesellschaft" als Ortsgruppe Wien der "Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene" ein. Nach dem Anschluß Österreichs im März 1938 werden eigene Lehrstühle für "Erb- und Rassenbiologie" an den Universitäten eingerichtet, so auch in Innsbruck in der Müllerstraße 44.[76]

Die radikale Umsetzung dieser ideologischen Anschauungen entspricht auch dem politisch-ökonomischem Interesse des faschistischen Herrschaftssystems.

Definition von "Faschismus" nach Stefan Romey: "Unter Faschismus soll ein Herrschaftssystem verstanden werden, das durch Unterstützung von Schwerindustriellen, Finanzgrößen, Großgrundbesitzern, Teilen des Militärs u.a. zur Macht gekommen ist, und das deren Privilegien sichern und mehren helfen soll. Der Faschismus vernichtet alle demokratischen Freiheiten und übt hemmungslosen Terror gegen seine Feinde, insbesondere die Arbeiterbewegung, aus. Kernbestand faschistischer Denkweise sind rassistische, nationalistische, militaristische und antidemokratische Anschauungen."[77]

Im Sinne dieser Politik sind vorrangige Ziele, zugunsten des Großkapitals, die Arbeitsleistungen auf ein Maximum zu heben und Löhne und Sozialleistungen auf ein Minimum zu senken. Sozialausgaben werden in Rüstungskosten umgewidmet und Menschen mit Behinderungen, die nicht arbeitsfähig sind, werden aufgrund des "Kosten-Nutzen-Modells" und einer rassistischen Anschauung verfolgt, sterilisiert und ermordet.

Kennzeichnend für den Faschismus ist aber auch seine Widersprüchlichkeit: Wohlstand, Arbeit, Frieden und Achtung der Menschenrechte werden dem deutschen Volk versprochen, Terror und Krieg sind aber die Bedingungen unter denen die Menschen leben. Die Nationalsozialisten "[...) entfesselten jedoch den Zweiten Weltkrieg, ordneten alle Arbeiten der Rüstungswirtschaft unter, herrschten mit Terror und Willkür und stürzten Millionen Menschen in Hunger, Elend, Armut und Obdachlosigkeit."[78]

Das Ziel der Nationalsozialisten, einen "gesunden Volkskörpers" mittels Sterilisationen und "Euthanasieaktionen"[79] zu erhalten, wird aber zugleich über ihre faschistische Herrschaft und den von ihnen ausgelösten Krieg ad Absurdum geführt. "Faschismus und Krieg sind bis heute die wesentlichen Ursachenfaktoren für vielfältige Behinderungen und Erkrankungen!" [80]

GzVeN - Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses

Eine der ersten Maßnahmen, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung auf dem Gebiet der "Erb- und Rassenpflege" durchführen, sind staatlich angeordnete Sterilisationen von "Erbkranken". Die rechtliche Grundlage für die Durchführung der Zwangssterilisationen bietet das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (GzVeN) vom 14. Juli 1933.

Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" betrifft auch die Gehörlosen.

Bereits im Jahre 1911 verabschiedet der Deutsche Reichstag ein Gesetz über die Beschulung blinder und gehörloser SchülerInnen, in dessen Anhang sich ein Musterfragebogen befindet, der eugenischen Fragestellungen einen erheblichen Raum widmet, wobei acht der 29 Fragen eindeutig auf die Erblichkeit von Taubheit abzielen. Diesen Fragebogen haben nach 1933 "NS-Taubstummen-Direktoren" als Vorlage benutzt, um betroffene SchülerInnen bei den Gesundheitsämtern und Erbgesundheitsgerichten als erbkrank anzuzeigen.[81]

Im GzVeN - und seinen späteren Änderungen und Zusätzen - wird ausführlich dargelegt, welche Krankheiten und Behinderungen als erblich eingestuft werden, welche Methoden für die Sterilisationen und Abtreibungen anzuwenden sind und wie sich das verwaltungsmäßige und gerichtliche Feststellungs- und Beschlußverfahren gestaltet.[82]

§ 1 des GzVeN lautet folgendermaßen:

"(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.

(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:

  1. angeborenem Schwachsinn,

  2. Schizophrenie,

  3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,

  4. erblicher Fallsucht,

  5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),

  6. erblicher Blindheit,

  7. erblicher Taubheit,

  8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.

(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet."[83]

Das GzVeN tritt in Deutschland am 1. Jänner 1934 in Kraft[84].

Mit der "Verordnung über die Einführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes in der Ostmark" vom 14. November 1939, welche mit 1. Jänner 1940 eingeführt und exekutiert wird, tritt in Österreich, der damaligen Ostmark, und damit auch im Reichsgau Tirol und Vorarlberg das reichsdeutsche Sterilisierungsgesetz in Kraft. [85]

Antragsberechtigt sind die zu Sterilisierenden selbst oder deren gesetzliche Vertreter und Anstaltsleiter (Heil-, Pflege-, Kranken- und Strafanstalten). Amtsärzte (Gesundheitsämter), sowie alle anderen Ärzte und Personen, die mit der Heilbehandlung beschäftigt sind, Sanitätsoffiziere und Musterungsärzte der Wehrmacht werden zur Meldung verpflichtet.[86] Das zuständige Gesundheitsamt hat alle Anträge dahingehend zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Weiterbehandlung des Antrages vorliegen. Über den Antrag entscheidet - in einem nicht öffentlichen Verfahren - das Erbgesundheitsgericht. Jedes Erbgesundheitsgericht ist einem Amtsgericht (entspricht dem heutigen Bezirksgericht) angegliedert. Berufungen sind beim Erbgesundheitsobergericht möglich.[87] Die beiden, für den Reichsgau Tirol-Vorarlberg zuständigen Erbgesundheitsgerichte werden in Innsbruck und in Feldkirch eingerichtet, das Erbgesundheitsobergericht beim Oberlandesgericht in Innsbruck.[88]

Wird die Sterilisierung vom Gericht beschlossen, ist auch die "Anwendung unmittelbarer Gewalt" zulässig, um die Unfruchtbarmachung auch gegen den Willen der Betreffenden durchzuführen.[89]

In einer Änderung des GzVeN vom 26. Juni 1935 wird zusätzlich festgehalten, daß eine Schwangerschaft bei Frauen, deren Unfruchtbarmachung rechtlich entschieden ist, bis ins sechste Monat unterbrochen werden kann.[90]

Trotz des so genannten "Rechts" auf Berufung gegen die Sterilisation und der "Einwilligungspflicht" für eine Abtreibung, sind Frauen und Männer sterilisiert worden, ohne daß die Entscheidung über eine Berufung abgewartet wurde,[91] auch wurden Frauen häufig zu einer Abtreibung gezwungen- bzw. wurde deren Einwilligung nicht eingeholt.[92]

Viele Frauen und Männer sind bei diesen Eingriffen oder an deren Folgen gestorben. "Gisela Bock hat herausgearbeitet, daß die rund 400.000[93] Zwangssterilisationen mindestens 5.000 Tote, davon 90% Frauen, forderten [...]."[94]

Neugebauer hält fest, daß die meisten Sterilisierungsanträge von den Leitern der Gesundheitsämter gestellt worden sind.[95]

Im Jahre 1939 wird die Durchführung des GzVeN den "außergewöhnlichen Umständen des Krieges angepaßt": Um die Erbgesundheitsgerichte zu entlasten wird den Amtsärzten am 31. August 1939 vom Reichsinnenministerum verordnet, daß sie eine Vorauswahl, für die Weiterreichung der Anträge an die Gerichte, zu treffen haben. Die Entscheidung, Sterilisationsanträge an das jeweilige Erbgesundheitsgericht weiterzuleiten, wird von einer "besonders großen Fortpflanzungsgefahr" abhängig gemacht.[96]

Zusätzlich zu dieser Verordnung weist das Innenministerium in einem Rundschreiben im Jänner 1942 nochmals auf die kriegsnotwendigen Einschränkungen hin: "In Zeiten, in denen Gesundheitsamt, Universitätskliniken und Krankenhäuser für kriegswichtige Zwecke stark in Anspruch genommen werden, soll der Amtsarzt das Vorliegen großer Fortpflanzungsgefahr nur in wenigen Fällen bejahen, während er in ruhigen Zeiten mehr Anträge stellen kann."[97]

Einige Zahlen, die den "Reichsgau Tirol-Vorarlberg" betreffen

Daß gehörlose Menschen durch die Diagnose "erbliche Taubheit" während der nationalsozialistischen Herrschaft in Gefahr sind, geht aus dem GzVeN hervor. Horst Biesold legt mit seinem Buch "Klagende Hände" eine umfassende Forschungsarbeit über die Konsequenzen des GzVeN für gehörlose Menschen vor - unter anderem sind körperliche und psychische Auswirkungen der Sterilisationen und Abtreibungen auf die betroffenen Menschen in diesem Buch sehr eindrücklich beschrieben und nachzulesen.

Biesolds Forschung bezieht sich aber vorwiegend auf die Situation der Menschen in Deutschland.

Das Thema in bezug auf Österreich ist subsumiert in den Forschungen über die Auswirkungen des NS-Regimes auf Menschen mit Behinderung/en, ist aber bisher sehr wenig bis gar nicht speziell diskutiert worden.

Ich möchte daher an dieser Stelle zwei Tabellen, die sich auf Tirol und Vorarlberg beziehen anführen. Sie beinhalten die einzigen mir zugänglichen Zahlen betroffener gehörloser Menschen.

Amtliche Diagnosen für Sterilisationsanträge 1940/41 Jahresberichte GzVeN 1940-1941 zit. nach Lechner 1997, 141. (Tab. 4)

Diagnose

Anträge

1940

Anträge

1940

Anträge

1941

Anträge

1941

Anträge

Gesamt

 

M

W

M

W

 

Angeb. Schwachsinn

16

25

43

41

125

Schizophrenie

7

2

28

27

64

Man.-depressives Irresein

-

-

1

2

3

Erbliche Fallsucht

4

2

15

10

31

Erblicher Veitstanz

-

-

-

-

-

Erbliche Blindheit

1

1

3

4

9

Erbliche Taubheit

6

2

4

6

18

Schwere erbliche körperl. Mißbildung

-

-

1

-

1

Schwerer Alkoholismus

-

-

3

-

3

           

Summe

34

32

98

90

254

Lechner vermutet, daß in der oben angeführten Gesamtsumme der Sterilisationsanträge auch 53 schon 1939 gemeldeten Fälle enthalten sind, wobei er keine genaueren Angaben zu diesen 53 Sterilisationsanträgen macht.

Amtliche Diagnosen für Sterilisationsopfer 1940/41 Jahresberichte GzVeN 1940-1941 zit. nach Lechner 1997, 150. (Tab. 6)

Diagnose

1940

1940

1941

1941

Gesamt

 

M

W

M

W

 

Angeb. Schwachsinn

1

6

26

30

63

Schizophrenie

1

-

12

8

21

Man.-depressives Irresein

-

-

-

-

-

Erbliche Fallsucht

-

-

3

7

10

Erblicher Veitstanz

-

-

-

-

-

Erbliche Blindheit

-

-

2

3

5

Erbliche Taubheit

-

3

8

2

13

Schwere erbliche körperl. Mißbildung

-

-

-

-

-

Schwerer Alkoholismus

-

-

1

-

1

           

Summe

2

9

52

50

113

Auffallend finde ich, daß die Zahlen der Sterilisationsanträge nicht mit den Zahlen der Sterilisationsopfer in den gleichen Jahren übereinstimmen. Zum Teil wurden mehr Sterilisationen durchgeführt, als dokumentierte Anträge eingebracht. Dies legt mir die Vermutung nahe, daß Sterilisationen auch ohne Anträge durchgeführt worden sind.

Laut Lechner sind in Tirol und Vorarlberg 268 Sterilisationen dokumentiert. Er geht aber davon aus, daß sich die Zahl der Sterilisationsopfer von 1940 - 1945 auf ca. 400 Personen schätzen läßt.[98]

Propagandaaktionen

Um möglichem Widerstand, vorwiegend aus kirchlichen Kreisen, aber meiner Meinung nach auch von Seiten Angehöriger, gegen das GzVeN vorzubeugen, wird die Ein- und Durchführung des Gesetzes von einer groß angelegten Propagandakampagne begleitet.

"In nationalsozialistischen Kreisen des Gaues Tirol wird angenommen, daß die Durchführung der Gesetze in diesem Gaugebiet auf besondere Schwierigkeiten stoßen wird, da die Bevölkerung stärker als in allen anderen Gauen kirchlich gebunden ist. Es wird daher in diesen Kreisen angeregt, durch eine starke Propaganda- und Aufklärungswelle die gegnerischen Angriffe abzuwehren."[99]

Der Schwerpunkt dieser Propagandaaktionen liegt in der Darstellung, daß "Erbkranke" durch an ihnen vorgenommene Sterilisationen, der Volksgemeinschaft einen Dienst erweisen und es für sie - im Sinne der völkischen Gesundheit - die höchste Ehre ist, auf Kinder zu verzichten und eine Schande, Kinder zu zeugen.[100]

Zusätzlich zu dieser Argumentationslinie werden "Kosten-Nutzen-Rechnungen" aufgestellt, um die Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit des GzVeN zu überzeugen. Als Beispiel dafür, wie weitreichend, menschenverachtend und manipulativ diese Propagandaaktionen angelegt worden sind, möchte ich ein Rechenexempel aus einem Schulbuch aus dem Jahre 1941 anführen: "Dem Staat kostet ein gesunder Schüler täglich 0,33 RM, ein Hilfsschüler 1,50 RM, ein Taubstummer 4 RM. Ein Erbgesunder kostet jährlich 1944 RM. Deutschland gibt alljährlich 1,4 Milliarden RM für Erbkranke aus. Dafür könnte man jährlich 70 000 Eigenheime bauen.[101]

Meiner Meinung nach dienen die so genannten "Aufklärungsmaßnahmen" auch der ideologischen Meinungsbildung der Bevölkerung für die Durchführung der schon längst geplanten Ermordungen von Menschen mit Behinderungen.

"[...] war die Sterilisierung die Vorstufe für die Vernichtung des ,lebensunwerten Lebens', die Hitler schon 1935 für den Kriegsfall angekündigt hat."[102]

Zwangssterilisationen

Von den, zwischen 1934 und 1946 zwangssterilisierten Menschen, sind mehr als 15.000 "erblich Taubstumme"[103] betroffen.

Die Schätzungen, der in Österreich sterilisierten Menschen, belaufen sich auf 6.000.[104] Dieser Wert ist entsprechend der Bevölkerungsziffer geringer als in Deutschland. Lechner gibt drei Faktoren an, die maßgebend für diesen Befund sind[105]:

  • Das GzVeN tritt in Österreich erst in Kraft, als in Deutschland bereits die "Massensterilisierungen" abgeschlossen waren und der Widerstand aus der Bevölkerung immer stärker geworden war.

  • Der Krieg ist schon im Gang - Ärzte und medizinisches Personal werden eingezogen und Krankenbetten für die Lazarette gebraucht. Außerdem wird der Verwaltungsapparat reduziert.

  • Im Zuge der "Euthanasieaktionen" werden Tausende potentielle Sterilisationsopfer ermordet.

"Klagende Hände" - Forschungsergebnisse von Horst Biesold

An dieser Stelle möchte ich wichtige Forschungsergebnisse von Horst Biesold[106], über die Auswirkungen des GzVeN auf gehörlose Menschen, die er in seinem Buch "Klagende Hände" beschreibt, anführen.

Als Grundlage seiner Forschung dienen Biographien von 1.215 noch lebender Gehörloser, die im Rahmen des GzVeN als erbkrank bezeichnet und zwangssterilisiert worden sind.[107] .Die Schilderungen der ZeitzeugInnen hat Biesold mit Archivforschungsergebnissen verifiziert.

Die Forschungsergebnisse zeigen auf, daß in Deutschland gehörlose Menschen systematisch erfaßt und zwangssterilisiert worden sind. Diese Zwangssterilisationen sind an gehörlosen Personen im Alter zwischen ca. 8 und 42 Jahren vorgenommen worden. Abtreibungen an gehörlosen Frauen sind oftmals bis in das 9. Schwangerschaftsmonat durchgeführt worden, und mehrmals wurden Neugeborene getötet.[108]

Eine weitere bedeutungsvolle Erkenntnis ist, daß Gehörlosenpädagogen sich konsequent für die "rassenhygienischen Maßnahmen" an ihrer eigenen Klientel eingesetzt haben. Es "[...] gelang der Nachweis, daß sich die deutsche Gehörlosenpädagogik von ihrem einst humanitären Bildungsanspruch entfernt und sich der Ideologie des Nationalsozialismus verschrieben hatte und somit heute als NS-Gehörlosenpädagogik definiert werden muß."[109]

Nur 1,4% der befragten ZeitzeugInnen gibt an, nicht unter Zwang sterilisiert worden zu sein. Der massive Zwangscharakter des GzVeN ist somit nachgewiesen worden.

Bemerkenswert ist, daß Gehörlose, die von der Zwangssterilisation bedroht waren, Widerstand geleistet haben und sich dadurch Denunziationen und massiven Gegenreaktionen des REGEDE (Reichsverband der Gehörlosen Deutschland) ausgesetzt haben.

Fast alle Opfer des GzVeN haben Folgeschäden, vor allem psychischer Genese, als "irreparablen Defekt" erlitten, der ihre Lebenslinie unterbrochen hat und das Selbstwertgefühl stark vermindert. Zusätzliche ausgeprägte Angstsyndrome führen zu einer sozialen und emotionalen Isolation.

Weitere gesicherte Erkenntnisse:

  1. Das ohnehin humanitätsverachtende GzVeN war im Alltag des Nationalsozialismus als Gesetz zur Farce geworden, da die Täter auch bei ungesetzlichen Überschreitungen geschützt wurden, die Opfer mithin der Willkür ausgesetzt waren. Beispiele: Zwangsabtreibungen gem. § 10a nach dem 6. Schwangerschaftsmonat, Experimente bei den Operationen, Todesfälle.

  2. Für "nicht bildungsfähig" erkannte Gehörlose wurden von ihren Pädagogen der "Euthanasie"-Aktion der Nazis überstellt und ermordet.

  3. Wegen ihrer doppelten "Minderwertigkeit" - gehörlos und jüdischen Glaubens zu sein - wurden jüdische Gehörlose zwangssterilisiert, ausgestoßen, gefoltert und ermordet.

  4. Eine gesetzliche Regelung des Wiedergutmachungsanspruchs für Zwangssterilisierte wurde politisch verhindert.[110]

Ehegesundheitsgesetz[111]

Neben dem GzVeN soll auch die Einführung des Ehegesundheitsgesetzes als Regulativ für die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik dienen - möglichst viele gesundheitlich und "rassisch" voll entsprechende Kinder sollen aus den Eheverhältnissen hervorgehen.

Für "erblich und rassisch einwandfreie Ehepaare" wird als Anreiz für die Steigerung der Geburtenrate ein zinsenfreies "Ehestandsdarlehen" geboten.

Standesbeamte sind bevollmächtigt, für die Erteilung einer Heiratserlaubnis ein "Ehetauglichkeitszeugnis" zu verlangen. Für die Ausstellung der "Ehetauglichkeitszeugnisse" sind die "Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege" bei den Gesundheitsämtern zuständig.

"Ehetauglichkeitszeugnisse" werden unter anderen jenen Frauen und Männern verweigert, die als "erbkrank" gelten.

Diese Bestimmung führt dazu, daß eine erhebliche Anzahl "Erbkranker" (im Sinne des GzVeN) sich "freiwillig" sterilisieren lassen, um eine Eheerlaubnis zu erhalten.[112]

Aber auch trotz einer durchgeführten Sterilisation kann unter bestimmten Umständen die Eheerlaubnis verweigert werden: "Zur Überwindung des ,Ehehindernisses' reichte ein Sterilisation aber auch dann nicht aus, wenn der ,erbgesunde' Partner noch fortpflanzungsfähig war."[113]

"Euthanasie"

Die systematische Ermordung von Kindern und Erwachsenen mit Behinderungen beginnt im Jahr des Angriffes auf Polen durch die Nationalsozialisten: Am 1. September 1939 wird Polen von Hitler-Deutschland angegriffen[114]. Im Frühling 1939 beginnt, auf Hitlers mündliche Vollmacht hin, die massenhafte Tötung von "mißgebildeten" Neugeborenen und Kleinkindern - die so genannte "Kinder-Euthanasie". Ende Oktober 1939 unterzeichnet Hitler, den auf 1. September 1939 rückdatierten Geheimbefehl für die Ausführung der "Erwachsenen-Euthanasie-Aktionen" (Aktion "T4").[115]

Daß der Beginn der Ermordungsaktionen zeitgleich mit dem Kriegsausbruch festgesetzt wird, hat nach Lechner drei Ursachen:[116]

  • Ideologische Begründung: In Kriegszeiten findet in den Augen der Nationalsozialisten eine "negative Auslese" statt: Die Gesunden werden an der Front verstümmelt oder sterben, während die Kranken dem "Volkskörper" erhalten bleiben.

  • Kosten-Nutzen-Rechnung: Gebäude und medizinisches Personal werden für Kriegslazarette freigesetzt und soziale Kosten zugunsten der Kriegswirtschaft eingespart.

  • Befürchtung vor Widerstand: "Hitler war der Meinung, ,daß ein solches Problem [die schon vorher geplante Realisierung der ,Vernichtung unwerten Lebens'] im Krieg zunächst glatter und leichter durchzuführen ist, daß offenbare Widerstände, die von kirchlicher Seite zu erwarten wären, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht diese Rolle spielen würden wie sonst'."[117]

Für die Bewältigung der geforderten "Ausmerzung lebensunwerten Lebens" werden im gesamten Reichsgebiet 6 Tötungsanstalten eingerichtet: Hadamar bei Koblenz, Hartheim bei Linz, Bernburg in Anhalt, Sonnenstein bei Pirna, Grafeneck in Württemberg und Brandenburg bei Berlin.[118]

"In Hartheim wurden nicht nur die meisten Euthanasieopfer getötet, die Tötungen dauerten auch bis Ende 1944!"[119]

Widerstand und Auflehnung gegen diese Tötungsmaßnahmen kommt von vielen Krankenschwestern und -pflegern sowie ÄrztInnen und Krankenhausbediensteten.

Auch von seiten der Kirche kommt es zu vehementen Protesten und Solidaritätskundgebungen. Aufgrund dieses Widerstandes kommt es zu einer einmaligen Maßnahme in der Gschichte des NS-Regimes: Adolf Hitler sieht sich gezwungen am 24. 8. 1941 die Aktion "T4" zu beenden.[120]

Nach diesem "Euthanasie-Stop" gehen die Ermordungen aber weiter - die so genannte "wilde Euthanasie". So werden zum Beispiel in einzelnen Anstalten "Hungerstationen" eingerichtet, mit dem Ziel, Menschen am Hungertod sterben zu lassen oder sie durch die Verabreichung von Barbituraten zu Töten. Tausende PatientInnen werden auf diese Weise ermordet.[121]

Im Zuge der "Euthanasie" sind schätzungsweise 5.000 Kinder[122] ermordet worden. Die Zahl der erwachsenen Opfer ist nicht genau feststellbar - angenommen werden für Deutschland 275.000[123] und für Österreich mindestens 20.000 bis 50.000[124] "Euthanasie"-Tote.

Forschungen und Zahlen über - von der "Euthanasie" betroffene - gehörlose Menschen gibt es nicht.[125]

An dieser Stelle möchte ich auf das Buch ",Euthanasie' im NS-Staat" von Ernst Klee[126] hinweisen. Hier sind sehr umfangreich und detailliert die Organisation und die Hintergründe der Ermordungsaktionen dokumentiert, sowie über Zeugenaussagen, die Bedeutung auf der menschlichen Ebene für Opfer und Täter herausgearbeitet.In welcher Form und in welchem Ausmaß in Österreich gehörlose Menschen vom GzVeN und von den "Euthanasieaktionen" betroffen waren, ist bis heute nicht aufgearbeitet worden.



[68] Ausländer 1994, 95.

[69] Darwin zit. nach St.-Josefs-Institut 1998, 56.

[70] Neugebauer 1986, 5.

[71] vgl. Neugebauer 1996, 4.

[72] vgl. Neugebauer 1996, 6.

[73] Neugebauer 1986, 6.

[74] Lechner 1997, 122.

[75] Definition Eugenik: "Erbgesundheitsforschung, -lehre, -pflege mit dem Ziel, erbschädigende Einflüsse u. die Verbreitung von Erbkrankheiten zu verhüten." DUDEN. Das Fremdwörterbuch 1982, 230.

[76] vgl. Lechner 1997, 123.

[77] Romey 1987a, 3.

[78] Romey 1987a, 4.

[79] Definition Euthansasie: "1. Erleichterung des Sterbens, bes. durch Schmerzlinderung mit Narkotika (Med.). 2. beabsichtigte Herbeiführung des Todes bei unheilbar Kranken durch Anwendung von Medikamenten (Med.)" DUDEN. Das Fremdwörterbuch 1982, 231. Abgeleitet wird der Begriff aus dem griechischen "eu thanatos" - schöner, guter Tod. Der, von den Nationalsozialisten propagierte Begriff "Euthanasie" dient meiner Meinung nach zur Verschleierung für die systematisch durchgeführten Ermordungsaktionen an Menschen mit Behinderungen. Wolfgang Neugebauer präzisiert die "NS-Euthanasie" als "NS-Vernichtungsaktion" oder als "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Vgl. Neugebauer 1986, 4.

[80] Romey 1987a, 1.

[81] vgl. Biesold 1988, 11.

[82] vgl. Lechner 1997, 18.

[83] Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 1939, §1.

[84] Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 1939, § 18.

[85] vgl. Fornwagner 1989/1990, 18 und Neugebauer 1986, 8.

[86] vgl. Neugebauer 1996, 6 und Lechner 1997, 135 und 137.

[87] vgl. Fornwagner 1989/90, 18.

[88] vgl. Lechner 1997, 134.

[89] vgl. Neugebauer 1986, 8.

[90] vgl. Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses 1939.

[91] vgl. Lechner 1997, 135.

[92] vgl. Lechner 1997, 127.

[93] Obwohl ich es wichtig finde, quantitative Angaben über "betroffene Personen" zu demonstrieren, um das ungeheure Ausmaß dieser Verbrechen darzustellen, finde ich Zahlenangaben auch schwierig. Einerseits sagen sie nichts über das persönliche Leid einzelner Personen aus, andererseits variieren sie in der Literatur und es gibt so genannte "Dunkelziffern" und Schätzungen. (Neugebauer führt zum Beispiel an, daß zu den geschätzten 400.000 zwangssterilisierten Menschen noch eine Dunkelziffer von einigen tausend, außerhalb des Gesetzes durchgeführten Sterilisierungen, angenommen werden muß. Vgl. Neugebauer 1996, 7.). Die Aufarbeitung dieser Thematik ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Hier sehe ich auch den Verantwortungsbereich von PolitikerInnen, diese Vorhaben zu finanzieren und auch zu initiieren.

[94] Neugebauer 1996, 7.

[95] vgl. Neugebauer 1996, 6.

[96] vgl. Lechner 1997, 139.

[97] Rundschreiben RMdI 27.1.1942 zit. nach Lechner 1997, 140.

[98] vgl. Lechner 1997, 149.

[99] Anlage zum Lagebericht Nr. 65 des Sicherheitsdienstes der SS vom 13. Mai 1940, zit. nach Lechner 1997, 132.

[100] vgl. Lechner 1997, 132.

[101] Burgstaller zit. nach Lechner 1997, 128.

[102] Neugebauer 1986, 9.

[103] vgl. Krausneker 2000, 1.

[104] vgl. Lechner 1997, 159.

[105] vgl. Lechner 1997, 160.

[106] vgl. Biesold 1988 und 1990.

[107] Zur Gewinnung der autobiographischen Daten, verteilte Biesold Fragebögen und bediente sich dabei unterschiedlicher Organisationen und Institutionen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland (1983). Dies bedeutet, daß vorwiegend Gehörlose erfaßt wurden, die auch zwischen 1933 und 1945 ihren Wohnort in Deutschland hatten - es sindzum Beispiel nur drei Gehörlose angeführt , die während des Nationalsozialismus in Österreich/Wien lebten. Vgl. Biesold 1988, 34 ff.

[108] vgl. Biesold in Krausneker 2000, 1.

[109] Biesold 1990, 171.

[110] Biesold 1990, 171.

[111] vgl. Lechner 1997, 157 - 159.

[112] vgl. Lechner 1997, 142.

[113] Lechner 1997, 158.

[114] vgl. Overy 1996, 119.

[115] vgl. Neugebauer 1986, 9 ff.

[116] vgl. Neugebauer 1986, 10.

[117] Neugebauer 1986, 10.

[118] vgl. Hinterhuber 1997, 58.

[119] Hinterhuber 1997, 58.

[120] vgl. Hinterhuber 1997, 61.

[121] vgl. Hinterhuber 1997, 61.

[122] Neugebauer 1996, 8.

[123] Neugebauer 1986, 15.

[124] Neugebauer 1996, 10.

[125] vgl. Krausneker 2000, 1.

[126] vgl. Klee 1983.

INSTITUTIONEN

"Landes-Taubstummen-Anstalt für Tirol in Mils bei Hall"

Die "Taubstummenanstalt" in Tirol von 1830 bis 1918

Im Jahre 1828 wird Fürstbischof Karl von Brixen von der Landesstelle ersucht, einen Priester für die Errichtung einer "Taubstummenanstalt" in Tirol zu bestimmen. Er wählt für diese Tätigkeit den Priester Johannes Amberg, der zu dieser Zeit in Wien im k.k. Taubstummen-Institut in Ausbildung ist.

1830 legt Amberg in Wien die "Taubstummen-Fachprüfung" ab und fährt zu seinem neuen Aufgabenbereich nach Brixen. Dort kauft er für die Errichtung der "Taubstummenanstalt" das Haus "Dal Rio" und arbeitet einen Organisationsplan aus, in dem Themen behandelt sind wie: Zweck des Institutes, Ökonomie, Disziplin, Unterricht, Verfassung des Institutes und Aufnahme der Zöglinge.

"Als Zweck des Institutes erscheint im § 1 des Amberg'schen Organisationsplanes, gehörlose Kinder zu religiösen, moralischen und brauchbaren Menschen zu bilden. Sie sollen befähigt werden, sich ihren Unterhalt durch eine angemessene Beschäftigung selbst zu erwerben."[127]

Am 21. Dezember 1830 wird das "Provinzial-Taubstummeninstitut" mit sieben Mädchen und Buben eröffnet.

1834 muß Amberg allerdings das Gebäude wieder räumen, "[...] denn die k. k. Militärverwaltung legte im April 1834 ihre Hand auf das ,Dal Rio-Haus', um darin die beim Festungsbau in Franzensfeste erkrankten Pioniere gegen Entgelt unterzubringen."[128]

Das Institut übersiedelt in das leerstehende "Kassianeum" der Brixener Domchorknaben. Dieses muß aber auch nach kurzer Zeit geräumt werden, da das Chorknaben-Institut die Räumlichkeiten selbst braucht.

Amberg hat inzwischen in Hall in Nordtirol ein Gebäude für das Institut gefunden - das alte Solenbad-Gebäude, die so genannte "Nagglburg". Die Anzahl der SchülerInnen ist in den Jahren stetig gewachsen, dieses Haus bietet nun Platz für 40 "Zöglinge".

