Die Pflegeversicherung - Menschen mit Behinderung ziehen Bilanz

Themenbereiche: Recht
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Karl Finke (Behindertenbeauftragter des Landes Niedersachsen)
Copyright: © Karl Finke 1998

Vorwort

Karl Finke (Behindertenbeauftragter des Landes Niedersachsen)

Während unserer Tagung "Selbstbestimmung bis ins hohe Alter - Wie behinderte Menschen im hohen Alter leben wollen" am 20. September 1997 in Meppen wurde ich zum erstenmal öffentlich auf die Abgrenzungsproblematik zwischen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe hingewiesen. Die daraus resultierende Gefahr, daß Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen in Pflegeheime oder Pflegeabteilungen verlegt würden, wurde mit drastischen Worten geschildert. Allerdings war, und bis heute ist mir kein einziger Fall in Niedersachsen bekannt, wo dies geschehen ist. Von unterschiedlichster Seite, insbesondere von Menschen mit Behinderungen, wurde ich in der Folge immer wieder auf diese Problematik angesprochen.

Deshalb entschloß ich mich, zu dieser Thematik eine Fachtagung zu organisieren, die in dieser Broschüre dokumentiert wird.

Meine ablehnende Haltung gegen jede Zwangsverlegung behinderter Menschen ist bekannt. Ich habe sie in meinen Ausführungen erneut deutlich gemacht.

Ich habe aber auch gesagt, daß das Land Niedersachsen hier einen anderen Weg als andere Bundesländer gegangen ist. Hier wurde erst das Gespräch mit der LAG der Freien Wohlfahrtspflege gesucht. Daß dieser Weg ernst gemeint ist, wird für mich daran deutlich, daß die Gespräche bis heute, also nach rund einem halben Jahr, noch nicht abgeschlossen sind.

In der Zwischenzeit besteht Hoffnung, daß diese Gespräche im Interesse aller Menschen mit Behinderungen abgeschlossen werden können. In der Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. Oktober 1998 ist festgelegt: ..."die vorhandene sozialrechtliche Abgrenzung und Aufgabenteilung zwischen der Pflegeversicherung einerseits und der Krankenversicherung bzw. dem Sozialhilferecht anderseits werden überprüft und gegebenenfalls neu geregelt ...".

Die Auseinandersetzungen um diese strittige Frage werden also auch auf Bundesebene weitergehen müssen, vielleicht zukünftig für Niedersachsen unter Einbeziehung der neu gegründeten "LAG der Heimbeiräte". Damit wären endlich auch die Betroffenen in diese Auseinandersetzung entscheidend einbezogen.

Bei den bevorstehenden Auseinandersetzungen kann diese Broschüre hoffentlich Hilfestellung geben. Die Referentin und die drei Referenten haben das Thema aus jeweils unterschiedlicher Sicht behandelt. Die anschließende Diskussion, die wir ebenfalls in voller Länge dokumentiert haben, enthält bei aller Emotionalität, die ich bei diesem Thema auch für angemessen halte, vor allem Hinweise auf die Auswirkungen für behinderte Menschen, wenn sie gegen ihren Willen in eine Pflegeeinrichtung verlegt werden.

Ich hoffe, daß diese Dokumentation dazu beiträgt, daß zukünftig keine Menschen mit Behinderung mehr gegen ihren Willen in Pflegeheime oder -abteilungen verlegt werden.

Begrüßung

Karl Finke, Behindertenbeauftragter des Landes Niedersachsen

fast auf den Tag genau vor vier Jahren, am 26.05.1994, ist die sogenannte Pflegeversicherung in Kraft getreten. Dies war ein wichtiger sozialpolitischer Meilenstein. Dies gilt um so mehr, wenn wir uns daran erinnern, daß die Bundesregierung noch 1985 im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Berichtes zu Fragen der Pflegebedürftigkeit erklärte: "Die Bundesregierung hält die Einführung einer gesetzlichen Pflegeversicherung nicht für durchsetzbar".

Es ist kein Geheimnis, daß viele Behinderte mit mir gemeinsam die dann verabschiedete Pflegeversicherung heftig kritisiert haben. So habe ich in einer Presseerklärung am 12.11.1993 festgestellt, "dieses Gesetz trage durch die vorgesehene Finanzierung nicht nur zur weiteren Entsolidarisierung der Gesellschaft und zum Abbau des Sozialstaates bei, es verhindert auch, daß Menschen trotz Behinderung zukünftig autonom leben und ihre Pflege selbstbestimmt organisieren können".

Ich will einige kritische Punkte aufzählen, dies kann für die folgende Diskussion hilfreich sein.

Die Umverteilungsfunktion oder der Lastenausgleich, die ein wesentliches Prinzip der Solidargemeinschaft sind, werden verletzt. So wird durch die Pauschalisierung, unabhängig von den tatsächlich entstehenden Kosten, erreicht, daß die Menschen mit niedrigen Einkommen weiterhin auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Einkommensstärkere dagegen werden ihr ggf. vorhandenes Vermögen schützen können. Dies ist ein neues und, wie ich finde, unsoziales Element, welches es in den Sozialversicherungen bisher nicht gab.

Die Pflegeversicherung kann sich als Einstieg in den Umbau oder Abbau des Sozialstaates erweisen. Zum erstenmal werden die Arbeitgeber über den Weg der Kompensation durch Streichung eines gesetzlichen Feiertages an der Finanzierung einer Sozialversicherung nicht beteiligt.

Zum erstenmal wurde das Kostenbeteiligungsprinzip in die Sozialversicherung übernommen. Die Ausgaben orientieren sich an den Einnahmen. Sie sind gedeckt und führen dazu, daß ein erheblicher Teil der Kosten von den Pflegebedürftigen (oder eben der Sozialhilfe) gezahlt werden müssen.

Als weiterer Kritikpunkt ist festzuhalten, daß die Trennung zwischen Krankheit und notwendiger Pflege fachlich bei den Adressaten der Pflegeversicherung kaum zu begründen ist. Zu begründen wäre diese Trennung bei Menschen mit Behinderungen. Aber dieser Personenkreis wird, wenn ich das richtig sehe, von der Pflegeversicherung am meisten benachteiligt. Auch hier sei noch einmal die Kritik zusammengefaßt:

Der weitere Ausbau des bewährten Arbeitgebermodells, in dem behinderte Menschen sich ihre Assistenten selbst aussuchen, anstellen und ggf. auch entlassen, ist durch die Pflegeversicherung so gut wie zum Stillstand gekommen.

Weitgehend unbemerkt ist durch das Erste SGB-Änderungsgesetz die bisher übliche Verhinderungspflege für maximal vier Wochen nur noch möglich, wenn diese durch einen anerkannten Pflegedienst durchgeführt wird. Andernfalls wird lediglich das der jeweiligen Pflegestufe entsprechende Pflegegeld gezahlt.

Grundsätzlicher Kritik bedarf auch die Ausrichtung der Pflege an sogenannten Pflegekomplexen. Hierdurch wird die bisher individuelle Hilfe nach dem BSHG weitgehend normiert. In diesem Zusammenhang entfallen die vier Bereiche, an denen Behinderte ihre Selbstbestimmung messen: Organisationskompetenz, Personalkompetenz, Anleitungskompetenz und Finanzierungskompetenz.

Die Beträge für Behinderte, die selbstbestimmt leben wollen, die sich also nicht in die "fürsorgliche Umarmung" eines Pflegedienstes begeben, sind so niedrig, daß ihnen dies fast unmöglich gemacht wird.

Kritisiert wird auch, daß sich behinderte Menschen Kontrollbesuche, die es in keinem anderen Bereich gibt, gefallen lassen müssen. Die geplante Übernahme der Kosten durch die Pflegeversicherung ist, wie es Günter Famulla (Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Niedersachsen) ausgedrückt hat, in der Zwischenzeit auf "dem Altar der Bonner Koalition geopfert" worden.

Dies war ein nur unvollständiger Blick auf die sich negativ auswirkenden Bestimmungen der Pflegeversicherung für Menschen mit Behinderungen. Das größte Mißverständnis liegt nach meiner Einschätzung übrigens darin, daß die Pflegeversicherung nie für behinderte Menschen gedacht war, schon gar nicht für selbstbestimmte, ihr Leben selbst organisierende Menschen mit Behinderungen.

Unstrittig ist, daß das Pflegeversicherungsgesetz für die pflegenden Angehörigen, insbesondere für Frauen, eine wesentliche Verbesserung darstellt, erwerben sie doch erstmalig durch ihre häufig bisher überhaupt nicht vergütete Tätigkeit ein geringes Entgelt und eigene Rentenansprüche. Wie schon in unserer Einladung zu dieser Veranstaltung ausgeführt, ist Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm voll des Lobes. Nach seiner Ansicht kann festgestellt werden, "daß die Pflegeversicherung

  • erfolgreich arbeitet,

  • rund 1,7 Mio. Pflegebedürftigen verläßlich hilft,

  • die Sozialhilfe zwischen 10 und 11 Mrd. DM im Jahr entlastet,

  • die Pflegeinfrastruktur verbessert hat,

  • seit 1994 rund 75.000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat und

  • auf einem sicheren finanziellen Fundament steht".

Daß die Pflegeversicherung hält, was sie verspricht, und daß die Erwartungen der Pflegebedürftigen im großen Umfang erfüllt worden sind, bestätigt sich nach Ansicht von Herrn Blüm durch eine Befragung der Universität Hamburg. "Hiernach sind rund 80 % aller Befragten der Auffassung, daß für sie die derzeitige Pflegesituation insgesamt gesehen in Ordnung ist. Zu diesem Ergebnis hat die Pflegeversicherung erheblich beigetragen. 64 % der Befragten haben angegeben, daß die Pflegeversicherung für sie ein Ansporn ist, die Pflege für Angehörige oder Bekannte zu übernehmen. 67 % vertreten die Auffassung, daß die Pflegeversicherung den pflegenden Angehörigen und Bekannten die Anerkennung gibt, die sie verdienen. Wichtig ist auch das Ergebnis, wonach 77 % der Befragten das Verfahren der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst für in Ordnung halten und auch 75 % der Befragten mit dem Begutachtungsergebnis einverstanden sind. Die Ergebnisse der Studie bestätigen, daß mit der Pflegeversicherung der richtige Weg beschritten worden ist. Das Ziel der Stabilisierung der häuslichen Pflege wird auch im Urteil der Betroffenen erreicht. Die Pflegeversicherung ist bei den Menschen angekommen und findet im Urteil der Betroffenen breite Zustimmung. Bemerkenswert ist die hohe Zustimmung zur Arbeit des Medizinischen Dienstes. Diese Zustimmung belegt, daß das in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit gelegentlich dargestellte Bild des Medizinischen Dienstes völlig überzeichnet war."

Hier ist nicht der Platz, um sich forschungsmethodisch mit der Studie auseinanderzusetzen. Es ist aber zu berücksichtigen, daß in den meisten Fällen vor der Pflegeversicherung keine Leistungen gezahlt wurden. Des weiteren, daß rund 85 % der Befragten Geldleistungen in Anspruch nahmen. Deshalb merke ich an, daß das Ergebnis vermutlich anders ausgesehen hätte, wenn die Pflegebedürftigen gefragt worden wären, ob eine Pflegeversicherung, die die Kritik, wie ich sie z. B. weiter oben angezeigt habe, aufgegriffen hätte, ihnen lieber gewesen wäre.

Aus alldem folgt für mich, daß die Pflegeversicherung wohl für ältere Pflegeabhängige einen wesentlichen Fortschritt bedeutet, für behinderte Menschen, insbesondere für solche, die selbstbestimmt leben wollen, mit Nachteilen verbunden ist. Deshalb will ich an dieser Stelle meine alte Forderung nach einem eigenständigen Leistungsgesetz (unabhängig von der Sozialhilfe) für behinderte Menschen erneuern, denn diese Forderung ist aktueller denn je. Dieses Gesetz muß sicherstellen, daß allen Menschen mit Behinderung ihre notwendigen Nachteilsausgleiche zugestanden werden, und dazu gehört dann auch die notwendige Assistenz zum selbstbestimmten Leben.

Nun bin ich Realist genug, um zu erkennen, daß die politische Bereitschaft, ein solches Gesetz zu entwickeln und zu verabschieden, ich drücke das jetzt einmal vorsichtig aus, ungenügend ausgeprägt ist. Bis sich dies ändert, und es wird sich nicht von selbst ändern, müssen wir unsere Forderungen an das Pflegegesetz immer wieder deutlich erheben. Diese sind insbesondere

die Möglichkeit, die Sachleistungen auch für selbst organisierte Pflege nach dem Arbeitgebermodell ausbezahlt zu bekommen und der Verzicht auf die Kontrollbesuche oder zumindest deren Bezahlung durch die Pflegeversicherung.

Bekanntlich hat die Pflegeversicherung den Ländern bei der Durchführung eine wichtige Aufgabe zugeteilt. Nach meiner Auffassung hat die Niedersächsische Landesregierung ihre Aufgaben erledigt. Vor fast zwei Jahren ist das Niedersächsische Pflegegesetz verabschiedet worden. Durch Übergangsvorschriften wurde zu einer möglichst unbürokratischen Umsetzung beigetragen. Ich zitiere hier den Referatsleiter für die Pflegeversicherung aus dem Niedersächsischen Sozialministerium: "In der ambulanten Pflege, bei der Tagespflege und bei der Kurzzeitpflege entstehen den pflegebedürftigen Menschen keine Kosten für Investitionsaufwendungen von seiten der in Anspruch genommenen Dienste und Einrichtungen, sofern diese berechtigtermaßen einen Anspruch auf Förderung nach Landesrecht geltend gemacht haben. Das trifft auf die meisten der genannten Einrichtungsarten ebenso wie auf vollstationäre Einrichtungen zu. "Dort ... hat die Förderung der Investitionskosten durch bewohnerbezogene Aufwendungszuschüsse zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung es ermöglicht, daß nur noch 35 % der pflegebedürftigen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sind. ... Vor Inkrafttreten des Niedersächsischen Pflegegesetzes bezogen rund 70 % der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner Sozialhilfe. Diese Zahlen sprechen für sich."

Etwas anders sieht die Situation allerdings aus, wenn wir den Blick auf die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner in Heimen der Eingliederungshilfe richten. Hier hören wir aus anderen Bundesländern, daß dort massiv versucht wird, die Heime der Eingliederungshilfe in Pflegeheime umzuwandeln oder zumindest Pflegeabteilungen einzurichten. Verbrämt werden diese Bemühungen mit Begrifflichkeiten wie "virtuelles Pflegeheim" oder "Binnendifferenzierung". Mir liegt ein Schreiben des Landschaftsverbandes Württemberg-Hohenzollern vor, in dem den Heimträgern für den Fall, daß diese ihre ablehnende Haltung gegenüber der sogenannten Binnendifferenzierung nicht aufgeben, "den betreffenden Behinderteneinrichtungen im Umfang des vereitelten Betrages aus einer Binnendifferenzierung im Jahr 1998 keine Pflegesatzerhöhungen zugestanden werden."

Dies ist nach meinem Verständnis kein angemessener Umgangston zwischen Vertragspartnern, deren Hauptinteresse das Wohlergehen behinderter Menschen sein sollte. Vielmehr kann ich mich nicht des Eindruckes erwehren, daß hier auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen Haushaltsprobleme der Bundesländer gelöst werden sollen.

Hier hat Niedersachsen einen anderen Weg gewählt. So ist ein entsprechendes Rundschreiben vorab der LAG der Freien Wohlfahrtspflege zur Kenntnis gegeben und die Vertreter zu einem Gespräch darüber eingeladen worden. Über dieses Gespräch wird Pastor Isermeyer nachher sicherlich berichten.

Ich will nicht verhehlen, daß ich der Position des Niedersächsischen Sozialministeriums sehr kritisch gegenüberstehe. Es geht davon aus, daß bei Pflegestufe III zu berücksichtigen ist, "daß die Pflege eindeutig im Vordergrund des Hilfebedarfs steht. Vollstationäre Pflege kann durch die Pflegekassen nur in den nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtungen gewährt werden. Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG ist gegenüber den Leistungen der Pflegekassen nachrangig. Der Hilfesuchende ist deshalb zunächst an die Pflegekasse zu verweisen.

Sind geeignete Pflegeeinrichtungen für schwerstpflegebedürftige Behinderte nicht vorhanden oder steht ein Platz in einer geeigneten Pflegeeinrichtung nicht zur Verfügung, kommt eine Aufnahme in eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe in Betracht. ... Die oder der pflegebedürftige Behinderte oder ggf. der Betreuer sind darauf hinzuweisen, daß eine Verlegung in eine geeignete Pflegeeinrichtung oder -abteilung vorbehalten bleibt, sobald ein Platz in einer solchen Pflegeeinrichtung vorhanden ist." Ich gestehe zu, dies ist eine moderate Position, soweit ich es überblicke, die moderateste Position im ganzen Bundesgebiet, aber mit meinen sozialpolitischen Zielen und den Wünschen und Forderungen vieler Behinderter deckt sie sich nicht.

Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, daß die Wahlfreiheit behinderter Menschen unverzichtbar ist. Und ich mag nicht erkennen, warum dies aus Kostenüberlegungen bei der Pflegeversicherung nicht gelten soll. Deshalb trete ich dafür ein, daß bei einer Einstufung in die Pflegestufe III im Einzelfall zu prüfen ist, ob und welcher Eingliederungsbedarf besteht. Nur nach vorheriger Prüfung, ob die Ziele der Eingliederungshilfe für den jeweiligen Betroffenen erreichbar sind, kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob andernfalls ggf. Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG erfolgen muß oder ob die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung nach dem Pflegeversicherungsgesetz erfolgen kann. Hierbei hat für mich das Wahlrecht der Betroffenen Priorität.

In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, daß in Niedersachsen durch die Kommunalisierung der Altenhilfe die Zuständigkeit für behinderte Menschen nach dem 60. Lebensjahr an die Kommune übergeht. Dies kann für viele Behinderte eine Verschlechterung ihrer Lebenssituation bedeuten. Deshalb erhebe ich an dieser Stelle noch einmal die Forderung, daß die Kommunalisierung der Altenhilfe rückgängig gemacht wird, wie dies bereits in der Koalitionsvereinbarung von 1990 angekündigt wurde, und in Niedersachsen statt dessen ein quotales System, ähnlich wie in Schleswig-Holstein, eingeführt wird. Erst durch die Einführung eines quotalen Systems werden behinderte Menschen vom Verschiebebahnhof unterschiedlicher Leistungsträger genommen und einheitlich gefördert.

Ich wünsche allen Anwesenden einen informationsreichen Tag und in der Bilanz Ergebnisse, die die Pflegeversicherung im Sinne der Verbesserung der Lebensqualität behinderter Menschen weiterentwickelt.

Positionen der Nds. Landesverbände (eine Zusammenfassung)

DetlevJähnert, Referent

die Pflegeversicherung hat allem Anschein nach den Verbänden die Sprache verschlagen. Am 26.01.1998 haben wir 14 Landesverbände angeschrieben und gebeten, uns zu dem Veranstaltungsthema ein Statement zu schicken. Nur vier sind dieser Bitte nachgekommen. Damit kann die folgende Zusammenfassung natürlich nicht repräsentativ sein. Vielleicht hilft sie aber, die Diskussion des heutigen Tages zu beleben.

Erlauben Sie mir, mit dem anzufangen, was positiv gesehen wird:

  1. "Grundsätzlich befürworten wir die Einbeziehung von Menschen mit geistiger Behinderung in die Pflegeversicherung", so die Lebenshilfe.

  2. "Positiv anzumerken ist die Verbesserung der sozialen Sicherung durch die Altersversorgung", stellt der BSK fest.

Das war es dann aber auch schon. Daher komme ich jetzt zur Kritik an der Pflegeversicherung.

"Selbstbestimmtes Leben wird massiv eingeschränkt, weil es nicht mehr möglich ist, das Arbeitgebermodell mit selbst organisierter Assistenz zu praktizieren." (BSK). Weiter kritisiert der BSK, daß "bezüglich der Pflege-Pflichteinsätze ... es immer noch keine Ausnahmeregelung (gibt - d. V.). Pflegebedürftige, die ihre Pflege selbst organisieren, sehen darin eine Zumutung, die sie auch noch finanziell tragen müssen."

"Fast vollkommen ausgeschlossen von den Leistungen der Pflegeversicherung sind geistig behinderte Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom sowie psychisch kranke Menschen" (VdK). Ähnlich die Lebenshilfe, die feststellt, "daß die Bewertungskriterien des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nicht auf den von uns zu vertretenden Personenkreis zugeschnitten sind. Nicht selten sind Eltern von daher gezwungen, den Rechtsweg zu beschreiten und für ihr behindertes Kind einen Pflegegeldanspruch zu erwirken."

Große Sorge bereitet der Lebenshilfe die Auseinandersetzung um die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung. Sie befürchtet, daß bei "erwachsenen geistig Behinderten der Pflegestufe III, die in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten und in einer gemeindenahen Wohnform leben wollen, ... der überörtliche Träger der Sozialhilfe zukünftig eine Kostenzusage ablehnen (wird - d. V.) und diese Personen an ein Pflegeheim verweist".

So auch der BSK, der feststellt: "Die Abgrenzung der Pflegeversicherung von der Eingliederungshilfe ist für die vielen Einrichtungen der Behindertenhilfe noch immer nicht befriedigend gelöst. Besonders Selbstzahler sehen sich gezwungen, in eine anerkannte Alteneinrichtung zu gehen, obwohl sie vom Alter her nicht in eine solche Einrichtung gehören."

"Die Verschärfung der Begutachtungsrichtlinien (Zeitmodule, etc.) hat dazu geführt, daß viele unserer Mitglieder, die sehr lang und zum Teil nur über den Gerichtsweg ihre angemessene Pflegestufe erstritten haben, nun wieder zurückgestuft werden", fährt der BSK fort.

Vom VdK wird die restriktive Einstufung und Bewilligung von Pflegeleistungen kritisiert und die in diesem Zusammenhang notwendigerweise anfallenden Klageverfahren bedauert. Des weiteren betont er, "da die Kosten medizinischer Behandlungspflege im stationären Bereich zugunsten der Krankenversicherung auf die Pflegeversicherung übertragen werden, droht die Gefahr, daß nun auch in den Heimen die "Rennpflege" zum Regelfall wird. Nur wer schnell pflegt, pflegt billig. Die Kosten müssen nämlich gedrückt werden, um im Wettbewerb der Heime bestehen zu können."

"Entschieden protestiert die Lebenshilfe gegen die vom Sozialministerium geplante Einrichtung von speziellen Abteilungen für junge geistig behinderte Menschen der Pflegestufe III an Altersheimen. In Verbindung mit dem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung geplanten Verzicht auf eine feste Fachkraftquote in Pflegeheimen werden die vorgesehenen "Jungsenioren-Abteilungen" in Altenpflegeheimen zu Verwahrungsorten, in denen eine gezielte Förderung nicht mehr stattfinden kann.

Ähnliches gilt für Menschen mit geistiger Behinderung, die das 60. Lebensjahr vollenden. Aufgrund leerer Kassen ist zu befürchten, daß die örtlichen Sozialhilfeträger den Umzug aus Behindertenhilfeeinrichtungen in Altenpflegeheime oder -abteilungen verlangen werden.

Alte Menschen kommen im Durchschnitt von 80 bis 85 Jahren in ein Altenpflegeheim. Warum sollen geistig behinderte Menschen anders behandelt werden? Auch sie haben einen Anspruch darauf, in ihrer angestammten Umgebung alt werden zu können."

