"Praxis integrativer Kindergärten - ein Erfahrungsaustausch"

Autor:in - Katharina Burger
Themenbereiche: Vorschulischer Bereich
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Einleitungsreferat beim Arbeitskreis 3, Tagesbericht zum 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein". Veranstaltungszeitraum: 6. - 8. Juni 1996 in Innsbruck. Veranstalter: "Tafie - Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung" in Zusammenarbeit mit der "Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder" und dem "Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck".
Copyright: © Katharina Burger 1996

Zu Beginn einige Gedanken und Überlegungen zum Thema Integration.

Schon die Bedeutung des Wortes Integration setzt voraus, daß Menschen ausgesondert worden sind, daß eine Trennung von gesund und krank stattgefunden hat. Die Erfahrungen, die ich während meiner sechsjährigen Tätigkeit in einem Heim für geistig behinderte Menschen (als solche wurden sie bezeichnet) gemacht habe, zeigten mir sehr deutlich, daß die Isolation in der sie gelebt haben, sie immer mehr vom "normalen Alltag" entfremdet hat.

Es muß also immer mehr darauf ankommen, Isolation und Aussonderung von vornherein zu verhindern. die gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder bietet die Möglichkeit, wesentliche Faktoren, die zur Isolation und Stigmatisierung führen, einzuschränken. Daß es funktioniert, ist mittlerweile ja belegt. Gemeinsames Leben und Lernen ist eine natürliche Situation, von der alle profitieren können. Nichtaussonderung erfordert eine Pädagogik, die sich nicht am Defekt orientiert, sondern die Kinder innerhalb einer Gruppe auf ihrem jeweiligen unterschiedlichen Entwicklungsstand erreicht. Diese Pädagogik muß ausgehen von den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des einzelnen Kindes. Sie muß ein gemeinsames Spielen und Lernen an einem Gegenstand ermöglichen.

Der Kindergarten darf nicht zum Maßstab therapeutischer Zielvorstellungen werden, auf die das Kind hingebogen werden muß. Vielmehr ist er neben dem täglichen Leben in der Familie als ein zusätzlicher Erfahrungsbereich, in dem Kinder ihre Behinderung verarbeiten, kompensieren oder gar überwinden können, zu sehen. Behandlung durch Erfahrung steht hier im Vordergrund. Das heißt, sich an den Gegebenheiten des "normalen" Lebens üben. Kinder und Erwachsene werden damit konfrontiert, daß ihnen auch einiges nicht gelingt und manches auch nie gelingen wird. Es ist aber doch so, daß wir im Laufe unseres Lebens immer wieder Menschen begegnen werden, die bestimmte Dinge können, die uns nicht so gelingen.

Erst der Ausschluß diskriminiert. Oder: nur die Chance die es nicht gibt, behindert.

Wie sehen "die Chancen" nun in den NÖ Landeskindergärten aus?

Vor circa sechs Jahren wurden von der damaligen Projektgruppe für die Integration in den Kindergärten folgende Punkte ausgearbeitet:

Einzigartigkeit jedes Kindes

Wohnortnähe

Pädagogische Integration

Soziale Integration

Integrative pädagogische und heilpädagogische Betreuung

Kooperation und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Freiwilligkeit

Momentan gibt es in Niederösterreich zwei Modelle:

1.) Die gestützte Einzelintegration

2.) Die heilpädagogisch-integrativen Kindergruppen

Die häufigste Form ist die gestützte Einzelintegration (ein bis zwei Kinder, Wohnortnähe). Als mobile Sonderkindergärtnerin der heilpädagogischen Ambulanz (im Zuge des neuen Kindergartengesetzes wird die Berufsbezeichnung geändert - die Pädagogik bleibt eine allgemeine) betreue ich 28 Kindergartengruppen, 8 davon werden integrativ geführt. Meine Aufgaben sind folgende:

* Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen (Optimierung des Verhältnisses Kinderanzahl /

Betreuungspersonal)

* Arbeit mit dem Kind

* Reflexion im Team

* Elternarbeit

* Kontakte zu Ambulatorien, Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeitern und Schulen herstellen

und aufrechterhalten

In der praktischen Arbeit wird von unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen ausgegangen. Da mir eine Ganzheit - das Werden einer Persönlichkeit - begegnet, ist für mich das viel zitierte Postulat der Ganzheitlichkeit der Kerngedanke meiner pädagogischen Arbeit. Eine Aufteilung in die verschiedenen Funktionsbereiche (Mund für Logopäden, Beine für Krankengymnastin, Hände für Beschäftigungstherapeuten,...) verhindert einen solchen ganzheitlichen Ansatz.

Vor zirka vier Jahren habe ich die Ausbildung in Montessori-Pädagogik gemacht und bin dabei auf meinem "pädagogischen Weg" bestärkt und bestätigt worden. Die MontessoriPädagogik ist nach 80 Jahren unverändert aktuell, sie spielt vor allem im Bezug auf die Integration eine bedeutende Rolle. Der tiefere Sinn der Pädagogik, nämlich die liebevolle Achtung und der Respekt vor dem Kind bildet gerade jene Grundlage einer Pädagogik für alle Kinder. Jeden Einzelnen mit seinen Möglichkeiten, Fähigkeiten, Bedürfnissen und Interessen zu akzeptieren, und ihn auf seinem Weg zu begleiten und zu unterstützen.

Ich versuche mit dem gesamten Team die Umgebung (nach dem Prinzip der vorbereiteten Umgebung nach Montessori) der Kinder so zu gestalten, daß die Angebote mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten korrespondieren. Beobachtung gilt als wesentliche Voraussetzung Selbst tätig zu sein und Erfahrungen zu sammeln ermöglicht dem Kind Unabhängigkeit vom Erwachsenen zu erlangen und den eigenen Selbstwert zu sichern.

Im Anschluß an diese Überlegungen wurden praktische Anregungen zur Gestaltung der vorbereiteten Umgebung und deren individuelle Umsetzung besprochen.

Mit dem folgenden Zitat möchte ich meine Ausführungen unterstreichen und beenden:

"Rehabilitiert ist der Behinderte aber nicht, wenn er durch Therapie von seinem Defekt befreit ist, sondern wenn ihm von vornherein dazu verholfen ist, mit seinem Defekt in der Gemeinschaft zu leben, in der Normalität, durch die allein seine Rehabilitation Wahrheit wird.... "

(Milani-Comparetti und L. Roser, "Sie nennen es Fürsorge", Berlin 1982, S. 85)

Literatur:

1.) "Kopfkorrektur" von Monika Aly, Götz Aly und Morlind Tumler; Rotbuch Verlag, Berlin

2.) "Hand - und Fußbuch für Behinderte" herausgegeben von Gusti Steiner, Fischer Verlag

Katharina Burger, am 16.7.96

Quelle:

Katharina Burger: "Praxis integrativer Kindergärten - ein Erfahrungsaustausch"

Einleitungsreferat beim Arbeitskreis 3, Tagesbericht zum 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen in Innsbruck, 7. Juni 1996

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 17.11.2005

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