Am 12. November 1835 übersiedeln Personal und Kinder in die neue Unterkunft.

Die Übersiedlung wird als beschwerlich und gefährlich beschrieben: "[...] Auf dieser Strecke war der Weg sehr gefährlich, weil der Boden fest gefroren war und an vielen Orten sehr eisig war, so daß die Wägen verschiedene Male ganz quer über die Straße kamen[...]."[129]

Johannes Amberg leitet bis 1837 als Direktor die Anstalt[130]. Ihm folgt der als zweiter Lehrer tätige Geistliche Alois Moriggl. Amberg behält aber die Oberaufsicht bis 1845.

Die Finanzierung des "Taubstummeninstitutes" erfolgt durch Schenkungen, Stiftungen, Legate, Sammlungen, den jährlichen Mietzins der k. k. Militärverwaltung für das "Dal Rio-Haus", "Verpflegsgebühren für die Zöglinge" von "bemittelten Eltern"[131], und jährlich fixen Spenden der Stände und ab 1863 des Landtags.

Die fortwährenden Gesuche um Unterstützung an den Landtag führt zu dem Entschluß, einen Antrag auf Übernahme der Anstalt durch das Land Tirol zu stellen.

Der Antrag wird in der 24. Sitzung des Tiroler Landtages am 3. November 1866 eingebracht: "Der hohe Landtag wolle beschließen, es sei der Landesausschuß zu beauftragen, die Frage, ob das Taubstummeninstitut in Hall als Landesanstalt in die eigene unmittelbare Leitung und Verwaltung des Landes zu übernehmen sei, in Erwägung und Vorberatung zu ziehen und dem nächsten Landtag hierüber Bericht zu erstatten".[132]

Der Landesausschuß stimmt der Übernahme der Anstalt in die Landesverwaltung zu und holt anschließend das Einverständnis der k. k. Statthalterei ein.

Am 28. November 1866 beschließt der Landtag die Übernahme des "Provinzial-Taubstummeninstitutes" in Hall und beauftragt den Landesausschuß mit der Leitung und Verwaltung.

Am 1. Mai 1867 geht das "Taubstummeninstitut" in die Landesverwaltung über.

Im Jahre 1876 ergeht an das Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Zams die Bitte, um die "[...] Überlassung einer genügenden Anzahl von Schwestern, die die Aufsicht und Pflege der Kinder besorgen sollten, teilweise auch den Unterricht, sowie die Wirtschaftsführung in Haus, Feld und Garten."[133]

Im Juli 1876 übernehmen vier Schwestern diese Aufgabe, ohne "[...] für diese Kinder in irgend einer Weise vorgebildet [...]"[134] zu sein.

In diesem Jahr sind 37 Kinder im Haus. Die Anzahl der Kinder und der in der Anstalt beschäftigten Schwestern steigt aber jährlich.[135]

In der Zwischenzeit häufen sich die Reparaturen am Anstaltsgebäude und es wird immer baufälliger. "In den Berichten der Landestaubstummenanstalt des Jahres 1877 an den Landesausschuß wird darauf hingewiesen, daß das Anstaltsgebäude in hohem Grade baufällig, gesundheitswidrig und auch feuergefährlich sei.[136]

Der Landesausschuß berichtet darüber im Landtag und bemerkt, daß eine Renovierung des Hauses nicht mehr möglich sei und daß zusätzlich, aufgrund der hohen Anmeldezahl von Zöglingen, ein Neubau notwendig geworden ist. Er verweist auch darauf, daß einige Besitzer von Gemeindegebieten in Mils sich schon früher bereit erklärt haben, Grundstücke dem Institut zu verkaufen und bringt das Angebot des früheren Abgeordneten Tiefenthaler ins Spiel, der dem Institut Baugrund "geschenkweise" überlassen würde.

Noch im gleichen Jahr beschließt der Landtag "[...] zur besseren Unterbringung der Zöglinge"[137] im Gemeindegebiet von Mils einen Neubau zu errichten.

Der Landesausschuß wird mit der Abwicklung der Kaufverhandlungen und -verträge beauftragt, sowie mit der Ausarbeitung eines Bauplanes und eines Kostenvoranschlages. Ferner soll der vorarlbergische Landesausschuß ersucht werden, im Vorarlberger Landtag einen Beitrag aus dem dortigen Landesfonds zu erwirken.[138] Auch die Bevölkerung "Deutschtirols" soll aufgefordert werden, Beiträge zu spenden und die Ordinariate ersucht, "[...] durch die Seelsorgegeistlichkeit in diesem Sinne auf die Bevölkerung einzuwirken."[139]

Der Grundstein wird im Juli 1878 mit einem Festakt eingeweiht und bereits im Oktober 1879 wird das fertige Gebäude bezogen. Die "Landestaubstummenanstalt in Mils" bietet nun Platz für 80 Kinder und das gesamte Aufsichtspersonal.

Im Jahre 1883 wird neben dem Institut ein Wirtschaftsgebäude errichtet, "[...] denn der eigene Ökonomiebetrieb gewährt für die Anstalt große Vorteile, einerseits wegen der Verwaltung der schon vorhandenen Gründe und wegen der sehr nützlichen und lehrreichen Beschäftigung der Zöglinge und deren Heranbildung zur Landwirtschaft."[140]

In den Jahren 1920 und 1921 werden weitere Grundstücke im Gemeindegebiet von Mils angekauft - um den Ökonomiebetrieb zu erweitern und dadurch die Lebensmittelbeschaffung für die Anstalt zu erleichtern.

Während des ersten Weltkrieges werden rekonvaleszente Soldaten in der Anstalt einquartiert - ab 1916 sind konstant 200 bis 300 Soldaten in den beiden großen Tages-Aufenthaltsräumen und im Speisezimmer untergebracht.[141]

Nach einigem Wechsel in der Leitung der Anstalt, übernimmt im Jahre 1918 der Priester und ausgebildete "Taubstummenlehrer" Josef Sieberer den Direktorenposten.[142]

Unterrichtsmethode

Alle unterrichteten Schwestern, sowie Direktor Sieberer und Kaplan Kappler haben im Laufe der Zeit die Sonderschulprüfung für den Unterricht gehörloser Kinder abgelegt.[143]

Exkurs [144]

Bis in das 18. Jahrhundert werden gehörlose Menschen als "dumm" betrachtet und von Bildung ausgeschlossen. Im 18. Jahrhundert wächst die Erkenntnis, daß Gehörlose mittels Gebärden und Mimik zur Kommunikation fähig sind. Es beginnt der erste Unterricht mit gehörlosen Kindern aus Adelsfamilien.

Im Jahre 1755 Jahrhundert eröffnet der Geistliche Abbés de l'Eppe in Paris das erste allgemein zugängliche Institut zur Bildung von "Taubstummen", da er es nicht verantworten will, daß "Taubstumme" ohne Beichte und Absolution sterben. Die Unterrichtsmethode ist die Gebärdensprache und die Schrift. Außerdem werden hier auch Gehörlose zu LehrerInnen ausgebildet.

"Die Gebärdensprache bezeichnete er als Muttersprache des Taubstummen, sie geht von seiner Natur aus. Die Schrift sollte zur Kultur des Hörenden hinführen."[145]

Diese Methode wird die französische Methode genannt.

Etwa zur gleichen Zeit - gegen Ende des 18. Jahrhunderts - errichtet in Deutschland Samuel Heinicke das erste deutsche "Taubstummeninstitut". Heinicke übernimmt den Ansatz der Sprachanbahnung und des Lippenlesens. Er konzentriert die Gehörlosenbildung auf die Lautsprache, "[...] mit dem Hauptziel seine Schüler sprachfähig zu machen."[146]

Diese Methode wird die deutsche Methode genannt.[147]

Die folgenden 100 Jahren sind in der Gehörlosenbildung durch einen Methodenstreit zwischen diesen beiden Vorgehensweisen gekennzeichnet.

Auf dem Mailänder Kongreß im Jahre 1880 - zu dem ausschließlich hörende "Taubstummenlehrer" eingeladen sind - wird per Abstimmung eine Entscheidung getroffen: Der Einsatz der Gebärde als Unterrichtsmethode sowie als Kommunikationsmittel wird verboten, und der Unterricht hat ausschließlich durch hörende Lehrer zu erfolgen.

Exkursende

Die oralistische Methode erreicht auch die "Taubstummenanstalt" in Mils - Direktor Josef Sieberer führt die Lautsprachmethode ein.[148]

"Der Taubstummenunterricht war vordem rein Gebärdensprache, wurde aber dann in die Lautsprache umgestaltet - Lautsprache mit Zuhilfenahme der Schriftformen und der natürlichen Gebärdensprache. Künstliche Gebärdensprache mit Zuhilfenahme des Finger-Alphabets war sodann im Unterricht nicht mehr gestattet."[149]

Die Schwestern begrüßen diese Neuerung als Fortschritt in der Ausbildung der gehörlosen Kinder.

Die "Taubstummenanstalt" im Nationalsozialismus

Am 4. Mai 1938 ergeht ein Schreiben des Oberbürgermeisters von Mils, Hans Lahartinger, an die Kreisleitung, in dem die Pensionierung des Direktor Sieberer angeregt wird: "[...] Allenfalls könnte der Direktor des Landes Taubstummen Institutes, Geistl. Rat u. Reg. Rat Josef Sieberer, ehm. Landtagsabgeordneter, Gemeinderatsmitglied, Arbeitervereinspräses, Sturmscharbezirkskaplan u, bekannter früherer scharfer Gegner in Pension versetzt werden. (Hätte noch 2 Jahre). Er sagt öffentlich, daß er seine Gesinnung nicht mehr ändern werde."[150]

Im Dezember 1938 erhält Direktor Josef Sieberer vom Reichsstatthalter Seyss-Inquart die fristlose Entlassung.[151]

"[...] da war ein direktor, der war priester. und den natürlich, in der ns-zeit hat man gleich einmal pensioniert oder halt entlassen, muß man sagen und haben einen herrn jahn angestellt als direktor."[152]

Die Verhältnisse in der "Taubstummenanstalt" sind sehr beengt, denn in diesem Monat werden Salzburger gehörlose Kinder nach Mils überstellt, da das Salzbuger "Taubstummeninstitut" seine Räumlichkeiten an die Wehrmacht abgeben muß und SS-Militär wird im Haus einquartiert.[153]

Herr C erzählt, daß zusätzlich noch Kinder aus Kärnten im Haus sind.

"wir waren damals ca. 90 buben, insgesamt waren 125 kinder in der schule damals. in den jahren von 36 bis 39 waren 70 kinder in mils und dann von 39, wie dann der krieg angefangen hat, da sind dann sehr viele kinder von salzburg gekommen, von kärnten, die sind zusammengefaßt worden in mils und deshalb waren auch so viele."[154]

Einen Vermerk zum Aufenthalt der Kärntner Kinder findet sich nur noch in der Chronik, der besagt, daß die "Taubstummen" aus Kärnten im Schuljahr 1945/46 wieder heimkehren. Ich kann keine Aussagen darüber finden, wann und warum diese Kinder nach Mils überstellt worden sind.

Sr. F vermutet, daß es in Kärnten keine "Taubstummenanstalt" gegeben hat.

Es wäre möglich, daß aufgrund der Meldepflicht der Schulen[155] die gehörlosen Kinder in Kärnten zusammengefaßt und in der bereits bestehenden Anstalt in Mils untergebracht worden sind.

"etwas haben sie [die Schwestern Anm.] erzählt. da haben sie damals noch kärntner kinder gehabt, die gehörlosen aus kärnten und ich glaube von salzburg, nein, salzburg war dort schon... aber in kärnten war dort noch keine taubstummenanstalt, glaube ich. und die sind aber dann... also zu meiner zeit waren keine mehr von kärnten. ich weiß nicht, sind sie gleich nach dem krieg weggekommen, oder die drei jahre zwischendrin, das weiß ich jetzt auch nicht mehr."[156]

Im Jänner 1939 wird Josef Jahn aus Wien von der NSDAP als Direktor der Schule und des Heims eingesetzt - mit dem Auftrag, die "Taubstummenanstalt" nach nationalsozialistischen Ideen umzugestalten. "Mitte Jänner meldete sich der neue Direktor u. am 23. Jänner 39 traf er ein, rief sofort das Lehrpersonal zu einer Konferenz zusammen u. stellte sich vor mit den Worten: ,Ich bin gekommen die Anstalt zu verweltlichen u. die Kinder im nationalsozialistischen Geist zu erziehen.'"[157]

Als erstes versucht Josef Jahn das geistliche Lehrpersonal durch weltliches zu ersetzen und schreibt alle Lehrstellen der Schwestern im Schul-Amtsblatt aus. Da sich aber niemand für die Neubesetzung findet, bleiben die Schwestern im Amt. Die "Taubstummenanstalt" ist somit die einzige Schule, in der die Barmherzigen Schwestern weiter unterrichten dürfen.[158]

Auch der Priester Karl Kappler behält seinen Posten als Lehrer.

Direktor Jahn verläßt für eine Militärausbildung die Schule für mehrere Monate und Karl Kappler übernimmt die Direktorenvertretung.

In dieser Zeit kommt die Gestapo ins Haus, befragt die Kinder und überprüft deren Schulhefte. Sie befinden alles "für-in-Ordnung" und fahren wieder ab.[159]

Herr C erzählt: "also, wie der offizier gekommen ist... die sind einmal gekommen und haben sich das einmal alles angeschaut, also uns kinder. und ich kann mich noch erinnern, der hat wirklich eine schöne uniform angehabt. die war so aus so einem grünen kordstoff. und er hat dann mit dem direktor, und dann hat er mit... also er hat den direktor gefragt und der direktor hat dann die frage an uns gestellt, und wir haben die frage dem direktor geantwortet, und der direktor hat sie dann dem offizier..."[160]

Im September 1939 kommt Direktor Jahn wieder in die "Taubstummenanstalt" zurück. Er ist sehr zufrieden über den Betrieb und übergibt den Schwestern Anweisungen und den neuen Lehrstoff für das Schuljahr. Aber schon am gleichen Tag wird er nach Fulpmes einberufen. So ist er in der folgenden Zeit nur an den Wochenenden im Institut.[161]

In der Kriegschronik steht, daß Direktor Jahn für gutes Essen für die Kinder und das Dienstpersonal sorgt, Dienstwohnungen für neues Lehrpersonal sucht und höhere Gehälter fordert.[162]

In den Interviews kann ich nur positive Aussagen über Direktor Jahn finden.

Herr C erzählt zum Einstieg des neuen Direktors folgendes:

"und an dem abend, wie der neue direktor dann gekommen ist, ist er hinunter gekommen zum speisesaal und hat nachgeschaut, beziehungsweise kontrolliert, er hat auch gekostet, ob wir wirklich ein gutes essen bekommen. und er hat schon zwei- dreimal dann gesagt, es ist nicht gut, das essen. und er hat dann das ganze essen zurückgehen lassen, und wir haben dann noch ein bißchen warten müssen, was er dann genau gemacht hat, das weiß ich jetzt nicht mehr, aber wir haben jedenfalls dann ein anderes essen bekommen. und er hat uns dann... der direktor jahn hat uns dann gefragt, wie es jetzt war, das essen und alle waren wir ganz begeistert und haben gesagt, ja, sehr gut. und es war dann, wie wir alle hinauf gegangen sind in den speisesaal, hat ein jeder über den neuen direktor geredet und hat gesagt, er schaut so gut aus und er ist so nett. wir haben eigentlich alle eine freude gehabt, daß er da war. und die schwestern waren wahrscheinlich auch irgendwo froh, weil sie haben dann auch ein besseres essen bekommen. ein bub hat dann gesagt, das stimmt nicht, weil er kann sich erinnern, wenn er früher ab und zu am abend fort gegangen ist, daß die schwestern schon separat ein essen gehabt haben. die haben immer ein gutes essen gehabt."[163]

Über seine inhaltliche Arbeit, die Schule im "nationalsozialistischen Geist" zu verändern, steht nichts geschrieben. Auch Sr. F kann dazu keine Aussagen machen, da ihr die Schwestern nichts erzählt haben. Sie betont aber, daß die Schwestern in der Zusammenarbeit mit Direktor Jahn sehr zufrieden gewesen sind.

"[...]der [Direktor Jahn Anm.] wird wahrscheinlich schon ein bißchen anderer gesinnung gewesen sein, als wie... den hat man angestellt, von wo her weiß ich nicht, die schwestern waren sehr zufrieden mit ihm. so hat mir eine mitschwester erzählt, die damals dort war. und sie haben so gut zusammengearbeitet mit dem direktor, und sie haben gesagt, im heim war er auch zugleich heimleiter und zugleich schuldirektor. und sie haben sowohl im heim als auch in der schule sehr gut zusammengearbeitet mit ihm. [...]

sie haben nur allgemein gesagt, es war... er hat zu ihnen geholfen in der erziehung und schulisch. schulisch waren sie alles geprüfte lehrerinnen. [...] sie haben so gut mit ihm gearbeitet, daß sie überhaupt voll des lobes waren."[164]

Herr E ist der Überzeugung daß Direktor Jahn gegen das Hitler-Regime gewesen ist.

"das war ein prima lehrer, er war eher still, der war major. der war immer für die gehörlosen da, der war sehr hilfsbereit. es war ein sehr guter lehrer. er war gegen den hitler, aber hat das eigentlich verschwiegen."[165]

Direktor Jahn muß einen guten Kontakt zu den Kindern gehabt haben. Herr E ist sehr bemüht zu vermitteln, daß Direktor Jahn ein "guter Lehrer" gewesen ist. In seiner Erinnerung kann er sich vorstellen, daß Jahn seinen Vater, der Widerstandskämpfer gewesen ist, geschützt hat.

"ich glaube, daß der direktor jahn gewußt hat, daß mein vater geflüchtet ist, daß er das aber verschwiegen hat [...]

der herr direktor jahn war gut aber der herr kappler war furchtbar. der war auch sehr grausam. wir haben immer turnen müssen, also das war ziemlich brutal, das ganze. der herr direktor jahn hat mich einmal in neustift besucht, er hat mich im sommer besucht und er hat sich mit meiner mutter unterhalten, aber die mutter hat mir nie erzählt, um was es gegangen ist, also ich weiß jetzt nicht was jetzt da war. ich glaub, daß er zu meiner mutter geholfen hat, vielleicht. ich weiß es nicht genau. vielleicht hat der direktor jahn genau gewußt wo mein vater versteckt war, ich weiß es eben nicht, vielleicht hat er auch meinem vater geholfen, daß er flüchten hat können, aber ich weiß es einfach nicht. er hat uns zweimal in neustift besucht. es war da eine militärübung am gletscher und wie er zurückgekommen ist, hat er uns besucht, hat bei uns etwas gegessen. er war sehr groß und sehr schlank, er war major, ich weiß nicht warum er major war, keine ahnung. und er hat auch eine uniform getragen, aber er war nicht bei der ss, er war einfach..., er hat abzeichen gehabt und war major, aber er war nicht bei der ss."[166]

Hitlerjugend (HJ) und nationalsozialistisch-ideologische Schulungen der Kinder im "Taubstummeninstitut"

"E/D: [...] und in tirol hat man die hitlerjugend auch zusammengesammelt und es war irgendwie ... die jungen leute irgendwie ... gefangen worden, daß sie dabei sind."[167]

In keiner der Chroniken der Barmherzigen Schwestern noch in der Festschrift der "Taubstummenanstalt" ist die Existenz der HJ in der Anstalt festgehalten. Auch in der mir sonst noch zugänglichen Literatur sind keine expliziten Ausführungen zu finden und allgemeinere Darstellungen über die HJ für Gehörlose sind nur marginal erwähnt.[168]

Nur über die Interviews konnte ich erfahren, daß eine eigene HJ für die gehörlosen Kinder und Jugendlichen in der "Taubstummenanstalt" in Mils eingerichtet wurde.[169]

"E: [ ] und dann haben sie auch eine hj ... eine gruppe junge buben, die schulbuben, wie heißen die, hj haben die glaube ich geheißen?

I: ja, hj. ja genau.

E: ... haben sie auch eine gruppe gebildet, unten. das wird schon der direktor gemacht haben, der jahn.

I: war das der führer, glauben sie, der jahn? hat er dort die hj angeführt?

E: der hat die gruppe wahrscheinlich gebildet oder halt angefangen im haus. und da haben sie dann den sohn vom hausverwalter, schaffer hat man gesagt, eigentlich landwirtschschafts-schaffer, hausmeister war ein anderer. er war halt landwirtschafts-schaffer und von dem der sohn, war ein so ein junger bursch auch, und den hat dann der herr direktor jahn scheinbar bestellt oder bestimmt. wie heißen die da, die führer von der hitlerjugend? als leiter oder führer, ich weiß nicht, wie man die geheißen hat.

[...] mit den buben ist er [der HJ-Führer Anm.] dann in den bach hinunter und dann hat er übungen gemacht, beim weißenbach. das ist der bach neben dem taubstummeninstitut, da geht der bach hinunter. und da ist er mit den buben hinunter, und da haben sie gedreckt und geplatscht und halt lustig gehabt. und eine schwester, die mir das erzählt hat, die war auch erzieherin, die war lehrerin, eine gute lehrerin. ... auch außer der schule, hat sie müssen, ... daß sie alle sauber sind und das in ordnung bringen, und die hat dann den sohn, der ist später bürgermeister geworden von mils, dem hat sie gesagt, du rotzbub, du dreckiger, hat sie gesagt (lacht) du rotzbub, was glaubst denn du, so viel arbeit wieder, alle sind sie voll dreck und platsch naß, hat sie gesagt (lacht). (unverständlich) aber sie haben ihn alle gerne mögen, trotzdem, ja."[170]

Exkurs

",Du bist nichts, deiN VOLK IST ALLES' - HJ UND BDM"[171]

Die Hitlerjugend ist "[...] das wesentlichste Instrument zur ideologischen Beeinflussung Jugendlicher und ihrer Verfügbarmachung für die Kriegspolitik des NS-Staates [...]."[172] Der BDM (Bund Deutscher Mädel) ist Teil der HJ und soll Mädchen ideologisch und praktisch für die Aufgaben im Krieg vorbereiten.

Aufnahmebedingungen in die HJ sind "arische" Abstammung, körperliche und geistige Gesundheit, sowie charakterliche Tauglichkeit. Dies schließt mit ein, daß "Erbkranke" im Sinne des GzVeN für den HJ-Dienst untauglich sind.[173]

Aber: "Krüppelfunktionäre und Sonderpädagogen, manche sicher im Glauben, etwas Gutes zu tun, kämpften schon früh um die Aufnahme der "Gebrechlichen" in die HJ."[174]

Im Jahre 1934 wird, meiner Meinung nach, um jegliches "Arbeits- und Kriegspotential" ausbeuten zu können, für Blinde, Gehörlose und "Taubstumme" je ein "Sonderbann" zugelassen (Bann B für Blinde; Bann G für Gehörlose und "Taubstumme"). 1935 folgt der Bann K für Körperbehinderte, der aber schon 1937 wieder aufgelöst wird.[175]

Jüdische Jugendliche bleiben aber weiterhin von der HJ ausgeschlossen.

Bis 1936 ist die Mitgliedschaft in der HJ mehr oder minder freiwillig. In diesem Jahr wird mit der "2. Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitlerjugend" der Dienst in der HJ für alle Kinder und Jugendlichen vom 10. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zur Pflicht.[176] Höck vermutet, daß diese Umbildung in der Jugendorganisation maßgeblich dazu beiträgt, daß im selben Jahr die Aufnahme von HilfsschülerInnen in die HJ zugelassen wird.[177]

Voraussetzung für die Aufnahme in die HJ ist das Bestehen der "Pimpfenprobe", "[...] die neben sportlichen Leistungen die Kenntnis etwa des Horst-Wessel und des HJ-Fahnen-Liedes verlangte."[178]

Um den "höherwertigen" Jugendlichen aber einen eigenen Platz zu reservieren, wird in der oben genannten Verordnung die Bildung der "Stamm-Hitler-Jugend" festgeschrieben. Hier herrschen verschärfte Aufnahmebedingungen: bestimmte "erblich-rassische" Voraussetzungen und mindestens 1 Jahr Dienst bei der HJ sind Vorbedingung.[179]

In Österreich entstehen die organisatorischen Anfänge der Hitlerjugend im Jahre 1927. Im Laufe der Jahre sind die HJ-Gruppen stetig angewachsen; "[...] vor dem Anschluß sollen etwa 35.000 Jugendliche Mitglieder bei der HJ gewesen sein."[180] Nach dem Anschluß werden auch in den kleinsten Ortschaften HJ-Gruppen eingerichtet.

Bei "Heimabenden" und Schulungen auf Sommerlagern wird den jugendlichen Mädchen und Buben die Bedeutung der "Volksgemeinschaft", der NSDAP und der Wehrmacht aufgezwungen. Zudem nimmt die sportliche Betätigung der Mädchen und Buben einen breiten Raum ein.

Die männliche Jugend soll das Indoktrinations- und Umerziehungsprogramm der HJ, zu dem auch eine vormilitärische Ausbildung gehört, zu "[...] eifrigen Nationalsozialisten und pflichtbewußten Soldaten [...][181] heranziehen.

"Über die HJ erfolgte nicht nur die Vermittlung der NS-Ideologie mit ihrem Wertesystem von Gefolgschaftstreue, Kameradschaft, Pflichterfüllung und Willensstärke, sondern mit der Betonung der körperlichen Leistungsfähigkeit und ihrer paramilitärischen Ausbildung diente die HJ immer stärker der Rekrutierung von Soldaten."[182]

Den Mädchen soll über das Vermitteln eines Gemeinschaftsgefühls im BDM die damit verbundene Zugehörigkeit zur großen "Volksgemeinschaft" nahegebracht werden. An Heimabenden lernen sie Volkstänze und -bräuche, singen oder basteln gemeinsam und werden mit Zielsetzungen des NS-Systems vertraut gemacht.

Außerdem werden die Mädchen auch auf ihre künftige Rolle als Mutter vorbereitet.

",Der Typ der deutschen Frau tritt ergänzend neben den Typ des deutschen Mannes, ihre Vereinigung bedeutet die rassische Wiedergeburt unseres Volkes.' Innere Disziplinierung und Körperbeherrschung sollten erlernt werden; ,Sittlichkeit', Sauberkeit und Asexualität waren bestimmte Werte der ,Erziehung'."[183]

In der HJ wird auf den verschiedensten Ebenen angesetzt, die Kinder und Jugendlichen im nationalsozialistischen Sinn zu formieren. Wie bei jeder (totalitären) Erziehungsmaßnahme reichen ihre Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter.

Bemerkenswert finde ich, auf welche Weise sich diese totalitäre Zeit in der Erinnerung verankern kann. Den Interviews entnehme ich, daß diese Zeit durchwegs positiv erinnert wird, ideologische Inhalte aber nicht zur Sprache kommen.

Ich stelle mir die Frage, warum das so ist.

Wäre der Zwiespalt nicht zu ertragen, eine Zeit als positiv erlebt zu haben, die im Nachhinein vollkommen abgewertet wird? Können positiv erlebte Werte nicht im Zusammenhang mit den ideologischen Hintergründen gesehen werden?

Nicht die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen standen im Vordergrund der Aktivitäten, sondern die Instrumentalisierung ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihrer "Einsatzkraft". Was bedeutet und bewirkt dies für das weitere Leben nach dem Nationalsozialismus?

"Die NS-Sozialisation in der HJ führte sicherlich zu biographischen Langzeitwirkungen, die noch genauer zu untersuchen wären. Der totalitäre Anspruch des NS-Staates auf Erziehung, Formung und Normierung stieß jedoch auch auf vielfältige Widerstände und rief ein breites Spektrum abweichender Verhaltensweisen hervor, sodaß bei vielen jungen Leuten die totale Formierung im nationalsozialistischen Sinn scheiterte."[184]

Im folgenden Ausschnitt aus einem Interview wird meiner Meinung nach die Zerrissenheit in der Bewertung der Vergangenheit sichtbar. Einerseits wird das Erleben im Nationalsozialismus in der Gefühlswelt positiv erinnert und empfunden, andererseits bewirken nachträglich erhaltene Informationen ein Nachdenken und eine Neubewertung:

"E/D: [...] für mich war eigentlich das, weil ich habe ja überhaupt kein negatives erlebnis gehabt in der zeit, eine gute zeit. und erst im nachhinein, wie sie mir das dann erzählt haben, habe ich nachdenken angefangen. und ich habe dann meine meinung schon ein bißchen revidiert.

ich habe eigentlich nur gute sachen erfahren, also denk ich mir war ein teil ja nicht so schlecht, ein teil war trotzdem irgendwie gut. das einzige, das konkret von der politik her (unverständlich) ... ist eigentlich nur das ,heil hitler' mir in erinnerung geblieben.

aber ich habe eigentlich kein negatives erlebnis gehabt. zum beispiel, ich kann mich erinnern, ich bin von mils öfter heim gefahren, und da habe ich schon so erlebnisse gehabt, daß die soldaten aufgestanden sind und eine alte frau hinsetzen haben lassen und solche sachen.

also, ich habe negatives überhaupt nichts... ich könnte nichts sagen, gar nichts. für mich war die zeit irgendwo, was ich selber erlebt habe... das einzige war, daß wir wenig essen gehabt haben und daß wir nicht alles bekommen haben. deswegen waren wir wahrscheinlich auch so begeistert von der pimpf-zeit und so, daß wir da überall mitgemacht haben. weil das war ja für uns nicht so irgend etwas negatives. und die offiziere waren eigentlich auch alle nett und...

ja, ich kann einfach sagen, es war für mich im grunde genommen eine schöne zeit. aber jetzt denke ich natürlich auch anders, wenn ich jetzt die anderen sachen höre.

also, ich habe das gefühl gehabt, es ist den leuten geholfen worden. und wenn ich das mit jetzt vergleiche zum beispiel, wenn ich jetzt in einen bus einsteige, die jungen bleiben sitzen, dann denk ich mir schon (unverständlich). da stehen sie nicht auf, und das war früher, in der zeit, wo ich die busse fest benützt habe, war das anders. und ich muß schon sagen, der krieg ist sinnlos. wofür eigentlich? man soll versuchen, sich so auszutauschen. aber es hat auch zum beispiel nicht gegeben, daß in der zeit etwas gestohlen worden ist oder so etwas. ich habe mein radl stehen lassen können, das ist nicht gestohlen worden."[185]

Exkursende

Im Folgenden führe ich Auszüge aus den Interviews der drei Männer an, die in der "Taubstummenanstalt" in Mils in der HJ gewesen sind. Einerseits möchte ich verschiedene Geschehnisse beschreiben, andererseits subjektive Bedeutungen der erinnerten Erlebnisse meiner Interviewpartner darstellen.