Sozusagen als grundsätzliche Kritik an der Pflegeversicherung stellt der VdK fest: "Die mit der Einführung der Pflegeversicherung geweckten hohen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Wie eine Teilkaskoversicherung bietet sie nur eine Grundversorgung, keine Vollversorgung. Diese Grundversorgung ist eher auf ältere als auf behinderte Menschen ausgerichtet. Die Grundintention der Pflegeversicherung, pflegebedürftige Menschen aus der Sozialhilfe herauszuholen, ist nicht umgesetzt worden, da Pflegebedürftige nach wie vor in die Sozialhilfe abgedrängt werden."

Auf ein besonders drängendes Problem im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung hat der Verein "Schädel-Hirnpatienten in Not" hingewiesen. Es geht um die Menschen mit dem sogenannten "Apallischen Syndrom". Von den jährlich 20.000 Betroffenen, die länger als vier Wochen im Koma liegen, verbleibt ein großer Teil tragischerweise über längere Zeit im sogenannten "Wachkoma". Dieser Zustand kann sich über Monate oder Jahre hinziehen. Die Krankenkassen erklären sich für das Krankheitsbild nicht mehr zuständig. Dabei wird den Angehörigen meist schon nach ein paar Monaten erklärt, der Patient sei "austherapiert", und es gebe keine weitere Hoffnung. Im Vergleich dazu würde es kaum einem Arzt einfallen, einen Dialysepatienten oder einen chronisch Nervenkranken zum Pflegefall zu erklären. Die Pflegekassen hingegen lehnen bislang eine über die reine Grundpflege hinausgehende Zahlung ab. Sie bezahlen (wenn überhaupt) maximal Stufe III, Härtefall = 3.300 DM. Tatsächlich fallen die Kosten für die notwendige aktivierende Betreuung deutlich höher aus. Es bleibt eine Differenz von oft bis zu 7.000 DM, die die Angehörigen aus eigener Tasche zahlen müssen oder für die die Sozialhilfe aufkommen muß.

Soweit in der gebotenen Kürze die zusammengefaßte Einschätzung der Pflegeversicherung. Ich will zum Schluß noch darauf hinweisen, daß diese, wenn auch moderater, zum Teil vom zuständigen Referatsleiter, Herrn Ministerialrat Speil, des Niedersächsischen Sozialministeriums geteilt wird. Dazu nur zwei Zitate:

"Die Pflegeversicherung ist besser als ihr Ruf. ... Ich stimme gleichwohl nach wie vor nicht mit der Tatsache überein, daß insbesondere die notwendige Leistung für die Betreuung dementer oder geistig behinderter Menschen keine hinreichende Berücksichtigung findet. Hier wird von mir Nachbesserungsbedarf gesehen." Zu der von der Bundesregierung geplanten Abschaffung der Heimpersonalquote führt Ministerialrat Speil aus:

"Ich bin dankbar, meine Damen und Herren, über den einhelligen und vehementen Widerspruch, der diesbezüglich von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege erfolgt ist. Dies hat die geschlossen ablehnende Haltung der Länder noch gestärkt. Wir sind nach wie vor der Auffassung: Die Fachpersonalquote muß bleiben."

Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflegeversicherung in stationären Einrichtungen - Position des Landes Niedersachsen

Udo Ramms, Ministerialrat im Niedersächsischen Sozialministerium

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich danke unserem Behindertenbeauftragten, Herrn Karl Finke, für die mir gebotene Gelegenheit, hier einmal die Position des Landes Niedersachsen zur Frage der Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber denen der Pflegeversicherung bzw. der Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen für Behinderte darzulegen. Dieses Thema ist in den vergangenen Monaten und Jahren sehr kontrovers diskutiert worden, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, daß viele Träger von Behinderteneinrichtungen befürchten, von den Sozialhilfeträgern gezwungen zu werden, Pflegeabteilungen einzurichten, um Leistungen der Pflegeversicherung voll ausschöpfen zu können. Sie haben Bedenken, daß damit die bewährte ganzheitliche Hilfe für behinderte Menschen, bei der die pädagogisch ausgerichtete Förderung eine wesentliche Rolle spielt, in Frage gestellt werden könnte.

Wenn wir uns heute auf dieser Fachtagung mit diesem Problem beschäftigen, sollte zunächst einmal darauf eingegangen werden, wodurch die aufgezeigten Schwierigkeiten überhaupt entstanden sind.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn die Pflegeversicherung die Belange behinderter Menschen in stationären Behinderteneinrichtungen in angemessener und ausreichender Weise berücksichtigt hätte, wäre das von uns heute diskutierte Thema bei weitem nicht so brisant. Das Pflegeversicherungsgesetz ist in seinen Grundzügen in erster Linie für die Pflege älterer Menschen innerhalb und außerhalb von Einrichtungen konzipiert. Die Belange behinderter Menschen, die zu ca. 90 % in der gesetzlichen Pflegeversicherung versichert sind und somit auch Anspruch auf die vollen Leistungen dieses Versicherungszweiges haben, wurden hier aus meiner Sicht nicht genügend bedacht.

In der ersten Phase nach Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes wurden Leistungen der Pflegeversicherung in teilstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe mit der Begründung versagt, in ihnen würde nicht unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt. Heilerziehungspfleger, die sowohl die pädagogisch ausgerichtete Förderung als auch die speziellen pflegerischen Anforderungen bei der Behindertenpflege beherrschen, wurden nicht als Pflegefachkraft anerkannt.

Mit dem Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes vom Juni 1996, mit dem die zweite Stufe der Pflegeversicherung und damit die Leistungen der vollstationären Pflege eingeführt wurden, wurde festgelegt, daß nur Krankenschwestern oder Krankenpfleger, Kinderkrankenschwestern oder Kinderkrankenpfleger sowie Altenpflegerinnen oder Altenpfleger die pflegerische Verantwortung in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung übernehmen können. Mit dieser Regelung war klargestellt, daß die pädagogisch ausgerichteten vollstationären Behinderteneinrichtungen diese Anforderungen nicht erfüllen und die behinderten Menschen in diesen Einrichtungen die vollen Leistungen der Pflegeversicherung nicht in Anspruch nehmen können.

Warum diese Einschränkungen? Diese Fassung des Gesetzes hatte aus meiner Sicht den einzigen Sinn, Aufwendungen für behinderte Menschen in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe, die in zugelassenen Pflegeeinrichtungen selbstverständlich sind, zu ersparen und sie weiterhin den Sozialhilfeträgern zu überlassen, die eigentlich nach dem Grundanliegen der Sozialhilfe nur nachrangig als letztes Auffangnetz eintreten sollen. Die so gegebene Benachteiligung behinderter Menschen, die versicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Pflegeversicherung haben, ist natürlich auch mit Recht von den Behindertenverbänden und -einrichtungsträgern kritisiert worden.

Dies hatte letztlich, wie Ihnen bekannt, dazu geführt, daß im Zuge des Vermittlungsverfahrens um 1. SGB XI-Änderungsgesetz die neue Leistungsart "Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe" eingeführt wurde. Die Pflegekassen beteiligen sich mit 10 % des Heimentgelts, maximal mit 500,-- DM monatlich, an den Kosten der vollstationären Betreuung. Mit dieser Leistung, aufgrund eines politischen Kompromisses, den auch Niedersachsen mitgetragen hat und der als ein erster Schritt in Richtung auf eine Kostenbeteiligung der Pflegekassen in der Behindertenpflege angesehen wurde, waren die Schwierigkeiten aber keineswegs beseitigt, sondern sie sind erst richtig deutlich geworden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß sich die Pflegeversicherung an den Betreuungskosten pflegebedürftiger behinderter Menschen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe nur mit einer Summe von maximal 500,-- DM im Monat beteiligt, bei Kosten, die mehr als das Zehnfache dieses Betrages ausmachen, wenngleich in zugelassenen Pflegeeinrichtungen Kosten von bis zu 3.300,-- DM für die Pflege übernommen werden. Wenn diese Leistungen der Pflegeversicherung von Anfang an für Einrichtungen der vollstationären Behindertenhilfe erbracht worden wären, ohne an die Ausgestaltung der Einrichtungen nicht sachgerechte Anforderungen zu stellen, würde das Problem, das Grundlage für die heutige Diskussion ist, bei weitem nicht in dieser Schärfe aufgetreten sein.

Vom federführenden Bundesarbeitsminister werden für die Beschränkung dieser Leistung alle möglichen Begründungen vorgebracht, die mir aber nicht glaubwürdig erscheinen. Letztlich geht es schlicht ums Geld. Die Gewährung der vollen Leistungen der stationären Pflege an pflegebedürftige Behinderte in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe würde Mehraufwendungen von ca. 1,5 Mrd. DM auslösen. Dies würde nach Auffassung des Bundesarbeitsministers die Pflegekassen überfordern und trotz der zur Zeit vorhandenen Rücklagen letztlich zu einer Beitragserhöhung und damit zur Belastung der Lohnnebenkosten führen.

Es gibt seitens der Behindertenverbände und der Trägerorganisationen vernünftige und nachvollziehbare Vorschläge für eine höhere Kostenbeteiligung der Pflegekassen, die allerdings eine Änderung der gegenwärtigen Vorschrift des § 43 a des Pflegever-sicherungsgesetzes voraussetzt. Ich darf an den Vorschlag erinnern, für behinderte Menschen in vollstationären Behinderteneinrichtungen die Leistungen zu erbringen, die sie als Pflegesachleistungen außerhalb von Einrichtungen beanspruchen könnten, oder wenigstens die pauschale Kostenbeteiligung von 500,-- DM auf 1.000,-- DM monatlich zu erhöhen. Dieser Forderung ist aus meiner Sicht unbedingt zuzustimmen. Ich bin allerdings wenig zuversichtlich, daß in absehbarer Zeit mit einer Änderung des Pflegeversicherungsgesetzes in dem genannten Sinn gerechnet werden kann.

Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Lohnnebenkosten mache ich mir zur Zeit keine großen Hoffnungen auf eine Verbesserung der Leistungen der Pflegeversicherung für pflegebedürftige behinderte Menschen. Im Ergebnis müssen wir also mit der gegebenen Rechtslage leben und versuchen, eine Lösung zu finden, die die berechtigten Belange behinderter Menschen berücksichtigt, die aber gleichzeitig dem Grundanliegen der Sozialhilfe als nachrangig verpflichtetem Leistungsträger gerecht wird.

Bei der Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung für die Pflege behinderter Menschen in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe, die wie bereits erwähnt, auf 10 % des Heimentgelts, höchstens jedoch auf 500,-- DM monatlich begrenzt sind, wird nicht verlangt, daß sich die Behinderteneinrichtungen als zugelassene Pflegeeinrichtungen organisieren und die Verantwortung für die Pflege einer ausgebildeten Pflegekraft übertragen. Der bewährte Charakter der Behinderteneinrichtungen, bei denen die Eingliederung und Förderung im Vordergrund steht, also ihre pädagogische Ausrichtung, bleibt damit erhalten. Dies war ein wichtiges Anliegen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und der Behindertenverbände. Auch Niedersachsen hat diese Regelung unterstützt, um mit der pauschalen Kostenbeteiligung die ganzheitliche Hilfe in den vollstationären Einrichtungen zu sichern und Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung entgegenzuwirken.

Die Abgrenzungsprobleme wurden aber nicht gelöst, da abgehoben wird auf vollstationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe, in denen die Eingliederung im Vordergrund des Einrichtungszwecks steht. Aus dieser Formulierung des Gesetzes ist erkennbar, daß es natürlich auch vollstationäre Einrichtungen für behinderte Menschen gibt, bei denen eindeutig die Pflege und nicht die Eingliederung überwiegt. Bei schwer- und schwerstpflegebedürftigen Bewohnern dieser Einrichtungen wird der Tagesablauf ganz wesentlich von der Pflege bestimmt, wenngleich daneben Eingliederungs- und Förderangebote vorgehalten werden. Bei der Beurteilung der Frage, welche Einrichtungen geeignet sind, muß bedacht werden, daß zugelassene Pflegeeinrichtungen aufgrund ihres Fachpersonals, den baulichen Gegebenheiten und ihrer Konzeption den besonderen pflegerischen Bedürfnissen von schwerpflegebedürftigen Behinderten gerecht werden. Das geltende Pflegevrsicherungsrecht läßt es durchaus zu, daß sich Einrichtungen für behinderte Menschen, bei denen die Pflege eindeutig im Vordergrund steht, als zugelassene Pflegeeinrichtung organisieren und daß auch Abteilungen von Behinderteneinrichtungen unter den Voraussetzungen des Pflegeversicherungsge-setzes als Pflegeeinrichtungen zugelassen werden können. Diese Position wird im übrigen auch von dem Bundesarbeitsminister vertreten, der ja sonst die Auffassung vertritt, daß mit der pauschalen Kostenbeteiligung in Höhe von 10 % des Heimentgelts bei vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe sämtliche Verpflichtungen der Pflegeversicherung erfüllt sind.

Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf das bekannte Positionspapier des Bundesministers für Gesundheit vom Juni 1997 verweisen, in dem die Rechtslage noch einmal eindeutig erläutert wurde. Es muß also festgestellt werden, daß keine rechtlichen Hemmnisse bestehen, für eine bestimmte Gruppe pflegebedürftiger behinderter Menschen Einrichtungen vorzusehen, die die Voraussetzungen für den Abschluß eines Versorgungsvertrages erfüllen und in denen sie die vollen Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen können.Meine Damen und Herren, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich ausdrücklich betonen, daß wir nicht beabsichtigen, den Gesetzeskompromiß des § 43 a Pflegeversicherungsgesetz, dem wir zugestimmt haben, zu unterlaufen. Wir verlangen nicht, daß sich eine Vielzahl von Einrichtungen oder Teile von Einrichtungen der Behindertenhilfe in zugelassene Pflegeeinrichtungen umwidmet. Ich glaube, daß uns auch nicht nachgesagt werden kann, daß wir, vielleicht im Gegensatz zu anderen Ländern, erheblichen Druck auf Behinderteneinrichtungen ausüben, um sie zur Schaffung von Pflegeabteilungen zu veranlassen.

Deshalb schwebt uns zur Lösung der Problematik eine praxisgerechte Regelung vor.

Wenn die Sozialhilfe weiterhin als Hauptkostenträger für die Finanzierung von Maßnahmen der Eingliederungshilfe in stationären Behinderteneinrichtungen, aber auch als Kostenträger für ergänzende Leistungen der Hilfe zur Pflege in Betracht kommt, weil die gedeckelten Leistungen der Pflegever-sicherung in den wenigsten Fällen ausreichen, muß sich die Hilfegewährung nach den im Bundessozialhilfegesetz festgelegten Kriterien richten. Leistungen der Sozialhilfe setzen voraus, daß bei dem hilfesuchenden Menschen ein sozialhilferechtlicher Bedarf besteht, den er aufgrund seines eigenen Einkommens oder Vermögens nicht decken kann. Besteht bei behinderten Menschen, die zugleich pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes sind und der vollstationären Betreuung bedürfen, überwiegend ein Bedarf an Eingliederungshilfe, ist hier der überörtliche Träger der Sozialhilfe kostenverpflichtet. Die notwendige Hilfe umfaßt bei einer Betreuung in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe auch die notwendigen Pflegeleistungen. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind hier im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig. Dies bedeutet im Ergebnis, daß behinderte Menschen in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe nicht auf die Leistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden dürfen.

Wir gehen deshalb davon aus, daß behinderte Menschen, die sowohl einen Bedarf an Eingliederungshilfe haben und zugleich pflegebedürftig sind, in der Regel die bedarfsgerechte Hilfe in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe erhalten, in der die Eingliederung im Vordergrund des Einrichtungszwecks steht.

Es gibt aber - und dies dürfen wir nicht verkennen - auch Menschen mit Behinderungen aller Altersgruppen, die ganz überwiegend einen Bedarf an Pflegeleistungen haben und die die bedarfsgerechte Hilfe in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung erhalten können, in der eindeutig die Pflege und nicht die Eingliederung überwiegt.

Ich meine, es ist nicht einzusehen, daß die Pflegeversicherung sich auch in diesen Fällen nur mit der relativ geringen Kostenpauschale von bis zu 500,-- DM monatlich an den Aufwendungen beteiligt, obwohl diese behinderten Menschen Anspruch auf Versicherungsleistungen unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen haben. Es liegt aus meiner Sicht im gemeinsamen Interesse von Einrichtungs- und Kostenträgern, mitunter aber auch im Interesse des Behinderten selbst, diese Ansprüche auch zu realisieren, um möglicherweise von Sozialhilfe unabhängig zu werden.

Aus sozialhilferechtlicher Sicht ist das Anknüpfen an den individuellen Hilfebedarf grundsätzlich vom Gesetz her geboten, allerdings - so meine ich - könnte eine nur formale sozialhilferechtliche Prüfung, die bei allen Behinderten mit einer Pflegestufe vom überwiegenden Pflegebedarf ausgeht, zu Ergebnissen führen, die den Bedürfnislagen behinderter Menschen nicht gerecht werden.

Wir halten es für nicht vertretbar und problematisch, den pflegebedürftigen behinderten Menschen aller Pflegestufen ein Kostenanerkenntnis der Hilfe zur Pflege zu erteilen, um damit die Möglichkeit offenzuhalten, auch die behinderten Menschen der Pflegestufen I und II unter Berufung auf den Nachrang der Sozialhilfe auf Pflegeeinrichtungen zu verweisen.

Eingliederungshilfe für Behinderte und Pflegeleistungen nach dem Pflegeversiche-rungsgesetz sind zwei rechtlich gleichwertige Hilfearten, die sich lediglich nach ihrem Zweck und ihrer Zielsetzung unterscheiden. Eingliederungshilfe für Behinderte und ein hohes Maß an Pflegebedürftigkeit schließen sich grundsätzlich nicht aus. Pflegebedürftige Behinderte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen, bei denen zugleich ein Bedarf an Eingliederungsmaßnahmen besteht, haben neben den vollen Pflegeversicherungsleistungen auch einen Anspruch auf Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem BSHG.

Zur Klärung von Abgrenzungsfragen und als Grundlage für Entscheidungen über Kostenanerkenntnisse nach dem BSHG für Hilfen in stationären Einrichtungen haben wir deshalb einen Entwurf für eine Regelung erarbeitet und mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege erörtert, der aus meiner Sicht einen vertretbaren Kompromiß und eine praxisgerechte Lösung beinhaltet. Er besagt, daß pflegebedürftige behinderte Menschen in der Regel in vollstationären Behinderteneinrichtungen ganzheitlich betreut und nicht in Pflegeeinrichtungen verlegt werden sollen.

Die von uns beabsichtigte Regelung geht deshalb von folgenden Eckpunkten aus:

Pflegebedürftige Behinderte der Pflegestufen I und II werden in stationären Behinderteneinrichtungen betreut, und zwar auch dann, wenn bei ihnen die Pflege den Tagesablauf weitgehend bestimmt. Sie erhalten ein Kostenanerkenntnis der Eingliederungshilfe, die in vollstationären Behinderteneinrichtungen einschließlich der Pflegeleistungen gewährt wird.

Bei pflegebedürftigen Behinderten der Pflegestufe III wird davon ausgegangen, daß der Pflegebedarf gegenüber dem Eingliederungshilfebedarf deutlich überwiegt. Sie sollen grundsätzlich in zugelassene, geeignete Pflegeeinrichtungen aufgenommen werden, deren Konzeption auf die Bedürfnisse behinderter Bewohner ausgerichtet ist.

Auch Behinderte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen haben einen Anspruch auf ergänzende Eingliederungshilfe nach dem BSHG. Damit kann auch bei diesen behinderten Menschen die ganzheitliche Hilfe gewährleistet werden. Der umfassende Hilfeanspruch wird nicht beschnitten.

Wir sind weiterhin der Meinung, daß für die Pflege von behinderten Menschen unter 60 Jahren in der Kostenzuständigkeit des Landes als überörtlicher Träger der Sozialhilfe nur zugelassene Pflegeeinrichtungen geeignet sind, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung gerecht werden, notwendige ergänzende Eingliederungsmaßnahmen sicherstellen und auch in zumutbarer Entfernung zum bisherigen Wohnort liegen. Dem Anspruch auf Eingliederungshilfe muß die Pflegeeinrichtung durch eine fachpädagogische Betreuung und Förderung neben den durch die Pflegeversicherung finanzierten pflegerischen Maßnahmen Rechnung tragen. Durch Leistungsvereinbarungen nach dem BSHG muß die Erbringung der Eingliederungshilfe durch die Einrichtungen sichergestellt werden. Wir halten Altenpflegeeinrichtungen, in denen fast nur ältere Menschen mit ausschließlich pflegerischem Bedarf betreut werden und in denen Eingliederungshilfe für Behinderte nicht erbracht wird, grundsätzlich für die Pflege behinderter Menschen unter 60 Jahren für ungeeignet. Sie erhalten hier aus meiner Sicht keine bedarfsgerechte Hilfe.

Die Wünsche der Betroffenen werden hierbei weitgehend berücksichtigt. Möchte ein pflegebedürftiger Behinderter der Pflegestufe I oder II in einer Pflegeeinrichtung betreut werden, wird ihm dies selbstverständlich nicht versagt.

Meine Damen und Herren, wenn ein solches Konzept funktionieren soll, muß es von den Betroffenen auch angenommen werden, d. h. humanitäre Aspekte dürfen unter keinen Umständen außer acht bleiben. Wir halten es für nicht vertretbar, schwerstpflegebedürftige Behinderte gegen ihren Willen in Pflegeeinrichtungen zu verlegen oder auf Pflegeeinrichtungen zu verweisen, wenn sie seit längerer Zeit in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe leben und dort heimisch geworden sind. Allerdings halten wir es für zumutbar, einen solchen Umzug zu verlangen, wenn die Einrichtung selbst über eine zugelassene Pflegeeinrichtung verfügt und der Umzug in eine Pflegeabteilung nicht mit einem Ortswechsel verbunden ist.

Schwerstpflegebedürftige Behinderte, die erstmals Hilfe für eine Betreuung in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe beantragen, sollen nur dann auf eine zugelassene Pflegeeinrichtung verwiesen werden, wenn ein Platz in einer geeigneten Pflegeeinrichtung zur Verfügung steht. Solange dies nicht gewährleistet ist, können sie ihre Hilfe in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe erhalten, allerdings müssen sie damit rechnen, daß ein Umzug verlangt wird, wenn ein Platz in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung, die geeignet ist, vorhanden ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Worte zur Frage der vieldiskutierten Umwidmung von Behinderteneinrichtungen in Pflegeeinrichtungen und zu dem Problem der sogenannten Binnendifferenzierung von Komplexeinrichtungen sagen. In den großen Behinderteneinrichtungen in Niedersachsen wird ein umfassendes Hilfe- und Betreuungsangebot für eine Vielzahl von Bewohnern vorgehalten, so daß hier sehr differenziert auf den jeweiligen Hilfebedarf reagiert werden kann. Steht in einem Teilbereich einer solchen Einrichtung die Pflege im Vordergrund, können für diesen Teil die Voraussetzungen zum Abschluß eines Versorgungsvertrages nach dem Pflegeversicherungsgesetz geschaffen und die Zulassung als Pflegeeinrichtung beantragt werden. Dieser Pflegebereich müßte dann eine organisatorisch selbständig wirtschaftende Einheit unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegekraft werden. In ihr stände die Pflege im Vordergrund. Für die Bewohner kommen daneben Maßnahmen der Eingliederungshilfe in Betracht, die auch außerhalb dieser Abteilung erbracht werden können, z. B. dann, wenn die Bewohner tagsüber eine Werkstatt für Behinderte besuchen. In jedem Fall müßte aus meiner Sicht sichergestellt werden, daß die betreffenden Pflegeabteilungen ein Hilfeangebot vorhalten, das in seiner Qualität und im Umfang der bisherigen Betreuung der Bewohner nicht nachsteht.