"E/D: [...] und dann (unverständlich) die zeit, daß die hitlerjugend gekommen ist, zu den pimpf, und da bin ich auch dabei gewesen. da war es dann so, daß wir jeden nachmittag, haben wir üben müssen. wir haben alle eine schwarze, kurze, so eine samthose bekommen und weiße kniestrümpfe, schwarze halbschuhe und ein braunes hemd. und es war immer dienstag und freitags, haben wir draußen im hof, haben wir uns aufstellen müssen, wir haben lernen müssen, wie man sich aufstellt, wie man sich bewegt und wie man still steht oder wie man die blickrichtung macht alles genau, also rechtes auge (unverständlich), das ist uns genau gezeigt worden. wir haben wie eine linie dastehen müssen. da war ein führer da, und der hat es sofort gemerkt, wenn wir das nicht gemacht (unverständlich), und gesagt hat, augen gerade aus. nach den ganzen übungen haben wir dann turnen müssen, das hat beinhaltet laufen, springen das war meistens draußen auf der wiese. wenn zum beispiel einmal schlechtes wetter war, dann haben wir das im knabenwohnzimmer gemacht, also turnübungen. zum beispiel ganz schnell eine leiter hinauf und die leiter wieder hinunter. da haben wir so eine leiter gehabt, es war so ähnlich... mich hat es erinnert an bahnschienen, das war so ein metall... und es war ungefähr zweieinhalb meter hoch und die war an der wand befestigt und da haben wir uns dann hinüber hanteln müssen. (unverständlich) so schnell wie (unverständlich) und es ist gemessen worden, die zeit. der ist dann das durchgegangen, einen nach dem anderen. mir hat es sehr gut gefallen, weil es war ein guter zusammenhalt, und das turnen hat mir gefallen und jeden sonntag sind wir [...] nach rum zum schießstand gegangen, und am sonntag haben wir dann schießen geübt. hundert meter, fünfzig meter, fünfundzwanzig meter. mit fünfundzwanzig meter haben wir dann mit revolver geübt. der major, der war aus innsbruck, sein name ist gruber und der hat mit uns schießübungen gemacht. wir haben schnell hingehen müssen, schnell schießen, das gewehr wieder ganz exakt hinlegen und dann wieder schnell zurück in die reihe und ganz exakt in der reihe stehen. wir sind in dreierreihen gestanden. wir waren damals ungefähr 12 bis 14, 15 jahre alt. und der führer, den ich gesagt habe, der war ca. 25 jahre alt, der ist jeden sonntag gekommen und mit uns nach rum gefahren. und es sind auch öfters andere, also funktionäre oder offiziere von innsbruck gekommen und dann haben wir grüßen müssen mit "heil hitler". aber er war sehr freundlich mit uns kinder. es war eigentlich ein fescher mann. und wenn die dann wieder gegangen sind alle, dann haben wir wieder ein bißchen lockerer sein können, dann haben wir nicht so streng stehen müssen.

wir sind dann wieder zurück in die gehörlosenschule. es ist dann darüber geredet worden, untereinander, die buben, jeder hat gesagt, mei, er war so gut angezogen oder so fesch, die uniform, und er war so schön braun, er hat so eine tolle waffe gehabt, also ganz unterschiedlich.

ich kann mich dann erinnern, daß eine gruppe, das waren dann meistens die, die schon 14 jahre waren, wir haben dann an einem nachmittag öfters nach gnadenwald müssen. und da war meistens auch irgend jemand von der hitler jugend dabei. (unverständlich) bauern und da haben wir bäume fällen müssen. aber das waren nur die großen buben. bäume gefällt hat sie der holzknecht und wir haben dann die äste runter schneiden müssen. und dann sind sie runtergezogen worden. wir haben da sehr viel mitgeholfen, und wir haben schnell gearbeitet. und wir waren oft, wenn wir bei so einem einsatz waren, in einem halben tag fertig, daß wir ca. 15 bis 20 bäume in einem nachmittag gemacht haben."[186]

In diesem Auszug des Interviews von Herrn C wird die paramilitärische Ausbildung der Jugendlichen und die Wichtigkeit der sportlichen Betätigung sehr deutlich. Interessant finde ich, daß die Jugendlichen auch zu Arbeitseinsätzen in der Landwirtschaft herangezogen werden.

Auch wenn in der Zwischenzeit in der "Taubstummenanstalt" in Mils die oralistische Unterrichtsmethode eingeführt worden ist, bejahen alle fünf InterviewpartnerInnen meine Frage, ob es erlaubt war, in der HJ zu gebärden und ob auch die FührerInnen gebärdet haben.

Ich vermute, daß hier der Gedanke der Effizienz im Vordergrund steht.

Ist es zynisch, zu behaupten, daß die HJ-Leitung wohl im Gegensatz zu den hörenden PädagogInnen besser erkannte, um wieviel effizienter die Gebärdensprache den Gehörlosen Inhalte vermitteln kann?

Auch finde ich, daß die Hochhaltung der "Kameradschaftstreue" und die Vermittlung eines "Gemeinschaftsgefühls" über "geselliges" Lagerleben, wie es in der HJ praktiziert wurde, sehr den Bedürfnissen und Interessen Jugendlicher entspricht. Solche den Jugendlichen entsprechenden Methoden sind in der HJ für die ideologische Indoktrinierung der Mädchen und Buben mißbraucht worden.

Im Interview von Herrn C wird deutlich, daß die Kameradschaft, das Marschieren und Schießen und die "schönen Uniformen" sehr positiv in Erinnerung sind, die Anstrengungen hingegen nicht erwähnt werden.

"[...] und das marschieren war auch irgendwo etwas faszinierendes. und wie gesagt, wir haben jeden sonntag ca. zwei bis drei stunden schießübungen gehabt. und die schwestern haben uns dann manchmal am abend gefragt, was wir jetzt gemacht haben, und es haben eigentlich alle begeistert erzählt."[187]

Herr A erzählt, sich auf mitgebrachte Fotos beziehend, von einem großen Jugendlager im Jahre 1939 am Chiemsee, zu dem gehörlose Kinder aus Tirol, Salzburg, Kärnten und der Steiermark gekommen sind.

"D: [...] das sind schüler also von mils, wie sie sich gerade aufgestellt haben in volders am bahnhof im 39er jahr. das sind mitschüler von ihm. da sind sie zu einem jugendlager nach chiemsee gefahren. das war im 39er jahr. also das war eben so ein großes treffen, von den gehörlosen am chiemsee. und der also mit der uniform, der ist von münchen gekommen. also es sind alles, es sind alle gehörlosen kinder von salzburg, der steiermark, kärnten, die sind alle da hin gekommen, zu den jugendlagern."[188]

Seine Erzählung beschränkt sich ebenfalls auf das positive Erleben. Ich entnehme ihr die Bedeutung für gehörlose Kinder, mit anderen Gehörlosen zusammen zu sein und die Möglichkeit zu haben, in Gebärdensprache zu kommunizieren.

"D: also ihm selber hat es [die Hitlerjugend Anm.] sehr gut gefallen. erstens einmal war es eine gute stimmung, sagt er. es sind so viele gehörlose eben von salzburg und kärnten gekommen und von tirol...und sie haben in zelten gewohnt. [...] es war im juni.

I: und haben sie da miteinander gebärdet, alle?

D: gebärdet, alle, ja.

I: und der jugendjührer, war der auch gehörlos? hat der auch gebärdet?

D: der hat auch gebärden können. [...]

I: mh. und es war so eine eigene hitlerjugend für gehörlose, die auch von gehörlosen geführt worden ist?

D: ja. [...]

I: mh dann war eigentlich die hitlerjugend mehr so was, wo viele gehörlose kinder zusammen sind und eine feine zeit miteinander leben?

D: ja, im grunde genommen ja."[189]

Einen wichtigen Aspekt kann ich noch im Interview von Herrn C finden: In der HJ wird die sonstige Diskriminierung der Gehörlosen scheinbar aufgehoben.

"und es hat uns irgendwie auch einen stolz gegeben, daß wir als taubstumme kinder... und die offiziere sich da die zeit nehmen und das mit uns...[...] wir waren ja so schön angezogen die weißen strümpfe und die frisuren und so. das hat uns schon gefallen."[190]

Über ideologische Schulungen berichten beide Interviewpartner nichts - auch bei genauerem Nachfragen bekomme ich nur sehr vage Aussagen.

"I: und was ist da [bei der HJ Anm.] gesagt worden, warum ihr das [marschieren und schießen Anm.] machen müßt?

E/D: also, ich weiß jetzt auch nicht mehr so genau, es war... ich kann mich noch so erinnern, daß ein teil gesagt hat, daß wir üben müssen, wenn wirklich im notfall, daß wir uns auch wehren können."[191]

Herr E beschreibt sein Erleben in der Hitlerjugend anders. Es ist für ihn gekennzeichnet von Zerrissenheit, Kritik und Angst.

Der Vater von Herrn E ist im Widerstand tätig und muß sich lange Zeit in den Bergen verstecken. Um ihren Sohn zu schützen, haben ihm die Eltern von den Widerstandstätigkeiten des Vaters nichts erzählt.

"meine eltern waren gegen hitler, sie haben immer gesagt der ist nicht gut. aber sie haben gesagt ich muß schweigen, ich muß schweigen. ich habe immer gefragt warum, warum muß ich schweigen? das haben die eltern aber nicht erklärt. mein vater war widerstandskämpfer, aber ich hab das nicht gewußt. meine mutter hat immer gesagt, sei ruhig, sei ruhig es ist gefährlich alles. sie hat eben gesagt man muß schweigen, das ist das wichtigste. ich hab nämlich gemeint, daß mein vater nach deutschland ist. wir haben nicht gewußt, daß er durch den wald nach neustift und dann auf den berg hinauf ist, das hab ich nicht gewußt. wie ich gekommen bin und gefragt habe wo ist mein vater, dann hat meine mutter gesagt, ja ich weiß es nicht, ich glaub der ist nach deutschland. und das hat alles nicht gestimmt. er war versteckt, das hab ich damals einfach nicht gewußt."[192]

Herr E erfährt zwar die kritische Haltung seiner Eltern gegenüber dem NS-Regime, wird aber immer wieder beschworen zu schweigen. An anderer Stelle erzählt er:

"E/D: [...] meine mutter hat gesagt, wenn mein vater gefunden wird, muß er sofort nach dachau, da wird der hof uns weggenommen, beschlagnahmt, die felder werden beschlagnahmt, und die ganze familie wird auch nach dachau geschickt. ich habe damals nicht gewußt was dachau ist und ich habe damals auch nicht gewußt warum, warum das jetzt passieren kann. jetzt weiß ich das natürlich, ich habe mehr informationen und bin auch älter, aber früher war ich einfach ein bißchen dumm, aber mein papa hat auch viel geschwiegen, der hat einfach wenige sachen erzählt.

I: ihre mama muß viel angst gehabt haben?

E/D: ja, ja, sie hat sicher fest angst gehabt, einfach keine ruhe. sie hat in der nacht nicht schlafen können, sie ist immer hinunter gegangen in die küche wasser trinken, hinauf ins zimmer wieder. meine mutter hat den jüngsten sohn, also meinen bruder ... ich war in mils in der schule, und ich hab auch keine ruhe gehabt, ich war alleine in der schule und hab mir immer überlegt, was kann ich da machen.

I: wie meinen sie das? was sie da machen können? das versteh ich jetzt nicht.über was haben sie nachgedacht?

E/D: meine tante hat mir die sachen erzählt, über die anderen hab ich die nicht erfahren, (unverständlich) meine tante hat mir das erzählt von meinem vater und hat aber gesagt ich darf nichts sagen, ich muß das alles verschweigen. und ich hab natürlich geschwiegen, also ich hab jetzt niemandem irgend etwas erzählt.

I: dann müssen sie auch viel angst gehabt haben um ihren vater.

E/D: nein, ich war einfach zu jung, ich hab einfach zuwenig gewußt, ich war 13, 14 jahre alt. aber meine tante hat eben angst gehabt, sie hat gesagt du mußt schweigen und ich hab eben gefragt wo mein vater ist, und sie hat mir auch nichts verraten.

nach dem krieg ist mir dann alles erzählt worden. mein vater ist zurückgekommen und hat eben gesagt es war ganz schlimm. und in der schule ist mir eigentlich nichts erzählt worden. ich hab immer nur gewußt, wenn ich in der hitlerjugend bin oder sonst mit leuten zusammen bin, soll ich einfach schweigen. und mein vater hat immer gesagt, die uniform für die hitlerjugend kriegst du nicht, weil wir kein geld haben. ich bin froh, daß ich das heut erzählen kann."[193]

Der kritischen Haltung seiner Eltern steht die pro-nationalsozialistische Haltung der Mehrheit der Menschen seiner Umgebung gegenüber. Ich nehme an, daß die widerständige Haltung seiner Eltern auch Einfluß hat auf das persönliche Erleben des Herrn E in der HJ.

"E/D: wir haben alle zur hitlerjugend müssen, wir haben uniformen kaufen müssen. mein vater hat das verboten. er hat gesagt nein. er hat es verboten. er hat gesagt er hat kein geld und er hat das abgelehnt. ein paar gehörlose haben sich die uniformen gekauft und waren dabei. mein mitschüler zum beispiel der e. g. aus kufstein, der wollte jugendführer (unverständlich) sogar. der ist auch mit der uniform herumgegangen. aber ich habe keine uniform gehabt, mein vater hat das einfach abgelehnt. er hat gesagt nein, also lieber nicht. aber ich habe früher einfach nicht gewußt warum alle jetzt uniform haben und warum ich keine habe, weil ich war 13, 14 jahre alt. meine tante, die in hall gewohnt hat, die schwester von meinem vater, die hat auch gesagt nein besser nicht wenn du zur Hitlerjugend dazu gehst. sie hat gesagt das ist auch gefährlich wenn ich dabei bin. ich hab damals geglaubt wenn ich nicht dazu gehe, daß meine familie auch nach dachau muß, aber eigentlich hab ich das nicht genau gewußt um was es geht. ich war (unverständlich) 13, 14 jahre alt, ich hab eigentlich gar nicht verstanden worum es gegangen ist. und viele leute haben einfach gesagt, aber hitler ist total gut, der ist ganz super und ich hab eigentlich nicht gewußt was ich davon halten soll. mein vater hat das immer abgelehnt und gesagt das stimmt nicht."[194]

Auch Herr E erzählt nur vage von der ideologischen Schulung bei der HJ.

"E/D: [...] dann ist eben heil hitler geschrien worden, man hat marschiert, man hat geschichten gehört, ein gehörloser ist aus köln gekommen, der herr C weiß genau, wie der geheißen hat, der aus köln, der war hitlerjugendführer, der ist nach mils gekommen und hat uns alle versammelt, der hat immer gesagt, die hitlerjugend ist super, man muß stark sein, wir werden bestimmt siegen, also der hat immer solche sachen erzählt. aber ich war nur kurze zeit dabei, ich bin noch zu jung, [...]

I: sie haben vorher erzählt, daß bei der hitlerjugend ihnen geschichten erzählt worden sind, was waren das für geschichten?

E/D: wir haben da eigentlich nur geplaudert, ich weiß es eigentlich nicht mehr ganz genau um was es da gegangen ist. der e. k. aus deutschland, auch ein gehörloser aus köln, ... hitlerjugendführer und der ist immer nach mils gekommen und hat uns erzählt, den hitlergruß den muß man machen, man muß arbeiten, man muß helfen, solche sachen aber sonst eigentlich nichts genaueres. [...]

und der gehörlose, der gekommen ist von der hitlerjugend, hat immer nur gesagt ja man muß arbeiten, man muß fleißig sein, aber er hat über die anderen sachen, über den himmler zum beispiel, hat er auch überhaupt nichts erzählt. (unverständlich) überhaupt nichts erzählt. es ist wenn, dann überhaupt nur über den hitler gegangen. der hitler in braunau geboren ist. und der gehörlose aus köln hat immer gesagt hitler ist stark, er wird ganz bestimmt die ganze welt erobern."[195]

Ich finde es beachtlich daß alle drei Interviewpartner über die Inhalte ideologischer Schulungen nichts berichten können.

Auch Sr. F hat nichts über nationalsozialistisch-ideologische Schulungen der Mädchen und Buben erfahren:

"I: und sind die buben eigentlich auch ideologisch geschult worden, im sinne vom nationalsozialismus, in der hitlerjugend oder von den schwestern? haben sie da den auftrag gehabt, ideologische schulungen zu machen?

E: kann schon sein, daß sie da bestimmte... ich weiß nicht. also diesbezüglich haben sie so wenig erzählt. ich habe mich auch gar nicht so interessiert, muß ich sagen. [...]

sicher haben sie da müssen ein bißchen, aber gar zu viel wird er gar nicht verlangt haben, glaube ich. nein, glaube ich nicht. und ich denk mir, daß er auch die gottesdienste und das ... da haben sie nie gesagt, daß sie das nicht machen haben dürfen. weil die haben doch sicher gottesdienste gehabt, weil im haus die kapelle war. gar nichts habe ich diesbezüglich...

I: haben sie nichts erfahren?

E: nein.

I: und die mädchen, hat es da auch etwas gegeben, so eine art hitlerjugend oder bdm oder so?

E: ich weiß da gar nichts. da weiß ich überhaupt nichts. die schwester, war eine bubenschwester, die mir das erzählt hat.

I: ah, das war getrennt?

E: ja. das war getrennt. [...] die erzieherinnen bei den buben und die erzieherinnen bei den mädchen waren getrennt. und mir hat nur die erzählt, die bei den buben war.

I: und sie hat aber nichts erzählt, was sie sonst noch bei der hitlerjugend gemacht haben, außer daß sie es lustig gehabt haben?

E: nein, das haben sie von sich heraus erzählt, weil manchmal vielleicht ein bißchen schwierigkeiten gewesen sind vielleicht, dann haben sie das gebracht, daß sie eigentlich, wenn man da so erzählt hat von der hitlerzeit, hat man doch manches erzählt, daß man es schwierig..."[196]

Herr E erzählt als einziger der Interviewpartner von der Haltung des Kaplan Kapplers zur HJ. Seiner Erinnerung nach ist der Kaplan ein Befürworter und Unterstützer der HJ gewesen.

"E/D: ja der [Kappler Anm.] war pfarrer, der war wirklich schlimm, also der war ganz hart. der kaplan hat das ziemlich gefördert, das mit der hitlerjugend, also daß die immer zusammen sind und der herr direktor, der also major war, der hat das zwar geduldet, hat aber nicht öffentlich gesagt, was er darüber gedacht hat."[197]

Direktor Jahns ideologische Einstellung wird im Verlauf der Interviews nicht klar erkennbar. Einerseits ist er mit dem Auftrag gekommen, die Schule im "nationalsozialistischen Sinn" zu verändern, andererseits läßt Herr E vermuten, daß Jahn insgeheim kein Befürworter der nationalsozialistischen Idee gewesen ist. Auch über seine Rolle in der HJ differieren die Erzählungen. Herr E erzählt, daß Jahn die HJ geduldet hat, aber nicht aktiv beteiligt gewesen ist - Herr A erzählt, Direktor Jahn ist Leiter der HJ gewesen.

"I: und wer war der leiter bei der hitlerjugend, war der an der schule?

D: er sagt, der direktor jahn."[198]

Die Rolle der Barmherzigen Schwestern

"E/D: in der schule da haben uns die schwestern unterrichtet. aber über die kriegszeit ist überhaupt nie gesprochen worden. [...]"[199]

Die barmherzigen Schwestern haben in der Schule unterrichtet und die Kinder im Internat beaufsichtigt. Wie bereits festgehalten, erhalten die Schwestern einen Bildungsauftrag, der auf nationalsozialistische Inhalte ausgerichtet ist. Mein Interesse richtet sich nun darauf, ob sie diesem Auftrag nachgekommen sind.

Um dieser Frage nachzugehen, kann ich nur die Erzählungen der gehörlosen Interviewpartner heranziehen, da ich weder in der Literatur noch im Interview mit Sr. F Aussagen darüber finden kann.

"I: und es ist auch darin [in der Kriegschronik der Barmherzigen Schwestern Anm.] gestanden, daß an die schwestern neue anforderungen gekommen sind, mit dem direktor jahn...

E: das kann schon sein.

I: wissen sie etwas davon?

E: nein.

I: haben sie da nichts erzählt, was das war?

E: sie haben nur gesagt, daß sie ganz gut arbeiten haben können mit dem direktor jahn. weil wir oft einmal gefragt haben, ja wie ist denn das gegangen mit dem direktor jahn? man hat doch genau gewußt, daß sie weltanschaulich natürlich verschieden sind. nein, es ist ganz gut... aber eben das einzelne... ich habe auch nicht gefragt und so haben sie es auch nicht..."[200]

Die Erinnerungen meiner Interviewpartner sind sehr unterschiedlich. Wie oben zitiert erzählt Herr E, daß über den Krieg und über den Nationalsozialismus allgemein von seiten der Schwestern nicht gesprochen worden ist. Herr C hingegen kann sich an Erzählungen einer Schwester erinnern:

"E/D: also die schwester hat uns meistens am abend... [...]. sie war selber sehr interessiert an der geschichte.

im september 39 hat der krieg angefangen. und da hat sie uns erzählt, daß kriegsbeginn war, daß es mit polen begonnen hat. und sie hat gesagt, sie ist sehr traurig, weil der krieg begonnen hat - und der hat in polen begonnen.

es war immer abends, wenn sie uns erzählt hat. [...] also, die schwester hat uns kindern erzählt, wenn am abend der himmel rot ist, dann kommt am nächsten tag der krieg. also immer wenn die farbe rot nach norden geht, dann beginnt der krieg.

und also der krieg hat begonnen in polen. wie sie uns das alles erzählt hat, sind wir sehr erschrocken gewesen. und nach ca. vierzehn oder neunzehn tagen, ich weiß es jetzt nicht genau, war der krieg fertig. und dann haben wir gemeint, er ist fertig. aber dann hat es wieder begonnen, dann ist frankreich angegriffen worden. ...also, vierzehn bis neunzehn tage, dann hat hitlerdeutschland frankreich angegriffen. das waren nur einundzwanzig tage im grunde genommen, und wir haben uns eigentlich dann irgendwie gefreut, daß es jetzt vorbei ist. und die schwester hat uns dann... gelesen, daß in der zeitung gestanden ist, der krieg in frankreich ist vorbei.

und auf einmal war es aber ganz umgekehrt, dann haben die russen... waren dann gegen die deutschen. und das jetzt war eigentlich die rache für das. das war eigentlich dann der beginn. da war es dann schon vielleicht oktober oder november.

und die schwester hat uns immer erzählt, daß es in russland sehr viel kälter ist als bei uns und daß es für die russen eine schlimmere zeit war, weil sie auch nichts mehr gehabt haben.

und die größeren buben von mils, die haben von den maiskolben die blätter gesammelt und haben sie... also, das hat uns die schwester erzählt, daß es in russland von den gehörlosenschulen, die haben die maiskolben gesammelt und gekocht und dann haben sie sie zu so zöpfen geflochten, und damit haben sich die russischen soldaten die schuhe ausgelegt, damit sie... die maiskolben, also die einlagen für die schuhe.

das haben wir gemacht für die deutschen soldaten, die nach russland gekommen sind.

und ich kann mich im nachhinein noch erinnern, daß mir der bruder erzählt hat, der war ja auch im krieg in russland, und er hat gesagt, seine zehen sind alle erfroren gewesen, weil er so kalt gehabt hat. [...]

I: und hat die schwester auch etwas erzählt, was mit anderen gehörlosen passiert, in deutschland zum beispiel oder in österreich? es sind ja gehörlose sterilisiert worden. haben sie da etwas gewußt davon?

E/D: nein, also über das habe ich nichts gehört. also erzählt worden ist mir da eigentlich nichts. ich habe nur gesehen, wie die kaserne (unverständlich) neu gebaut worden ist, daß da noch sehr viele soldaten da waren und daß die dann angefangen haben mit dem heil-hitler-gruß. und da sind sehr viele deutsche soldaten nach österreich gekommen. und die kaserne in hall, die ist dann immer größer geworden. es ist immer dazu gebaut worden. und da hat dann der krieg begonnen, das war ja das zeichen.

I: und haben sie etwas gewußt zu der damaligen zeit, was mit den juden passiert ist?

E/D: nein, da habe ich überhaupt nichts... also, da in der schule habe ich überhaupt nichts erfahren. erst wie der krieg dann vorbei war, haben mir viele gehörlose etwas erzählt. aber ich habe vorher überhaupt nichts erfahren, überhaupt nichts. aber meine frau weiß da vielleicht mehr, weil sie ist aufgewachsen in polen. sie ist eine gebürtige polin, und sie hat selber erlebt, wie juden zusammengepfercht worden sind, oder zusammengetrieben sind und so. [...]"[201]

Sterilisationen

Eine meiner inhaltlichen Fragen bezieht sich auf Sterilisationen (in Zusammenhang mit dem GzVeN) an den gehörlosen Kindern in der "Taubstummenanstalt".

Auch zu dieser Thematik kann ich in den Unterlagen nichts finden.

Die Interviews ergeben, daß keiner meiner gehörlosen Interviewpartner, die in der Milser "Taubstummenanstalt" gewesen sind, von den Sterilisationsmaßnahmen betroffen war oder von Sterilisationen an MitschülerInnen etwas gewußt hat.

"I: dann hätte ich noch eine frage. war bei der hitlerjugend auch das thema sterilisation von gehörlosen? weil ich weiß, das war in deutschland sehr viel. haben sie da etwas gehört davon?

D: nein, bei ihnen eigentlich nicht. das war gar nie thema da. nein, also über das thema ist nie gesprochen worden

I: und da hat er von anderen gar nichts erfahren? von anderen gehörlosen?

D: nein, eigentlich nicht"[202]

"I: haben sie eigentlich auch etwas gehört von sterilisationen an gehörlosen?

E/D: nein, ich habe eigentlich nichts erfahren, nein ich habe überhaupt nichts gewußt."[203]

Auch Sr. F kann diesbezüglich keine Auskünfte geben:

"I: jetzt habe ich noch eine frage. es ist ja in diesem erbgesundheitsgesetz... ist ausgesagt, daß bei erblich bedingter taubheit kinder und erwachsene sterilisiert werden sollen. wissen sie da etwas, ob im taubstummeninstitut kinder sterilisiert worden sind. ist da etwas erzählt worden, daß von den schwestern meldebögen ausgefüllt haben werden müssen?

E: nein, ich weiß nichts. nein. [...]

I: in diesem rassehygienegesetz steht darin, erblich bedingte taubheit auch als ein grund...

E: den hätten wir schon gehabt, unten. aber erst nachher. wie ich sage, ich habe eigentlich... wie ich hingekommen bin waren die meisten ausgeschult (unverständlich) kann mich gar nicht daran recht erinnern. [...]

I: diese kinder sind dann erst in die schule gekommen, nach 45? sie sind nicht schon vorher in die schule gegangen, wo sie gekommen sind?

E: wie ich hinunter gekommen bin?

I: ja.

E: da habe ich die sechste klasse bekommen. doch, die sind schon vorher schule gegangen. sie wären sechste klasse gewesen... an die kann ich mich nicht...da war ich so neu, die schule hat mich ganz in anspruch genommen. und da habe ich mir sehr schwer getan zuerst. es waren mehr schwächere, mehr eine schwächere klasse. und so genau kann ich mich nicht mehr erinnern, ob da erblich bedingte taubheit dabei war bei einzelnen."[204]

Aufgrund der Literatur zu Zwangssterilisationen an Gehörlosen[205] bin ich davon ausgegangen, daß auch Kinder und Jugendliche aus der "Taubstummenanstalt" in Mils Opfer der Sterilisationspolitik gewesen sind.

Zwar kann keines der Interviews diese Annahme bestätigen, aber wie schon an anderer Stelle angeführt, gibt es Unterlagen, die die Durchführung von Sterilisationen an mindestens 13 Gehörlosen allein in den Jahren 1940/41 im Reichsgau Tirol / Vorarlberg belegen.[206]

Diese ortsspezifischen Angaben lassen meine ursprüngliche Hypothese sehr wahrscheinlich erscheinen.

Für mich stellen sich nun einige Fragen über die möglichen Ursachen des Ergebnisses aus den Interviews:

  • Die Massensterilisationen sind zur Zeit des Anschlusses eingeschränkt worden - Menschen in Anstalten obliegen nicht der "besonderen Gefahr" sich fortzupflanzen. Ist die Zusammenfassung der gehörlosen Kinder in der "Taubstummenanstalt" nicht lückenlos vollzogen worden und sind daher die Sterilisationsopfer nicht durch den Verbleib in der Anstalt "geschützt" gewesen? [207]

  • Sind die Sterilisationen an erwachsenen gehörlosen Frauen und Männern durchgeführt worden - und nicht an Kindern und Jugendlichen?

  • Ist die Durchführung des GzVeN auf vielerlei Widerstände einzelner gestoßen?

  • Betreffen die mit Kriegsbeginn gestarteten "Euthanasieaktionen" auch gehörlose Kinder und Jugendliche aus der "Taubstummenanstalt"?[208]

  • Wer lebt noch?

  • Haben sich Frauen und Männer, die sterilisiert worden sind, nicht für ein Interview gemeldet, um nicht darüber befragt zu werden? Spielt in diesem Fall die Aufnahme des Interviews mit der Videokamera eine Rolle?

  • Ist dieses Thema zu schambesetzt um darüber sprechen zu können - auch nicht im Erzählen über andere Gehörlose? (Ich habe nicht konkret nach einer persönlich überlebten Sterilisation gefragt, da ich den Rahmen offen lassen wollte, wieweit mir die InterviewpartnerInnen persönlich schwierig erlebtes erzählen wollen)

  • Da ich in den Interviews nicht explizit nach der Ursache der Ertaubung gefragt habe, stellt sich mir auch die Frage, ob von den Interviewpartnern jemand im Sinne des GzVeN als "erblich taub" diagnostiziert worden ist.

Untersuchung der Kinder

"E/D: in der schule, in der kriegszeit, sind buben untersucht worden. sie haben die geschlechtsteile untersucht, ob sie krank sind oder gesund sind. da ist jeder bub einzeln untersucht worden. man hat den namen aufgeschrieben, wenn der krank war dann hat man sie also weggebracht. ich bin auch untersucht worden, ich war gesund, ich war eigentlich nur taub. dann hat man die mädchen auch untersucht. das waren verschiedene ärzte, die die buben und die mädchen untersucht haben. ich weiß aber nicht warum die untersuchung war. ich weiß es nicht. andere haben erzählt beim josefsinstitut... also er hat erfahren, daß da ein paar kinder schon deportiert worden sind, aber bei uns in mils in der taubstummenanstalt ist eigentlich keiner weggekommen."[209]

Die Bedeutung dieser ärztlichen Untersuchungen konnte ich leider nicht erforschen. Bedeutsam scheint mir die Aussage, daß die kranken Kinder weggebracht worden sind. Wohin sind sie gebracht worden und was ist mit ihnen passiert?

Weiter unten in der Interviewpassage erzählt Herr E, daß keines der Kinder aus der "Taubstummenanstalt" deportiert worden ist. Dies deckt sich wiederum mit den Erinnerungen der anderen InterviewpartnerInnen.