Hierfür erwarten die Träger mit Recht ein Gesamtentgelt, das nicht geringer ist als das, was vorher für die vollstationäre Betreuung im Behindertenbereich bezahlt wurde. Bekanntlich sind die Leistungen der Pflegeversicherung zur Zeit auf einen monatlichen Betrag von 2.800,-- DM bzw. 3 .300,-- DM in Härtefällen begrenzt. Das umfassende Hilfeangebot kann mit dieser Vergütung nicht immer voll finanziert werden, so daß der Sozialhilfeträger in der Kostenverpflichtung bleibt.

In Betracht kommen aus meiner Sicht neben den selbstverständlichen ergänzenden Eingliederungshilfen auch ergänzende Leistungen der Hilfe zur Pflege, wenn durch die Pflegekassen im Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger eine entsprechende Vergütung ausgehandelt wurde. Umfang und Qualität der Betreuung dürften also in solchen zugelassenen Pflegeabteilungen in wirtschaftlicher Hinsicht gewährleistet sein.

Ich bin im übrigen der Meinung, daß eine sach- und fachgerechte Pflege und Förderung schwerstbehinderter Menschen am ehesten in einer Pflegeabteilung unter der Verantwortung eines in der Behindertenhilfe erfahrenen Trägers gewährleistet werden kann.

Wie Ihnen bekannt, sind in einigen Ländern bereits Vereinbarungen zwischen Kosten- und Einrichtungsträgern über eine sogenannte Binnendifferenzierung von Komplexeinrichtungen abgeschlossen worden, allerdings unter etwas anderen Bedingungen. Wir haben bisher auf die Träger stationärer Einrichtungen keinen Druck ausgeübt, Pflegeeinrichtungen zu schaffen, sondern wir setzen darauf, daß wir die Träger davon überzeugen können, daß es Sinn macht, solche Binnendifferenzierungen vorzusehen, weil damit die bewährte ganzheitliche Hilfe am ehesten erhalten werden kann. Mein Appell geht dahin, in diese Richtung weiterzudenken. Ich gehe davon aus, daß wir in Kürze mit den Trägern über Binnendifferenzierungen auch in Niedersachsen ins Gespräch kommen.

Meine Damen und Herren, ich konnte im Rahmen dieses Referats nicht alle Aspekte des vielschichtigen und schwierigen Themas ansprechen. Vielleicht besteht dazu in der anschließenden Diskussion noch Gelegenheit.

Zur Notwendigkeit der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflegeversicherung in stationären Einrichtungen - Grundposition der Fachverbände

Bernhard Isermeyer, Pastor, Ev. Stiftung Neuerkerode:

Ich bin von Beruf Pastor und übe eigentlich den Beruf der Leitung einer großen Behinderteneinrichtung mit aus. Ich bin gebeten worden, die Position der großen Fachverbände der Behindertenhilfe vorzutragen. Erlauben Sie mir am Anfang einige allgemeine Aussagen. Ich bin kein Jurist, ich bin in dem Sinne auch nicht in der Lage - und möchte es auch bewußt nicht tun - einzelne Paragraphen hier zu zitieren und mich damit auseinanderzusetzen. Inhaltlich hat dies Herr Ramms bereits erläutert, so daß ich diese nur streifen werde.

In den bisherigen Darstellungen ist deutlich geworden, um was es wirklich heute hier geht. Wir haben eine unklare Situation im Gegenüber von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe. Es hat schon viele Veranstaltungen zu diesem Thema gegeben und es ist immer wieder deutlich geworden - und es wurde auch hier schon mehrmals gesagt -, daß die Wurzel für dieses Dilemma, in dem wir uns befinden - und es ist ein Dilemma - in der Struktur der Pflegeversicherung selbst liegt. Für einen Personenkreis konzipiert, der heute hier nicht vertreten ist und auch nicht vertreten sein muß, für einen Personenkreis konzipiert, für den dies auch keine optimale Lösung darstellt, wie die Entwicklung in der Altenhilfe zeigt. Dann wurden noch plötzlich jene Menschen mit hineingezogen, die über ein ganz anderes System der notwendigen Hilfeleistung ihren jeweils individuellen Bedarf an diesen Hilfen erhalten hatten und in Zukunft erhalten müssen. Die Korrektur der Pflegeversicherung (§ 43 a) macht deutlich, daß hier ein im Grunde genommen "fauler Kompromiß" gefunden wurde, der in keiner Weise das Grundproblem lösen kann. Auch das ist schon deutlich geworden.

Vielleicht hätte dieses Problem gelöst werden können, wenn sich die finanzpolitischen und damit sozialen Veränderungen in unserer Gesellschaft nicht negativ, sondern - so etwas kann es ja auch geben - positiv verändert hätten. Jetzt fehlt schlicht das Geld, das einfach nötig ist, um im Sinne des hilfesuchenden Menschen jene Hilfen ihm angedeihen zu lassen, auf die er einen Anspruch hat, die er auch braucht, damit das, was ihm bisher geholfen hat, sein Leben zu meistern, nämlich am Leben im umfassenden Sinn teilnehmen zu können, nun auch weiter gesichert ist. Das ganze Problem ist nach meiner persönlichen Meinung - mehr kann und will ich hier auch nicht vertreten - ein schlichtes fiskalisches Problem. Das Geld fehlt hier bei der Sozialhilfe und muß darum woanders hergeholt werden. Die Pflegeversicherung befürchtet einen Einbruch bei ihren Finanzen, wenn sie im Sinne des Gesetzes auch denen den jeweils vollen Betrag je nach Eingruppierung zubilligt, der diesem Personenkreis gleichsam de jure auch zusteht.

Ich möchte als Beispiel für diese Entwicklung Ihnen ein Gespräch wiedergeben, das ich am Anfang der Pflegeversicherung, als der Behindertenbereich plötzlich hinzukam, mit einem maßgeblichen Menschen in Bonn hatte. Das Gespräch endete damit, daß wir uns anbrüllten, jener hochrangige Beamte in einem der Ministerien, die damit beauftragt waren, sagte mir, daß ich bitte nicht auf den § 1 GG zu sprechen kommen solle, wo etwas von der Würde des Menschen nachzulesen sei. Warm, satt und sauber sei die Erfüllung dieses Paragraphen. Das war am Anfang der Entwicklung, vor der wir jetzt immer noch stehen, ein Ende herbeisehnend und herbeisuchend. Dieser Grundkonflikt, der bis heute nicht gelöst ist - und das ist meine große Befürchtung -, der noch in keinem Gespräch ausgeräumt werden konnte, dieser Konflikt wird natürlich schlicht und ergreifend auf dem Rücken derer ausgetragen, die vom Grund her nicht die Möglichkeit haben, sich entsprechend zu wehren. Natürlich haben jene ihre Helfer, ihre Betreuer, ihre Begleiter, die aber bisweilen - so meine Erfahrungen - eigenwillig denken und handeln im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams. Denn das, was irgendwo einmal angedacht wird, wird von vielen vorauseilend schon gedanklich umgesetzt und manche Einrichtungen stehen dann vor dem großen Problem, sich sogar noch gegen die Betreuer wehren zu müssen, wenn es darum geht, § 39/40 Eingliederungshilfe in reiner Form für jeden durchsetzen zu wollen und zu müssen.

Ich weiß, daß ich natürlich hier jene ein wenig kränken kann, die mit viel Liebe zum gesetzlichen Detail Argumente dafür anführen, daß die Veränderung der Eingliederungshilfe in Richtung Hilfe zur Pflege und die "Aussonderung" jener Menschen - ich verwende diesen Ausdruck allerdings bewußt -, die behindert sind und Pflegestufe III attestiert bekommen haben, in reine Pflegeeinrichtungen zu gehen mit der Möglichkeit, dort dann auch, wenn nötig, aufgesattelte Eingliederungshilfe zu erhalten. Diese Position - und das sind meine bisherigen Erfahrungen - wird von Fachleuten vertreten, die wirklich auch um das Wohl behinderter Menschen besorgt sind, keine Frage. Aber ich denke, daß wir uns, wenn wir diese Diskussion streitig führen, und das müssen alle diejenigen, die sich im Dschungel der Gesetzesparagraphen auskennen oder auch nur auszukennen meinen, nicht davon entfernen dürfen von dem, was wir wirklich die Ganzheitlichkeit des Menschen nennen. Das ist für mich ein Schlüsselbegriff und den umzusetzen in unterschiedliche Gesetzesparagraphen halte ich für sehr schwierig, aber geboten. Die gesamte Diskussion läuft nach meiner Einschätzung darauf hinaus, daß Menschen mit unterschiedlicher Behinderung und unterschiedlicher Pflegebedürftigkeit nur noch zu Fällen gemacht werden, die dann auf die unterschiedlichen Paragraphen bezogen werden.

Welch ein Bild von einem Menschen haben jene, die da postulieren, ein Mensch mit einer geistigen Behinderung ist anders, wenn er das 60. Lebensjahr erreicht hat und nun umgewandelt werden muß, da er als Rentner nicht mehr unter Eingliederungshilfe fallen könne. Was bedeutet es, wenn ein Mensch mit einer schwereren geistigen Behinderung und einer attestierten Pflegestufe II aufgrund seiner notwendigen Pflegebedürftigkeit nun dann doch zu einem reinen Pflegefall deklariert und damit auch deklassiert wird? Sind denn all die sozialen Errungenschaften der letzten mindestens drei Jahrzehnte völlig falsch gewesen? Ist all das falsch, was vom Land selbst an weiteren Hilfemöglichkeiten und Hilfeangeboten in den Einrichtungen der Behindertenhilfe gefordert wurde? Sind Einrichtungen nicht unter behördlichen Druck geraten, weil sie nicht schnell genug mehr Fachpersonal einstellten? Wer spricht heute noch vom Bericht der "Fachkommission Behinderte"? Das ist ein Buch, das man eigentlich nur noch aus dem Schreibtisch holt - es liegt inzwischen ganz unten - und dann schamrot wird, wenn man es aufschlägt. Was haben wir für Erfolge im Lande erreicht, durchgesetzt, und nun mit einem Mal soll alles falsch gewesen sein?

Meine Damen und Herren, Pflegeversicherung gegenüber Eingliederungshilfe, lassen Sie mich jetzt die Grundpositionen der vier großen Fachverbände der Behindertenhilfe zu diesem Thema verlesen. Es sind wenige Absätze. Jene Verbände repräsentieren gut 90 Prozent der Angebote für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Ihnen vor diesem Hintergrund eine Fachkompetenz in diesem Fragebereich abzusprechen, wäre kühn, paßt aber in das sozialpolitische Klima unserer Tage, bundesweit. Ich verlese Ihnen jetzt die knapp formulierten Thesen:

  1. Die Eingliederungshilfe gem. § 39 f. BSHG ist die universelle Hilfe für alle Menschen mit wesentlichen Behinderungen.

  2. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe geleistet wird, ist nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers als ganzheitliche Hilfe zu konzipieren, die nicht in pädagogische, rehabilitative und pflegerische Einzelleistung zerlegt werden darf.

  3. Eingliederungshilfe in Einrichtungen der Behindertenhilfe umfaßt alle Leistungen, die dazu beitragen können, einen Menschen mit Behinderung so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Dazu gehören auch Verrichtungen, die bei isolierter Betrachtung als Leistung der Grundpflege anzusehen wären.

  4. Ein Anspruch auf soziale Eingliederung steht grundsätzlich jeder wesentlich behinderten Person zu. Kein Mensch mit Behinderung ist von diesem Anspruch ausgeschlossen. Kein Mensch mit geistiger oder mehrfacher Behinderung darf zum reinen Pflegefall erklärt und von den Errungenschaften und Erkenntnissen der Heilpädagogik bzw. der Sozialwissenschaften abgeschnitten werden. Soziale Eingliederung kann auch für behinderte Menschen mit hohem Pflegebedarf innerhalb einer Einrichtung der Behindertenhilfe geleistet werden. Eine Einrichtung, die dieses Ziel verfolgt, ist eine Einrichtung für Behinderte im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI.

  5. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe ist im Vergleich mit den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung keine nachrangige, sondern eine gleichrangige Hilfe. Maßgeblicher Verhandlungspartner und Kostenträger für Einrichtungen der Behindertenhilfe ist der Träger der Sozialhilfe.

  6. Das erste SGB XI-Änderungsgesetz strebt eine klare Trennung und Abgrenzung von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe an.

  7. Zweck und Konzeption einer Einrichtung der Behindertenhilfe werden auf der Basis des betreuten Personenkreises vom Einrichtungsträger bestimmt und spiegeln sich in der ganzheitlichen Struktur der Arbeit und in der Auswahl und Zusammensetzung des Fachpersonals der Einrichtung wider.

  8. Komplex-Einrichtungen sind in der Regel gemäß ihrer Gesamtstruktur Einrichtun- gen der Behindertenhilfe.

  9. Versuche von Sozialhilfeträgern, die vom Gesetzgeber gewollte Abgrenzung zwischen Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe zu umgehen, verstoßen gegen die Zwecksetzung des Ersten SGB XI-Änderungs-gesetzes. Dies gilt insbesondere für die Teilumwandlung von Behindertenhilfeeinrichtungen in Pflegeeinrichtungen, verbunden mit einer Zwangsumsiedlung behinderter Menschen mit Pflegebedarf, für die Fehlplazierung von Menschen mit Behinderung in Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe, für die Ersetzung des überwiegend pädagogisch ausgebildeten Personals in Einrichtungen der Behindertenhilfe durch Pflegefachkräfte und für den Abbruch von Enthospitalisierungsprogrammen durch die Umwidmung von heilpädagogischen Heimen in Pflegeheime.

  10. Wegen ihres ganzheitlichen Ansatzes kann Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen strukturell nur als ergänzende Leistung zu einer anderen Hilfeart geleistet werden.

  11. Die Umwandlung einer Einrichtung der Behindertenhilfe in eine Pflegeeinrichtung ist gem. § 71 Abs. 4 SGB XI nur möglich, wenn die Einrichtung in freier Entscheidung ihr Konzept entsprechend verändert und die Pflege in den Vordergrund des Einrichtungszweckes stellt. Diese Konstellation wird in der Praxis allerdings kaum eintreten, weil viele alte pflegebedürftige Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe mit den Mitteln der Eingliederungshilfe in einer Weise betreut werden können, die ihren individuellen Bedarf und ihre bisherigen Lebensgewohnheiten berücksichtigt.

  12. Wer Eingliederungshilfe in einer Einrichtung der Behindertenhilfe beanspruchen kann, ist nicht in SGB XI geregelt, sondern entscheidet sich ausschließlich nach Maßgabe der §§ 39 ff. und § 3 f. BSHG. Nach diesen Bestimmungen ist der individuelle Bedarf des behinderten Menschen an Hilfe zur Eingliederung in die Gemeinschaft ausschlaggebend für die Anerkennung eines Anspruchs auf stationäre Eingliederungshilfe. Für Menschen mit schwersten geistigen oder mehrfachen Behinderungen ist der Nachweis zu führen, daß die Hilfe geeignet ist, die für diese Menschen erreichbare Teilnahme am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Ich möchte hierzu ein Beispiel aus der Praxis bringen. Ein Mensch mit einer schweren geistigen Behinderung und mit einer schweren Körperbehinderung müßte eigentlich, nachdem was angedacht wird, in eine Pflegeeinrichtung, denn Pflegeanteile wären doch im Vordergrund zu sehen. Ich habe beobachten können und miterlebt, wie dieser Mensch bei einer "Pflegehandlung" nun betreut wurde. Dieser Mensch, der in einer Badewanne lag, gebadet wurde, über ihm ein großer Spiegel und der sich nun in diesem Spiegel plötzlich sah, wie er mitbekam, was mit ihm geschah. Und mit einem Male öffnete er sich und das Fachpersonal bezog er mit ein: Dieser Mensch erfuhr sich selbst in einer ganz besonderen Weise. In einer Pflegeeinrichtung wäre so etwas nach meinem Wissensstand und meinen Beobachtungen aufgrund von Abrechnungsmodalitäten gar nicht möglich.

Wenn Sie mich abschließend fragen, wie soll das weitergehen, möchte ich einfach darauf hinweisen, daß wir ja zur Zeit in einem Umbruch sind, alle Einrichtungen wissen, daß auf sie etwas zukommt. "Gewinner und Verlierer" wird es geben, heißt es im Sozialministerium. Aufgrund der Kostenneutralität, die gefordert ist - und es gibt neue Papiere, die auch für 1999 eine Kostenneutralität im Blick auf heute sehen -, gehen wir in Einrichtungen der Eingliederungshilfe davon aus, daß ein Mehr sowieso nicht möglich ist, daß eher mit einem Weniger zu rechnen ist, also die Qualität sinken wird. Die Politik möge doch bitte eindeutig sagen, daß aufgrund fiskalischer Notwendigkeiten die Qualität abgesenkt werden muß in der Betreuung geistig behinderter Menschen. Und wenn jetzt in dieser Übergangssituation, die extrem belastend ist, auch noch diese Konflikte ausgetragen werden, die nach meinem Verständnis im Grunde genommen nur mit Gesetzesauslegungsproblematiken zu tun haben, dann geraten jene Menschen noch mehr unter Druck, und wir haben eine unerträgliche Situation. Von daher wäre es sinnvoll, wir würden erst einmal versuchen, in das Jahr 1999 zu kommen, die entsprechenden Rahmenverträge und Leistungsvereinbarungen abschließen, um dann erneut, wenn es denn sein muß, uns diesem Thema zuzuwenden. Grundposition ist natürlich die: Jeder Mensch, der in die Pflegeversicherung einbezahlt, egal wer das für ihn tut, hat das Recht und den Anspruch auf volle Leistung, unabhängig von seiner Grundbehinderung, von seiner grundkörperlichen Befindlichkeit. Die 1.000,- DM Regelung, auf die Herr Ramms aufmerksam machte, die in der Tat auch von den Fachverbänden als "fauler Kompromiß" für gut gehalten wird, diese 1.000,- DM sind ein Kompromiß.

Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit am 2. April eine Entschließung mit folgendem Wortlaut zu der Umwidmung von vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe in Pflegeeinrichtungen verabschiedet. Dort stellt der Deutsche Bundestag fest:

1.) "Der im Vermittlungsverfahren zum Ersten SGB XI-Änderungsgesetz als Kompromiß beschlossene § 43 a sollte der Umwidmung und der damit verbundenen Umstrukturierung von Einrichtungen der Behindertenhilfe entgegenwirken, um den dort praktizierten und bewährten ganzheitlichen Betreuungssatz für Behinderte zu erhalten.

2.) Der Deutsche Bundestag bekräftigt deshalb:

  • Die Ganzheitlichkeit des Betreuungsansatzes in Einrichtungen der Behindertenhilfe darf nicht gefährdet werden. Allein aus finanziellen Interessen der Sozialhilfeträger darf es nicht zu einer Umwidmung in Pflegeplätze kommen.

  • Eine Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung für pflegebedürftige Behinderte in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ist kein geeigneter Weg zur Lösung der Problematik, weil dadurch der weit überwiegende Teil der Behinderten weiterhin bei Vorliegen der übrigen sozialhilferechtlichen Voraussetzungen Eingliederungshilfe beziehen müßte. Für diesen weit überwiegenden Teil der Behinderten verringerte die Anhebung der Leistung der Pflegeversicherung nur das Ausmaß der Abhängigkeit von der Sozialhilfe, beseitige diese Abhängigkeit jedoch nicht. Das Kostengefälle zwischen vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflegeeinrichtung würde nicht beseitigt. Der finanzielle Anreiz für die Sozialträger zur Umwidmung bestünde weiter.

3.) Der Deutsche Bundestag fordert die Sozialhilfeträger deshalb auf, den in § 43 a SGB XI zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers zu respektieren und sicherzustellen, daß kein pflegebedürftiger behinderter Mensch gegen seinen Willen allein aus finanziellen Gründen gezwungen wird, in eine Pflegeeinrichtung zu gehen oder zu wechseln."

Meine Damen und Herren, das war meine Ergänzung zu den Ausführungen von Herrn Ramms.

Selbständig und selbstbestimmt Leben - Welche Möglichkeiten bietet die Pflegeversicherung dazu?[1]

Dr. Robert Paquet, Vorstandsvorsitzender des BKK Landesverbandes Niedersachsen

erst in den letzten Tagen ist mir klargeworden, auf welches Minenfeld Sie mich mit der Einladung zu dieser Veranstaltung gelockt haben. Das kommt auch daher, daß normalerweise die Pflegeversicherung in den Verbänden der Krankenversicherung eine weniger bedeutende Rolle spielt, weil die Konflikte nicht so spektakulär sind wie etwa bei der zahnärztlichen Versorgung. Hier ist mir jedoch etwas klargeworden, was mich zu dieser Vorbemerkung veranlaßt:

Ich bin kein Jurist, und ich werde und will mich auch nicht zu laufenden Verfahren äußern. Ich spreche hier nur als Vertreter der Betriebskrankenkassen und nicht für die GKV insgesamt, und ich erlaube mir dabei, auch ganz persönliche Ansichten zur Pflegeversicherung vorzutragen.

In einigen Punkten bin ich mir mit denjenigen, die bisher vorgetragen haben, hoffnungslos einig, z. B. daß die Pflegeversicherung ursprünglich ganz andere Zwecke verfolgt hat, als die pflegebedürftigen Behinderten zu unterstützen. So ist das Gesetz z. B. stark geprägt von Analogien zum Krankenhausfinanzierungsgesetz; ein Ziel der Pflegeversicherung war z. B. ganz eindeutig die Fehlbelegung in den Krankenhäusern durch ältere pflegebedürftige Patienten zu reduzieren und für diese besondere Einrichtungen und Unterstützungsformen zu finden. Das ist ein Punkt, der in vieler Hinsicht die Regelungen innerhalb der Pflegeversicherung geprägt hat, u. a. § 71, in dem sehr stark auf Krankenpflege abgehoben wird.

Ebenfalls bin ich damit einig, daß die Behinderten erst später in dieses Gesetz hineingebracht worden sind und daß das sehr kompromißhaft ist.

Die Pflegekassen zahlen - das möchte ich unterstreichen -, wenn sie dazu verpflichtet sind. Und hier möchte ich Herrn Isermeyer widersprechen. Die Auslegung der Gesetze ist hier gerade nicht besonders elastisch, ganz im Gegenteil. Der Gesetzgeber des Pflegeversicherungsgesetzes hat in einer sehr engherzigen Art und Weise spezifiziert, was er wollte. Man kann davon sehr vieles unsinnig finden oder nicht damit einverstanden sein, aber es gibt einige Formulierungen, die uns sehr eng binden, ganz im Gegensatz zu dem, was wir aus der Krankenversicherung gewohnt sind. Deswegen sind wir hier tatsächlich sehr eingeschränkt. Allerdings hat das auch positive Aspekte, weil die Finanzgrundlage der Pflegeversicherung z. Z. nicht so knapp ist. Die Lage ist entspannt und jede einzelne Kasse, die einen Leistungsfall zu entscheiden hat, wird dies mit verhältnismäßiger Großzügigkeit tun, weil die Pflegeversicherung insgesamt eine Einheitsversicherung ist und es insoweit gar kein spezifisches Interesse der einzelnen Institutionen zu restriktiven Entscheidungen gibt. Allerdings sind die Richtlinien, nach denen wir etwas zu entscheiden haben, außerordentlich rigide und im Grunde genommen Verwaltungsrichtlinien, die von der Bundesebene und dort vom Ministerium (BMA) gemacht werden; sie werden nur pro forma von den Selbstverwaltungsorganen der Pflegeversicherung gemacht. Das Genehmigungsverfahren ist so streng, daß wir im Grunde genommen nur Verwaltungsvollzugsbehörde für das sind, was aus den Ministerien kommt.

1.- Die mir in der Überschrift gestellte Frage hat selbstverständlich rhetorischen Charakter. Wenn man sie beantworten wollte, müßte man ehrlicherweise sagen: Zum selbständigen und selbstbestimmten Leben hilft die Pflegeversicherung nur in einigen Fällen im Sinne einer Teilleistung. Wieweit dies der "Würde des Menschen" entspricht, so wie sie etwa in § 2 Abs 1 SGB XI angesprochen ist, hängt von den Leistungen der Pflegeversicherung (PV) daher auch nur teilweise ab.

Man hätte vielleicht schon damals im Gesetzestext und in der politischen Ankündigung mit den vollmundigen Äußerungen vorsichtiger sein sollen. Zumindest heute sollten wir bescheidener und realistischer formulieren.

Das hat auch die Antwort der niedersächsischen Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu diesem Thema deutlich gemacht. Gut ist danach an der PV

- die Einführung eines Rechtsanspruchs auf die Versicherungsleistung,

- die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen,

- die Ausdifferenzierung der Leistungen in ambulant, teilstationär und stationär etc.

- die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Pflegepersonen und

- die damit verbundene Entlastung der Sozialhilfe.

Sie hören also nichts mehr von Emphase! Das klingt inzwischen alles ziemlich unpathetisch.

Im Bericht der Landesregierung selbst wird nüchtern festgestellt, daß nur "wenige Personen ... durch die Leistungen der Pflegeversicherung tatsächlich unabhängig von staatlichen Transferleistungen, insbesondere der Sozialhilfe, geworden (sind)". Das zentrale Ziel der PV sei damit bislang nur ungenügend erreicht worden. Und Minister Weber hat deshalb in der entsprechenden Debatte im Landtag die Bilanz der PV nach drei Jahren auch als "zwiespältig" bezeichnet.

Was sind die wichtigsten Kritikpunkte, die in der Öffentlichkeit gegenüber der Pflegeversicherung vorgetragen werden:

  • Es fehlt die Stufe "Null" der Pflegebedürftigkeit.

  • Es wird vom MdK zu rigide begutachtet und zu viele bekommen keine Leistung.

  • Die Leistungen werden zu "technisch",d. h. vorwiegend medizinisch und körperpflegerisch begriffen und die menschliche Zuwendung, das persönliche Gespräch bleiben auf der Strecke. Die Pflege sei eben gerade nicht "aktivierend". Wir bräuchten eine "neue Kultur des Helfens" (Minister Weber im Landtag).

  • Pflegebedürftige und ihre Pflegepersonen werden zu wenig "sozialpflegerisch" unterstützt und beraten.

  • Vor allem für demente alte Menschen, psychisch Kranke und geistig Behinderte wird zu wenig getan.

  • Der Grundsatz, Rehabilitation vor Pflege, wird mangelhaft umgesetzt.

Diese Kritik ist zwar in vieler Hinsicht berechtigt, aber sie muß auch gesehen werden vor dem Hintergrund überzogener Erwartungen und Hoffnungen, die alle Parteien zur Pflegeversicherung provoziert haben. Daß sich bei dem vertretbaren Kostenrahmen erstens eine sehr enge Definition des Leistungsumfangs zwingend ergibt und zweitens die Zugangsberechtigung restriktiv gehandhabt werden muß, hätte eigentlich allen Beteiligten (des bundespolitischen Kompromisses zur PV) klar sein müssen. Und insoweit sollten wir keine Krokodilstränen vergießen. Hier müssen wir mit äußerster Knappheit leben.

Trotzdem sind diese Mißverständnisse durch die Regelungen des Gesetzes mit erzeugt, und einige weitere Probleme sind zusätzlich hineingebaut. Insoweit muß über die Geburtsfehler bzw. Konstruktionsprobleme der PV geredet werden, mit denen viele der genannten Punkte zusammenhängen.

2.- So ist Kritik an der Pflegeversicherung etwa insoweit berechtigt, als sie aus ökonomischen Gründen tatsächlich nur einen finanziellen Zuschuß bzw. einen fixen Geldbetrag leistet. Zu einer Voll-Leistungs-finanzierung ist und war sie nicht in der Lage. Das System hat dabei zwar noch überwiegend Sachleistungscharakter; immerhin ein Vorteil wegen der Kontrollmöglichkeiten der Pflegekassen gegenüber den Leistungserbringern in Sachen Qualitätssicherung und wegen der Aushandlung der Leistungsentgelte. - Die PV ist jedoch faktisch auf die Zahlung von Festzuschüssen (ähnlich den in der GKV bekannten Festbeträgen bei Arzneimitteln und Zahnersatz) beschränkt. Hier wurden andere Illusionen gepflegt.

Ich nenne dieses Phänomen das "unechte Sachleistungsprinzip" in der PV. Es lag und liegt immer auf der Hand, daß solche Fixbeträge als Leistungen für eine menschenwürdige Pflege bzw. Lebensführung meist nicht ausreichen - vor allem im stationären Bereich - und daher "die Spitze" bei über der Hälfte der Fälle an der Sozialhilfe hängenbleibt. Bei den übrigen Fällen ist die Rest-Deckung privat zu finanzieren. Dieses Ergebnis ist jedoch unausweichlich, wenn die finanziellen Leistungsobergrenzen im Gesetz so festgelegt werden, wie es der Fall ist.

3.- Ein anderer grundlegender Aspekt mit hohem ideologischen Gehalt ist, daß der Pflegeversicherung ein realitätsfernes Familienmodell zugrundeliegt (vgl. §§ 3 und 4 Abs. 2), das aus dem Subsidiaritätsgedanken erwächst. Ausdruck davon ist der Vorrang der häuslichen Pflege und die generelle Differenz zwischen dem Leistungsvolumen bei der Sachleistung (§ 36) und den geringeren Zuschüssen (§ 37) für die selbstbeschaffte Pflegehilfe. Das Problem kulminiert z. B. in § 77, mit dem die Sachleistung durch einzelne Personen ausgeschlossen wird, wenn diese mit dem zu Pflegenden verwandt sind bzw. ein Beschäftigungsverhältnis mit ihm haben.

Ich will hier nicht explizit für das sog. "Arbeitgebermodell" eintreten, weil ich die Konsequenzen im Moment nicht ausreichend überblicke. Aber es hätte zumindest eines für sich: Es trüge nämlich dem Grundsatz der Selbstbestimmung wirklich Rechnung und entspräche klar einer Stärkung des Versicherungsprinzips.

4.- Behinderte (vor allem mit schweren Behinderungen) sind im Grunde vom Gesetzgeber der Pflegeversicherung "vergessen" worden. Da sie typischerweise in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und Eingliederunghilfe nach dem BSHG erhalten, bleibt für sie im Falle der Pflegebedürftigkeit praktisch nur die (unattraktive) Alternative, entweder in eine "Nur"-Pflegeeinrichtung umzuziehen und damit auf die fördernde und meist langjährig vertraute Umgebung zu verzichten, oder sich mit dem eher bescheidenen Zuschuß aus der Pflegeversicherung nach § 43a zu begnügen.

Es spricht im übrigen für sich, daß diese Regelung (zusammen mit § 71 Abs. 4) erst nachträglich in das SGB XI eingeflickt worden ist und den Charakter eines finanziellen Kompromisses nicht verleugnen kann.

5.- Das verweist auf ein generelles Problem der Pflegeversicherung: Sie ist ein sozialpolitisches Kompromißgebilde, das - wie es schon die Diskussion um ihre Einführung gezeigt hat - vor allem unter Finanzierungsaspekten diskutiert worden ist. Die Frage der Lebensqualität der Pflegebedürftigen (und ihrer Familien!) stand nicht gerade im Mittelpunkt der Auseinandersetzung und rückte gegenüber dem Lohnnebenkosten-Argument deutlich in den Hintergrund.

Die sozialen Dimensionen im Leben der Pflegebedürftigen kommen vor allem in den salvatorischen Formulierungen der ersten Paragraphen vor. Wo es ernst wird, nämlich im abschließend aufgezählten Bereich der Leistungen, zählt dagegen praktisch kaum mehr als: "sicher, satt und sauber" (§ 28).

Die Pflegekassen bedauern dies, und viele unserer Mitarbeiter empfinden dabei auch persönliche Konflikte, wenn sie dementsprechend rigide Entscheidungen treffen müssen. Wir haben jedoch faktisch keinen Ermessensspielraum und sind durch die bundesweit einheitlich geltenden, höchst detaillierten Regelungen für den Vollzug des SGB XI in ein (auch finanziell) atemberaubendes Korsett eingezwängt.

6.- Mit einer nennenswerten Weiterentwicklung der PV in leistungsrechtlicher Hinsicht ist kaum zu rechnen. Wir sollten das - trotz allem Bedauern - offen bekennen. Das hängt schlicht mit der Finanzierungssituation zusammen. Vor diesem Hintergrund sind z. B. leider auch die Modellmaßnahmen des BMA zur Verbesserung der Versorgung der Pflegebedürftigen nahe am Etikettenschwindel.

Die Themen sind sachlich nur zu gerechtfertigt:

  • Verbesserung der pflegerischen Infrastruktur durch abgestimmte unterschiedliche Einrichtungstypen und innovative Formen für Pflegedienste,

  • Erprobung von Pflegeeinrichtungen für besondere Gruppen von Pflegebedürftigen,

  • Vernetzung und Koordination ambulanter pflegerischer und sozialer Dienste etc. in der Gemeinde und

  • die Beratung, Aus- und Weiterbildung durch Schulung von Angehörigen, Nachbarn, Pflegenden und Pflegepersonal etc. (vgl. BMA: "Sozialbericht 1997", S.79).

Wenn allerdings von vornherein klar ist, daß viele so geförderte Maßnahmen überhaupt keine Chance haben, in die Regelleistung der PV übernommen zu werden oder durch die Kommunen weiterfinanziert zu werden, ist das ein Mißbrauch des Engagements der Mitarbeiter solcher Modellversuche und ein Stück weit Täuschung des Publikums.

Aber auch auf Landesebene gibt es wegen der Finanzmisere kaum kreative Möglichkeiten, die entsprechenden Intentionen umzusetzen. In den § 16 des Niedersächsischen Pflegegesetzes "Förderung neuartiger Maßnahmen" wird keine große Summe gesteckt werden können.

7.- ie sehr es bei der PV um die rein fiskalischen Aspekte geht, zeigt auch die letzte Initiative der FDP, die inzwischen aufgefüllten Rücklagen der PV (ca. 14 Mrd.) in Form von Beitragssatzsenkungen an die Beitragszahler "zurückzugeben". Da das auch in der Regierungskoalition nicht durchzusetzen war, hat die FDP im Gegenzug den (geringfügigen) Leistungsverbesserungen nicht zugestimmt, die ursprünglich von den Sozialpolitikern der SPD, CDU und FDP gemeinsam verabredet worden waren (mit Gesamtkosten von 260 Mio DM):

  • Verzicht auf Rückforderung des Pflegegeldes im Sterbemonat des Pflegebedürftigen,

  • Verbesserungen bei der professionellen Betreuung nachts und am Tage,

  • Verbesserungen bei der Urlaubs- und Kurzzeitpflege,

  • Übernahme der Kosten für die Pflege-Pflichtkontrolle (§ 37 Abs. 3) durch die PV.

Die Spitzenverbände der Pflegekassen haben sich im Interesse der Stabilität der Beitragsentwicklung in der PV ebenfalls - wie der BMA - gegen eine Absenkung der Beiträge ausgesprochen und andererseits die vorgeschlagenen Leistungsverbesserungen unterstützt.

Der gesamte Vorgang zeigt nur exemplarisch, wie sehr die Sozialleistungssysteme inzwischen zum Zankapfel geworden sind und es kaum mehr eine parteiübergreifende, gemeinsame Verantwortung für deren gedeihliche Weiterentwicklung gibt. - Die angesprochenen Gesetzentwürfe sind inzwischen im Bundestag behandelt worden und wurden bis auf die Verlängerung der Übergangsregelung zu § 43 SGB XI alle abgelehnt.

8.- Auch die Zuständigkeitsverteilung auf die beiden Bonner Ministerien BMG und BMA trägt nicht gerade zur Plausibilität und Praktikabilität der uns betreffenden Regelungen bei. Während der BMA fast ausschließlich die finanzielle Stabilität der Pflegeversicherung im Auge haben muß und demzufolge alle weitergehenden Ansprüche z. B. der Behinderteneinrichtungen an die PV abwehren muß, muß der BMG dasselbe tun im Hinblick auf die Sozialhilfe, die in seiner Zuständigkeit ressortiert.

Die Pflegeversicherung, insbesondere in Form ihres institutionellen Trägers, nämlich der GKV, muß das dann ausbaden. Es ist schier unglaublich, wie dieses Gesetz in den wenigen Jahren seiner Geltung Änderungen, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen, Richtlinien und Landesgesetze etc. nach sich gezogen hat. Zum großen Teil mit Formelkompromissen und lebensfremder Begriffshuberei.

Sie können sicher sein, daß sich unsere Mitarbeiter nicht gerade freuen, wenn sie für Verträge oder Schiedsämter oder auch Gerichte z. B. die sozialen Integrationsaspekte der Eingliederungshilfe definitorisch säuberlich trennen müssen von den sozial-kommunikativen Aufgaben der Pflegeversicherung.

Oder ganz generell "Behinderung" und "Pflegebedürftigkeit" immer auseinanderzuhalten, obwohl in vielen Fällen das meiste, das für die betroffenen Menschen praktisch zu tun wäre, gleich ist.

Oder wenn man sich die Eingliederungshilfe - entgegen dem unbefangen wahrgenommenen Wortsinn - als lebenslange Dauerfinanzierung vorstellen muß.

Oder wenn man die Pflegeleistungen - ganz der Lebenspraxis entsprechend - so genau trennen muß von den "Hotel"-Kosten, die der Pflegebedürftige doch in "Eigenverantwortung" zu finanzieren hat (§ 4 Abs. 2).

Oder wenn man für die morgendliche Körperpflege die einzelnen Verrichtungen in Minutenbruchteile zerlegen muß und das auch noch in der Öffentlichkeit als großartige Sozialleistung rechtfertigen soll.

Das motiviert alles schon sehr! - Auch die Pflegekassen lieben die Bürokratie nicht. Aber nach jedem Genehmigungsversuch beim BMA ist z. B. das Päckchen mit den Begutachtungs-Richtlinien für den Medizinischen Dienst (für die verschiedenen Pflegestufen) dicker geworden. Die Selbstverwaltungs-"Autonomie" besteht in der Pflegeversicherung nur pro forma; in Wahrheit entscheidet das Ministerium. Die Pflegekassen sind auch beim Verwaltungsaufwand mehr Opfer als Täter.

9.- Immerhin hat der BMG mit seiner Zuständigkeit für die GKV (SGB V) und das BSHG doch gleichgerichtete Ziele seiner beiden Abteilungen, nämlich diese Sozialleistungsbereiche auf Kosten der PV zu entlasten. So kommen dann so "schlaue" Kompromisse zustande, wie die zeitlich befristete Zuständigkeit der PV für die medizinische Behandlungspflege im stationären Bereich (§ 43 Abs. 3).

10.- Fiktion ist auch weitgehend die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen und der Behinderten, so wie sie in den Zielsetzungs-Paragraphen der beiden Gesetze (BSHG und SGB XI) vorgesehen ist.

Ich habe schon auf die "unattraktive Alternative" im Falle der Pflegebedürftigkeit von Behinderten hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem Stichwort "Selbstbestimmung" wird hier eine Gefahr deutlich. Da der Sozialhilfeträger bei Behinderten in vielen Fällen diese Entscheidungen selbst treffen muß, kommt er in Konflikt mit seinen ökonomischen Interessen. Wenn er - legitimerweise - versucht, sich finanziell zu entlasten und pflegebedürftige Behinderte in Pflegeeinrichtungen unterbringt, vernachlässigt er möglicherweise deren Ansprüche auf die mit der Eingliederungshilfe verbundenen fördernden Lebensbedingungen. Eine fördernde Lebenssituation dürfte nämlich für Behinderte in Pflegeeinrichtungen weniger wahrscheinlich sein, obwohl auch dort der "ergänzende" Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem BSHG fortbesteht (vgl. § 13 SGB XI).

Der Sozialhilfeträger käme seiner sozialen Verantwortung für die betroffenen Personen im allgemeinen wohl am besten nach, wenn er die Behinderten in den Einrichtungen der vollstationären Behindertenhilfe beließe, aber damit auch in Kauf nähme, daß er nach § 43a von der PV nur maximal 500 DM pro Kopf bekommt.

Diese Situation ist uns durch den Gesetzgeber aufgezwungen. Ich will nicht über das Parlament und seine unglücklichen Regelungsergebnisse schelten. Aber gut gemeint ist eben nicht gleich gut. Jedenfalls hier und jetzt führt es dazu, daß jeder der Beteiligten versucht, sich so gut es geht, aus der (finanziellen) Verantwortung zu winden.

Eine bemerkenswerte Variante dazu findet zur Zeit nicht nur in Niedersachsen statt: Die Sozialhilfeträger versuchen - in offensichtlichem Gegensatz zu den expliziten Bestimmungen des SGB XI - Behindertenheime in Pflegeeinrichtungen umzudefinieren, um an das Geld der PV zu kommen und trotzdem den Behinderten eine weitgehend unveränderte Wohn- und Lebenssituation zu sichern.

Man sieht: Bei aller Kritik am SGB XI setzt die Pflegeversicherung doch auch Kreativität frei. Leider an der falschen Stelle.

Ich gebe zu, daß der Argumentationsrahmen unbequem ist. Aber wir müssen an den expliziten Qualitäts- bzw. Qualifikationsanforderungen für Pflegeeinrichtungen und ihre Mitarbeiter festhalten (§ 71 (1) und (3)). Wir haben selbst hier keinen Spielraum und dürfen - auch aus finanziellen Gründen - keine Präzedenzfälle durch die Anerkennung von Einrichtungen in einer "Grauzone" schaffen.

Dasselbe gilt auch für das Erfordernis der "wirtschaftlichen Selbständigkeit" der Pflegeeinrichtungen (§ 71 Abs. 2). Ich zitiere hierzu die offizielle Gesetzesbegründung: "Wirtschaftliche Selbständigkeit ist zum einen deswegen erforderlich, um die unterschiedlichen Finanzierungsverantwortlichkeiten und Vergütungssysteme für Pflegeeinrichtungen einerseits und beispielsweise für Krankenhäuser andererseits sauber voneinander zu trennen. Sie soll zum anderen die wirtschaftliche und finanzielle Verantwortung und Eigenverantwortung des Trägers für die Pflegeeinrichtungen unterstreichen, mit denen er zur pflegerischen Versorgung der Versicherten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Leistungssystems der Pflegeversicherung nach § 81 (72 neue Zählung) zugelassen werden will. Das schließt - auch im Interesse der Beitragssatzstabilität - die Pflicht zu sparsamer Wirtschaftsführung ein, die eine der Grundanforderungen dieses Systems darstellt." Die Vorgabe der "wirtschaftlichen Unabhängigkeit" ist dabei auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) abgestimmt. Danach gehört die Umwidmung von Krankenhäusern oder Krankenhausabteilungen in Pflegeeinrichtungen oder "selbständige, organisatorisch und wirtschaftlich vom Krankenhaus getrennte Pflegeabteilungen" ausdrücklich zu den Aufgaben, die von den Ländern aus öffentlichen Mitteln zu fördern sind (§ 9 Abs 2 Nr.6 KHG).

Ich will das hier nicht weiter vertiefen, aber ein konsequentes Versicherungsprinzip bei den Leistungsansprüchen für die Pflegebedürftigen würde die Art der Einrichtung gleichgültig machen. Es müßte dann nur plausibel sein, daß Pflege auf angemessenem Qualitätsniveau stattfindet.

11.- Die bereits erwähnten Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages haben dazu zu einem interfraktionellen Entschließungsantrag geführt. Ich zitiere den Ausschußbericht; übrigens verweise ich dazu auch auf die Kontroverse, die von den vier Behindertenfachverbänden im Juli 1997 in Reaktion auf den Schnellbrief des BMG in dieser Angelegenheit ausgelöst worden ist:

"...Der Streit um die Abgrenzung der Eingliederungshilfe für Behinderte von den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung war dem Ausschuß ... bekannt. Die Behindertenverbände sprachen sich ... gegen die z. B. vom Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern unter dem Stichwort "Binnendifferenzierung" betriebene Umwandlung von Plätzen in Behinderteneinrichtungen in Pflegeplätze bzw. Pflegeabteilungen aus. Die überörtlichen Träger der Sozialhilfe hielten dagegen die "Binnendifferenzierung" für notwendig, weil in Einrichtungen der Behindertenhilfe z. T. Behinderte betreut werden, bei denen die Pflege gegenüber der Eingliederungshilfe weit im Vordergrund stehe. Daher sei es gerechtfertigt, für diese Behinderten durch eine "Binnendifferenzierung" die vollen Leistungen der Pflegeversicherung zu gewähren. Eine Verschlechterung der Betreuungssituation sei nach ihrer Ansicht mit der Umwandlung der Plätze nicht verbunden." So weit noch einmal die Problembeschreibung.

Der interfraktionelle Antrag weist das Modell der "Binnendifferenzierung" zurück und fordert die Sozialhilfeempfänger auf, "den Willen des Gesetzgebers zu respektieren und sicherzustellen, daß kein pflegebedürftiger behinderter Mensch gegen seinen Willen allein aus finanziellen Gründen gezwungen wird, in eine Pflegeeinrichtung zu gehen oder zu wechseln."

Das Festhalten des Antrags an der "Ganzheitlichkeit des Betreuungsansatzes in Einrichtungen der Behindertenhilfe" ist natürlich honorig formuliert, aber faktisch nichts anderes als die Bestätigung des gesetzgeberischen Kompromisses, der zu der Regelung nach den §§ 43a und 71 (4) SGB XI geführt hat. In der Sache bleibt das alles - wie schon gesagt - durchaus unbefriedigend.

Im Hintergrund steht natürlich wieder eines der Grundprobleme der PV:

12.- Das besteht darin, daß der Leistungsanspruch sich zwar auf Berechtigte mit Pflegebedürftigkeit bezieht, jedoch rechtlich nicht konsequent als personenbezogener Anspruch ausgebildet ist. Denn (abstrakt formuliert) im schon angesprochenen Spannungsfeld zwischen Sachleistung und Geldzuschuß - ist die Leistungsberechtigung sehr stark durch institutionelle Bedingungen überformt,sodas schließlich der Eindruck entstehen könnte, bestimmte Einrichtungen - mit Personal, das nach Anzahl und Ausbildung bestimmte Voraussetzungen erfüllt - hätten den Anspruch, für ihre "Insassen" Leistungen der Pflegeversicherung zu erhalten.

13.- Kurz vor Schluß möchte ich einen grundsätzlichen ordnungspolitischen Vorschlag machen: Die Integration der PV als weitere Leistungsart in die GKV wäre wünschenswert, weil damit eine künstliche und nicht sachgerechte Trennung überwunden würde. Wettbewerbliche Vertragsgestaltung würde auch hier die Situation verbessern, und gleichzeitig würde im Leistungsbereich die Verschieberei gestoppt und z. B. könnte der Grundsatz 'Reha vor Pflege' sinnvoll umgesetzt werden. Die GKV bzw. jede einzelne Kasse hätte immerhin ein direktes ökonomisches Interesse an der pflegerisch-qualitativen und ökonomischen Optimierung der Versorgung ihrer Pflegebedürftigen.

Gelöst werden müßte dann die Integration dieser Leistung in den Risikostrukturausgleich und für die Pflege müßten Vorkehrungen gegen Risikoselektion getroffen werden. Aber nach den bisherigen Erfahrungen sind diese Probleme lösbar und die Vorteile einer solchen Integration würden überwiegen.