Schulalltag und Alltag im Internat im persönlichen Erleben von Herrn E

"ich war von 1938 bis 45 in mils in der schule und ein jahr von dieser zeit war ich zu hause. im februar 45 bin ich dann nach hause gegangen. [...]

es war eine schreckliche zeit. es war in der schule unmöglich, also das in mils hat mir überhaupt nicht gefallen, es hat schwierigkeiten gegeben. ich habe überhaupt keine lust mehr gehabt, in die schule zu gehen. jeden tag hab ich religionsunterricht gehabt. es war immer gleich, erdkunde hab ich gehabt, geschichte habe ich gehabt, erdkunde und naturkunde die sachen haben mich interessiert, aber das meiste war religion und das hat mich nicht interessiert, ich habe einfach keine lust dazu gehabt.

am samstag sind nachher die buben alle zusammen in das badezimmer, sie haben sich ausziehen müssen, die schwester hat das heiße wasser aufgedreht und wir haben uns alle verbrannt, wir haben uns alle die schultern verbrannt. es war sehr grausam. die schwestern waren wirklich grausam. am nachmittag haben wir schulaufgaben gemacht und sind ein bißchen spazieren gegangen, turnen haben wir auch ein bißchen gehabt. wir sind nach hall in die schule gegangen zum turnen. in der früh haben wir um 6, 7 uhr aufstehen müssen. zum mittagessen hat es immer brotauflauf gegeben. ich hab das gehaßt, es war unmöglich. ich hab dann auch oft gebrochen. und wenn man erbrochen hat, ist die schwester gekommen und hat einem mit dem hinterkopf in das erbrochene gestoßen und einen gezwungen, daß man das essen muß. es war einfach furchtbar. man hat dann das ganze gesicht voll von dem eigenen erbrochenen gehabt. andere gehörlose haben das essen können, wenn sie sich nicht gegraust haben. ich hab das jedesmal erbrochen. das andere essen war relativ gut, aber diesen brotauflauf. wenn ich am montag in der früh in der schule schon gewußt habe jetzt gibt's heut wieder einen brotauflauf, dann hab ich schon wieder kopfweh gekriegt, dann ist mir schon wieder total schlecht geworden und ich hab schon gewußt, daß mir die schwester dann wieder den hinterkopf...

ein paar schwestern waren recht nett, aber die anderen waren eigentlich nicht gut. in den osterferien zum beispiel... in den weihnachtsferien... wir haben osterferien eine woche gehabt, weihnachtsferien zwei wochen und da bin ich dann nach hause. meine tante hat mich dann abgeholt und ich bin dann mit ihr nach neustift gefahren. in den sommerferien war ich auch zu hause. es hat einige gehörlose gegeben, die waren von sehr weit weg, die haben in mils bleiben müssen. in salzburg zum beispiel haben die gewohnt oder in kärnten und die sind im sommer in der anstalt geblieben. neustift und mils das ist jetzt nicht so weit entfernt, das ist schon gegangen, aber in der kriegszeit war das ganz schlecht mit den verkehrsmitteln.

ich denk halt immer noch über die kriegszeit nach, aber andererseits es war eine relativ kurze zeit. ich denke auch immer an die geschichte von meinem vater. [...][210]

Die Bombenangriffe

Während der Bombenangriffe durch die Engländer und Amerikaner ist es aus Platzgründen den BewohnerInnen der Anstalt nicht gestattet in die Milser Bunker zu flüchten, sie müssen daher in den hauseigenen Luftschutzkeller - das Brausebad.

"Verhängnisvoll waren die Nachtalarme. Man denke: über 100 Kinder im tiefsten Schlaf im warmen Bett. Da mußte förmlich jedes einzelne wachgerüttelt und auf die Füße gestellt werden, dazu kein Licht.

Wenn auch Sicherungsmaßnahmen eingedrillt waren, aber was machen schlaftrunkene Kinder für Verkehrtheiten!"[211]

Auch Sr. F berichtet, wie schwer es ist, mit den Kindern in den Keller zu flüchten:

"[...] und wie sie [die Schwestern Anm.] mit den kindern haben müssen hinunter und wie sie ihnen wieder zurückgesprungen sind, wenn sie sie vom bett heraus haben beim fliegeralarm. wenn sie sie vom bett heraus haben und wollen hinunter gehen und währenddessen sie miteinander haben müssen ein stück gehen, sind ihnen die anderen wieder zurück in das bett und so. das haben sie schon erzählt, das es sehr schwierig war, die kinder in der nacht zum beispiel da hinunterbringen. aber den kindern ist nie etwas passiert."[212]

Ich bin davon überzeugt, daß es für gehörlose Kinder ganz besonders schwierig sein muß, die Gefahr der Situation zu erkennen. Sie können den Fliegeralarm nicht hören und daher nicht verstehen, was passiert.

Wie oben ersichtlich wird, findet bei Nachtalarm das Flüchten in den Keller im Finsteren statt. Dies bedeutet für gehörlose Kinder, daß sie von der Kommunikation abgeschnitten sind - Gebärden und Lippenlesen sind nur im Licht möglich. Ich stelle mir vor, daß diese Situation für die Kinder einerseits unverständlich und andererseits sehr beängstigend gewesen sein muß.

Bis zum 16. Februar 1945 bleibt die "Taubstummenanstalt" von den Angriffen verschont. An diesem Tag werden ca. 50 Bomben auf Mils abgeworfen. Eine davon fällt in den Garten des Institutes, beschädigt das Haus, trifft auf ein elektrisches Kabel und das Licht fällt aus. Die Kinder versuchen zu flüchten, können aber im letzten Moment von den Schwestern abgehalten werden, ins Freie zu laufen, und werden so vor einem Steinhagel gerettet.

"Nur eine fiel in den Garten, schlug den Kabel ab u. alles war finster. Die Taubstummen bleiben nicht im Finstern, so liefen sie gleich davon. Wir erwischten die ersten Ausreißer noch bei der Stiege, sonst wären sie in den ärgsten Steinhagel hinausgelaufen. Die Bewohner der Berghöfe u. die Straßenarbeiter meinten, das ganze Haus sei weggerissen, so viel Rauch, Staub und Nebel hüllte es ein. Als das Krachen aufhörte, kamen Arbeiter u. wollten es ausschöpfen. Die Westseite sah kriegsmäßig aus, die Schwesternwohnung war arg zugerichtet, auch die Wohnungen im 1. u. 2. Stock, bei 1600 Fensterscheiben in Scherben."[213]

Sr. F schildert über diesen Bombenanschlag folgendes:

"I: dann weiß ich, daß während der zeit einmal ein bombenangriff war in der nähe. und da ist auch zu einem teil die schule in mils zerstört worden. da sind anscheinend ganz viele fenster gebrochen und so...

E: ja, ja

I: wissen sie da etwas davon?

E: da hätte der... ein taubstummer, ich habe ihn aber nicht mehr gekannt. der hat das alles in bildern festgehalten. aber diese bilder haben sie..., das war ein vorarlberger, glaube ich, da müßte ich einmal frage, ob die schwester gebhardina weiß... die hat die bilder einmal geholt. die waren lange bei uns im taubstummeninstitut. die hat er aber einmal geholt, das hat man erzählt. da hat er natürlich auch wahrscheinlich dazugeschrieben, das weiß ich nicht, was die einzelnen bilder... sie sind in den luftschutzkeller hinunter und da hat es alle fenster.... da sind ringsum bomben geflogen, die wollten den bahnhof erwischen, den haller bahnhof und haben falsch abgeworfen. da verstehe ich zu wenig. und haben sie direkt da, neben dem taubstummeninstitut... sind ganze trichter geworden, hat man auf den bildern gesehen. und er hat das alles ganz schön... das war ein ausgezeichneter zeichner.

I: und die schwestern haben nichts erzählt von dem, wie das war für sie oder die kinder?

E: vielleicht haben sie das erzählt, aber ich kann mich nicht erinnern. [...] aber ich muß ehrlich sagen, erzählt haben sie schon manchmal von den kaputten fenstern."[214]

Das Ende des Krieges und der NS-Herrschaft

Die Bombenangriffe über dem Inntal dauern bis zum Einrücken der Amerikaner auf Innsbruck zu - durch das Inntal und über Scharnitz - am 3. Mai 1945.[215]

Die Soldaten der deutschen SS leisten auch auf dem Gelände der "Taubstummenanstalt" noch Widerstand, flüchten aber am Abend des selben Tages.

"Beim Umbruch siedelten sich im Hof u. Park SS Männer an mit vielen Autos. Von hier aus wollten sie den Amerikanern begegnen. Am 3. Mai nachmittag errichteten sie noch eine Funkstation bei unserer Wäschevorrichtung. Es wurde immer ungemütlicher u. mehrere suchten mit ihren Wagen das Weite. Um 6h abends zogen die letzten ab u. nahmen die auf unseren Gängen lagernden, scharf geladenen Maschinengewehre mit. Dank dem Schutz des hl. Josef! Wir waren frei."[216]

Die neue Regierung verfügt, daß alle Beamten, die durch die NSDAP ihrer Stellen enthoben worden sind, wieder antreten sollen.[217] So wird auch Direktor Jahn entlassen, und am 25. Oktober 1945 tritt Direktor Sieberer wieder seinen Dienst in der "Taubstummenanstalt" an und bleibt auf diesem Posten bis 1954.[218]

Sr. F erzählt noch, daß Josef Jahn anschließend eine Dienststelle in Volderberg erhalten hat.

"E: [...] und dann ist er nach volderberg hinüber gekommen, da waren die schwererziehbaren.

I: der direktor jahn, der ist nach volderberg gekommen?

E: ja, der ist nachher dort hinüber gekommen. so viel ich mich erinnern kann, haben sie gesagt, er ist von da dann hinüber gekommen zu diesen schwererziehbaren. und mehr weiß ich nicht."[219]

Erzählung von Herrn C

Am Ende dieses Kapitels möchte ich gerne einen längeren Auszug des Interviews von Herrn C anführen. Seine Erzählung handelt von den Arbeiten im Internat und von Arbeitseinsätzen der Jugendlichen bei den umliegenden Bauern. Herr C erzählt auch vom Bombenangriff auf Mils und von der beschwerlichen Heimreise mit seiner Schwester, noch während Bombenangriffe auf Tirol stattgefunden haben.

"D/E: [...]und 1939 ist dann der direktor jahn gekommen. der direktor jahn ist von wien gekommen. der frühere direktor, das war der doktor sieberer. der direktor sieberer ist nach steinach am brenner gekommen. und das war für uns schon ein bißchen eigenartig, weil dann ist ein neuer direktor gekommen, und der war sehr auch nett mit uns, eigentlich. [...]

es war dann so, wie wir dann älter geworden sind und größer geworden sind, wir buben, haben wir nicht mehr freizeit gehabt zum spielen, sondern wir haben dann in der freizeit außen im garten arbeiten müssen. es ist salat angebaut worden, rüben angebaut worden, kartoffel, und wir haben unkraut jäten müssen. wir haben wirklich fleißig arbeiten müssen.

wie wir dann größer waren, war es so, daß wir von fünf bis sechs immer die aufgabe machen haben müssen. und in der halben stunde, so zwischen sechs und halb sieben, haben wir verschiedene sachen machen können, zum beispiel fragespiele oder daß wir sachen wiederholt haben, die wir in der schule gelernt haben. ich habe das meistens mit einem freund gemacht - über die bestimmten themen, die am nächsten tag in der schule drangekommen sind, zum beispiel geschichte oder geographie, daß ich ihn gefragt habe und er hat mir die antwort dann gegeben. und es war so, daß die schwester immer kinder raus geholt hat und das buch mit den antworten in der hand gehalten hat, aber ich habe nicht hinein gesehen, weil ich zu klein war. also, das war eine angewohnheit von mir, daß ich dann eingesagt habe, wenn ich gemerkt habe, der weiß nicht weiter. und die schwester hat immer in das buch hineingeschaut und hat nicht so acht gegeben, und wenn derjenige gerade zu mir hergeschaut hat, dann habe ich versucht ihm mit dem mundbild das irgendwie ... (lacht) wenn er die frage richtig beantwortet hat, hat er dann einen einser bekommen - obwohl sie vielleicht ein bißchen faul waren, aber das hat eigentlich dazu gehört.

und wir haben auch heuen müssen zum beispiel, mähen nicht, das hat jemand von der schule gemacht. vormittags und nachmittags haben wir kinder es dann zusammenrechen müssen. und wir haben dann die heuschober auch machen müssen. aber wir haben uns immer ein bißchen ... einen zeitdruck... also länger, als zwei stunden haben wir nicht brauchen dürfen. und das hat sich immer wiederholt. es ist dann so weiter gegangen zweite, dritte, vierte klasse. und je älter wir geworden sind, desto mehr haben wir dann machen müssen.

wie ich in die vierte klasse gegangen bin, ist in mils eine kaserne gebaut worden, und die zweite kaserne ist dann in hall gebaut worden. die schwestern haben sich dann oft aufgeregt, daß das militär da war, daß es relativ laut war. es sind die autos vorbei gefahren und mit den pferdekutschen und alles. einmal hat eine schwester zu mir gesagt, ob ich hinunter schauen will in den garten, damit ich das sehe. da habe ich gesehen, es waren ganz viele soldaten unten, und die sind gerade alle zum abmarsch bereit gewesen, die (unverständlich) nach gnadenwald, die haben wahrscheinlich eine übung gehabt, so ein manöver, ich weiß es jetzt nicht genau. jedenfalls waren es sehr viele und sie haben alle die gewehre mit gehabt.

und das war alle tage - es sind immer wieder soldaten gekommen und soldaten gegangen, ob das jetzt montag war oder sonntag, es war immer. [...]

der direktor kappler, das war der pfarrer von mils. das war die vertretung, weil der direktor jahn hat dann zum militär müssen, darum war er dann nicht da. dann war der kappler sein vertreter. und es war damals so, daß ein bauer an die taubstummenanstalt eine bitte gerichtet hat, er bräuchte ein paar größere buben für den großbauern, so für die kartoffelernte. und der direktor ist dann zu uns gekommen und hat gefragt, wer will da mit arbeiten? ich habe mich gleich gemeldet, ich habe gesagt ja, ich mache mit. das waren ca. neun bis elf buben. aber wie gesagt, nur große buben. der direktor ist dann mit uns hinauf gefahren zum bauernhof. und da ist der bauer selber da gewesen, und zu ihm haben wir dann auch sagen müssen, heil hitler. das war der gruß damals. er hat dann gefragt, wer will jetzt da auf der seite arbeiten vom feld, oder auf der? und ich habe mich dann gemeldet für die erste seite. und das war ein riesen großes kartoffelfeld. und der bauer hat so wirklich einen uralten traktor... der hat nicht so, wie man es jetzt hat, mit einem zündschlüssel, sondern das war so ein gerät, das hat man herunter nehmen müssen von oben und dann vorne anstecken und dann so drehen. das mit den kurbeln habe ich schon gesehen, aber das war wieder ganz ein anderes modell. wir waren so ca. elf buben, und der bauer hat gesagt, wir sollen gleich anfangen. und ich habe dann gesagt, nein, er soll mit seinem traktor vorher fahren und dann klauben wir das. und der bauer hat gemeint, wir schaffen das noch nicht. aber wir haben dann alle so eine kiste bekommen. und wir haben uns dann gesagt, auf fertig los. und dann haben wir angefangen, und wir waren so flott, und es waren ein paar große buben dabei, die ein bißchen kraft gehabt haben. immer wenn die kiste voll war, haben sie sie zum traktor bringen müssen und die kartoffel reinschmeißen und mit den leeren kisten wieder kommen. und der bauer war dann selber ein bißchen erstaunt, daß wir so flott gearbeitet haben. also, wir sind immer vom feld vom anfang bis zum ende, haben umgedreht und dann wieder rauf und runter. und ein bub war dabei, der hat damals schon eine uhr gehabt, und ich habe ihn dann gefragt, wie spät daß es ist, und er hat gesagt, ja es geht noch, weil um halb vier haben wir heim müssen. aber wir haben es wirklich geschafft. ich habe dann auch gesehen, daß gefangene russische frauen dabei waren, auf dem kartoffelfeld. ich habe sie damals nett empfunden. und wir haben dann versucht, ein bißchen mit ihnen zu reden, aber die waren irgendwie so... die haben sich nicht so getraut sich mit uns zu unterhalten. ich habe schon das gefühl gehabt, daß sie uns verstanden haben, aber sie wollten wahrscheinlich nicht oder durften nicht mit uns reden.

um halb vier, dreiviertel vier waren wir dann fertig. und der bauer hat dann wirklich eine freude gehabt mit uns, daß wir so flott waren. wir haben dann milch bekommen und brot. und dann, wie wir gegangen sind, hat jeder bub zwei deutsche mark bekommen. und beim verabschieden war wieder das obligatorische heil hitler. wir sind dann wieder zurück nach mils in die anstalt. und das hat wahrscheinlich der bauer einem anderen bauern erzählt, nach ein paar tagen ist wieder so eine anfrage gekommen in mils, ob nicht die buben wieder kommen können. der direktor hat dann gefragt, wo? und das war dann... das (unverständlich) hat das geheißen, das war in mils, und daneben war ein großer bauernhof. und der hat dann auch gefragt, ob wir kommen, und der direktor hat zugesagt. und dann sind wir alle wieder runter, wir haben uns gesammelt und dann sind wir zum bauernhof. das war das gleiche wieder, wir haben wieder mit heil hitler grüßen müssen und dann sind wir... er hat uns dann so einen weg gezeigt, und das war wirklich ein ganz ein weiter weg. ich habe das gefühl gehabt, wir waren schon fast in baumkirchen. der bauer hat sich nicht so ausgekannt, wie er die arbeit einteilen soll oder wie (unverständlich) früher gemacht haben. und wie ich das feld gesehen habe, habe ich schon gesehen, das ist ein kleineres feld als das, das wir vorher gemacht haben. und wir haben dann zum bauern gesagt, das schaffen wir heute schon. er hat uns nicht so ganz geglaubt. er hat auch keinen traktor gehabt, sondern ein pferd mit dem wagen hinten, aber wir haben das eigentlich geschafft. und uns ist es fast zu (unverständlich) gewesen, das pferd ist ein bißchen zu langsam gegangen. der traktor ist eigentlich schneller gewesen, wie das pferd. aber ich habe eine mords freude gehabt, wenn ein pferd da war. weil ich habe es streicheln können, habe es berühren können. ich kann mich noch erinnern, es war ein kräftiges pferd.

wie wir dann den kartoffelacker fertig gehabt haben, dann hat der bauer gefragt, ob wir morgen wieder kommen, und dann haben wir gesagt, er muß zuerst den direktor fragen, ob wir dürfen. der bauer hat dann gesagt, ja das macht er. dann haben wir auch eine jause bekommen, dann haben wir uns waschen können und dann sind wir heim. wir waren dann wirklich müde am abend. wir sind nicht mehr herum getollt, sondern wir haben von fünf bis sechs die aufgabe gemacht, das haben wir machen müssen und waren dann auch wirklich müde. am nächsten tag war ja wieder schule.

und der direktor ist dann wieder gekommen, ich war damals in der achten klasse, und der direktor hat dann gesagt, der bauer hat wieder gefragt ob sie heute wieder kommen wollen. dann sind wir alle wieder hinunter. wir haben uns das angeschaut und haben uns besprochen und haben gesagt, in zwei stunden haben wir dieses feld, das paßt. und es hat auch wirklich geklappt. und der bauer hat uns dann dafür den ganzen wagen mit kartoffel geschenkt, den wir dann in der schule abgegeben haben.

ca. zwei wochen später ist eine schwester aus hall gekommen, die ist vom klosterheim gewesen, das war neben rum, also gleich an der grenze zwischen rum und hall, und das ist ein großes kloster. und die haben auch einen großen bauernhof dabei, und die haben auch wieder bei uns angefragt, ob nicht irgendwer mithelfen kann, und das hat es dann immer so... bis zum herbst fast, waren wir immer ein paar tage immer bei einem anderen bauern.

im herbst haben wir dann nicht mehr arbeiten müssen, da haben wir dann spielen können in unserer freizeit. und es war immer so, daß am abend vor dem schlafen gehen, eine schwester da war, die hat dann immer über den krieg erzählt, über den hunger, über die kämpfe, über die verletzten, über die kälte. und wir haben ihr alle ganz gespannt zugehört. sie hat so ca. 20 minuten erzählt, und das war eigentlich interessant für uns.

und dann war wieder das waschen gehen. eine schwester hat immer kontrolliert, ob wir ja die fingernägel und die ohren sauber haben und dann haben wir erst schlafen gehen dürfen, wenn das in ordnung war.

wir sind auch wilde buben gewesen. der schlafsaal, das war ja ein großer, ich glaube, der hat 30 meter gehabt - wir buben haben im zweiten stock geschlafen und die mädchen haben im ersten stock unten geschlafen. das war dann ganz lustig, daß wir uns dann schnell schnell ausgezogen haben. dann haben wir immer gewartet bis das licht ausgeschaltet wird, bis die schwester weg ist, und dann haben wir auch unsere späße gemacht. wenn die schwester gekommen ist, haben wir alle so getan, als ob wir fest schlafen würden und wenn sie weg war, haben wir geplaudert. das hat oft lange gedauert, das war wirklich... und wenn in der früh dann die schwester gekommen ist und das licht aufgeschaltet hat, war es dann, weil wir so spät schlafen gegangen sind, war es ganz hart. aber die schwester war da beinhart, sie hat uns einfach die decken weggezogen, sie ist einfach so durch die reihen gegangen. [...]

und die schule hat dann zusätzlich betten kaufen müssen, weil sie ja keinen platz gehabt haben. und früher war es so, daß ein bett war, ein nachtkästchen, ein bett, ein nachtkästchen und wie dann die vielen kinder gekommen sind hat es das nicht mehr gegeben, hat es immer zwei betten gegeben, ein nachtkästchen. aber es war interessant für uns als kinder, daß andere kinder kommen. und die fenster waren alle verdunkelt, mit so einer grünen folie. und das hat so eigenartig... wie man es jetzt hernimmt oft bei den uhrzeigern, für mich war das so ähnlich spannend.

und wenn uns die schwester erwischt hat, beim plaudern und so, dann ist sie schon gekommen und war dann schon auch böse und hat gesagt, nichts, geschlafen muß jetzt werden. und wir haben dann wirklich eine ruh gegeben auch.

wie es damals war, wir haben uns alles selber machen müssen. wir haben selber das bett machen müssen alle. und dann die buben von der achten klasse, die haben dann immer... also bis freitag war nachmittag schule, und dann haben wir immer ins knabenwohnzimmer.... und dann haben wir schuhe bekommen, wo unten so ein eigenartiger belag drauf war, und der ist mit fett eingeschmiert worden und damit haben wir den boden einlassen müssen. das waren aber schwere schuhe. das war unten wie eine bürste eigentlich, nicht ein stoff, sondern eher wie eine bürste. das haben wir immer zu zweit auf einem stock miteinander.... und dann haben wir immer so durchgehen müssen, damit der boden geglänzt wird. und oft, wenn die schwester nicht so her geschaut hat, haben wir (unverständlich) sind wir es nicht selber gegangen, damit wir schneller fertig sind, daß wir nachher noch irgend etwas machen können. und wenn die schwester wieder hergeschaut hat, haben wir uns wieder schön auf die schuhe hinaufgestellt. die schwester hat oft gesagt, ihr braucht euch nicht so beeilen. und so bald sie wieder weg war haben wir schnell wieder... und das war ein großer raum, das hat schon ein zeitl gedauert, bis man da fertig war. und dann, wie wir das mit der bürste gehabt habe, haben wir auf tücher steigen müssen und dann sind wir durch den raum gerutscht, wie ein segler. es war schon wirklich lustig auch, wenn ich jetzt so zurück denke. wir haben dann immer gefragt die schwester, wenn wir fertig waren, waren wir brav? und sie haben uns eigentlich immer gelobt. und das haben wir jeden samstag machen müssen. der boden hat immer ganz sauber sein müssen. ich weiß jetzt nicht, ob das die mädchen auch gemacht haben. ich vermute schon, aber gesehen habe ich es selber nicht. ich kann mich noch so gut erinnern an den geruch in der nase von dem fett, mit dem der boden eingeschmiert war.

und montag und dienstag war meistens großwäschetag. und da haben wir dann gesehen, haben die mädchen auch arbeiten müssen. im keller unten war eine große waschmaschine. die ganz die großen buben haben da meistens helfen müssen die wäschekörbe rauf tragen. und ich habe mich oft gemeldet. das war so eine große waschküche mit einer riesengroßen maschine. und die körbe sind schon immer vorbereitet worden, und die haben wir dann immer vom keller in das parterre und dann vom parterre nach draußen tragen müssen. im freien hat es eine trockenhütte gegeben und da waren die wäscheleinen aufgehängt und da war es immer extrem kalt drinnen. wir haben die wäsche raustragen müssen und dann haben wir sie, die leintücher auf den leinen aufhängen müssen. drinnen sind sie nur aufgehängt worden, wenn schlechtwetter war, wenn schönes wetter war, haben wir sie im freien aufhängen müssen. das waren stahlrohre und da ist eine winde dran gewesen, die waren ungefähr 15 meter hoch, und mit der Winde haben wir dann drehen müssen, bis das seil herunter gekommen ist, die wäsche aufhängen und dann wieder ganz raufdrehen. [...]. und dann wenn wir das fertig gehabt haben, haben wir meistens am nachmittag eine pause gehabt, daß wir entweder einen apfel gekriegt haben oder ein brot.

und wenn die wäsche trocken war, dann ist meistens eine schwester gekommen, die von der waschküche unten war, und hat dann gefragt, wer hilft die leintücher wieder abnehmen? und ich habe mich meistens gemeldet.

es ist ein leintuch herunter genommen worden und gleich zusammengelegt worden und dann ist das wieder gedreht worden, daß die nächste leine herunter kommt und dann ist das wieder wiederholt worden. dann haben wir sie ins bügelzimmer tragen müssen. wir haben dann die wäsche ausgeleert, weil den korb haben wir wieder gebraucht, weil wir die neuen leintücher wieder reingekriegt haben.

und am abend wieder von fünf bis sechs aufgabe... also wir haben nicht so viel zeit gehabt zum spielen oder so, weil am nachmittag haben wir meistens müssen arbeiten und am abend haben wir dann lernen müssen. und das war immer so.

und jetzt kommt das jahr 1944. da war ein großangriff auf innsbruck von den amerikanern. zu dem zeitpunkt haben wir in gnadenwald wieder holz gearbeitet, wir haben die äste herunter geschnitten und die baumstämme vorbereitet, daß der bauer oder der knecht das nachher abliefern hat können. und es war immer eine schwester dabei und die hat immer die jause mit gehabt.

wir haben dann gemerkt, auf einmal sind aus der richtung von süditalien ein haufen flugzeuge heraufgekommen. so weit ich weiß, ist das der erste bombenangriff auf innsbruck gewesen. und das ist am bahnhof passiert. wir kinder haben nichts gehört, aber die schwester hat es uns dann nachher erzählt. wir haben nichts gesehen. wir haben nur die flugzeuge gesehen und irgendwie ist so, lärm nicht, aber irgendwie ist so ein rattern (unverständlich). aber gesehen haben wir nichts, obwohl wir in gnadenwald hoch oben waren.

und dann, wie wir mit der arbeit fertig sind, sind wir wieder zurück in die schule. wie wir da angekommen sind, hat uns die schwester, die im heim war, gesagt, daß das der erste bombenangriff auf innsbruck war. weil wir haben es damals ja nicht gewußt. nach ca. drei, vier tagen oder vielleicht fünf tagen war wieder bombenalarm, und da sind die amerikanischen flieger nach deutschland geflogen und dann sind sie wieder zurück gekommen. und ich habe das gefühl gehabt, als würden sie die restlichen bomben, die sie in deutschland nicht abgeworfen haben jetzt da über tirol abwerfen.

am nächsten tag war wirklich bombenalarm, aber der war in mils unten. in der umgebung von mils, also in der nähe von der schule sind ca. 50 bomben abgeworfen worden. (unverständlich) das gehörloseninternat und auf der rechten seite war die große kaserne mit den baracken.

und jetzt im nachhinein, wenn ich das so überlege, daß die vielleicht gemeint haben, das gehört zum militär dazu die schule, weil im umkreis von mils sind nur bomben geflogen.

und wir haben dann mit der schwester im nachhinein geredet. da haben wir gesagt, warum die gehörlosenanstalt nicht gekennzeichnet ist? daß man oben ein rotes kreuz drauf macht, daß sie irgendwie geschützt ist.

und ich habe es gesehen, wie ich dann hinausgeschaut habe vom badezimmer, ist ein riesiger bombenkrater gewesen. ungefähr 5 meter ist sie (die Bombe Anm.) vom badezimmer entfernt abgeworfen worden. und der luftdruck hat uns die fenster vom badezimmer auch kaputt gemacht.

und alle kinder sind drin gesessen im badezimmer. wie die bombe abgeworfen worden ist und die ganzen scheiben zerborsten sind, hat uns die schwester alle sofort rausgeschickt auf den gang. und das war ein langer gang, ca. 45 meter lang. und da habe ich dann gesehen, daß die ganzen soldaten von der naheliegenden kaserne, die sind dann alle zu uns herein gekommen. weil draußen bei den soldaten, die haben so geräte gehabt, das war wie eine kanone eine kleine mit so rohren und die haben dann auf die flieger geschossen. ich habe dann gesehen, wie die soldaten gekommen sind, in den gang herein, und auf einmal ist bei uns dann das licht aus gegangen. und auf dem gang, wie gesagt, der war ja so lang, und am ende vom gang, da war ein fenster und da haben wir ganz ein leichtes licht gesehen.

[...] wir haben dann ca. eine stunde in dem gang stehen müssen. der direktor ist dann hinauf und hat geschaut ob der bombenalarm vorbei ist. und er ist dann herunter gekommen und hat gesagt, nein, wir müssen noch da bleiben, es ist noch keine entwarnung gekommen.

dann sind wieder soldaten hinauf und wie die dann herunter gekommen sind haben sie gesagt: es ist aus. der alarm ist vorbei. und dann haben (unverständlich) soldaten hinauf gehen lassen und dann haben wir buben hinauf dürfen in den parterre. aber die mädchen haben unten bleiben müssen im keller.

und ich habe dann gesehen, es hat ausgeschaut als wenn der hagel eingeschlagen hätte. die böden... überall waren die löcher drin. und wir haben dann draußen geschaut. im garten waren auch... es waren alles so einschußlöcher. und der direktor hat dann gesagt, (unverständlich) wenn jemand darüber geht, daß ihm da etwas passiert.

es waren irrsinnig viele fenster kaputt - vom schlafzimmer bis zum schulzimmer. es war fast jedes fenster kaputt [...]

und dann haben wir sofort alle zusammen angefangen die glasscherben.... und es war im februar, es war in der winterzeit. es war kalt. und dann haben wir geschaut, daß wir mit zeitungspapier die scheiben zupicken können. also, wir haben zuerst einmal versucht die scheiben heraus zu geben und dann mit karton oder mit zeitungspapier haben wir sie dann leicht angenagelt. und die guten scheiben, die noch waren, die haben wir dann irgendwie noch so zusammenflicken können, damit die kälte nicht so herein geht. [...]

und wie wir in dieser nacht schlafen gegangen sind, haben wir uns nicht ausziehen müssen mit dem nachthemd, sondern wir sind alle mit den mänteln schlafen gegangen, weil das papier hat die kälte auch nicht so abgehalten.

die eltern von mir haben das dann erfahren, daß in der nähe von mils ein bombenangriff war.

ein paar tage darauf, in der nacht, ist dann die schwester gekommen und hat gesagt, ich muß aufstehen. und ich habe gesagt: nein, ich mag nicht, ich will noch weiter schlafen, bitte. und dann hat die schwester gesagt: nein, du deine schwester ist da, die holt dich. und ich bin einfach wirklich ein bißchen schwer aufgestanden. angezogen war ich ja schon, weil ich ja den mantel schon angehabt habe. die schwester hat mir dann den koffer hergetan und die restlichen sachen hineingetan. wie ich dann meine schwester gesehen habe, habe ich mich schon gefreut.

und sie hat dann gesagt: wir fahren jetzt heim zur mama. und jetzt haben wir aber zuerst nach hall müssen zum bahnhof. und wie wir unten waren hat es geheißen der bahnhof ist gesperrt, die gleise sind zerbombt.

dann haben wir müssen hinunter gehen nach volders. und das war eigentlich schon ein weiter weg, von hall nach volders. wir sind dann endlich angekommen, und da ist dann auch schon so ein zug gestanden, ganz ein so ein schiacher personenzug mit triebwagen und viehwagen, und es sind viele leute eingestiegen.

die schwester hat dann gesagt, ich muß jetzt mit ihr da mit einsteigen, und ich habe mich gefürchtet. es war so dunkel, und ich habe niemanden gekannt und... der zug ist so ewig langsam auf dem weg gewesen. und immer wieder hat er gehalten. und immer wieder sind leute eingestiegen. und auf einmal, irgendwann in der nacht, ich weiß, daß es brixlegg war, weil ich den bahnhof gekannt habe, da war bombenalarm. jetzt haben wir alle vom zug heraus müssen und neben den geleisen rauflaufen müssen. und während ich mit der schwester so hinaufgehe, ist mir aufgefallen, ich habe keinen koffer mit. jetzt habe ich zur schwester gesagt: ich habe meinen koffer... und sie hat gesagt: du, das ist gleich, den brauchen wir nicht mehr.

es war nacht, sie war sternenklar. es war eiskalt, aber zum anschauen war es wunderbar. und der schnee, es hat alles so sauber ausgeschaut.

und dann habe ich gemerkt, daß sich alle leute die ohren zuhalten. und ich habe aber nichts... und ich habe dann zur schwester gesagt: was ist jetzt los? und sie hat dann gesagt: man hört wie die bomben... also das pfeifen von den bomben. und die sind nicht gerade runter, sondern die sind schief runter. man muß sich das so ungefähr vorstellen, die hat sich irgendwie so gedreht und das drehen, das hat das pfeifen verursacht. und ich habe wirklich... ich habe angst gehabt und gesagt, du, was machen wir denn jetzt? wie kommen wir denn jetzt heim? und die schwester hat dann gesagt zu mir, beruhig dich. und es war irgendwie... es war ganz eigenartig. es war so hell und dann das feuer und die sterne dazu und die kälte.

wir haben dann nicht weiter fahren können, aber wir sind dann zum zug zurück gegangen. man muß sich das vorstellen, wir sind um zwölf in der nacht von mils abgefahren. und dann sind wir nach brixlegg und da haben wir dann warten müssen auf den nächsten zug. und nach einer zeit ist dann einer gekommen mit einer anderen lokomotive und da sind wir dann aber auch nur bis wörgl gekommen. und da hat es geheißen, es kommt wieder eine andere lokomotive und da haben wir wieder warten müssen. und dann endlich ist dann eine gekommen, aber die ist so langsam gefahren.

[...] ich weiß jetzt nicht mehr die ortschaft, wo wir waren, auf jeden fall sind wir zu einem tunnel gekommen, und dann hat die schwester gesagt, es ist wieder bombenalarm. jetzt haben wir wieder aussteigen müssen. der war aber nur ganz kurz, dann sind wir wieder eingestiegen und beim zweiten tunnel ist wieder bombenalarm gewesen. und ich habe dann zur schwester gesagt, warum hast du mich denn jetzt mit genommen? warum hast du mich denn nicht in mils gelassen? jetzt ist es so dunkel, warum hast du mich nicht am tag geholt und so? und sie hat gesagt, , wir kommen schon heim. das paßt schon. und ich habe dann gesehen, je näher wir heim gekommen sind, daß so viel schnee war. und ich habe das irgendwie schon damals so als mord empfunden, die bomben abwerfen. es war einfach schlimm für mich. und wie wir dann in fieberbrunn angekommen sind, war so hoch schnee. also es war ca. eineinhalb bis zwei meter schnee. und es ist kein schneepflug gefahren, nichts, überhaupt nichts. und ich habe schon gesehen, daß manche, so die bauernhäuser selber, sich so ganz schmale wege frei geschaufelt haben. aber wenn ich so geschaut habe, habe ich nicht die häuser ganz gesehen, sondern meistens so vom ersten stock die fenster.

wir haben dann vom bahnhof sehr weit gehen müssen bis zu unserem daheim. und es war so ganz schmal, und es war nicht freigeschaufelt, sondern nur von den kufen von den pferdeschlitten. und es war so mühsam zum gehen. durch die pferde selber und durch die ochsen, die vorher gegangen sind, hat es im weg so ausbuchtungen gegeben. und das, wo die schiene gefahren ist, von den pferdekutschen, das war richtig eisig. also, wenn man da drauf gekommen ist, hat es einen immer hingeschmissen. und zusätzlich hat man so aufpassen müssen, daß man nicht in die löcher hinein kommt. und es war einfach mühsam zum gehen. und dann haben wir gesehen, daß in der nähe von uns ein pferdefuhrwerk fährt. und dann hat die schwester zu mir gesagt: komm, schnell, sausen wir, jetzt fragen wir, ob uns der mitnimmt. es war kein pferd, es war ein ochs. der bauer hat uns auch aufsitzen lassen, aber es war eigentlich fast noch mühsamer. das mußt du dir vorstellen, der ochs ist ja auch immer in die löcher hinein gekommen. es hat immer so geruckt. erstens ist es noch langsamer gegangen und dann hat es mich so hin und her geschüttelt. aber ich habe dann zu der schwester gesagt, ich habe so einen hunger und bin so müde. und sie hat gesagt, hab noch ein bißchen geduld so lange sind wir ja nicht daheim.

der bauer hat dann irgend wann einmal gesagt, jetzt muß er halten [...] der bauer war dann daheim, und wir haben dann zu fuß weiter gehen müssen. und die mama hat daheim schon gehofft: hoffentlich paßt alles, hoffentlich geht alles in ordnung. und wie wir dann vor unserer haustür sind, hat die schwester zu mir gesagt: komm, klopf du an, daß die mama dich gleich sieht. und die mama hat dann mords eine freude gehabt, daß sie mich dann gesehen hat. und war dann so froh, daß wir gut angekommen sind. und das erste was war, bitte, etwas zum essen. ich habe so einen hunger. aber es war einfach... wir haben auch so wenig gehabt zum essen. und ich habe dann schon daran gedacht, in mils oben habe ich eigentlich genug essen. wir haben frühstück bekommen, mittagessen, jause und abendessen. und daheim hat es nicht so viel gegeben. und die schwester hat dann der mama alles erzählt, was wir erlebt haben. und die mama war dann so froh, daß wir beide gesund gekommen sind.

und dann nach ca. zwei monaten, im märz dann, im frühjahr oder im april vielleicht, ich weiß jetzt nicht, war ja dann der krieg aus. und da war es für mich eigentlich dann wieder schön, daheim zu sein."[220]

St.-Josefs-Institut in Mils bei Hall

Die Gründung des St.-Josefs-Institutes[221]

Im Jahre 1889 mehren sich die Klagen über die "sittlichen Verhältnisse" im Milser Armenhaus - "arbeitsscheue, arbeitslose und betrunkene Individuen" wohnen derzeit im Armenhaus, sowie ca. 20 Kinder, "[...] die natürlich ohne Erziehung aufwachsen mußten."[222] Auch das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes macht einen "recht armseligen Eindruck"[223], so daß der Bürgermeister von Mils Johann Tiefenthaler den Plan faßt, ein neues Armenhaus zu bauen. Ein Anliegen, das auch die beiden Geistlichen, Direktor Josef Zampedri und Institutslehrer Anton Plaseller von der ortsansässigen "Taubstummenanstalt", befürworten. Die beiden Priester unterstützen Johann Tiefenthaler bei der Umsetzung des Planes in beratender Funktion und über hohe Geldspenden.

Für die Aufbringung der nötigen finanziellen Mittel wird ein eigenes Komitee in Mils eingerichtet. Mit diesem "Armenfond" kann im Februar 1892 das "Gschlößlmüller-Anwesen" gekauft werden. Das alte Gebäude wird geschleift und am 19. März 1893 kann der Grundstein für den Neubau gelegt werden.

Die entstehenden hohen Schulden durch die Bauarbeiten und eine Umschichtung des Gemeinderates führen dazu, daß im Jahre 1897 das fast vollendete Haus und die gesamte Liegenschaft zum Verkauf ausgesetzt wird.

Am 1. März 1897, nach der Pensionierung von Direktor Josef Zampedri, wird Anton Plaseller zum Direktor der "Taubstummenanstalt" ernannt.

Schon zwei Jahre zuvor besprach Anton Plaseller mit dem Innsbrucker Arzt Dr. Franz Innerhofer die schlechten Bedingungen unter denen "arme Taubstumme" nach dem Besuch der Schule und "namentlich Kretine" leben müssen und wies darauf hin, "[...] wie gut es wäre, wenn für arme Taubstumme und Schwachsinnige ein eigenes Haus bestünde, wo dieselben untergebracht und von den Gefahren der Welt beschützt werden könnten."[224]

Bereits drei Tage nach der Übernahme des Direktorenposten erhält Anton Plaseller von Dr. Innerhofer einen Brief mit der Bitte, ihm bei der Errichtung einer Pflegeanstalt für "arme Taubstumme" und "Kretine" behilflich zu sein: "[...] Auch ich werde seinerseits Hochwürden bitten, mir bei der Ausführung jener Idee, welche Sie vor ein paar Jahren bei Gelegenheit des Besuches dieser Anstalt in mir anregten, und welche mich seither nicht mehr verlassen hat, behilflich zu sein[...]."[225]

In Rücksprache mit Josef Zampedri beschließen sie das geplante Armenhaus samt aller zugehörigen Grundstücke, von der Gemeinde Mils zu kaufen und eine Anstalt für "arme Taubstumme" und "Idioten" zu gründen. Die Pflegeanstalt wird als Stiftung, unter der Leitung der Barmherzigen Schwestern, geplant.

Im Herbst 1897 stimmt nach langwierigen Verhandlungen die Gemeinde Mils dem Kauf zu. Ein Stiftbrief, in dem Zweck und Umfang der Stiftung geregelt sind, wird erstellt, und die drei Stifter sorgen für die Finanzierung der Pflegeanstalt. Im Frühjahr 1898 werden zusätzlich ein Wirtschaftsgebäude und eine Totenkapelle errichtet. Mit der Organisation der notwendigsten Einrichtung ist die Pflegeanstalt im April 1898 bezugsfertig.

27. April 1898

drei Schwestern aus dem Mutterhaus in Zams beziehen das Haus

30. April 1898

Anton Tilg kommt als Knecht und Hausgehilfe in das Haus.

1. Mai 1898

das Haus wird feierlich eingeweiht und SANCT JOSEFS INSTITUT "Versorgungshaus für Arme und Cretine" getauft

11. Mai 1898

der kränkelnde Hochw. Zampedri zieht in das Haus ein

16. Mai 1898

die drei ersten "Gemeindearmen" beziehen die in der Stiftung vorgesehenen drei Freiplätze für Milser Arme[a]

24. Mai 1898

Ratifizierung des Kaufvertrages

[a] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36.

Auszug aus dem Stiftbrief

Stiftbrief

§ 2

Der Stiftungszweck besteht darin, Kretinen, welche für ihre Umgebung nicht gefährlich erscheinen, sowie arme, verlassene Taubstumme oder auch anderweitige schwachsinnige Individuen, namentlich solche, welche in mißlichen Verhältnissen leben und nach Deutschtirol zuständig sind, je nach Maßgabe des vorhandenen Raumes und der vorhandenen Mittel gegen mäßige Verpflegsgebühren in das Institut /: Versorgungshaus :/ aufzunehmen und denselben eine ihnen angemessene Verpflegung in gesunden und kranken Tagen angedeihen zu lassen. Es ist auch unser Wille, daß die Pfleglinge zu einem religiösen Leben angehalten und eventuell auf den Empfang der hl. Sakramente vorbereitet werden. (...) Ebenso sollen die Pfleglinge auch je nach ihren Kräften und Fähigkeiten mit nützlichen Arbeiten bestmöglich beschäftigt werden.

§ 3

Insbesondere wollen wir ferner, daß das St.-Josefs-Institut für immerwährende Zeiten stets drei arme Personen aus den Heimatsberechtigten der Gemeinde Mils bei Hall unentgeltlich verpflege, sodaß diese drei Armen, welche vom Gemeindeausschuß in Mils bestimmt werden, in dem Institut mit Wohnung, Kleidung, Nahrung, Wartung, Pflege, ärztlicher Hilfe und den nötigen Arzneimitteln versorgt werden müssen.

§ 8

Wir übertragen die Stiftung St.-Josefs-Institut für Arme und Kretinen dem Orden der Barmherzigen Schwestern des Mutterhauses Zams zur Besorgung aller zur Erreichung des Stiftungs-Zweckes notwendigen Geschäfte und Maßnahmen für immerwährende Zeiten. [...] [226]

Die Jahre bis 1938

Der ursprüngliche Plan, das St.-Josefs-Institut als selbständige juristische Person zu konstituieren, scheitert an der Genehmigung der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck. Die drei Stifter beschließen daraufhin, die Anstalt einem bestehenden kirchlichen Institut zu übergeben und richten sich mit diesem Anliegen an die Kongregation der Barmherzigen Schwestern in Zams.

So geht bereits im Dezember 1898 das St.-Josefs-Institut mit dem gesamten Stiftungsvermögen in den Besitz der Kongregation der Barmherzigen Schwestern des Mutterhauses Zams über.[227]

Bereits im ersten Jahr des Bestehens ist das Haus mit 60 belegten Plätzen voll ausgelastet. Im Jahre 1905, nach dem Tod von Josef Zampedri, werden zusätzlich Grundstücke angekauft und mit einem Erweiterungsbau begonnen, der 1906 fertiggestellt wird. Auch das Ökonomiegebäude wird erweitert, um "[...] ein gewisses Maß an Selbstversorgung zu gewährleisten."[228]

Im Laufe der Jahre arbeiten ständig 24 bis 29 Schwestern in der Anstalt.

Während des ersten Weltkrieges (1914 - 1918) müssen der "Schaffer" Anton Tilg sowie alle Knechte einrücken, und die Schwestern übernehmen zusätzlich die Arbeit auf dem Feld. "Da ging Schwester Oberin Romualda mit Schwestern und fähigeren Pfleglingen aufs Feld und hielt die notwendige Landwirtschaft hoch, so gut es ging."[229]

Im Winter 1916/17 wird das Institut Reservelazarett, und Kinder aus bäuerlichen Familien müssen wegen Platz- und Nahrungsmangel entlassen werden.[230]

Die "Hilfsschule" im St.-Josefs-Institut

Seit 1906 wird im St.-Josefs-Institut eine "Privat-Hilfsschule" geführt.[231]

Im Jahre 1938 wird zusätzlich eine Vorschule eingerichtet, "[...] die ungefähr einem Kindergarten entspricht."[232] - diese wird von der Kindergärtnerin Sr. Kolomana Zeilbeck geführt.

Im Jahre 1939 wird die Hilfsschulklasse für "schulbildungsfähige Mädchen" aufgelassen und nach Scharnitz in das Erziehungsheim der Benediktinerinnen verlegt, und es bleibt nur noch eine Klasse für "schwachsinnige Knaben", unter der Leitung von Sr. Albertina Riener, bestehen.[233]

Sr. Arnolda Hörtnagl aus Zams berichtet 1981: "Die Hilfsschule (ohne Öffentlichkeitsrecht) /Mils bei Hall in Tirol, St.-Josefs-Institut für geistig und körperlich Schwerstbehinderte/ mußte 1938 mit Ende des Schuljahres geschlossen werden."[234]

Es ist auffallend, daß in der Chronik des St.-Josefs-Institutes von der Auflassung der Schulklasse für "bildungsfähige" Mädchen im Jahre 1939 und von einer Fortführung der Klasse für "schwachsinnige Knaben" geschrieben steht, hingegen im Bericht von Sr. Arnolda Hörtnagl von der Schließung der "Hilfsschule" des St.-Josefs-Institutes bereits im Jahre 1938.

Ich habe die Vermutung, wenn es sich nicht um einen Fehler der Chronistin oder in der Abschrift handelt, daß die Klasse(n) für "bildungsunfähige" Kinder aufgelassen worden ist (sind), hingegen die Klassen für "bildungsfähige" Kinder noch eine Weile bestehen bleiben konnten.[235]

Auch scheint die Niederschrift der Chronistin über die Gründung der Vorschule im Jahre 1938 einem Bericht des Mutterhauses der Barmherzigen Schwestern in Zams an das Seelsorgeamt der apostolischen Administratur Innsbruck, vom 1. 3. 1940 zu widersprechen, in dem u. a. dargelegt wird, daß nach dem Umbruch (1938) die Kindergärtnerinnen des Mutterhauses vom Dienst enthoben worden sind.[236]

Horst Schreiber hält aber fest, daß durch die Entkonfessionalisierung des Schulwesens zwischen März 1938 und März 1940 143 Lehrschwestern, die dem Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Zams angehören, entlassen worden sind.[237]

Dies könnte bedeuten, daß die Entlassung der Kindergärtnerin in diesen Zeitraum bis 1940 gefallen ist. Eine genaue Zeitangabe konnte ich nicht eruieren.

Das St.-Josefs-Institut im Nationalsozialismus

"Am 13. März 1938 holte der Führer Adolf Hitler die Ostmark heim ins deutsche Reich."[238]

Auch das St.-Josefs-Institut entgeht nicht der "Tötungsmaschinerie" des NS-Regimes:

Die Schwestern werden verpflichtet, Meldebögen über die PatientInnen auszufüllen und diese nach Berlin oder an das Landesgesundheitsamt zu schicken.

Anfang Dezember 1940 kommen aus Berlin Transportlisten für 122 erwachsene Pfleglinge, die in andere Anstalten überstellt werden sollen.[239]

Sr. Arnolda Hörtnagl berichtet von einem Schreiben, in dem die Sr. Oberin aufgefordert wird, 123 Pfleglinge für den Abtransport nach Hartheim bei Linz bereitzustellen.[240]

In Vertretung der schwerkranken Sr. Oberin kann Sr. Erharda Hendlmaier erreichen, daß die Anzahl der abzutransportierenden Frauen und Männer herabgesetzt wird.

"Gleich, und zwar glaublich am folgenden Tag, begab ich mich zum Leiter des Landesgesundheitsamtes, Dr. Czermak, nach Innsbruck. Vorher habe ich aus der Transportliste alle jene Pfleglinge herausgeschrieben, die wir zur Arbeit dringend benötigten und /die/ auch arbeiten konnten. Ich habe Dr. Czermak ersucht, daß wir wenigstens diese Leute im Institut behalten können, und hiezu hat er mir auch die mündliche Erlaubnis erteilt."[241]

Bemerkenswert finde ich, die in der Festschrift des St.-Josefs-Institut erwähnte Tatsache, daß am 10 Dezember 1940 69 behinderte Erwachsene nach Hartheim bei Linz überstellt werden, "[...] wo sie als ,unwertes Leben' vernichtet werden."[242] In der "Abschrift der Chronik des St. Josefsinstitutes" hingegen ist angeführt, daß 68 Pfleglinge nach Hartheim abtransportiert werden.[243]

Ein am 21. 5. 1946 aus den vorhandenen Transportlisten zusammengestelltes Verzeichnis wiederum besagt, daß am 10. 12. 1940, 67 Pfleglinge nach Niedernhart bei Linz abtransportiert worden sind:

abtransportiert am 10. 12. 1940

67

Pfleglinge

zurückgestellt

43

Pfleglinge

am 10. 12. 40 nicht mehr hier gewesen oder überhaupt nie hier gewesen

11

Pfleglinge

am 10. 12. 1940 beim Transport entlaufen

1

Pflegling (Tschon Herbert)

     

angefordert

122

Pfleglinge[a]

[a] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984. Nr. 29. Aus: Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der Bundespolizeidirektion Innsbruck Betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23. 5. 1946.

Schon nach kurzer Zeit kommen von Hartheim die Nachrichten vom Tod der Frauen und Männer. Als Todesursachen werden Lungenentzündungen, Blinddarmentzündungen oder Infektionskrankheiten angegeben. "Man wußte den tatsächlichen Sachverhalt: Alle Überstellten waren vergast worden, vielleicht schon unterwegs."[244]

Sr. Arnolda Hörtnagl berichtet, daß im Jahre 1941 weitere 19 Pfleglinge für Hartheim bestimmt und nach Verhandlungen zwei in die Heilanstalt nach Hall überstellt werden.[245]

Ich vermute, daß auch diese beiden Personen weiter nach Hartheim verschleppt und getötet worden sind.

Nur einer meiner Interviewpartner erzählt, daß er von den Deportationen im St.-Josefs-Institut gewußt hat.

"I: haben sie damals auch etwas erfahren zum st.-josefs-institut, was mit den menschen dort passiert ist?

E/D: ich bin 38 von der schule in mils weg, aber die anderen haben über das heim erzählt. da waren viele köperbehinderte kinder, geistig behinderte kinder. es waren kinder, die stumm waren, die taub waren und auch kinder, die körperbehindert waren, die verkrüppelt waren teilweise - die waren dort in diesem josfs-institut. und die sind deportiert worden. das habe ich erfahren. die sind dann umgebracht worden. wohin genau sie geliefert worden sind, das weiß ich nicht, das war ein geheimnis. das war damals ein geheimnis, das hat keiner gewußt. dachau, mauthausen oder ich weiß nicht wohin die kinder gekommen sind.

eine von den klosterschwestern hat mir das auch erzählt. die schwester hat glück gehabt, daß sie bleiben hat können, daß sie nicht mit den kindern deportiert worden ist. die kinder sind aber alle deportiert worden. der religionslehrer, der ist auch abgeführt worden. er ist aber nicht ins zuchthaus gekommen, sondern er ist in ein dorf gekommen und hat dort bleiben müssen. und 16 oder 18 von diesen klosterschwestern sind in der anstalt übrig geblieben. ein teil war in mils in der schule und ein teil im josefs-institut, aber ich habe gehört, daß im josefs-institut die kinder alle dann deportiert worden sind. gesehen selber habe ich es nicht, ich habe das nur erfahren, ich habe das nur gehört.

eine von diesen schwestern hat das erzählt. sie hat gesagt, daß war ein geheimnis. sie hätte an und für sich nichts erzählen dürfen, weil sie sonst verhaftet worden wäre. ich weiß nicht, wer da verantwortlich war, die ärzte, die nazi-partei oder die ss? die ärzte haben auch diese kinder untersucht, haben gesagt, die sind nicht gesund, die müssen weg. wenn die kinder gesund waren und sie ein bißchen hören haben können oder ein bißchen sprechen haben können sind sie zurück gekommen. aber die meisten kinder sind deportiert worden. selber gesehen haben wir nichts. weil es war verboten das st.josefs-heim zu betreten. ich habe die sachen nur gehört. ich glaube es war die geheimpolizei auch da. also, es war verboten das heim zu betreten. es ist auch ein schild gestanden, wo gestanden ist: eintritt verboten! [...]"[246]

Nach den Deportationen werden Umsiedler aus Südtirol in das Haus einquartiert.[247]

Außerdem werden im Auftrag der Gauleitung immer wieder "Pflegebefohlene" in andere Anstalten verlegt und für Neuaufnahmen angefragt. Die Schwestern müssen An- und Abmeldeformulare ausfüllen in denen unter anderem nach der "Arbeitsleistung" und nach "Besuchen von Verwandten" gefragt wird, und der Direktor der Landesheilanstalt in Hall hat die Verpflichtung, jede/n Neuaufgenommene/n zu beurteilen. Die Schwestern versuchen die Frauen und Männer zu schützen, indem sie so viele Verwandte und BesucherInnen als möglich angeben, und der Direktor der Heilanstalt gibt ihnen den Rat: "Gebt's ihnen einen Besen in die Hand oder stellt's ihn mit einer Mistgabel zum Misthaufen. Dann kann ich schreiben, ich habe ihn arbeiten sehen!"[248]

Hartmann Hinterhuber[249] stellt fest, daß mit dem ständigen Wechsel der aufzunehmenden und weiterzuleitenden PatientInnen das St.-Josefs-Institut für die Tarnung der von "T4-Aktionen" mißbraucht worden ist: "Unüberschaubare Patientenbewegungen dienten zur Vertuschung der Euthanasievorhaben; zeitweilig wurden bis zu 300 Patienten im genannten Haus aufgenommen."[250]

Ab 1943 werden zusätzlich gefangene Franzosen in Teilen der Gebäude festgehalten.[251]

In den Jahren 1943 bis 1945 finden zahlreiche Bombenangriffe auf die nähere Umgebung von Mils statt. Das Haus selbst bleibt verschont, aber oftmals müssen die Schwestern mit den PatientInnen in den Keller flüchten.[252] "Mit vielen Pfleglingen hatte man in diesen Stunden der Angst und des Bangens noch seine besondere Not: Manche konnte man kaum in den Luftschutzraum bringen, andere wollten nicht."[253]

Im Mai 1945 ziehen alliierte Truppen in das Haus ein.

Anmerkung

Meine Ausführungen zum St.-Josefs-Institut beziehen sich darauf, daß ein Stiftungszweck der Anstalt darin besteht, mittellose "Taubstumme" aufzunehmen und ich daher davon ausging, daß auch Gehörlose zur Zeit des Nationalsozialismus anwesend waren. Diese Annahme wird in der Chronik des St.-Josefs-Institutes bestätigt.[254]

Aufgrund dieses Vorwissens versuchte ich im Archiv des St.-Josefs-Institutes zu recherchieren, ob gehörlose BewohnerInnen von den Deportationen betroffen waren. In den Jahrbüchern des Hauses werden die persönlichen Daten der Aufgenommenen, die An- und Abmeldedaten sowie ihre Diagnosen festgehalten. Leider mußte ich feststellen, daß die Jahrbücher dieser Zeit in Kurrentschrift gehalten sind, die ich fast nicht lesen konnte. So überflog ich nur einige Bücher, konnte aber immer wieder die Diagnose "idiotisch und taubstumm" entziffern. Die Jahrbücher aus den Jahren 1940 und 1941 waren nicht auffindbar.

Ich konnte daher nicht feststellen, ob gehörlose Menschen aus dem St.-Josefs-Institut nach Hartheim deportiert worden sind.

Ich versuchte zusätzlich herauszufinden, ob so genannt "bildungsunfähige" Kinder in dieser Zeit von der "Taubstummenanstalt" in das St.-Josefs-Institut überstellt wurden. Auch diesbezüglich konnte ich keine gesicherten Zeugnisse finden.

Keiner der Interviewpartner kann sich daran erinnern, ob Kinder überstellt worden sind, und Sr. F weiß von Überstellungen, ist sich aber bezüglich der Zeit nicht sicher.

"[...] eine war noch da, an die kann ich mich noch gut erinnern, die ist gestorben voriges jahr, die ist aber schon, ich glaube gegen neunzig war sie. und die war unten in der schule und die ist von unten herauf (in das St.-Josefs-Institut Anm. d. V.) gekommen. aber die hat man nicht weg. die war wohl schon armselig und schwach und reden hat sie kein wort können, gar kein wort. sie hat gebärden können. also die muß vorher schon heroben gewesen sein, weil zu meiner zeit hat man niemanden mehr herauf [...] auf jeden fall ist sie von unten herauf gekommen. es kann sein, daß sie vor der nazi-zeit herauf gekommen ist oder während - dasweiß ich auch nicht mehr. aber im allgemeinen hat es geheißen bildungsfähig müssen sie sein, dann darf man sie nehmen."[255]

Wie aus dem Interviewtext von Sr. F entnehmbar ist, wurden nur "bildungsfähige" Kinder in der "Taubstummenanstalt" aufgenommen.

Für mich bleibt in diesem Zusammenhang auch ungeklärt, ob Kinder, die ursprünglich für die "Taubstummenanstalt" bestimmt waren, schon bei der Anmeldung in das St.-Josefs-Institut weitergeleitet wurden.

Exkurs

Die "Hilfsschule" im Nationalsozialismus[256]

Mit dem verstärkten Ausbau der "Hilfsschulen" nach dem ersten Weltkrieg werden die Schulen vermehrt mit der Heterogenität der aufzunehmenden SchülerInnen konfrontiert. Die Grenzziehung zur Aufnahme in die Volksschulen wird immer schwieriger, aber auch die Grenzziehung innerhalb der "Hilfsschulen" zu den so genannten "Schwerschwachsinnigen" hin wird problematisiert.[257]

Definitions- und Abgrenzungsansätze über "Bildungsfähigkeit" und "Bildungsunfähigkeit", Fragen über die Beschulung von "bildungsunfähigen Kindern", sowie Unterscheidungskriterien zwischen "schwerschwachsinnigen Bildungsfähigen" und "Hilfsschülern" werden von diesem Zeitpunkt an intensiv diskutiert.[258]

"Bartsch (1923) glaubt die beiden Personengruppen durch die Feststellung voneinander trennen zu können, daß der Hilfsschüler Lesen und Schreiben erlernen könne, während der Schwerschwachsinnige wohl zur Arbeit gewöhnt werden könne, Kulturtechniken ihm aber verschlossen blieben."[259]

Aufgrund des Schulpflichtgesetzes stellt sich die grundlegende Frage, ob "schwerschwachsinnige" Kinder im Rahmen der Hilfsschule zu fördern sind.

Verschiedene Regelungen werden vorgeschlagen, u. a. die Ausschulung "bildungsunfähiger" Kinder. Dies wird aber nur von wenigen Autoren befürwortet.

"Wohl meint Schnitzer (1926), daß sich die Hilfsschule von den Schwerschwachsinnigen ,befreien' müsse, glaubt Bopp (1930), daß das Ausschulen aus der Hilfsschule öfter gehandhabt werden müsse und fordert der Pestalozzilehrplan (1930), daß nach längerem Versagen in der Hilfsschule an eine Überweisung in die Anstalt gedacht werden müsse. Doch gerade Bopp möchte diese Kinder in der Anstalt mit schulähnlichen Formen und Inhalten gefördert wissen."[260]

Von den Heilpädagogen einheitlich begrüßt wird das Modell der Sammelklasse für "Schwerschwachsinnige" innerhalb der "Hilfsschule", das seit 1917 besteht.

Im Nationalsozialismus wird die Diskussion über die Aufgaben und die Organisation der "Hilfsschulen" fortgesetzt.