14.-Nun mein abschließender Gedanke: Pflege ist kein "technischer" Vorgang, wie es in einer Bemerkung des bereits erwähnten BMG-Schnellbriefs nahegelegt wird. Sondern die sozialen, d. h. zwischenmenschlichen Aspekte sind fast immer untrennbar in die Pflegevollzüge, die pflegenden Handlungen hineinverwoben. Es gibt faktisch keine Fallgruppe pflegebedürftiger behinderter Menschen, die "ausschließlich der Pflege bedürfte" (Zitat Schnellbrief). Ich bin sicher, das gibt es nicht einmal bei den Nichtbehinderten.

Auch die Ausführungen, die in den Rahmenvereinbarungen nach § 75 Abs. 1 SGB XI zum Thema "soziale Betreuung" als Leistungskomponente gemacht werden, sind ein Beweis für die Schwierigkeit der Definition. Dabei liegt auf der Hand, daß "soziale" Betreuung auch eine geradezu selbstverständliche Komponente der Hilfe bei der Nahrungsaufnahme oder bei der Körperpflege darstellt. Und z. B. die bei der "Hilfe zur Mobilität" benutzte Formulierung "Ermunterung" zum Aufstehen und Sich-Bewegen, zeigt, daß es auch bei der Mobilität um soziale Vermittlung, also Kommunikation und Ansprache geht. Das ist ja auch der Sinn der Forderung nach "aktivierender Pflege" (§ 2).

Obwohl ich das weiß, kann und darf ich nicht versprechen, daß die Pflegekassen künftig irgendwann mehr bezahlen können. Wir sind in Entscheidungszwänge hineingepreßt, die uns dafür keine Spielräume lassen.

Wir sollten aber trotzdem nicht das Bewußtsein verlieren, daß wir es hier mit höchst prekären Leistungsdefinitionen zu tun haben, die die Lebenswirklichkeit zwangsläufig verzerrt abbilden. Vielleicht hilft dieses Bewußtsein wenigstens, in der Zukunft einige maßvolle, bescheidene, aber auch intelligente Verbesserungen der gesetzlichen Grundlagen zu erreichen



[1] Die Form des mündlichen Vortrags wurde für die Dokumentation beibehalten. Literatur beim Verfasser.

Auf viele Versprechungen folgen viele Enttäuschungen - Die Pflegeversicherung hat nicht gehalten, was wir uns versprochen haben

Gudrun Freyjer, Behindertenbeauftragte der Stadt Göttingen

mein Name ist Gudrun Freyjer, ich bin die Behindertenbeauftragte der Stadt Göttingen und bin hier in einer Doppelfunktion: Zum einen bin ich Mitarbeiterin des Sozialamtes der Stadt Göttingen und sehe die Folgen der Pflegeversicherung aus Sicht der Verwaltung, zum anderen bin ich selbst behindert (Pflegestufe II), d.h. ich habe meine eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen zu dem Thema Pflegeversicherung beizutragen.

Als Sozialamtsmitarbeiterin habe ich eine Menge an Erwartungen an die Pflegeversicherung zu repräsentieren. Wir hatten uns erhofft, von unseren hohen Kosten entlastet zu werden. Wir hatten uns erhofft, aus unserer Beratungsarbeit herauszukommen, d. h., daß die Menschen, die die Pflegeversicherung in Anspruch nehmen können, nicht zum Sozialamt kommen müssen und daß wir hier Personal einsparen, weil wir mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Leider war das in den letzten fünf Jahren nicht der Fall - das haben die Vorredner auch schon dargestellt -, die Situation ist im Gegenteil sehr bedrückend geworden. Wir haben eine Zunahme an Notlagen im Bereich der ambulanten Pflege oder Assistenz. Das bedeutet, wir haben eine Reihe von behinderten Menschen, die aufgrund der Pflegeversicherung heute schlechter gestellt sind als noch vor fünf Jahren. Vor fünf Jahren war es so, daß ein Anspruch an das Bundessozialhilfegesetz bestand, soweit Pflegebedürftigkeit vorlag, es wurden pauschale Leistungen gewährt und darüber hinaus konnten noch, wenn es die Situation erforderte, aufgrund bestimmter eingliederungshilferechtlicher Maßgaben zusätzliche Hilfen im Bereich der Freizeitmaßnahmen, im Bereich der beruflichen Bildung, der Ausbildung, der Berufsausübung usw. gewährt werden All diese Dinge sind heute zersplittert. Seit Einführung der Pflegeversicherung hat der Sozialträger natürlich versucht, seine Kosten zu reduzieren. Er hat die behinderten Menschen aufgefordert, nicht nur die Pflegeleistung, sondern sofort die Pflegestufe III zu beantragen. Das führte schon zu Beginn der Pflegeversicherung dazu, daß eine Reihe von Pflegebedürftigen nicht mehr in die höchste Pflegestufe eingestuft wurde, wie zuvor nach dem BSHG, sondern sie wurden sogar heruntergestuft. Das betraf vor allem Rollstuhlfahrer, die besonders fit und aktiv waren, sie wurden teilweise in die Pflegestufe 0 oder I eingestuft. Das bedeutete, daß die Menschen beim Sozialamt ihre Anträge stellen mußten. Häufig wurden sie verwiesen auf die abschließende Beurteilung der Pflegeversicherung, d. h., wenn der Medizinische Dienst festgestellt hat, sie sind nicht mehr so pflegebedürftig wie nach dem Bundessozialhilfegesetz, bekamen sie weniger, auch vom Sozialhilfeträger. Das waren Situationen, wo Menschen dann anschließend bei mir am Schreibtisch standen und mich um Hilfe baten, weil sie sich nicht mehr zu helfen wußten, weil es ihnen schlechter ging und sie nicht mehr wußten, wie sie ihre Kosten tragen konnten. Hierzu möchte ich erwähnen, daß es so etwas wie eine Bestandssicherung gab bei denjenigen, die vor Einführung der Pflegeversicherung das Arbeitgebermodell anwendeten, d. h., diejenigen, die bis dahin ihre Pflege selbst organisiert haben, konnten wenigstens den Betrag, den sie vorher bekommen haben, weiter erhalten. Allerdings muß ich dazu sagen, daß das Arbeitgebermodell in Göttingen in dem Sinne nicht besteht, wir haben eine aktive Selbsthilfe Körperbehinderter mit 24-Stunden-diensten und auch kleineren Stundeneinheitendiensten, die im Grunde so ähnlich gearbeitet haben wie die Arbeitgebermodelle, aber eben nicht von den Betroffenen selber organisiert wurden.

Die Situation spaltete sich zusätzlich noch in das Problem derjenigen, die vor Einführung der Pflegeversicherung ihre Rechte gegenüber dem Sozialamt durchsetzen konnten und die nach Einführung der Pflegeversicherung neue Anträge stellen mußten. Es konnte auch passieren, daß sie neue Anträge stellen mußten, weil sie unglückseligerweise z. B. als Student ein Stipendium bekommen haben für ein Auslandsstudium. So haben sie ein halbes Jahr im Ausland verbracht, ohne Leistungen der Pflegeversicherung (sie gilt nur für sechs Wochen), sind danach zurückgekommen und haben selbst diese Bestandswahrung auch noch verloren. Das heißt, die Leistungen wurden praktisch von einem Tag zum anderen reduziert.

Insgesamt sieht es jetzt so aus, daß z. B. eine 50jährige Frau vor Einführung der Pflegeversicherung einen 24-Stundendienst gehabt hat, über den Sozialhilfeträger finanziert. Nach Einführung der Pflegeversicherung hat sie eine Zeitlang die Bestandswahrung durchsetzen können. Nach ca. einem Jahr mußte der Leistungserbringer (Ambulanter Dienst) diese Verträge kündigen und sie ausschließlich auf die Sachleistungen der Pflegeversicherung verweisen. Die Dame hat dann natürlich Anträge gestellt, aber es ist abschlägig beschieden worden. Sie ist 50 Jahre und nicht berufstätig und hat jetzt nur die Möglichkeit, in ein Pflegeheim zu gehen. Das wurde mit einem Gutachten belegt, in dem stand, daß sie eines der geeigneten Altenpflegeheime in Göttingen aufsuchen könne. Das Gerichtsverfahren, das sie angestrebt hat, um ihren 24-Stundendienst durchzusetzen, sollte zwei Jahre dauern. In der Zeit hat sie nachts keine Hilfen bekommen. Ohne die Möglichkeit, selbständig telefonieren zu können, war sie allein in ihrer Wohnung, sie hatte niemanden in ihrer Wohnung und war völlig hilflos. Tagsüber hat sie für zwei Drittel des Tages Assistenz bekommen, Sachleistungen der Pflegeversicherung. Es ging durch die Presse - und deshalb kann ich das auch so schildern -, daß sie Erfolg hatte mit einem juristischen Trick. Sie hat das Verwaltungsverfahren abkürzen können, indem ihre Rechtsanwältin "Gefahr im Verzug" konstatiert hat, weil sie sich, wenn sie nachts nicht versorgt wird, in Lebensgefahr befindet. Das wurde belegt durch ärztliche Atteste, und damit hat sie es geschafft, die nächtliche Hilfe ebenfalls bewilligt zu bekommen - die nächtliche Hilfe, die ja eigentlich auch Bestandteil von Pflegestufe III ist, aber die Hilfe bezieht sich natürlich nicht auf die Anwesenheit einer Person über die ganze Nacht. Allerdings ist für die nächtliche Pflege keine krankenpflegerische Ausbildung notwendig, sondern es reicht z. B. ein Zivildienstleistender, weil die Dame durchaus in der Lage ist, jemanden anzuleiten und zu sagen, was sie zu tun haben und was nicht. Das gleiche gilt natürlich für den Tag, sie kann auch am Tag ihre Assistenten anleiten, sie ist überhaupt nicht angewiesen auf pflegerische Hilfe, Altenhilfe oder heilpädagogische Qualifikationen.

Die Rundumpflege für 24 Stunden kostet derzeit nahezu 14.000 DM monatlich, das ist Pflegestufe III, aber kein Härtefall. Sie hat es erreicht über eine einstweilige Anordnung vor Ende ihres Verwaltungsgerichtsverfahrens wenigstens einen Teil der notwendigen Assistenz zu bekommen, nämlich 18,5 Stunden, und damit kommt sie aus. Der Preis von 14.000 DM ist deshalb so hoch, weil die Ambulanten Dienste, wenn sie einen Vertrag mit der Pflegekasse haben wollen, qualifizierte Kräfte im Sinne von Pflegekräften vorhalten müssen. Dieser Ambulante Dienst (er ist eine Initiative des BSK), der jahrelang mit Zivildienstleistenden, mit Mädchen aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr sowie Studenten gearbeitet hat, muß jetzt plötzlich Krankenschwestern und Pflegepersonal vorhalten für eine Arbeit, die gleichgeblieben ist. Die Arbeit wird natürlich teurer, das ist völlig klar. Früher, als ich in Göttingen anfing, hat die 24-Stundenassistenz ca. 1.600 DM gekostet. Das waren lediglich Verwaltungskosten, da das Bundesamt für Zivildienst noch die Zivildienstleistenden bezahlt hat. Das wurde abgebaut, die Zahl wurde reduziert, 24 Stunden wurden nicht mehr mit 4 Zivildienstleistenden besetzt, sondern nur noch mit 3. Damit mußte wieder jemand aus dem Pflegebereich dazu finanziert werden. Die Pflegeversicherung hat uns letztlich den Rest gegeben und hat im ambulanten Bereich die Pflege eklatant verteuert. Der Sozialhilfeträger hat dadurch natürlich nicht gespart. Ganz im Gegenteil: Für den Sozialhilfeträger sind ja - im Gegensatz zu früher - durch die Mitfinanzierung der qualifizierten Pflegekräfte, die für die Assistenz von behinderten Menschen überhaupt nicht notwendig sind, die Kosten gestiegen. In diesem Fall kostet es ihn ca. 10.000 DM, die aus dem knappen Budget der Kommunen bezahlt werden müssen. Die Kommunen wehren sich natürlich, deshalb ist es aus der Sicht der Verwaltung durchaus verständlich, daß sie der Dame nahelegt, sich ins Heim zu begeben und das auch wunderbar mit einem juristischen Gutachten belegen kann. Es ist verständlich, daß sie versucht, sich von diesen Kosten zu entlasten, denn die Steuereinnahmen in den Kommunen werden immer geringer und die Aufgaben immer größer. Die Landesregierung verlagert, und "den letzten beißen die Hunde", so daß wir Behinderten letztlich die Finanzknappheit der Kommunen mit ausbaden müssen.

Besonders im Bereich der mehrfach behinderten Menschen, der geistig behinderten Menschen und auch der psychisch erkrankten Menschen haben wir eine hohe Anzahl an Personen, die in Pflegeheimen wohnen, aber dort nicht unbedingt sein wollen. Das heißt, die Angehörigen versuchen in Initiativen - jetzt berichte ich aus einer Arbeitsgruppe Wohnen des Behindertenbeirats der Stadt Göttingen - dafür zu sorgen, daß sie aus diesen Heimen ausziehen können bzw. nicht einziehen müssen. Die Kommunen haben natürlich, aufgrund der mangelhaften Leistungen der Pflegeversicherung und hohen Kosten, die die Pflegeversicherung verursacht, überhaupt kein Interesse daran, Initiativen dieser Art zu unterstützen. Das heißt nicht nur, daß jetzt die einzelnen Personen in Notsituationen geraten und nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag finanzieren können, sondern auch die Wahlmöglichkeiten, die behinderte Menschen bislang hatten, werden zunehmend eingeschränkt. Dazukommt noch ein weiteres fatales Problem. Im Zuge der Pflegeversicherung hat die Bundesregierung sehr schnell erkannt, daß dies teuer wird, also haben sie zusätzlich eine Sicherung eingebaut, damit es preiswerter wird, und haben in § 3 a BSHG festgelegt, es gilt nicht mehr ambulant vor stationär, sondern ambulant nur dann, wenn es nicht teurer ist als stationär. Damit ist sozusagen das Gesamtpaket perfekt, das Gesamtpaket der Bevormundung, ja das Wegnehmen von Grundrechten. Wir können nämlich nicht mehr wählen, wo wir hin wollen, und wir können auch nicht mehr wählen, wie wir leben wollen, sondern wir müssen uns den Finanzargumenten beugen.

Eine weitere Situation, die die Qualität der Versicherung angeht, möchte ich noch kurz schildern. Ein Kollege aus dem Sozialamt kam zu mir und sagte: "Wissen Sie, die Leistungen der Pflegeversicherung enden an der Haustür und in 1,70 m Höhe." Das fand ich ganz spannend. Tatsächlich ist es so, daß sich die Leistungen der Pflegeversicherung nur auf einen ganz kleinen Teil des Alltags von behinderten Menschen beziehen. Das heißt, Gardinen waschen und aufhängen, Deckenlampen reinigen usw. (also Dinge, die über 1,70 m Höhe liegen) sind im Grunde nicht mehr drin. Den Bettgalgen anbauen paßt gerade noch dazu. Ebenso gilt, ab Haustür ist die Pflegeversicherung mit ihren Leistungen nur dann noch zuständig, wenn es sich um einen Arztbesuch handelt, der begleitet werden muß, oder um einen Besuch von Physiotherapeuten etc. (medizinisch begründet), sie ist natürlich nicht mehr zuständig, wenn es sich um Besuche bei Freunden handelt, um ehrenamtliche Betätigungen, Ausbildung etc. Natürlich kommen die Betroffenen und sagen, daß sie es aber brauchen würden. Dann muß ich sagen, daß die Pflegeversicherung nicht leistet, daß Sozialhilfe beantragt werden muß. Das ist genau das, was wir nicht mehr wollten, wir wollten nicht mehr Sozialempfänger sein. Das Sozialamt tut sich außerdem sehr schwer damit, auch angesichts der knappen Finanzsituation in den Kommunen, diese Art von begleitenden Hilfen zu bezahlen. Hier müssen wir jeden Weg, jede einzelne Handlung begründen, wir müssen vorher schriftliche Anträge stellen, und dann kann der Sozialhilfeträger in Abwägung der Situation es genehmigen oder auch nicht. Das hängt sehr stark von der Durchsetzungsfähigkeit der Betroffenen ab, ob sie es schaffen, sich Gehör zu verschaffen. Außerdem hängt es natürlich noch von den Sachbearbeitern ab, die in der Regel nicht wissen, daß diese Leistung nicht in der Pflegeversicherung enthalten ist. Deshalb hat in der täglichen Beratungsarbeit diese Differenzierung der unterschiedlichen Anträge, die gestellt werden können, eigentlich keinen Platz. Auch entsteht ein Mangel, der in der derzeitigen Rechtslage nicht unbedingt sein müßte, wenn wir alle rechtlichen Möglichkeiten kennen und auch anwenden würden. Selbst ich habe manchmal Schwierigkeiten, durch diese ganzen bürokratischen Hürden durchzusteigen.

Des weiteren haben wir ein großes Problem bei den Menschen, die weniger sichtbar körperbehindert sind, die sich schon z. B. selbst ankleiden könnten, wenn sie angeleitet würden und die auch selbst essen können, wenn jemand daneben stände der ihnen sagt, daß sie essen müssen. Das heißt, bei den psychisch erkrankten Menschen, die eine tagesstrukturierte Maßnahme brauchen, sind die psychosozialen Leistungen sehr viel mehr erforderlich als die Pflegeleistungen. Auch für diesen Personenkreis ist die Pflegeversicherung im Grunde nicht gemacht. Allerdings gibt es Erfolge vor Gericht. Wir haben immer wieder Urteile in letzter Zeit, aufgrund derer die Richtlinien des Medizinischen Dienstes geändert wurden, die sich darauf bezogen, daß die sogenannte Wartung und die Beaufsichtigung auch Teil der Leistungen der Pflegeversicherung sind. Aber auch hier ist es so, daß nur diejenigen ihren Bedarf oder einen Teil des Bedarfs gedeckt bekommen, die Kraft und Ausdauer genug haben und sehr zähe und energische Angehörige oder Betreuungspersonen haben, die ihre Anliegen vor Gericht durchsetzen. Also in der Praxis sieht es nach wie vor so aus, daß die meisten Anträge dieser Art abgelehnt werden. Ich habe hier den Eindruck, daß der Medizinsche Dienst seine eigenen Begutachtungsrichtlinien auch nicht kennt und daß die Sicht auf die rein pflegerischen Handlungen nach wie vor da ist, aber darüber hinaus keine Kenntnisse vorhanden sind. Die Qualifikation des Medizinischen Dienstes bezieht sich in der Regel auf krankenpflegerische Qualifikationen, aber die Qualifikationen, die erforderlich wären, um beispielsweise bei einem Menschen mit Down-Syndrom oder einer starken psychischen Erkrankung, ein Gutachten zu schreiben, sind schlicht nicht vorhanden.

Wir haben durch die Pflegeversicherung die Möglichkeit bekommen, die Qualität der ambulanten Pflege zu begutachten. Das heißt, die Pflegekassen schließen Verträge ab, die wiederum an bestimmte Qualitätskriterien gebunden sind. Die Pflegekassen schließen nur dann Verträge ab, wenn qualifizierte Pflegekräfte in den Ambulanten Diensten vorhanden sind, in einer bestimmten Anzahl von Stunden müssen sie dort sein und auch bestimmte Aufgaben erledigen. Das führt dazu, daß nach Ansicht der Pflegekassen und auch des Gesetzgebers der Qualitätskontrolle Genüge getan ist. Weiterhin haben wir, um Mißbrauch seitens der zu Pflegenden und ihrer Angehörigen zu verhindern, natürlich auch die Kontrollen, laut Pflegeversicherung müssen in Pflegestufe I 1 x im Jahr, in Pflegestufe II 2 x im Jahr und darüber hinaus jedes Vierteljahr Kontrollbesuche eines von der Pflegekasse anerkannten Ambulanten Dienstes erfolgen. Sie kommen ins Haus und schauen, ob der Klient sauber angezogen, gewaschen und gekämmt ist. Über die psychosoziale Situation wird dort in der Regel nichts erfahren, und die Gespräche mit den Angehörigen dauern in der Regel auch nicht sehr lange, denn es ist ein kurzer Besuch, der mit maximal 30 DM abgerechnet werden kann. Bezahlt wird das von den Betroffenen selbst, also von uns, die wir Pflegeversicherungsleistungen bekommen. Wir müssen also unsere eigenen Kontrollen auch noch bezahlen. Ich selbst war davon betroffen und habe vor kurzem mal wieder vergessen, meinen Kontrollbesuch machen zu lassen, mir wurde angedroht, daß ich für drei Monate kein Pflegegeld mehr bekomme. Ich denke, der Mißbrauch seitens der Ambulanten Dienste ist wesentlich größer. Ich weiß, daß ich hier wahrscheinlich ein bißchen Unmut stifte, aber ich habe selbst ein Beispiel erlebt, wo ein privater Ambulanter Dienst Sachleistungen der Pflegeversicherung abgerechnet, aber diese Sachleistungen nicht erbracht hat. Außerdem war dieser Ambulante Dienst tätig im Zusammenwirken mit einer Wohnanlage für angeblich schwerst pflegebedürftige, behinderte und ältere Menschen. Diese Wohnanlage war überhaupt nicht geeignet, um als schwerbehinderter oder älterer Mensch dort wohnen zu können. So waren die Badezimmer winzige Duschen mit 1,2 qm Fläche mit Toilette und Waschbecken, hatten Türen, deren Zugang unter 60 cm lag, also bei Übergewicht kam man da nicht mehr rein. Eine ordnungsgemäße Pflege dort zu vollziehen, halte ich für ausgeschlossen. Dieser Ambulante Dienst hat aber einige Pflegen, die mir bekannt wurden, in Pflegestufe III gehabt - dieser Dienst hat sehr schnell diesen Markt erkannt. Das Fatale an der Situation ist zusätzlich, alle Personen, die dies mit einer Beschwerde offenlegten, wurden unter Druck gesetzt seitens der Pflegedienstleitung; und für diese Tatbestände gibt es keinerlei Kontrolle. Es gibt niemanden, der dort hingeht und regelmäßig die Leistungen der Ambulanten Pflegedienste kontrolliert. Die Pflegekassen kontrollieren lediglich die Vertragserfüllung, d. h., wenn die Pflegekassen hören, daß vertragliche Leistungen nicht erbracht, aber abgerechnet werden, dann gehen sie hin und monieren das und versuchen auch etwas zu ändern. Allerdings sind ihnen regelmäßig die Hände gebunden, weil sie nicht sonderlich viel Einfluß haben, solange sie keine Beweismöglichkeit haben, fällt ihnen dies sehr schwer. Beweisen könnten sie es mit den Aussagen der Pflegebedürftigen, nur die haben Angst, das bißchen Hilfe, was sie bekommen, auch noch zu verlieren. Sie haben häufig wenig bis gar keinen Kontakt zur Außenwelt, weil das ja wiederum die Pflegeversicherung verhindert. So kommt es zu einem Teufelskreis, und ich denke, hier wird Mißbrauch "Tür und Tor geöffnet", hier muß dringend etwas geändert werden.

Zum Abschluß möchte ich sagen, daß die Pflegeversicherung für die Sozialhilfeträger die erwünschten Effekte nicht gehabt hat,

  • die Kostenersparnisse sind wesentlich geringer ausgefallen,

  • die Beratungssituation ist noch komplizierter geworden,

  • der Sozialhilfeträger muß im Grunde das Personal besser schulen und einsetzen, um umfassend beraten zu können,

  • die Betroffenen haben - zumindest im ambulanten Bereich - weniger als vorher, wir haben mehr bürokratische Hürden, wir haben mehr Ängste auszustehen und das Allerschlimmste ist, daß wir nicht mehr selbst entscheiden können, ob wir zu Hause leben wollen, sondern daß wir ab jetzt, wann immer es den Kostenträgern in den Kram paßt, in ein Heim geschickt werden können.

Was hat die Pflegeversicherung für behinderte Menschen gebracht? Was sollte bzw muß geändert werden?