"Prinzipiell wurde davon ausgegangen, durch die Aussonderung der ,schwachsinnigen' Kinder die Volksschule zu entlasten, um die gesunden deutschen Kinder besser fördern zu können. Ferner hatte die Hilfsschule für die Erziehung der ihr zugewiesenen Kinder zu brauchbaren Mitgliedern der Gesellschaft zu sorgen, damit sie im Erwachsenenalter dem Staat nicht zur Last fielen. Daneben sollte sie mithelfen, die Kinder nötigenfalls den zweckmäßigen erb- und rassenpflegerischen Maßnahmen des Staates (etwa Sterilisation) zuzuführen. Den als bildungsunfähig eingestuften Kindern wurde der Schulbesuch versagt, ihnen drohte die staatlicherseits betriebene Ermordung durch das Euthanasieprogramm, dem auch in Tirol und Vorarlberg zahlreiche Kinder zum Opfer fielen"[261]

Nach der Machtübernahme (1933) wird die "Hilfsschule" zur Abschaffung bzw. Einschränkung bestimmt.[262] Es werden zahlreiche Sonderschulen "für geistig oder körperlich minderwertige Kinder" sowie Vorklassen an "Normalschulen" "[...] mit ihrer übertriebenen Fürsorge für den schwachbegabten Einzelnen [...][263] aufgelöst und die SchülerInnenzahl pro Klasse erhöht. Höck nimmt an, daß zusätzlich einige Kinder aus den Schulen genommen worden sind.[264] Geld und Personal sollte hier gespart werden, um durch Umverteilung der Ressourcen die gesunden Kinder besser fördern zu können. "Nach den Grundsätzen des Reiches über die Aufartung des Volkes ist es nicht angängig, für ein minderwertiges Kind etwa doppelt soviel zu verausgaben wie für ein Kind der Normalvolksschule."[265]

Bis 1935 bleiben die Abschaffungstendenzen gegenüber den "Hilfsschulen" bestehen, während gleichzeitig ein neuer ideologie-konformer Aufgabenbereich für sie entwickelt wird: Die "Hilfsschule" erweist sich als Potential für die rasche und umfassende Umsetzung des GzVeN. "Man entdeckt, daß ja gerade in dieser Schule Kinder und Jugendliche zu finden sind bzw. gesammelt werden können, für die die Auswahlkriterien des GzVeN zutreffen."[266]

Mit einem Erlaß des Regierungspräsidenten von Düsseldorf vom 27. 2. 1935, der am 6. 7. 1935 für das Reich übernommen wird, werden alle Kreisschulräte angewiesen, "alle hilfsschulpflichtigen Kinder aus erb- und rassenpolitischen Gründen restlos der Hilfsschule zuzuweisen."[267]

In den allgemeinbildenden Schulen wird in den ersten Jahren der Machtübernahme vor allem ein Instrument gesehen, mit dem den deutschen Kindern die nationalsozialistische Gesinnung aufgezwungen werden kann.

Um 1935/36 werden im Zuge langfristiger Kriegsvorbereitungen die Schulen zusätzlich angehalten, die intellektuellen und instrumentalen Leistungen der SchülerInnen zu steigern. Die "Hilfsschule" erhält infolgedessen die Aufgabe, die Volksschulen von den SchülerInnen zu entlasten, die diesem Leistungsanspruch nicht genügen können.[268]

Der Leistungsanspruch geht aber auch auf die "Hilfsschulen" über, und zum ersten Mal erhalten sie im Jahre 1938 Anweisungen über Ziele und Formen der Erziehung.[269] Die Hilfsschule wird aufgefordert, die Kinder durch ihnen angemessene Verfahren zu erziehen, "[...] damit sie sich später als brauchbare Glieder der Volksgemeinschaft selbständig oder unter leichter Führung betätigen können."[270]

Dies bedeutet für die Hilfsschullehrer die lang erwartete Unterstützung ihrer Arbeit und die Aufwertung für ihren Berufsstand durch den nationalsozialistischen Staat.

Aus Opportunismus, Existenzangst und zum geringen Teil aus Überzeugung werden die neuen Aufgabenbereiche ("Sammelbeckenfunktion"[271] für die Durchführung des GzVeN und Leistungssteigerung) von Hilfsschullehrern und der Schulverwaltung übernommen.

Die Leistungssteigerung kann aber nur über die Beschneidung der Schülerschaft im unteren Leistungsbereich vollzogen werden. Dies geschieht über die Verdrängung so genannter "Schwerschwachsinniger" aus der Hilfsschule.[272]

Die AAoPr hält fest, daß Sammelklassen für "bildungsunfähige" Kinder unzulässig sind - es dürfen keine neuen eingerichtet werden und die bestehenden sind aufzulassen.[273] Im Reichsschulpflichtgesetz vom 6. 7. 1938 wird kurz darauf angeordnet, daß "bildungsunfähig" erklärte Kinder aus der Schulpflicht zu befreien und der Fürsorge oder der privaten Pflege zu übergeben sind.

Für Fürsorgemaßnahmen ist das "Reichsministerium des Innern" (RMinI) zuständig. Das RMinI beauftragt am 29. 3. 1940 die Jugendämter mit "der umfassenden Betreuung der bildungsunfähigen Kinder".[274]

Die Kinder werden ausgeschult und in Anstalten untergebracht bzw. in die Familien zurückgeschickt.

Höck leitet aus vorhandenen Dokumentationen ab, daß hinter dieser Regelung die Absicht steht, "bildungsunfähige" Kinder organisatorisch leichter und vollständiger den Maßnahmen des GzVeN und dem "Euthanasieprogramm" zuführen zu können.[275]

Horst Schreiber legt dar, daß im Gau Tirol und Vorarlberg die Beurteilung der Schulunfähigkeit örtlich sehr verschieden ist und der Handlungsspielraum der Lehrkräfte und Gemeinden beachtlich.[276]

Auch im Reichsgau Tirol und Vorarlberg werden nach dem "Anschluß" zuerst einzelne "Hilfsschulen" aufgelassen, Klassen zusammengelegt und Schulen das Öffentlichkeitsrecht entzogen.[277]

Später setzt sich auch hier das Streben nach der Nutzung des "Arbeitspotentiales" der Schülerinnen und Schüler zugunsten der "Volksgemeinschaft" durch.

"Den HilfsschülerInnen wurden nun bestimmte Aufgaben im Hilfsarbeiterbereich und als Soldaten zugeteilt und ihre Nützlichkeit für die ,Volksgemeinschaft' öffentlich betont."[278]

Das Erfassen ihrer "verminderten Fähigkeiten" und spezielle Förderungen sollen die Kinder befähigen, Leistungen für Deutschland zu erbringen.

Im Jänner 1939 erhebt der Landesschulrat (LSR) die Zahl der potentiellen "HilfsschülerInnen" in den Kreisen. "Hilfsschulbedürftigkeit" wird nun gleichgesetzt mit Volksschulversagen, "[...] egal ob aus geistigen, psychischen, körperlichen oder sozialen Gründen."[279] Einige Volksschulen benutzen dies, um jeglichen Kinder, die von der Norm abweichen, "Hilfsschulbedürftigkeit" zu diagnostizieren - folgende Charakterisierungen von Kindern sind in den Berichten zu finden: "zu langsam, schwache Auffassungsgabe, kränklich, fehlt oft, faul, stinkfaul, vielfacher Sitzenbleiber, arger Schulschwänzer, zu Hause sich selbst überlassen, stört und hemmt die Normalen, körperlich und geistig zurück, asoziale Familie, Alkoholikerkind, Vater in Hall, Karrner usw."[280]

Im Jahre 1940 verstärken sich die Beschulungsabsichten: "Geisteskranke, Geistesschwache, Epileptiker, Taubstumme, Blinde und Krüppel" sind von den Schulen zu melden und in Anstalten zu überstellen; bildungs- und erziehungsfähige Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen in "Hilfsschulen" zu überweisen.[281] Dies hat zu Folge, daß aus Tiroler und Vorarlberger Volksschulen (ohne Innsbruck) weit über 400 Kinder in "Hilfsschulen" eingewiesen werden.

Aufgrund dieses hohen Bedarfs müssen neue "Hilfsschulen" und "Hilfsschulklassen" eröffnet werden. Auch die Gehörlosenschule in Mils sowie die private Blindenanstalt in Innsbruck werden teilweise als "Hilfsschule" genutzt.[282]

Im Bestreben der NS-Schulbehörde, das Schulwesen zu vereinheitlichen und die Erziehung der Kinder und Jugendlichen im NS-Geiste zu sichern, wird mit einem Erlaß vom 19. Juli 1938 allen katholischen Privatschulen das Öffentlichkeitsrecht entzogen und mit einem weiteren Erlaß vom 17. Oktober 1938 wird über die Schließung sämtlicher konfessioneller Privatschulen und ihrer Schulheime verfügt.[283] Mit der Beseitigung des konfessionellen Schulwesens soll die katholische Kirche vollständig aus dem Bildungsbereich verdrängt werden. Die Schulgebäude und andere konfessionelle Einrichtungen sollen in staatliche Schulen transformiert bzw. den Parteidienststellen oder der Wehrmacht zur Verfügung gestellt werden.

Katholische Lehrschwestern und Kindergärtnerinnen werden auch aus öffentlichen Schulen und Kindergärten entlassen, und katholische LehrerInnenbildungsanstalten werden geschlossen.[284]

Exkursende

Gehörlosenvereine

"E/D: [...] (unverständlich) einen sportverein gegründet, gehörlosensportverein. im jahr 39 haben wir den verein gegründet. aber es war ein nazi-verein, es muß... also den nazi-gesetzen folgen müssen, hat heißen müssen deutscher sportverein, deutscher turn- und sportverein. 39 bis 45 dann war der sportverein in betrieb, aber es sind natürlich immer weniger leute gekommen. wir haben bergwanderungen gemacht, wir haben ausflüge gemacht, wir haben fußball gespielt, aber es waren natürlich zu wenig leute da. schi fahren sind wir auch gegangen. [...] es waren über 30 bis 40 gehörlose ungefähr dabei. es waren von tirol die leute und von vorarlberg sind auch welche gekommen. (unverständlich) wir haben uns an die nazi-gesetze halten müssen, also das waren... verschiedene anordnungen befolgen müssen, ordnung, disziplin, partei, das war alles total wichtig. die sind in unseren statuten gestanden. [...]

wir haben viele sachen gemacht, wir haben geld gesammelt, haben aber alles für die wehrmacht abliefern müssen. [...]

I: [...] hat es damals eigentlich einen gehörlosenverein gegeben, zu dieser zeit?

E/D: nein, nur den sportverein. nein, es war nur der sportverein und einfach eine gemeinschaft von gehörlosen. und es hat damals gemeinschaft der gehörlosen und taubstummen geheißen. [..]"[285]

"Gehörlosenverein Innsbruck"[286]

Im Frühling des Jahres 1922 wird in einem Gasthaus in Innsbruck eine "Taubstummenversammlung" abgehalten und die Notwendigkeit der Gründung eines eigenen Vereins besprochen, "[...] um dem fortschreitenden Zeitgeist Rechnung zu tragen."[287]

Fritz v. Peschka drängt auf die Gründung des Vereins mit dem Argument "[...] wenn Tirol schon eine Taubstummenschule habe, müsse auch ein Verein gegründet werden."[288] Am 30. 7. 1922 gelingt ihm die Gründung eines "Taubstummenvereines" in Innsbruck. Er selbst ist bis 1935 Obmann des Vereines. Die Vereinssitzungen finden in seiner Wohnung statt und die Monatsversammlungen jeweils in einem Gasthaus in Innsbruck. Erst 1958 kann ein eigenes Vereinsbüro mit einem Aufenthaltsraum für die Gehörlosen bezogen werden.

In den Jahren 1938 - 1944 ist Eugen Tommasi Obmann des Vereins. In den Kriegsjahren 1944 bis 1945 wird der Verein stillgelegt, da die Gehörlosen die Bombenangriffe nicht hören können. 1945 wird der Verein reaktiviert.

Dieser Verein dürfte der erste Gehörlosenverein in Tirol gewesen sein.

Erst im Jahr 1958 wird der "Tiroler Landesverband der Gehörlosenvereine" gegründet.

Bemerkenswert finde ich, daß nach der Erinnerung des Herrn D kein Gehörlosenverein zur Zeit des Nationalsozialismus bestanden hat.

Über die Inhalte und Aktivitäten des Vereins steht leider nichts geschrieben, auch nichts über etwaige Veränderungen zur Zeit des Nationalsozialismus.

In den Ausführungen des Österreichischen Gehörlosenbundes findet die Gründung des von Herrn D beschriebenen Sportvereins ebenso keine Erwähnung.

Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus dürfte auch von den Gehörlosen in Österreich zumindest bis zum Jahr 1988 nicht stattgefunden haben.[289] Denn auch in den Ausführungen zur Geschichte der Gehörlosenorganisationen in Österreich, die aus Auszügen Österreichischer Gehörlosenzeitungen vom Jahre 1963[290] bestehen, wird die Bedeutung des Nationalsozialismus für die Organisationen mit nur einem Satz beschrieben: "Und dann kam der ,Reichsbund der Gehörlosen Deutschlands', der alle Vereine ,gleichschaltete'"[291]

Ich möchte daher an dieser Stelle den mutigen Schritt meiner InterviewpartnerInnen betonen, ihre Erinnerungen zur Verfügung zu stellen und damit, wie ich vermute, auch ein Tabu innerhalb der Gehörlosengemeinde zu brechen.

Schwerhörigenpädagogik[292]

"Über die Abgrenzungslinie ist man noch nicht überall der gleichen Auffassung. - Unser Standpunkt ist so: Lassen sich vorhandene Hörreste noch in den Dienst der Sprachenbildung stellen, dann gehört das Kind in die Schwerhörigenschule auch dann, wenn keine Sprache mitgebracht wird. - Die reine Gehörlosenschule wendet sich nicht an das Ohr, sondern stellt sich auf das Auge und das Getast ein."[293]

Im organisatorisch- schulischen Bereich ist während der nationalsozialistischen Herrschaft das "Schwerhörigenwesen" dem "Taubstummenwesen" zugeordnet - "eine Tatsache, die wie man wohl annehmen darf, den Pädagogen [...], welche jahrzehntelang um Eigenständigkeit kämpften, nicht sonderlich gefiel."[294]

Es hat von seiten der "Schwerhörigenpädagogik" schon vor dem Nationalsozialismus Bestrebungen gegeben, sich von der "Gehörlosenpädagogik" abzugrenzen. Wichtig ist, daß diese früheren Abgrenzungstendenzen auch mit der Konstruktion einer "Rangordnung" zwischen "Schwerhörigkeit" und "Gehörlosigkeit" verbunden gewesen sind. "Rassenhygienische" Vorstellungen werden zum Teil schon vor 1933 von "Schwerhörigenpädagogen" unterstützt.[295]

In der Zeitschrift "Der Kämpfer" aus dem Jahre 1934 begrüßt der Leiter der Hamburger Schwerhörigenschule Fritz Hartmann "eugenische" und "rassenhygienische" Maßnahmen, zieht aber gleichzeitig die Grenze zu schwerhörigen Menschen. Schwerkolt faßt Hartmanns Standpunkt wie folgt zusammen: "[...] der Taubstumme sei der wirklich Behinderte und damit die Gefahr für den ,Erbstrom', nicht dagegen der ,vollwertige' Schwerhörige."[296]

Dem Text von Schwerkolt ist zu entnehmen, daß die Abgrenzung zu den gehörlosen Menschen auch damit verbunden ist, schwerhörige Menschen vor den Auswirkungen des GzVeN zu schützen, wobei dies nicht unbedingt mit einer Ablehnung gegenüber "rassenhygienischer" und "eugenischer" Ideologien zusammenhängt.

Obwohl der Artikel von Schwerkolt, auf den ich mich hier beziehe, den gesamten Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft aufgreift und somit die angegliederte "Ostmark" mit einbezogen ist, sind nur Städte, Institutionen wie Schulen, Vereine und Verbände und Pädagogen aus dem ehemaligen "Altreich" angeführt. Dies läßt mich annehmen, daß die Praxis der "Schwerhörigenpädagogik" nur auszugsweise auf Österreich übertragbar ist.

Ein Beispiel dafür ist, daß Schwerkolt von eigenen Schulen für Schwerhörige spricht, wohingegen in Tirol schwerhörige und gehörlose Kinder gemeinsam die "Taubstummenanstalt" in Mils bei Hall besucht haben.

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit halte ich es für wichtig, diese Thematik näher zu beleuchten, da sich ein Interviewpartner explizit als schwerhörig bezeichnet, und ich keine Unterlagen zur Situation in Österreich finden kann.

Die Schwerhörigenpädagogik im nationalsozialistischen Sonderschulwesen

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1933 beginnen für das gesamte Schulwesen einschneidende Änderungen, die auch für die bestehenden Schwerhörigenschulen gelten:

  • März 1933 "Gleichschaltung der Lehrerverbände und der Fachpresse

  • April Mit Hilfe des "Gesetz(es) zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" werden kommunistische, sozialdemokratische, radikaldemokratische und jüdische Lehrer aus dem Dienst entlassen

  • Juni Kommissionen mit geheimer Zusammensetzung zur "Säuberung" der Lehrerschaft

  • Juli Reichseinheitlich verbindliche inhaltliche Richtlinien für das Fach Geschichte

  • August Erlaß über "verbotene Schriften für Schulbüchereien", Erlaß: HJ wird 3. Erziehungsinstanz neben Elternhaus und Schule[297]

Da in Tirol das Lehrpersonal und die Führung der "Taubstummenanstalt" von kirchlicher Seite gestellt wird, möchte ich festhalten, daß 1938 zusätzlich sämtliche geistliche Lehrpersonen aus dem österreichischen Schulbetrieb entlassen werden.[298]

Die LehrerInnen der verschiedenen Sonderschulen werden zur "Reichsfachschaft V Sonderschulen im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB)" zusammengefaßt. Das gemeinsame Fachorgan ist die Monatszeitschrift "Die deutsche Sonderschule".

Im Sommer 1934 wird die Reichsfachschaft V in folgende Bereiche untergliedert:

"Taubstummenwesen, Schwerhörigen- und Sprachheilwesen,

Blindenwesen und Sehschwachenschulen,

Hilfsschulwesen,

Anstaltswesen, (...) usw.[299]

Im März 1943 wird der NSLB "zugunsten" des Krieges stillgelegt.

"Gleichschaltung" der Schwerhörigenvereine und -verbände

Am 16. August 1933 werden die vielfältigen Schwerhörigenvereine und -verbände, gegen zum Teil heftigen Widerstand, zum "Reichsbund der Deutschen Schwerhörigen" zusammengefaßt. Die "NS-Volkswohlfahrt" bestellt den "Reichsführer" und legt somit auch die ideologisch- inhaltliche Ausrichtung des Reichsbundes fest.

"Die Satzung des Reichsbundes besagte kategorisch, daß ,Nichtariern' der Bund verschlossen sei (§ 3) und Mitglieder, die ,nationalsozialistischen' Grundsätzen zuwiderhandelten, ausgeschlossen würden (§ 8).[300]

Im Jänner 1934 erscheint die Nr. 1 der neuen Einheitszeitschrift des Reichsbundes "Der Kämpfer. Deutsche Zeitschrift für Schwerhörige und Ertaubte". "Der Kämpfer" erscheint monatlich bis zum April 1940, dann wird die Zeitschrift in "Monatszeitschrift für Schwerhörige und Ertaubte" umbenannt. 1944 wird im Titel der Zeitschrift der Begriff "Ertaubte" in "Spätertaubte" abgeändert.

Im Juli 1944 wird - bedingt durch das Kriegsgeschehen - auch der Reichsbund aufgelöst. Die Gaue sollen in "eigener Verantwortung" weiter arbeiten.

Der "Schwerhörigen-Bann" innerhalb der Hitlerjugend (HJ)

1935/36 wird unter der Befürwortung etlicher Pädagogen der "Schwerhörigen-Bann" (VI/G) in der HJ aufgestellt. Diese Schwerhörigenpädagogen sehen darin eine Möglichkeit schwerhörige Jugendliche vor "Aussonderung" und Diffamierung zu schützen - allerdings ohne die "rassistische" und "eugenische" Ideologie in Frage zu stellen. "Nun konnte man doch beweisen, daß auch die Schwerhörigen für den neuen Staat wertvoll und keine unnützen, das deutsche Volk bedrohenden ,Ballastexistenzen' seien."[301]

Der "Schwerhörigen-Bann" ist selbständig, aber dem Bann G (Gehörlose) zugeordnet. Dies führt wiederum zu starken Abgrenzungsbestrebungen. "Die Angst war groß, mit den Taubstummen, die ja vom GzVeN namentlich aufgeführt wurden, in einem Atemzug genannt zu werden."[302]

Im Mai 1939 wird aber der Unterbann VI/G aus Kostengründen aufgelöst. Die Schwerhörigen unterstehen ab nun dem "Reichsbann G".

Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie auf die Schwerhörigenpädagogik.

Die Beeinflussung der Unterrichtsfächer, Organisationsformen (zum Beispiel Einführung des Hitlergrußes) und Unterrichtsinhalte betrifft die Schwerhörigenschulen in gleichem Maß wie die Volksschulen, da in diesen nach dem Volksschulplan unterrichtet wird.

Schwerkolt beschreibt hier die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie auf die Pädagogik für Schwerhörige - in ihrer Zuordnung als "Behinderte".

  • Sterilisation von Schwerhörigen

Schwerhörige sind im GzVeN nicht explizit angeführt. Die Möglichkeit der Unfruchtbarmachung von "erblichen Schwerhörigen" wird aber in Kommentaren und Erläuterungen des Gesetzes behandelt.

Es gibt nur vereinzelt Hinweise darauf, daß Schwerhörige real sterilisiert worden sind.

In den Zeitschriften "Der Kämpfer" und "Die Deutsche Sonderschule" wird diesem Thema aber ein erheblicher Umfang an Beiträgen gewidmet. Diese Schriften lösen massive Ängste bei den Schwerhörigen und in den Schwerhörigenschulen aus.

Um "die ängstlichen Gemüter unter den Gehörgeschädigten zu ,beruhigen'[303], läßt die Schriftleitung des "Kämpfer" einen Sterilisierten von der Unfruchtbarmachung berichten. Im Vordergrund dieses Berichtes steht die Bagatellisierung der Operation und ihrer Auswirkungen, sowie seine Verpflichtung gegenüber der "Qualität des Volksbestandes". In der Folgenummer des "Kämpfer" werden die "erbgeschädigten" Schwerhörigen aufgefordert, diesem "Helden des Alltags" zu folgen.

  • Auswirkungen des GzVeN auf das Selbstverständnis der Schwerhörigenpädagogik

Die propagierten Inhalte einiger Autoren in den Zeitschriften "Der Kämpfer" und "Die Deutsche Sonderschule", sowie die Propaganda[304] in der allgemeinen Presse und im Rundfunk über den Umgang mit behinderten Menschen und die tatsächlich durchgeführten Sterilisationen an "Taubstummen" führt zu einer erheblichen Angst unter den schwerhörigen Kindern, deren Eltern und LehrerInnen.

Nach Ansicht von Schwerkolt manifestiert sich diese Angst in "[...] panischer Abgrenzung von den sog. Taubstummen oder Gehörlosen, in verstärkter Ablehnung der Sonderschule durch die Eltern, in der manchmal schon grotesken Überbetonung des,wertvollen' und ,kämpferischen' Elements im schwerhörigen Menschen und in der oft verzweifelt anmutenden Beflissenheit, sich als stramme Gefolgsleute und ,vollwertige Volksgenossen' anzudienen.[305]

Um den Ängsten der Eltern und den "Wühlereien" von LehrerInnen und "Betroffenen" entgegenzuarbeiten wird zum Beispiel in Sachsen mit einer regen Vortrags- und Aufklärungstätigkeit - für die Notwendigkeit "erbhygienische Maßnahmen" - geantwortet.

Resümee

Die Abgrenzung von den Gehörlosen wird auf mehreren Ebenen durchzukämpfen versucht - einerseits zum Schutz der Schwerhörigen, andererseits meiner Meinung nach auch im Sinne einer Rangordnung. Die Spaltungstendenzen innerhalb der Pädagogik unterbindet Solidarität und Unterstützung. Ideologische Ausrichtungen der Nationalsozialisten ("Rassenhygiene" und "Eugenik") werden von Schwerhörigenpädagogen dadurch mitgetragen.

"Erbliche Schwerhörige" und "Gehörlose" dürfen nach Ansicht nationalsozialistischer Schwerhörigenpädagogen auf keinen Fall verglichen werden, da die Schwerhörigen fähig sind, bei entsprechender Beschulung zu "vollwertigen Mitgliedern des Volksganzen" zu werden.

"Im Januar 1938 machte Zwanziger konkrete Vorschläge, das ,Gehörgeschädigtenwesen' in Bayern neu zu ordnen, d. h. die ,Zwerg-Taubstummenschulen' zu schließen, ebenso wie private Anstalten, und die ,lebensuntüchtigen' Kinder aus den zuletzt genannten Einrichtungen zu ,asylieren'. In diesem Zusammenhang verlangte er die ,endliche Trennung' der ,Wertvollen', also Schwerhörigen von den Taubstummen.[306]

Schwerkolt weist in diesem Zusammenhang auf die Angst vor den Auswirkungen des GzVeN auf schwerhörige Menschen hin. Meiner Meinung nach könnte in den Abgrenzungsbestrebungen durch die Schwerhörigenpädagogen zusätzlich der Versuch liegen, den eigenen Berufsstand aufzuwerten.



[127] Festschrift 1830 - 1955, 30.

[128] Festschrift 1830 - 1930, 8.

[129] Allgemeiner Nationalkalender für Tirol und Vorarlberg 1847 zit. nach Bodner 1980, 16.

[130] Am 25. August 1837 wird Josef Amberg zum Dekan und Stadtpfarrer von Hall ernannt. Vgl. Festschrift 1830 - 1930, 29.

[131] Festschrift 1830 - 1930, 29.

[132] Festschrift 1830 - 1955, 38.

[133] Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 2.

[134] Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 2.

[135] vgl. Reindl Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 2.

[136] Festschrift 1830 - 1955, 39.

[137] Festschrift 1830 - 1955, 39.

[138] Im Jahre 1884 kommt es zwischen dem Landesausschuß von Tirol und jenem von Vorarlberg zu einer Übereinkunft: Das Land Vorarlberg leistet einen Zuschuß für den Neubau und verpflichtet sich, zugunsten der Anstalt Sammlungen zu veranstalten - im Gegenzug werden den Landesangehörigen von Vorarlberg die gleichen Rechte und Ansprüche an der "Taubstummenanstalt" zugesichert, wie den Tiroler Kindern. Vgl. Festschrift 1830 - 1930, 34.

[139] Festschrift 1830 - 1955, 39.

[140] Festschrift 1830 - 1930, 34.

[141] vgl. Festschrift 1830 - 1930, 38.

[142] vgl. Festschrift 1830 - 1955, 52.

[143] vgl. Festschrift 1830 - 1955, 51 und Interview Sr. F

[144] vgl. Gunda 1993, 15 und Keckeis 1996/97.

[145] Gunda 1993, 15.

[146] Gunda 1993, 15.

[147] Einer der wichtigsten Vertreter der Oralisten ist Alexander Graham Bell. Er entwickelt auch Theorien entwickelt über die Gefahren der Gehörlosen für die Gesellschaft und stellt u. a. Überlegungen zu Verhinderung der "Fortpflanzung" Gehörloser an. Vgl. Lane 1993, 575ff.

[148] vgl. Festschrift 1830 - 1955, 51. Die genaue Jahreszahl ist mir nicht bekannt. In der Mutterhauschronik steht "Ab 19.. wurde die Lautsprache eingeführt." und Sr. F kannsich nicht erinnern, wann die Umstellung war.

[149] Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 3.

[150] Lahartinger zit. nach Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 224.

[151] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 187.

[152] Interview Sr. F

[153] vgl. Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 5.

[154] Interview Herr C

[155] siehe Kapitel: Die "Hilfsschule" im Nationalsozialismus.

[156] Interview Sr. F

[157] Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[158] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984. Und siehe Kapitel: Die "Hilfsschule" im Nationalsozialismus - Entkonfessionaliserung der Schulen.

[159] vgl. Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[160] Interview Herr C

[161] vgl. Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[162] vgl. Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[163] Interview Herr C

[164] Interview Sr. F

[165] Interview Herr E

[166] Interview Herr E

[167] Interview Herr E

[168] siehe Höck 1979; Klee 1996 und Biesold 1988.

[169] Leider sind mir keine Jahreszahlen bekannt.

[170] Interview Sr. F

[171] Berger 1989, 71.

[172] Berger 1989, 71.

[173] vgl. Berger 1989, 71 und Höck 1979, 269.

[174] Klee 1996, 21.

[175] vgl. Klee 1996, 21.

[176] vgl. Berger 1989, 71.

[177] vgl. Höck 1979, 272.

[178] Klee 1996, 21.

[179] vgl. Höck 1979, 272.

[180] Berger 1989, 71.

[181] Berger 1989, 71.

[182] Die Hitler-Jugend (HJ). Stand 25. Juni 2003, 2.

[183] Berger 1989, 72.

[184] Schreiber 1996, 204.

[185] Interview Herr C

[186] Interview Herr C

[187] Interview Herr C

[188] Interview Herr A

[189] Interview Herr A

[190] Interview Herr C

[191] Interview Herr C

[192] Interview Herr E

[193] Interview Herr E

[194] Interview Herr E

[195] Interview Herr E

[196] Interview Sr. F

[197] Interview Herr E

[198] Interview Herr A

[199] Interview Herr E

[200] Interview Sr. F

[201] Interview Herr C

[202] Interview Herr A

[203] Interview Herr E

[204] Interview Sr. F

[205] siehe Kapitel zum "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses".

[206] siehe angeführte Tabelle im Kapitel zum "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses".

[207] siehe Kapitel zum "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses".

[208] Die Betroffenheit Gehörloser von den "Euthanasieprogrammen" ist noch nicht beforscht. Alle meine Interviewpartner verneinen aber meine Annhame, daß Kinder plötzlich aus der Klasse oder dem Internat gefehlt hätten.

[209] Interview Herr E

[210] Interview Herr E

[211] Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 5.

[212] Interview Sr. F

[213] Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[214] Interview Sr. F

[215] vgl. Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 6.

[216] Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945.

[217] vgl. Reindl Sr. Auszug aus der Mutterhaus-Chronik. 6.

[218] vgl. Gegenfürtner Sr. Chronik über den 2. Weltkrieg 1938 - 1945 und Festschrift 1830 - 1955, 52.

[219] Interview Sr. F

[220] Interview Herr C

[221] vgl. St.-Josefs-Institut 1998 und Zimmermann Heft Nr. 36 und 35.

[222] St.-Josefs-Institut 1998, 15.

[223] St.-Josefs-Institut 1998, 15.

[224] St.-Josefs-Institut 1998, 16.

[225] Zimmermann Heft Nr. 35, 9.

[226] Stiftbrief zit. nach St.-Josefs-Institut 1998, 17.

[227] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36.

[228] St.-Josefs-Institut 1998, 36.

[229] Zimmermann Heft Nr. 36.

[230] vgl. St.-Josefs-Institut 1998, 121.

[231] Für die Jahre 1914/15 bis 1921/22 gibt es keine Unterlagen, die nachweisen, ob in dieser Zeit Unterricht erteilt wurde. Vgl. St.-Josefs-Institut 1998, 75.

[232] Zimmermann Heft Nr. 35, 21.

[233] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36. und Heft Nr. 35, 21.

[234] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 320.

[235] siehe Exkurs: Die "Hilfsschule" im Nationalsozialismus.

[236] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 318.

[237] vgl. Schreiber 1996, 103.

[238] Zimmermann Heft Nr. 35, 20. An dieser Stelle möchte ich anführen, daß die Barmherzigen Schwestern die Weisung bekamen, für den Anschluß an Hitlerdeutschland zu votieren.

[239] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984. Nr. 29. Aus: Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der Bundespolizeidirektion Innsbruck Betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23. 5. 1946.

[240] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 320.

[241] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984. Nr. 29. Aus: Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der Bundespolizeidirektion Innsbruck Betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23. 5. 1946.

[242] St.-Josefs-Institut 1998, 121.

[243] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36.

[244] St.-Josefs-Institut 1998, 49.

[245] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 320.

[246] Interview Herr D

[247] vgl. Zimmermann Heft Nr. 35, 21.

[248] St.-Josefs-Institut 1998, 50.

[249] Hartmann Hinterhuber, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie in Innsbruck, befaßt sich in seinem Buch "Ermordet und vergessen" (Verlag Integrative Psychiatrie, Innsbruck 1995) mit nationalsozialistischen Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten aus Nord- und Südtirol.

[250] St.-Josefs-Institut 1998, 51.

[251] vgl. Zimmermann Heft Nr. 35, 22.

[252] vgl. Zimmermann Heft Nr. 35, 22.

[253] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36.

[254] vgl. Zimmermann Heft Nr. 36. In einem kurzen Absatz wird hier von einer gehörlosen Frau berichtet, die seit 1903 im Institut ist.

[255] Interview Sr. F

[256] Dieser Exkurs behandelt nur einen Ausschnitt des Hilfsschulwesens im Nationalsozialismus. Weiterzulesen wäre dieses Thema bei Höck 1979.

[257] vgl. Höck 1979, 40.

[258] vgl. Höck 1979, 41 bis 44.

[259] Höck 1979, 42.

[260] Höck 1979, 43.

[261] Schreiber 1996, 119.

[262] vgl. Höck 1979, 71.

[263] Höck 1979, 61.

[264] vgl. Höck 1979, 62.

[265] Meldung des Deutschen Gemeindetages (Berlin) vom 10.4.1934 zit. nach Höck 1979, 61.

[266] Höck 1979, 73.

[267] zit. nach Höck 1979, 73.

[268] vgl. Höck 1979, 73 ff.

[269] Die Anweisung erfolgt über die AAoPr vom 27. 4. 1938 ("Allgemeine Anordnung über die Hilfsschulen in Preußen"). Vgl. Höck 1979, 74.

Die AAoPr wird in den Jahren 1938 und 1939 in den übrigen Reichsgebieten übernommen - in Einzelfällen später (zum Beispiel in Bayern am 10. 10 1941). Vgl. Höck 1979, 327.

[270] AAoPr zit nach Höck 1979, 74.

[271] "In den Bereich dieser Teilaufgabe fällt auch die Verpflichtung für den Hilfsschullehrer, Unterlagen über die Schüler zu sammeln, um sie im Falle eines in die Wege geleiteten Erbgesundheitsverfahrens dem zuständigen Erbgesundheitsgericht zur Verfügung stellen zu können. Diese Aufgabe institutionalisiert sich in der Schaffung eines Personalbogens für die Hilfsschüler, der alle Daten erfassen soll, die für ein eventuelles Erbgesundheitsgerichtsverfahren erforderlich sind." Höck 1979, 78.

[272] vgl. Höck 1979, 169.

[273] vgl. Höck 1979, 176.

[274] vgl. Höck 1979, 178.

[275] vgl. Höck 1979, 178.

[276] vgl. Schreiber 1996, 120. Als Beispiel führt er den Bezirk Kufstein an: Einige Schulen haben körperlich behinderte Kinder ausgeschlossen, während in anderen schwer geistig behinderte Kinder ihre gesamte Schulzeit absolviert haben.

[277] vgl. Schreiber 1996, 121.

[278] Schreiber 1996, 122.

[279] Schreiber 1996, 122.

[280] Schreiber 1996, 122.

[281] vgl. Schreiber 1996, 122.

[282] vgl. Schreiber 1996, 123.

[283] vgl. Schreiber 1996, 96.

[284] vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1984, 318 und Schreiber 1996, 99. Ich möchte anmerken, daß beide Aussagen sich auf den Gau Tirol und Vorarlberg beziehen, in dem die katholische Kirche im Bildungsbereich eine dominante Stellung inne hatte. Inwieweit sich die Schließungen auch auf Schulen anderer Konfessionen beziehen, ist hier nicht dargestellt.

[285] Interview Herr D

[286] vgl. Österreichischer Gehörlosenbund 1988, S. 44 - 45.

[287] Protokoll der Sitzung vom 4. 6. 1922. In Österreichischer Gehörlosenbund 1988, 44.

[288] Österreichischer Gehörlosenbund 1988, 44.

[289] Aus dieser Zeit stammen die Ausführungen des Österreichischen Gehörlosenbundes auf die ich mich hier beziehe. Auch vom "Tiroler Landesverband der Gehörlosenvereine" konnte ich keine weiteren Unterlagen, die Auskünfte über die Zeit des Nationalsozialismus geben könnten, erhalten.

[290] vgl. Österreichischer Gehörlosenbund 1988, 71 - 88.

[291] Österreichischer Gehörlosenbund 1988, 88.

[292] vgl. Schwerkolt 1990, 145 - 169.

[293] Zwanziger nach Klepper 1939, 422. (Fritz Zwanziger ist von November 1935 bis August 1944 Fachschriftleiter der Reichsfachgruppe "Taubstummenwesen einschließlich Schwerhörigen- und Sprachheilwesen". Vgl. Schwerkolt 1990, 147.).

[294] Schwerkolt 1990, 147.

[295] vgl. Schwerkolt 1990, 154.

[296] Schwerkolt 1990, 157.

[297] Schwerkolt 1990, 147.

[298] vgl. Tipotsch, Mutterhaus-Chronik der barmherzigen Schwestern.

[299] Schwerkolt 1990, 147.

[300] Schwerkolt 1990, 148.

[301] Schwerkolt 1990, 149.

[302] Schwerkolt 1990, 149.

[303] Schwerkolt 1990, 157.

[304] siehe Kapitel zum GzVeN.

[305] Schwerkolt 1990, 162.

[306] Schwerkolt 1990, 152.

WEITERE LEBENSFELDER

Weitere Lebensfelder und Erfahrungen der InterviewpartnerInnen

"E/D: es war sehr streng damals. es war damals auch verboten, wenn man über den führer schlecht gesprochen hat. man hat immer folgen müssen, immer heil hitler, immer disziplin, immer folgen. und es war damals so, daß die partei befohlen hat, da haben die leute gefolgt. viele leute haben damals schlecht gesprochen. und ich habe immer versucht, daß ich da nicht hinhöre und daß ich nicht selber spreche, selber schlecht spreche. meine mutter hat mich immer gewarnt, sie hat immer gesagt, ich muß vorsichtig sein. es war damals die zeit sehr streng, die unterdrückung war sehr stark, und meine mutter hat gesagt, es ist die gefahr da, daß man ins gefängnis kommt. und mein bruder hat mich auch gewarnt. ich habe zwei brüder und eine schwester, und die drei haben mich geschützt und haben mir immer gesagt, ich muß mit heil hitler grüßen und ich soll sonst einfach still sein. man muß einfach folgen und vorsichtig sein."[307]

In diesem Kapitel gehe ich von Erfahrungen der InterviewpartnerInnen aus, die außerhalb der "Taubstummenanstalt in Mils" erlebt wurden.

An dieser Stelle möchte ich auch die Erzählungen von Frau B anführen. Frau B hat die Zeit des Nationalsozialismus nicht in Tirol erlebt, sondern in Wien. Ihre Erzählungen sind für mein Forschungsvorhaben dennoch wichtig, da sie einerseits meine einzige weibliche Interviewpartnerin ist und andererseits als einzige explizit darauf hinweist, daß ihre Eltern beide gehörlos sind und sie somit eindeutig unter das GzVeN fällt. Frau B lebt zur Zeit in Tirol.

Hitlerjugend

Herr D - in der HJ mit Hörenden

Die Geschichte der HJ von Herrn D weicht insofern von den anderen ab, als daß er als einziger mit hörenden Jugendlichen in einer Gruppe ist. Er ist 1938, mit 16 Jahren, aus der "Taubstummenschule in Mils" ausgeschult und anschließend Mitglied einer HJ-Gruppe in Hötting (Innsbruck).

"E/D: ich war über ein jahr in der hitlerjugend. ich war mit hörenden kinder zusammen, mit hörenden buben. [...] ich war nicht mit gehörlosen, ich war nur mit hörenden, in hötting. da hat es so eine gruppe gegeben.

I: waren mit ihnen noch andere gehörlose in der hitlerjugend, oder waren sie der einzige gehörlose?

E/D: nein, ich war der einzige. ich war mit meinem bruder zusammen in der hitlerjugend, aber ich war der einzige gehörlose."[308]

Diese Aussage ist für mich vollkommen überraschend. In der Literatur über Gehörlose in der HJ finde ich keine Anmerkungen darüber, daß Gehörlose auch in "Hörendengruppen" aufgenommen worden sind.

Herr D bezeichnet sich selbst abwechselnd als gehörlos oder schwerhörig.

"E/D: ich bin am 14. oktober 22 in innsbruck geboren worden. ich war das vierte kind von meinen eltern. mit vier jahren bin ich ertaubt, bzw. bin schwerhörig geworden. ich habe eine mittelohrentzündung gehabt. ich bin dann behandelt worden vom arzt, aber es ist nicht mehr besser geworden. ich habe mittelohrentzündung mit sehr viel eiter im ohr gehabt, und deshalb ist eine seite taub gewesen. und die eine seite ist 65 - 70% taub. also auf der einen seite kann ich ein bißchen hören."[309]

Ich weiß nicht, ob die "Schwerhörigkeit" eine Ursache dafür sein könnte, daß Herr D in der "Hörendengruppe" aufgenommen wurde.

Mir ist nicht bekannt, ob es eine "Schwerhörgigengruppe" oder eine "Gehörlosengruppe" außerhalb der "Taubstummenanstalt" in Tirol gegeben hat.

Herr D ist mit seinen beiden hörenden Brüdern in der Gruppe. Einer der beiden übernimmt die Übermittlung der Kommunikation - ohne diese Unterstützung hätte Herr D den Aufforderungen und Befehlen nicht folgen können. Vielleicht ist dies auch ein Grund für die Aufnahme in der Gruppe.

"E/D: [...] mein bruder ist erst 39 einberufen worden und war davor mit mir zusammen in der hitlerjugend. also, wir waren über ein jahr zusammen ...mit zwei brüdern. und meine schwester war bei den mädchen. [...]

I: und sie haben sich über lautsprache verständigt mit lippenlesen?

E/D: ich habe gesprochen, ich habe vom mund abgelesen. mein bruder hat oft gesagt, sei ruhig, du mußt aufpassen, sei ruhig. wenn irgendwelche befehle gekommen sind, da hat mir mein bruder geholfen. er hat gesagt, wie ich mich jetzt hindrehen soll, wie ich mich hinstellen soll, weil ich es natürlich nicht gehört habe. (unverständlich) wenn wir irgendwie sportliche sachen gemacht haben, hat mir mein bruder geholfen. ich habe meinem bruder vom mund abgelesen und habe ihn sehr gut verstanden. das war dann kein problem."[310]

Eine weitere Vermutung ist, daß soweit als möglich alle Jugendlichen auf einen Kriegseinsatz vorbereitet werden und auch schon in den HJ-Gruppen für militärische Einsätze mißbraucht werden.

"E/D: [...] und es sind aber dann viele einberufen worden, es sind immer weniger kinder geworden und die 13- 14-jährigen sind dann noch geblieben. aber wenn sie dann 18 jahre alt geworden sind, dann haben sie in den krieg müssen. [...]

I: sie haben vorher erzählt, bei der hitlerjugend haben sie auch eine ausbildung gekriegt. wie war das damals? was haben sie da gelernt?

E/D: es war also eine richtige militärausbildung bei der hitlerjugend. wir haben mit dem gewehr geschossen auf zielscheiben. pistolenschießen haben wir auch gelernt. wir haben sehr viel geturnt, so kniebeugen und (unverständlich) wir sind auch sehr viel gelaufen. und wir haben auch sehr viele bergwanderungen gemacht, immer auf und ab, zum beispiel auf der seegrube, hafele kar. da sind wir dann... haben einen drei-tage-marsch zum achensee gemacht. und einmal sind wir nach scharnitz gewandert. das war auch eine bergwanderung nach scharnitz. und dann haben wir gezeltet und selber gekocht, haben uns eine suppe gekocht - brennsuppe, kartoffelsuppe zum beispiel. fleisch hat es natürlich keines gegeben. man hat die tiere natürlich abliefern müssen, deswegen hat es für die normalen leute kein fleisch gegeben. brotsuppe, kartoffelsuppe und haben alles selber gemacht. wir haben uns auch alles selber aufschneiden müssen. wir haben uns da ein offenes feuer gemacht, ein lagerfeuer und einen großen kessel, wo die suppe war. den kessel haben wir aufgehängt und haben dieses feuer gemacht. wir haben diese suppe dann mit schwarzbrot gegessen. wir waren damals eigentlich sehr zufrieden. zum frühstück brot mit schwarzem kaffee kein zucker, keine milch hat es damals gegeben und den ganzen tag eigentlich nur suppe. am abend dann schwarzbrot und streichwurst und haben einen tee getrunken. also die bergwanderungen waren samstag, sonntag. manchmal war es so, daß so eine bergwanderung eine woche gedauert hat, aber das war nicht sehr oft. es war sehr schön, aber es war auch ein bißchen hart, es war anstrengend. wir haben hart trainieren müssen, man ist irgendwie trainiert worden für ein hartes leben.[...]

und jede woche hat es eine versammlung gegeben, da hat man pünktlich hinkommen müssen, da ist über politik gesprochen worden. und es ist auch besprochen worden, wie die weitere ausbildung ist. man hat zeichnungen gemacht. man hat also verschiedene dinge dort gemacht. man hat auch militäranlagen erklärt, wie man verteidigen kann. also so verteidigungstaktiken sind da erklärt worden, auch was macht man, wenn man kein pulver mehr hat, wenn man keine patronen hat. wie schaut das aus, muß man beim gewehr jetzt da etwas reinstecken, daß das wieder schießen kann oder wie man das machen muß, oder wie man mit dem gewehr dann auch auf jemanden einschlagen kann. also, es war eigentlich eine richtige militärausbildung. verschiedene sachen habe wir dort gemacht. [...]

ich habe selber auch viele brandbomben gefunden, in der höttinger au zum beispiel. (unverständlich) früher mit der hitlerjugend und wir haben brandbomben aufsammeln müssen und diese staubbomben. wir haben die sammeln müssen, die haben wir herausziehen müssen und dann einsammeln und beim gemeindeamt in innsbruck haben wir diese staub- und brandbomben abgeben müssen. die waren sehr schwer. die waren aus blei, also das war sehr schwer. und es war auch sehr gefährlich. also wenn eine auf den boden gefallen wäre, die wäre dann sofort explodiert. man hat sehr aufpassen müssen, wenn man die getragen hat. und man hat sie im rucksack teilweise getragen und hat sie dann abgegeben. wir haben sehr viele von diesen bomben suchen müssen. ich bin glücklich, daß nichts passiert ist. auch natürlich mit den händen muß man aufpassen, wenn da etwas passiert."[311]

Ich habe diesen Textteil hervorgehoben, da ich annehme, daß Herr D die Verwundbarkeit der Hände explizit benennt, weil diese eines seiner Mittel der Kommunikation sind. Auch wenn Herr D sprechen und Lippenlesen kann, verwendet er im Umgang mit den Gehörlosen die Gebärdensprache.

Herr D ist der einzige meiner InterviewpartnerInnen, der sich an ideologische Schulungen erinnern kann.

"E/D: in der hitlerjugend, also die erziehung war sehr gut, politischer einfluß war natürlich da. es sind verschiedene politische sachen erklärt worden (unverständlich) aufgeklärt worden - über den hitler, über die politik, auch über deutschland, wie die politik, die zukunft jetzt ausschaut, daß man deutschland vergrößern muß. (unverständlich) also in den nebenländern, wo deutsche leben, daß man die anschließen muß an deutschland. also das ist in der hitlerjugend besprochen worden."[312]

Frau B - BDM in der Schule für Gehörlose in Wien Speising

Frau B besucht bis 1940 eine Schule für Gehörlose in Wien Speising. An dieser Schule ist, wie in der "Taubstummenanstalt in Mils" eine HJ für Gehörlose angegliedert, in der alle gebärdet haben.

Frau B erzählt zu ihrer Zeit beim BDM hauptsächliche über Besichtigungen, Jugendlager und über sportliche Betätigungen. Auch für Frau B ist die Zeit in der HJ angenehm in Erinnerung. Über militärische oder ideologische Schulungen erzählt Frau B nichts.

"I: in der schule hat es dort eine hitlerjugend gegeben, haben sie da etwas gewußt davon?

E/D: ja, ich war selbst auch dabei. ich habe selbst eine uniform gehabt, ja.

damals sind wir nach chiemsee gefahren, das war ein jugendlager. es waren buben und mädchen und alle mit der uniform. wir haben in zelten geschlafen. wir haben das essen machen müssen und abwaschen (unverständlich). ich habe fotos daheim, aber ich habe sie leider zu hause lassen. und wie wir in chiemsee waren, sind wir mit einem bus nach münchen gefahren und da haben wir den hitler gesehen (unverständlich) und da haben wir eine flugzeugfabrik besichtigt, die dem hermann göring gehört hat. wir haben in der fabrik essen dürfen, probieren können das essen und so. [...]wie gesagt, wir waren in der küche und haben uns das angeschaut. aber das war nur einmal. [...]

I: und bei der hitlerjugend, waren da die buben und die mädchen getrennt? waren die mädchen beim bund deutscher mädchen?

E/D: wir waren getrennt. schade, ich habe die fotos vergessen. schade.

I: was haben da die mädchen machen müssen?

E/D: zum beispiel turnen, dann wurden lager veranstaltet, gespielt, schwimmen sind wir gegangen. es war so eine ferien... wir haben gegessen, wir haben geturnt, wir haben dann abspülen müssen. es war fast alle tage das gleiche. zum frühstück haben wir immer im wald die tische aufstellen müssen, und wenn es schön war, haben wir draußen gefrühstückt, aber (unverständlich)

I: und wer war da jugendführer bei ihnen oder jugendführerin? war die in der schule?

E/D: bei uns war das eine (unverständlich) frau. es war eine gute frau. ich glaube, daß war damals eine lehrerin, aber ich kann mich jetzt nicht so genau erinnern. aber ich glaube es war eine lehrerin.

I: das war dann auch direkt an der schule?

E/D: das war an der schule, ja. das ist von der schule ausgegangen. aber es war eigentlich so als wie ein ferienlager. sie sind zum beispiel alle zusammen nach chiemsee gefahren, das war 14 tage. und haben wir die uniform anhaben müssen, das hat mir gut gefallen."[313]

Der Volkssturm

Herr D wird 1944 zum "Volkssturm" eingezogen. Er ist in seiner Gruppe der einzige Gehörlose. Keiner meiner Interviewpartner erzählt sonst von einem weiteren militärischen Einsatz außerhalb der HJ.

Exkurs

Der "Volkssturm"[314] wird im September 1944 gegründet, "[...] um alle bisher noch nicht kämpfenden waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren für die Verteidigung des ,Heimatbodens' und für den deutschen ,Endsieg' aufzubieten."[315] Der "Volkssturm" untersteht dem militärischen Befehl Heinrich Himmlers und seine Aufgaben liegen vor allem in Bau- und Schanzarbeiten, Sicherungsaufgaben und der Verteidigung von Ortschaften - meist in unmittelbarer Umgebung.

Die Angehörigen des "Volkssturm" - zumeist jugendliche Hitlerjungen und ältere Männer - sind nur notdürftig bewaffnet und schlecht ausgebildet. In Schnellkursen werden sie an den Waffen eingeschult.

Obwohl die schlecht ausgerüsteten "Volkssturm"-Verbände keinen großen militärischen Wert haben, werden sie aber zur entscheidenden Reserve gegen die vorrückenden Alliierten propagiert.

Exkursende

"E/D: im jahr 1944, bin ich auch zum militär einberufen worden und zwar zum volkssturm. und ich war (unverständlich) nur drei monate feber, märz und april, war ich drei monate beim volkssturm. ich habe auch in dieser zeit eine ausbildung bekommen.

und ich bin nach bayern geschickt worden, in der nähe von berchtesgaden. ich habe über einen monat bleiben müssen, bis die amerikaner gekommen sind, dann habe ich kapituliert. wir waren eingeschlossen und haben kapituliert und waren drei wochen in einem gefangenenlager in wörgl. [...]

ich war eigentlich untauglich, aber die nazi haben mich gezwungen, daß ich beim volkssturm dabei bin. nach drei wochen bin ich frei gelassen worden. [...] dann bin ich heim gefahren. zu hause waren die häuser durch die bombenangriffe so halb beschädigt. ich habe also viel reparieren müssen. [...]

I: und was haben sie beim volkssturm gemacht?

E/D: meine aufgabe war, daß ich das land gegen amerikanische truppen verteidige. wir waren damals bei bad reichenhall, bei berchtesgaden und auch bei freilassing bei salzburg. das war eine absperrzone gegen die amerikaner. ich habe schützengräben machen müssen, panzersperren haben wir gemacht, und wir haben auch minen gelegt. wir haben also alles vorbereitet. und haben auch die geschütze aufgestellt und vorbereitet. aber wir waren damals machtlos. also die amerikaner waren in der übermacht. es hat überhaupt nichts geholfen. berchtesgaden war damals das hitler-hauptquartier, also oben, ober (unverständlich), da war das haus von hitler. da waren auch viele hohe politiker, viele offiziere, die waren alle beim hitler oben. ich weiß nicht, ob sie noch da waren damals oder ob sie schon geflohen sind, das weiß ich nicht. auf alle fälle haben wir den befehl gehabt, daß wir dieses verteidigen müssen. aber wir haben eigentlich alle versagt, weil... (Wechsel der Kassette)

I: beim volkssturm waren da noch andere gehörlose dabei?

E/D: nein, ich war schon wieder der einzige. es waren alles innsbrucker beim volkssturm. aber ich war als gehörloser der einzige. wir sind einberufen worden, wir waren alle in einer kaserne und sind mit der bahn dann bis in die nähe von freilassing gefahren, haben dort aussteigen müssen und einen fußmarsch gemacht. und wir sind dann aufgeteilt worden. jeder hat verschiedene sachen machen müssen, zum beispiel gebiete absperren, brücken bewachen, eisenbahnbrücken bewachen. meine aufgabe war, daß ich einen schützengraben baue und auch daß ich das vorbereite, diese minen lege. und wir haben auch sandsäcke auflegen müssen bei diesen schützengräben und habe auch dann büsche vorbereitet, daß man dahinter sich verstecken kann. wir sind dort über eine woche geblieben, und dann war immer alarm, es hat immer geheißen, die amerikaner kommen, die amerikaner kommen, und es war aber übermacht. die haben kanonen gehabt, die haben panzer gehabt. die haben auch tiefflieger gehabt, die haben natürlich genau gewußt, was (unverständlich). die haben auch bomben abgeworfen. also alles, was wir da eigentlich vorbereitet gehabt haben, war dann eigentlich kaputt.

es war der lärm, es war irrsinnig laut, es waren dauernd kanonenschüsse, und dann hat die flak, die abwehr gestartet, und wir haben aber den rückzug gemacht. also, wir haben alles, was wir vorbereitet haben zurücklassen müssen. wir haben uns zurückgezogen, wir waren zu schwach, die waffen waren nicht so stark. und wir haben uns dann zurückgezogen bis bad reichenhall. und dann sind wir eingeschlossen worden in bad reichenhall. und die amerikaner sind von salzburg, von bad reichenhall und von der ramsau, sind sie gekommen. wir waren dann eingekesselt. es waren über 1000 soldaten, die da eingeschlossen waren. die ss hat gesagt: ja, wir wollen weiter kämpfen. und jeder hat gesagt: ihr seid ja blöd. und der offizier hat auch gesagt: es ist unmöglich, daß man da weiterkämpft. es ist unmöglich, wir sind einfach machtlos. wir haben keine munition mehr, wir haben keine abwehrwaffen mehr, es ist besser, wenn wir kapitulieren. wir sind noch drei, vier tage dort geblieben, dann hat es einen truppentransport gegeben nach wörgl. [...] und dort war ein kriegsgefangenenlager in wörgl. zuerst war das ein wehrmachtslager und dann war es ein kriegsgefangenenlager.

und dort sind wir dann also (unverständlich). und dann ist jeder geprüft worden, also ob er jetzt verbindung hat zur partei oder so. ist er jetzt ein nazi? ist er von der ss? ist er ein kriegsverbrecher? die andern sind dann im laufe der zeit entlassen worden. ss, kriegsverbrecher oder hohe parteiangehörige, also die haben bleiben müssen. die haben versucht, sich natürlich zu verstecken, aber die meisten haben sie schon erwischt. der teil, der schuldlos war, der ist frei gelassen worden. vom amerikanischen kommando habe ich dann eine bestätigung bekommen, die haben aufgeschrieben, daß ich frei gelassen worden bin. dann bin ich zum bahnhof und bin nach hause gefahren mit der bahn.

mir ist also nichts passiert. ich bin zwei mal fast verhungert, aber an und für sich ist mir sonst nichts passiert. es hat zum mittagessen nur eine suppe oder belegte brote gegeben und sonst nichts, kein frühstück, kein abendessen. wir haben auf dem boden schlafen müssen. es war ganz eine dünne matratze. in der früh haben wir aufstehen müssen, wir haben dann die matratzen aufgestapelt, damit wir dann in dem raum platz gemacht haben. ein offizier hat dann zu mir gesagt, ich soll helfen. ich habe gesagt, ich hör nichts. er hat dann... ich und ein paar leute sind dann in einem lastauto gefahren, sind zu einer bäckerei gefahren mit diesem lastauto und haben das brot abgeholt für das lager. brot und dosen haben wir für das lager geholt, und in diesen dosen war fleisch drin. das haben wir zum lager zurück gebracht und haben es dann an die gefangenen verteilt. da waren so lange tische, da sind leute gesessen und wir haben das verteilt. es hat eine dose und eine scheibe brot für jeden gegeben.

natürlich habe ich ein paar sachen selber gestohlen und versteckt, weil ich habe natürlich auch einen hunger gehabt, das war ganz klar. ich war einfach hungrig. das brot habe ich überall, in den ärmeln von meinem anzug drin gehabt oder in den taschen. das blöde war, das brot war einfach nicht so gut, es hat sich dann total zerbröselt, dann haben wir halt die brösel gegessen. ich war furchtbar mager damals. also ich war total schlank, ich hab ganz ein dünnes gesicht gehabt und ausgemergelt."[316]

Jüdische gehörlose Erwachsene und Kinder

"Jüdische Gehörlose waren 1933 durch den sogenannten Arierparagraphen nicht nur zu Bürgern zweiter Klasse in Deutschland gemacht worden, sondern in der Vorstellungswelt der NS-Rassenideologen in zweifacher Hinsicht minderwertig: taubstumm und jüdisch zugleich."[317]

Denunziationen, Beschimpfungen, Schikanen und Verfolgungen gegen jüdische Gehörlose gehen zu allererst von gehörlosen Anhängern des Nationalsozialismus aus. Biesold vermutet, daß diese sich als "Arier" nicht vom NS-Rassenprogramm betroffen gefühlt haben.

Bald nach dem Machtantritt der NSDAP beginnen gehörlose NS-Aktivisten, gehörlose Juden aus den Gehörlosenvereinen auszustoßen.[318]

Berichte und Forschungen über die Bedingungen für gehörlose jüdische Mädchen und Buben in den Schulen kann ich in meinen Unterlagen nicht finden.

Horst Schreiber widmet in seinem Buch über die Schulen in Tirol im Nationalsozialismus ein Kapitel dem Schicksal jüdischer SchülerInnen.[319] Aber auch hier wird die Situation der gehörlosen jüdischen SchülerInnen nicht explizit behandelt.

Da seine Ausführungen aber die einzige mir zugängliche ortsspezifische Forschung ist, bilden sie die Grundlage für Fragestellungen zu diesem Themenbereich in meinen Interviews.

Exkurs

"Sie sind plötzlich nicht mehr dagewesen"[320]

Jüdische SchülerInnen in Tirol

In den Schulen in Tirol ist bereits vor dem Anschluß Österreichs eine antisemitische Stimmung deutlich spürbar. Nach dem Anschluß verändert sich die Situation jüdischer SchülerInnen aber dramatisch.

"Die Verbreitung des Judenhasses war ein wesentlicher Bestandteil des rassenkundlichen und erbbiologischen Unterrichts. Doch wurde der Antisemitismus nicht nur Unterrichtsstoff, der Rassismus bildete auch zunehmend die Grundlage sozialer Beziehungen in der Schule."[321] Die jüdischen Kinder werden von ihren MitschülerInnen und den LehrerInnen drangsaliert und nur in seltenen Fällen bleibt die Solidarität in der Klasse intakt.

"Von einem Tag auf den anderen verschlechterte sich das Klima in den Schulen und der Druck, die Anstalten zu verlassen, wurde immer größer. Judenfeindliche Bestimmungen traten in Kraft, Lehrkräfte höhnten, erfüllten bürokratisch ihre Pflicht oder schauten weg bei dem, was in den Klassenzimmern vor sich ging. KlassenkameradInnen grüßten nicht mehr, verunglimpften ihre jüdischen MitschülerInnen, Schulkollegen teilten Prügel aus."[322]

Der Anteil der jüdischen Kinder ist im Gau Tirol und Vorarlberg sehr gering.

Die Nationalsozialisten versuchen aber die Schulen "judenrein" zu machen und kaum jemand vom Lehrpersonal oder den Schuldirektionen versucht den noch vorhandenen Spielraum auszunützen und die jüdischen SchülerInnen zu schützen.

So kommt es, daß binnen weniger Monate fast alle jüdischen Kinder die Schulen des Gaues verlassen haben - und niemand wußte wohin.[323]

Am 15. November 1938 wird den Juden endgültig der Besuch einer deutschen Schule verboten.

"Jüdische Mischlinge" dürfen bis 1942 weiterhin die Schulen besuchen. Ihre Ausgliederung aus dem Schulbetrieb wird dann je nach "Mischlingsgrad", Schulstufe und Raumverhältnissen in den Klassen vollzogen. Das Klassenklima bleibt aber für die wenigen verbleibenden Kinder, die als "jüdische Mischlinge" eingestuft worden sind, bis zum Kriegsende schrecklich.

Exkursende

In den Interviews richtet sich auch eine meiner Fragestellungen nach Erinnerungen an jüdische gehörlose Erwachsene und Kinder.

Über die Aussagen der InterviewpartnerInnen konnte ich nicht eruieren, ob in Tirol zur Zeit des Nationalsozialismus jüdische gehörlose Erwachsene und/oder Kinder gelebt haben.

"I: haben sie etwas gewußt... also in mils, waren da eigentlich auch jüdische gehörlose in der schule, was mit denen war?

D: da weiß er nicht einmal, ob jüdische kinder in mils waren. es waren (unverständlich) südtiroler, salzburger, vorarlberger... aber ob das juden waren, das weiß er jetzt gar nicht.