Diskussion der Referentin und der Referenten mit den Teilnehmer/innen und als Gäste:

Angelika Jahns, Mitglied der CDU-Landtagsfraktion und

Heinz Schröder, Sprecher der LAG Soziales, Bündnis 90/Die Grünen

Eine Teilnehmerin:

Im Gegensatz zu der Mehrheit der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Niedersachsen und der Behindertenverbände bin ich der Meinung, daß der Rundschreibenentwurf des Sozialministeriums eine praktische - allen Behinderten gerecht werdende - Regelung beinhaltet.

Ich darf daran erinnern, daß die Frage: Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege im BSHG keine neue ist; sie gewinnt allerdings jetzt durch die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes eine neue Qualität.

Als Dezernentin im damaligen Landessozialamt Niedersachsen mit der Zuständigkeit für Hilfe seelisch Behinderter in Alten- und Pflegeheimen diskutierte ich ständig mit anderen Kollegen, welche Hilfeart den einzelnen Behinderten zuzuordnen ist. Diese Diskussion, die sich auf den Verwaltungsablauf hemmend auswirkte, begann 1974, als durch den Gesetzgeber in §39 BSHG folgende Ergänzung eingefügt wurde:

"Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es ... einen Behinderten soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen."

Bis dahin hieß es:

"Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es .... einen Behinderten unabhängig von Pflege zu machen."

Zwei Jahre wurde diskutiert bis man aufgrund von Empfehlungen des Deutschen Vereins eine pragmatische Lösung fand, an die sich bis zur Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes alle Sozialhilfeträger anlehnten; von den Behindertenverbänden gab es damals keine Einwände.

Der Deutsche Verein empfahl, Behinderten in Einrichtungen - unabhängig vom Grad der Behinderung - bis zum Alter von 25 Jahren grundsätzlich Eingliederungshilfe, im Alter von 25 - 60 Jahren in der Regel Eingliederungshilfe und ab 60 Jahre grundsätzlich Hilfe zur Pflege zu gewähren. Gleichzeitig stand in dieser Empfehlung, daß natürlich im Rahmen des sogenannten Gesamtfallgrundsatzes der Sozialhilfe andere Hilfen neben den Haupthilfen in Betracht kommen können; eine Aussage, die allen in der Materie Tätigen klar war und auch jetzt klar sein muß. Und von daher bin ich schon erstaunt, daß derzeit die Diskussion im Betreuungsbereich stationär Betreuter ausschließlich nur die Eingliederungshilfe sieht. Denn auch ein alter pflegebedürftiger Mensch ist ein Behinderter, der bisher immer schon Hilfe zur Pflege erhalten hat.

Eingliederungshilfe ist immer - und daran hat sich seit Inkrafttreten des BSHG 1962 nichts geändert - zielgerichtet. Wir wissen, daß zumindest im Bereich Schwerstbehinderter und altgewordener geistig und seelisch Behinderter nicht nur zielgerichtete - in der Regel pädagogische - Hilfe in Betracht kommt.

Als Beispiel führe ich an, daß es sogar Kommentare zur Hospizbewegung gibt, die versuchen, die Sterbebegleitung der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Bei der stationären Hilfe gibt es neben der Eingliederungshilfe vor allem die persönliche Hilfe. Diese Hilfe wird von der Spruchstelle wie folgt definiert:

"Dann, wenn ein Behinderter wegen seiner geistigen oder seelischen Behinderung, wegen Unselbständigkeit oder mangelnder Fähigkeit, ein geordnetes Leben zu führen, Hilfe im lebenspraktischen Bereich erhält, dann ist diese Hilfe Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von persönlicher Hilfe zur Beratung und Begleitung im täglichen Leben. Sie ist eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Hilfe zum Lebensunterhalt in heimmäßiger Form."

Zum zweiten muß daran erinnert werden, daß der Pflegebegriff des BSHG umfassender sein soll als der Pflegebegriff im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes.

Gerade jetzt hat das Bundessozialgericht die durch die Pflegekasse enge Interpretation der Pflege bestätigt. Danach ist die ständige Bereitschaft, Hilfe leisten zu müssen, nicht dem Leistungskatalog der Pflegekassen zuzuordnen. Diese war vor der Gesetzesänderung und der Angleichung des Pflegebegriffs des BSHG an den der Pflegeversicherung in Form einer ständigen Präsenz von ausgebildetem Fachpersonal Inhalt der Hilfe. Es wurde anerkannt, daß diese Präsenz notwendig ist, weil sonst ein Behinderter in seiner Existenz scheitern kann.

Wenn es uns gelingt, diese Hilfe wieder unter Hilfe zur Pflege im Sinne des BSHGs zu subsumieren, dann ist meines Erachtens das erreicht, was die Bundesregierung in ihrer Begründung zur Pflegeversicherung gesagt hat, nämlich: Kein Pflegebedürftiger darf mit der Einführung der Pflegeversicherung schlechter gestellt werden als vorher.

Aber bis dahin wird es leider noch ein beschwerlicher Weg, denn die Sozialhilfeträger lehnen es teilweise ab, beide Hilfearten - Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege, vor allem im Betreuungsbereich altgewordener Behinderter - nebeneinander anzuwenden oder sie verneinen, daß der Pflegebegriff des BSHG weiter zu interpretieren ist als der des Pflegeversicherungsgesetzes. Sie meinen, alles das, was ich als persönliche Hilfe im Sinne des BSHGs und Hilfe in Form von Beaufsichtigung dargestellt habe, sei als sogenannte "soziale Betreuung" bei Heimhilfen von den Pflegekassen zu finanzieren.

Diese Meinungen finden wir in sehr bedrückender Form gerade jetzt wieder in dem Antwortschreiben der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens vom 24.03.1998 zum Entwurf des niedersächsischen Sozialministeriums vom 04.03.1998," Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem BSHG von den Leistungen der Pflegeversicherung bzw. der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG", wieder.

Von daher ist mein Anliegen:

Im Interesse aller Menschen mit schwerer Behinderung in Heimen sollten wir nicht nur auf die Erhaltung der Eingliederungshilfe im BSHG achten, sondern auch die Träger der Sozialhilfe drängen, alle im BSHG vorgesehenen Hilfen und die vom Gesetzgeber gewollte Ergänzung der Pflegeleistungen der Pflegeversicherung durch die Sozialhilfe anzuwenden.

Bei dem Wirrwarr über die Zuständigkeiten der einzelnen Kostenträger halte ich aber auch noch eine andere Sache für problematisch: Das ist die Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe für alle über 60jährigen Behinderten in Heimen in Niedersachsen. Dieses ist gerade jetzt wieder aktuell, denn das Sozialministerium kann mit seinem bereits angesprochenen Rundschreiben die Hilfe für unter 60jährige in Heimen regeln. Für über 60jährige ist die Zuständigkeit der örtlichen Träger gegeben. Und die kommunalen Spitzenverbände haben deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie sich an die Interpretation des Sozialministeriums nicht halten werden. Niedersachsen ist das einzige Land in der Bundesrepublik - außer Schleswig-Holstein - mit einer solchen Regelung.

Die Freie Wohlfahrtspflege hat von jeher vor einer falsch verstandenen Kommunalisierung der Behindertenhilfe gewarnt. Sie empfahl, die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe zu erhalten, wenn ein Behinderter vor Vollendung des 60. Lebensjahres in eine Einrichtung aufgenommen wird. Dieser Vorschlag der Wohlfahrtsverbände wurde in Hessen realisiert. Ich weiß von vielfältigen Bemühungen, die Sozialhilfe grundsätzlich auf die Kommunen zu verlagern; ich glaube aber, daß eine effektive Hilfe für Behinderte nur dann ausgebaut und erhalten werden kann, wenn die Kommunalisierung gestoppt wird und Hilfe für Menschen in Heimen in der von der Freien Wohlfahrtspflege vorgeschlagenen Form modifiziert wird.

Damit wäre dann auch das Problem gelöst, welcher Träger der Sozialhilfe die Heimaufsicht in Heimen mit einer sogenannten Mischbelegung, mit Menschen unter und über 60 Jahren, durchzuführen hat und welcher Träger der Sozialhilfe zuständig ist für den Abschluß von Pflegesatzvereinbarungen in solchen Heimen.

Und ein weiteres Beispiel, das ich kenne, wird es dann nicht mehr geben: Die Besuchskommission in Angelegenheiten psychiatrischer Versorgung darf jetzt nicht in Alten- und Pflegeheimen, in denen altgewordene seelisch Behinderte betreut werden, prüfen, ob hier eine sachgerechte Betreuung erfolgt. Die Meinung des Ministeriums ist nämlich, daß es sich hier um eine Betreuung in Alten- und Pflegeheimen handelt und nicht um eine solche in Einrichtungen der Behindertenhilfe.

In meinem Diskussionsbeitrag bin ich bewußt nicht auf Forderungen weiterer Gesetzesänderungen zur Verbesserung der Lage Behinderter eingegangen. Daran glaube ich nämlich bei den derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr. Mein Anliegen ist vielmehr, darum zu kämpfen, das Bisherige zu erhalten und zu vermeiden, daß es in der Sozialpolitik zu einem Sturzflug in die 60er Jahre kommt.

Ein Teilnehmer:

Ich teile Ihre Auffassung, daß wir uns dagegen soweit wie möglich wehren. Wenn die Eingliederungshilfe beschnitten wird, dann löst es das Problem nicht, andere Leistungen dafür heranzuziehen. Deswegen möchte ich noch einmal auf die Eingliederungshilfe eingehen.

Herr Ramms sagte vorhin, daß Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung gleichwertige Leistungen sind und daß die Zielvorstellung im stationären Bereich ist, auf Finanzierung der stationären Einrichtungen etwas mehr Wert zu legen, um möglicherweise externe Integration und Eingliederungshilfe einzusparen. So empfinde ich das. Ein behinderter Mensch weiß oft gar nicht, was Eingliederungshilfe in einer Einrichtung für ihn bedeutet. Früher richtete sich die Eingliederungshilfe nach draußen und ermöglichte ihm die Teilnahme am öffentlichen Leben. Diese Form der Eingliederungshilfe wird ihm heute aufgrund der Pflegeversicherung und der Empfehlung zur Binnendifferenzierung verwehrt. Das bezieht sich nicht nur auf den Besuch kultureller Veranstaltungen. Dazu kann ich nur sagen, Binnendifferenzierung wunderbar, aber wenn sie dazu verwandt wird, gegen uns zu argumentieren, um Integration und Eingliederung kaputt zu machen, etwas, was wir in mühseliger Arbeit aufgebaut haben, dann halte ich das für die absolut falsche Richtung.

Wenn das, was hier jetzt vorgeschlagen wurde, im Rahmen der Umsetzung von Eingliederungshilfe, Pflege und Integration geschieht, dann frage ich mich und Sie auch, wie Sie Pflege und Eingliederungshilfe realisieren wollen? Es kann doch nicht sein, daß man die Dinge gegeneinander ausspielt, indem man sagt, das Heim nur in Verbindung mit Pflege bzw. mit der Maßgabe: Wenn die Pflege überwiegt, spare ich das an der Eingliederungshilfe ein. Unter dem Strich kommt also im Grunde das gleiche heraus. Das kann es nicht sein. Und die Pflegeversicherung darf doch nicht auf dem Rücken der betroffenen Behinderten "ausgekämpft" werden von den verschiedenen Kostenträgern, da gebe ich Ihnen recht. Das ist bedingt durch unterschiedliche Zuständigkeiten, und jeder für sich will natürlich eine möglichst saubere Kasse haben. Und wer sind die Leidtragenden? Wir! Es geht nicht um Inhalte, es geht um fiskalische Rechnungen und deswegen warne ich davor, daß wir z. B. auch in der Eingliederungshilfe nur noch eine Summe fiskalischer Rechnungen sind und nicht mehr behinderte Menschen. In der Eingliederungshilfe wird jetzt auch angefangen zu berechnen, was braucht man für diese Leistung, und was braucht man für jene Leistung, das kann es nicht sein. Ich denke, deswegen muß an der Stelle anders gedacht und auch anders herangegangen werden. Für mich stellt sich auch die Frage: Wieso bin ich mit 60 Jahren auf einmal nicht mehr behindert? Ich halte diese Thesen für gefährlich, ich bin nicht bereit zu ignorieren, daß ich behindert bin. Ich teile die Auffassung, daß ich aufgrund meiner Behinderung auch manchmal behindert werde, aber die Behinderung, die von außen kommt, hebt meine Behinderung nicht auf: Und das ist das Gefährliche, daß wir möglicherweise auf einen Pfad gelockt werden nach dem Motto: Wenn man alles abstellt und alle Probleme löst, sind wir plötzlich nicht mehr behindert. Das stimmt doch einfach nicht! Das heißt, unsere Behinderung wird einfach nicht anerkannt, sie wird ignoriert, und das kann es auch nicht sein.

Gudrun Freyjer:

Meines Wissens ist es so, daß in dem Moment, wo Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge mit den Pflegekassen abschließen, die Heimaufsicht nicht bei der Pflegekasse liegt.

Hier in diesem Raum wird derzeit ein meines Wissens und meiner Erfahrung nach völlig untaugliches System diskutiert, und es wird so diskutiert, als ob man es in irgendeiner Weise reparieren könnte. Man kann es nicht reparieren, denn was Sie alle nicht dargestellt und offensichtlich vergessen haben, ist, daß ein Heim, eine Einrichtung für behinderte Menschen, nichts anderes ist als ein großes Wohnhaus, in dem viele unterschiedliche Menschen mit teilweise unterschiedlichen oder ähnlichen Behinderungen leben und unterschiedliche Bedürfnisse an Assistenz und Hilfe haben. Diese Situation diskutieren Sie überhaupt nicht, so mein Eindruck. Das heißt, wir müssen jetzt einmal über Wohnen diskutieren: Wie will ich leben? Wie will ich wohnen? Und was brauche ich dazu? Dazu brauche ich nicht diese hochkomplizierten Systeme von unterschiedlichen Kostenträgerschaften mit Erlassen, Pflegegesetzen und noch mehr Interpretation unterschiedlicher Gesetze von unterschiedlichen Kostenträgern.

Lassen Sie uns doch mal über die Grenzen schauen. Es gibt auch Länder in Europa, die uns das ganz anders vormachen, bei denen Menschen mit Behinderung so wohnen können, wie sie es mit ihrer Behinderung benötigen. Da kann es passieren, daß wie selbstverständlich Pädagogen, Heilerzieher, Ergotherapeuten etc. in einer Wohnung mit den Behinderten wohnen. Es kann auch sein, daß diese Menschen außerhalb wohnen und in die Häuser gehen, in denen die behinderten Menschen leben, die Assistenzen und die Hilfe benötigen, oder aber es sind behinderte Menschen, die sich ihre Hilfen selber suchen und in eigenen Wohnungen wohnen. Das heißt, es gibt dort eine Vielzahl an Möglichkeiten des Lebens und Wohnens. Ich erinnere nur beispielsweise an Schweden, da gibt es ganz andere Systeme, da braucht man nicht mehr 40 oder 100 behinderte Personen in einem Haus und auch nicht diese völlig undurchsichtigen gesetzlichen Regelungen.

Ich denke, wir sind hier eine Tagung, die sich hoffentlich nicht nur mit der derzeitig schlechten Situation beschäftigt und mit diesem völlig untauglichen, immer komplizierter werdenden System, mit einer Vielzahl von gut bezahlten nicht behinderten Beschäftigten, die dieses System aufrechterhalten, sondern ich hoffe, wir diskutieren auch über Utopien, und wir entwickeln hoffentlich auch gemeinsam einen Weg, wie wir aus diesem gesamten Dilemma wieder rauskommen können.

Karl Finke:

Nach meiner Auffassung müßte in Niedersachsen die Trennung zwischen örtlichen und überörtlichem Sozialhilfeträger aufgehoben werden. Dies könnte geschehen, indem z. B. das quotale System, welches Schleswig-Holstein praktiziert, auf Niedersachsen übertragen wird. Es sind auch andere Modelle denkbar, wichtig ist, daß es gelingt, eine Umkehrung des Denkens zu bewirken. In der Verwaltung werden immer noch erst einmal die Zuständigkeiten abgeklärt, und das muß sich ändern, damit die Inhalte, die in den 60er Jahren vielleicht richtig gewesen sein mögen, nicht heute noch bestimmend sind für alles, was in der Folge abläuft. Die Frage des Menschenbildes und wie wir miteinander umgehen wollen, ist die ausschlaggebende Frage. Menschen mit Behinderung sind gleichberechtigte Bürger, die bestimmter Hilfen bedürfen. Daß sich dies auch im Verwaltungshandeln - und nicht nur dort - niederschlägt, daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

Ein Teilnehmer:

Was wir bisher noch nicht genau im Blick hatten, ist, daß wir die Abgrenzung der entwicklungsfähigen Menschen von den pflegebedürftigen nun gerade in den letzten 20 - 30 Jahren abgearbeitet haben und zu Zusammenlebensformen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und mit unterschiedlichen Fähigkeiten gekommen sind. Und jetzt haben wir also dieses Problem. Das würde auch nicht gelöst durch die persönliche Hilfe des Voneinandertrennens der Menschen, einmal in die Einrichtung, bei der die soziale Eingliederung im Vordergrund steht, und daneben in das Pflegeheim mit Versorgungsvertrag. Wenn ich mir vorstelle, daß der Personenkreis - ich nehme jetzt einmal das Rundschreiben aus dem Ministerium als gegeben an - mit der potentiellen Pflegestufe III in 70 verschiedenen Wohngruppen unserer Einrichtung lebt und nicht etwa in einer Wohngruppe zusammenlebt, dann bitte ich zu beachten, daß diese Personen soziale Beziehungen haben. Das sind Personen, die zum Teil seit Jahrzehnten in Gemeinschaft mit anderen Menschen mit Behinderungen zusammenleben und die ihr soziales Gefüge in der Einrichtung aufgeben müßten, wenn sie in den Einrichtungen nicht umziehen, sondern verlegt werden müßten. Beachten Sie bitte den Unterschied in meiner Terminologie. Das müssen wir ganz klar sehen.

Damit komme ich zur Tragik der Aufteilung in Eingliederungshilfe und Pflege, die mit dem Abschluß eines Versorgungsvertrages verbunden ist, unter dem Regiment der Krankenpflegefachkraft, die für die Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung nicht ausgebildet ist, sondern eben eine Pflegefachkraft in einer selbständig wirtschaftenden Einrichtung ist.

Der zweite Punkt ist: Ich halte es für erforderlich, die Leistungen nach § 36 SGB XI, das sogenannte Pflegegeld, in gleicher Höhe zu zahlen wie Leistungen nach § 43 a SGB XI und sage, wenn der Gesetzgeber sich darauf nicht einläßt, handelt er kurzsichtig. Wenn nämlich die Träger der Sozialhilfe die Einrichtungen dazu bringen würden, sich in reine Pflegeeinrichtungen zu verändern - ich gehe davon aus, daß sie es schaffen werden -, heißt das, daß den Pflegekassen erhebliche Mehrkosten entstehen, indem Personen nach § 43 a SGB XI nicht mehr mit 500,00 DM abgespeist werden können. Ich kann nicht nachvollziehen, wenn es für die Pflegekassen insgesamt kostenneutral ist, warum es dann politisch nicht möglich sein soll, die gleichen Kosten aufzuwenden für Verbesserung des Leistungsniveaus nach § 43 a SGB XI, die Sozialhilfeträger in gleicher Weise zu entlasten und die Folgen der Selektierung der Menschen mit Behinderung in den Einrichtungen nach den beiden Einrichtungstypen zu vermeiden. Es ist auch ökonomisch unsinnig, das nicht zu machen.

Ein Teilnehmer:

Wir dürfen, wenn wir diese Diskussion führen, die aufkommenden Fragen der Bioethik nicht unterschätzen. Denn wenn diese Bioethik sich durchsetzt, dann haben die Schwächsten unserer Gesellschaft kaum etwas zu sagen. Wenn Behinderte, die sich nicht selbst verteidigen können (geistig Behinderte und psychisch Behinderte) weggesperrt werden, werden sie aus dem gesellschaftlichen Gefüge herausgenommen und finden keinerlei Beachtung mehr. Sie haben keine Möglichkeit mehr, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Mensch muß nicht nur sauber, frisch und satt sein, sondern er braucht auch noch andere Formen der Beschäftigung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Es ist wichtig, daß das in ein zukünftiges Pflegegesetz mit eingearbeitet wird. Es sollen und müssen die Behinderten und Betroffenen ebenfalls mitarbeiten, das wäre ein erster Baustein in die richtige Richtung.

Eine Teilnehmerin:

Wir kämpfen rechtlich um eine Gesetzesänderung, wissen aber, daß in den nächsten Jahren nichts kommen wird, und aus diesem Grund mein dringender Appell, das Machbare in kleine Schritte zu zerlegen und zu versuchen, es aufrechtzuerhalten. Ich diskutiere mit Ihnen auch nicht mehr, ob ambulant oder stationär, das ist mir einfach viel zu hoch. Ich denke, daß wir bei diesen Diskussionen vergessen, was unten alles wegbricht.

Udo Ramms:

Es sind eben sehr viele Gesichtspunkte vorgetragen worden. Ich habe heute morgen etwas gesagt über Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe zu Leistungen der Hilfe zur Pflege bzw. der Pflegeversicherung bei vollstationärer Betreuung. Das heißt überhaupt nicht, daß behinderte Menschen nun veranlaßt werden sollen, in eine vollstationäre Betreuung zu gehen; ich bin im Gegenteil der Meinung, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, um eine freie Wohnform zu ermöglichen. Wir haben aber nun einmal die vollstationäre Betreuung, und diese ist als besondere Leistungsart im Pflegeversicherungsgesetz genannt. Deswegen haben wir uns darauf konzentriert, die damit im Zusammenhang stehenden Probleme zu lösen. Ich habe allerdings den Eindruck, daß unsere Intentionen dabei etwas untergegangen sind. Wir wollen ja gerade vermeiden, daß für einen bestimmten Personenkreis - ich komme zurück auf pflegebedürftige behinderte Menschen der Pflegestufe III - eine Pflegeeinrichtung geschaffen wird allein nach den Anforderungen der Pflegeversicherung und unter Begrenzung der Leistungen, die die Pflegeversicherung bringt. Das sollte es ja gerade nicht sein. Wenn die bisherigen Träger von Behinderteneinrichtungen sich entschließen, Pflegeabteilungen zu schaffen, das heißt, eine Binnendifferenzierung vorzunehmen, dann stellt sich die Frage, unter welcher Konstruktion. Diese Diskussion ist in Niedersachsen überhaupt noch nicht geführt worden, und es wurden noch keine Konzepte besprochen. Ich denke, daß wir Gespräche mit den Einrichtungsträgern und mit den Pflegekassen führen müssen, um geeignete Betreuungsformen zu finden.

Ich kenne noch nicht die Auffassung der Pflegekassen, ob man an ähnliche Modelle wie in anderen Ländern denken kann. Uns geht es darum, für die Personen, die bisher in einer vollstationären Eingliederungshilfeeinrichtung betreut wurden, den Umfang und die Qualität der Hilfen zu gewährleisten, die sie bisher erhalten haben. Hierzu müssen wir einerseits die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, aber zum anderen auch ergänzende Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe gewährleisten, weil ich davon ausgehe, daß die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen werden, und es muß ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe geben, die in unterschiedlicher Form erbracht werden können. Es kann aus meiner Sicht durchaus sein, daß ein behinderter Mensch, der in einer vollstationären Pflegeeinrichtung lebt, außerhalb der Einrichtung ein Angebot der Eingliederungshilfe wahrnimmt, das der Einrichtungsträger nicht in der Form selbst erbringen kann. Auch das ist für mich Bestandteil der Eingliederungshilfe. Für die Gewährung dieser ergänzenden Hilfe bedarf es einer Vereinbarung zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Einrichtungsträger, der über die zu erbringenden Eingliederungsleistungen eine eigene Leistungsvereinbarung abschließen muß. Wir wollen erreichen, daß sich an der persönlichen, gewohnten Lebenssituation der Menschen möglichst wenig ändert. Insofern halte ich die hier geäußerten Befürchtungen, wir würden auf eine Pflegeeinrichtung verweisen und keine weiteren Hilfen gewähren, für überzogen.