I: und in telfs selber?[324]

D: also er kann sich nicht erinnern. er hat vom hörensagen gehört... aber das war für ihn immer... das ist irgendwo in deutschland. aber von seiner umgebung hat er eigentlich überhaupt nichts bemerkt."[325]

Auch die Erinnerungen von Herrn D und Herrn E über das Schicksal von Juden sind nur marginal. Über gehörlose Juden erzählen sich nichts.

"E/D: die ss hat die juden nach dachau (unverständlich), nach mauthausen deportiert. sie haben dort arbeiten müssen. man hat ihnen versprochen, wenn sie fleißig sind, werden sie befreit. sie haben fleißig arbeiten müssen, wenn sie ein bißchen krank waren, haben sie sie erschossen oder lebendig verbrannt. ja, die juden die haben es noch schlimmer gehabt, das war noch viel grausamer. ich hab nicht gewußt warum das eigentlich war und die ss hat auch gesagt, wenn jemand faul ist und nicht arbeiten will, dann muß er auch weg.

I: ist bei ihnen zuhause darüber gesprochen worden?

E/D: nein, nein das ist nie besprochen worden, über juden eigentlich niemals."[326]

"I: haben sie da selber etwas mitgekriegt, von der judenverfolgung?

E/D: nein, habe ich eigentlich nichts gesehen, eigentlich nur im kino bei der wochenschau.

ich habe es gewußt, aber gesehen selber habe ich es nicht. ich war noch jung, vielleicht daß deswegen mir das nicht aufgefallen ist.

verbrecher oder diebe sind verhaftet worden und dann auch ins zuchthaus geworfen worden. da habe ich schon sachen mitgekriegt, aber judenverfolgung, das ist mir eigentlich nicht bewußt gewesen. [...]

in der reichenau war ein gefangenenhaus. ein teil der leute, die da im gefängnis waren, waren politische gegner und verbrecher, es waren auch ein teil juden da, in diesem lager, halbjuden auch. ich bin da immer nur vorbei gefahren. ich bin da nie zu nahe gegangen, ich bin da immer ein bißchen auf distanz geblieben. und ich habe gesehen, daß da ein lager ist und daß da auch eine wache steht. das war in der reichenau. es waren viele baracken dort, und es war ein zaun herum, es war ein stacheldrahtzaun und stromzaun. und da ist eben die wache auch gestanden. aber dieses lager war selber klein."[327]

Meine allgemein gehaltene Frage in den Interviews, ob Kinder plötzlich aus der Klasse oder dem Internat weggeblieben sind, wird von den Interviewpartnern verneint.

Frau B, die eine Gehörlosenschule in Wien besucht hat, erinnert sich an zwei jüdische Kinder in ihrer Klasse, die mit ihren Eltern geflüchtet sind.

"I: waren an der schule auch jüdische gehörlose kinder?

E/D: in meiner klasse waren zwei juden, ja.

I: was ist mit denen passiert?

E/D: ein mädchen und ein bub... die waren reich. also, wie das angefangen hat, mit der hitlerzeit, sind die eltern mit den kinder geflohen, aber wohin, das weiß ich jetzt nicht. die eltern davon waren reich, aber die sind eben nachher geflüchtet, die haben einfach angst gehabt. [...] die zwei kinder wären gern geblieben in der schule, aber sie haben leider mit den eltern mit müssen. die nazi, die waren ja gegen die juden, deshalb."[328]

Frau B erzählt noch, wie sie als Kind die Deportation eines jüdischen gehörlosen Freundes der Mutter miterlebt hat.

E/D: [...] und meine mama hat mit ihm, ja eigentlich ein verhältnis gehabt. das war relativ ein reicher, und ich habe zu ihm immer gesagt onkel. er ist kein verwandter von mir gewesen, aber er hat mir (unverständlich) sachen geschenkt, also kleidung und schmuck.

durch seine religion hat er bestimmte sachen nicht essen dürfen, also nicht essen sollen und hat es aber dann bei der mutter doch gegessen, wenn er da war. und er hat selbst einen tempel gehabt. [...] jemand hat ihn dann verraten, hat gesagt, daß derjenige jetzt bei meiner familie ist. [...] sie haben ihn dann in meiner wohnung gefunden, also der wohnung von den eltern. und sie haben sich dann auf der straße aufstellen müssen, und die soldaten sind mit den gewehren da gestanden, und da habe ich sehr viele gesehen. ich bin da gerade auf dem weg gegangen und habe ihn da stehen gesehen und wollte unbedingt hin, ich war damals noch so klein und wollte unbedingt hin, und die mama hat mich dann zurückgehalten.

ich habe dann erfahren, daß er nach polen transportiert worden ist. und ich habe dann lange zeit nichts mehr gehört von ihm. ich habe mir dann gedacht, er ist schon gestorben. [...][329]

er ist dann nach holland gegangen [...] aber ob er jetzt noch lebt, ich weiß es nicht genau. aber ich habe nichts mehr gehört von ihm."[330]

Sterilisationen und "Euthanasie"

Herr D weiß um die Gefahr durch das GzVeN für Gehörlose. Er selbst ist aber nicht davon betroffen, da er erst später ertaubt ist. Außerdem vermutet er, daß das Einwirken seines Bruders ihn zusätzlich geschützt hat.

"E/D: [...] also gehörlose, blinde, körperbehinderte, die sind schon deportiert worden, in ein zuchthaus oder in ein gefängnis. und die sind auch mit spritzen umgebracht worden. das war damals das nazi-gesetz, daß der nazi gesagt hat, körperbehinderte, blinde oder alkoholiker oder arbeitsunfähige... die sind irgendwie abgetrennt worden. aber ich war nicht erbkrank. ich war eigentlich gesund. meine mutter hat sich natürlich große sorgen gemacht, wie das jetzt mit mir ausgeht, weil ich ja gehörlos war. mein bruder war offizier, der hat auch das gefördert ... und er hat auch mit parteipolitikern gesprochen und hat immer gesagt: er hört ein bißchen, er ist normal, er ist nicht erbkrank, er kann arbeiten, er ist gesund. das hat mir schon geholfen. ich habe glück gehabt. viele gehörlose sind sterilisiert worden zum beispiel, wenn sie die gehörlosigkeit geerbt gehabt haben. bei mir war das zum glück nicht so. bei mir ist keine erbkrankheit da, bei mir ist alles normal."[331]

Frau B erfährt erst nach der Zeit des Nationalsozialismus von Sterilisationen an Gehörlosen und daß sie selbst unter die Richtlinien des Gesetztes gefallen ist. Sie vermutet, daß die Mitgliedschaft ihres gehörlosen Vaters bei der SA, sie vor einer Sterilisation geschützt hat.

"I: war bei der hitlerjugend oder in der schule auch einmal des thema sterilisation an gehörlosen kindern und erwachsenen, ist das einmal besprochen worden?

E/D: nein, wir haben alle darüber nichts gewußt. es ist kein wort darüber gesprochen worden. ich habe nachher erfahren, nach der kriegszeit, daß viele sterilisiert worden sind. aber in der zeit habe ich nichts erfahren, da habe ich nichts gewußt davon. ich habe auch keine ahnung davon gehabt. den kindern wahrscheinlich wird man auch nichts erzählt haben, die sind einfach zu klein gewesen. der lehrer von mir, seiler hat er geheißen, der hat mit der uniform unterrichtet, sein sohn war auch taubstumm.

I: und was haben sie da von anderen gehörlosen erfahren, wegen der sterilisation?

E/D: in wiener neustatt waren damals zwei mädchen, die ich flüchtig gekannt habe und die haben mir dann erzählt, daß sie sterilisiert worden sind. ich habe eigentlich glück gehabt, weil ich wäre an und für sich... ich habe es erst im nachhinein erfahren, wäre ich eigentlich auch ein fall gewesen, weil meine eltern sind auch gehörlos. und da wäre ich erst recht dafür gewesen. aber mein vater war bei der sa, der war mitglied, parteimitglied, nicht bei der ss, und ich glaube, daß das für mich ein vorteil war. wie gesagt, ich selbst habe es nicht erlebt, aber ich habe es dann gehört, daß (unverständlich) erzählt worden ist. (unverständlich) immer geheißen, wenn es erblich ist, dann werden sie sterilisiert."[332]

Herr D erzählt, daß einer seiner Kameraden und mehrere Bekannte aufgrund von Behinderungen deportiert und ermordet worden sind.

Aus der Interviewpassage geht aber nicht hervor, aufgrund welcher Diagnose sie unter das "Euthanasiegesetz" gefallen sind.

"E/D: [...]ich habe einen kameraden verloren, er ist vermißt. man hat bis heute nicht... er ist irgendwo vermißt. er war vom oberland. er war behindert und die nazi haben ihn deportiert nach deutschland. und zwar es war dieses euthanasiegesetz... ich glaube, er ist umgebracht worden mit spritzen. und es sind auch menschenversuche gemacht worden mit behinderten. ärzte haben menschenversuche gemacht. und durch die euthanasie sind die leute dann zu tode gespritzt worden. und durch diese euthanasie habe ich einen guten kameraden verloren. und ich kenne von vorarlberg leute, das sind drei, vier behinderte, die auch durch die euthanasie gestorben sind. (unverständlich) die nazi-zeit war so. [..]"[333]

Aber auch Herr D steht der Zeit des Nationalsozialismus zwiespältig gegenüber.

"E/D: es war halb gut und halb schlecht. [...]"[334]



[307] Interview Herr D

[308] Interview Herr D

[309] Interview Herr D

[310] Interview Herr D

[311] Interview Herr D; Hervorhebung durch die Autorin.

[312] Interview Herr D

[313] Interview Frau B

[314] für gesamten Exkurs vgl. Der Volkssturm. Online im Internet: [Stand: 25. Juli 2003], 1.

[315] Der Volkssturm. Online im Internet: [Stand: 25. Juli 2003], 1.

[316] Interview Herr D

[317] Biesold in Bendt (Hg.) 1993, 133.

[318] vgl. Biesold in Bendt (Hg.) 1993, 134.

[319] vgl. Schreiber 1996, 137 - 143.

[320] Schreiber 1996, 137.

[321] Schreiber 1996, 137.

[322] Schreiber 1996, 137.

[323] vgl. Schreiber 1996, 138.

[324] Telfs ist der Heimatort des Interviewpartners.

[325] Interview Herr A

[326] Interview Herr E

[327] Interview Herr D

[328] Interview Frau B

[329] An dieser Stelle wird die Übersetzung sehr unverständlich.

[330] Interview Frau B

[331] Interview Herr D

[332] Interview Frau B

[333] Interview Herr D

[334] Interview Herr D

SCHLUSSBEMERKUNG

am ende

bleibt noch

ein blick in die gegenwart.

Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen in der Gegenwart

Exkurs "Hörende Welt"

Mit "hörender Welt" bezeichne ich Bedingungen (gesellschaftspolitische Regelungen, Zuschreibungen, Selbstverständnisse, Rechte, Zugangsmöglichkeiten zu Bildung, Kultur, Kommunikation, Information, Arbeitsmarkt, ...) die gehörlose Frauen, Kinder und Männer in einer Gemeinschaft vorfinden, die auf hörende Frauen, Kinder und Männer ausgerichtet ist.

Mein Ausgangspunkt in diesem Zusammenhang ist, daß das Gemeinsame in einer Gemeinschaft ist, daß die Personen innerhalb der selben Grenzen leben - wie Staatsgrenzen, Landesgrenzen, Ortsgrenzen, Wirtschaftsgrenzen u.s.w.. Hier ist das Gemeinsame der Personen, innerhalb definierter Grenzen zu leben, die entscheiden, wer dazu gehört und wer nicht. Diese "äußeren" Grenzen, die sich über Gesetze, Bestimmungen, Ortsschilder, behördliche Zuständigkeiten u.s.w. ausdrücken, haben ihre Entsprechungen auch in "inneren" Haltungen und zwischenmenschlichen Handlungen. D h. territoriale Abgrenzungen finden auch im direkten zwischenmenschlichen Kontakt statt. "Zugereiste" zum Beispiel bleiben "Zugereiste" - auch über Generationen hin.

In meinem Beispiel werden Zugehörigkeit und Nicht-zugehörigkeit von Menschen zu einer bestimmten Gruppe vorerst über territoriale Abgrenzungen bestimmt. Aber auch innerhalb einer solchen Gruppe werden Ein- und Ausschlüsse produziert und vollzogen. [335]

Gesetzliche Bestimmungen produzieren, teilen und unterscheiden nach unterschiedlichen Merkmalen, die auf Personen zutreffen, deren gemeinsames Merkmal der Wohnort innerhalb einer bestimmten Staatsgrenze ist.

Es ist beispielsweise nach österreichischem Recht nicht egal, ob ich die österreichische, deutsche oder beispielsweise türkische Staatsbürgerschaft besitze. Rechte und Anforderungen an Frauen, Männer und Kinder sind in Österreich prinzipiell und je nach Staatsbürgerschaft unterschiedlich und meiner Meinung nach privilegierend oder diskriminierend.

Diese rechtliche Ebene[336] ist ein Modus neben vielen anderen Formen, wie in Gesellschaften Unterschiedlichkeiten benannt, bewertet, kontrolliert, reguliert und konstruiert werden.

Dies möchte ich am Beispiel der "Staatszugehörigkeit in Österreich" verdeutlichen.[337]

Benennung:

Mit dem Staatsbürgerschaftsnachweis wird die Staatszugehörigkeit benannt.

Bewertung:

Je nach Staatszugehörigkeit gelten unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen.

Kontrolle:

Um, außer über Geburt, die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten zu können, müssen die AntragstellerInnen verschiedene Bedingungen erfüllen und diese auch nachweisen.

Regulation:

Über Gesetze wird zum Beispiel festgehalten wie vielen Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft es erlaubt wird in diesem Land zu leben und zu arbeiten. Menschen, die ohne gesetzliche Erlaubnis in Österreich sind, können in Haft genommen und abgeschoben werden.

Konstruktion:

Staatszugehörigkeiten werden über gesetzliche Grenzziehungen konstruiert.

Der oben beschriebene gesellschaftliche Umgang mit Unterschiedlichkeiten vollzieht sich neben einer rechtlichen Ebene auch auf verschiedenen anderen Ebenen, wie zum Beispiel in "alltäglichen" Rassismen, Sexismen usw..

Eine weitere Form des gesellschaftlichen Umgangs mit Unterschiedlichkeiten ist die Erwartung und Einforderung von Assimilation - Anpassung, Angleichung an Normen, kulturellen Umgangsformen.

Anpassungsleistungen werden von jenen Personen(gruppen) erwartet, denen weniger Bestimmungsrechte zugesprochen werden und/oder die zahlenmäßig in der Minderheit sind und/oder die keine starke Lobby besitzen.

Ich möchte diese Überlegung an zwei Beispielen verdeutlichen.

Einerseits an der "Integrationspolitik" in Zusammenhang mit MigrantInnen, andererseits an der "Integrationspolitk" in Zusammenhang mit Gehörlosen in Österreich.

Das verbindende Merkmal zwischen diesen beiden Personengruppen ist, daß ihre jeweilige Muttersprache von der "herrschenden" Sprache in Österreich abweicht - der deutschen Laut- und Schriftsprache.

"Integration: [...] 1. [Wieder]herstellung einer Einheit [aus Differenziertem]; Vervollständigung. 2. Einbeziehung, Eingliederung in ein größeres Ganzes; Ggs. → Desintegration (1.). [...]"[338]

Der Begriff "Integration" beinhaltet somit einerseits das Anerkennen von Unterschiedlichkeiten und die Erkenntnis, daß ein "vollkommenes" Ganzes erst aus einem Zusammenschluß aus Differenziertem entstehen kann und andererseits, daß eine "Verwerfung" von bestimmten Merkmalen aus einer Gemeinschaft bereits stattgefunden hat und es nun Bemühungen braucht, diese wieder in den Zusammenschluß einzubeziehen.

Das bedeutet, daß Personen und Personengruppen, aufgrund bestimmter Kriterien aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen wurden und es aufgrund dieses Ausschlusses Anstrengungen braucht, diese Personen/gruppen (wieder) einzugliedern.

"Integrationspolitik" umfaßt vielseitige gesellschaftspolitische Maßnahmen. In den beiden folgenden Beispielen beziehe ich mich ausschließlich auf gesetzliche Bestimmungen und den damit verbundenen Konsequenzen für MigrantInnen und gehörlose Personen in Bezug auf das Erlernen der deutschen Sprache.

MigrantInnen

Am Montag, den 4. März 2002 präsentierten Vertreter der österreichischen Bundesregierung - Innenminister Ernst Strasser (VP), FP-Klubchef Peter Westenthaler und Arbeitsminister Martin Bartenstein (VP) - den Begutachtungsentwurf des Maßnahmenpaketes zur Änderung des Fremden- und Ausländerbeschäftigungsrechts, welches mit 1. Jänner 2003 in Kraft treten soll. Ein zentraler Punkt des Entwurfes ist die so genannte "Integrationsvereinbarung" mit verpflichtenden Deutschkursen für MigrantInnen.[339] "Ausländer, die seit 1998 in Österreich leben oder neu kommen, müssen Deutschkurse besuchen. [...] fehlende Erfolge bringen sie auf einer ,Sanktionsleiter' so Westenthaler, eine Stufe höher. Der zu erwartende Strafrahmen für fehlende Erfolge reicht von Geldbußen (ab 100 Euro) bis zur Ausweisung aus Österreich."[340]

Strasser formuliert das Ziel dieses Pakets so: "Wir brauchen in der Zuwanderungspolitik Maßnahmen, die sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Gesellschaft orientieren."[341]

Innenminister Strasser spricht in diesem Artikel von den "Wünschen und Bedürfnissen der Gesellschaft", er produziert damit eine Anzahl von Ein- und Ausschlüssen: Der "Gesellschaft" zugeordnet sind deutschsprechende Menschen, die scheinbar homogene Wünsche und Bedürfnisse haben. Ausgeschlossen und verworfen aus der Gesellschaft, und damit auch von gesellschaftsrelevanten Wünschen und Bedürfnissen, die in regierungspolitischem Handeln ihre Berücksichtigung finden, sind jene Personen, die zwar in Österreich leben, aber bestimmte Kriterien nicht erfüllen.

Die "Integrationsvereinbarung" sieht vor, daß nach drei Jahren bei Nicht-Erfüllung von verpflichtenden Prüfungen zu den Themen: Deutsch-Grundkenntnisse, Verwaltungsabläufe, Landes- und Staatsbürgerkunde, Europäische Grundwerte 200 Euro Strafe und die Nicht-Verlängerung der Niederlassungsbewilligung folgen.

Ziel dieser Maßnahmen soll eine bessere Integration von hier lebenden "AusländerInnen" sein, deren Lernfortschritte als Zeichen ihrer Integrationswilligkeit gelten.[342]

Die Bezeichnung des Maßnahmenpaketes als "Integrationsvereinbarung" interpretiere ich als äußerst zynisch.

Es geht aus den Zeitungsartikeln nicht hervor, zwischen welchen Parteien diese Vereinbarung getroffen wurde. Ich schließe aus den Texten, daß die Vereinbarung zwischen den Regierungsparteien beschlossen wurde, aber nicht zwischen den Regierungsmitgliedern und VertreterInnen von Personen Nicht-deutscher-Muttersprache.

Bedürfnisse, Wünsche, Vorschläge von Personen Nicht-deutscher-Muttersprache werden hier weder diskutiert noch berücksichtigt. Die "Integrationsvereinbarung" beinhaltet nicht den Ausbau von Rechten, Mitbestimmung und Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftspolitisch relevanten Institutionen, sondern ist eine einseitige Verpflichtungsregelung für MigrantInnen.

Gehörlose Menschen, deren Kommunikationsform die Gebärdensprache ist

"Vom Standpunkt der Sprachwissenschaft sei die Gebärdensprache eine seit Jahrhunderten 'ansässige' Sprache, erläuterte die Sprachwissenschaftlerin Verena Krausneker: ,Die Gebärdensprache ist der Überbegriff für eine ganze Sprachfamilie, mit unzähligen nationalen Varianten, möglicherweise genauso viele wie gesprochenen Sprachen, also etwa 6.000.'"[343]

"Ca. 400.000 Menschen in Österreich sind in irgendeiner Form hörbeienträchtigt, davon ca. 10.000 verwenden Österreichische Gebärdensprache (in der Folge ÖGS) als Erstsprache, ca. weitere 10.000 sind ÖGS-BenützerInnen, also Familienmitglieder, FreundInnen, DolmetscherInnen usw.

1988 und wieder 1998 wurden die Mitgliedsländer der EU vom Europ. Parlament dazu aufgefordert, ihre nationalen Gebärdensprachen anzuerkennen und Sprachenrechte für ihre VerwenderInnen zu sichern. Dies ist bis dato in sieben Ländern auf sehr unterschiedlichen Ebenen erfolgt, teilweise verfassungsrechtlich, teilweise in einzelnen Unterrichtsgesetzen: Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Norwegen, Portugal, Schweden, außerdem in der Tschechischen und in der Slowakischen Republik.

Der Österreichische Gehörlosenbund fordert seit Jahren die grundsätzliche Umsetzung der Forderung 'das Recht der Gehörlosen auf Gebärdensprache'."[344]

Trotz mehrerer Anträge im Parlament auf rechtliche Anerkennung der ÖGS, dem rechtlichen Anspruch auf Gebärdensprachunterricht, Untertitelung oder Übersetzung in Gebärdensprache von TV-Sendungen von allgemeinen Interesse, usw. wurde keine der Forderungen in Östereich rechtlich verankert und umgesetzt.[345]

Das folgende Zitat stammt aus einem Zeitungsartikel von Sonja Prieth, die ein Interview mit der Sprachwissenschaftlerin Verena Krausneker zum Thema "Mit Gebärden sprechen" geführt hat. In diesem Abschnitt geht sie der Frage nach, warum das Parlament in Österreich sich weigert, die Gebärdensprache rechtlich anzuerkennen und welche Konsequenzen dies hätte:

",Das ist wohl eine Mischung aus Ignoranz und Angst vor Kosten', vermutet Krausneker, ,denn die rechtliche Anerkennung hätte umfangreiche Konsequenzen, die Geld kosten würden.' Geld für DolmetscherInnen, die etwa den Ämtern zur Verfügung stehen müßten, Geld für Untertitel im Fernsehen, Geld für die Adaptierung des Bildungssystems, um gehörlosen Menschen zu ermöglichen, sich in Gebärdensprache zu bilden. Vor allem aber würden sich die Verantwortlichkeiten verschieben - und das wünscht sich Krausnecker ganz besonders: ,Hörende wären verpflichtet, für eine barrierefreie Kommunikation mit Gehörlosen zu sorgen, anders als jetzt, wo die gehörlosen Menschen mit dieser Verantwortung alleine dastehen.'"[346]

Am 1. Jänner 1999 konnte ein Teilerfolg der Bemühungen um die rechtliche Anerkennung der Gebärdensprache erzielt werden. Das Österreichische Parlament beschloß die Anerkennung der ÖGS als Gerichtssprache. Dies bedeutet, daß GebärdensprachdolmetscherInnen vor Gericht auf Kosten des Bundes in Anspruch genommen werden können.[347]

Kindergärten, Schulen, Universitäten an denen die Gebärdensprache Unterrichtssprache ist, gibt es in Österreich, im Unterschied zur USA, keine. Einzig ein Schulversuch in einer Volksschule mit bilingualem Unterricht wird in Wien unternommen.[348] In der Regel ist einer der Schwerpunkte in den Sonderschulen für gehörlose Kinder die Ausbildung der SchülerInnen in der Lautsprache.

"Integration" von Gehörlosen bedeutet auch hier alleinig geforderte Anpassungsleistungen von seiten der Gehörlosen an eine "hörende Umwelt".

Eine andere Möglichkeit als die derzeit in Österreich praktizierte wäre, daß die Gesellschaft ihre Normen derart verändert, daß Menschen mit Nicht-deutscher-Muttersprache und gehörlose Menschen gleichberechtigt darin Platz finden.

Maßnahmen dazu wären, daß Schulen bilingualen Unterricht anbieten und daß hörenden, deutschsprechenden Kindern und Erwachsenen Angeboten wird, als erste Fremdsprache türkisch, serbokroatisch oder Gebärdensprache zu lernen. Zusätzlich würde dies den Nebeneffekt bewirken, daß diese Sprachen eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren würden.

Unter "Hörender Welt" verstehe ich somit die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Bezug auf Gehörlosigkeit und Gehörlosenkultur, die alle in Österreich lebenden Personen, betreffen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die Ein- und Ausschlüsse[349] produziert und dabei fälschlicherweise verspricht, daß über Anpassungsleistungen an vorherrschende Normen und mittels der Aufgabe von der vorherrschenden Norm abweichender Identitäts-, Kultur- und Lebensentwürfe Ausschlüsse und Diskriminierungen verhindert oder abgebaut werden könnten.

Den Vergleich den ich zwischen den gesellschaftspolitischen Gegebenheiten, die MigrantInnen und gehörlose Menschen in Österreich vorfinden, aufstelle, finde ich deshalb sinnvoll, da ich bei beiden Gruppen das Augenmerk auf die Unterschiedlichkeit der Sprache zur vorgegebenen Norm lege. Und da ich davon Ausgehe, daß Sprachen Ausdruck von den jeweiligen Kulturen sind, gelten für beide Gruppen, daß unterschiedliche Kulturen hier in Österreich keine Anerkennung finden.

"Dazugehört, wer angepaßt ist!?"

Exkursende



[335] Ich möchte hier anmerken, daß Ein- und Ausschlüsse auf vielen verschiedenen Ebenen produziert werden und ich nur ein Beispiel anführe.

[336] mit "rechtlicher Ebene" bezeichne ich hier die Gestzgebung und die verwaltenden und ausführenden Organe.

[337] Wobei ich mir der Komplexität des Themas bewußt bin, die zu erfassen hier auch nicht mein Ziel ist.

[338] DUDEN. Das Fremdwörterbuch, 1982, 349.

[339] vgl. Der Standard, 5. März, 2002, 7.

[340] Der Standard, 5. März, 2002, 1.

[341] Der Standard, 5. März, 2002, 7.

[342] vgl. Der Standard, 5. März, 2002, 7.

[343] Die Grünen, 2001, 1.

[344] Krausneker, 2001, 1.

[345] vgl. Ladstätter 1999, 1.

[346] Prieth 2001, 15.

[347] vgl. Ladstätter 1999, 1. und Krausneker 2001, 2.

[348] hier wird die Klasse mit hörenden und gehörlosen Kindern von einer hörenden und einer gehörlosen Lehrerin unterrichtet. Wissenschaftlich begleitet wird dieser Schulversuch von Verena Krausneker.

[349] mit "Ein- und Ausschlüssen" bezeichne ich hier Ein- oder Ausgeschlossen sein von einer gesellschafltichen Akzeptanz, von sozialpolitischen Leistungen, von gesellschaftspolitischen Entscheidungen.

BIBLIOGRAPHIE

Quellen- und LITERATURverzeichnis

Ausländer, Rose: Brief aus Rosen. Gedichte. In: Braun Helmut (Hg.): Rose Ausländer - Werke. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH 1994

Bendt, Vera; Galliner, Nicola (Hg.): "Öffne deine Hand für die Stummen". Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weissensee 1873 bis 1942. Berlin: Transit Buchverlag 1993.

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Zimmermann, Herbert: Abschrift der Chronik des St.Josefsinstitutes in Mils. Heft Nr. 36. 2. Teil. Auszug aus der Heftreihe: Kunterbuntes aus Mils. Festansprache zum 50jährigen Bestandsjubiläum und Fotoausstellung 30. Mai 1948.

Die Videobänder der Interviews sind im Tiroler Landesverband der Gehörlosenvereine archiviert

DANK

Inhaltsverzeichnis

nit autonom

i dageahs nit alloan durch die wüste

i daversorg mi nit selba mit strom

mir isch nix um a einsame küste

i bin oanfach nit autonom

bahu

Dank An

A. Univ. Prof. Dr. Volker Schönwiese

für die sehr wertschätzende Betreuung und Unterstützung meiner Arbeit

die InterviewpartnerInnen

ohne die Interviews wäre diese Diplomarbeit nicht möglich gewesen

Itta Tenschert

für die unermüdliche Begleitung meines Schreibprozesses

das Vizerektorat für Evaluation der Universität Innsbruck

für die finanzielle Unterstützung zur Abdeckung eines Teils der Kosten für die Dolmetscherinnen und den Ankauf von Materialien zur Interviewführung

Doz. Dr. Eva Köckeis-Stangl

für den finanziellen Zuschuß zur Abdeckung der Kosten für die Dolmetscherinnen

aus ihrem Fond zur Unterstützung junger WissenschaftlerInnen

Landesverband der Tiroler Gehörlosenvereine (Fr. Monz, Obfrau)

für die Übernahme eines Teils der Kosten für die Dolmetscherinnen und die Zurverfügungstellung der Räumlichkeiten für die Interviews mit den gehörlosen ZeitzeugInnen

Brigitte Vozu

für die Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit den gehörlosen ZeitzeugInnen - ohne ihr Engagement wäre es wahrscheinlich nicht möglich gewesen, InterviewpartnerInnen zu finden

Gebärdensprachdolmetscherin bei den Interviews

Katina Lair

Gebärdensprachdolmetscherin bei den Interviews

Sr. Herlinde - Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Zams

für die Unterstützung bei der Recherchearbeit über die "Taubstummenanstalt in Mils" und die Zurverfügungstellung von Materialien aus dem Archiv

Sr. Eva-Maria - St. Josefs-Institut in Mils

für die Unterstützung bei der Recherchearbeit über die "Taubstummenanstalt in Mils" und das St. Josefs-Institut in Mils und die Zurverfügungstellung von Materialien aus dem Archiv

Verena Krausneker

für die Unterstützung bei der inhaltlichen Auseinandersetzung zum Beginn der Diplomarbeit und die Zurverfügungstellung von Materialien eigener Recherchearbeiten zum Thema

Ruth Frömpter:

für die Begleitung bei der Strukturierung meiner Gedanken und die Zurverfügungstellung von Literatur

Lisa Gensluckner

für die Zurverfügungstellung von Literatur

Ursula Kraus und Sonja Prieth

für das Proben des Interviewsettings

Monika Zanolin

für die Einführung in die technische Handhabe der Videokamera

Johanna Kiem

Transkription eines Interviews

meine Korrhekturläserinnen

Christine Abdel Halim; Jenny Auer und Sonja Prieth

meine Freundinnen

für das Interesse an meinem Studium und an der Diplomarbeit; wertvolle Gespräche; Motivierung in Zeiten großer Diplomarbeitsnot; kulinarische Versorgung; finanzielle Unterstützung, liebevolle Zuwendung und und und

und für einen langen Atem (nicht nur) in Zeiten, in denen mir die Luft ausging

Angelika, Betty, Brigitte, Christine, Darinka, Evelina, Gabi, Gela, Gerti, Jenny, Karin, Lisa, Margit, Mina, Monika, Natascha, Ruth, Sonja, Ursula, den ArchFem-Frauen und an alle, die Freud und Leid mit mir geteilt haben

Tante Ilse

für die Unterstützung auf meinem gesamten Bildungsweg

meine Eltern

für die liebevolle Anteilnahme

Quelle

Andrea Runggatscher: Lebenssituationen Gehörloser menschen zur Zeit des Nationalsozialismus in Tirol

Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Univerität Innsbruck, Innsbruck 2003

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 09.02.2005

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