Ein Teilnehmer:

Das ist nicht überzogen, das wird praktiziert und ist die Realität.

Udo Ramms:

Dann müßten Sie uns diese Beispiele benennen, um diesen Fällen nachgehen zu können. Ich versuche ja gerade, Wege aufzuzeigen, die bewährte Betreuungsform in ihrem ganzen Umfang zu erhalten. Ich darf noch einmal daran erinnern: Die Hilfe zur Pflege hat es immer gegeben, auch in der Vergangenheit. Ihr Einwand würde bedeuten, daß diese Hilfe überhaupt nicht mehr in Betracht kommt. Wir haben versucht, eine praktikable Lösung zu finden. Wenn wir es den herangezogenen Gebietskörperschaften überlassen, im Einzelfall Kostenanerkenntnisse nach der Bedarfssituation zu erteilen, dann liegt es nahe, daß alle Menschen, die pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung sind, ein Kostenanerkenntnis der Hilfe zur Pflege erhalten. Dann stellt sich automatisch die Frage des Nachrangs. Und das ist genau das, was wir nicht wollen. Es ist doch Realität, daß Menschen mit der Pflegestufe III einen sehr hohen Pflegebedarf haben, der in der Praxis den Einigungsbedarf übersteigt. Deswegen haben wir gesagt, daß wir die Pflegekassen in diesen Fällen nicht aus der Pflicht lassen können. Aber wir müssen eine Form finden, bei der Fragen der Kostenzuständigkeit nicht auf dem Rücken der behinderten Menschen ausgetragen werden und bei der der volle Leistungsumfang erhalten bleibt. Es mag im Einzelfall so sein, daß dies nicht gewährleistet wird. Wir haben z. B. die problematische Trennung zwischen unter 60jährigen und über 60jährigen. Ich kann nur darauf hoffen, die kommunalen Gebietskörperschaften zu überzeugen, in ähnlicher Weise zu verfahren.

Angelika Jahns:

Ich möchte mich zunächst einmal für die Einladung im Namen meiner Fraktion bedanken. Ich bin gerne hierher gekommen, um diese Tagung insgesamt zu erleben. Es hat mir viel gegeben, und es ist mir vieles deutlich geworden, aber es sind auch einige Dinge für mein inneres Denken entstanden, die ich nicht akzeptieren möchte. Zum einen hat mich etwas irritiert, daß Frau Freyjer als Mitarbeiterin eines Sozialamtes die Leistungen, die Vorteile, die durch die Pflegeversicherung entstanden sind, vollkommen in Abrede gestellt hat. Sie hat gesagt, die Pflegeversicherung hat überhaupt nichts gebracht. Mit diesem Gedanken möchte ich nicht nach Hause gehen, denn ich denke, daß die Pflegeversicherung insgesamt differenzierter gesehen werden muß. Für Ihre Belange sehe ich natürlich durchaus, daß Nachbesserungen dringend notwendig sind. Aber der Grundgedanke der Pflegeversicherung, daß sie insbesondere uns Frauen eine Altersabsicherung bringen sollte, darf nicht ganz in Abrede gestellt und nicht ganz vergessen werden. Ich kenne viele persönliche Fälle aus meiner Tätigkeit als Sozialamtsleiterin. Daher habe ich auch Erfahrungen in dem Bereich, wo Frauen wirklich dankbar sind, daß sie Familienangehörige pflegen können und dafür eine Rentenabsicherung haben.

Ich glaube auch noch darauf hinweisen zu müssen, daß ich den Vorwurf an meine Partei - die ich hier sozialpolitisch vertrete und in der ich mich persönlich seit 15 Jahren sozial engagiere - in 16 Jahren sei nur ein sozialer Abbau in Deutschland geschehen, nicht einfach so hinnehmen darf, weil ich der Auffassung bin, daß es in keinem Land der Welt so ein soziales Absicherungssystem gibt wie hier in Deutschland.

Gudrun Freyjer:

Das stimmt nicht, das ist einfach nicht wahr.

Angelika Jahns:

Das ist Ansichtssache, Frau Freyjer. Ich stehe dazu, und ich bin der Meinung, daß unsere soziale Absicherung hier einmalig ist und daß jeder Mensch, der wirklich Hilfe nötig hat, auch Hilfe bekommt. Wieweit das dem einzelnen, der Ansprüche stellt, wirklich gerecht wird, ist eine andere Sache.

Aber ich würde natürlich gerne - und das ist sicher auch in Ihrem Interesse - mit den Verbänden insgesamt noch einmal wirklich intensiv zusammenarbeiten und Lösungskonzepte erarbeiten, mit denen man das Ziel erreicht, das gerade Ihnen als Betroffene und Behinderte, die ja im Sinne der Pflegeversicherung nicht so einbezogen worden sind, wie es hätte sein sollen, dort eine Lösungsmöglichkeit zu schaffen, die Ihren Ansprüchen entgegenkommt. Ich nehme vieles mit nach Hause, was mir heute klar und deutlich geworden ist, aber ich denke, so ganz in Abrede stellen sollte man die Leistungen, die hier in Deutschland passiert sind, nicht.

Heinz Schröder:

Auch ich möchte mich zunächst bedanken, daß ich heute hier sein darf. Für mich war es aber auch selbstverständlich, daß ich der Einladung zur heutigen Veranstaltung folge. Ich habe die Diskussion hier erlebt und frage mich, was machen wir hier eigentlich? Wir reden sofort über Paragraphen, Anwendungen, Rechtsverordnungen etc., das erschüttert mich ein bißchen. Es wurde vorhin auf den Bericht der Fachkommission verwiesen und es steht etwas ganz Wunderbares darin, nämlich, daß die vielen Zuständigkeiten nach Möglichkeit aufgelöst werden, daß es nur noch eine Zuständigkeit geben soll, um die erreichten Standards zu sichern. Mit der Pflegeversicherung haben wir jetzt einen weiteren Partner gefunden. Und was machen wir? Wir diskutieren sofort über Geldbeträge, Rechtsnormen und wie diese zueinanderkommen. Daß dies in einem Rechtsstaat so sein muß, das mag ich noch nachzuvollziehen. Aber von einer Tagung wie heute, an der richtigerweise viele Betroffene teilnehmen, erwarte ich, daß auch gesagt wird: Bei der Diskussion um die Pflegeversicherung sind die Behinderten vernachlässigt worden. Es ging mehr um die nicht mehr zu bezahlenden Kosten. Besonders ärgerlich finde ich, daß wir in diesem Zusammenhang wieder lesen: "Alte, Kranke und Behinderte". Da waren wir eigentlich schon lange von weg, daß Behinderte krank sind.

Wir haben mit der Eingliederungshilfe ein Angebot geschaffen. Dieses Angebot mit all seinen Facetten ist nach meiner Einschätzung nicht schlecht. Immerhin haben wir ja noch gültige Erlasse, die der ambulanten Versorgung den Vorrang vor der stationären geben, wenn auch jetzt mit der Einschränkung der Finanzierbarkeit. Auch das hat mir an der heutigen Diskussion bisher nicht gefallen: Wir reden immer vom Heim, von stationär oder teilstationär, aber was ist denn mit denjenigen, die individuell leben und ihre Assistenz selbst organisieren wollen?

Bei den ambulanten Lebensformen befinden wir uns dann wieder in der Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers, und wir wissen alle, wie es den Kommunen geht. Warum kann man nicht einfach diese von den Politikern und nicht den Betroffenen gewollte Entwicklung an die politischen Entscheidungsträger zurückgeben?

Nun kann ich das natürlich leicht sagen als Vertreter der Grünen, aber man muß ja zumindest an die Regierungspartei appellieren, hier möglicherweise wirkliche Korrekturen zuzulassen. Warum wird es dem einzelnen zugemutet, diese Zuständigkeitskriege zwischen Pflegekasse und Sozialhilfe, zwischen überörtlichem und örtlichem Sozialhilfeträger an sich selbst zu ertragen? Warum kann man nicht wie früher andere hinzuzuziehende Leistungen den Hauptkostenträger pauschal erstatten lassen? Warum soll es nicht möglich sein, über ein solches Verfahren eine Vereinbarung z. B. zwischen dem Sozialhilfeträger und der Pflegekasse zu treffen. Die Alternative: Wir müssen jetzt einen medizinischen Abwehrdienst einrichten.

Über diese Fragen muß man aktiver ins Gespräch kommen und auch Korrekturen vornehmen. Endlich müssen diese vielen Zuständigkeiten aufhören. Ich denke, was wir bisher erreicht haben, war nicht schlecht. Es ist eben nur die Frage, wie kann man das, ohne daß es zu Lasten der Hilfeempfänger geht, auch über andere Wege regeln. Ich meine, dafür muß die Politik die Rahmenbedingungen schaffen.

Ein Teilnehmer:

Herr Ramms, das Nebeneinander von Pflegeleistungen und Eingliederungshilfeleistungen kann ich gut nachvollziehen, z. B. Wohnen im Pflegeheim, Arbeiten in der Werkstatt als Eingliederungshilfe. Ich muß aber zunächst einmal davon ausgehen, daß in der Pflegeeinrichtung nichts anderes finanziert wird als die Verrichtungen, die in § 14 SGB XI angegeben sind. Ich meine aber, es geht in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung um Lebensgestaltung, und das ist mehr als das Wohnen, Schlafen und das Gepflegtwerden.

In dem unsinnigen § 28 Abs. 4 SGB XI steht, um der Vereinsamung vorzubeugen, soll bei den Verrichtungen auch kommuniziert werden, aber nicht darüber hinaus. Und das ist der Punkt, daß ich solange, wie ich jemanden füttere, über den Sachverhalt, daß z. B. die Eltern ihn lange nicht besucht haben, kommunizieren darf, aber danach tritt die Eingliederungshilfe ein. Dann komme ich natürlich mit der organisatorisch selbständigen Einrichtung, die füttert, und der daneben stehenden Eingliederungshilfeeinrichtung, die für die Trauer über den Nichtbesuch der Eltern zuständig ist, kostenmäßig in ganz große Verdrückungen. Sie können dabei aber nicht behaupten, daß ein und dasselbe Personal in zwei Einrichtungstypen tätig ist, um die Ganzheitlichkeit des Beziehungsprozesses im Alltagsablauf sicherzustellen.

Ein Teilnehmer:

Ich teile die Auffassung nicht, daß man Gesetze nicht ändern könnte. Ich bin durchaus der Meinung, daß Gesetze geändert werden können und müssen und daß die Energie an der Stelle nicht gespart werden darf, auch wenn Energie noch für andere Dinge benötigt wird.

Ich kann verstehen, wenn auf der einen Seite akzeptiert und gesagt wird, jeder soll die Leistung auch bekommen, zumindest in der Höhe wie bisher. Dann verstehe ich allerdings nicht, warum die Betreffenden noch einmal kategorisiert werden in X-Eingliede-rungshilfe und in X-Pflegegeld usw. Ich bestreite im Augenblick auch, daß das tatsächlich dazu führt, daß die Summe der Leistungen, die ein Betreffender bisher bekommen hat, durch diese Form der Kategorisierung erhalten bleibt. Bisher ist der Trend genau entgegengesetzt. Herr Ramms, ich glaube nicht, daß man davon ausgehen kann, Binnendifferenzierung sei ein Teil der Eingliederungshilfe. Selbst wenn in der Binnendifferenzierung Kulturangebote en masse angeboten werden, dann kann und darf es nicht ein Argument dafür sein, jemandem Eingliederungshilfe externer Art aus diesem Grunde zu verweigern. Und das wird heute und an diesem Tag getan. Ich möchte dafür ein Beispiel nennen. Ein behinderter Mensch geht bei der Volkshochschule regelmäßig malen, weil der betreffende Mensch Spaß am Malen hat. Er ist der einzig behinderte Mensch in dieser Gruppe, jetzt wird ihm mitgeteilt, die Kosten für die Fahrt dorthin im Rahmen der Eingliederungshilfe bezahlen wir nicht, weil er es auch in der Einrichtung machen könnte, denn im Rahmen dieser Binnenstruktur wird dieses Angebot auch geboten. Was geschieht hier? Wir gliedern zurück in die stationären Einrichtungen, und das kann doch wohl nicht Ziel der Einrichtung sein.

Herr Ramms, Sie haben gesagt, jeder bekommt Hilfe, der Hilfe braucht, aber erlauben Sie mir bitte die Feststellung und Frage:

Bekommt er wirklich die Hilfe, die er braucht bzw. haben will, nämlich die Möglichkeit zur Selbstbestimmtheit?

Eine ganze Reihe von behinderten Menschen bekommen Hilfe, die sie gar nicht haben wollen, sie müssen sie aber trotzdem annehmen. Wenn sie z. B. im Rahmen von Eingliederung Zuschüsse für den Umbau ihrer Einrichtung brauchen, dann kommt es nicht darauf an, was sie brauchen, sondern was vorgeschrieben ist. Ob sie das brauchen, spielt keine Rolle, wenn sie die DIN-Vorschriften erfüllen. Und wenn es das Zehnfache kostet, wird es eher bezahlt als das, was sie wirklich brauchen.

Ich halte es für sträflichen Leichtsinn davon auszugehen, daß die Pflegestufe III automatisch dazu führt, daß geprüft wird, ob ein Mensch noch Eingliederungshilfe braucht. Das halte ich für geradezu unmenschlich und unwürdig. Im Gegenteil, es gibt eine Reihe von Menschen, die sich mit der Pflegestufe III am Einkommen des Gemeinwohls beteiligen, da sie berufstätig sind (Rentenbeiträge), und wer will sich anmaßen, einen solchen Menschen zu überprüfen, ob er nicht eigentlich auf die Pflegestation gehört, statt wie jeder andere in der Eingliederungshilfe zu bleiben, wenn man denn überhaupt diese Unterteilung macht, wogegen ich sowieso bin.

Ein Teilnehmer:

Herr Ramms, ich kann Ihnen absolut nicht folgen. Sie unterstellen, daß bei einem Menschen mit Pflegestufe III automatisch die Pflege überwiegt und insofern erst einmal davon auszugehen ist, daß die Pflegeeinrichtung die richtige Einrichtung sei. Dies muß ich hier noch einmal auf das allerschärfste zurückweisen. Es ist zwar so, daß dieser behinderte Mensch einen sehr hohen Hilfebedarf hat bei den täglichen Verrichtungen, so wie er im abschließenden Pflegeversicherungsgesetz angegeben ist, dennoch kann - und das wird im Einzelfall zu prüfen sein - trotzdem die Eingliederungshilfe überwiegen. Ich würde mir wünschen, wenn die hier Anwesenden den Vorschlag der vier Fachverbände mit unterstützen könnten, den Gesetzgeber aufzufordern, so schnell wie möglich das Pflegeversicherungsgesetz dahingehend zu ändern, daß Menschen mit Behinderungen, den finanziellen Betrag erhalten, den sie bei einer Sachleistung im Rahmen der ambulanten Pflege erhalten würden, unabhängig, in welcher Einrichtung sie leben. Dies würde auch den Sozialhilfeträger - so hoffe ich - ausreichend finanziell entlasten. Beweisen kann man es allerdings immer noch nicht, weil nämlich die Leistungen in einer stationären Pflegeeinrichtung noch höher wären. Ich denke aber, daß das ein Kompromiß sein könnte. Ich würde mir wünschen, daß dieser Vorschlag unterstützt wird und wir gemeinsam auch die vertretenden Parteien im Niedersächsischen Landtag auffordern, daß die Landesregierung eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg bringt, sozusagen noch vor den Wahlen.

Ein Teilnehmer:

Ich sehe durchaus die Gefahr, daß diese Differenzierung, die wir jetzt im stationären Bereich haben, sich auch auf den ambulanten Bereich ausweitet. Ich möchte eindringlich darauf hinweisen, daß wir uns nicht auf diese Differenzierung einlassen. Überall wird von der Ganzheitlichkeit des Menschen gesprochen. Wenn es jedoch darum geht, daß diese Ganzheitlichkeit Geld kostet, dann differenziert man plötzlich. Natürlich ist es sehr viel besser, wenn uns die Möglichkeit der persönlichen Assistenz gegeben wird.

Eine Teilnehmerin:

Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wieso sich die Pflegeversicherung im Fall eines Schwerstbehinderten, der gerne selbständig leben möchte, weigert, die Sachleistungen für diese Assistenz zu bezahlen, denn der Assistent übernimmt ja letztlich auch die gesamte Pflege, und es braucht durchaus auch bei Schwerstbehinderten nicht unbedingt eine Pflegefachkraft zu sein, sondern es können auch sogenannte Laien sein, sie brauchen lediglich die Hilfe. Ich kann wirklich nicht einsehen, warum diese Sachleistungen verweigert werden. Im übrigen könnten hier z. B. auch Arbeitslose wieder einen Job finden. Sie werden sicherlich keine Millionen verdienen, aber vielleicht mit dem Behinderten zusammen eine Zeit haben, in der beide viel Schönes erleben können.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch erwähnen, daß Herr Finke einmal sagte, "eine Schule ohne Behinderte ist keine normale Schule". Ich möchte dieses ausdehnen und sagen, Arbeitsstellen ohne Behinderten sind keine normalen Arbeitsstellen, und auch Städte und Dörfer ohne Behinderte sind keine normalen Städte und Dörfer. Und ich möchte in diesem Sinne dafür plädieren, daß wir für die Integration Behinderter noch sehr viel mehr tun sollten und meines Erachtens auch dann, wenn es sehr viel Geld kostet.

Udo Ramms:

Ich habe betont, daß sich meine Konzepte auf die Abgrenzung der verschiedenartigen Leistungen bei vollstationärer Betreuung beziehen. Das heißt überhaupt nicht, daß wir damit Menschen in irgendeiner Weise zwingen wollen, in eine vollstationäre Betreuung zu gehen, im Gegenteil, soweit sie in der Lage sind oder es wollen, sollten wir den Wunsch, in einer freien Wohnform zu leben, unterstützen. Wir versuchen bei der Frage, wie wir die Abgrenzungsproblematik regeln können, auf die Wünsche der Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Es kann durchaus behinderte Menschen geben, die sich wünschen, in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung betreut zu werden, weil es positive Konsequenzen für sie hat. Das können wir ihnen doch nicht versagen. Nur, irgendwann hat auch aus sozialhilferechtlicher Sicht das Wunsch- und Wahlrecht eine Grenze, nämlich da, wo es darum geht, daß wir die Pflegeversicherung mit in die Kostenverantwortung nehmen wollen. Ich kann nicht einsehen, daß bei Menschen, die einen sehr großen Pflegebedarf haben und pflegeversichert sind, die Pflegekasse deshalb, weil das Pflegeversicherungsgesetz etwas schwierig angelegt ist, weitgehend aus der Kostenverantwortung herausbleibt und dann der Sozialhilfeträger gefordert ist. Wenn die vollen Leistungen der Pflegeversicherung auch in Behinderteneinrichtungen erbracht werden könnten, wären wir in dieser ganzen Problematik nicht drin. Wenn die Pflegeversicherung z. B. in der Lage wäre, in Behinderteneinrichtungen die Leistungen zu erbringen, die behinderte Menschen bei ambulanter Betreuung beanspruchen können, oder wenn an die Leistung der Pflegeversicherung nicht bestimmte organisatorische Voraussetzungen geknüpft würden, nämlich die Zulassung als Pflegeeinrichtung mit Versorgungsvertrag, hätten wir das ganze Problem nicht. Ich würde mir wünschen, daß es vielleicht doch einmal zu anderen Überlegungen des Gesetzgebers kommt, um diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Aber im Augenblick haben wir diese Rechtslage, und ich bin nicht so optimistisch zu glauben, daß sich hier kurzfristig etwas ändern wird. Wir müssen leider mit dem gegenwärtigen System leben. Es mag sicherlich noch andere Vorschläge geben, die vielleicht besser sind als unsere, aber wenn wir uns auf die Menschen der Pflegestufe III beschränken, haben wir wenigstens schon mal sichergestellt, daß behinderte Menschen der Pflegestufe I und II gar nicht in die Diskussion reinkommen. Ich möchte nochmals betonen, daß wir sicherstellen wollen, daß auch behinderte Menschen in Pflegeeinrichtungen Leistungen der Eingliederungshilfe in der gleichen Weise bekommen, wie sie sie bisher erhalten haben. Aus meiner Sicht ist dies am ehesten zu erreichen, wenn die bewährten Träger der Eingliederungshilfe solche Angebote schaffen. Wir müssen damit rechnen, daß private Anbieter auf den Markt kommen, die zugelassene Pflegeeinrichtungen für Behinderte schaffen und Angebote machen, die eine Beteiligung der Sozialhilfe nicht erfordern. Es wird sich immer mehr herausstellen, daß auch behinderte Menschen über Vermögen, z. B. durch Erbschaft, verfügen werden, das sie dann, wenn die Sozialhilfe zahlt, vorrangig einsetzen müssen. Das brauchen sie im Fall der Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung nicht. Das ist eine große Verlockung. Deswegen sollte darüber nachgedacht werden - und dieses Gespräch werde ich suchen -, ob wir mit den bewährten Trägern der Behindertenhilfe, die die umfassendere ganzheitliche Hilfe gewährleisten können, nicht irgendeine praxisgerechte Lösung finden. Ich meine, wenn wir uns mit den Trägern und den Pflegekassen verständigen und diese sich einer sachgerechten Lösung nicht verschließen, können wir einen großen Schritt weiterkommen.

Dr. Robert Paquet:

Man muß grundsätzlich unterscheiden zwischen dem, was auf eine Gesetzesänderung hinausläuft und alldem, was man ohne das bewerkstelligen kann. Was wir am Gesetz problematisch finden, auch wenn es uns im Moment vor finanziellen Anforderungen schützt, ist die Regelung mit der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Einrichtungen; das sind auch gerade die Definitionen, die sehr stark auf die medizinische pflegerische Betreuung ausgerichtet sind. Die Frage der persönlichen Assistenz im Sinne eines Arbeitgebermodells wäre mir sehr sympathisch, weil eine solche Regelung das Versicherungsprinzip betonen würde. Das hieße, daß man einen individuenbezogenen Anspruch auf Leistungen zur Pflege hätte und darauf aufbauend käme Sozialhilfe dazu. Das ist aber gegenwärtig politischer Wunsch; unter den aktuell geltenden Bedingungen können wir das nicht machen. Die Pflegekassen haben sich bei den paar "kleineren Vorschlägen" zur Verbesserung des Pflegeversicherungsgesetzes ganz entschieden für die Vorstellungen eingesetzt, die von der SPD und den GRÜNEN zusammen im Bundestag eingebracht worden sind. Das ist aber schon im Ausschuß an den Mehrheitsverhältnissen gescheitert und hat deswegen keine Chance.

Beim aktuellen Stand der Gesetzgebung müssen wir leider auf dem Punkt der Selbständigkeit der Pflegeeinrichtung beharren, als Voraussetzung dafür, einen Versorgungsvertrag zu machen. Was man vielleicht mit der Kreativität der Einrichtungen etwas elastischer gestalten könnte, ist die Frage der Leitung. Lassen Sie sich da doch einmal etwas einfallen, wie man Qualifikationen mischen könnte.

Gudrun Feyjer:

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf den ambulanten Bereich. Bei uns wird natürlich keine Statistik geführt über die Zufriedenheit mit der Pflegeversicherung, sondern bei uns landen nur diejenigen, die zusätzliche Hilfe benötigen. Wenn es eine Zufriedenheit mit der Pflegeversicherung gibt, vermag ich sie höchstens auszumachen im Bereich der Pflege älterer Menschen in der Familie. Dort kann es durchaus so sein, daß die Frauen, die in der Regel die Pflege ihrer älteren Angehörigen übernommen haben, wenigstens etwas dafür erhalten. Das heißt aber nicht, daß diese Personen, die diese Pflege im Altenbereich machen, wirklich zufrieden sind.

Im Bereich der behinderten Menschen ist es tatsächlich so, daß wir überwiegend keine Absenkung der erforderlichen Kosten haben, sondern daß wir eine Teilleistung haben durch die Pflegeversicherung und daß wir den Rest über die Sozialhilfe abdecken müssen. Das ist sicher einmal darin begründet, daß die Pflegeversicherung nur bis "zur Haustür" und in der Regel nur für Hilfen am Körper und ein wenig bei der Beaufsichtigung, ansonsten aber nichts bezahlt. Das ist nun einmal eine Frage des Leistungskataloges, und wir müssen das so hinnehmen und unsere Ratsuchenden dahingehend beraten, daß sie zusätzlich, wenn sie weitere Hilfen benötigen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, wenn sie kein eigenes Einkommen haben.

Ich möchte noch ein paar Beispiele bringen, weil ich denke, diese Pflegeversicherung schafft häufig menschenunwürdigen Situationen, sowohl bei der Beurteilung als auch nachher in der Umsetzung. Ich hatte letzte Woche folgende Beratungssituation: Ein beinamputierter Mann hat sehr starke Schmerzen, ist schwer gehbehindert und wird von seiner Mutter gepflegt. Er bekommt wegen seiner Schmerzen, die anders nicht zu behandeln sind, Morphium. Das bedingt, daß er dreimal am Tag duschen muß. Dreimal am Tag duschen ist nicht im Leistungskatalog der Pflegeversicherung enthalten. Das bedeutet, daß er nicht in Pflegestufe I kommt - das hatte er gehofft -, weil er alle anderen Tätigkeiten größtenteils noch ausführen kann, und er sie auch schaffen will. Er ist erst 39 Jahre alt. Der Erfolg ist, daß er bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst selbst die Tür geöffnet hat. Das ist ein Beispiel, bei dem es menschenunwürdig wird, und ich denke, das darf nicht sein. So eine Art der Begutachtung halte ich wirklich für nicht mehr tragbar. Diese Beispiele könnte ich jetzt beliebig fortsetzen.

Noch einmal: Bei mir kommen nicht die Menschen an, die zufrieden sind, sondern die Menschen, die in Not sind und große Ängste haben und nicht mehr weiter wissen. Ein behindertes Ehepaar, beide sind schwerbehindert, leben in einer eigenen Wohnung, die mit Hilfe der öffentlichen Gelder barrierefrei gebaut wurde. Ihnen wird jetzt zugemutet, in ein Heim zu gehen, weil ihre schwere Pflegebedürftigkeit einen 24-Stundendienst erforderte, der jetzt eben nicht mehr voll bezahlt werden soll. Das ist wiederum eine Folge der Pflegeversicherung in Verbindung mit der BSHG-Änderung (§ 3 a). Sie haben versucht sich zu wehren. Das erste, was sie dazu sagten war, daß sie sich beide gemeinsam umbringen wollten. Das ist eine Folge der Pflegeversicherung im ambulanten Bereich, es ist möglicherweise ein Einzelfall, aber es gibt viele Einzelfälle dieser Art, die uns bekannt sind. Ich denke, dies ist menschenunwürdig, da muß dringend etwas geändert werden.

Wir haben als Beispiel Schweden mit dem Assistenzgesetz. Schweden hat inzwischen auch wirtschaftliche Probleme, und dennoch haben sie es geschafft, im letzten Jahr im Januar ein Assistenzgesetz zu verabschieden, das funktioniert. Jeder behinderte Mensch hat einen eigenen Anspruch auf Assistenz und die Mittel, die er dafür braucht. Das bedeutet, daß auch die Selbsteinschätzung eine Rolle spielt, nicht nur die Einschätzung eines Medizinischen Dienstes, sondern auch die der Person selber. Ich war in Schweden, habe mit Betroffenen gesprochen, mir die Wohnungen und auch Einrichtungen angeschaut, es ist tatsächlich so und nicht nur ein Mythos. Deshalb denke ich, wir sollten von unseren Nachbarn lernen und endlich zu einer menschenwürdigen Form des Wohnens und Lebens von behinderten Menschen, gerade im Bereich der Assistenz, kommen.

Heinz Schröder:

Herr Ramms, ich befürchte, daß im Rahmen der anderen Diskussion, der zur Reform der §§ 93ff BSHG und der ab 1999 neuen Kostenregelung - dann heißt es ja Entgelte für den Bereich der Sozialhilfe und der Pflegeversicherung - Unsicherheiten bestehen. Dies führt zu Ängsten oder vorauseilendem Gehorsam. Der eine oder andere Verantwortliche bei Trägern, kleinen GmbHs und Vereinen oder Initiativen wird schon vorher "das Handtuch" werfen. Ich denke, daß es dadurch schon jetzt zum Stillstand gekommen ist, was die momentane Entwicklung der Angebote betrifft. Aber das wäre noch nicht das Schlimmste, sondern es gibt ja auch schon Beispiele für Rückschläge, was die Konzepte aus Ihrem Haus angeht, die sich kostenmindernd auswirken sollen, und dabei die Lebensqualität der Behinderten derart verschlechtern, daß wir in die Zeit der 60er Jahre zurückversetzt werden. Der Wunsch des Behinderten ist überhaupt nicht mehr gefragt, es ist nur noch ein Handel zwischen den Trägern und den Mitarbeitern Ihres Hauses.

Ich jedenfalls sehe nicht ein, daß sich die Pflegekassen aus der Verantwortung ziehen und fordere diese auf, die Erstattungsbeträge auch den Bewohnern von Heimen auszuzahlen, wie bei der häuslichen Versorgung, also nach Pflegestufe III.

Angelika Jahns:

Ich habe nicht behauptet, daß nur zufriedene Leute zum Sozialamt gehen, sondern meine Äußerungen bezogen sich darauf, daß die Sozialhilfeträger durch die Pflegeversicherung doch eine erhebliche Entlastung erfahren haben, das wollte ich damit deutlich machen. Ich denke, daß wir im Rahmen der Pflegeversicherung einiges nachbessern müssen, daß wir insbesondere die Steifheit dieses Gesetzes vielleicht etwas lockern sollten und irgendwo Ermessensdinge mit einbauen müßten, die den Umgang bezüglich der Einzelfälle etwas erleichtern.

Ich würde mit Ihnen zusammen als Betroffene an einem Lösungskonzept arbeiten, das auf den Bedarf der Behinderten mehr Rücksicht nimmt, das jedem zubilligt, für sich die Entscheidung zu treffen, wo er leben möchte, mit wem er leben möchte usw. Natürlich muß man auch die Verbände und die Familien mit einbeziehen. Man kann nicht alles nur auf den finanziellen Rahmen abstimmen.

Eine Teilnehmerin:

Ich bin Mutter von zwei schwerbehinderten Kindern, eines ist ein Pflegekind, von daher habe ich auch immer wieder Kontakt mit anderen Eltern. Ich möchte mich ganz entschieden dagegen verwehren, daß den Betreuern immer wieder unterstellt wird, daß sie die Behinderten in Einrichtungen, die ihnen als wunderbar verkauft werden, abschieben. Die Betreuer sind sogar gesetzlich verpflichtet, die für den betreffenden Menschen geeignete Einrichtung zu finden, oder aber dafür zu sorgen, daß der Betreffende, wenn er das möchte, in seinem Umfeld bleiben kann. Die Finanzierung muß der Betreuer dann entsprechend sicherstellen. Er muß einmal im Jahr dem Gericht gegenüber Bericht darüber erstatten, welche Wünsche der Betreute äußerte, und wenn diese nicht erfüllt wurden, warum sie nicht erfüllt wurden. Wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen, müssen die Betreuer wirklich die Vertreter der Betroffenen sein.

Meine Tochter hat die Pflegestufe III und es muß sehr detailliert aufgelistet werden, wieviel Zeit für welche Tätigkeit draufgeht. Ich bin beispielsweise vom Medizinischen Dienst gefragt worden, warum meine Tochter nicht innerhalb von fünf Minuten ihr "großes Geschäft" machen kann, sondern warum ich angegeben habe, daß sie zeitweise innerhalb einer Stunde fünfmal auf die Toilette muß und dann noch immer keinen "Haufen" gemacht hat, das mußte begründet werden.

Bei der Kostenübernahme für Behinderte finde ich es unerträglich, daß Behinderte z. B. Einrichtungen nicht verlassen können, weil die Kostenübernahme durch die diversen Kassen nicht geklärt ist. Warum ist es nicht möglich, daß dann der Sozialhilfeträger sagt, wir gehen in Vorleistung? Dieser Kampf der Kostenträger wird auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen, so daß es teilweise bis zu 1 1/2 Jahre dauert, die der Betroffene im Heim blieben muß, weil die Pflegekasse, der Sozialträger usw. sich nicht einigen können, wer nun eigentlich was in welcher Höhe bezahlt. Ich bin auch der Meinung, daß in diesem Zusammenhang gleiches Recht für alle gelten sollte, d. h., nicht nur der, der den fähigsten Betreuer hat und den besten Rechtsanwalt kennt, kommt zu seinem Recht, die anderen, die das alles nicht haben, nicht entsprechend von der Behörde über ihre Rechte aufgeklärt werden, die ganz allein da stehen, sollten ebenfalls ihre Rechte durchsetzen können.

Bezüglich der Pflegeversicherung kann ich als betroffene Mutter sagen, daß es schon ein Fortschritt ist. Zum einen kann ich mich von dem Geld, was ich für die Pflege meiner Tochter bekomme, wenigstens für einige Stunden im Monat entlasten. Diese 1.300 DM gebe ich an Pflegedienste bzw. geeignete Personen ab. Davon behalte ich übrigens selbst überhaupt nichts. Meine Rentenbeiträge werden gezahlt, das hätte ich sonst auch nicht. Meine Tochter ist jetzt 15 Jahre alt, jetzt habe ich wenigstens für vier Jahre die Rentenanwartschaft. Insofern ist für mich die Pflegeversicherung schon positiv, wenn auch noch sehr viele Dinge verbessert werden müssen.

Was die Gutachter des Medizinischen Dienstes angeht, bin ich teilweise schockiert über das Fachwissen der Mediziner. In dem Moment, wo der Behinderte in keine vorher fest definierte Schublade paßt, ist der Gutachter dermaßen verunsichert, daß er gar nicht mehr weiß, was er schreiben soll. Wenn ich Glück habe, treffe ich auf einen Gutachter, der mir zuhört und dem ich die verschiedenen Möglichkeiten und Auswirkungen schildern kann; habe ich Pech kommt einer, der meint, alles, was die anderen sagen, ist Schwachsinn und der bestimmt alles ganz allein, und es kommt die Pflegestufe 0 heraus bei jemanden, der 24 Stunden betreut werden müßte.

Ein Teilnehmer:

Ich bin der Meinung, wir sollten keine Bilanz, sondern erst einmal eine Zwischenbilanz ziehen und die Dinge, die sich jetzt entwickeln, kritisch beobachten. Unsere Sozialstationen/Pflegestationen haben wesentlich höhere Kosten als die privaten Anbieter. Das ist eine problematische Geschichte. Ich möchte ein Beispiel nennen: Eine junge Frau, die noch allein lebt und auch allein leben möchte, hat dreimal in der Woche, drei Stunden lang, einen Zivildienstleistenden gehabt. Dieser Zivildienstleistende kann von der Sozialstation nicht mehr geschickt werden, es sei denn, sie bezahlt diesen Zivildienstleistenden selbst.

Ein Teilnehmer:

Herr Ramms, ich möchte noch einmal sehr deutlich sagen, das, was hier diskutiert worden ist, ist nicht nur ein verwaltungsrechtliches, administratives Problem. Es ist nicht egal, ob ich im Rahmen der Eingliederungshilfe oder im Rahmen der Pflege geführt werde, damit der eine vom anderen das Geld bekommt. Bei der Frage, ob der eine vom anderen das Geld kriegt, spielt der Betroffene keine Rolle, sondern die wird an rein verwaltungsrechtlichen Problemen diskutiert. Ich kann diese Einstellung der administrativen Seite zwar verstehen, aber ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Sie hier nicht von Menschen reden, sondern nur vom Geldaustausch. Die Frage, ob es rechtens ist, daß wir dafür herhalten müssen und daß unsere Würde zweitrangig ist, muß erlaubt sein. Wir sind nicht zweitrangig, deshalb ist es auch wichtig, mit uns darüber zu reden und uns nicht fast zu vergessen. Das ist leider eine Erfahrung, die ich mache, und ich mache sie seit über 20 Jahren in der ehrenamtlichen Tätigkeit für Behinderte.

Und das dürfen Sie mir abnehmen, auch die Betroffenen sind in der Lage, administrativ zu denken, wenn man sie denn läßt. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, mit ihnen zusammen nach einer Lösung zu suchen?

Hier ist mehrfach der begutachtende Dienst angesprochen worden. Ich könnte auch hier Beispiele aus der Praxis nennen. Aber ich möchte ein anderes Problem aufzeigen, das ich für außerordentlich gravierend halte. Wissen Sie, was diese Beurteilung inzwischen erreicht hat? Früher wurden Menschen mit Behinderung sozusagen dahin erzogen, möglichst viel zu leisten. Heute werden sie schon dafür bestraft. Wenn sie eine Tür öffnen können, verwehrt man ihnen Hilfeleistungen. Das ist doch absurd, wenn behinderte Menschen dahingehend beraten werden müssen, nur das zu tun, was sie in Kontinuität auch wirklich können. Dies ist keine Phantasie, die ich hier vortrage, sondern es ist wirklich so. Man muß sich wirklich überlegen, wie man da weiter vorgeht.

Ich habe noch eine Frage: Ist die Dienstvorschrift des Medizinischen Dienstes mittlerweile zurückgenommen worden, daß er nur eine begrenzte Zahl von Pflegestufen gleichzeitg zulassen darf?

Ein Teilnehmer:

Ich kann das nur bestätigen, die Gutachter sind meistens "dümmlicher" als der Behinderte selber. Der Behinderte muß den Gutachter darauf hinweisen, welche Behinderungen er hat. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Die Begutachtungskommission war bei mir das erste Mal 15 Minuten. Weil ich einen Widerspruch eingelegt habe, beim zweiten Mal 30 Minuten. Wiederum wurde abgelehnt und Widerspruch eingelegt, und beim dritten Mal habe ich mich aufgeregt, und das ist mir zugute gekommen, das sage ich jetzt ganz ehrlich. Ich bin in Pflegestufe II gekommen; ich bin Epileptiker.

Ich möchte hier einen wirklich konstruktiven Vorschlag machen. Jeweils ein Vertreter des MdK, ein Vertreter der Behindertenorganisation und ein Vertreter des Ministeriums, die sich nicht kennen, sollten gleichzeitig eine Einschätzung geben mit einer konstruktiven Auswertung. Es ist ein Verbrechen, uns zu kategorisieren und uns eventuell auch noch wegzuschließen, darauf geht es nämlich hinaus.

Dr. Robert Paquet:

Ich wollte nur kurz auf den Medizinischen Dienst eingehen, wir sind ja dessen Träger. Ich akzeptiere, daß es da sicherlich einige Kompetenzprobleme gibt, insbesondere im Hinblick auf Behinderte. Die Ausbildungsanstrengungen, die für das Begutachtungswesen unternommen worden sind, beziehen sich sehr stark auf die altenpflegerische Dimension. Es ist heute schon mehrfach gesagt worden, daß die Pflegeversicherung stark in diese Richtung hin orientiert ist. Ich nehme zur Kenntnis, daß in dieser Schnittmenge Pflegebereich und Behinderung Kompetenzdefizite existieren. Auf der anderen Seite muß aber auch akzeptiert werden, daß der MdK eine Einrichtung ist, die in ihrem gesamten Aufgabenvolumen innerhalb von vier Jahren verdoppelt wurde, und es wurden innerhalb eines recht kurzen Zeitraumes zigtausende neue Untersuchungen durchgeführt. Insoweit bitte ich um ein wenig Geduld und Verständnis, auch für die Situation des MdK, womit nicht alles entschuldigt sein soll.

Ein Teilnehmer hat vorhin erwähnt, es gäbe, Vorschriften zur Begrenzung der Leistungen in Pflegestufe III. Das ist überhaupt nicht das Problem. Es gibt eine solche Vorschrift nicht, aber wir schauen uns schon die verschiedenen Gutachtenergebnisse an: Sind z. B. die Proportionen zwischen den verschiedenen Pflegestufen und der Antragstellung einigermaßen gleichmäßig? Hier müßte es nämlich eine epidemiologische Erklärung dafür geben, warum es beispielsweise in einem MdK 10 % mehr Entscheidungen für die Pflegestufe III gibt als in einem anderen Bundesland. Inzwischen hat sich erfreulicherweise auch seitens der Träger der MdKs die Haltung durchgesetzt, daß man hier zu einer Annäherung kommen müßte, weil sonst der Sinn eines Bundesgesetzes im Rahmen der Sozialversicherung verfehlt würde. Es ist eben nicht dasselbe, wenn in unterschiedlichen Bundesländern diese Entscheidung völlig unterschiedlich ausfällt. Wenn die Ablehnungsquote in einem Bundesland bei 20 % liegt und in dem anderen bei 35 %, dann stimmt etwas mit der Antragstellung nicht.

Heinz Schröder:

Was mir noch wichtig erscheint ist, daß die Qualitätsstandards, die wir jetzt haben, erhalten bleiben. Dann haben wir eine Menge erreicht. Wir müssen natürlich auch an all die anderen Sorgen anderer Gruppen in der Gesellschaft denken. Das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen darf nicht aus materiellen Überlegungen heraus eingeschränkt werden, das wäre eine unmenschliche Entwicklung. Ich habe auch Angst vor der sogenannten Binnendifferenzierung, weil ich denke, daß es zu neuen Institutionen und dadurch (wieder) zu Klassenunterschieden innerhalb von Einrichtungen führen wird, denn wir wissen ja, wie das in der Praxis ist. Die Diskussion war sehr interessant, und ich bin froh, daß ich hier war!

Angelika Jahns:

Ich darf mich anschließen und nehme heute mit nach Hause, daß es noch erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt, daß wir insbesondere auch von der Standardisierung runterkommen müssen, dazu müssen wir natürlich auch einen Teil beitragen. Ich wünsche mir, daß wir in dieser Richtung auch politisch einiges bewegen können. Ich bitte Sie in diesem Zusammenhang uns dabei zu helfen und uns auch auf die Dinge, die vor Ort ständig auftreten, als Beteiligte mit aufmerksam zu machen. Insofern sind wir alle als Politiker auch auf Ihre Hilfe angewiesen, und ich hoffe, daß wir das auch gemeinsam durchziehen können. - Ich bedanke mich für die interessante Diskussion.

Udo Ramms:

Mein Entwurf hat das Ziel, eine praxisgerechte Lösung zu finden für behinderte Menschen, die eine vollstationäre Betreuung wünschen. Wenn sie es nicht wünschen, sollten wir sie darin unterstützen, in einer anderen Wohnform zu leben. Eine vollstationäre Betreuung soll in der Regel in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe, in der auch die notwendige Pflege gewährleistet ist, stattfinden. Die Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung soll sich auf einen kleinen Personenkreis beschränken und die Ausnahme sein. Ich meine, wir wägen dabei sehr weit die Wünsche der Betroffenen ab und versuchen, sowohl deren Interessen als auch die Interessen der Sozialhilfeträger zu sehen. - Für mich war es sehr interessant, die Meinung von Betroffenen zu hören und solch eine Diskussion zu führen. Natürlich nehme ich auch neue Erkenntnisse mit nach Hause. Ich möchte noch anmerken, daß die abschließende Entscheidung, ob wir nun so verfahren oder nicht, noch aussteht.

Karl Finke:

Sie wissen, ich bin stark sehbehindert und als ich Anfang der 70er Jahre erblindete, hieß es, "blind ist, wer 2 % und schlechter sieht und sich nicht in einer fremden Umgebung orientieren kann". Dann kam das Mobilitätstraining auf, blindenpraktische Fertigkeiten usw., dieser Satz "... in einer fremden Umgebung nicht orientieren kann" ist herausgenommen worden, um Anreize zu schaffen, daß Blinde mobiler und von Dritten unabhängiger werden. Ich wünschte mir, daß dieser Gedanke in der Pflege auch zum Tragen kommen würde. Denn dies entspricht genau den Anforderungen, sich selbst zu fordern bis zu einem Punkt, wo man nicht mehr weiter kann und dann erst auf die Hilfe zurückzukommen. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz.

Herr Schröder sagte, wir müssen versuchen, es durch Bündelung zu machen und nicht nur nach Paragraphen.

Herr Dr. Paquet, Sie haben einen Punkt angesprochen, der vielleicht zu ändern wäre, indem man den Behindertenbereich besonders ausweist und erklärt, daß in diesem Bereich die Pflegeversicherung eine Versicherung ist, die Frauen bei der Pflege schützen soll, ihnen auch Urlaubsmöglichkeiten geben soll.

Ein anderer Punkt ist Schweden. Ein Behinderter sagte in der Diskussionsrunde, als Behinderter in Schweden zu leben, sei kein Problem, das ist auch vom Selbstbewußtsein sehr klar rübergekommen. Das deckt sich mit vielem, was ich auch von anderen erfahren habe. Man hat seine Behinderung, aber viele Elemente, die tragend sind für das gesellschaftliche Verständnis, sind richtig und wichtig.

Die Frage der Pflege und der Standards Behinderter ist in der Tat so, daß sie nach meiner Einschätzung in vielen Punkten Rückschritte für den Behinderten bedeuten, das kann nicht so gewollt und nicht von Dauer sein. Es kann auch nicht sein, daß die Standards, die rein technisch orientiert sind, für die Qualitätspolitik ausschlaggebend sind. Daher bedarf die Pflegeversicherung einer Überprüfung.

Wir werden in der kommenden Woche z. B. in Niedersachsen darüber diskutieren, daß eigenständiges Leben Behinderter möglich ist, auch unter schwierigen Vorzeichen. Wir haben den Staatssekretär aus Rheinland-Pfalz eingeladen, der uns über zwei Modelle berichten wird. Sie wollen versuchen, in einer Form von eigenständigem Pflegegeld und Entgelt für Behinderte, die Behinderten über einen festen Satz selbst entscheiden zu lassen. Hier haben sie sich mit den Verbänden geeinigt. Der Staatssekretär macht dies unter zwei Aspekten: Erstens, die Mittel direkt zu dem Behinderten selbst durchlaufen zu lassen, um eigenständige Lebensformen zu stärken; und zweitens natürlich, um die Kostenentwicklung tragbar zu machen. Das ist in Rheinland-Pfalz von den Verbänden einstimmig übernommen worden. Damit hat man nicht gerechnet. Wir sollten uns also nicht von vornherein einschüchtern lassen, sondern ich bin der Meinung, wir sollten auch unter schwierigen Bedingungen strukturelle Veränderungen für uns Behinderte umsetzen, damit sie konkret lebbar werden. Vielen Dank.

Kontakt

Karl Finke

Behindertenbeauftragte des Landes Niedersachsen

Postfach 141, 30001 Hannover

Quelle:

Karl Finke: Die Pflegeversicherung - Menschen mit Behinderung ziehen Bilanz

Herausgegeben vom Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen, Schriftenreihe Band 24

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 16.06.2010

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation