Vaterschaft, Erziehung und Alltagserleben von Vätern mit Behinderung

Eine empirische Studie zur Lebenssituation behinderter Väter auf der Grundlage von Interviews

Autor:in - Birgit Behrisch
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft. Erstgutachterin: Dr. phil. Barbara Drinck, Dipl. Psychologin, Zweitgutachterin: Prof. Dr. Bettina Hannover, 15.09.2005
Copyright: © Birgit Behrisch 2005

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ein studentisches Lieblingsthema in Seminaren, welche sich mit der Situation von Menschen mit Behinderung auseinandersetzen, sind Familien, in welche ein Kind mit Behinderung hineingeboren wird. Die Auseinandersetzung der Eltern mit diesem neuen Lebensumstand steht dabei im Mittelpunkt. Erst meine eigene Schwangerschaft veranlasste mich, über den Abschnitt der Kindheit hinaus zu denken und nach den jungen Erwachsenen mit Behinderung zu fragen und dies nicht nur hinsichtlich beruflicher oder gesellschaftlicher Integration, sondern vor allem auf privater Ebene und nach einer möglichen Elternschaft von Menschen mit Behinderung. In meinem Alltag waren mir bis zu diesem Zeitpunkt solche Eltern nicht begegnet, die Frage nach möglichen Eltern mit Behinderung im nächsten Seminar rief erst einmal Erstaunen hervor und stieß auf wenig Interesse.

Daraufhin wurde dieses Thema zu meiner Seminararbeit, wenngleich die Unkenntnis kaum verringert werden konnte, denn weder die Universitätsbibliotheken noch das Internet gaben groß Auskunft. Die wenige Literatur über eine Familienkonstellation, welche sehr wohl vorhanden war, aber so wenig Beachtung erhielt, weckte mein verstärktes Interesse und ich beschloss, im Rahmen meiner Diplomarbeit selbst Eltern mit Behinderung zu interviewen. Sorge bereiteten mir meine Zweifel, ob ich überhaupt interessierte Eltern mit Behinderung finden würde, welche mir als Nicht-Behinderte und aus dem eher als lebensfern eingestuften universitären Bereich Kommende ein Interview geben würden. Auf meine Anfrage wegen eines Gespräches mit Eltern mit Behinderung beim Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern sowie dem Berliner Netzwerk behinderter Frauen e.V. erhielt ich Rückmeldungen von dreizehn Müttern, vier Vätern und dem Verband der Körperbehinderten der Stadt Dresden e.V., welche gern bereit gewesen wären, mir eine Gesprächsrunde mit Eltern zu organisieren. Mit einer solchen Resonanz hatte ich nicht gerechnet. Für die betroffenen Eltern hat dieses Thema große Relevanz, viele schrieben mir, dass es an der Zeit wäre, dass ihre Situation einmal in den Blick geriete[1]. Meine Frage, wie ich die notwendige Anzahl von Interviews für die Diplomarbeit bekommen könnte, wandelte sich innerhalb weniger Tage in die schwierige Aufgabe, welche Schwerpunkte ich in der Arbeit setzen sollte, da es unmöglich war, mit allen Eltern ein Gespräch zu führen. Meine Kenntnisse aus der Literatur waren mittlerweile gewachsen, da einige unveröffentlichte oder nur regional veröffentlichte Arbeiten dazu gekommen waren sowie Schriften von bifos, dem Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter. Diese vorhandene Literatur beschäftigt sich überwiegend mit Frauen und Müttern mit Behinderung, sie ist auch vor allem von Müttern mit Behinderung verfasst worden, welche sich zu Wort melden und ihre Situation in einen größeren Rahmen einordnen wollen. Aufgrund dessen entschloss ich mich, in meiner Arbeit ergänzend zu den bereits vorliegenden Studien ausschließlich die Einstellungen, Ansichten und Erfahrungen von Vätern mit Behinderung in den Mittelpunkt zu stellen.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier große Teile. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der momentanen wissenschaftlichen Sicht generell auf Vaterschaft und Konzepten von Behinderung. Abschließend wird auf den derzeitigen Forschungsstand zu Vätern mit Behinderung eingegangen. Der zweite Teil beschreibt die methodischen Grundlagen dieser Untersuchung beziehungsweise die eigene Vorgehensweise hinsichtlich der Datenerhebung in Form von qualitativen Interviews (Witzel) sowie der inhaltsanalytischen Auswertung (Mayring). Anschließend werden im dritten Kapitel die auf diesem Wege ermittelten Ergebnisse einmal als Einzelfalldarstellung der einzelnen Interviews und zum anderen als Querschnitt über alle geführten Gespräche dargestellt. Im letzten Teil werden die festgestellten Ergebnisse Bezug nehmend auf das heuristische Modell des subjektiven Vaterschaftskonzeptes von Matzner ausgewertet und in den theoretischen Rahmen des momentanen Forschungsstandes eingeordnet. Einige diese Arbeit und deren Durchführung reflektierende Schlussbemerkungen schließen die Diplomarbeit ab.



[1] "Ich finde jedenfalls, dass es höchste Zeit wird, dass das Thema behinderte Eltern mehr in den Blickpunkt kommt. Man erlebt schließlich höchst seltsame Zeitgenossen mit viel Unverständnis für die Tatsache, dass man selbst Kinder hat (und dann auch noch zwei... :-) )" - Zitat einer Mutter aus einer e-mail auf mein Rundschreiben (Frau T., Z. 20 - 23).

I. Zur Situation von Vätern mit Behinderung

1. Vaterschaft als Entwicklungsaufgabe

Die Einschätzungen der deutschsprachigen Väterforschung bezüglich der mengenmäßigen Beachtung als auch der thematischen Abdeckung ergebe trotz eines wachsenden Interesses das Bild einer "punktuellen Forschung", welcher es an "kontinuierlicher Verfolgung bestimmter Fragerichtungen" fehle (Walter, 2002, S. 50). Gerade im Zusammenhang mit der Rede von den neuen Vätern träten zwei Aspekte in den Mittelpunkt, die Gestaltung der Vaterrolle und die Wahrnehmung der Geschlechtsrollenidentität als Vater.

In modernen pluralen Gesellschaften existiert kein einheitliches, konsensfähiges Orientierungsmuster für Vaterschaft mehr. Vielmehr ist von der Existenz verschiedener Variationen individueller Vaterschaft und daraus resultierend diversen sozialen Praxen auszugehen. Matzner (2004, S. 18) konstatiert, dass gerade die emotionale und persönliche Dimension für die deutsche Forschung kaum von Interesse ist, wobei Vaterschaft jedoch einer der wenigen alltäglichen Erlebensräume ist, in welchen Männer ihre Emotionen frei ausleben können. Sein Ziel ist die Entwicklung einer Sozialisationstheorie des Vaters und der Vaterschaft, wobei Vaterschaft hier als Entwicklungsaufgabe verstanden wird.

"Elternschaft wird als ein dynamischer und veränderbarer Prozess, als eine Herausforderung an Erwachsene angesehen, die durch diese bewältigt werden muss. Erziehung und Sozialisation haben nicht nur Auswirkungen auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern im Zuge der Interaktion mit den Kindern und damit auch im Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklung, die auch durch Selbstsozialisation geprägt werden kann. In diesem Sinne kann das Denken, Fühlen und Handeln als Mann und Vater auch als eine Konsequenz eines komplexen Prozesses von miteinander verknüpften Interaktionen und Reflexionen angesehen werden." (Matzner, 2004, S. 14)

Bezug nimmt Matzner (2004, S. 31) auf verschiedene Studien der Väterforschung mit identitätstheoretischer oder interaktionistischer Orientierung, welche Einstellungen und Vorstellungen aus der Perspektive von Vätern betrachten. Schwerpunkte dieser väterzentrierten Väterforschung sind die psychische Bedeutung von Vaterschaft für Männer, die Entwicklung einer väterlichen Identität und das Ausmaß der Orientierung an einer solchen Identität im Alltag.

Drei Studien, die unterschiedliche Aspekte für die Formung von Vaterschaft beschreiben, sollen stellvertretend für diesen Ansatz hier kurz umrissen werden. Marsiglio (1995, zitiert nach Matzner, 2004, S. 31f.) beschreibt Vaterschaft als ein Ergebnis von männlicher Selbstwahrnehmung, welche durch die Interaktionen und Aushandlungen mit der Kindesmutter, dem Kind und anderen Dritten entstünde. Männer formen persönliche Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich ihrer Vaterrolle derart, indem sie kulturelle Muster von Vaterschaft wahrnehmen, verbunden mit der eigenen Sozialisationserfahrungen reflektieren und darüber ein bestimmtes Konzept für sich selbst übernehmen. Vaterschaft an sich beinhaltet zudem immer mehrfache Aufgaben und potenziell zwiespältige Rollenanforderungen bezüglich verschiedenen realen oder imaginierten Eigen- und Fremderwartungen.

Backett (1990, zitiert nach Matzner, 2004, S. 33f.) verweist in der Möglichkeit der Auslebung der Vaterschaft für den Vater auf die zentrale Figur der Kindsmutter. Das Zusammenleben der Mutter-Vater-Kind-Triade und die grundlegende Organisation des Familienlebens hängt auch im Wesentlichen von der Bereitschaft und Intension der Mutter ab, den Vater in die Versorgung des Kindes mit einzubeziehen. Väter reagieren empfindlich auf das ihnen entgegengebrachte oder verweigerte Vertrauen seitens der Mütter. Wenn Männer nicht die Möglichkeit erhalten, ihre väterlichen Kompetenzen zu entwickeln, trägt dies mitunter zu einer Retraditionalisierung des Familienlebens unter bekanntem Ausschluss des Vaters bei.

Auf individualpsychologischer Ebene schildern Lupton / Barclay (1997, zitiert nach Matzner, 2004, S. 36f.) Vaterschaft als eine unternehmerische Aktivität. Die Ausgestaltung des Lebens wird hierbei zu einer rationalen, autonomen, individuell verantwortlichen Suche, an deren Ende die Maximierung des eigenen Potenzials als wertvolle Person steht.

Anhand dieser drei Beispiele kann deutlich werden, dass Väterforschung in ihren Konzepten mehrere Faktoren, welche die Vaterschaft beeinflussen, benennt, unterschiedlich gewichtet und eine große Variationsmöglichkeit der Variablen in der konkreten Gestaltung von Vaterschaft auch theoretisch absichert. Vaterschaft erhält darüber einen "balancierenden Charakter" (Cowan / Cowan, zitiert nach Matzner, 2004, S. 38) durch die intrapersonale Auseinandersetzung zwischen der bis dahin geformten männlichen Persönlichkeit mit den neuen väterlichen Rollenerwartungen sowie auf interpersoneller Ebene in der Aushandlung zwischen Vater und anderen Personen und Institutionen. Matzner (2004, S. 38) erweitert diese dynamische Betrachtungsweise um die Dimension der Zeit, worüber Vaterschaft als Entwicklungsprozess angesehen wird. Die Veränderungen väterlicher Vorstellungen und Handlungen unterliegen dabei den Veränderungen der Einflussfaktoren und der individuellen Verarbeitung bereits gemachter Erfahrungen.

2. Subjektives Vaterschaftskonzept

2.1. Das Modell

Bei seinem Durchgang durch die derzeitige Forschungsliteratur zu Vätern im englisch- und deutschsprachigen Raum macht Matzner (2004, S. 38) auf eine relativ konstante Schnittmenge bezüglich immer wieder genannter beeinflussender Faktoren von Vaterschaft aufmerksam. Diese Determinanten von Persönlichkeit, Sozialisationserfahrung, Geschlechtsrollenorientierung, Person der Kindsmutter und des Kindes, sozioökonomischer Bedingungen sowie beruflicher Belastung fasst er in seinem eigenen Modell "Subjektives Vaterschaftskonzept und die soziale Praxis von Vaterschaft" zusammen.

Spätestens in der Phase als werdender Vater beginne ein Mann, sich konkrete Gedanken hinsichtlich seiner zukünftigen Vaterrolle und seiner Ausgestaltung der Beziehung zu seinem Kind zu machen. Auf der Grundlage der Werte und Einstellungen der bisherigen Persönlichkeitsentwicklung und der eigenen Sozialisations- oder möglicher Vatererfahrungen vollziehe sich nun im Zusammenwirken mit den weiteren Determinanten soziale Lage und Milieu sowie sozio-kulturelle Einflüsse die Sozialisation zum Vater unter Herausbildung eines persönlichen Vaterschaftskonzeptes.

"Unter einem subjektiven Vaterschaftskonzept versteht man die Vorstellungen eines Vaters über seine Vaterschaft. Die Vorstellungen spiegeln sich in Auffassungen, Überzeugungen, Einstellungen, Gefühlen und Normen hinsichtlich der Bereiche Vaterschaft, Mutterschaft, Elternschaft, Kindheit, Familie und Erziehung wider. Subjektive Vaterschaftskonzepte ermöglichen die Handlungsplanung als Vater und geben Verhaltenssicherheit. Sie motivieren zu einer erwartungskonformen Rollenausübung in Bezug auf eigene als auch auf Erwartungen Dritter. Subjektive Vaterschaftskonzepte sind das Resultat eines komplexen Zusammenwirkens verschiedener Determinanten, die sich im Fühlen, Denken und Handeln von Vätern bemerkbar machen. Subjektive Vaterschaftskonzepte haben einen dynamischen Charakter, sie können sich im Laufe der Vaterschaft aufgrund wandelnder Determinanten sowie unter dem Einfluss von Erfahrungen, Gefühlen und Erkenntnissen als Vater verändern." (Matzner, 2004, S. 436)

Mit der Geburt des Kindes versuche ein Vater, seine Vatervorstellungen in die Praxis zu veräußern. Als wesentliche Ausdrucksformen väterlicher Beteiligung gelten zum einen der Bereich der Aktivitäten mit dem Kind wie Engagement, Präsenz / Verfügbarkeit und Verantwortlichkeit sowie zum anderen der Bereich der Aktivitäten für das Kind wie affektives und gedankliches Engagement und Geld verdienen. In welcher Art diese Praxis seitens des Vaters gestaltet wird und werden kann, hänge in ihrer Realisierung von den Determinanten Partnerin und Mutter der Kinder, Kinder, Berufstätigkeit des Vaters, materielle und soziale Ressourcen sowie soziale Lage und Milieu ab. Die hier gemachten Erfahrungen der Interaktionen und Aushandlungsprozesse bezüglich der gelebten Vaterschaft in und außerhalb der Familie würden wieder zurück in die Vorstellungen des väterlichen Vaterschaftskonzeptes des Vaters fließen. Im Modell wird dieser Aspekt unter der Determinante Erfahrungen als Vater erfasst.

Dieses Modell bildet Vaterschaftsvorstellungen als einen Kreislauf und ein komplexes Wirkungsgefüge verschiedener Determinanten ab. Zudem besitzt es einen relationalen und dynamischen Charakter, welcher es ermöglicht, Veränderungen aufgrund von Entwicklungsprozessen auf individueller, Mikro- oder Makroebene immer wieder neu miteinbeziehen zu können. Die väterlichen Erfahrungen erhalten in diesem Entwurf einen besonderen Stellenwert; ihnen wird eine große normative Kraft, welche subjektive Sicherheit im Alltagshandeln vermittelt, zugesprochen.

"Subjektive Vaterschaftskonzepte sind also flexibel, sie werden nicht ein einziges Mal ‚gewählt', sondern sie sind ein kontinuierlich wechselnder Seins-Zustand und haben einen ‚relationalen' Charakter." (Matzner, 2004, S. 438)

Vaterschaft wird hier als das Produkt des Zusammenwirkens der psychischen Dimension als Folge der Persönlichkeitsentwicklung und der sozialen Dimension als Auswirkung der persönlichen Auseinandersetzung mit einer bestimmten sozio-kulturellen, gesellschaftlichen Umwelt beschrieben. Väter sind damit Produzenten ihrer individuellen Form von Väterlichkeit (vgl. Matzner, 2004, S. 440).

Durch Selbstreflexion und aktive Ausgestaltung ihrer Vaterrolle sozialisieren sich Männer auch selbst zum Vater. Dennoch ist die väterliche Praxis auch Ausdruck der Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft, denn die Kombination von Selbst- und Fremdreflexion spiegelt sich in den Ereignissen der Lebensläufe der Väter wider. Zwar gilt die väterliche Einstellung zur Vaterschaft als richtungsweisende Voraussetzung für die tatsächliche Beteiligung, dennoch bedarf diese auch entsprechender Rahmenbedingungen zur Realisierung (vgl. Matzner, 2004, S. 441).

Vaterschaft als soziale Praxis gestaltet sich nach Matzner (2004, S. 442) hauptsächlich durch die Interaktion innerhalb der Familie, wobei außerfamiliale Einflüsse das väterliche Handeln mit bestimmen. Die beständige Beschäftigung des Vaters mit realen oder imaginierten Eigen- und Fremderwartungen bezüglich seiner konkreten Vaterschaft schwerpunktmäßig im Familienkreis verdeutlicht die Komplexität der Ausgestaltung von Vaterschaft, Familie und Elternschaft.

"Je nach Person des Vaters, der Mutter und der Kinder sowie den Rahmenbedingungen kann sich diese Interaktion unterschiedlich gestalten, was wiederum differente Auswirkungen auf das Handeln und die Konstitution der Identität des Vaters sowie der Vater-Kind-Beziehung und der Elternbeziehung hat." (Matzner, 2004, S. 442)

2.2. Die Hauptdeterminanten

Die von Matzner (2004, S. 161f.) verwendeten Hauptdeterminanten bezüglich der Bildung eines subjektiven Vaterschaftskonzeptes und der konkreten Realisierung väterlicher Beteiligung sollen hier kurz, sofern inhaltlich notwendig, umrissen werden.

Eine Determinante des Vaterschaftskonzeptes stellt die Sozialisation zum Vater dar. Hier kommen zum Ersten genetische Anlagen und Persönlichkeitsmerkmale wie persönliche Reife, emotionale Stabilität, Anpassungsfähigkeit und Frustrationstoleranz zum Tragen; zum Zweiten Sozialisations- und Erziehungserfahrungen allgemeiner Art zur erwachsenen Persönlichkeit und geschlechtsspezifischer Weise zum Mann, welche die Einstellungen und Normen des Vaters über die Funktion der einzelnen Familienmitglieder einschließlich der sich selbst zugeschriebenen Kompetenzen unter Ausprägung bestimmter geschlechtsspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen formen. Entscheidend hierbei sind die persönlichen Familienerfahrungen und die Beziehung zu Mutter und Vater.

Die Kategorie Soziale Lage und Milieu bildet die sozioökonomischen Verhältnisse des Vaters von beispielsweise Schul- und Berufsausbildung, Einkommen und Wohnverhältnisse, ab. Die Ausstattung mit unterschiedlichem ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital veräußere sich in den verschiedenen Lebenskonzepten und somit auch in den Einstellungen zu Vaterschaft und Familie.

Vaterschaft als kulturelles Konstrukt äußere sich je nach sozio-kulturellen Einflüssen der Umgebung sehr verschiedenartig in den Leitbildern und Normen zu Vaterschaft und Familie und bezüglich der wahrgenommenen gesellschaftlichen Erwartungen an väterliche Beteiligung in der sozialen Praxis.

Die Realisierung väterlicher Beteiligung verlaufe auch über das Vertrauen der Partnerin und Mutter der Kinder in die väterlichen Fähigkeiten des Partners. Ihre Vorstellungen und Erwartungen an Mutter- und Vaterrollen sowie die Qualität der Partnerschaft eröffneten im Sinne der von Fthenakis proklamierten "Gate-Keeping-Funktion" (Matzner, 2004, S. 87) den Aktionsraum für Väter.

Auch die Kinder selbst würden die väterliche Zuwendung über den Wert und die Bedeutung der Umstände von Erwünschtheit, Alter, Geschlecht und Temperament für den Vater ‚steuern'.

Die Berufstätigkeit des Vaters entscheide über flexible und zeitliche Freiräume zur Beteiligung in der Familie. Qualität und Quantität stünden auch mit der physischen und psychischen Belastung durch die Erwerbsarbeit in Verbindung. Die Optionen der Familie bezüglich der Ernährerfunktion wie der generellen Ausgestaltung des Familienlebens hänge auch mit der Verfügbarkeit materieller und sozialer Ressourcen wie Familieneinkommen oder Kinderbetreuungsmöglicheiten zusammen.

3. Die Kategorie Behinderung in den Normalisierungsvorstellungen

Behinderung ist ein Terminus, welcher weit gefasst wird und in der begrifflichen Festlegung je nach Standpunkt verschiedene Schwerpunkte setzt. Eine begriffliche Klärung ist jedoch für gesetzliche Regelungen von Rechten und Leistungen der Betroffenen notwendig.

Im Jahre 2001 legte die WHO ihr neues Konzept der ICF - International Classification of Functioning, Disability and Health, vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in der deutschen Übersetzung als "Internationale Klassifizierung der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit" herausgegeben, vor. Dieses löste die bis dahin übliche ICIDH ab, welche Behinderung in einer Kausalkette als eine Krankheitsfolge definierte. Im neuen Entwurf wird der Versuch unternommen, die beiden gegensätzlichen Erklärungsmodelle von Behinderung, das medizinische und das soziale Modell, zu integrieren.

Das lange Zeit vorherrschende medizinische Modell sieht Behinderung als ein Merkmal und damit individuelles Problem einer Person. Ausgehend von einer Krankheit oder einem Trauma bedarf die behinderte Person medizinisch-therapeutischer Versorgung zur Heilung, Anpassung und Verhaltensänderung in der neuen Situation. Die politische Ausgestaltung findet demnach in der Gesundheitspolitik statt. Das soziale Modell hingegen versteht unter Behinderung ein gesellschaftlich verursachtes Problem, welches sich an der Frage der vollen Integration und Partizipation der Betroffenen in die Gesellschaft entscheidet. Politisch zielt dies auf die Umsetzung der Menschenrechte und betont die gemeinschaftliche Verantwortung für soziale als auch weltanschauliche Veränderungen (vgl. DIMDI, 2004, S. 25).

Die ICF nun basiert auf einem "biopsychosozialen" Ansatz, um "eine kohärente Sicht der verschiedenen Perspektiven von Gesundheit auf biologischer, individueller und sozialer Ebene" (DIMDI, 2004, S. 25) zu ermöglichen.

Im grundlegenden Teil 1 "Funktionsfähigkeit und Behinderung" unterteilt die ICF zwischen den Komponenten Körperfunktionen und -strukturen und Aktivität und Partizipation. Die im Teil 2 beschriebenen Kontextfaktoren Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren können darauf einwirken. Alle diese vier Komponenten sind sowohl positiv als auch negativ bestimmbar. Beispielsweise beschreibt die Funktionsfähigkeit den positiven Aspekt der Komponenten Körperfunktionen und -strukturen und Aktivität und Partizipation, Behinderung hingegen den negativen Aspekt (vgl., DIMDI, 2004, S. 17).

In der Einschätzung durch das DIMDI (2004, S. 24) wird das neue Klassifikationsverfahren dahingehend bewertet, dass sich die ICF um einen mehrperspektivischen Zugang zu den Kategorien Funktionsfähigkeit und Behinderung im Sinne eines interaktiven, dynamischen Prozesses bemühe. Funktionsfähigkeit wird damit als komplexe Beziehung zwischen Gesundheitsproblem und Kontextfaktoren, welche einer Wechselwirkung unterliegen, abgebildet.

Sofern man die Kategorie Behinderung definieren möchte, gerät durch ihre abweichende Bezogenheit von dem Normalen auch diese als zu befragende Kategorie in den Mittelpunkt der Untersuchung. Tervooren (2003, S.43) spricht in Anlehnung an die Neuakzentuierung von Differenz durch Derrida von einer Verwiesenheit beider Seiten dieser Gegenüberstellung aufeinander, welche allein nicht existent sind. Nicht allein die Untersuchung des abweichenden Anderen, sondern auch die Analyse der dominanten Kategorie ist geboten.

Nach Waldschmidt (2003b, S. 130) ist die Normalität der modernen Gesellschaft von Individualität und Pluralität weniger eine auf herrschenden Normen basierende als eine auf statistische Aussagen bezugnehmende Normalität. Ihre Begrifflichkeit entnimmt sie dabei den Überlegungen über die Produktion von Normalität von Link (vgl. Waldschmidt, 2003b, S. 129f.). Demnach drücken sich normative Normen in gesellschaftlichen Regeln und Erwartungshaltungen aus. Ihre Durchsetzung über Kontroll- und Sanktionsmechanismen bestimmender Gesellschaftsteile dient der Herstellung gesellschaftlicher Stabilität in der Anpassung. Normalistische Strukturen hingegen ermöglichen Veränderungen und eine gewisse Dynamik in der gesellschaftlichen Handlungsausrichtung. Der Vergleich der gesellschaftlichen Individuen untereinander bezüglich eines Maßstabes bewirkt die gemeinsame Aushandlung aller Beteiligten bezüglich der Bereiche von normaler Mitte, Übergangszonen und Randbereichen.

Die heutige Normalisierungsgesellschaft beruht auf diesem Prinzip der soziale Normen generierenden Handlungen (vgl. Waldschmidt, 2003b, S. 132). Zwei aufeinander bezogene, sich nicht ausschließende Strategien bestimmen hierbei die normalistische Ausgestaltung. Die an Normativität ausgerichtete protonormalistische Strategie zementiert die Unterscheidung von Normalem und Differenz und bewirkt eine dauerhafte Ausgrenzung der Abweichung. Eine Verschiebung dieser Trennlinie ermöglicht die Strategie der flexiblen Normalisierung, da ihr die Annahme einer variablen Verteilung der Menschen im sozialen Raum zugrunde liegt. Trennungslinien sind daher nur von mittelfristiger Dauer, aber weiterhin existent (vgl. Waldschmidt, 2003b, S. 130f.).

Bezüglich des Umganges mit Behinderung sind sowohl Normalisierungsbemühungen als auch weiterhin bestehende Ausgrenzungsbestrebungen in Politik und Gesellschaft erkennbar.

"Zwar ist einerseits ein flexibel-normalistischer Trend durchaus zu erkennen, andererseits ist der normierende Ansatz weiterhin wirkungsmächtig. Mittels der flexiblen Normalisierung werden offenbar die Zwischenräume verbreitert; die Polarität zwischen Behinderung und Normalität verschwindet jedoch nicht." (Waldschmidt, 2003b, S.137)

Zurückkommend auf die ICF der WHO erinnert deren theoretischer Rahmen an die inklusive Sichtweise auf Behinderung mittels des Begriffs der Verletzlichkeit von Tervooren (2003, S. 45ff.). Bezug nehmend auf das Modell des Spiegelstadiums von Lacan weist sie auf die jedem Menschen vertraute, an Zerstückelung erinnernde Verletzlichkeit des eigenen Körpers hin.

"Der ,normale' Körper ist nichts mehr als ein imaginierter ganzer Körper, dessen reale Verletzbarkeit durch ein Phantasma der Unverletzlichkeit überdeckt wird." (Tervooren, 2003, S. 45)

Jeder Mensch als körperliches, sinnlich erfahrendes Wesen habe mit der Möglichkeit der Verletzung seines Körpers zu leben, womit diese außerhalb der Unterscheidung von behindert und nichtbehindert stehe. Vielmehr komme in dieser allgemeinen Erfahrung die existentielle Verwiesenheit des Einzelnen auf die Gemeinschaft im Falle einer Beeinträchtigung zum Ausdruck. Somit werde der "verletzliche Körper" zum "integralen Teil des [gesellschaftlichen] Ganzen" (Tervooren, 2003, S. 47).

In der Besprechung der deutschen Übersetzung der ICF (vgl. DIMDI, 2004, S. 24) wird darauf verwiesen, dass das Instrumentarium der ICF verstanden werden soll als allgemeine, neutrale Sprache zur Untersuchung der auch dynamischen Prozesse und Aspekte von Funktionsfähigkeit, welche in gradueller Abstufung über alle Personen anwendbar sei. Wobei die konkreten Aussagen abhängig von der Formulierung der Anwender mit ihrer Kreativität und wissenschaftlichen Orientierung sind.

Die ICF verfügt als Instrument zur Bestimmung der Gesundheitsbeeinträchtigung eines Menschen über eine detaillierte Checkliste. Eine Behinderung liegt dann vor, wenn ausgerichtet an einem Bezugsgruppenvergleich als statistische Norm eine Klassifizierung bestimmter Beurteilungsmerkmale der Komponenten im Sinne einer Abweichung vorgenommen wird. So bleibt in der Einschätzung von Hirschberg (2003, S. 128) trotz des Bemühens um eine neutrale Sprache der Begriff Behinderung weiterhin negativ definiert. Doch da das Instrumentarium die Perspektive auf Behinderung erweitert und eine größere Bandbreite an Betrachtungsweisen zulässt, bewertet sie die ICF als ein Instrument mit flexiblen Normalitätsvorstellungen.

"Durch das interaktive Verhältnis der Komponenten und die Ergänzungen der drei Dimensionen (körperlich, individuell und gesellschaftlich) von Behinderung durch die Kontextfaktoren werden Zwischenräume und Übergangszonen geschaffen, Behinderung wird vervielfältigt. Zur Flexibilisierung von Behinderung gehört jedoch auch die Verlagerung der Klassifizierung und Normalisierung ins Subjekt." (Hirschberg, 2003, S. 127)

Zusammen mit der ungleichen Wichtung von medizinischem und sozialem Modell zugunsten der Definition von Behinderung als Merkmal einer Person befindet sich das Modell ICF der WHO "im Zwiespalt zwischen starren und flexiblen Normalitätsvorstellungen von Behinderung" (Hirschberg, 2003, S. 128). Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene von Rehabilitation und Behinderung stellt sich die Situation ähnlich dar.

"Das Feld von Normalität und Behinderung verändert sich in seinem Innenraum, als solches bleibt es aber stabil und mit ihm der Tatbestand der Ausgrenzung, der für das Phänomen der Behinderung wohl konstitutiv ist." (Waldschmidt, 2003b, S. 137)

Behinderung als negative Definition in Form der Abweichung von der Norm bedeutet auf der sozialen Handlungsebene für Menschen mit Behinderung Erfahrungen von Ausgrenzung und Abwertung. Einerseits droht Betroffenen Diskriminierung, Ausgrenzung und Einschränkung oder gar Verlust von Partizipationsmöglichkeiten auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Andererseits besteht die Gefahr, dass jegliche Interaktion von Betroffenen mit ihrer Umwelt sich vordergründig am ‚Merkmal' der Behinderung mit den diesbezüglichen Stereotypen und Unsicherheiten ausrichtet. Diese gesellschaftlichen Erfahrungen beeinflussen auch das Selbstbild von Menschen mit Behinderung, oft übernehmen die Betroffenen in Folge eines sozialen Konformitätsdruckes die ihnen zugeschriebenen Verhaltensweisen.

"Schon allein das Wissen um die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen (die auch heute noch im Alltag aufgrund ihrer Behinderung mehr oder minder subtil diskriminiert werden) ist im Bewusstsein behinderter Menschen emotional und kognitiv verankert und führt zu einer Belastung." (Fries, 2005, S. 347)

Um die gesamtgesellschaftliche Lage von Menschen mit Behinderung zu verbessern, ist es notwendig, "isolierende Bedingungen zu beseitigen und Raum für ganz alltägliche Begegnungen zu schaffen" (Hermes, 2003, S. 51).

Für die hier vorliegende Arbeit wird hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs Behinderung auf die Definition von Cloerkes (1997, S. 6f.) zurückgegriffen, welcher aus interaktionistischer Sicht Behinderung dann vorliegen sieht, wenn das ‚Merkmal' der ‚Andersartigkeit' eines Menschen eine negative Bewertung erfährt.

"Eine Behinderung ist eine dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich, der allgemein ein entscheidend negativer Wert zugeschrieben wird. Das Kriterium ,Dauerhaft' unterscheidet Behinderung zwar von Krankheit als vorübergehendem Prozess, nicht jedoch von chronischer Krankheit, weshalb auch die Unterscheidung zwischen Behinderung und chronischer Krankheit manchmal schwierig ist [...]. ,Sichtbarkeit' ist im weitesten Sinne das ,Wissen' anderer Menschen um die Abweichung. Ein Mensch ist behindert, wenn erstens eine unerwünschte Abweichung von wie auch immer definierten Erwartungen vorliegt und wenn zweitens deshalb die soziale Reaktion auf ihn negativ ist." (Cloerkes, 1997, zitiert nach Fries, 2005, S. 26)

4. Derzeitiger Forschungsstand zu Vätern mit Behinderung

Studien explizit und ausschließlich zur Situation oder zum Erleben von Vätern mit einer Behinderung gibt es nicht oder konnten nicht ermittelt werden. Studien, die Väter mit einer Körper- oder Sinnesbehinderung berücksichtigen, sollen hier kurz mit ihren wichtigsten Ergebnissen vorgestellt werden.

Hinsichtlich der Auswirkung der väterlichen Behinderung auf das Verhalten und die Einstellungen ihrer Kinder zitiert Behrendt (Behrendt, 1998, S. 43ff.) die Studien von Buck / Hohmann (1979) und Brown (1981). Erstere besagt, dass die Einstellungen und Verhaltensäußerungen von querschnittsgelähmten Vätern wichtiger für die Entwicklung ihrer Kinder sind als die Behinderung. Manifeste Unterschiede zwischen diesen Kindern zu einer Kontrollgruppe hinsichtlich Geschlechtsrollenidentität, Körpergefühl und sozialen Fertigkeiten wurden nicht gefunden. Die zweite Studie erwähnt den kindlichen Stolz auf die väterliche Behinderung, da diese eine stärkere väterliche Präsenz in der Familie bedingte und sich somit ein engerer Kontakt von Vater und Kind entwickeln konnte.

In seiner eigenen Untersuchung "Die Situation körperbehinderter Eltern" stellt Behrendt (1998) wesentliche Aspekte der Elternschaft hinsichtlich Schwangerschaft, Geburt, Säuglings-, Kleinkind- und Schulzeit der Kinder und einer allgemeinen Bewertung der Elternschaft dar. Auf der Grundlage der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie wurden 18 Väter und 32 Mütter mit Kindern im Alter von wenigen Monaten bis zu 17 Jahren interviewt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Tatsache der Behinderung neben anderen soziodemographischen Faktoren nur ein beeinflussender Aspekt für die Situation von Eltern ist. Sofern sich die Sichtweisen geschlechtsspezifisch unterscheiden, werden die Ergebnisse getrennt nach mütterlichen und väterlichen Ansichten dokumentiert. Dies ermöglicht allgemeine Aussagen zu Vätern als ein Elternteil als auch spezielle Erkenntnisse zur Vaterschaft. Schwerpunkte der Arbeit liegen jedoch auf der Auseinandersetzung mit den Reaktionen der Umwelt und der Betreuung und Versorgung des Kindes. Im Resümee erfolgt eine kurze Reflexion der Elternrolle. Die Väter problematisieren hierbei ihre körperlichen Einschränkungen im Hinblick auf das gesellschaftliche Ideal des starken Mannes, welches sie im Zusammensein mit ihren Kindern über Entwicklung anderer gemeinsamer Aktivitäten kompensieren.

Auch Hermes (2003) befasst sich mit der "Situation behinderter Eltern", wobei hier auch der Unterstützungsbedarf der Eltern thematisiert wird. Sie befragte acht Mütter, zwei Väter und zwei Ehepaare zu den Bereichen Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt, Erleben der Elternschaft, Alltagsschwierigkeiten, Lösungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten. Deutlich wird, dass Menschen mit Behinderung Elternschaft in ihrem Sinne und zu ihrer Zufriedenheit gestalten können, wenn entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten gewährleistet werden. In der allgemeinen Auswertung bezieht sich Hermes jedoch überwiegend nur auf die mütterliche Sicht. Ähnliches gilt für ihre Artikel in dem von ihr herausgegebenen Band "Kinder, Krücken und Barrieren" (2001).

Generell ist die Literatur zu Eltern mit verschiedensten Behinderungen sehr spärlich und oft nur wenig zugänglich. Väter mit Behinderung stehen dabei noch weniger im Mittelpunkt des Interesses als behinderte Mütter. Denn gemäß den öffentlichen Rollenbildern fallen Haushalt und Kinder immer noch primär in den Zuständigkeitsbereich der Frauen. Daher waren und sind Väter mit Behinderung kein neues soziales Phänomen, aber ein wenig beachtetes.

"Behinderte Väter hat es aber schon viel früher durchaus auch in größerer Zahl gegeben: Man denke nur an die Männer, deren Behinderung Folge einer Kriegsverletzung war. Daß sie und ihre familiäre Situation aber kaum zum Thema wurden, mag vor allem daran liegen, daß die Mütter den Familienhaushalt und die Kinder versorgten und so keine offensichtlichen Probleme auftraten." (Lux, 2000, S. 1)

II. Methodisches Vorgehen

1. Forschungsdesign

Ziel dieser Arbeit war es, etwas über die subjektive Sicht von Vätern mit einer Behinderung auf ihre Vaterschaft, ihr Erziehungserleben und ihr Leben mit ihrem Kind zu erfahren. Der Schwerpunkt der Sichtweisen lag dabei auf der emotionalen und kognitiven Ebene, gleichzeitig wurde auch versucht, die Umsetzung von grundsätzlichen Einstellungen auf der Handlungsebene aus väterlicher Sicht zu erfassen.

Dafür wurden sechs Einzelinterviews mit Vätern mit einer Körperbehinderung oder blinden Vätern im Altern von 36 - 54 Jahren durchgeführt, deren strukturierende Grundlage ein Leitfaden bildete. Die eher zufällige Auswahl der Interviewpartner, welche sich über eine allgemeine Anfrage beim Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern bei mir meldeten oder von einem bekannten Vater vermittelt wurden, kann nicht die Grundgesamtheit der sehr heterogenen Gruppe von Vätern mit einer Behinderung widerspiegeln. Vielmehr geht es darum, eine erste Exploration dieses Lebensfeldes vorzunehmen, da in der Literatur nur vereinzelt Hinweise auf die Lebenswirklichkeit von Vätern mit Behinderung zu finden sind. Dennoch ist über die große variantenreiche Stichprobe der Väter anzunehmen, dass sich über ihre Erfahrungen und Meinungen die allgemeine Situation von Vätern mit Behinderung abbilden lässt.

Die Aspekte qualitativen Denkens in seiner Grundhaltung und dem daraus resultierenden Vorgehen im Forschungs-, Interpretations- und Auswertungsprozess, welche hier kurz konzentriert umrissen werden sollen, kommen dem angestrebten Forschungsvorhaben entgegen. Aufgrund des Forschungsstandes schien ein weitestgehend exploratives flexibles Vorgehen angeraten. Als Erhebungsmethode wurde daher das problemzentrierte Interview nach Witzel mit seinem Zusammenspiel aus zum Erzählen auffordernden und nachfragenden Momenten gewählt. Die Auswertung der transkribierten Interviews erfolgte mittels der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, einer methodisch kontrollierten Analysemethode zur Kategorienbildung, welche das Material in ihrem Kommunikationszusammenhang betrachtet. Die Ergebnisse werden sowohl als Einzelfall als auch in einem Quervergleich präsentiert, um individuelle als auch untereinander vergleichende Darstellungen der Interviews zu ermöglichen.

2. Qualitative Sozialforschung

Ziel qualitativer Forschung ist ebenso wie bei quantitativen Methoden eine Verallgemeinerung der Ergebnisse hin zu einer Erklärung auf theoretischer Ebene (vgl. Oswald, 1997, S. 73ff.). Unterscheidungen ergeben sich bei beiden Forschungsverfahren zum Beispiel hinsichtlich der interpretativen Bezugsebene. Während in einer quantitativen Studie Erklärungsansätze auf der Ebene der Generalisierung ausreichen, bedarf ein qualitatives Verfahren neben der Generalisierungsebene zudem den Bezug auf den speziellen Einzelfall.

"Qualitative Sozialforschung benutzt nicht-standardisierte Methoden der Datenerhebung und interpretative Methoden der Datenauswertung, wobei sich die Interpretation nicht nur, wie (meist) bei den quantitativen Methoden, auf Generalisierungen und Schlußfolgerungen bezieht, sondern auch auf Einzelfälle." (Oswald, 1997, S. 75.)

Über diese methodisch gewollte Bezugnahme auf den Einzelfall bietet die qualitative Sozialforschung die Möglichkeit die befragten Subjekte als Experten für ihre jeweilige Lebenssituation zu Wort kommen zu lassen.

"Das Ernstnehmen der Handlungskontexte, aber auch der Verarbeitungsweisen sozialer Lagen, in denen sich Individuen befinden, macht es für WissenschaftlerInnen wie PraktikerInnen notwendig, ihre Klientel als ExpertInnen ihrer Lebensgestaltung zu betrachten und deren subjektive Sichtweise insbesondere mit qualitativen Methoden zu erforschen." (Witzel, 1982, zitiert nach Hermes, 2003, S. 95)

Die Grundhaltung in der qualitativen Sozialforschung ist geprägt von den forschungstheoretischen Ansätzen einer holistischen Sichtweise auf den sozialen Kontext im Bewußtsein seiner historischen Einbettung. Die analytische Differenzierung menschlicher Funktionsbereiche des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der unterschiedlichen Lebensbereiche wie Gesellschaft, Beruf oder Familie wird zusammengeführt und ganzheitlich interpretiert und korrigiert. Dabei sind Veränderungsprozesse der erforschten sozialen Wirklichkeit und historische Zusammenhänge im Blick zu behalten. Nach Mayring (2002, S. 24) beinhaltet der Aspekt der Problemorientierung darüber hinaus die Forderung, an praktischen Problemstellungen des Gegenstandsbereiches anzusetzen und die gewonnenen Ergebnisse zurück auf die Praxis zu beziehen.

In der qualitativen Sozialforschung wird Verstehen zum Erkenntnisprinzip, der Versuch wird unternommen, die untersuchten Phänomene von innen heraus zu verstehen. Vorbild dabei ist auch die Ethnographie mit ihrer Beschreibung fremder Lebenswelten. Oswald (1997, S. 79) empfiehlt, je weniger über ein soziales Deutungssystem bekannt sei, desto mehr biete sich erst einmal ein qualitativ-exploratives Vorgehen an.

Die Schwerpunktsetzungen im Forschungsprozess können in Anlehnung an Mayring (2002, S. 24f.) über die Prinzipien der Einzelfallbezogenheit, der Offenheit und der Explikation beschrieben werden. Ansatzpunkt ist eine Fallrekonstruktion hinsichtlich bestimmter sozialer Aspekte, bevor ein gesamter verallgemeinernder Typus über diesen Aspekt erstellt wird (vgl. Flick, 2002, S. 49f.). Über diese Rekonstruktion von Fällen ist qualitatives Forschen mehrheitlich ein Arbeiten an Texten als empirischem Material. Zudem beinhaltet ein Einzelfall auch die Möglichkeit einer korrektiven Funktion.

"Anhand einzelner Fälle können Allgemeingültigkeiten beanspruchende Theorien widerlegt werden, Alternativerklärungen verglichen werden, Interaktions- und Kontextannahmen überprüft werden." (Mayring, 2002, S. 27)

Qualitative Sozialforschung versteht sich eher als hypothesengenerierendes als hypothesenprüfendes Verfahren. Der Forschungsprozess ist geprägt von einem explorativen und offenen Vorgehen, wobei eine theoretische Durchdringung des Forschungsgegenstandes zur Vermeidung informationsbeschränkender Erhebungsverfahren zurückgestellt wird (vgl. Lamnek, 1995, S.22). Hinsichtlich der angewandten Methoden wird versucht, diese flexibel auf die Eigenheiten des Untersuchungsfeldes einzustellen und bereits erbrachte Ergebnisse in den weiteren Untersuchungsverlauf mit einzubeziehen. Trotz oder gerade aufgrund dieser prinzipiellen Offenheit im Forschungsprozess fordert Mayring (2002, S. 29) von qualitativen Forschern, die Verfahrensschritte zur allgemeinen Nachvollziehbarkeit zu dokumentieren und interpretatorische Regeln zur Absicherung der Intersubjektivität der Forschungsergebnisse darzustellen. Gerade der letzte Aspekt stellt laut Lamnek (1995, S. 26) eher eine Aufforderung dar, da nach dem interpretatorischen Paradigma regelgeleitetes Wissen implizit und dem Anwender meist nicht bewusst ist.

Im Interpretationsprozess gilt es, das eigene Vorverständis offen zu legen und weiterzuentwickeln, da dieses im Sinne der Hermeneutik jegliche Interpretation beeinflusst (vgl. Mayring, 2002, S. 29f.). Die Forderung der Unvoreingenommenheit bezüglich des Feldzuganges sollte jedoch nicht als ein Nichts-Wissen-Wollen über den Forschungsgegenstand fehlinterpretiert werden.

"Dem liegt das Mißverständnis zugrunde, daß es unvoreingenommene Forschung geben könnte. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr gehen wir alle mit Wissen und Erfahrungen, mit Vorannahmen und Vorurteilen ins Feld. Erst eine weitgestreute Lektüre, die psychologische und soziologische Theorien und in diesem Sinne eine breite theoretische Bildung ebenso einschließt wie alle Informationen über den Gegenstandsbereich im weitesten Sinne, gibt uns die Möglichkeit, kontrolliert und distanziert mit unseren Annahmen und Vorurteilen umzugehen." (Oswald, 1997, S. 85)

Darüber wird Introspektion, die Analyse eigenen Denkens, Fühlens und Handelns zur Methode, welche als Informationsquelle ebenso angegeben und nachvollziehbar dargestellt werden sollte (vgl. Mayring, 2002, S. 31).

Ein weiterer Aspekt in diesem Reflektionszusammenhang ist die Interaktion zwischen Forscher und Forschungsfeld. Die befragten Subjekte reagieren auf die erhebende Forschung, so dass der Kommunikationsprozess eine Veränderung von den Subjekten und Daten bewirkt. Schütze (1978, zitiert nach Lamnek, 1995, S. 23) spricht hierbei vom "kommunikativen Grundcharakter" der Sozialforschung mit seinem notwendigen Prozess des gegenseitigen Aushandelns der Wirklichkeitsdefinition. Der Befragte ist prinzipiell ein "orientierungs-, deutungs- und theoriemächtiges Subjekt" (Schütze, 1978, zitiert nach Lamnek, 1995, S. 23), dessen latente Sinnstrukturen und daraus hervorgehende Handlungsregeln die eigene soziale Welt interpretieren und gleichzeitig diese darüber konstruieren (vgl. Lamnek, 1995, S. 23).

Qualitative Forschungsergebnisse erheben nicht den Anspruch der Repräsentativität, sie sind allein in dem Bereich, in welchem sie gewonnen wurden, gültig. Die Auswertung enthält einen explizit argumentativen Charakter, wobei begründet bestimmt werden sollte, welche Ergebnisaspekte in welchem situationsbedingten oder historischen Umfang verallgemeinerbar sind (vgl. Mayring, 2002, S. 36). Über das Prinzip der Induktion wird dabei vom Einzelfall zum Allgemeinen geschlussfolgert, dessen Ziel weniger allgemeingültige Gesetze als besser kontextgebundene Regeln sind (vgl. Mayring, 2002, S. 37). An dieser Stelle nach Abschluss eines ersten explorativen Zuganges zum Forschungsbereich verweist Mayring (2002, S. 38) auf eine Quantifizierung der Ergebnisse auf allgemeinerer, weiterer Ebene, wozu sich durchaus ebenfalls quantitative Analyseschritte anbieten.

2.1. Forschungstheoretischer Ansatz der Disability Studies

Die wissenschaftliche Disziplin der Disability Studies versteht sich nicht als eine neue Form der "Behindertenforschung" (Waldschmidt, 2003, S. 12), denn Mittelpunkt der Forschung ist weniger der Mensch mit seiner Behinderung als Gegenstand als vielmehr die Kategorie Behinderung. Behinderung wird als kulturelles und gesellschaftliches Differenzierungsmerkmal definiert, nicht als individuelles Merkmal einer Person im Sinne einer medizinischen Sicht von Schädigung und Beeinträchtigung.

"Zentraler Ausgangspunkt der Disability Studies ist die These, dass ,Behinderung' nicht einfach ,vorhanden' ist, sondern ,hergestellt' wird, produziert und konstruiert in wissenschaftlichen und alltagsweltlichen Diskursen, in politischen und bürokratischen Verfahren und in subjektiven Sichtweisen und Identitäten." (Waldschmidt, 2003a, S. 13)

Damit werden die Disability Studies zu einem "interdisziplinären Projekt" (Tervooren, 2003, S. 41), welches auf drei Prinzipien aufbaut. Erste Grundlage ist eine synchrone, soziologisch orientierte Gesellschaftsanalyse und der Vergleich verschiedener Gesellschaftsformen untereinander hinsichtlich der Kategorie Behinderung. Zum zweiten kommt eine diachrone Historisierung von Behinderung in den Blick. Die philosophische Frage nach der Möglichkeit der Anerkennung von Differenz bildet die dritte Säule (vgl. Tervooren, 2003, S. 41f.). Zur Erfassung dieser Komplexität des Phänomens Behinderung wird der Auseinandersetzung zwischen beziehungsweise der Ergänzung von medizinischem und sozialem Erklärungsmodell eine kulturwissenschaftliche Perspektive hinzugefügt. Im historischen und kulturanthropologischen Vergleich wird erkennbar, dass Behinderung keiner universellen und uniformen Praxis unterliegt.

"Vielmehr gilt es, ,Behinderung' als ,erkenntnisleitendes Moment' für die Analyse der Mehrheitsgesellschaft zu benutzen, ,als eine Lebensbedingung, die schlaglichtartig Aspekte zum Vorschein bringt, welche verborgen geblieben wären, hätte man sich mit der 'normalen' Perspektive begnügt und wäre von einer unversehrten Leiblichkeit in einer fraglos geltenden Welt ausgegangen.'" (Waldschmidt, 2003a, S. 16).

Als wissenschaftlicher Zweig mit dem Anspruch, in allen Fakultäten vertreten sein zu können, ermöglichen die Disability Studies eine Ergänzung der wissenschaftlichen Betrachtungsweise, es ist nicht Ziel, bestimmte Fachbereiche zu ersetzen. Auch besteht die Idee, außeruniversitäre Institute der Behindertenbewegung in den Diskurs mit einzubeziehen, zumal dies eine Voraussetzung für die Rückkopplung wissenschaftlicher Forschung an einen Betroffenenkreis schafft (vgl., Seminarmitschriften des Vortrages "Die Bedeutung der Disability Studies für Wissenschaft und Praxis", E. Rohrmann, Marburg, 26.01.2005).

Disability Studies als Anwendungswissenschaft beinhaltet parteiliches Forschen mit emanzipatorischer Zielrichtung. Wissenschaftliche Zugänge sollen die Entfaltung und Partizipation von Menschen mit Behinderung unterstützen, nicht nur bezogen auf die Ergebnisebene von Studien, auch auf den Forschungsvorgang selbst. Beforschte Themen bedürfen der Praxisrelevanz für die Betroffenen, da hier auch Perspektiven von Menschen mit Behinderung sichtbar gemacht werden sollen. Als Experten ihrer eigenen Situation soll mit ihnen ein kontinuierlicher Austausch von Wissenschaft und Praxis stattfinden. In der wissenschaftlichen Umsetzung kann dabei auf Ansätze der deutschen Aktionsforschung, der us-amerikanischen partizipativen Handlungsforschung und das Konzept der inklusiven Forschung zurückgegriffen werden.

Theorie und Praxis in ein engeres Verhältnis zu bringen unter Berücksichtigung des Wissens und der Interessen der Betroffenen war Ziel des Konzeptes der deutschen Aktionsforschung der 1970er Jahre. Über die Kritik an den vorherrschenden quantitativen, analytischen Erhebungs- und Auswertungsmethoden der Wissenschaftspraxis wurden neue qualitative Ansätze entwickelt. Letztendlich ist deren Anspruch, dass Forschung an der Interpretation der Beforschten zur Erfragung ihrer Perspektive anzuknüpfen habe, allein im sozialwissenschaftlichen Diskurs erhalten geblieben (Moser, 1995, zitiert nach Flieger, 2003, Kap. 1).

Der in den USA im Zusammenhang mit der Independend Living Bewegung entwickelte Ansatz des Participatory Action Research (PAR) ist in seinen Forderungen detaillierter und praxisorientierter formuliert.

"PAR erkennt die Notwendigkeit, dass Personen, über die geforscht wird, an allen Phasen der Gestaltung und der Umsetzung (d. h. Design, Durchführung und Verbreitung) von Forschung, die sie betrifft, teilnehmen. PAR ist ein Ansatz oder eine Strategie für Forschung, keine Forschungsmethode." (Doe / White, 1995, zitiert nach Flieger, 2003, Kap.2)

Ebenso fordert das von Goeke (2005, S. 3f.) beschriebene Konzept der inklusiven Forschung die Öffnung und Veränderung von Forschungsprozessen hin zu einer Partizipationsmöglichkeit von Menschen mit Behinderung an allen Stufen des Forschungsprojektes. Forschen ist hierbei explizit parteiliches Forschen, in welchem nichtbehinderte Wissenschaftler zu Verbündeten werden.

"Allianzen zwischen behinderten Menschen, Forschern und anderen Experten werden gebildet, obgleich diese Allianzen unter der Kontrolle von und primär im Interesse der behinderten Menschen sein sollten." (Goeke, 2005, S. 5)

In der Frage der Ausgestaltung der Partizipation der Betroffenen benennt Dick (1997, zitiert nach Flieger, 2003, Kap. 3) sieben Dimensionen, welche den Inhalt der Forschung oder den Forschungsprozess betreffen. So geben Teilnehmer Auskunft über bestimmte Sachverhalte, interpretieren Ergebnisse, planen aus den Ergebnissen heraus Veränderungen und setzen diese um. Zudem unterstützen sie die Datengewinnung und gestalten den Forschungsprozess mit. Damit dieses alles möglich wird, werden sie regelmäßig und angemessen über den Forschungsstand und dessen Konsequenzen informiert.

Grundlegend wichtig dabei ist nach Flieger (2003, Kap. 5), dass die gemeinsam forschenden Wissenschaftler und Betroffenen eine gemeinsame Kommunikation entwickeln, welche von einem gegenseitigen Gefühl der Wertschätzung getragen ist. Zudem ist den Personen, die sonst nicht mit wissenschaftlichem Vorgehen in Berührung kommen, eine abgestimmte Unterstützung und Information zu bieten. Inwieweit die Partizipation der Betroffenen allerdings wahrgenommen wird, hängt noch von weiteren Faktoren ab wie Kontaktmöglichkeiten von infrage kommenden Personen und Interesse von diesen, Zeitaufwand und eventuelle Aufwandsentschädigung oder Wahrnehmung der Rolle, welche die Teilnehmer im Forschungsvorhaben einnehmen sollen (vgl. Flieger, 2003, Kap.5).

Da "Forschung über Personen mit Behinderung für Personen mit Behinderung nützlich sein beziehungsweise Bedeutung für sie haben muss" (Doe / Whyte, 1995, zitiert nach Flieger, 2003, Kap.2), ist es auch geboten, die Forschungsergebnisse den Betroffenen in entsprechender Verständlichkeit zugänglich zu machen. Deren Kenntnis- und Stellungnahme ermöglicht zudem eine Verzahnung von Theorie und Praxis.

2.2. Zum Aspekt des Nicht-Betroffen-Seins

Jedes Interview ist ein Balanceakt zwischen Empathie und Fremdheit. Gegenüber den Vätern mit Behinderung gab es in meinem Fall als Interviewpartnerin drei Grenzziehungen, die zwischen Frau / Mann, Mutter / Vater und nichtbehindert / behindert, welche Einfluss auf das Interview nehmen konnten. Die ersten zwei Aspekte offenbarten sich im Kommunikationsstil, ich musste mich erst auf die distanziertere Art der Väter einstellen beziehungsweise lernte in mir wichtigen Punkten hartnäckiges Nachfragen. Gleichzeitig ermöglichte mir meine Mutterschaft teilweise von vorne herein einen Akzeptanzbonus. Hinsichtlich der Erfahrung mit dem eigenen Kind entstand zwischen den Vätern und mir auch eine geteilte Erfahrungsebene.

Auf der Ebene der Behinderung benennt Goeke (2005, S. 2) Gefühle der Solidarisierung und der Nähe als einen Vorteil, wenn Betroffene die konkrete Datenerhebung übernehmen. Nachteilig könnten sich eine mögliche Schonung der Interviewer und eine gemeinsame Ausblendung der Behinderung als Vermeidungsstrategie auswirken. Hermes (2003, S. 104) betont in ihrer Studie zur Situation behinderter Eltern ihren Status der behinderten Forscherin. Sie vermutet, dass die interviewten Eltern gegenüber einem nichtbehinderten Forscher eher eine positive Darstellung ihres Familienerlebens und besonders ihrer Erziehungskompetenz präsentiert und andere Aspekte unterdrückt hätten, um antizipierte Vorurteile zu entkräften. Denn der nichtbehinderte Forscher müsse als Teil der nichtbehinderten Umwelt mit ihren zweifelnden, abwertenden Einstellungen vom Gegenteil überzeugt werden. Ihr selbst geschieht dies bei den gehörlosen Eltern, für welche sie die Außenstehende war und welche ein starkes Bedürfnis zeigten, ihre Welt als Normalität zu erklären.

Auch ich bekam zu Beginn des Interviews größtenteils starke, wohlüberlegte Väter präsentiert, dennoch thematisierten die Väter selbstständig im Verlauf des Gespräches auch Zweifel und Ängste, wenn auch weniger offen als ich dies bis jetzt bei Müttern erlebt habe. Das Bedürfnis nach einer Erklärung ihrer Lebensweise als eine absolut normale bestand am ehesten noch bei den allein erziehenden Vätern, möglicherweise ein Ausdruck der Kumulation von antizipierten Vorurteilen der Umwelt.

Generell haben alle Väter mich offen und wohlwollend empfangen. Dies mag auch an meinem Studentinnenstatus einer Forscherin im Werden liegen, so dass ich für sie weniger die etablierte Forschungstradition als eher schülerinnenhafte Neugier darstellte.

Hinsichtlich des thematischen Schwerpunktes meiner Arbeit ging es nicht um die Frage nach der generellen Bewältigung der Vaterschaft im Hinblick auf eine Behinderung. Es ging um die Erlebniswelt der Väter als Väter mit Behinderung. Neben der Handlungsebene sollten vor allem auch Gedanken, Gefühle und Vorstellungen der Väter bezüglich ihrer Vaterschaft, Erziehung und ihrer Beziehung zum Kind zum Ausdruck gebracht werden können. Daher habe ich die Befragten in erster Linie in ihrer Rolle als Väter angesprochen. Da es jedoch auch in der Selbstbezeichnung der Väter um Väter mit Behinderung ging, war es klar, dass irgendwann diese Behinderung auch konkret thematisiert wird. Dies versuchte ich so widerzuspiegeln, wie es mir die Väter vorgaben, als Teil der Persönlichkeit, welcher selbstverständlich, aber nicht ausschließlich die Erlebniswelt der Väter prägt. Genauso wenig ging es darum, die Behinderung auszublenden, zu tabuisieren und so zu tun als spiele sie keine Rolle. Wichtig war mir, dass die Behinderung keineswegs zum Ausgangs- und / oder alleinigen Bezugspunkt des Gespräches wird. Dieses während des Gespräches deutlich zu benennen und meine Grundhaltung klarzustellen war hier immer sehr hilfreich und öffnete den Weg zu einem vertrauensvollem Umgang.

2.3. Qualitative Interviews

Interviews spielen in der qualitativen Forschung ein zentrale Rolle. Hauptursache dafür liegt in ihrer Kommunikativität, dem Umstand, dass Gesellschaftsmitglieder vorzugsweise auf sprachlicher Ebene miteinander verkehren und in diesen Gesprächen ihre soziale Wirklichkeit aushandeln (vgl. Wolff, 1968, zitiert nach Lamnek, 1993, S. 62). Interviews erfassen diese sprachlichen Bedeutungsmuster und bieten den Befragten die Chance, abhängig vom Spielraum, welcher ihm vom Interviewer eingeräumt wird, ihre eigene Wirklichkeitsdefinition zu äußern.

"Interviews geben den Befragten selbst das Wort, sie erhalten im Interview Gelegenheit, über ihre Biographie, Weltsicht, Erfahrungen und Kontexte zu berichten und machen diese Informationen damit der Forschung zugänglich." (Friebertshäuser, 1997, S. 371).

Der Begriff des qualitativen Interviews umfasst eine Vielzahl ähnlicher, aber nicht identischer Erhebungsverfahren auf der Basis qualitativer Methodologie, wobei in der Literatur eine "gewisse Begriffsunschärfe" (Lamnek, 1993, S. 68) in den Bezeichnungen existiert. Sehr oft werden Leitfaden-Interviews verwendet. Dies hängt nach Flick (2002, S. 117) mit der Erwartung zusammen, dass die relativ offene Gestaltung des Gespräches mit vielen offenen Antwortmöglichkeiten der Darstellung der eigenen Sichtweise des befragten Subjektes zuträglicher sei als standardisiertes Abfragen. In Abgrenzung zu einem gänzlich freien Spielraum für den Befragten wie beispielsweise beim narrativen Interview fokussiert und strukturiert ein vorgegebener Leitfaden das Interview und konzentriert das Gespräch auf vertiefende Interessenschwerpunkte.

Für die eigene Untersuchung war es, nicht nur weil wenig Berichte über Väter mit einer Behinderung vorliegen, wichtig, dass die Väter innerhalb eines abgesteckten Rahmens bezüglich ausgewählter Aspekte von Vaterschaft selbst Schwerpunkte setzen und ihnen wichtige Themenbereiche zur Sprache bringen konnten. In einem standardisierten Verfahren hätten die Väter nur auf meine Vermutungen über diesen Ausschnitt einer mir und der Literatur fremden Lebenswelt reagieren können.

2.4. Problemzentriertes Interview

Aufgrund dieser Vorüberlegungen wurde als spezielle Interviewtechnik das problemzentrierte Interview (PZI) nach Witzel gewählt.

"Die Konstruktionsprinzipien des problemzentrierten Interviews zielen auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität." (Witzel, 2000, Abs. 1)

Diese Interviewtechnik stellt eine Kombination aus deduktivem und induktivem Vorgehen dar (vgl. Lamnek, 1993, S. 75). Aus dem vorhandenen Vorwissen werden Frageansätze für das Gespräch erarbeitet, in welchem dann die Befragten aufgefordert durch erzählerische Freiräume ihre spezifischen Bedeutungsschwerpunkte setzen können. Über diese Aussagen der Interviews werden die theoretischen Konzepte des Forschers laufend modifiziert und wiederum gleichzeitig geprüft.

"Mit dieser elastischen Vorgehensweise soll gewährleistet werden, dass die Problemsicht des Interviewers / Wissenschaftlers nicht diejenige der Befragten überdeckt, und den erhobenen Daten nicht im Nachhinein einfach Theorien ‚übergestülpt' werden." (Witzel, 2000, Abs. 3)

Witzel (2000, Abs. 4 - 6) benennt als die drei Grundpositionen des problemzentrierten Interviews die Orientierung auf das Problem, den Gegenstand und den Prozess. Die Problemzentrierung umfasst dabei die Orientierung an gesellschaftlichen Problemstellungen. Bezüglich des unvermeidbaren Vorwissens sind wesentliche objektive Aspekte bereits vor der Datenerhebung zu erarbeiten. Dass die konkrete Gestaltung des Erhebungsverfahrens am speziellen Erkundungsfeld ausgerichtet werden soll, beinhaltet der Begriff der Gegenstandsorientierung. Die Prozessorientierung bezieht sich auf den gesamten Forschungsablauf mit seiner flexiblen und schrittweisen Analyse des Forschungsbereiches. In der Kommunikationssituation soll dem Befragten Spielraum zur Entwicklung von Gedankengängen ermöglicht werden.

Die Interviewten werden als Sachverständige ihrer Situation angesprochen und damit in ihrer Problemsicht ernst genommen. Gelingt es dem Interviewer, diese Grundhaltung zu vermitteln, entsteht ein Gesprächsklima der Offenheit und des Vertrauens, welches den Befragten zur Selbstreflexion ermuntert und geschützte Freiräume schafft, um immer neue Aspekte zum gleichen Thema entwickeln zu können (vgl. Witzel, 2000, Abs. 5). Ziel dabei ist der Abbau der Asymmetrien des Frage-Antwort-Spiels, welche schnell in Interviews gegeben sind und eine selbstständige Entwicklung des Problemfeldes beim Interviewten verhindert.

"Das PZI ist ein diskursiv-dialogisches Verfahren, das [...] die Befragten als Experten ihrer Orientierungen und Handlungen begreift, die im Gespräch die Möglichkeit zunehmender Selbstvergewisserung mit allen Freiheiten der Korrektur eigener oder der Intervieweraussagen wahrnehmen können." (Witzel, 2000, Januar, Abs. 13)

Das Interview selbst gestaltet sich über die vier Instrumente von Kurzfragebogen, Tonträgeraufzeichnung, Leitfaden und Postskripte und die entweder erzählungs- oder verständnisgenerierenden Erzählstrategien (vgl. Witzel, 2000, Abs. 7 - 18).

Der Kurzfragebogen dient der Ermittlung der zu erhebenden Sozialdaten und entlastet das eigentliche Interview von diesem reinen Akt des Abfragens. Die Tonträgeraufzeichnung als Grundlage für die spätere Transkritption gewährleistet die wortwörtliche und sprachmelodische Erfassung des Gesprächsablaufes. Dadurch, dass die sprachliche Aufzeichnung durch ein technisches Gerät gewährleistet ist, entsteht auch für einen alleinigen Interviewer der Spielraum, die situativen Bedingungen und non-verbalen Äußerungen beobachten zu können.

Auf dem Leitfaden sind die Forschungsthemen zur Orientierung und als Merkskizze für das einzelne Gespräch und zur Vergleichbarkeit der gesamten erhobenen Interviews festgehalten. Teilweise können Frageideen bereits vorformuliert sein, gerade bei Einleitungsfragen einzelner Themenbereiche bietet sich dies an. Im Idealfall bildet der Leitfaden jedoch lediglich eine Hintergrundfolie für das Interview zur Überprüfung, inwieweit einzelne Aspekte bereits angesprochen wurden. Im an die Interviewbegegnung anschließenden Postskriptum werden inhaltliche, situative und non-verbale Aspekte skizziert sowie thematische Schwerpunkte und erste Interpretationsideen.

Zur Durchführung des eigentlichen Interviews stehen dem Interviewer sowohl erzählungs- als auch verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien zur Verfügung. Zur Narration anregende Fragen sollten derart offen gestellt werden, dass sie lediglich als Anstoß für die eigenen Gedankenentwicklung des Befragten wirken. Vorformulierte Einstiegsfragen zentrieren das Gespräch auf zu untersuchende Themenbereiche und Ad-hoc-Fragen ermöglichen ein themenrelevantes Nachfragen bezüglich der vom Befragten ausgeklammerten Aspekte. Über spezifische Sondierungsfragen in Form von beispielsweise klärenden Verständnisfragen, Zurückspiegelungen von geäußerten Gedanken oder Konfrontation mit Widersprüchen kann das im Gespräch erworbene Wissen zur Aushandlung einer gegenseitigen Verständigung eingesetzt werden.

3. Durchführung

3.1. Leitfaden

Der Leitfaden wurde über eine Sichtung der vorhandenen Studien zu Vätern und verschiedensten Materialien zu Eltern mit Behinderung erstellt. Als wichtige Quellen hinsichtlich der Literatur über Väter seien Matzner (2004), Schorn (2003), Reiche (1998) und Werneck (1998) genannt. Über das Thema Eltern mit Behinderung haben Hermes (2001und 2003), Lux (2000), Behrendt (1998) und Ehrig (1996) publiziert.

Ebenfalls flossen meine eigenen Erfahrungen mit Vätern als ehemalige Praktikantin einer Familienbildungsstätte und Mutter einer kleinen Tochter mit ein. Im ersten Frageentwurf entschied ich mich schwerpunktmäßig für die Erlebensbereiche von Vaterwerdung, Vaterrolle, Erziehung, Beziehung zum Kind, Umgang mit der Behinderung aller Familienmitglieder und Alltagsorganisation. Anschließend besprach ich den Leitfaden mit einem bekannten Vater mit Behinderung, welcher auch wissenschaftlich tätig ist. Von ihm erhoffte ich mir eine Einschätzung der Themenrelevanz für die angesprochene Vätergruppe als auch gerade sprachliche Korrekturen, um wenn möglich von vorne herein Stereotypen und Zumutungen zu vermeiden. Während des Gespräches erfolgte eine Reduzierung von Teilaspekten und verschiedene Umformulierungen.

Abbildung 3: Leitfaden zur subjektiven Sicht der Vaterschaft bei Vätern mit Behinderung

  • Bitte erinnern Sie sich an die erste Zeit Ihrer Vaterschaft zurück. So die ersten Wochen, Monate, vielleicht das erste Jahr. Wie war das?

  • Was hat sich eigentlich in Ihrem Leben geändert, seitdem Sie Vater sind?

  • In welche Situationen oder Aufgaben mussten Sie sich als Vater erst hineinfinden?

  • Kam Ihre anstehende Vaterschaft für Sie überraschend oder war Ihr/e Kind/er geplant?

  • Wenn jemand Sie fragen würde: Was denken Sie, was der Normalbürger heutzutage von einem guten Vater erwartet? Was würden Sie antworten?

  • Wie gehen Sie persönlich mit diesem Anspruch bei der Erziehung ihres/er Kindes/er um?

  • Wie schätzen Sie ihr väterliches Engagement ein? Und denken Sie, Sie kommen als Vater in Ihrer Familie genug zum Zuge?

  • Wie würden Sie die Beziehung zu Ihrem Kind charakterisieren?

  • Gibt es Bereiche bei der Erziehung Ihrer Kinder, die Ihnen gut gelingen bzw. weniger gut gelingen?

  • Wie tragen Sie Konflikte mit Ihrem/n Kind/ern aus und wie werden sie gelöst?

  • Wie organisiert Ihre Familie den familialen Alltag, welche konkreten Aufgaben übernehmen Sie als Vater?

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrer Vaterschaft außerhalb der Familie gemacht? Wie ist das unter Freunden und Bekannten, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten, wenn Sie generell mit Ihrem Kind unterwegs sind?

  • Sie haben sich auf meine Anfrage wegen eines Interviews mit Eltern mit Behinderung gemeldet. Sie sehen sich also selbst als ein Vater mit Behinderung? Wie gehen Sie selbst mit dem Thema Behinderung um?

  • Welche Rolle spielt Ihre Behinderung in Ihrer Familie, für Ihre Frau und für Ihr/e Kind/e r?

  • Bei einem Interview bleibt oft einiges Unangesprochen, ich möchte Sie an dieser Stelle bitten, Themen, die Ihnen über das Gesagte hinaus wichtig sind, anzusprechen oder Gedanken, die für sie offen geblieben sind, zu ergänzen.

3.2. Erprobung des Leitfadens

Im ersten Probeinterview konnte der Leitfaden nicht getestet werden. Zum einen lag bei diesem Vater die aktiv gelebte Vaterschaft im Zusammenleben mit seinem Kind bereits einige Jahre zurück, schwerwiegender ist jedoch seine eigene Einschätzung eines emotionalen Versäumens in der Kinderzeit der Tochter und sein Gefühl, viel abwesend gewesen zu sein. Dadurch lösen einige meiner Fragen Betroffenheit bei Herrn Z. aus. Zudem versucht er oft, meine Fragen zu umgehen beziehungsweise auf einer anderen Ebene zu beantworten. Herr Z. ist glücklicher Großvater und begreift seine Enkelin als eine zweite Chance im zuwendenden Leben mit einem Kind, zudem er in der Position als Opa weniger in der Verantwortung steht und darüber geringerem Erwartungsdruck ausgesetzt ist. Daher erfahre ich viel über die kleine Enkelin und den Stolz von Herrn Z. auf seine Frau und Tochter in der jetzigen, von ihm als gelungen bewerteten Situation trotz seiner Abwesenheit, aber wenig über die damalig gelebte Vaterschaft. Umso mehr erahne ich etwas über den Umgang mit Vätern in solchen privaten Gesprächen. Zum einen bestärkt es meine Vermutung, dass es problematisch werden könnte, mit Vätern über Emotionen zu sprechen, gerade in negativer Hinsicht, wobei ich auch für mich gelernt habe, wie deprimiert man sich fühlen kann, wenn man mit seinen Fragen unbeabsichtigt tieferliegende Probleme offen legt. Zum anderen erlebe ich den Versuch der Intellektualisierung von Themenbereichen, indem Fragen auf einer abstrakteren Ebene beantwortet werden als der erfragten.

Ein anschließendes vergleichendes Probeinterview mit Frau K. bestätigt mir, dass mein direktes mütterliches Thematisieren besonders auch bezüglich erzieherischer Zweifel oder der Beziehung zum Kind unter zwei Müttern kein Problem darstellt.

Ich verwerfe den Leitfaden nicht, nehme allerdings einige Korrekturen vor, indem ich sprachliche Wendungen der zwei interviewten Personen übernehme. Im zweiten Probeinterview ist es für den Vater möglich, auf meine Fragen einzugehen, welche doch sehr auf eine bewusste und ausführende Vaterschaft angelegt sind. Meine Fragestrategie habe ich um vermehrtes und teilweise beharrliches Nachfragen erweitert, allerdings unter Einhaltung persönlicher Grenzen. Da ich dieses Interview als gelungen einschätze, wurde es für die Auswertung herangezogen.

3.3. Auswahl der Interviewpartner

In Erwartung, dass es schwer sein würde, interviewbereite Personen für diese Arbeit zu finden, richtete sich meine Anfrage zuerst allgemein an Eltern mit einer Behinderung. Hinsichtlich der Auswahl der zu befragenden Eltern setzte ich vorab einige Kriterien fest. Die Kinder sollten wenn möglich im Kleinkind- oder Grundschulalter sein, da ich mit der Studienrichtung Kleinkindpädagogik über diese Familienphase bereits über einiges Vorwissen verfüge. Bezüglich der Behinderung schloss ich die Gruppe gehörloser Eltern aus, da ich deren Sprache nicht mächtig bin und auch keinen Gebärdendolmetscher organisieren kann. Ebenso werden in dieser Arbeit keine Eltern mit psychischer oder sogenannter geistiger Behinderung zu Wort kommen[2].

Weiterhin sollte die elterliche Behinderung bereits zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes vorhanden gewesen sein, da dann davon ausgegangen werden kann, dass ein erster Prozess der Auseinandersetzung bei einer später erworbenen Behinderung bereits abgeschlossen ist. In meiner Anfrage sprach ich die Eltern als Eltern mit einer Behinderung an, so dass ich bei einer Zusage davon ausgehen konnte, dass die befragten Personen die Bezeichnung Mutter / Vater mit Behinderung für sich selbst übernommen haben.

Mit meinem Anliegen wandte ich mich per e-mail an den "Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern", welcher meine Anfrage über die eigene Mailingliste weiterleitete. Darüber hinaus sendete ein Vater mein Schreiben noch über eine von ihm geführte Internetliste speziell für blinde Eltern weiter. Binnen weniger Tage hatte ich mehr Zusagen, als ich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit je hätte bearbeiten können. Der Großteil der Zusagen stammte von Müttern, ein geringer, aber dadurch anzahlmäßig bewältigbarer Teil von Vätern, weshalb ich mich für Interviews ausschließlich mit Vätern entschied. Drei weitere Interviewpartner lernte ich über die Vermittlung eines mir bekannten Vaters kennen.

Zufällig ermöglicht diese Vätergruppe innerhalb der vorgegebenen Kriterien eine gewisse Bandbreite. Nimmt man als Spezifizierung zwei weitere Kriterien hinzu, nämlich das die Väter leibliche Väter der Kinder und diese nichtbehindert sind, kann man von einer Variations-maximierten Stichprobe sprechen, in der es möglich ist, viele unterschiedliche Fälle zu berücksichtigen (vgl. Merkens, 1997, S. 101). Das Prinzip maximaler Kontrastierung ermöglicht Vergleiche von Ähnlichkeiten und Abweichungen der definierten Gruppe.

Die befragte Vätergruppe deckt vielfältige mögliche Lebenssituationen hinsichtlich der Anzahl und dem Alter der Kinder, dem Familienstand, der eigenen Behinderung beziehungsweise der Behinderung der Partnerin und der Berufstätigkeit von Vater und Mutter ab. Daraus ergeben sich verschiedene Familienkonstellationen, verschiedene Bearbeitungsformen hinsichtlich der Alltagsgestaltung und aufgrund der verschiedenen väterlichen Behinderungen gerade auch hinsichtlich einer statischen oder fortschreitenden Behinderung unterschiedliche Auswirkungen dieser auf das Familiensystem.

Die Kontaktaufnahme zu den Vätern und die Verabredung eines Interviewtermins erfolgte pere-mail oder telefonisch.

3.4. Interviewdurchführung

Bis auf zwei Interviews fanden alle Gespräche bei den Vätern zu Hause und damit in einer für sie vertrauten Umgebung statt. Für mich ergab dies den Vorteil, die Väter in ihrem Lebensumfeld zu erleben und dieses kennen zu lernen. Ein Gespräch fand in einer Wohnung statt, welche Schlafgelegenheit und Büroräume kombinierte, da der Vater sich nur beruflich in dieser Stadt aufhielt, welche für mich jedoch besser zu erreichen war als der Heimatort. Ein anderes Interview wurde per Telefon durchgeführt, da der Besuch zu diesem entfernten Wohnort organisatorisch und finanziell nicht zu leisten war. Beide von der Räumlichkeit abweichenden Gespräche verliefen gut und die Väter offenbarten keine Probleme, in dieser Situation nicht offen sprechen zu können. Die reine Gesprächsdauer der Interviews lag zwischen 45 und 90 Minuten.

Die Kontakte verliefen dergestalt, dass ich als erstes formulierte, wie ich mir den Ablauf des Gespräches vorstellte, nochmals auf den Verwendungszweck des Interviews hinwies, die Anonymität der Daten zusicherte und die Einwilligung in die Tonbandaufnahme einholte. Danach erfragte ich die statistischen Angaben mündlich, aufgrund des unterschiedlichen Zugangs zur Schriftsprache der Väter.

Anschließend folgte das eigentliche Interview. Grundsätzlich galt es ersteinmal, das "Gefühlsmanagement des Recorder-Unwohl-Seins" (Hermanns, 2000, S. 362) zu übernehmen, indem ich selbst mit der ersten Frage vor laufendem Recorder vorführte, dass es möglich ist, entspannt seine Gedanken vor dem aufzeichnenden Gerät auszubreiten. Als Einstiegsfrage bat ich die Väter, sich an die erste Zeit ihrer Vaterschaft nach der Geburt ihres Kindes zu erinnern und ihre Eindrücke, Gefühle und Gedanken zu formulieren. Je nach Eigeninitiative der Väter wurden dann mehr oder weniger festgelegte Fragen ins Gespräch eingebracht. Der Leitfaden diente dabei der Orientierung und Gliederung und stellte ein Gesprächsminimum dar. Eigenen Schwerpunktsetzungen seitens der Väter versuchte ich genügend Raum zu lassen. Die Abschlußfrage, welche Bereiche sie im Zusammenhang mit dem Thema "Vater mit einer Behinderung" weiterhin ansprechen möchten, eröffnete nochmals ein Erzählterrain.

In der Ausgestaltung des Gespräches versuchte ich, Hinweise von Hermanns (2000, S. 360f.) umzusetzen, welcher darauf verweist, dass jedes Interview neben der Datensammlung ein interpersonelles Drama mit sich entwickelnder Handlung darstellt. Die Doppelrolle des Interviewers ist durch die Gleichzeitigkeit von Empathie und Fremdheit zu charakterisieren. Einerseits wird der Versuch unternommen, sich in die Darstellung des Gesprächspartners zu versetzen, um zu erfahren, wie dieser seine Welt erlebt und deutet. Dabei sollte dem Befragten durch einen aufmerksamen und respektvollen Umgang seitens des Fragenden auch die Möglichkeit eingeräumt werden, mehrere Aspekte seiner Person zu zeigen. Andererseits muss dem Interviewer die Darstellungsebene des Gesagten bewusst bleiben, er kann sich nicht ohne weiteres über den Bedeutungshorizont der verwendeten Begrifflichkeiten sicher sein und sollte auch bei selbstverständlich erscheinenden Wendungen eine "Haltung absichtlicher Naivität" (Hermanns, 2000, S. 364) einnehmen und nachfragen.

Die Kommunikationssituation gestaltete sich aufgrund der verschiedenen Behinderungen sehr unterschiedlich. Der Kontakt mit einem blinden Vater bedurfte vermehrter Verbalisierung aufgrund des fehlenden Blickkontaktes. Gleiches gilt auch für das telefonische Interview. Bei den Vätern mit progressiver Behinderung galt es, sich in deren Sprechtempo einzuhören und auf Erschöpfungszustände Rücksicht zu nehmen.

Nach dem gesamten Gesprächskontakt nahm ich eine schriftliche Einschätzung des Interviews vor mit Vermerken bezüglich zeitlicher Dauer, Einstiegssituation, Atmosphäre und ersten Interpretationsideen.



[2] Diesbezüglich sei auf folgende Veröffentlichung hingewiesen: Pixa-Kettner, U. / Bargfrede, S. / Blanken, I. (1996). "Dann waren sie sauer auf mich, daß ich das Kind haben wollte...". Eine Untersuchung zur Lebenssituation geistigbehinderter Menschen mit Kindern in der BRD. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

4. Auswertung

4.1. Transkription

Die auf Tonband aufgezeichneten Interviews wurden als kommentierte Transkription verschriftlicht. Bei dieser Protokollierung des Materials werden wichtige Informationen über den reinen Wortlaut hinaus festgehalten. Durch Sonderzeichen werden Auffälligkeiten der Sprache wie Pausen, Sprechweisen, aber auch situative Momente wie Umgebungsgeräusche gekennzeichnet. Die verwendeten Transkripte wurden auf der Grundlage des Systems von Kallmeyer / Schütze von 1976 (Mayring, 2002, S. 92) hinsichtlich der Markierung von Sprechpausen, Unverständlichkeiten und situativen Informationen erarbeitet:

Abbildung 4: Transkriptionsregeln (W. Kallmeyer / F. Schütze, 1976, zitiert nach Mayring, 2002, S. 92)

.

=

kurze Pause

..

=

mittlere Pause

... , (Pause)

=

lange Pause

mhm

=

Pausenfüller, Rezeptionssignal

(Lachen), (geht raus)

=

Charakterisierung von nichtsprachlichen Vorgängen

(...)

=

unverständlich

(Kommt es ?)

=

nicht mehr genau verständlich, vermuteter Wortlaut

Auf eine Darstellung der Dialektfärbung wurde verzichtet, der Text wurde überwiegend ins Hochdeutsche übertragen, da keine sprachanalytische Vorgehensweise angestrebt wurde.

Namen von Personen und Orten wurden aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert.

4.2. Qualitative Inhaltsanalyse

Die inhaltsanalytische Vorgehensweise aus der Kommunikationswissenschaft wurde Mitte des 20. Jahrhunderts einer qualitativen Kritik unterzogen, in deren Folge sich eine qualitative Analysemethode herausbildete (vgl. Mayring, 2000, Juni, Abs. 6). Aus dieser Entwicklung heraus gelten bestimmte Grundgedanken der Inhaltsanalyse auch für die qualitative Inhaltsanalyse.

Inhaltsanalytisches Vorgehen nach der Methode von Mayring (2000) ordnet sich in ein Kommunikationsmodell ein. Die Inhaltsanalyse ermöglicht die Bearbeitung verschriftlichter Kommunikation von sprachlichem Ausgangsmaterial. Hinsichtlich der Variablen des Kommunikators wie des emotionalen, kognitiven, sozio-kulturellen Handlungshintergrund oder textbezogener Aspekte wie Entstehungskontext oder Intension und Wirkung des Textes ist eine Richtungsangabe der folgenden Analyse vorzunehmen (vgl. Mayring, 2000, S. 50f.). Diese wendet zur Nachvollziehbarkeit und Überprüfung Dritter explizite Regeln an, wenngleich angepasst an das konkrete Material und verfolgt ein systematisches Vorgehen nach einem bestimmten Ablaufmodell anstatt einer freien Interpretation.

Abbildung 5: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell (Mayring, 2000, S. 54)

Mayring (2000, S. 53) beschreibt als ersten Schritt einer Analyse die Festlegung des Ausgangsmaterials, den Ablauf der Analyseschritte und die Kodierungsbedingungen. Danach erfolgt ein systematisches Erarbeiten des in inhaltsanalytische Einheiten von Kodiereinheit, Kontexteinheit und Auswertungseinheit zergliederten Materials. Zur interpretatorischen Bearbeitung des Materials stehen die Technik der Zusammenfassung, der Explikation und der Strukturierung zur Verfügung (vgl. Mayring, 2000, S. 58). Ziel der Analyse ist eine begründete Kategorienbildung über das Material.

"Die qualitative Inhaltsanalyse stellt [...] einen Ansatz empirischer, methodisch kontrollierter Auswertung auch größerer Textcorpora dar, wobei das Material, in seinen Kommunikationszusammenhang eingebettet, nach inhaltsanalytischen Regeln ausgewertet wird, ohne dabei in vorschnelle Quantifizierungen zu verfallen." (Mayring, 2000, Juni, Abs. 5)

Diese kann nach zwei Ansätzen erfolgen (vgl. Mayring, 2000, S. 74f.). Ein induktives Vorgehen leitet die Kategorien, ohne vorab formulierte theoretische Positionen heranzuziehen, direkt aus dem vorliegenden Material in einem Verallgemeinerungsprozess ab. Deduktives Vorgehen hingegen bildet Kategorien über die Anwendung theoretischer Überlegungen aus dem bisherigen Forschungsstand auf das verwendete Material.

Die gewonnenen Ergebnisse dieses vom Ansatz her transparenten und an inhaltsanalytischen Gütekriterien orientierten Analyseverfahrens können im Sinne triangulationalen Vorgehens einen weiteren unterschiedlichen Lösungsweg für eine spezifische Fragestellung bieten und mit anderen Ergebnissen verglichen werden (vgl. Mayring, 2000, Juni, Abs. 7).

4.3. Zusammenfassung als inhaltsanalytische Technik

Das hier hauptsächlich benutzte analytische Vorgehen bei der Inhaltsanalyse ist die qualitative Technik der Zusammenfassung. Aufgrund der minimalen vorhandenen Literatur, aber auch um die väterlichen Ansichten möglichst in ihrer konkret im Feld verwendeten Sprache ohne Verzerrungseffekte durch Vorannahmen meinerseits darzustellen, lag der Bündelung in Kategoriensysteme ein induktives Vorgehen zugrunde.

Ziel der qualitativen Zusammenfassung ist eine Materialreduktion, welche dennoch wesentliche Inhalte des Materials abbildet (vgl. Mayring, 2002, S. 115). Die Abstraktion dieser Inhalte ermöglicht eine überschaubare Kategorienbildung. Grundprinzip hierbei ist eine schrittweise, definitorisch abgesicherte Anhebung des Abstraktionsniveaus hin zu einer weitestmöglichen Verallgemeinerung.

Abbildung 6: Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse zur Kategorienbildung (Mayring, 2000, S. 60)

Im ersten Schritt der Analyse werden die benutzten Einheiten von Kodiereinheit, Kontexteinheit und Auswertungseinheit festgelegt. Die Kodiereinheit beschreibt den kleinsten, die Kontexteinheit den größten Materialbestandteil (vgl. Mayring, 2000, S. 53). In der hier vorliegenden Arbeit ist der minimalste Textbestandteil, welcher unter einer Kategorie subsummiert werden darf, als Proposition definiert, als inhaltstragendes Satzfragment. Maximal darf das gesamte Material eines Falles unter eine Kategorie fallen. Die Auswertungseinheit bestimmt die Reihenfolge des zu analysierenden Materials, hier definiert als Fundstellen des jeweiligen Erhebungszeitpunktes.

Daran schließt sich die Paraphrasierung des Textes an, indem einzelne, inhaltstragende Kodiereinheiten auf knapp den Inhalt beschreibende Form gebracht werden. Die Aussagen werden hinsichtlich der Sprachebene und der grammatikalischen Grundform vereinheitlicht. Daran schließen sich drei weitere zusammenfassende, reduzierende Analyseschritte, nämlich Generalisierung und erste und zweite Reduktion an, wobei jedesmal das Abstraktionsniveau erhöht wird. Regelleitend waren hier die von Mayring verwendeten Z-Regeln.

Abbildung 7: Z-Regeln (Mayring, 2000, S. 62)

Z1:

Paraphrasierung

Z1.1:

Streiche alle nicht (oder weniger) inhaltstragenden Textbestandteile wie ausschmückende, wiederholende, verdeutlichende Wendungen!

Z1.2:

Übersetze die inhaltstragenden Textstellen auf eine einheitliche Sprachebene!

Z1.3:

Transformiere sie auf eine grammatikalische Kurzform!

Z2:

Generalisierung auf das Abstraktionsniveau

Z2.1:

Generalisiere die Gegenstände der Paraphrasen auf die definierte Abstraktionsebene, so daß die alten Gegenstände in den neu formulierten impliziert sind!

Z2.2:

Generalisiere die Satzaussagen (Prädikate) auf die gleiche Weise!

Z2.3:

Belasse die Paraphrasen, die über dem angestrebten Abstraktionsniveau liegen!

Z2.4:

Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe!

Z3:

Erste Reduktion

Z3.1:

Streiche bedeutungsgleiche Paraphrasen innerhalb der Auswertungseinheiten!

Z3.2:

Streiche Paraphrasen, die auf dem neuen Abstraktionsniveau nicht als wesentlich inhaltstragend erachtet werden!

Z3.3:

Übernehme die Paraphrasen, die weiterhin als zentral inhaltstragend erachtet werden (Selektion)!

Z3.4:

Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe!

Z4:

Zweite Reduktion

Z4.1:

Fasse Paraphrasen mit gleichem (ähnlichem) Gegenstand und ähnlicher Aussage zu einer Paraphrase (Bündelung) zusammen!

Z4.2:

Fasse Paraphrasen mit mehreren Aussagen zu einem Gegenstand zusammen (Konstruktion / Integration)!

Z4.3:

Fasse Paraphrasen mit gleichem (ähnlichem) Gegenstand und verschiedener Aussage zu einer Paraphrase zusammen (Konstruktion / Integration)!

Z4.4:

Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe!

Einschränkend ist jedoch zu erwähnen, dass im Hinblick auf die Einzelanalysen im Schritt der ersten Reduzierung inhaltsgleiche Paraphrasen nicht gestrichen wurden, da sie einen Gradmesser für die Betonung der Thematik der Befragten darstellen.

Nach Beendigung der Anhebung des Textmaterials auf das angestrebte Abstraktionsniveau erfolgt die Zusammenstellung der neuen Aussagen in einem Kategoriensystem, welche am Ausgangsmaterial rückzuüberprüfen ist (vgl. Mayring, 2000, S. 76). Hinsichtlich dieser Kategorisierung war es mir wichtig, verschiedenste Aspekte in Unterkategorien bestehen zu lassen anstatt diese in Oberkategorien aufgehen zu lassen. Neben verschiedenen Berührungspunkten der väterlichen Sichtweisen, erkennbar durch allgemein aussagekräftige Oberkategorien, sollte auch die für die Interpretation entscheidende Herkunft aus einer bestimmten väterlichen Situation erhalten bleiben. Aufgrund dessen, dass diese Studie einen ersten Überblick über die Sichtweisen der befragten Väter-Gruppe anstrebt, sollte das Kategoriensystem auch die präsentierte Vielfältigkeit weiterhin abbilden.

4.4. Falldarstellungen und Quervergleich

Jedes einzelne Interview wurde in seiner Gesamtheit nach Kategorien gegliedert als Fallbeschreibung dargestellt. Dazu gehören auch einleitende Hinweise auf die Kontaktaufnahme zum Gesprächspartner und die Interviewsituation als auch Informationen zum biographischen und familialen Hintergrund des Befragten. Die Ergebnisdarstellung des Interviews bildet nicht den tatsächlichen Gesprächsverlauf ab, sondern ist bereits im Hinblick auf den Vergleich über alle vorgenommenen Interviews hinweg in gleichfolgende Themenabschnitte geordnet. Diese vereinheitlichende Strukturierung dient bereits an dieser Stelle der Kennzeichnung von Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Sichtweise der einzelnen Väter.

Während die Einzelfallbeschreibung die Ansichten einer befragten Person zu allen angesprochenen Themen abbildet, ermöglicht der Quervergleich die Darstellung der Bandbreite der unterschiedlichsten Ansichten der Väter zu einem Themenbereich. Damit ist die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit der subjektiven Lebensentwürfe der Väter und ihrer Umsetzung im väterlichen Handeln aufzeigbar. Des Weiteren können die sich herauskristallisierten Kategorien auch in ihrer Wechselwirkung und ihren Beziehungen und Zusammenhängen untereinander ausgewertet werden.

Für die Sichtung und Darstellung der ausgewerteten Daten und der zugehörigen Zitate wurde das Computerprogramm MAXqda benutzt.

5. Gütekriterien

Zur Einschätzung der Tragfähigkeit der gewonnenen Ergebnisse stellen Gütekriterien einen wichtigen Standard empirischer Forschung dar. In der qualitativen Forschung ist die Anwendbarkeit der quantitativen Kriterien von Objektivität, Reliabilität und Validität umstritten, eher rückt der Prozess der Begründbarkeit und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse in den Vordergrund (vgl. Mayring, 2002, S. 140).

Mayring (2000, S. 144 - 148) benennt sechs allgemeine Gütekriterien für die qualitative Forschung. Die Aspekte der Verfahrensdokumentation, der argumentativen Datenabsicherung, der Regelgeleitetheit und der Möglichkeit der Triangulation sind als genereller Anspruch in den vorherigen Absätzen bereits besprochen worden. In der Bearbeitung und Interpretation dieser Studie wurden diese Forderungen als richtungsgebend betrachtet.

Weiterhin betont Mayring die Nähe zum Gegenstand. Qualitative Forschung steht in einer Interessenannäherung zu den Betroffenen und sollte ein offenes, gleichberechtigtes Verhältnis zwischen den Befragten und den Fragenden herstellen. Durch diese Grundhaltung wird als sechstes Kriterium eine Validierung der Ergebnisse in einem Kommunikationsprozess möglich. Die interviewten Personen werden damit nicht ausschließlich als Datenlieferanten wahrgenommen, sondern in die Absicherung der Rekonstruktion subjektiver Bedeutungsmuster mit einbezogen.

"Wenn sich die Beforschten in den Analyseergebnissen und Interpretationen auch wieder finden, kann das ein wichtiges Argument zur Absicherung der Ergebnisse sein." (Mayring, 2000, S. 147)

Einschränkend ist zu bemerken, dass dies kein ausschließliches Kriterium darstellt, da eine Analyse dann jeweils nur subjektive Ansichten ohne Befragung von deren Stereotypen und Ideologien referieren kann. Dennoch bleibt eine Rückbindung an die Wahrnehmung der Befragten ihrer sozialen Wirklichkeit auch hinsichtlich der Forderungen aus dem Forschungsansatz der Disability Studies erstrebenswert.

Fast alle Väter erhielten sowohl ein Exemplar der Transkription ‚ihres' Interviews als auch eines der Einzelfallanalyse dieses Gespräch. In einem Fall wurde aufgrund der Schwere der Behinderung die Transkription und erste Interpretationen persönlich mit dem Vater besprochen. Alle anderen Väter bat ich, die Texte selbständig zu bearbeiten und mir, sofern sie es wünschen, ihre Meinung zukommen zu lassen. Eine persönliche Besprechung wäre an dieser Stelle wünschenswert und hätte vermutlich eine tiefergehende Interpretation bei gleichzeitiger Rückversicherung den befragten Vätern erlaubt, ein Anspruch, der in diesem Rahmen leider nicht durchführbar war. Trotz dieser enormen Anforderung an die Väter haben sich fast alle Befragten mit ihren Aussagen eingehend beschäftigt und durch ihre Rückmeldungen einen wichtigen Teil zur Absicherung der Ergebnisse geleistet.

III. Darstellung der Ergebnisse

1. Kategorienvorstellung und Definition

Ziel der Untersuchung ist die Darstellung der Einstellung, Meinungen und Sichtweisen von Vätern mit einer Behinderung auf verschiedene Bereiche ihres Vater-Seins. Zu diesem Zweck wurde eine induktive Kategorienbildung über die Interviewtranskripte durchgeführt. Dabei bildeten sich fünf große Hauptkategorien mit zahlenmäßig unterschiedlichen Unterkategorien erster und zweiter Ordnung zur Beschreibung der Lebenswelt von Vätern mit Behinderung heraus. Die Hauptkategorien geben verschiedene Themenkomplexe des väterlichen Erlebens an. Diese wiederum sind unterteilt in unterschiedliche Bereiche, welche die Bandbreite des Komplexes verdeutlichen und fassen in sich detaillierte ausgestaltende Aspekte zusammen. So beschreibt beispielsweise die Unterkategorie "Vaterhandeln" einen Aspekt des Bereiches von "Versorgung und Betreuung" des Kindes im Komplex "Vaterschaft".

Im Folgenden wird zuerst eine bildliche Darstellung der Kategorien auf den verschiedenen Ebenen gezeigt, um einen ersten Eindruck über die Motivbreite und -vielfalt der in den Interviews besprochenen Themen zu vermitteln. Anschließend werden sämtliche Kategorien definiert. Die Wiedergabe des erarbeiteten Datenmaterials erfolgt anhand der ermittelten Kategorien, zuerst in Form einer Darstellung jedes einzelnen Interviews zur Repräsentanz eines individuellen Lebensentwurfes, danach als Zusammenschau aller angesprochenen Aspekte in einem Quervergleich über alle Interviews.

Abbildung 8: Kategorienübersicht - Hauptkategorien mit Unterkategorien erster und zweiter Ordnung

1.1. Vaterschaft

Diese Kategorie stellt die Wahrnehmung und das Erleben der Väter bezüglich ihrer Vaterschaft und die konkrete Ausgestaltung der Vaterrolle von der Geburt des Kindes bis zum Zeitpunkt des Interviews dar. Neben der Innensicht wird auch die wahrgenommene Außensicht auf die Vaterschaft angesprochen.

1.1.1. Vater-Werden

Der Prozess der Bewusstseinswerdung eines Vaters ausgehend von einer konkreten Planung des Kindes und den ersten Anzeichen der Schwangerschaft bei der Partnerin bis hin zur Einschätzung von Veränderungen durch das Kind wird hier nachgezeichnet.

  • Kinderwunsch: Hier wird benannt, ob ein Kinderwunsch bestand und wie dieser im Falle medizinischer Unterstützung realisiert wurde.

  • Geburt: Hier sind Äußerungen der Väter zum Geburtsgeschehen gesammelt.

  • Gemeinsame erste Zeit: Die Väter beschreiben ihre Erlebnisse und Gefühle während der ersten Wochen nach der Geburt des Kindes.

  • Veränderung der Lebenseinstellung: Diese Kategorie umfasst die mit dem Einstellungsprozess auf ein Leben mit einem Kind einhergehenden Veränderungen, welche die Väter an sich wahrnehmen.

1.1.2. Versorgung und Betreuung

Diese Kategorie schildert die väterliche Vorbereitung und Umsetzung hinsichtlich der Versorgung des Kindes besonders im Säuglingsalter, geht aber auch auf spätere zuwendende Aktivitäten ein.

  • Theorie und Praxis: Der Unterschied von Theorie und Praxis, welchen die Väter antizipierten beziehungsweise konkret in der Versorgung ihres Babies wahrnahmen wird hier thematisiert.

  • Versorgung: Diese Kategorie umfasst die väterlichen Aussagen zur Umsetzung und Bewältigung der Versorgung und Betreuung des Kindes.

  • Vaterhandeln: Hier werden die Verantwortlichkeiten und Aktivitäten, welche die Väter als ihre spezifischen väterlichen Aufgaben ansehen, beschrieben.

1.1.3. Vaterbilder

Diese Kategorie sammelt Vorstellungen und Einstellungen zu verschiedenengesellschaftlich und persönlich vorhandenen Rollenanforderungen an Väter. Diese werden im Zusammenhang mit der Einschätzung der eigenen Vaterschaft dargestellt.

  • Ideal und Selbstbild: Diese Kategorie umfasst Vorstellungen der Väter zum gesellschaftlichen und persönlichen Ideal des Vaters und die Sichtweise auf die eigene Vaterschaft.

  • Vater als Ernährer: Hier geht es um die spezifische Vaterrolle des Vaters als Familienernährer und die persönliche Betrachtung der Väter auf diese Anforderung.

1.1.4. Elternbeziehung

Diese Kategorie umfasst die Äußerungen der Väter zu ihrer Beziehung zur Partnerin oder einstigen Partnerin als Mutter des Kindes in Vergangenheit und Gegenwart. Grundlage der Einschätzung sind Überlegungen hinsichtlich eines allgemeinen Unterschiedes zwischen Müttern und Vätern als auch Einschätzungen der mütterlichen Persönlichkeit.

  • Beschreibung der Elternbeziehung: Diese Kategorie beschreibt die momentane Qualität der Elternbeziehung aus Sicht der Väter.

  • Mütter und Väter: Hier geht es um von den Vätern wahrgenommene Unterschiede im Verhalten von Müttern und Vätern und vermutete Erklärungen dafür. Weiterhin behandelt diese Kategorie vergangene Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Elternpaaren.

1.1.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Hier werden Reaktionen der näheren und weiteren Umwelt bezüglich der Vaterschaft eines Menschen mit Behinderung dargestellt, wie die Väter sie erlebt und wahrgenommen haben.

1.2. Erziehung

Sowohl Einstellungen, Einflüsse und Überzeugungen der Väter zum Thema Erziehung als auch die eigene Darstellung und Bewertung der Erziehungspraxis werden hier wiedergegeben.

1.2.1. Erziehungsabsicht

Diese Kategorie umfasst die Zielrichtung väterlichen Erziehungshandelns im Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung.

1.2.2. Einfluss der Biographie

Hier werden von den Vätern selbst benannte wichtige Einflüsse auf ihre eigene Sozialisation für die Erziehung des eigenen Kindes dargestellt.

1.2.3. Erziehungsgrundsätze

Diese Kategorie umfasst grundlegende Überzeugungen und Einstellungen zur Ausgestaltung der eigenen Erziehungsarbeit ausgehend von einer bestimmten Sicht auf das Kind als Subjekt dieser Einwirkung.

  • Bild vom Kind: Teilweise äußern sich die Väter zu ihrem Menschen- und Gesellschaftsbild, welches ihrer Erziehung zugrunde liegt.

  • Erziehung und Schwerpunkte: Konkrete Schwerpunkte in der jeweiligen väterlichen Erziehung werden hier benannt.

1.2.4. Erziehungserleben

Diese Kategorie umfasst verschiedene Bereiche erzieherischer Interaktion zwischen Vater und Kind und deren Bewertung. Außerdem geht es um den väterlichen erzieherischen Spielraum, beeinflusst durch das Erziehungsverhalten der Partner als Eltern.

  • Ansichten der Eltern: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Erziehung der beiden Elternteile aus Sicht der Väter werden hier dargestellt.

  • Herausforderungen: Die Väter beschreiben persönliche erzieherische Herausforderungen.

  • Konflikte: Der Umgang und die Lösung von Konflikten zwischen Vater und Kind wird hier dargestellt.

  • Grenzziehungen: Diese Kategorie beschreibt Überlegungen der Väter über Steuerung und Sanktionen kindlichen Handelns.

  • Auswirkung der väterlichen Behinderung: Hier werden die väterlichen Gedanken, inwieweit ihre Erziehung von ihrer eigenen Behinderung beeinflusst ist und was dies für die Kinder bedeuten könnte, dargestellt.

1.2.5. Erziehungserfolg

Hier wird die persönliche Einschätzung der Väter bezüglich des Erfolges der Umsetzung von Erziehungstheorie in die Praxis wiedergegeben.

1.3. Väterliches Handicap

In dieser Kategorie werden die Überlegungen der Väter zu ihrer spezifischen Behinderung und deren Bedeutung für sie selbst dargestellt, desweiteren die Reaktionen Außenstehender sowohl auf persönlicher, individueller wie sozialer Ebene.

1.3.1. Umgang

Hier wird die individuelle Sichtweise auf die Behinderung und auf die nichtbehinderte Umwelt beschrieben.

  • Persönlicher Umgang: Diese Kategorie beschreibt den Umgang und die Auseinandersetzung der Väter mit ihrer Behinderung auf der individuellen Ebene als Teil der Persönlichkeit.

  • Umgang mit nichtbehinderter Umwelt: Hier geht es um die väterlichen Einstellungen bezüglich der nichtbehinderten Umwelt.

1.3.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Diese Kategorie beschreibt die Erlebnisse der Väter, welche Reaktionen sie als Mensch mit Behinderung von Außenstehenden erfahren und wie damit persönlich als auch seitens der Partnerin umgegangen wird.

  • Reaktionen der Umwelt: Hier geht es um die väterlichen Erfahrungen mit der nichtbehinderten Umwelt.

  • Persönlicher Umgang mit Reaktionen der Umwelt: Die Väter thematisieren ihre Gedanken und Gefühle hinsichtlich ihrer Erlebnisse mit der nichtbehinderten Umwelt.

  • Umgang der Partnerin mit Reaktionen der Umwelt: Die Väter beschreiben wie ihre Partnerin ihrer Meinung nach die Reaktionen der Umwelt wahrnimmt.

1.4. Beziehung zum Kind

Diese Kategorie stellt die Aussagen der Väter zur persönlichen Beziehung zum Kind zum Zeitpunkt des Interviews in den Mittelpunkt. Dabei wird versucht, die von den Vätern wahrgenommene gegenseitige Beeinflussung von Vater und Kind zu beschreiben, gerade bezüglich der väterlichen Behinderung hinsichtlich der entwickelten Kompetenzen, der Persönlichkeit und der Lebensumstände des Kindes.

1.4.1. Vater-Kind-Beziehung

Diese Kategorie gibt die väterliche Einschätzung der momentanen Beziehung zum Kind und deren Entwicklung wieder. Zur Beschreibung und Einschätzung dient den Vätern dabei auch das Verhalten seitens des Kindes, der Mutter des Kindes oder anderer Bekannter.

  • Beschreibung der Beziehung: Die Väter beschreiben, wie sie ihre Beziehung zu ihrem Kind wahrnehmen.

  • Beziehungsentwicklung: Einige Väter berichten, ob, wie und wodurch sich ihre Beziehung zum Kind verändert hat.

  • Wahrnehmung des eigenen Kindes: Hier sind Äußerungen, wie die Väter ihre Kinder erleben und deren Fähigkeiten einschätzen, wiedergegeben.

  • Bestätigung vom Kind: Die Wahrnehmung der Väter bezüglich der Zuwendung der Kinder ihnen gegenüber bekräftigt ihr Selbstbild als Vater.

1.4.2. Beziehungsebenen

Diese für jeden einzelnen Vater sehr spezifische Kategorie beschreibt den augenblicklichen gedanklichen Problemkreis eines Vaters in seiner Beziehung zum Kind. Vorrangig wird dabei das Thema gewollte oder ungewollte Ablösung des Kindes von den Eltern und damit einhergehendes Auseinanderdriften der Erfahrungswelten von Kind und Vater beziehungsweise Lockerung der Vater-Kind-Beziehung beschrieben.

1.4.3. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

Die Väter äußern sich darüber, wie Vater und Kind ihre Verhaltensweisen auf den jeweiligen Handlungsspielraum durch die väterliche Behinderung einstellen.

  • Umgang miteinander: Das aufeinander Einstellen in den Interaktionen von Vater und Kind wird hier beschrieben.

  • Eingehen auf die väterliche Behinderung: Hier geht es um das kindliche Eingehen auf die väterliche Behinderung im Miteinander.

1.4.4. Auswirkungen der väterlichen Behinderung

Diese Kategorie stellt die Gedanken der Väter, inwieweit ihre Behinderung auf die Persönlichkeit und Lebensumstände ihrer Kinder als Kinder mit einem Vater mit Behinderung wirkt, dar.

  • Schicksal: Kind eines Vaters mit Behinderung zu sein ist persönliches Geschick.

  • Kindliche Persönlichkeit: Väterliche Überlegungen, wie und welcher Art ihre Behinderung auf die kindliche Persönlichkeit Einfluss ausübt, sind hier wiedergegeben.

  • Reaktionen auf Kind eines Vaters mit Behinderung: Von Vätern beobachtete Reaktionen Außenstehender gegenüber ihrem Kind, angesprochen als Kind eines behinderten Vaters, werden beschrieben.

1.4.5. Kindliche Assistenz

Alle Väter bedürfen in unterschiedlichem Masse und in verschiedener Hinsicht Unterstützung. Die väterlichen Überlegungen hinsichtlich der Unterscheidung von erzieherisch gewollter Hilfsleistungen im Alltag und der ungewollten Assistenz seitens der Kinder wird hier beschrieben.

1.4.6. Normalität im väterlichen Leben

Diese Kategorie fasst die väterlichen Bewertungen und die Bedeutung des Umgangs ihres Kindes mit der eigenen Behinderung hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Lebensführung zusammen.

1.4.7. Zukunft

Hier sind die Wünsche der Väter betreffend der allgemeinen Zukunft der Kinder und der Vater-Kind-Beziehung gesammelt.

1.5. Familienleben

Diese Kategorie thematisiert die Familienorganisation und -situation. Weiterhin beschreiben die Väter ihre Wahrnehmung der verschiedenen Familienbeziehungen.

1.5.1. Alltagsgeschehen

In welchem Umfang Väter nach ihrer Darstellung und auch hinsichtlich ihrer Behinderung an den zu erledigenden familialen Aufgaben im Alltagsgeschehen beteiligt sind, wird hier beschrieben.

  • Alltagsgestaltung: Hierbei geht es um die konkrete Aufgabenverteilung der Eltern im Alltagsgeschehen.

  • Alltag und Behinderung: Die Rolle der Behinderung bezüglich der Übernahme von Aufgaben seitens der Väter wird angesprochen.

1.5.2. Familiensituation

Darstellung der väterlichen Bewertung zur persönlichen Situation der eigenen Familie sowie zur allgemeinen Situation von Familien mit einem Mitglied mit Behinderung werden hier zum Ausdruck gebracht.

  • Familienbewertung. Diese Kategorie sammelt die Ansichten der Väter zur momentanen persönlichen Familiensituation.

  • Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände: Wünsche und Forderungen der Väter zur Veränderung der allgemeinen Lebensumstände von Eltern mit Behinderung werden dargestellt.

1.5.3. Umgang mit der väterlichen Behinderung

Die Aussagen der Väter, inwieweit die väterliche Behinderung in der Partnerschaft und in der Familie zum Thema wird oder eine Rolle spielt, wird hier wiedergegeben.

  • In der Partnerschaft: Die Väter beschreiben den Umgang mit der väterlichen Behinderung in der Partnerschaft.

  • In der Familie: Einstellungen und konkreter Umgang mit der väterlichen Behinderung seitens der Familienmitglieder werden hier von den Vätern verdeutlicht.

2. Einzelfallanalysen

Die Einzelfalldarstellung richtet sich nach den gebildeten Kategorien aus der Inhaltsanalyse. Die väterlichen Ansichten werden darüber präsentiert. Ausführliche Zitate aus den einzelnen Interviews sollen helfen, die Ausführungen verständlicher zu machen. Zur besseren Lesbarkeit werden die Ergebnisse strukturell lediglich auf der Ebene der Unterkategorie der ersten Ordnung wiedergegeben. In jeweils zwei einleitenden Teilen wird zum einen auf die Interviewsituation eingegangen, zum anderen erfolgt eine Kurzvorstellung des Vaters, in welche die soziodemographischen Daten des Interviewteilnehmers einfließen.

2.1. Interview mit Herrn D.

2.1.1. Vorbemerkung

Ein Vater hatte meine Anfrage an den Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern über seine Mailingliste für blinde Eltern weitergeleitet. Daraufhin meldete sich Herr D. bei mir. Herr D. hätte das Interview gern während eines persönlichen Treffens gegeben, da aber die Entfernung zwischen unseren Wohnorten von mir weder zeitlich noch finanziell zu überbrücken war, kam er mir freundlicherweise entgegen und erklärte sich auch mit einem telefonischen Gespräch einverstanden. Das Interview fand kurz nach der Heirat mit seiner Frau I. und deren gemeinsamer Hochzeitsreise statt. Herr D. sprach munter und bereitwillig über seine Erfahrungen als Vater. Zum Teil äußerte er Sorgen, dass seine Ausführungen mir nichts nutzen könnten, da sein Sohn F. erst im Kleinkindalter und er damit noch ein recht junger Vater sei.

2.1.2. Biographischer Hintergrund

Herr D., 42 Jahre, lebt mit seiner Frau I. im eigenen Haus in einem Dorf in Süddeutschland. Seine einstige Lebensgefährtin Frau S., 33 Jahre, mit welcher er den gemeinsamen Sohn F. im Alter von zwei Jahren hat, zog vor einer Weile aus dem Dorf in eine ca. 200 km entfernte Stadt. Aufgrund dieser räumlichen Entfernung sind die Besuchszeiten des Kindes beim Vater so gestaltet, dass F. fünf bis sechs Tage pro Monat am Stück bei seinem Vater verbringt und den Rest des Monats bei seiner Mutter. Herr D. hat nach dem Abitur eine Lehre zum Bankkaufmann abgeschlossen. Wegen seiner Erblindung durch eine Netzhauterkrankung ist er berentet und momentan Hausmann. Seine Frau I., 35 Jahre, arbeitet als Agraringenieurin in einem Gärtnereibetrieb. Herr D. engagiert sich ehrenamtlich in seiner Gemeinde und im Kirchenkreis und ist Vorsitzender eines Selbsthilfevereins von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Durch seine vielfältigen Aktivitäten erhält er viel Unterstützung von seinem sozialen Umfeld und fühlt sich in seiner Kommune gut angenommen.

2.1.3. Vaterschaft

2.1.3.1. Vater-Werden

Herr D. hat sich schon immer Kinder gewünscht und hofft auf weitere Kinder mit seiner Ehefrau. Mit F. erfüllte sich der Wunsch nach einem Kind bereits kurz nach einer ersten, vor allem für die Mutter S. belastenden Fehlgeburt. Herr D. nimmt an, dass die Krankheit, welche bei ihm zur Erblindung führte, bei seinem Sohn nicht zum Ausbruch kommen wird, da nur ein geringes Vererbungsrisiko bestehe.

Die erste Zeit beschrieb Herr D. allgemein als schöne Zeit. Es hatte ihn jedoch die starke Bindung zwischen Mutter und Kind überrascht, so dass er sich von seinem Sohn auf den zweiten Platz hinter der Mutter verwiesen sah.

"Und da, also der F. hat mich schon so wahrgenommen und war auch irgendwie froh mit mir, also das will ich jetzt nicht so sagen. Aber irgendwie so, sobald er die Mutterstimme gehört hat, dann, dann war der sofort, ja dann war der sofort abgelenkt oder hat direkt auf diese Mutterstimme reagiert, ne? Also direkt, ja direkt Reaktionen gezeigt zur Mutter hin, ja." [Z.: 31 - 38]

Teilweise fühlte sich Herr D. als Vater überflüssig in dieser ersten Zeit und formulierte auch seine Enttäuschung, vom Kind nicht so recht wichtig genommen zu werden.

"Und das hat mir schon, muss ich sagen, schon was ausgemacht, so. Ich will nicht sagen, dass ich da eifersüchtig war, das jetzt nicht, . . Also, ich hab halt eben so gemerkt, dass ich als Vater (lacht) eigentlich nicht so, nicht so, gefragt war, ne, von F.s Seite." [Z.: 38 - 43]

Generell empfand Herr D. sein Vater-Sein als schönes Gefühl. Hinzu kommt, dass er eine neue Akzeptanz bei anderen Eltern bemerkt hat, seitdem er selbst in der Verantwortung für ein Kind steht. Erst Erfahrungen mit dem eigenen Kind gäben den erzieherischen Ansichten mehr Gehalt, da theoretische Erziehungsvorstellungen nun auch auf ihre Anwendbarkeit in der Praxis überprüft werden könnten.

" ... aber jetzt bin ich ja auch selbst in der Verantwortung und kann sozusagen meine Erziehungsgrundsätze, oder mein Erziehungsmodell am lebenden Objekt ausprobieren und dann auch sagen, ja das ist machbar, das ist haltbar oder das da ist, das kannste, das ist Theorie, die ist in der Praxis nicht haltbar." [Z.: 100 - 108]

Die Aufwertung der eigenen Person durch den Status des Vater-Seins erlebte Herr D. auch bei seinen Eltern.

"Also, auch bei meinen Eltern, also ich will nicht sagen, dass die vorher gesagt hätten, das ist nix, weil der hat keine Kinder und so, aber jetzt wo ich Kinder habe, ja ich merk das schon, dass das so eine Aufwertung ist, ein Adelstitel, der nicht ausgesprochen ist." [Z.: 111 - 116]

Für Herrn D. ist eine eigene Familie ein bedeutendes persönliches Ziel und gleichzeitig etwas Selbstverständliches. Die Vaterschaft, welche den Einzelnen in eine gehobenere gesellschaftliche Position hebe, versteht er als wichtigen Schritt zur persönlichen Entwicklung.

2.1.3.2. Versorgung und Betreuung

Herr D. hatte sich mittels eines Kurses bei einer Hebamme auf die praktische Versorgung des Säuglings vorbereitet. Dennoch betonte er, dass diese theoretische Vorbereitung nur bis zu einem gewissen Grad hilfreich sei, da die tatsächliche Praxis unvorhersehbare Schwierigkeiten berge.

"Ja wie gesagt, wickeln musste ich lernen, ich musste, ich hab da zwar so einen Wickelkurs gemacht bei einer Hebamme, aber das war an einer Puppe und ich meine ne Puppe bewegt sich nicht. Und so nen Baby, so nen Baby das strampelt wie verrückt und wenn es die Hosen voll hat, dann ist das stolz und dann wackelt das noch viel mehr. Das sind dann natürlich alles so Sachen, die einen dann (lacht) teilweise auch ins Schwitzen bringen." [Z.: 158 - 167]

Generell bringe eine Vaterschaft völlig neue Aufgaben mit sich, welche erst im täglichen Handeln erlernt werden müssen.

"Also ansonsten, ja ich musste alles lernen."[Z.: 158]

Dabei gehe es nicht nur um die versorgenden Tätigkeiten von Wickeln bis Füttern, sondern auch darum, die Kompetenzen des Kindes in jeder Entwicklungsstufe einschätzen zu lernen. Besonders die Handhabung des Fütterns und des Bewegungsspielraums des Kindes, der sich aus dessen zunehmender motorischen Kompetenz ergibt, thematisierte Herr D. als problematisch für einen blinden Vater.

Für viele auftauchende Probleme erfand Herr D. kreative Lösungen, um seinen Sohn selbständig versorgen und betreuen zu können.

"Da musste ich mir dann auch so ein Frühwarnsystem überlegen, das besteht aus, aus einer Anglerglocke. [...] Und die hab ich mir mal in so einem Anglergeschäft gekauft und die kommen beim F. ans T-shirt oder, also an den Ärmel vom T-shirt oder von der Jacke oder vom Pullover kommen die dran und dadurch weiß ich ganz genau, wo der ist. .. Also, dadurch geht er A, nicht verloren, B, weiß ich so halt auch, wenn der im Garten unterwegs ist, wo er ist. [Z.: 171 - 185]

Des weiteren thematisierte Herr D. seinem Sohn gegenüber den Spielraum seiner Möglichkeiten und auch Bereiche, in denen er Rücksicht seitens des Kindes aufgrund seiner Behinderung fordern muss. Darüber hinaus versuchte er, Dinge, die er behinderungsbedingt nicht leisten kann, von anderen übernehmen zu lassen, wie die Beaufsichtigung in unvertrauter Umgebung oder den Umgang mit visuellem Spielzeug.

" ... und das wird dann zur Seite gelegt, da sagt ich dann, das machst du dann am besten, wenn die I. kommt, da fragst du die I., ob sie das mit dir macht." [Z.: 531 - 534]

2.1.3.3. Vaterbilder

Für Herrn D. war ein ideales Bild des Vaters schwer zu formulieren. Zudem verwies er auf eine Pluralität des Rollenverständnisses und lehnte traditionelle Ansprüche wie zum Beispiel den Vater als Familienernährer ab. Allgemein sei diese Forderung an Väter aber wahrscheinlich noch vorhanden.

"Ja, also von der Gesellschaft her sicherlich, also ich denke, die Gesellschaft ist wesentlich traditioneller von ihrem Rollenverständnis her als Fraktionen von ihr." [Z.: 248 - 251]

Sein Bild von einer idealen Vaterschaft ist gezeichnet von der Übernahme von Verantwortung und Sorge für sein Kind und der Vermittlung von Geborgenheit. Im Laufe der Entwicklung des Kindes werde zunehmend die Partnerschaft zwischen Vater und Kind zum zentralen Moment. Ebenso betonte Herr D. die Vorbildfunktion des Vaters, wobei es ihm aber wichtig war, dass sein Vorbild keine unerreichbaren, autarken Maßstäbe setze, sondern in seiner Bereitschaft, notwendige Hilfsbedürftigkeit einzugestehen, ein ansprechbares Gegenüber für das Kind bleibe.

"Ja, dass er Verantwortung übernimmt, dass er Vorbild ist, in gewisser Weise, ohne aber zu erschlagen, es gibt ja auch so erschlagende Vorbilder, die, so Vorbilder, die man eigentlich nie erreichen kann, also so ein Vorbild mit menschlichem Antlitz, sag ich jetzt mal, wo, wo, das auch Schwäche zeigen kann." [Z.: 213 - 219]

In Teilbereichen gelinge Herrn D. die persönliche Umsetzung dieses Anspruchs. Wenn auch nur tageweise, während der Besuchszeit des Sohnes, erlebe er sich als in der Verantwortung stehender Vater, welcher, wenn er genug Geduld aufbringt, gut auf die Bedürfnisse seines Kindes eingehen könne.

Herr D. war es nicht bewusst, wie sehr das Stillen ein Kind an die Mutter binden kann. Diese exklusive Mutter-Kind-Bindung erlebte er stärker als erwartet und er fühlte sich als Vater durch die Stillbeziehung ausgeschlossen. Erst das Zufüttern ermöglichte es Herrn D., eine eigene, intensivere Beziehung zum Kind aufzubauen.

"Und dass der F. . ja erst seinen Vater wahrgenommen hat, nachdem, oder mehr wahrgenommen hat, nachdem die S. den F. net mehr regelmäßig gestillt hat und der F. dann auch mal von seinem Vater gefüttert werden konnte. So mit Flasche oder mit Brei." [Z.: 18 - 23]

2.1.3.4. Elternbeziehung

Bezüglich der Beziehung zu seiner einstigen Lebensgefährtin und Mutter des gemeinsamen Sohnes F. schilderte Herr D. als zentralen Konfliktpunkt, welcher auch nach der Trennung der Eltern weiterhin die gegenseitige Verständigung erschwere, die unterschiedlichen Ansichten von Mutter und Vater hinsichtlich der Vereinbarkeit von Haushalt und Kind. Während Frau S. den Haushalt lieber in Abwesenheit des Sohnes erledigt, um während seiner Anwesenheit permanent ansprechbar und spielbereit zu sein, vertritt Herr D. die Meinung, dass Kinder so im Alltag mitlaufen könnten. Herr D. äußerte seine Missbilligung und sein Unverständnis gegenüber der mütterlichen Ansicht und bewertete diese dahingehend, dass Frau S. den Sohn als Ausrede vor Haushaltstätigkeiten vorschöbe.

"Und ähm, das war dann, also das ist heute ähnlich, in L. hat sie auch schon I. und mir erzählt, dass sie nur putzen könnte, wenn der F. bei seiner Oma wäre, [...] oder wenn er bei mir wäre und sie könnte das auf gar keinen Fall machen, wenn der F. da wäre. Ja, da kratzt man sich am Kopf, aber nun gut." [Z.: 579 - 588]

Herr D. berichtete, dass er sich, als er mit Frau S. noch in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt habe, mehr Unterstützung im Haushalt ihrerseits gewünscht habe. Die partnerschaftliche Aufgabenverteilung habe sich durch die Geburt des Kindes zuungunsten des Vaters verschoben, so dass Frau S. überwiegend das Kind versorgte, während Herr D. für den Haushalt zuständig war.

"Also am Anfang war das mehr so, dass das Hälfte Hälfte war und als dann F. da war, wurde das Verhältnis immer ungleichgewichtiger. Mhm, also ich hab immer mehr Anteile vom Haushalt gemacht, also bis das dann, als S. dann ausgezogen war, das kein Unterschied mehr war." [Z.: 559 - 564]

Durch die Belastung im Haushalt beklagte Herr D. einen Mangel an Zeit für seinen Sohn, wohingegen Frau S. seine Zeitnot aus einem Zuviel an Ehrenämtern erklärte.

"Ich hätte mir gewünscht, ähm, dass ich da von S. mehr im Haushalt unterstützt worden wäre, um mich mehr um F. zu kümmern. Weil die Ehrenämter, die waren, die waren ja schon immer da." [Z.: 614 - 618]

2.1.3.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Herr D. thematisierte die Reaktionen auf seine Vaterschaft auf zwei Ebenen. Zum einen berichtete er von der freundlichen Anteilnahme seiner Umgebung.

"Und das wird registriert und die Leute sind da sehr angetan, wenn, wenn wir da zusammen unterwegs sind." [Z.: 704 - 706]

Im Dorf seien die gemeinsamen Unternehmungen und generell die besondere Familiensituation von Vater und Sohn Gesprächsstoff, was Herr D. positiv und zuwendend bewertete. Herr D. erwähnte auch, dass er mit seinem Blindenstock und sein Sohn mit den Glöckchen an seiner Kleidung automatisch in der Öffentlichkeit auffallen würden. Negative Reaktionen der Umwelt auf seine Vaterschaft hat er bisher nicht erlebt, eher wird ihm oft die Mithilfe bei der Beaufsichtigung des Kindes auf dem Spielplatz oder bei anderen Gelegenheiten außer Haus angeboten.

Auf einer anderen Ebene ist es Herrn D. wichtig, die zustimmenden und ermunternden Kommentare auf seine Vaterschaft, auch auf seinen Status als allein erziehender Vater, hervorzuheben. Sowohl Freunde als auch Kollegen betonen seinen guten Einfluss auf sein Kind und nehmen ihn als liebevollen und zuwendenden Vater wahr.

"Und ähm, also wie gesagt, das wird mir dann auch so, solche Sachen dann auch gespiegelt, dass dann gesagt wird, ja du bist, also F. fühlt sich bei dir wohl, dem fehlt es an nichts und ihr kommt gut miteinander klar, der ist richtig gut aufgehoben und fühlt sich auch sicher und wohl aufgehoben." [Z.: 294 - 299]

2.1.4. Erziehung

2.1.4.1. Erziehungsabsicht

Für Herrn D. wird ein Kind vor allem durch den Sozialisationsprozess, welcher erzieherischer Unterstützung bedarf, zu einem vollwertigen, gesellschaftsfähigen Menschen. Ziel und Aufgabe einer Familie sei es, diese "Menschwerdung" zu fördern, um das Kind als selbstständige Persönlichkeit aus der Familie verabschieden zu können.

" ... aber im zunehmenden Maße des Menschwerdens einfach auch Partner zu sein für das Kind, um das Kind auch später als selbstständig, selbstständiger, kritischer, sozialer, soziales Mitglied einer Gesellschaft entlassen zu können, aus der Familie entlassen zu können." [Z.: 230 - 236]

2.1.4.2. Erziehungsgrundsätze

Vielleicht auch gerade durch die Besuchszeit, welche die Beziehung von Vater und Sohn strukturiert, ist das Erziehungskonzept von Herrn D. sehr familial ausgerichtet. So legt er viel Wert auf gemeinsame Mahlzeiten und auch auf familialen und nachbarschaftlichen Kontakt.

"Ich versuche in den Besuchszeiten, dass er, also meine Eltern sieht, seine Großeltern, [...] Und ähm, dass er halt Kontakt hat mit meiner einen Schwester, weil die J., die Tochter von meiner Schwester, die J. ist jetzt im Januar drei geworden, also die ist ein halbes Jahr älter als F. Und die zwei sollen, weil sie altersmäßig ja doch eng beieinander sind, die sollen sich halt möglichst viel in der Besuchszeit sehen. [...] Ja, und dann soll er ja auch Kontakt zu den Nachbarskindern haben, weil die kennen ihn auch, schon als Baby." [Z.: 494 - 513]

2.1.4.3. Erziehungserleben

Als Herausforderung bei der Erziehung sieht Herr D. seinen Mangel an Geduld. Er nehme sich selbst als einen ungeduldigen Menschen wahr, auch sich selbst gegenüber. Zwar habe seine Erblindung ihn bereits vermehrt Geduld gelehrt, dennoch wünsche er sich mehr ausdauernde und konsequente Ruhe, gerade auch im Hinblick auf den Anfang der Besuchszeit, in welcher sein Sohn jedes Mal von vorn in einem stressigen, aber notwendigen Testprogramm die Spielregeln des Haushaltes austestet.

"Also, was ich sicherlich noch lernen muss, ist noch . geduldiger zu sein. . Ja, noch geduldiger zu sein, einfach zu sagen, gut ich bin jetzt im Testprogramm, das geht auch wieder rum, das läuft jetzt ab, der F. braucht das, ähm, das läuft jetzt ab und wenn ich das geschafft hab, dann ist es auch wieder gut. Und da bin ich manchmal nicht, da bin ich nicht immer, da bin ich net immer so souverän, sag ich jetzt mal. Da würd ich mir mehr, von mir selbst oder mehr Souveränität wünschen, noch mehr Geduld, das muss ich einfach auch lernen." [Z.: 342 - 352]

Das Wichtigste hinsichtlich konflikthafter Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn ist für Herrn D. die Streit schlichtende Versöhnung. Während des Streites darf sein Kind seinen Gefühlen freien Lauf lassen, wütend sein und schreien, doch nachdem der Konflikt besprochen und über eine Vereinbarung geregelt wurde und eine Versöhnung über die Geborgenheit in einer Umarmung hergestellt wurde, ist das Thema auch abgeschlossen.

"Ja, und dann haben wir uns gedrückt, also unsere Versöhnung ist immer, dass wir uns drücken. Und dann frag ich den F., ‚Ist jetzt wieder alles gut?', und dann sagt der F. ‚Ja, ist alles gut.', ja und dann geht es weiter und dann ist es aber auch gut. Dann ist die Sache gegessen, so." [Z.: 443 - 448]

Außerdem bemüht sich Herr D. eigene negative Gefühle und Schmerz aus dem Streit herauszuhalten und nicht am Kind auszulassen.

2.1.5. Väterliches Handicap

2.1.5.1. Persönliche Einstellung

Herr D. geht sehr offen mit seiner Beeinträchtigung um. Bezüglich seiner nichtbehinderten Umwelt sei er jederzeit bereit, über seine Behinderung zu sprechen und Fragen zu beantworten.

"Auch wenn mich Leute auf der Straße ansprechen oder über meine Krankheit was wissen wollen, oder so, ich bin da immer gerne bereit Auskunft zu geben." [Z.: 779 - 782]

Des Weiteren gesteht Herr D. problemlos im gegebenen Fall seine Hilfsbedürftigkeit ein, äußert dann Defizite und Probleme, welche auftreten, und fordert bei Überforderung, wenn die Angelegenheit nicht selbstständig zu regeln ist, Hilfe an.

" ... also ich stehe auf dem Standpunkt, ich probiere erst einmal selbst und wenn ich merke, dass es entweder zu viele Ressourcen schluckt oder ich es nicht kann, dann fordere ich Hilfe an, so." [Z.: 859 - 862]

Sehr ernst nehme er seine ehrenamtlichen Aktivitäten. Zum einen engagiert er sich in einem Selbsthilfe-Verein, in dem Menschen mit verschiedenen Behinderungen vertreten sind. Zum anderen geht Herr D. selbst mit dem Thema Behinderung auf andere Menschen zu und verfolgt ein aufklärerisches Engagement in seiner Gemeinde. Dieser Einsatz, Bewusstsein für den Umgang mit blinden Menschen zu wecken, verstärkt seine soziale Einbindung in die Gemeinschaft und das Eingehen auf seine Bedürfnisse.

"Ja, und wenn ich jetzt so im Dorf unterwegs bin, also aus dieser Klasse, die rufen dann alle, "Hallo D.!", "Hallo Herr D.!", äh und erzählen, also ich bin der, was weiß ich der Yannik oder der Erik oder die Marianne oder wie sie auch alle heißen. Ja, und das ist sehr, sehr schön." [Z.: 803 - 809]

2.1.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Herr D. erlebt seine Umwelt als sehr wohlmeinend, bislang habe er keine negativen Erfahrungen machen müssen. In seiner Herkunftsfamilie werde seine Behinderung manchmal in Form von Verwunderung über seine Leistungsfähigkeit trotz seiner Blindheit thematisiert. Durch sein aufrichtiges Auftreten erlebe er oft Verständnis bei auftretenden Problemen.

" ... und, wenn ich irgendwas nicht kann, auch auf Verständnis stoße, weil ich dann sage, das kann ich nicht, weil aus dem und dem Grund. Und ähm, das wird dann auch akzeptiert." [Z.: 811 - 814]

2.1.6. Beziehung zum Kind

2.1.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Herr D. beschrieb die Beziehung zu seinem Sohn als gut gelungen und überwiegend harmonisch. Er vertraue auf die Selbstständigkeit und Vernunft von F. und äußerte väterlichen Stolz über den kompetenten Umgang des Kindes mit seiner Umwelt. Ebenso wurde deutlich, dass Herr D. die Anteilnahme Anderer an seinem Sohn sehr genießt. Weiterhin betonte er ein gegenseitiges, starkes Vertrauensverhältnis.

"Und dann würde ich das so sagen, dass das Verhältnis, tja . ja auch ein sehr gefestigtes ist, ja, ein gefestigtes ist und dass man neugierig ist aufeinander, aber auch aufeinander verlassen kann. Anders kann ich es nicht beschreiben." [Z.: 332 - 336]

Herr D. ist sehr stolz auf das selbstständige und besonnene Verhalten seines Sohnes, welches ihm ermögliche, sich in vielen Situationen auf ein angemessenes Verhalten seines Kindes verlassen zu können.

"Dass er da nicht zur Kamera geht und da den Stöpsel raus zieht, könnt er ja auch machen. Oder dass er in der Zeit schon mal ans kalte Büffet marschiert und sich da bedient, ne [bei einer Ausstellungseröffnung ]." [Z.: 288 - 291]

Auch freue ihn die offene und kommunikative Art und Weise, mit welcher sein Sohn mit anderen Menschen umgehe. F. lasse sich vorurteilsfrei auf andere Leute, auch Leute mit anderen Behinderungen ein und akzeptiere auch seine spontane Betreuung durch diese.

"F. lässt das auch zu und er geht auch ganz unbefangen mit den Leuten um." [Z.: 715 - 716]

Das zuwendende Verhalten von F. unterstützt Herrn D. dabei, ein positives Selbstbild von sich als Vater aufzubauen. Er ist sehr erfreut, wenn sein Sohn seine Zuneigung öffentlich zum Ausdruck bringt, da darüber auch die Bindung des Kindes an den Vater dargestellt wird.

" .... und auf einmal kam dann F. zu mir, also während ich da geredet habe, auf einmal kam F. zu mir und hat dann und wollte dann auf den Arm und hat dann immer wieder in die Runde gestrahlt und immer so nach dem Motto, das ist mein Papa. Also, ne, das ist mein Papa und ich bin der F." [Z.: 276 - 282]

2.1.6.2. Beziehungsebene

Die Vater-Kind-Beziehung wird sehr von der geregelten Besuchszeit strukturiert. Zum einen schlägt sich die begrenzte Zeit, welche beide miteinander jeweils zur Verfügung haben, in der Erziehung nieder. Konflikte zum Beispiel verlangen eine schnelle und abschließende Regelung, damit nicht die gesamte Besuchszeit von einer Auseinandersetzung überschattet wird.

"Erstens schon mal, ja klar, wir sind gezwungen durch die Besuchszeit, also Konflikte relativ schnell und zeitnah zu lösen. Das geht nicht, also dass man das tagelang vor sich hinschleppt, da ist die Besuchszeit ja um und dann ist die ganze Besuchszeit versaut. Ähm, also das schon mal so." [Z.: 402 - 408]

Zum anderen bewirkt die Diskontinuität gemeinsam verbrachter Zeit, dass der Umgang miteinander in jeder Besuchszeit neu ausgehandelt und erlernt werden muss. Herr D. berichtet, dass in den ersten zwei Tagen des Besuches sowohl er sich neu einstellen und schauen müsse, was sich in der letzten Zeit bei seinem Sohn an neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt habe, als auch F. eine Eingewöhnungsphase brauche und in einem stressigen Testprogramm die väterlichen Spielregeln prüfe.

"Ja, ich denke, das ist auch immer wieder so ein Abtesten. Wenn das erfolgreich abgeschlossen ist, dieses Testprogramm, dann erfolgreich abgeschlossen ist, dann, ja, dann kann die Besuchszeit beginnen, ja und dann ist es auch o.k. und dann ist es auch schön." [Z.: 326 - 331]

Ebenso erlernt F. in jeder Besuchszeit den Umgang mit der Behinderung des Vaters neu. Der Sohn kann sich die Einschränkungen des Vaters nicht abstrakt über einen längeren Zeitraum merken. Erst in der konkreten Situation erlernt er wieder, mit dem Vater entsprechend dessen Möglichkeiten zu interagieren. Im Laufe der Besuchszeit kann sich F. immer besser auf die gegebenen Verhältnisse einstellen.

"Also, F., ähm, . also, F. von der Beobachtung her würde ich sagen, dass F. das in jeder Besuchszeit neu lernt. [...] wo er dann auch anfängt und sagt, da und da hab und wo ich dann sag zu dem F., das funktioniert bei dem Papa nicht. Wenn du da irgendwie wild in der Gegend herumfuchtelst und sagst da und da und da, damit kann ich nichts anfangen. Entweder sagst du mir was du willst oder du gehst dahin oder wir gehen zusammen dahin und dann funktioniert das auch meistens am zweiten Tag." [Z.: 820 - 833]

Herr D. machte weiterhin deutlich, wie sehr ihn die zeitweise Trennung von seinem Sohn belastet.

"Ähm .. Also ich denke manchmal, dass ich unter der Trennung mehr leide als F., weiß ich halt eben nicht, aber ich denke, manchmal ist das schon so." [Z.: 897 - 899]

Da er nicht einschätzen könne, welche Gefühle seinen Sohn aufgrund der Trennung bewegen, weckt dies in ihm die Angst, für den Sohn als Vater nicht so wichtig zu sein. Weiterhin befürchte er weitere Einschränkungen der Besuchszeit, da F. bald am Wohnort der Mutter in den Kindergarten gehen soll.

2.1.6.3. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

Nach der Eingewöhnungsphase bei jeder Besuchszeit kann F. auf die beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit seines Vaters eingehen. Teilweise unterstützt er den Vater bei behinderungsbedingten Schwierigkeiten, indem er zum Beispiel Gegenstände dem Vater zureicht, die dieser erst suchen müsste.

Generell ist F. schnell in der Lage, sich an die Möglichkeiten des Vaters anzupassen. Vater und Sohn können sich damit immer wieder neu aufeinander einstellen. F. benimmt sich dem Vater gegenüber anders als bei anderen Personen und reagiert damit auf ein ihm anders entgegengebrachtes Verhalten.

"Hat dadurch aber relativ schnell gelernt, dass man den Papa irgendwie, dass man da, wenn der Papa einen füttert, dass man dem net auf den Löffel schlagen darf und dass man da, dass man da net den Kopf drehen darf, sondern man muss ganz ruhig sein, und den Schnabel aufsperren und ihm möglichst mit dem Kopf entgegen gehen dem Löffel und dann klappt das." [Z.: 137 - 144]

Ebenso lernt der Sohn gerade, welche Aktivitäten mit dem Vater nicht möglich sind und an wen er sich mit den gewünschten Spielen wenden kann, hauptsächlich an seine Stiefmutter I., mit welcher er gut zurechtkommt.

"Und wenn dann I. kommt, sie ist noch gar nicht hier drin, dann sie hat sich noch nicht hingesetzt, dann kommt der F. schon mit dem ersten Bilderbuch oder mit dem Puzzle und setzt sich dann mit I. auf das Sofa und sagt, I. Puzzle?, I. Buch? Und dann, ja, dann muss sie das machen." [Z.: 534 - 540]

2.1.6.4. Kindliche Assistenz

Für Herrn D. ist es nichts Außergewöhnliches, dass Kinder je nach Alter und Fähigkeiten im familialen Alltag mithelfen. An seinem Sohn erlebe er dessen Freude bei der Verrichtung kleiner Tätigkeiten, wodurch er sich bemühe, F. mit Spaß und ohne Zwang an alltägliche Aufgaben heranzuführen.

"Also eben, was altersbedingt ist, oder ja alters-, was altersbedingt ist, dass er da schon mithilft. Finde ich da jetzt nichts schlimmes dran." [Z.: 925 - 927]

Auf meine Nachfrage grenzte Herr D. die kindliche Unterstützung im Haushalt klar von kindlicher Assistenz ab. Kinder hätten ein Anrecht auf ihre Kindheit und seien nicht als kleine Erwachsene zu behandeln. Ein partnerschaftlicher Umgang zwischen Eltern und Kind schließe die Übernahme kindlicher Verantwortung für einen Erwachsenen aus. Ebenso sei es unzulässig, von einem Kind zu erwarten, dass es selbsttätig die Defizite eines beeinträchtigten Elternteils ausgleiche.

"Ja, ja. Also, wenn ein Kind, wenn ein Kind jetzt, nehmen wir mal an, fünf oder sechs Jahre alt ist und dann anfängt Verantwortung zu übernehmen für einen Erwachsenen, dann finde ich das auch. Das ist aber nicht mehr partnerschaftlich, das ist grenzwertig." [Z.: 942 - 947]

2.1.6.5. Normalität im väterlichen Leben

Für Herrn D. wird durch die Besuchszeit immer wieder deutlich, dass der Umgang mit seiner Beeinträchtigung von anderen Menschen gelernt werden müsse, auch von seinem Sohn.

"Also I. sagt, so am Anfang von der Besuchszeit, dann sucht er zum Beispiel auch meinen Augenkontakt und lächelt mich an und ich reagiere aber nicht. Und dann guckt er die I. an und dann guckt er mich nochmal an und lächelt nochmal und dann reagiere ich aber immer noch nicht. Dann sagt I., F. lächelt dich an, lächle zurück und dann lächle ich dann zurück und dann ist er auch zufrieden, aber er merkt, da ist was, also das ist was, was anders ist als sonst, als bei anderen Leuten." [Z.: 833 - 842]

F. bemerke besonders am Beginn der Besuchszeit in der Interaktion mit seinem Vater, dass sein gewohntes Verhalten gegenüber anderen Leuten hier teilweise nicht zum erwünschten Resultat führe und dass an seinem Vater etwas anders sei als bei Anderen. Nach kurzer Zeit sei es dem Sohn wieder möglich, unbefangen und selbstverständlich mit der väterlichen Beeinträchtigung umzugehen.

"Und so im Laufe der Besuchszeit wird er dann immer, wird er dann immer besser, dass er dann mich auch an die Hand nimmt und sagt und mich dann irgendwohin führt und dann da eben was haben will." [Z.: 843 - 847]

2.1.6.6. Zukunft

Auch in Zukunft solle F. wissen, dass er sich auf seinen Vater verlassen könne und dass dieser immer für ihn da sei. So wünscht sich Herr D. sehr, dass sein Sohn zu ihm ziehen und ganz bei ihm leben würde.

"Und .. einen Wunsch hätte ich, dass F., äh, dass F. vielleicht irgendwann ganz, ganz zu uns kommt. Also, dass ist auch mit I. abgesprochen, dass wenn, ähm, wenn F. den Wunsch hätte zu kommen oder wenn halt irgendwas halt wäre, dass seine Mutter aus irgendeinem Grund ausfällt, er dann hier auch hinkommen kann." [Z.: 890 - 896]

Für die Vater-Sohn-Beziehung erhoffte sich Herr D. eine zunehmende Partnerschaftlichkeit, die von Vertrauen geprägt sei und es dem Sohn ermögliche ihn so anzunehmen, wie er ist.

"Und ich würde, ähm, also ich würde mir wünschen, dass, dass halt eine gute Vater-Sohn-Beziehung wird, ähm einfach auch von Vertrauen getragen, von zunehmend von Partnerschaftlichkeit und dass . mein Sohn irgendwann mal sagt, ‚Ja, mein Vater ist zwar schrullig, aber doch ein feiner Kerl.'" [Z.: 900 - 905]

Darüber hinaus erwähnte Herr D., später keine finanzielle Unterstützung von seinem Sohn zu erwarten.

2.1.7. Familienleben

2.1.7.1. Alltagsgeschehen

Sowohl das Kind als auch der Haushalt strukturieren den Tagesverlauf von Herrn D., welcher sich als Hausmann mit Kind in einer alltäglichen Normalität verortet wie sie auch Hausfrauen mit Kindern erleben. Während seine Frau I. ihrer Erwerbsarbeit nachgeht, erledigt er die anfallenden Hausarbeiten. Arbeiten, welche ihm behinderungsbedingt Schwierigkeiten bereiten, wie zum Beispiel Wäsche farblich zu sortieren, bittet er seine Frau zu übernehmen. Für den 14-täglichen Grobputz im gesamten Haus hat Herr D. eine Haushaltshilfe angestellt.

Seinen Sohn versucht er in seine sämtlichen Aktivitäten einzubinden, sowohl in seine Aufgaben im ehrenamtlichen Bereich als auch in seine Haushaltstätigkeit. Letzteres verursacht Herrn D. teilweise Probleme, nicht immer schaffe er es, den Haushalt am Laufen zu halten und auch seinem Kind ungeteilte Aufmerksamkeit zu geben.

" ... ich erkenne nicht immer, wann F., oder sagen wir mal so, ich bin hier am Arbeiten, also der Haushalt muss ja weiter laufen, wenn F. da ist, und ich bin dann irgendwann am machen und F. will aber irgendwie Aufmerksamkeit haben. Dann krieg ich das nicht immer hin zu sagen, so F., ähm, also ich krieg das nicht immer hin, dass ich dann sage, so ich mach das da jetzt noch gerade und dann geb ich dir Aufmerksamkeit F. Sondern ich werd dann immer, an schlechten Tagen, sag ich jetzt mal, werde ich dann immer hektischer, will dann immer mehr machen und merke, dass der F. Aufmerksamkeit haben will und will dann aber noch alles Mögliche gemacht haben, bevor ich ihm dann Aufmerksamkeit gebe." [Z.: 356 - 371]

2.1.7.2. Umgang mit der väterlichen Behinderung

Für Herrn D. und seine Frau I. nimmt das Thema Behinderung nicht viel Raum in der Beziehung ein, selten wird über das Blindsein beziehungsweise das Nicht-Sehen-Können gesprochen. Dies hänge nicht damit zusammen, dass ein Gespräch darüber peinlichst vermieden wird, eher treten im Alltag keine Probleme diesbezüglich auf, so dass die Behinderung nicht weiter zum Gesprächsgegenstand werde.

"Ähm, . aber jetzt nicht so, dass dieses Thema ein Tabu-Thema wäre, dass sie das aus Rücksicht zu mir, weil sie mich nicht kränken will, irgendwie deswegen nicht, sondern weil es einfach kein Thema ist." [Z.: 854 - 858]

Seitens seiner Frau I. hat Herr D. Hilfe angeboten bekommen, wenn er dieser bedürfe und dies äußere. Im Haushalt und im Umgang mit dem Sohn von Herrn D. übernimmt Frau I. diejenigen Erledigungen und Spiele, welche ihr Mann aufgrund seiner Erblindung nicht bewerkstelligen kann.

2.1.8. Kommunikative Validierung

Herr D. verwies per e-mail auf eine biographische Ungenauigkeit und formale Aspekte. In einem Telefonat klärten wir eine Interpretation bezüglich der Thematik der Konfliktlösung. Ich hatte Herr D.s Darstellung dahingehend verstanden, dass er seinen Sohn bei Streitfällen auffordere, sich auch die Gefühle der Gegenseite in der Situation zu vergegenwärtigen. Herr D. korrigierte mich jedoch, dass er diesen Anspruch nicht an seinen Sohn stelle, da dieser aufgrund seines Kleinkindalters damit auch überfordert sei.

2.2. Interview mit Herrn A.

2.2.1. Vorbemerkung

Eine Dozentin eines Seminars verwies mich mit meinem geplanten Diplomthema an einen ihr bekannten Vater mit Behinderung. Über diese Bekanntschaft entstand der Kontakt zu Herrn A. Ich besuchte Herrn A. an seinem Arbeitsplatz in einer kleinen Wohnung in einer Großstadt in der Mitte Deutschlands. Die Wohnung ist gleichzeitig auch seine Wohngelegenheit für den Teil der Woche, welchen er in dieser Stadt verbringt, um zu arbeiten. Ich treffe auf eine geschäftige, routinierte Atmosphäre. Eine andere Studentin, welche sich zu einer spezifischen Thematik erkundigte, war gerade dabei, die Wohnung zu verlassen. Herr A. ermunterte mich, dass nun meine Zeit laufe. Das Gespräch verlief konzentriert, unterbrochen wurden wir nur einmal durch ein ankommendes Fax. Herr A. bemühte sich, meinem Frageinteresse durch zusätzliche Beschreibungen entgegenzukommen. Der klaren, reflektierten Sprache nach, vermute ich, dass Herr A. nicht zum ersten Mal über seine persönlichen Überzeugungen berichtete, vielleicht gerade deswegen habe ich aber das Gefühl, dass auf gewisse Nachfragen inhaltlich nicht eingegangen wird. Besonders auf meine abschließende Frage, ob er weiteres zum Thema anmerken wolle, erzählte Herr A. ausführlich über seine Gedanken zur momentanen Familiensituation, nahm aber leider das Ende der Kassettenseite des Aufnahmegerätes zum Anlass, dass Gespräch für beendet zu erklären. Abschließend teilte mir Herr A. mit, dass es auch für ihn schön gewesen sei, sich durch solch ein Interview an Vergangenes zu erinnern.

2.2.2. Biographischer Hintergrund

Herr A., 54 Jahre, ist verheiratet und hat drei Kinder, einen 14-jährigen Sohn R., seine Zwillingsschwester F. und den 11-jährigen U. Der Hauptwohnsitz der Familie liegt in einer Kleinstadt in Norddeutschland. Die erste Hälfte der Woche arbeitet Herr A. jedoch als Therapeut in einer Großstadt in der Mitte Deutschlands. Seine Frau I., 44 Jahre, hat an einer Fachhochschule Sozialpädagogik studiert, arbeitet aber nicht in diesem Beruf, sondern betreut in der Woche das familieneigene Gästehaus.

Herr A. hat nach dem Abitur Psychologie studiert und daran eine systemische Ausbildung zum Therapeuten angeschlossen. Während des Studiums vor der Geburt der Kinder betätigte sich Herr A. politisch. Heute wirkt er, sofern es seine Zeit zulässt, an einem Lehr- und Beratungsinstitut für Menschen mit Behinderung mit. Herr A. ist aufgrund eines Unfalls seit 1971 in Form einer Paraplegie querschnittsgelähmt.

2.2.3. Vaterschaft

2.2.3.1. Vater-Werden

Eigentlich hatte Herr A. die Möglichkeit einer Vaterschaft aufgrund seiner Behinderung bereits aufgegeben, doch über das Verfahren der Insemination ist eine Vaterschaft für Männer mit dieser Behinderung nicht ausgeschlossen. Seine Frau und er entschlossen sich, für die Realisierung ihrer Elternschaft dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen. Herr A. berichtet, sie beide hätten um die Chance auf eigene Kinder gekämpft. Im Gegensatz zur natürlichen Zeugung sei ihr Weg der Erfüllung des Kinderwunsches kein einfacher Weg gewesen, sondern bedurfte des Einsatzes aller Kräfte und vielfacher Anstrengungen in psychischer, physischer und materieller Hinsicht.

"Naja, so einfach war das ja nicht. Wir haben uns nicht einfach ins Bett gelegt und miteinander geschlafen und kriegten dann Kinder irgendwann, sondern wir mussten weite Reisen unternehmen, um zu gucken, ob ich überhaupt zeugungsfähig bin. Wir haben diese Reisen mehrfach unternommen. Und dann haben wir mehrere Monate den Eisprung ausrechnen müssen, genau konzentrieren, wir haben uns konzentrieren müssen darauf." [Z.: 24 - 30]

Den Augenblick der Vater-Werdung beschrieb Herr A. als überwältigendes Gefühl. Die Geburt der Zwillinge stelle für ihn sein bedeutendstes Lebensereignis dar.

"Und dann war es eines Tages so weit. ... Es ist das wunderbarste und wichtigste Ereignis meines bisherigen Lebens." [Z.: 33 - 34]

Die Zwillinge belegten für Herrn A. einerseits die prinzipielle Möglichkeit seiner Vaterschaft, andererseits war die Zwillingsgeburt Ausdruck eines hormonellen Bemühens um die Realisierung des Kinderwunsches. Das gestärkte Selbstvertrauen durch die positiven Erfahrungen aus Zeugung und Geburt der Zwillinge ließ Herrn A. und seine Frau gelöster und ohne pharmazeutische Unterstützung an die Planung des nächsten Kindes herangehen. Ihr zweiter Sohn kam als "Einzelkind" zur Welt.

"Ja, das war anders. Entspannter, wir wussten dann ja, dass es geht, sie hat auch keine Hormone mehr genommen und irgendwann ist es dann, nach neun Monaten glaube ich, haben wir es dann versucht, war sie dann noch mal schwanger. Ist auch ein Einzelkind geworden, ja . ." [Z.: 38 - 42]

Das Kleinkindalter der Kinder war für Herrn A. durchaus noch präsent, er erlebte diese erste gemeinsame Zeit als sehr intensiv, in welcher er und seine Frau sich konzentriert den Kindern zuwandten.

"Ja, intensive Zeit. Wir haben uns sehr gekümmert um die Kinder, finde ich." [Z.: 78 - 79]

Als die wesentlichste Veränderung in seinem Leben durch die Geburt seiner Kinder bewertet Herr A. die bei sich wahrgenommene Aufmerksamkeitsverschiebung weg von sich selbst hin auf andere Menschen, insbesondere seine Kinder.

2.2.3.2. Versorgung und Betreuung

Bezüglich des Kleinkindalters seiner Kinder erzählte Herr A., dass er die Betreuung und Pflege mit übernommen habe und auch übernehmen konnte. Die Versorgung seiner Kinder sei ihm durch verschiedene Anpassungen der Inneneinrichtung, wie zum Beispiel Hängewiegen, ermöglicht worden.

" ... wir haben uns so eingestellt, wir haben uns so drauf eingestellt, dass ich auch als Rollstuhlfahrer die Kinder mit versorgen konnte. Wir hatten zum Beispiel keine, ähm Bettchen auf der Erde, sondern welche, die von der Decke runter hängen an Federn. [...] Und ich konnte dann das Teil nehmen und auf meinen, äh meinen Schoß setzen und konnte dann die Kinder greifen, je nach dem." [Z.: 66 - 75]

Allgemein sei die familiale Wohnung so eingerichtet, dass auch Herr A. in der Lage sei, Haushaltstätigkeiten zu übernehmen.

Im Zusammensein mit seinen Kindern wurde der väterliche Rollstuhl oft zum Spielzeug. Ebenso probierte Herr A., das selbstverständliche Vater-Sohn-Spiel Fußball, bis zu einem gewissen Grad an seine Bedingungen angepasst, für seine Söhne zu ermöglichen, bis diese begannen, zu offensiv zu spielen.

"Schwierig ist es gewesen, weil die Jungs sind Fußballspieler, sie lieben es Fußball zu spielen. Das konnte ich ja mit ihnen nicht, so habe ich lange Zeit im Tor gestanden. Es gab also ein normales Tor, und ein enges Tor. Und da stand ich dann drin, aber irgendwann kriegten die so einen harten Bumms." [Z.: 391 - 395]

2.2.3.3. Vaterbilder

Der ideale Vater bringe nach Meinung von Herrn A. seinen Kindern Zuwendung entgegen, er kümmere sich um sie und übernehme versorgende Tätigkeiten. Weiterhin biete er seinen Kindern Orientierung und Vermittlung von Werten in seinem erzieherischen Handeln und ermögliche ihnen, ein Verständnis der Welt aufzubauen.

"Ja, Zuwendung, Orientierung, werden sie sagen. Erziehung, besonders moralische Erziehung, ähm." [Z.: 113 - 114]

Als Mann begreife ein Vater die Rolle des Ernährers einer Familie als die seine. Herr A. nimmt sich davon selbst nicht aus.

"Er soll arbeiten, ich glaube immer noch, dass das Ideal des Ernährers einer Familie ist bei Männern, zumindest noch im Kopf bei vielen, auch bei vielen Männern selber, auch bei mir, der Anspruch ist auch da . ." [Z.: 123 - 126]

Darüber hinaus bestehe in der Berufsarbeit für Herrn A. eine Ausgleichsmöglichkeit zum (alleinigen) Engagement in der Familie.

Für Herrn A. besitzt die finanzielle Absicherung der Familie einen hohen Stellenwert. Bevor die Zwillinge geboren wurden, war Herr A. arbeitslos und bemühte sich, im politischen Bereich Fuß zu fassen. Die Geburt der Zwillinge bewirkte bei Herrn A. jedoch eine Konzentration auf den Broterwerb für die Familie statt weiter unentgeltlich politischen Ambitionen nachzugehen. Auch zum jetzigen Zeitpunkt vertritt Herr A. die Meinung, dass seine persönliche politische Arbeit nur erlaubt sei, wenn das Familieneinkommen anderweitig abgesichert wäre. In seiner Einschätzung zwingt das Leben einen manchmal zu unangenehmen Pflichten.

"Aber die Familie muss auch Einkommen haben. [...] Also, diese Arbeit hier ist schon wichtig. Wenn ich Arbeit hätte in T., dann wäre ich auch da, wenn das Gästehaus genügend Einnahmen bringen würde, dann wäre ich da und würde mein Institut machen. Aber es geht nicht anders, so ist das Leben, manchmal muss man was Unangenehmes." [Z.: 572 - 580]

Herr A. wandte außerdem ein, dass das Idealbild des guten Vaters vom sozialen Status des Befragten abhängig sei. Es bestehe sicher Einigkeit darin, dass Väter konkret auf das Kind bezogen handeln sollen, doch dieses konkrete Tun falle sehr unterschiedlich aus. Für Herrn A. bedeutet dies, die Interessen seiner Kinder wahrzunehmen, auf ihre Vorlieben einzugehen und ihre Wünsche zu realisieren.

"Sehr, sehr unterschiedlich, unterschiedlich. Also, wenn Sie mich fragen, was habe ich getan [...] Ich habe irgendwann einmal gemerkt, dass meine Kinder sehr gerne auf dem Rollstuhl, mit dem Rollstuhl fahren, und dann haben wir uns eine entsprechende, meine Frau hat das genäht, einen entsprechenden Gurt zugelegt, mit dem die Kinder dann festgehalten wurden und ich dann dennoch fahren konnte. Das verstehe ich unter Zuwendung. Die Kinder sind dann mit mir im Rollstuhl rumgefahren." [Z.: 132 - 140]

2.2.3.4. Reaktionen auf die Vaterschaft

Anfänglich wurde die Vaterschaft von Herrn A. aufgrund seiner Behinderung in Frage gestellt, zwar nicht persönlich ihm gegenüber, jedoch bedurfte es für andere einer mündlichen Bestätigung seitens seiner Frau oder Freunden. Herr A. gab an, dass andere Leute sich nicht vorstellen könnten, dass ein Rollstuhlfahrer Vater sein könne, da in der Öffentlichkeit das Bild vorherrsche, dass querschnittsgelähmte Männer zeugungsunfähig seien, eine Annahme, die falsch sei.

"Herr A.: ‚Die Leute haben sich sicherlich überhaupt nicht vorstellen können zunächst einmal, dass ich der Vater bin.' - In.: ‚Haben Sie das erlebt?' - Herr A.: ‚Ja, ja, ganz konkret. . Also, nicht ich direkt jetzt, aber meine Frau zum Beispiel oder Freunde durch Fragen, wer ist denn der Vater. Oder Fragen, geht denn das überhaupt. Normalerweise herrscht das Bild von einem Querschnittsgelähmten, dass er nicht zeugungsfähig ist. Und das stimmt nicht.'" [Z.: 171 - 180]

Die öffentlichen Reaktionen, welche Herr A. anfangs über die für Außenstehende unerwartete Tatsache seiner Vaterschaft erlebte, trifft er nicht mehr an. Er vermutet, dass sich seine Beziehung zu seinen Kindern nun auch nach außen hin als ein völlig normaler und unmissverständlicher Umgang zwischen Vater und Kindern präsentiere und keiner Nachfragen mehr bedürfe.

"Wie gesagt, sie haben sich gewundert zu Anfang, dass ich Vater geworden bin, aber mittlerweile kommt das nicht mehr vor, jedenfalls habe ich es nicht mehr erlebt. Dazu ist glaube ich auch, das Verhältnis zu eindeutig. Die Kinder gehen auf mich zu, . auf der Straße, ganz normal. Sie küssen mich." [Z.: 458 - 463]

2.2.4. Erziehung

2.2.4.1. Einfluss der Biographie

Herr A. grenzte seine Art von Erziehung seiner Kinder von seiner eigenen erlebten Erziehung durch seine Eltern ab. Seiner Frau gehe es ähnlich. Beide bekamen in ihrer Kindheit seitens der Eltern vermittelt, dass Elternschaft einen Akt persönlicher Aufopferung darstelle.

"Wir sind beide erzogen, äh von Eltern, die uns das Gefühl gegeben haben, dass sie ihr Leben für uns geopfert haben. Haben sie vielleicht auch. Das haben wir nicht getan." [Z.: 55 - 58]

2.2.4.2. Erziehungsgrundsätze

Für Herrn A. sind Kinder gleichzeitig erziehungsbedürftig und erziehungsbereit. Kinder verspüren den Wunsch nach Sicherheit, welche sie sich von ihren Eltern erhoffen. Für diese Geborgenheit seien sie bereit, viele positive Erwartungen, welche Eltern im Allgemeinen an ihre Kinder richten würden, zu erfüllen.

"Erziehen, sie wollen sich ja erziehen lassen, sie haben ja gar nichts anderes. Sie wollen die Welt,. sie wollen sich in dieser Welt sicher fühlen. Sicherheit, und für diese Sicherheit durch die Eltern sind sie bereit, ganz viel zu tun. Lieb zu sein, zu lachen, den Eltern die Hoffnung geben, dass sie ihr Leben fortsetzen, so was." [Z.: 145 - 150]

Diese Sicherheit sei in der Erziehung durch Zuwendung und Einrichtung bekannter Grenzen für die Kinder zu erreichen. Elterliche Zuwendung gebe den Kindern das Gefühl, dass ihre Interessen beachtet und vertreten würden. Konsequentes erzieherisches Handeln schaffe einen einschätzbaren Erwartungshorizont für die Kinder.

Unter intensiver Zuwendung versteht Herr A. auch besonders die Förderung seiner Kinder. Generell präsentierte er seine Überlegungen zu Erziehungsthemen sehr überlegt und selbstsicher. Bei einigen Aktivitäten, welche die Kinder von ihren Eltern angeboten bekommen, verwies mich Herr A. auf den dahinter stehenden Förderungsgehalt in kognitiver, emotionaler oder sozialer Hinsicht.

"Naja, wir haben natürlich auch mit ihnen die Spiele gespielt, die ähm . von denen wir glauben, dass sie für sie günstig sind. Wir haben natürlich mit ihnen Memory gespielt, gepuzzelt, wir haben mit ihnen mit Lego gespielt, aber eben auch viel Musik. Wir sind der Auffassung, dass ähm, Musik nicht nur die musikalische Begabung fördert, sondern auch die mathematische. Wir glauben, und sind auch jetzt bestätigt, fühlen uns bestätigt, dass die soziale, die emotionale Entwicklung durch Musik gefördert wird." [Z.: 280 - 287]

Herr A. erzählte weiter, dass er seine Familie als eine Familie von Intellektuellen sieht, was beispielsweise darin zum Ausdruck komme, dass das Schulzeugnis einen höheren Status als Grund für eine Feierlichkeit einnehme als der Geburtstag. Die Geburtstagsfeier sei für die Kinder bedeutend, weil sie zeige, wieviel ihre Existenz der Familie bedeute unabhängig jeglichen Anspruches. Die Zeugnisfeier hingegen honoriere ihre schulischen Leistungen, für welche sie viel Kraft und Ausdauer aufgewandt hätten.

"Das ist auch für die Kinder wichtig. Sie haben so viel gearbeitet. Der Geburtstag ist gut, um ihnen zu vermitteln, dass es gut ist, dass sie da sind. Aber ähm, sie haben so lange gekämpft für dieses Zeugnis und dann muss es auch gebührend gefeiert werden." [Z.: 248 - 251]

2.2.4.3. Erziehungserleben

Bei der Thematisierung erzieherischer Gedanken benutzte Herr A. kaum den Singular, er vermittelte das Bild einer grundsätzlichen Einigkeit der Eltern in Erziehungssituationen.

Hinsichtlich auftretender Konflikte zwischen Eltern und Kindern berichtete Herr A. von ihrem konsequenten Umgang in diesen Situationen, niemals seien Strafen angedroht worden, welche im Nachhinein nicht eingehalten wurden. Des Weiteren haben Herr A. und seine Frau den Kindern klar gemacht, dass Konflikte nicht verschleppt oder übergangen werden sollten, sondern Auseinandersetzungen ausgehalten werden müssten.

"Nun war es aber auch so, dass so in, wie alt waren sie da vielleicht, R. war vier, da gab es einen Konflikt und ähm, R. ist dann hoch gelaufen. Und dann konnte ich ihn nicht erreichen, aber meine Frau war sich einig mit mir und hat dann das Kind runter geholt. Es hat also da gelernt, dass es nichts nützt, wegzulaufen, Auseinandersetzungen kommen." [Z.: 316 - 321]

In der verbalen Auseinandersetzung könnten Konflikte dann besprochen werden, wichtig sei weiterhin eine Versöhnung noch am gleichen Tag. Herr A. erzählte, dass seine Kinder bereits frühzeitig die Zeichen eines möglichen anstehenden Konflikts oder einer Grenzverletzung ihrerseits erkennen, da seine Stimme in solchen Fällen lauter wird.

"Also irgendwie ist es schon das Erheben der Stimme, bedeutet schon - Oha, Obacht, der hat was, da ist was - . Und dann werde ich auch sofort drauf angesprochen - Du erhebst deine Stimme." [Z.: 200 - 203]

Herrn A. ist es wichtig, seinen Kindern Grenzen in ihrem Handeln aufzuzeigen, da Grenzen Lebenssicherheit und Vertrauen schaffen. Diese erzieherischen Grenzziehungen bedürfen eines Durchsetzungsmediums. Herr A. betonte, dass er und seine Frau auf körperliche Strafen oder erzieherisch eingesetzten Liebesentzug verzichten würden, dies aber in der Konsequenz zu den harten verbalen Auseinandersetzungen mit Erheben der Stimme und Anschreien führe. Bestrafungen seien immer schlimme Situationen für Kinder, egal ob nun körperlich oder verbal. Herr A. hofft aber, dass verbale Bestrafungen als weniger erniedrigend empfunden würden, zumal die Kinder wüssten, dass ihre Strafe nichts an der prinzipiellen Liebe ihrer Eltern zu ihnen ändere.

"Also das war, das war letztendlich auch so hart wie Schläge. Es ist nicht so demütigend, glaube ich, aber es ist letztendlich auch hart. . Wir haben nie mit Liebesentzug gearbeitet. Die Kinder waren sich immer einig, und sie waren auch klar darüber, dass das nichts ändern wird für heute nachmittag oder für abends." [Z.: 333 - 337]

In diesem Zusammenhang brachte Herr A. außerdem zur Sprache, dass es ihm wichtig sei, persönliche Probleme nicht an den Kindern abzuarbeiten, denn deren Bestrafung habe allein etwas mit ihren Handlungen und nichts mit der väterlichen Unausgeglichenheit zu tun. Bei eigenen Problemen behalte er sich das Recht vor, sich von allem zurückzuziehen und auch nicht weiter für die Kinder ansprechbar zu sein.

"Wenn ich unausgeglichen bin, begegne ich ihnen nicht, ziehe ich mich zurück. Das ist eine Sache, die nicht die Kinder zu regeln haben, sie sollen wissen, dass ich unausgeglichen bin, dass ich ärgerlich bin, dass es nichts mit ihnen zu tun hat, dass sie mich in Ruhe lassen müssen. [...] Wenn ich sie anschreie, wissen sie, dass es irgendetwas mit ihnen zu tun hat." [Z.: 501 - 507]

Generell sei der Stil der Familie im Umgang miteinander sehr auf Kommunikation und gegenseitige Verständigung durch Diskussionen und Konsensfindung angelegt, ein Anspruch der nach Herrn A. aus der pazifistischen Grundeinstellung der Eltern resultiere und welchen die Kinder bereits übernommen hätten. Jeder Familienstil habe jedoch nach Herrn A. etwas Ambivalentes. Der auf Ausgleich zielende Kommunikationsstil verhindere, dass die Kinder lernen, dass es für manche auseinander gehende Meinungen keine Einigungen gibt und es trotzdem wichtig sei, an ihnen teilweise kämpferisch festzuhalten.

"Jeder Stil ist gut und schlecht. Nicht immer können sie Probleme ausdiskutieren, das lernen sie bei uns nicht, das, das äh . ja, das konflikthafte sich durch die Welt schlagen, das lernen sie nicht." [Z.: 351 - 354]

Herr A. sagte selbst, dass seine Kinder in der Erziehung durch seine Behinderung beeinflusst sind, da diese viele Vereinbarungen präge. Die Kinder verstünden auch die Gründe für verschiedene Regelungen zwischen Vater und Kindern, wobei diese nicht nur das Verhalten in gemeinsamen Situationen betreffen, sondern auch Umgangsformen gegenüber der Person des Vaters.

"Was verboten ist, ist stürmisch auf mich zu zu rennen, um mich zu umarmen, weil ich dann Angst kriege umzufallen, das möchte ich nicht, ist auch schon passiert. Ja solche Sachen." [Z.: 395 - 398]

2.2.4.4. Erziehungserfolg

Allgemein äußerte sich Herr A. zufrieden mit der eigenen Erziehung. Die pädagogischen Absichten bezüglich der sprachlichen, kognitiven und musischen Förderung hätten sich erfüllt, zum Beispiel spielen alle Kinder ein Instrument sehr gut und die Annahme, dies bewirke auch gute mathematische Fähigkeiten, würden die Leistungen der Kinder auch bestätigen. Teilweise vermittelte Herr A. die Überzeugung, dass eine konsequente Erziehung zu einem absehbaren Ergebnis führe.

"Also, ich glaube, die fürsorgliche Erziehung in den frühen Jahren und die Konsequenz, äh die zahlt sich aus, wenn man das mit diesen Worten, ähm überhaupt bezeichnen kann." [Z.: 186 - 188]

2.2.5.Väterliches Handicap

2.2.5.1. Persönliche Einstellung

Herr A. beschrieb den Umgang mit seiner Behinderung zwischen den Gefühlszuständen von Freude und Leid. Den Umgang mit den behinderungsbedingt reduzierten Möglichkeiten, welche der Tatbestand seiner Behinderung neu für ihn mitbrachte, musste sich Herr A. erst erstreiten, teilweise bis heute. Dennoch betrachtet er seine Querschnittslähmung nicht als etwas, wogegen er ankämpft, sondern als wertvollen Teil seines Selbst.

" Meine Behinderung ist mir nicht peinlich, sie hat bestimmte Einschränkungen in meinem Leben, schlimme Einschränkungen, äh mit denen ich viel zu kämpfen hatte, mit denen ich auch heute noch kämpfe. Sehr viel Leid, aber auch Freude. Die Behinderung ist nicht meine Feindin, ist ein Teil meiner Persönlichkeit. Und weil sie das ist, schätze ich sie." [Z.: 368 - 373]

Als einen positiven Aspekt für seine Persönlichkeit beschrieb Herr A. den aus der Behinderung resultierenden Vorteil der Krisenerfahrung, welche sich aus der Erfahrung im Umgang mit seiner Querschnittslähmung und der Bewältigung diesbezüglicher Krisen entwickelte.

"Ja, jeder, der behindert ist, hat ja schon auch Krisen mitgemacht, jede Menge Krisen mitgemacht. Wer immer nur behütet ist, kennt Krisen zu wenig. Und wenn sie dann kommen, sind sie manchmal dann zu groß. Wenn man eine Behinderung hat, auch wieder ein Vorteil, den man nur, nicht nur, aber den man auch von einer Behinderung haben kann. Eine Behinderung macht einen krisenerfahren. Das bin ich." [Z.: 545 - 551]

Über seine nichtbehinderte Umwelt äußerte Herr A. sich eher misstrauisch, aufgrund seiner Erfahrungen hält er bereits jegliches Fehlverhalten, welches man gegenüber Menschen mit Behinderung an den Tag legen kann, für möglich. Jedoch je nach persönlicher Stimmungslage ist Herr A. auch bereit, auf nichtbehinderte Menschen zuzugehen. Meist steuere er dann die Kommunikation, da er annimmt, dass sich die Situation für seinen nichtbehinderten Gesprächspartner problematisch darstelle.

"Also, ich gehe auf die nichtbehinderte Umwelt zu und weiß, dass sie Schwierigkeiten hat mit mir. Wenn ich Lust dazu habe, greife ich dann ein und erkläre, wenn ich keine Lust habe, dann nicht. Ich weiß, dass man Schwierigkeiten damit hat, etwas falsches zu sagen. Also führe ich das Gespräch. Oder ich beruhige ihn, wenn ich merke, er hat das Gefühl, dass er was falsches gesagt hat." [Z.: 448 - 453]

2.2.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Laut Herrn A. habe die nichtbehinderte Umwelt generell Probleme mit Menschen mit Behinderung. Gesellschaftliche Normen und Vorstellungen, wie man mit behinderten Menschen umzugehen habe, erschweren den vorurteilsfreien Kontakt. Eine Regel sei, Menschen mit Behinderung keinen Ärger oder Kummer zu bereiten. Da Menschen mit Behinderung von der Öffentlichkeit oft als hilfsbedürftig wahrgenommen werden, erlebt Herr A. oft einen Drang der nichtbehinderten Umwelt, ihm unbedingt zu helfen, unabhängig von seinem eigenen Bekunden, ob Hilfe überhaupt erwünscht und gebraucht sei.

"Ich weiß, dass man einem Behinderten kein Leid zufügen darf, dass das eine gesellschaftliche Regel ist, dass das die Menschen unsicher macht. Ich weiß, dass die Menschen mir immer helfen wollen, auch wenn ich das gar nicht will, sie wollen es einfach." [Z.: 454 - 457]

2.2.6. Beziehung zum Kind

2.2.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Für Herrn A. ist es wichtig, am Leben seiner Kinder teilzuhaben und sie verantwortlich leiten zu können, selbst in Situationen oder an Orten, an welchen er selbst keinen Spielraum hat, wie zum Beispiel auf dem Spielplatz. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern beschrieb er als harmonisches Zusammenleben mit gegenseitigem Vertrauen.

"Die Kinder können sich auf uns verlassen. Sie wissen zwar auch, wo die, wo die Grenzen sind, aber sie können sich, sie haben mehr Lebenssicherheit. Sie haben die Lebenssicherheit, sie können ihre Begabungen, ähm voll entwickeln. Wir helfen ihnen dabei. Sie vertrauen uns." [Z.: 193 - 197]

Generell betonte Herr A. die Wechselseitigkeit in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die Eltern würden die Kinder genauso stark benötigen wie die Kinder die Eltern. Ebenso bemühten sich die Eltern nach Kräften für ihre Kinder wie auch die Kinder für die Eltern. Den Kindern gegenüber wird deren eigene Wertschätzung für die Eltern auch vermittelt. Und auch die Kinder seien sich über die unterstützende, fördernde Hilfe seitens der Eltern im Klaren und vertrauten darauf, dass ihre Eltern ihr Bestes im Blick hätten.

"Ich werde von den Kindern gebraucht und brauche sie. . Wir haben, meine Frau und ich, das von Anfang an tatsächlich so als Austauschverhältnis gesehen." [Z.: 53 - 55]

Die Beziehung zu jedem einzelnen seiner Kinder gestaltet sich für Herrn A. anders, denn jedes Kind habe seine eigenen Schwerpunkte und Interessen.

"Also, jede [Beziehung] ist natürlich anders, nicht. Wir lieben nicht alle Kinder gleich, jeden anders." [Z.: 208 - 209]

Die Beziehungen zu den Zwillingen thematisierte Herr A. überwiegend auf intellektueller Ebene. In dieser Hinsicht steht sein ältester Sohn R. ihm am nächsten, dessen natürliche Begabung Herr A. zu unterstützen versuche. Zudem sieht er in R. ein positives Jugendbild von sich selbst.

"Mein ältester Sohn ist einfach de, der auf intellektuellem Gebiet mir, . nahe kommt. Das schmeichelt mir natürlich, das unterstütze ich. Obwohl er in der Schule viel besser ist, als ich es jemals war. Aber er ist kein Spätentwickler, so wie ich." [Z.: 209 - 212]

Im Vergleich zu ihrem Zwillingsbruder müsse seine Tochter für die gleichen intellektuellen Resultate hart arbeiten. Herr A. bewundert an ihr ihren zähen Willen, Dinge zu bewältigen. Die schulische Konkurrenz zwischen den gleichaltrigen Geschwistern wird zum väterlichen Leidwesen immer wieder zum Konfliktthema in der gesamten Familie.

"Meine Tochter ist fast so gut in der Schule wie er [der Zwillingsbruder]. Sie leidet darunter, obwohl es letztendlich nur 0,3 Punkte sind, leidet sie darunter. Ihr Konflikt wird immer wieder angesprochen, ich kann ja auch nichts dafür, nicht? Ich äh, sie fasziniert mich, weil sie die Kämpferin ist. Was ihm zufällt, erkämpft sie sich." [Z.: 214 - 218]

Der jüngere Sohn U. habe es einerseits als "Einzelkind" schwerer, er sei auch nicht so gut in der Schule wie seine Geschwister, andererseits ergäben sich für ihn einige Vorteile aus seiner Geschwisterposition, der Jüngste zu sein. Herr A. erzählte aus seiner eigenen Erfahrung als jüngstes Kind in der Familie, dass jüngere Geschwister die Auseinandersetzungen der Älteren mit den Eltern nicht wiederholen müssten und trotzdem an deren Erfolgen teilhaben würden. Zudem würden er und seine Frau auch weniger Forderungen an U. stellen, weniger ehrgeizig sein als bei den Erstgeborenen, allerdings hätten sie auch das Gefühl, dass U. mehr elterlicher Unterstützung bedarf als seine Geschwister. Denn generell nehme der jüngere Sohn das Leben lockerer, was sicher aber auch mit der elterlichen Einstellung ihm gegenüber zusammenhänge.

"U. hat es natürlich schwerer. Er ist der Einzelgänger [...] Er ist auch auf dem Gymnasium, seine Noten sind nicht ganz so gut. Er ist, er nimmt das Leben lockerer. Das hat, glaube ich, auch mit uns zu tun, er darf das Leben lockerer nehmen." [Z.: 224 - 230]

2.2.6.2. Beziehungsebene

Herr A. schilderte, dass er manchmal den Eindruck habe, dass sich durch die intensive elterliche Zuwendung und faire Erziehung eine zu starke Bindung zwischen Kindern und Eltern gebildet habe. Momentan verhindere diese emotionale enge Beziehung einen aufbegehrenden Widerspruch seitens der Zwillinge, obwohl diese gerade in der Pubertät stecken und sich an den Eltern abarbeiten müssten. Daher antizipierte Herr A. Schwierigkeiten, welche sich bei der entwicklungsbedingten Auflösung des Familienverbandes ergeben werden, denn letztendlich verlassen erwachsene Kinder ihr Elternhaus. Die finanzielle Abhängigkeit in der Ausbildung werde vermutlich die familiale Ablösung noch weiter hinauszögern. Diesen Prozess werde die Familie als schmerzhaft erleben.

"Ich glaube, dass für die Kinder die schwerste Zeit noch kommt. Durch das intensive Betreutwerden durch uns, die ähm . die Harmonie, die es im Moment in der Familie gibt, werden die Kinder es schwer haben und wir werden es schwer haben, uns von ihnen zu lösen. Ich glaube, die schwierigste Zeit wird noch kommen mit Ende des Studiums, mit Ende des, ähm der Ausbildung im Gymnasium." [Z.: 267 - 273]

2.2.6.3. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

Für Herrn A. stellt sich der Umgang seiner Kinder mit seiner Behinderung als ein völlig natürlicher dar. Alle seine Kinder würden in etwa gleich mit seiner Beeinträchtigung umgehen. Teilweise sei es der jüngere Sohn U., welcher am ehesten notwendige anstehende Verrichtungen in Angriff nehme.

"U. ist ja mehr der so praktisch veranlagte [...] Er packt eher an, etwas, packt den Rollstuhl eher an, wenn er ausgeladen werden muss aus dem Auto. Er hat da so eine natürlich, ganz natürliche Herangehensweise." [Z.: 382 - 386]

Generell hätten sich alle Kinder bereits seit früher Kindheit auf die Möglichkeiten ihres Vaters eingestellt und stimmten ihr Verhalten darauf ab. Weiterhin erwähnte Herr A. Vereinbarungen zwischen Vater und Kindern für bestimmte Umstände. Früher zum Beispiel galt auf dem Spielplatz die Abmachung, dass die Kinder sofort kommen, wenn Herr A. sie herbeirufe, da er nur rufe, wenn es unbedingt notwendig sei und ja nicht zu ihnen kommen konnte. Die väterliche Behinderung erforderte auch stellenweise das kooperative Verhalten der Kinder, um Situationen zu bewältigen, was die Kinder auf einer gewissen Ebene begriffen hätten.

"Ich habe gesagt, ihr bleibt da stehen und sie sind auch stehen geblieben. Nicht weil sie das, weil ich sie bestraft hätte dafür, sondern weil sie in der Situation begriffen haben, dass sie jetzt da stehen bleiben müssen. Andere laufen weg und spielen in der Situation, sie haben begriffen, Papa kann uns nicht wieder fangen, ich bleibe da stehen." [Z.: 412 - 417]

2.2.6.4. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Herr A. berichtete, dass seine Kinder von Freunden und Bekannten auf das "Anders-Sein" ihres Vaters angesprochen würden.

"Sie sind natürlich auch in der Schule gefragt worden. Die finden das, natürlich sind die Freunde und Freundinnen finden das auch komisch, wenn sie so zu uns nach Hause kommen und ich bin Rollstuhlfahrer." [Z.: 374 - 377]

Herr A. betonte, dass sich seine Kinder nicht zu ihrer Lebenssituation entscheiden konnten. Es sei ihr Schicksal, Kinder eines Vaters mit Behinderung zu sein.

"Ja. Sie sind Kinder eines behinderten Vaters, sie leben in einem Behinderten-System." [Z.: 440 - 441]

Sie hätten sich jedoch auf manche Beeinträchtigung eingestellt und können sich in ihrem Kontext orientieren, da sie bereits früh in der Lage gewesen seien, die Perspektive eines Rollstuhlfahrers einzunehmen. Oft würden sich seine Kinder über die "Extra-Stellung" ihres Vaters beklagen. Herr A. begrüßte diese Reaktion, seine Kinder sollen sich zu dem Unrecht erschwerender Umstände für Menschen mit Behinderung äußern.

"Sie beklagen es und sollen es auch beklagen, dass ich immer extra Wege gehen muss. Gehen wir ins Theater zum Beispiel, gehen sie den Hauptgang, ich werde irgendwo durch die Katakomben geschoben. Sie müssen beim Zug, wenn wir Zug fahren, immer ein bestimmtes Zugabteil nehmen, so etwas." [Z.: 400 - 405]

2.2.6.5. Normalität im väterlichen Leben

Alle Kinder von Herrn A. würden mit der väterlichen Behinderung normal umgehen. Herr A. betonte seine eigene Bedeutung für den kindlichen Umgang mit seiner Behinderung. Die Kinder hätten seine persönliche Sichtweise auf die Beeinträchtigung übernommen. Über das Vorbild des Vaters, welcher seine Behinderung akzeptieren könne, würde es den Kindern möglich, die väterliche Behinderung nicht zu problematisieren.

"Die Kinder haben wenig Schwierigkeiten mit der Behinderung, weil ich wenig Schwierigkeiten mit der Behinderung habe. Ich habe sie angenommen, also können die Kinder sie auch annehmen, sie konnten sie annehmen. Ich stehe zu ihr, so stehen sie auch zu ihr." [Z.: 364 - 368]

2.2.6.6. Zukunft

Wie bereits oben beschrieben, vermutete Herr A., dass die momentane intensive Beziehung zwischen Eltern und Kindern sowohl den Kindern die Loslösung von den Eltern als auch den Eltern das Loslassen der Kinder schwermachen wird. Für die Zukunft wünscht er sich deshalb, dass es den Eltern möglich wird, die Kinder aus der Familie zu entlassen.

"Ich wünsche mir schon, das habe ich ja schon deutlich gemacht, dass es mir und meiner Frau möglich wird, sie auch gehen zu lassen." [Z.: 531 - 533]

2.2.7. Familienleben

2.2.7.1. Alltagsgestaltung

Im Alltag teilen sich die Ehepartner die verschiedenen Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Für seine Kinder ist Herr A. für den Computer, die Schulfächer Mathematik und Deutsch und gemeinsames Hören von Geschichten oder Sehen von Filmen und Gespräche darüber zuständig. Seine Frau hingegen übernehme zum Beispiel das Schulfach Englisch oder das Kochen. Seine Kinder wüssten um diese familienorganisatorischen Zuständigkeiten aus der praktischen Erfahrung und Anschauung Bescheid.

"Das fragen sie [die Kinder] auch an. Sie würden mit einem technischen Problem, meinetwegen die Tasche ist gerissen oder so etwas nicht zu mir kommen, weil sie wissen, wenn ich etwas repariere, ist es nachher richtig kaputt. Das haben sie gelernt, da gehen sie zu meiner Frau." [Z.: 522 - 526]

2.2.7.2. Familiensituation

Herr A. bewertete sein Pendlerdasein als keine gute Situation. Die Kinder würden unter der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters den größten Teil der Woche leiden und auch er empfindet die Trennung als unangenehm. Dennoch sei dieser Zustand für die nächste Zeit nicht zu ändern, da die Familie vom Einkommen des Vaters lebe. Und Herr A. versteht auch, dass seine Kinder auch nicht ihre gewohnte Umgebung aufgeben und ihren erworbenen Status in ihrer Gemeinschaft verlieren wollen. Eine kleine positive Hoffnung verbindet Herr A. mit der Pendlersituation, möglicherweise erleichtere diese den Kindern die Ablösung vom Vater.

"Ich meine, die Kinder leiden natürlich darunter, dass ich die Hälfte der Woche weg bin, das spüre ich schon ganz deutlich. Wenn ich dann komme, aber es ist einfach so. Und vielleicht ist es so für den Übergang auch ganz gut, dass ich nicht immer mit ihnen zusammen hocke. [...] Aber es ist, glaube ich, keine gute Situation, merke ich auch immer beim Abschied." [Z.: 565 - 571]

2.2.7.3. Umgang mit der väterlichen Behinderung

Bezüglich seiner Partnerschaft sieht Herr A. seine Frau freiwillig und bejahend in ihrer Familiensituation.

"Sie hat mich ja sogar ausgesucht. Sie hat sich ja freiwillig dafür entschieden und wie ich glaube, ganz gerne." [Z.: 537 - 538]

Herr A. vermutete, dass seine behinderungsbedingte Krisenerfahrenheit seiner Frau bei ihrem Kennenlernen imponiert habe und sie sich aus dieser gefestigten Persönlichkeit Sicherheit im Zusammenleben mit diesem Mann versprochen habe.

Generell, erzählte Herr A., werde in seiner Familie mit der väterlichen Behinderung humorvoll und ironisch umgegangen.

"Wir machen unsere Witze darüber, Uraltwitze, die immer wieder sich wiederholen, wenn ich sage, ich gehe dahin, das ist einer von den harmlosen." [Z.: 387 - 389]

2.2.8. Kommunikative Validierung

Herr A. teilte mir per e-mail mit, dass er die gesamte Darstellung des Interviews angemessen finde und keine Verbesserungsvorschläge habe.

2.3. Interview mit Herrn O.

2.3.1. Vorbemerkung

Herr O. meldete sich auf meine Anfrage an den Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern und wir vereinbarten einen Gesprächstermin in seiner Wohnung in einer Stadt in Norddeutschland, wenn er von seinem Kuraufenthalt zurück sei. Herr O. und seine Frau begrüßten mich freundschaftlich, auch den Sohn lernte ich kurz kennen, danach blieben Herr O. und ich im Wohnzimmer, während seine Frau und sein Sohn zum Spielen ins Kinderzimmer gingen. Das Interview verlief sehr entspannt, Herr O. schuf eine angenehme Atmosphäre und berichtete konzentriert über seine Vaterschaft. Auch als sein Sohn kurz das Zimmer betrat, um ein Spiel zu holen, störte dies Herrn O. nicht in seiner Erzählung, obwohl wir gerade über seine Beziehung zum Kind sprachen.

2.3.2. Biographischer Hintergrund

Herr O., 36 Jahre, lebt mit seiner ein Jahr jüngeren Frau und dem gemeinsamen achtjährigen Sohn I. in einem Mietshaus in einer norddeutschen Stadt, die er selbst als wenig behindertengerecht beschrieb. Nach dem Abitur begann Herr O. Behindertenpädagogik zu studieren, brach dieses Studium jedoch vorzeitig ab und ist seitdem zu Hause. 1991 wurde bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert. Seine Frau, welche ebenfalls Behindertenpädagogik studiert hat, gibt abends Kurse in der Tagesmütterausbildung.

2.3.3. Vaterschaft

2.3.3.1. Vater-Werden

Für Herrn O. stellt sein Sohn seinen Lebensmittelpunkt dar. Das Kind war bewusst geplant und wird von ihm selbst als das veräußerte Zeichen seiner Lebensplanung gesehen. Sein Sohn signalisierte seine Hinwendung zum Familienleben und einen Abschied vom beruflichen Werdegang.

"Also das war dann auch, so was wie man so zu sagen, der Schritt, oder ja, ein Schritt in Richtung Familie oder Privatleben mehr geplant und eben nicht Studium, Beruf oder was. Sondern war dann irgendwann die Überlegung da, werde ich eh nix, nix Großes drin, das ist nicht wirklich das, was für mich an Ziel oder, oder Interesse meines Lebens ist. Und da hab ich dann, ein deutliches Zeichen dafür, dass ich mich mehr auf diese private Geschichte, auf meine Familie verlegt habe." [Z.: 63 - 70]

Herrn O. konnte sich an einen entscheidenden Augenblick erinnern, in welchem ihm seine Vaterschaft bewusst wurde.

"Ähm, . also, dass . mit erste woran ich mich entsinnen kann, [...] Er ist dienstags abends geboren und mittwochs morgens oder donnerstags morgens, ich glaub donnerstags morgens lag ich ähm, dann, meine Frau war unterwegs, mit ihm auf dem Bett und habe gekuschelt und kann mich da sehr gut dran entsinnen, wie ich mich da, es war richtig augenfällig, wie ich mich richtig in dieses Kind verknallt habe." [Z.: 10 - 18]

Die erste Zeit mit dem Säugling genoss Herr O. sehr. Dass es sowohl ihm als auch seiner Frau möglich ist, gemeinsam zu Hause zu bleiben und das Baby zu versorgen, beschreibt er als Luxus.

" ... ich hatte . durch den Umstand des Studiums und dass ich meine Zeit relativ frei einteilen konnte, den ungeheuren Luxus, dass ich sehr, sehr viel Zeit mit ihm verbringen konnte." [Z.: 8 - 10]

Da der gesamte Alltag gern an die Bedürfnisse des Kindes angepasst wurde, empfand Herr O. die Umstellung auf ein Leben mit Kind als unproblematisch und sah sich mit keinen Herausforderungen konfrontiert. Bei Problemen konnte er auf die Unterstützung seiner Frau zurückgreifen, welche bereits zu diesem Zeitpunkt viele Aufgaben übernimmt.

2.3.3.2. Versorgung und Betreuung

Hinzu kommt, dass Herr O. sich bereits während der Schwangerschaft seiner Frau auf ein Leben mit Kind einstellte. Er zitiert hierbei einen befreundeten Vater, welcher ihm vorab berichtet:

"Ja, das hätte ihm auch keiner gesagt, wie anstrengend so ein Kind sei, dass das zehn Mal anstrengender sei als man sich das je denken würde, aber auf der anderen Seite hätte ihm auch nie jemand gesagt, dass das hundert Mal schöner sei als man sich das denken könnte." [Z.: 105 - 109]

Gemeinsame Aktivitäten von Herrn O. und seinem Sohn fänden hauptsächlich in der eigenen Wohnung statt. Dabei handele es sich um ruhige Tätigkeiten im Sitzen, wie Vorlesen, Musik hören oder Gesellschaftsspiele spielen. Des Weiteren ist es Herrn O. wichtig, seinen Sohn abends ins Bett zu bringen, eine Aufgabe, die er bereits seit dem Babyalter des Kindes übernommen hat und auch während des Kuraufenthaltes weiterführte.

"Und dass dieses Zu-Bett-Gehen-Ritual meins ist, also ich hatte jetzt, als ich da im Sauerland zur Kur war, Bücher mit und wir haben jeden Abend telefoniert und ich habe ihn per Telefon ins Bett gebracht. Und das ist, ähm schon so seit er ein halbes, dreiviertel Jahr alt ist, war, irgendwie so was." [Z.: 181 - 185]

Außerhalb der Wohnung bewertete Herr O. seine Spielmöglichkeiten mit seinem Sohn als sehr beschränkt. Teilweise holte er seinen Sohn, als dieser jünger war, von der Schule ab. Die positive Bewertung seines Rollstuhls durch die Klassenkameraden des Kindes spiegelten ihm die Möglichkeiten, die er als Vater hat.

"Und . meine, ich erzählte das meiner Mutter am Telefon mal und sie sagte zu mir, ähm, . ,So wäre das halt, manche Väter würden halt eben mit ihren Söhnen Fußball spielen gehen, das könnte ich nun nicht. Die könnten dafür nicht mit ihrem Sohn auf dem E-Rolli durch die Gegend flitzen.'" [Z.: 217 - 221]

2.3.3.3. Vaterbilder

Der ideale Vater soll nach Herrn O. aufmerksam, liebevoll und geduldig sein. Generell lehnte er jedoch für sich persönlich normative Erwartungen der Gesellschaft ab.

"Puh. .. Also, erstmal, muss ich da sehr überlegen, weil das, . eher nix ist, wo ich mir je den Kopf drum gemacht hätte, was, was irgendjemand da erwarten würde von mir, also das ist kein Anspruch, den ich an mich selbst übernehmen würde." [Z.: 122 - 125]

Meine Nachfrage, ob weiterhin in der Gesellschaft die Anforderung an einen Vater, seine Familie finanziell abzusichern, bestehe, wird bejaht, doch persönlich leicht ratlos abgewiesen.

" ... in dieses Kriterium Familie ernähren und so, da falle ich ja bei so was dermaßen von hundertprozentig hinten runter, müsste ich auswandern." [Z.: 141 - 144]

Sich selbst sieht Herr O. als anwesenden und zuwendenden Vater. Seine Aufgaben beschreibt er als:

"An dem Leben meines Sohnes teilhaben, ähm, .. ihn, ihn . unterstützen wo ich kann und ihm meine Liebe geben." [Z.: 139 - 141]

Teilweise erfuhr Herr O. jedoch eine persönliche Beschränkung in der Ausübung seiner Vaterschaft durch seine Behinderung.

"Es ist so, dass ich auch in meiner eigenen Wahrnehmung das Gefühl habe, dass ähm, mir an, an vielen, also dass ist meine Wahrnehmung, [...], Wertung die Kraft und Energie fehlt, ähm für, dafür mehr mit meinem Sohn zu unternehmen. Ähm, . ja, geduldiger zu sein, weiß ich. Also da, denke ich, ähm . ja, da fehlt mir bei manchem, bei manchem die Kraft." [Z.: 150 - 155]

2.3.3.4. Elternbeziehung

In der Ausübung seiner Vaterschaft bemerkt Herr O. einen Unterschied zu seiner Frau. Während er sich auf eine Situation in Ruhe einlassen und sich nur auf diese konzentrieren könne, denke seine Frau über den jeweiligen Zustand hinaus an weitere zu erledigende Dinge.

" ... ich da die Ruhe weg habe und meine Frau, ähm der fallen zwölftausend Sachen dann ein, die sie noch erledigen muss und ich konnte abends eine dreiviertel Stunde bei ihm sitzen und hab das sehr genossen." [Z.: 186 - 189]

2.3.3.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Teilweise erlebe Herr O. die Problematisierung der Familienumstände auf der Straße. Aber auch bei Bekannten passierte es, dass bezweifelt wurde, dass er seiner Vaterrolle gerecht werden könne und ob dies nicht negative Konsequenzen für seinen Sohn zur Folge hätte. Einer solchen Frage begegnete Herr O. mit dem Verweis auf die Relativität von Normalität.

"Als er .. so vier war oder so was, fünf, waren wir bei so entfernten Bekannten und ähm, eine Frau fragte dann auch, die hat halt auch einen Sohn, ,Wie ist es denn für I., was sagt er denn dazu, dass du nicht so laufen kannst', worauf ich sie an geguckt habe und sie gefragt habe, . ,Was sagt dein Sohn dazu, dass du nicht aus dem Stand ein Meter springst?' ,Ja, wie, was soll er dazu sagen, kann ich halt eben nicht.' ,Ja, eben, was soll I. dazu sagen, laufen kann ich halt nicht.'" [Z.: 373 - 380]

2.3.4. Erziehung

2.3.4.1. Erziehungserleben

Als Herausforderung beim Zusammenleben mit seinem Kind erlebe Herr O. seinen Mangel an Geduld. Oftmals würden ihm Stärke und Ausdauer für gemeinsame Unternehmungen mit seinem Sohn fehlen.

"Also, vorhin habe ich ihm zum Beispiel gerade was vorgelesen, Wir hören ganz ab und zu mal zusammen Musik oder schauen zusammen was im Fernsehen oder so, aber da, also richtig, ganz ab und zu spielen wir was, aber das sind halt die Dinge, wo mir die Energie und Kraft zu fehlt." [Z.: 195 - 200]

In konflikthaften Momenten mündet die sture Haltung von Vater und Sohn häufig in einen Machtkampf, was laut Herrn O. vermeidbar wäre, wenn es gelänge, in solchen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren.

"Denk ich halt gerade, im Moment ist es so, ähm, . das ist wieder dieses Problem Geduld oder was, zwei Sturköpfe prallen aufeinander. Das schaffen I. und ich ganz hervorragend. Ähm, und .. zum Teil . oder der, der dann in dem Moment am längeren Hebel sitzt, äh, äh, setzt sich durch, lässt den anderen irgendwie auflaufen, ähm, das ist bei uns beiden im Moment häufiger so, dass, ja entweder ich raus roller oder er -Pah -, und raus geht. Wobei wir uns dann zum Glück relativ, relativ zügig wieder vertragen und äh, Frieden schließen." [Z.: 228 - 235]

2.3.5. Väterliches Handicap

2.3.5.1. Persönliche Einstellung

Die Behinderung von Herrn O. bringt einen schrittweisen Kräfteabbau mit sich und erfordert eine immer neue Anpassung an die veränderte Situation. Herr O. ist froh, bis jetzt die Veränderungen gut ins Selbstbild integriert haben zu können. Medikamentation um jeden Preis lehnt er ab, da er seine Behinderung als Teil seines Selbst versteht und damit etwas gegen sich tun würde.

"Also, also, ein Unterschied zu, zu vielen Leuten, die mir da begegnet sind [in der Kurklinik], ist, dass die MS nicht zu meinem Lebensmittelpunkt wurde bisher, ähm, und das andere ist, dass ich das, den Umstand, dass ich MS habe, überhaupt gar nicht als was schreckliches empfinde. Also es ist nichts, worunter ich auch nur annähernd leiden würde." [Z.: 324 - 329]

Sein Umgang mit der Beeinträchtigung reicht von humorvollen Anspielungen auf seinen Kräfteverlust bis hin zu der Aussage, dass er das, Anormale' repräsentiere.

"Also, so, ja solange I. das nicht mithört, sag ich im Scherz, also meine Gehfähigkeit hat in dem Masse abgenommen wie seine zugenommen hat." [Z.: 41 - 43]

2.3.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Herr O. beschrieb die Reaktionen seiner Umwelt von neugierig bis ablehnend, teilweise würden seine Familienumstände problematisiert, indem in Äußerungen signalisiert werde, dass diese Familie nicht in die gängigen Vorstellungen von Familie passe.

" ... Eine Situation, die mir einfällt, da war . , ähm, I. ein knappes halbes Jahr alt, ähm, da war es dann so, wir waren im Rollstuhl irgendwie unterwegs, hatte ich den auf dem Arm, auf dem Schoß, ähm und meine Frau hat uns durch die Gegend geschoben sozusagen, wir waren auf dem Weg nach Hause. Und es kam ein älteres Paar, vermute ich, also ein Mann und eine Frau kamen an uns vorbei. Und ich hörte so, wie die ähm, vielleicht fünfzig Meter, dreißig Meter hinter uns, wie sie zu ihm so sagte, das war wohl eine Familie." [Z.: 272 - 279]

Einerseits äußerte Herr O. Ärger über sich selbst, auf abfällige Bemerkungen nicht immer eine passende Erwiderung zu haben. Andererseits betonte Herr O. seine Unabhängigkeit von der öffentlichen Meinung.

"Ähm, ich hab das, das ist bis heute so, nie wirklich wahrgenommen, aber das liegt, ganz sicher eher an meiner Ignoranz. Also das hat mich nie interessiert, also ich habe das nie mitgekriegt." [Z.: 288 - 290]

Herr O. erwähnte, dass seine Frau einmal äußerte, dass sie die Reaktionen anderer Leute auf ihre Situation belasten würden. Seine eigene eingeschränkte Wahrnehmung von Reaktionen seiner Umwelt begründete Herr O. mit seiner persönlichen Fokussierung auf seinen Sohn.

"Ähm, und wenn ich meinen Sohn dann auf dem Arm hatte, habe ich sowieso nichts mitgekriegt, da war ich immer nur ganz verzückt mit ihm beschäftigt, da habe ich, da hätte ich auch nix mit einer positiven Reaktion oder sonst was mitgekriegt. .. Ja, und sonst, also ich nehme da wie gesagt sehr wenig wahr, auch jetzt." [Z.: 294 - 299]

2.3.6. Beziehung zum Kind

2.3.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Herr O. genießt sein Zusammensein, vor allem auch die Momente des alleinigen Beisammenseins mit seinem Sohn sehr. Die Vater-Sohn-Beziehung beschrieb er als eng, intensiv, liebevoll und wechselseitig. Die Bewunderung seines Sohnes und dessen uneingeschränkte Liebe vermittelten dem Vater eine kostbare Wertschätzung aufgrund seiner eigenen Persönlichkeit. Gleichzeitig stehe der Sohn im Zentrum der väterlichen Aufmerksamkeit.

" ... Ähm, sehr nah. Ich, . also ich krieg häufiger mit, das empfinde ich als was unglaublich wertvolles, also da bin ich für ihn der Größte. Also was ich da von diesem Kind an, an Vorschuss, und, und ja vorbehaltlos an Liebe krieg, das ist, oh, Wahnsinn. Ähm, und umgekehrt ist es denke ich, ist es genauso, also, dass ich ihn fürchterlich liebe und er natürlich, also natürlich für mich der Mittelpunkt meines Lebens ist. Also, der steht da. so ziemlich . uneingeschränkt im Mittelpunkt." [Z.: 164 - 171]

2.3.6.2. Beziehungsebene

Der väterliche Rollstuhl stelle für Vater und Sohn eine ganz eigene Ebene des Zusammenseins und des gemeinsamen Spielens dar. Zum einen bewerte der Sohn den Rollstuhl als ein tolles und begeisterndes Spielzeug, wobei Herr O. scherzhaft seine Zweitrangigkeit in diesem Spiel äußerte, da er das begehrte Fahrzeug blockiere.

"Draußen auf dem Flur steht ein E-Fix und wenn, I. fährt da ständig auf meinem Schoß und dann darf ich an dem E-Fix aber nichts anfassen, dann fährt er. Und äh, als ich den E-Fix, ne, ist nicht wahr, als ich diesen Rollstuhl gekriegt habe, war I. schrill begeistert, weil endlich war der andere Rollstuhl, damals noch mit den aktiven Rädern, also endlich gab es mal einen leeren Rolli hier in der Bude. Und er konnte damit rumflitzen, weil vorher, war ungünstig, Rolli fahren war zwar vielleicht ein lustiges Spielzeug, aber den Rollstuhl, das saß immer sein Alter drin." [Z.: 47 - 55]

Zum anderen erhalte der Sohn manchmal durch den Rollstuhl eine herausgehobene Position unter seinen Altersgenossen. In diesem Fall bewirke dieses Symbol einer Behinderung Anerkennung und Neid bei den Peers und ermögliche Herrn O. eine positive Bewertung seiner Fähigkeit als Vater.

"Was . ja zwischendurch witzig war, also ich kann mich an einmal erinnern, wo ich ihn auf dem Schulhof abgeholt habe und er sich auf, oder vor der Klasse, er sich auf dem Schulhof auf meinen Schoß gesetzt hat und losgefahren wollte und da kurzfristig der Held des Schulhofes war, weil ‚0h, so was soll mein Papa sich auch kaufen.' Also das fanden dann seine Mitschüler und Mitschülerinnen ein irre tolles Spielzeug, ‚Du kannst damit fahren, oh'." [Z.: 210 - 217]

2.3.6.3. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Herr O. machte deutlich, dass sein Sohn als das Kind, welches in diese Familie hinein geboren wurde, keine Freiwilligkeit gegenüber seiner Situation besitze.

"Ähm, . I. konnte sich das nicht aussuchen, ob er, ähm, ähm einen MS-kranken oder behinderten Vater hat oder nicht." [Z.: 432 - 433]

2.3.6.4. Kindliche Assistenz

Generell ist für Herrn O. kindliche Assistenz inakzeptabel. Hilfestellungen seitens des Sohnes seien nur in gewissem Rahmen zulässig, wenn die Hilfe kurzfristig und freiwillig erfolge und dem Kind Spaß mache. Darüber hinaus lege sich Herr O. eine Selbstbeschränkung auf.

"Ähm, und ich . habe eigentlich den Anspruch, ähm, dass er nicht als irgendwie die kleine Hilfsperson da . einbezogen wird." [Z.: 433 - 435]

Für Herrn O. ist es normal, dass jedes Elternteil gewisse Dinge kann und andere nicht. Kinder würden im Alltag ihre Handlungsmöglichkeiten über die Orientierung an den Fähigkeiten ihrer Eltern lernen. Durch seine besondere Situation ist es Herrn O. jedoch wichtig, auch die Handlungsgrenzen für seinen Sohn bezüglich seiner Behinderung abzustecken.

"Ähm, und, ja dieses mir fällt was runter, er flitzt und hebt es mir auf, ist für mich, ähm, ja schon sehr an der Grenze." [Z.: 445 - 447]

Weiterhin betonte Herr O. den Status seines Sohnes als Kind und sein Recht auf Kindheit.

" ... ja, darüber hinaus will ich halt, soll er, er ist ein Kind und nicht eine Hilfsperson." [Z.: 452 - 453]

2.3.6.5. Normalität im väterlichen Leben

Inwieweit der Sohn das Außergewöhnliche, von anderen Familien sich Unterscheidende in seiner eigenen Familiennormalität wahrnehme, konnte Herr O. nicht einschätzen. Er vermutete, dass sein Sohn die väterliche Behinderung und deren Auswirkungen auf den Alltag als gegeben hinnehme und es kein Thema sei, welches ihn weiter beschäftigen würde.

"Ähm, .. ich weiß nicht, ob, ob, ihm dieses außergewöhnliche oder, oder in Anführungszeichen ,Anormale', das ich repräsentiere, ob ihm das als solches bewusst ist. .. Ob ihm das auffällt, dass ich da .mich von, von manchen anderen Vätern unterscheide." [Z.: 387 - 391]

2.3.6.6. Zukunft

Für die Zukunft wünschte sich Herr O., dass der momentane positiv bewertete Zustand möglichst lange erhalten bleibe.

"Ähm, das unsere Beziehung möglichst lang, möglichst nah bleibt. Ähm, ..., dass ich auch weiterhin . eine wichtige Person in seinem Umfeld bleibe. .. Ja, dass, dass ich . weiter . seine, seine Liebe genießen kann." [Z.: 408 - 411]

Da Herr O. eine Verschlechterung oder sogar Negierung der Vater-Sohn-Beziehung seitens des Sohnes von dem Moment an befürchtet, wenn seinem Sohn die väterliche Behinderung und die damit einhergehende gesellschaftliche Bewertung bewusst werde, wünscht er sich, diesen Augenblick so weit wie möglich in die Zukunft zu verlagern.

" ... also ich habe vor einer Weile mal gesagt, dass ich davon ausgehe, dass, ja, dass ähm, dass ich ihm irgendwann mal peinlich bin, das ist vielleicht der falsche Begriff, aber, dass er mich . so gegenüber irgendwelchen Freundinnen, Freunden bestimmt irgendwann nicht dringend als erstes aufs Tablett packt und, und ähm, . mich dann, mich nicht unbedingt gleich als erstes . irgendwie vorzeigt, erklärt werde, was ich bin. Ich hoffe, dass das, solche Situation, . noch möglichst lange hinausgezögert sind." [Z.: 412 - 419]

2.3.7. Familienleben

2.3.7.1 Alltagsgestaltung

Aufgrund der zunehmenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Herrn O. kann er die familialen Aufgaben, welche er früher übernommen hatte, nicht mehr leisten. Die Organisation des Familienalltages ist damit zur alleinigen Aufgabe seiner Frau geworden.

"Den Alltag gewährleistet meine Frau zu nahezu hundert Prozent. Weil ich kaum noch . so den alltäglichen Krams mit erledigen kann." [Z.: 255 - 257]

Auch bezüglich der Versorgung und Betreuung des gemeinsamen Sohnes bemerkte Herr O. einen wachsenden Mangel an Kraft und Energie, welche viele gemeinsame spielerische Aktivitäten nicht mehr ermögliche. Die Veränderungen seiner fortschreitenden Behinderung beträfen die gesamte Familie.

" ... Veränderungen, die die MS dann bringt, weil das ja auch nicht so statisch ist, sondern halt auch diese Behinderung immer wieder anders aussieht und für mich anderes bedeutet, ähm oder auch nicht nur für mich." [Z.: 316 - 319]

2.3.7.2. Familiensituation

In der momentanen Lebenssituation hätten sich sämtliche Erwartungen von Herrn O. an sein Familienleben erfüllt.

" ... denn ich bin, so wie mein Leben ist, eigentlich sehr glücklich. Also, ich habe . das, was ich mir von meinem Leben gewünscht habe früher, sozusagen, habe ich jetzt mehr oder weniger. Ich lebe mit der Frau, die ich liebe, zusammen, ich habe einen tollen Sohn, da bin ich ziemlich glücklich mit, also ich wüsste nicht, mit wem ich tauschen wollte." [Z.: 337 - 342]

2.3.7.3. Umgang mit der väterlichen Behinderung

Bezüglich seiner Frau äußerte Herr O., dass sie sich freiwillig in diese Familiensituation begeben habe und sie sich darüber im Klaren gewesen sei, welche Mithilfe und Unterstützungsleistungen damit auf sie zu kämen. Er sei stolz auf sie und ihre Fähigkeit, die sich ergebenden Einschränkungen im Alltag gut mit zu tragen.

"Ähm, . also meine Frau wusste bevor sie sich auf eine Beziehung mit mir eingelassen hat, dass ich MS habe, was das bedeuten kann. Das wusste sie zu dem Zeitpunkt, weil sie als Schülerin eine MS-kranke Frau gepflegt hat, um sich Geld zu verdienen, deutlich besser als ich oder hatte da mehr Erfahrung als ich." [Z.: 427 - 431]

Weiterhin bewirke dieses Familienleben wechselseitigen Einfluss auf die Ehepartner hinsichtlich einer gewissen Einstellung zum Leben mit einer Behinderung. Zwar habe Herr O. die Gesinnung seiner Frau nicht bewirkt, dennoch sei ihre Einstellung kein Zufall, da sie ihn sonst nicht zu ihrem Mann genommen hätte. Erst ihre Haltung habe die gemeinsame Beziehung ermöglicht.

" ... dass, oder nein hängt damit zusammen, dass also, .. ich, ich, .. ich habe sie in keiner Weise verändert oder was oder zu ihrer Haltung gebracht, aber der Umstand, dass meine Frau eine solche Haltung hat, ist kein Zufall, sonst wäre sie nicht meine Frau geworden und sonst hätte sie nicht beschlossen, dass sie mit mir zusammen kommt, einem Dummen wie mir, eine Beziehung führen will." [Z.: 356 - 362]

Generell würden die väterliche Behinderung und die damit einhergehenden Familienumstände nicht problematisiert. Diese Einstellung vermittelten die Eltern dem Sohn, wobei auch der Begriff der Behinderung in der Familie unüblich sei.

"Nee, ich glaube das Wort ist . für ihn recht unüblich, wobei das Wort ,behindert' oder von ,Behinderung' sprechen wir zu Hause, also das ist einfach bei uns ein sehr unüblicher Begriff." [Z.: 385 - 387]

2.3.8. Kommunikative Validierung

Nachdem Herr O. diese Darstellungen seiner Aussagen gelesen hatte, merkte er zum letzten Punkt an, dass seine Behinderung kaum in der Familie thematisiert werde, da sie im Alltag weniger zum Tragen komme und nicht weil darüber nicht geredet werden dürfe.

"Es wirkt etwas so, als würden wir ,einen Bogen' um meine Einschränkungen machen - meine Behinderung ist in keiner Weise ein Tabuthema, sondern meist einfach nicht von Interesse." (Korrektur Herr O., Z.: 21 - 23)

2.4. Interview mit Herrn L.

2.4.1. Vorbemerkung

Der Kontakt zu Herrn L. kam ebenfalls durch den Bekannten einer Dozentin eines Seminars zustande. Telefonisch vereinbarten wir einen Gesprächstermin in seiner Wohnung. Nach einigem Suchen kam ich etwas verspätet zum Termin. Herr L. war gerade dabei die Waschmaschine anzustellen und wollte danach die Wohnung putzen, wobei er Unterstützung von seiner Haushaltshilfe erhielt. Während unseres Gespräches erledigte diese weiter den Hausputz, was das Interview im ruhigen Essbereich der Wohnung jedoch nicht beeinträchtigte. Herr L. machte auf mich einen ruhelosen, aber freundlichen Eindruck, er sprach sehr schnell, mit viel Enthusiasmus und fragte oft nach, in welche Richtungen meine Fragen zielten. Da ich in den ersten Minuten teilweise eine widerständige und abwehrende Haltung von Herrn L. auf meine Fragen beobachtete, unterbrach ich das Interview, um klarzustellen, dass ich weder an seiner Kompetenz als Vater zweifelte noch beabsichtigte, hauptsächlich die möglichen Probleme von Vätern mit Behinderung bei der Betreuung ihrer Kinder herauszustellen. Mein Anliegen sei mein wissenschaftliches Interesse an seiner subjektiven Sicht auf sein Leben als Vater mit Behinderung. Der folgende Teil des Interviews verläuft daraufhin gemäßigter, zum Schluss können wir beide sogar über die Anfangsschwierigkeiten offen reden.

2.4.2. Biographischer Hintergrund

Herr L., 42 Jahre, ist allein erziehender, lediger Vater seiner elfjährigen Tochter N., welche einen Teil der Woche bei ihm verbringt und den anderen Teil bei ihrer Mutter und den Stiefgeschwistern. Herr L. wohnt in einer Dachgeschosswohnung eines mehrstöckigen Mietshauses im Zentrum einer mitteldeutschen Großstadt. Nach seinem Abitur studierte er an einer Fachhochschule Sozialpädagogik und arbeitet mit dieser Qualifikation bei einem deutschlandweiten Selbsthilfeverein. Aufgrund einer Conterganschädigung während der Schwangerschaft hat Herr L. verkürzte Arme.

2.4.3. Vaterschaft

2.4.3.1. Vater-Werden

Herr L. hatte sich zwar Kinder in seinem Leben gewünscht, jedoch kam die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin für ihn überraschend und ungeplant. Zum Erstaunen der werdenden Kindsmutter war er glücklich über die anstehende Vaterschaft.

Die Geburt hingegen erlebte Herr L. als eine sehr belastende Situation, da ihm sein Kind aufgrund seiner Behinderung vorenthalten wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Herr L. selbst noch unsicher über seine väterlichen Kompetenzen beziehungsweise konnte gegen seine Bevormundung noch nicht klar einschreiten, was seine Souveränität dem bestimmenden medizinischen Personal gegenüber schwächte.

"Und ich wollte dann das Kind, also her haben und diese Hebamme hat mir das Kind, hat mir N. nicht gegeben und äh, weil sie nicht wusste, wie sie es mir geben sollte und da hat mich natürlich. Ich war damals natürlich auch noch nicht so, ich hätte zwar gewusst, wie ich sie nehme, aber äh . das war für mich doch schon ein sehr einschneidendes Erlebnis. Ja, ich konnte mich damals auch nicht irgendwie artikulieren und sagen, ey komm, leg N. mal da hin, ich nehm sie mir dann selbst oder so. Das war für mich wie so ein Schlag gegen die Wand." [Z.: 21 - 30]

Die erste gemeinsame Zeit beschreibt Herr L. als schön und angenehm. Seine Freundin und er teilten sich die Pflege und Betreuung des Kindes.

"Ansonsten die erste Zeit, ähm . war dann ganz angenehm." [Z.: 30 - 31]

Herr L. wohnte bereits seit drei Jahren mit der Mutter des gemeinsamen Kindes und deren Sohn aus einer vorherigen Beziehung zusammen. Eigentlich war Herr L. wegen des kulturellen Angebotes in die Großstadt gezogen, doch das gemeinsame Leben mit seiner Freundin und ihrem Sohn verschob seine Aktivitäten bereits in den häuslichen Bereich. Durch diese häusliche Situation, erzählte Herr L., hatte er bereits Erfahrung im Zusammenleben mit einem Kind und sich bereits an das "Kinderleben" gewöhnt. Neu hingegen war der Umstand der eigenen Vaterschaft, eine Situation, die sich grundsätzlich vom Zusammenleben mit einem nicht eigenen Kind unterscheidet.

"Also, und drei Jahre mehr oder weniger, bis dann N. kam, also von der Warte her war die Situation mit Kind jetzt nicht ganz neu, sondern die Situation der eigenen Tochter. Und ja, das war natürlich noch mal was ganz anderes als äh, jetzt der Sohn meiner Freundin." [Z.: 82 - 85]

2.4.3.2. Versorgung und Betreuung

Herr L. besaß zum Zeitpunkt der Geburt seiner Tochter bereits Erfahrungen im Zusammenleben mit einem Kind durch den Sohn der Lebensgefährtin. Für die Versorgung und Betreuung des eigenen Kindes bereitete er sich außerdem auf einer theoretischen Ebene vor und besuchte bekannte Eltern mit der gleichen Behinderung, um sich an deren Umgang mit einem Kleinkind zu orientieren.

"Ähm, ich hab mir davor ein bisschen, ähm also ich hab mich davor theoretisch angelegt mit der Sache auseinander gesetzt, war vorher bei Freunden und hab geguckt, ob das mit Windeln geht und wie die das machen, auch Contergan-Leute." [Z.: 88 - 92]

Jegliche Vorbereitung ermögliche nach Herrn L. nur einen geringen Zugang zur tatsächlichen Praxis mit dem Kind. Erst im eigenen Tun erwerbe man das entsprechende Wissen. um sein Kind adäquat versorgen zu können.

"Im Nachhinein hab ich zwar ein Prozent Einblick gehabt, aber ich weiß seit damals schon wesentlich mehr, also. Ja, ich musste mich da halt reinfuchsen." [Z.: 92 - 95]

2.4.3.3. Vaterbilder

Nach Herrn L.s Meinung ist eine traditionelle familiale Rollenverteilung weiterhin in der Gesellschaft gültig, von welcher er sich jedoch persönlich distanziert. Demnach gelte der Vater als der Ernährer der Familie, während die Mutter zu Hause bleibe und sich um Haushalt und Kind kümmere. In seinem Bekanntenkreis erlebe Herr L. die Umsetzung dieses traditionellen Rollenbildes. Gegenüber ihren Kindern würden Väter überwiegend zu Wochenend-Papas, welche meist nur am Wochenende etwas Zeit gemeinsam mit den Kindern verbringen könnten.

"Also traditionell betrachtet, ist ja, das Geld rein bringen, ähm . am Abend, ich mein darüber kann ich wenig sagen, das sind meine Vorstellungen darüber, am Abend ‚Guten Abend' sagen, wenn das Kind nicht schon im Bett liegt. Also letztendlich beschränkt sich das bei Vätern, die viel arbeiten, auf das Wochenende und da sind sie natürlich auch noch angespannt, weil sie noch viele andere Dinge machen müssen." [Z.: 140 - 146]

Das persönliche Idealbild eines guten Vaters bezeichnete Herr L. als den "nicht-traditionellen" Vater. Dieser Vater sorge für sein Kind, dass heißt er könne alles Notwendige, was im Alltag mit einem Kind gefordert ist, erledigen, denn Väter seien prinzipiell genauso befähigt, die Versorgung und Betreuung eines Kindes zu übernehmen wie Mütter. Durch dieses Bewusstsein für die eigene Verantwortung würden sich "nicht-traditionelle" Väter auch mehr um ihre Kinder kümmern als traditionelle Väter. Besonders sei ihm dies in der Säuglingszeit von N. deutlich geworden.

"Das ist auch wieder die Schwierigkeit des nicht-traditionellen Vaters [dass Mütter traditionell dem Kinde näher sind], der sich um sein Kind kümmert. Der kümmert sich natürlich mehr" [Z.: 252 - 254]

Er bewertete seine Unternehmungen mit N. als gut gelingend und ist stolz, auch persönlich schwierige Situationen bereits allein bewältigt zu haben.

"Ich hab sie gemeistert, dass war dann auch ein Erfolg für mich, dass ich da durchgekommen bin." [Z.: 715 - 717]

2.4.3.4. Elternbeziehung

Die Beziehung zur Mutter seiner Tochter bezeichnete Herr L. als eine gute Elternbeziehung. Die Eltern teilen sich die elterlichen Verpflichtungen sowohl in der Woche, N. lebt einen Teil der Woche bei ihrem Vater und den anderen bei ihrer Mutter und den Stiefgeschwistern, als auch in Urlaubszeiten. Es bestehe eine gewisse Einigkeit, wenn gemeinsame Erziehungsentscheidungen getroffen werden müssten. Generell jedoch handele jedes Elternteil nach seinen Erziehungsvorstellungen, ohne dass sich einer beim anderen einmische.

" ... aber mehr oder weniger macht jeder so sein Ding. Ich hab einen guten Kontakt zur Mutter, also äh, .. aber letztendlich haben wir uns irgendwann darauf geeinigt, dass jeder seine Dinge so durchzieht, wie er sie will. Weil einige Sachen macht sie anders, die ich nicht gern möchte. Andere Sachen mach ich anders, die sie nicht so gern möchte. Und äh . ja, da haben wir uns mehr oder weniger so, da reden wir uns auch mehr oder weniger nicht rein." [Z.: 632 - 639]

Herr L. merkte allerdings an, dass in einigen Bereichen, wie zum Beispiel Schulaufgaben, in Zukunft mehr Absprachen nötig seien.

Die Selbstsicherheit Herrn L.s gegenüber seiner einstigen Lebensgefährtin bezüglich der Erziehung seiner Tochter ist das Resultat eines Emanzipationsprozesses von der in der Versorgung der gemeinsamen Tochter als dominant erlebten Kindesmutter. Im Kleinstkindalter spürte Herr L. trotz seiner Beteiligung bei der Versorgung und Betreuung des Kindes eine emotionale Distanz zum Baby, da die Ansichten seiner Lebensgefährtin die Art und Weise der Kindespflege beherrscht hätten.

"Das lag dann an den negativen Sachen, also wenn ich gemerkt habe, die Mutter ist da schneller oder macht Dinge anders." [Z.: 264 - 266]

Beide Elternteile gingen unterschiedlich mit dem Kind um. Für Herrn L. ist es nicht einsichtig, warum er als Vater seine Handlungsweisen gegenüber der Kindesmutter rechtfertigen sollte, etwas was von einer Mutter nicht gefordert werde.

"Und hab sicher auch Sachen anders gemacht als sie. Und äh, konnte das aber nicht begründen oder wollte das nicht begründen, war halt so. Umgekehrt begründet die Mutter ja auch nicht, warum sie gleich losgluckt, wenn irgendwas los ist. Also, das war natürlich ne Schwierigkeit. Ja, gut." [Z.: 285 - 290]

Da die Lebensgefährtin von Herrn L. bereits einen sechsjährigen Sohn hat, hatte Herr L. einen Wissensvorsprung der Mutter im Umgang mit dem Kind vermutet, was ihn die erste Zeit verunsicherte. Als er begann, sich selbstständig mit Fragen der kindlichen Versorgung auseinander zu setzen, relativierte sich der als absolut korrekt empfundene Wissensstand der zweifachen Mutter in seinen Augen. Er bemerkte, dass viele ihrer Entscheidungen größtenteils auf ihren Ansichten zu gewissen Themen beruhten und weniger auf genauem Wissen oder übermächtiger Erfahrung.

"Ich hab dann im zweiten Jahr angefangen, mir Gedanken zu machen, ja wie es, Krankheiten und so, und mir darüber Gedanken zu machen, grundsätzlich bin ich gegen impfen, habe mir dann aber Gedanken gemacht, warum ich sie nicht impfen will und hab dann auch gemerkt, dass die Mutter auf einmal doch nicht so viel wusste. Es war auch immer so, sie hatte schon einen Sohn und hatte dadurch auch einen großen Vorsprung, dachte ich zumindest. Aber der war halt doch nicht so da. Sie hatte halt auch nur ihre Ideen, die sie damals einfach auch anders rüberbringen konnte, als ich das." [Z.: 267 - 275]

Die Relativierung der Position der Mutter ermöglichte es Herrn L., seine Handlungsweise souveräner durchzusetzen. Die gestärkte und vermehrte Zuwendung veränderte seine Beziehung zu seiner Tochter positiv.

"Ja, als ich mir Gedanken gemacht hatte, haben wir, ja, da ist dann das ganze Verhältnis nochmal besser geworden. Ja." [Z.: 276 - 277]

Nach Herrn L. haben Mütter durch ihre traditionell vorgegebene Mutterrolle eine engere Bindung zum Kind und könnten sich auch nicht so recht von dieser Rollenerwartung lösen.

" ... naja, das Problem, muss man ja auch wieder allgemein sagen, die Mütter sind halt traditionell, äh dem Kinde nahe und können sich aus dieser Rolle auch gar nicht so richtig trennen." [Z.: 250 - 252]

Diese traditionelle Norm ergebe sich über die erzieherische Wertevermittlung und sei tief in jedem verankert. Als Problem formuliert Herr L. meine Fragen hinsichtlich der emotionalen Beziehung zu seiner Tochter. Während es ihm persönlich schwer falle, Gefühlszustände zu beschreiben, würden Mütter wahrscheinlich traditionsbedingt gesprächiger hinsichtlich ihrer Kinder sein. Herr L. betont auch, dass er selbst nicht frei von der Anwendung traditioneller Denkmuster sei, obwohl er eine andere Sichtweise von Vater- und Mutterrollen vertrete und auch versuche, seine Vaterschaft anders zu leben.

" ... und ich erwische mich manchmal auch selbst, dass ich in dieser Tradition denke, wenn ich irgendwo Kinder sehe, dann sage ich, ja wo ist denn deine Mutter. Äh, ja, ich meine, das ist halt die Tradition, da kann ich mich selbst auch nicht von trennen." [Z.: 156 - 160]

Weiterhin schlussfolgert Herr L. aus seiner Erfahrung des unterschiedlichen Umgangs mit der Tochter von Mutter und Vater, dass es vielleicht auch einen geschlechtsspezifischen und nicht nur rein traditionell geprägten Unterschied zwischen Müttern und Vätern gibt.

" ... aber wir Väter sind doch auch anders als die Mütter. Wenn das Kind schreit, springt der Vater im Allgemeinen nicht sofort los, sondern muss erstmal überlegen und das kann man auf andere Dinge auch übertragen. Wir brauchen halt einfach länger, um halt irgendwie Sachen umzusetzen." [Z.: 255 - 259]

2.4.3.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Reaktionen auf seine Vaterschaft hat Herr L. weder in Kommentaren noch in Gesten wahrgenommen. Wenn er mit dem Kinderwagen Hilfe brauchte, habe er diese immer selbstverständlich erhalten, möglicherweise auch bevorzugter, da er von Müttern in solchen Situationen eher negative Berichte kennt. Er vermutete jedoch, aufgrund seiner Erfahrung immer aufzufallen, dass er auch, wenn er mit N. unterwegs war, mit Blicken verfolgt wurde.

"Also, ich denke, sie gucken. Das haben sie immer gemacht, [...] aber das sehe ich halt nicht und ich denk mal, die haben natürlich auch geguckt, wenn ich mit N. im Tragetuch lang gegangen bin. Und haben vielleicht auch was gesagt, keine Ahnung." [Z.: 492 - 498]

Immer wieder musste Herr L die Erfahrung machen als Vater abgewertet oder übergangen zu werden. Gewisse Reaktionen anderer Leute negieren seine Zuständigkeit als Vater für gewisse Bereiche und sehen dort hauptsächlich die Mutter in der Verantwortung.

"Zum Beispiel, äh, naja, wenn ich sage, das Kind lebt die Hälfte bei mir, kommen doch immer wieder Fragen, wo ist sie denn, wo ist denn nun das Zuhause von N. Also, das deutet eindeutig darauf hin, die Mutter kümmert sich bei Trennung oder überhaupt auch generell um das Kind. Und der Vater ist in dem Sinne gar nicht so präsent." [Z.:150 - 155]

Neben der Wut gegenüber solcher Behandlung, fragt Herr L. auch nach der Ursache dieser Diskriminierung. Er war sich unsicher, ob das ihm gegenüber gezeigte Verhalten aus einem normativen Rollenbild, welches ein Kind als erstes zur Mutter gehörig zurechne, resultiert oder aus der Annahme, dass seine Behinderung eine entsprechende Versorgung seiner Tochter nicht zulasse. Für Herrn L. stellt sich das Problem, vielfältige Vorurteile verschiedensten Rollen gegenüber, als Vater, als allein erziehender Vater, als Mensch mit Behinderung, als behinderter Vater, als allein erziehender Vater mit Behinderung, in sich zu vereinigen und sich dagegen behaupten zu müssen

"Ja, das kriege ich nicht so oft mit, aber, äh, ... ich weiß auch nicht, ob das was mit der Tradition zu tun hat, aber ähm, das oft, äh . Dinge, die meine Tochter machen soll, weiß ich, in der Schule oder, weiß ich, wenn sie, wenn sie krank wird, dann muss sie ja schnell zur Mutter. Also das kann ich jetzt nicht differenzieren, ob das jetzt wegen meiner Behinderung gesagt wird oder ob das allgemein traditionsbedingt ist, dass ein krankes Kind natürlich möglichst schnell zu der Mutter muss." [Z.: 699 - 706]

2.4.4. Erziehung

2.4.4.1. Erziehungsgrundsätze

Zwar versuche Herr L., traditionelle Denk- und Rollenmuster nicht persönlich zur Anwendung zu bringen, dennoch verdeutlichte er auch, für wie stark er erzieherischen und gesellschaftlichen Einfluss auf das eigene Denken hält und wie hinderlich dies sei bei dem Versuch, andere Vorstellungen bzw. die eigenen Erziehungsgrundsätze umzusetzen. Herr L. bemüht sich in seiner Erziehung, seiner Tochter viele Freiheiten zur selbsttätigen Erfahrung mit ihren Fähigkeiten in einem abgesicherten Rahmen zu ermöglichen. Ein spezifisch mädchenhaftes Verhalten ist für Herrn L. bedeutungslos. Statt einer permanenten Überbehütung durch ihn solle N. sowohl motorischen als auch spielerischen Freiraum ausloten können.

"Oder auch, ich hab sie mal mit zur Uni, zur Fachhochschule genommen [...] Da ist sie dann halt auch auf einem Sofa rumgeklettert, die anderen haben schon, oh Gott, oh Gott, oh Gott. Aber erstens wusste ich, das N. das kann. Und äh, ja, da hat sie auch eine andere Selbständigkeit erfahren als andere Kinder wahrscheinlich, könnte ich mir vorstellen." [Z.: 524 - 530]

2.4.4.2. Erziehungserleben

Herr L. bewertete sich selbst nicht als strengen Vater, auch von anderen bekomme er gesagt, seine Erziehung zeichne sich durch ein Zuwenig an Grenzen aus. In letzter Zeit haben sich seine Erziehungsvorstellungen dahingehend verändert, dass er konsequente, klare Ansagen, um auch seine Interessen zur Sprache bringen zu können, für wichtig erachtet.

" ... aber auch das musste ich lernen, dass es nicht immer mit alles durchgehen funktioniert, sondern dass einige Sachen auch erstritten werden müssen. So, wo ich halt sage, das ist so und dann ist das so." [Z.: 310 - 313]

Seiner Tochter Grenzen zu setzen nehme er als persönliche väterliche Herausforderung wahr, zumal sein neues widersprechendes und forderndes Verhalten schnell zu größeren Konflikten mit N. führt.

"Also ja, das war so, das war für mich auch ne Herausforderung. Eine Zeit davor habe ich dann immer gleich nachgegeben, ich hätte sie auch auf die Schultern nehmen können, das war ihre Idee, aber das wollte ich nicht, äh weil ich dachte sie ist auch im Stande dazu, zu gehen. Ja, da habe ich halt durchgehalten, war für mich auch sehr schwer." [Z.: 406 - 411]

Konflikte selbst sind nach Herrn L. schwierige Situationen, weil da jeder eher unpassend reagiere und sich im Streit meist weitere Missverständnisse ergäben, welche den Konflikt zusätzlich verschärfen würden.

"Aber so ne Situation ist ja auch schwierig, aber das ist halt so. Das gehört zu so einem Konflikt dazu, dass wir dann beide irgendwie angespannt sind und nicht so reagieren, wie es vielleicht besser sein sollte." [Z.: 342 - 345]

So enden viele Auseinandersetzungen vorerst mit Tränen und väterlichem Trost. Grenzen in der Erziehung durchzuhalten ist für Herrn L. ein allgemeines elterliches Problem. Kinder testeten diese Grenzen aus und registrierten die Reaktionen ihrer Eltern dabei sehr genau, auch wenn es zuerst nicht den Anschein habe. Im Nachhinein erst sei genügend Ruhe vorhanden, um den Konflikt zu besprechen und eine Lösung zu finden. Mit seiner Tochter erlebt er, dass sie nachträglich oftmals seinen Reaktionen zustimmen und sie zukünftig akzeptieren könne. Generell gehören für Herrn L. Streitfälle zum Leben und würden dieses auch abwechslungsreicher gestalten.

Des Weiteren vertraut Herr L. größtenteils auf sprachliche Regelungen in seinem Erziehungsverhalten. Bereits als N. noch klein war, war es möglich, viele Grenzen bereits vorbeugend sprachlich zu regeln.

"Ja, da. Also ich hab ihr das natürlich gesagt. Also ich hab sie nicht weggeräumt die CDs, die standen nach wie vor in Greifhöhe, sie hätte nur ziehen brauchen und äh, hat das aber nicht gemacht. Also, ja, durch reden habe ich sehr viel erreicht. Genau. Auch so an der Straße, äh . hab ich dann gesagt, gib mir die Hand und wir gehen rüber und später dann, geh neben mir oder so was, keine Ahnung. Ich hab viel über reden gemacht. Ja eigentlich alles, was sie so begreifen konnte, wollte." [Z.: 367 - 374]

Diese sprachliche Verständigung mit seiner Tochter funktioniere trotz einiger Missverständnisse gut. Allerdings beklagt sich N. häufiger über sprachliche Ungenauigkeiten und Herr L. fordert von sich selbst, zukünftig Sachverhalte konkreter zu formulieren.

Herr L. merkte an, dass seine Behinderung ihn oft ausschließlich zu verbalen Anweisungen oder Erklärungen gegenüber seiner Tochter zwinge, da er viele Tätigkeiten nicht vormachen könne. Einen Unterschied zu anderen Eltern sieht er in zweierlei Hinsicht, zum einen aufgrund seiner Erziehungsansicht, welche von der durchschnittlichen Erziehungsmentalität abweiche. Zum anderen vermutete er, dass auch seine Behinderung seine erzieherischen Auffassungen geprägt habe.

"Aber gut, andere Eltern sehen das anders. Die stehen dahinter und oh, oh, oh. Einerseits ist das sicher an meiner Sichtweise zu den Dingen, andererseits auch aufgrund der Behinderung, dass ich . da, nicht in dem Maße, ja ich hätte hinter her kraxeln müssen oder keine Ahnung, also. Nen anderer hätte da lange Arme gemacht und ich hätte ja schon, weiß nicht unterm Geländer schon mit rumkraxeln müssen, also. Ja." [Z.: 537 - 544]

2.4.5. Väterliches Handicap

2.4.5.1. Persönliche Einstellung

Herr L. thematisierte seine Behinderung nicht weiter. Als katastrophal erlebte Herr L. Situationen, in welchen er weder sich selbst noch seinem Kind helfen konnte und führte hierbei das Thema Läuse an. Es bereite ihm Unbehagen, andere Leute um für diese vermutlich unangenehme Hilfsleistungen zu bitten. Zwar sei nachbarschaftliche Hilfe prinzipiell möglich, doch unbequeme Situationen möchte jeder lieber selbst erledigen, es wäre besser, nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.

"Also, eine Sache muss ich sagen jetzt als Vater im speziellen Fall meiner Behinderung sind Läuse. Also, Läuse sind für mich ein Horror. Also, erstmal kann ich mir selbst nicht, komm ich selbst nicht ran, kann mir selbst nichts machen, zweitens kann ich bei N. nichts machen. Und sie hatte schon einige Male und das war für mich, also. Ja und dann auch zu Leuten hinzugehen und zu fragen, ob sie mal nach gucken können. Die selbst kein Läuse haben, natürlich auch Angst haben vor Läusen, also, dass ist für mich, ... äh, die schlimmste Situation, die ich mir, äh . ." [Z.: 707 - 715]

2.4.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Im Umgang mit der nichtbehinderten Umwelt meinte Herr L. durch seine "Scheuklappen" keine Reaktionen wahrzunehmen.

"Aber gut, ich hab eh meine Scheuklappen und ich krieg das eh nicht mit. Von der Warte kann ich auch nicht sagen ..." [Z.: 486 - 487]

Dies sei vielleicht auch ein Schutzmechanismus, da er mit seiner Behinderung immer auffalle. Bereits als Kind, wenn er mit seiner Mutter unterwegs war, wurde er von Passanten angestarrt.

"Das haben sie immer gemacht, wenn ich mit meiner Mutter oder mit irgendwelchen Leuten durch die Straßen gehe, dann gucken die Leute." [Z.: 493 - 495]

Zudem erlebe er oft ein generelles Unvermögen, mit seiner Behinderung umzugehen, da bis auf seine Tochter niemand in der Lage sei, ihm Dinge so in die Hand zu geben, dass er diese sofort nehmen könne. Dieser Umstand führte auch dazu, dass ihm nach der Geburt seines Kindes sein natürlichster und selbstverständlichster Wunsch als Vater, sein Kind in den Arm zu nehmen, verweigert wurde, ohne Bemühen des medizinischen Personals, auf die spezifische Situation einzugehen.

2.4.6. Beziehung zum Kind

2.4.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Das Zusammenleben von Vater und Tochter beschrieb Herr L. als harmonisch, beide würden gut miteinander klarkommen. Zwischen Vater und Tochter bestehe eine enge Bindung und obwohl Herr L. dies schwer verbalisieren könne, betonte er seine starke emotionale Beziehung zu seiner Tochter.

" ... äh kann ich auch nur an Beispielen, oder könnte ich nur an Beispielen erläutern. Äh, .. aber dennoch denke ich, ich hab ne emotionale Beziehung, ne sehr starke zu meiner Tochter, also. Nur die in Worte zu fassen ist natürlich, also für mich zumindest, sehr schwierig." [Z.: 680 - 684]

In der ersten Zeit nach der Geburt empfand Herr L. die Bindung zu seiner Tochter als nicht so nah wie sie sich bis zum jetzigen Zeitpunkt entwickelt habe. Er empfinde oft ein Missverhältnis zwischen seinen Bemühungen seiner Tochter gegenüber und ihrer tatsächlichen Erreichbarkeit in emotionaler Hinsicht.

"Und das äh, ja ich habe im Gegensatz zu anderen Vätern schon viel gemacht, aber trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, dass ich .. für mich, ja äh .. für mich das mache, ja wie soll ich sagen, dass, dass .. das auf der Gefühlsebene auch rüber kam, so." [Z.: 261 - 264]

Eine Verbesserung in der Beziehung zu seinem Kind ergab sich, als Herr L. entschied, seine Tochter selbstständig zu wickeln oder zu füttern ohne die Unterstützung und entgegen der Einwände seiner Lebensgefährtin.

"Also nach dem Jahr habe ich dann gesagt, ich mach das jetzt alleine, egal ob sie schreit und dadurch hat sich die Beziehung natürlich auch verbessert, weil sie ist dann still liegen geblieben und wusste, wenn ich das mache, dann dauert das Ganze etwas länger." [Z.: 230 - 234]

Neben der vermehrten Zuwendung begann Herr L. über relevante Themen der Kinderversorgung wie beispielsweise Medikamentation und Impfen nachzudenken und dazu Stellung zu beziehen, was seine Beziehung zum Kind nochmals verbessert habe.

2.4.6.2. Beziehungsebene

Schwierige Situationen sah Herr L. auf sich zukommen, da seine Tochter nun langsam in das "Zickenalter" komme. Viele Reaktionen seiner erwachsen werdenden Tochter blieben für ihn unverständlich.

Auf meine Nachfrage erzählte Herr L., dass er sich anfangs einen Sohn gewünscht habe, vermutlich weil er für diesen bereits einen Namen gehabt hätte, den eines Lehrers seiner Kindheit. Als jedoch seine Tochter geboren wurde, spielten solche Überlegungen keine Rolle und er nahm sein Kind so an, wie es war.

"Nein es war, für mich war das, als N. dann da war, war es N." [Z.: 214 - 215]

Herr L. vermutete, dass mit einem Sohn alles nochmals ganz anders wäre. Er bezog dies auf andere Themen, die beim Spielen wichtig wären, oder auf einen anderen möglichen Umgang in gewissen Situationen.

"Ja, ja aufs Spielen wahrscheinlich. Das Autothema wäre natürlich wesentlich präsenter als bei Mädchen. Äh, und . ich denke, mit ihm könnte ich Dinge auch ganz anders machen als mit meiner Tochter. Also meine Tochter ist halt ein Mädchen, die ist mehr so mädcheninteressiert." [Z.: 193 - 197]

Vermutlich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit Männlichkeit empfindet Herr L. Jungen im Alter seiner Tochter auch weniger anstrengend und in vieler Hinsicht verständlicher, während die Verständigungsbasis mit seiner heranwachsenden Tochter langsam schmaler wird.

2.4.6.3. Kindlicher Umgang mit der Behinderung

Vater und Tochter haben sich im Umgang miteinander aufeinander eingestellt, Herr L. berichtete, N. habe bereits früh einen Unterschied zwischen seiner Art der Versorgung und der anderer Menschen bemerkt und darauf entsprechend reagiert. Ihr angepasstes Verhalten unterstütze den Vater in seinen versorgenden Verrichtungen und teilweise ermögliche N. diese darüber auch erst.

"Also das, . äh, das war dann auch sehr [...] da gab es natürlich Schwierigkeiten. Wir haben das gemeinsam gelöst, dass sie dann ruhig liegen geblieben ist, war ja auch eher ein Teil dazu, dass ich sie in Ruhe windeln konnte." [Z.: 445 - 448]

2.4.6.4. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Herr L. vermutete, dass seine Behinderung eine frühe Selbstständigkeit bei seiner Tochter bewirkt habe, da diese N. veranlasst habe, bei ihrer eigenen Versorgung mitzuhelfen oder einige Tätigkeiten selbst zu übernehmen.

"Und im Auto hat sie sich schon relativ früh selbst angeschnallt. Also ich konnte sie kaum selbst, in diesen komischen Sitzen, den Vier-Punkt-Gurten. Da haben wir dann irgendwie so ne Lösung gekriegt, dass sie da mit festgehalten hat, in nem sehr jungen Alter und äh, . ja, irgendwann hat sie es dann auch selbst gekonnt." [Z.: 440 - 445]

2.4.6.5. Kindliche Assistenz

An einer Erzählung über eine Mutter mit Behinderung, welche ihre jugendliche Tochter zu Reisen mitnimmt, weil sie sonst niemanden habe, der sie versorgen könne, verdeutlichte mir Herr L., wie sehr eine solche Situation außerhalb seiner Vorstellung liege. Seiner Meinung nach ist es nicht Aufgabe seines Kindes, Verantwortung und Pflichten für ihn zu übernehmen. Kinder dürften nicht als Assistenten benutzt werden. Er hoffe in seiner Erziehung, bewusst oder unbewusst, gegenüber seiner Tochter explizit verdeutlicht zu haben, dass die Verantwortung für seine Person allein bei ihm liege.

"Ja, ja das hab ich mir, ich mein, ich hab sie schon so irgendwie, . äh, äh sicherlich unterbewusst aber auch bewusst so erzogen, dass sie diese Verantwortung, von der ich eben berichtet habe, dass sie die halt nicht übernehmen soll, oder darf, oder keine Ahnung." [Z.: 614 - 617]

2.4.6.6. Normalität im väterlichen Leben

Der Umgang seiner Tochter mit der väterlichen Behinderung ermögliche Herrn L. im Zusammenleben mit ihr ein ungehindertes Leben in der "Normalität", sie gehe mit seiner Behinderung ganz normal um. N. sei der einzige Mensch, welcher mit der Behinderung von Herrn L. in gewissen Bereichen adäquat umgehen könne.

"Ja, sie weiß einfach, sie weiß einfach, wie sie mir, weiß ich, einen Stift in die Hand geben muss. Und ich muss dann, sie gibt ihn mir halt so in die Hand, dass ich ihn gleich nehmen kann. Und das ist, sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der wirklich da, äh weiß, wie sie es machen muss." [Z.: 567 - 571]

2.4.6.7. Zukunft

Für die Zukunft seiner Tochter wünscht sich Herr L., dass diese den Wert von Bildung begreifen lerne, um später Abitur und Studium erfolgreich abzuschliessen. Generell erhofft sich Herr L. für N. eine aussichtsreiche Zukunft in Bildung und Partnerschaft.

"Dass sie irgendwie versteht, dass die Schule nicht für die Lehrer da ist, also dass sie nicht lernt für die Lehrer, sondern dass sie für sich lernt. Und äh . , ja, dass sie dann irgendwann Abitur macht, studieren wird, und äh ... .Ja, nen Freund findet, mit dem sie gut klar kommt und . ja." [Z.: 651 - 655]

Für seine Beziehung zu seiner Tochter wünscht sich Herr L., dass es ihnen möglich sein werde, offen über schwierige Themen zu reden, zum Beispiel über seine Behinderung. Er vermutete, dass N. des öfteren auf die Behinderung ihres Vaters angesprochen wird.

"Also, wenn da so eine Situation ist, warum hat dein Papa kurze Arme und so, das ist vielleicht ein Thema, was ich vielleicht auch noch mal mit ihr erörtern, oder wo ich mit ihr drüber reden möchte." [Z.: 575 - 577]

Da er nicht recht weiß, welche Gedanken sich seine Tochter diesbezüglich macht, möchte er in nächster Zeit mit ihr darüber reden. In einem Gespräch könnte er ihre Ansichten ergründen, verdeutlichen, dass die Verantwortung für seine Person alleine bei ihm liege und gegebenenfalls berichtigend eingreifen.

"Aber dennoch ist ein Gespräch darüber natürlich noch mal, da erfahre ich ja auch, was sie denkt. Vielleicht kann ich dann auch noch mal korrigierend eingreifen, oder ich sage, dass brauchst du den Kindern nicht zu erzählen, oder keine Ahnung, ich weiß nicht, was da kommt." [Z.: 617 - 622]

2.4.7. Familienleben

2.4.7.1. Alltagsgeschehen

Herr L. hat an sich selbst den Anspruch, seine Tochter allein versorgen und den Alltag abdecken und gestalten zu können. Bei der Hausarbeit wird Herr L. regelmäßig von einer Haushaltshilfe unterstützt.

"Äh, ja und kümmern in meinem Sinne halt, dass ich das mache, was ich als allein erziehender Vater halt machen muss. Was die Mutter macht, was ich mache, also meine Tochter zur Schule bringen, damals, inzwischen geht sie allein, kochen, essen, Hausaufgaben, also die ganzen Sachen, die so anfallen." [Z.: 161 - 165]

2.4.8. Kommunikative Validierung

In einem Telefongespräch mit Herrn L. klärten wir reine Formalitäten. Herr L. fand seine Darstellung in Ordnung. Zudem befand er, dass es spannend sei, zu lesen, was jemand anders aus seinen Aussagen heraushöre.

2.5. Interview mit Herrn B.

2.5.1. Vorbemerkung

Herr B. meldete sich auf meine Anfrage beim Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern bei mir. Er war sowohl so freundlich, mein Anliegen über seine Mailing-Liste weiter zu verschicken, als auch sich selbst zu einem Interview bereit zu erklären. Als ich Herrn B. in seiner Wohnung besuchte, bekam ich bereits im Treppenhaus einen Eindruck seiner Bemühungen um Verständigung zwischen sehender und nichtsehender Welt. Ein Anrufen vom oberen Stockwerk wies mich darauf hin, vorsichtig zu sein, da das Treppenhaus ziemlich steil und dunkel sei. Ich erlebte Herrn B. als einen fröhlichen, humorvollen Menschen, der es einem leicht machte, sich in seiner Gesellschaft wohl zu fühlen. Er hatte für uns einen Kaffeetisch mit Kuchen und Tee gedeckt. Im Interview erzählte Herr B. offen und spontan und thematisierte viele Bereiche auch von sich aus und ohne meine Fragen. Kurz nach Beendigung des Interviews kamen seine Frau mit dem Sohn, welcher gerade eine Woche bei seiner Oma verbracht hatte, zurück. Dieses Timing bewerteten wir beide als wohlwollenden Zufall für unser Gespräch.

2.5.2. Biographischer Hintergrund

Herr B., 45 Jahre, wohnt mit seiner Frau G. und dem gemeinsamen fünfjährigen Sohn L. in einer innerstädtischen Mietswohnung in einer Großstadt in der Mitte Deutschlands, deren Behindertenfreundlichkeit er selbst als mittelgut einschätzt. Nach dem Realschulabschluss wurde Herr B. erst zum Klavierstimmer ausgebildet und besuchte später die kaufmännische Berufsschule. Zur Zeit ist er technischer Mitarbeiter einer Stiftung für blinde Menschen an seinem Wohnort. Seine Frau ist ausgebildete Erzieherin, doch momentan arbeitslos. Herr B. war seit seiner Geburt stark sehbehindert, aufgrund einer Prügelei auf dem Schulhof erblindete Herr B. im Alter von zehn Jahren vollständig.

2.5.3. Vaterschaft

2.5.3.1. Vater-Werden

L. war für seine Eltern ein echtes Wunschkind. Trotz einiger Zweifel bezüglich der psychischen Bewältigung einer künstlichen Befruchtung, realisierten Herr B. und seine Frau ihren Kinderwunsch über diesen medizinischen Eingriff. Herr B. erwähnte zudem, dass die angehenden Eltern dadurch bereits sehr früh mehr als üblich über detailliertes Wissen hinsichtlich ihres zu erwartenden Kindes verfügten.

"Das war zunächst natürlich mal für uns eine ganz, äh, eine ganz schwierige Entscheidung. Also zunächst mal, machen wir das überhaupt, packen wir das überhaupt, rein von der, von der psychischen Seite her auch und, ähm, letztendlich, wir ham uns dann dafür entschieden und es wurde dann ja eben auch von Erfolg gekrönt, wie man sieht." [Z.: 19 - 24]

Die Geburt seines Kindes beschrieb Herr B. als aufregendes Ereignis. Bereits von diesem Moment an war ihm bewusst, dass nun ein neuer Mensch in seinem Leben existiere und das Leben verändern werde.

"Und, ähm, ja also vom ersten Tag an wusste ich, da ist, da ist ein, äh, ein neuer Mensch da, ..." [Z.: 29 - 30]

Für die ersten Wochen nahm Herr B. Urlaub, damit sich die neue Familie in Ruhe gegenseitig kennen lernen konnte. Die erste Zeit empfand Herr B. als großartig und wohltuend. Entgegen seinen Erwartungen funktionierte das Zusammenleben mit dem Baby überwiegend stressfrei.

"Wir hams richtig genossen, einfach zusammen zu sein, einfach zu erleben, wie wir, wie wir aufeinander wirken und ähm, das war ne ganz tolle Zeit, an die ich mich unheimlich gerne und angenehm erinnere." [Z.: 95 - 98]

Veränderungen in seiner Lebenseinstellung durch die Vaterschaft beschrieb Herr B. in persönlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Als Vater spürte er, dass er eine große Verantwortung für einen anderen Menschen übertragen bekommen habe. Das Zusammensein mit seinem Sohn habe weiterhin seine Wahrnehmung für alltägliche und natürliche Dinge geschärft.

"Äh, ich hab ne Menge mehr, ich, ich erlebe Verantwortung bewusster. Ich erlebe Verantwortung bewusster. Ich erlebe aber auch sagen wir mal so die ganz einfachen Dinge bewusster." [Z.: 167 - 169]

Einen Aspekt der väterlichen Verantwortung drückte sich für Herrn B. in seiner Interessenvertretung für die Belange seines Kindes und seiner Familie gegenüber verschiedener Institutionen aus. Er bemerkte an sich eine gestiegene Aufmerksamkeit gegenüber institutionellen Aktivitäten, äußerte jetzt eher Bedenken und versuchte teilweise lenkend auf behördliche Entscheidungen einzuwirken.

"Es ist nicht so, dass ich, äh, sag mer mal jetzt permanent die, die, die Institutionen als das Böse, das Böse ansehe, seit er da ist. Es ist aber schon so, dass ich sagen wir mal ne gewisse, ne gewisse Wachheit da entwickelt habe. Denke ich." [Z.: 266 - 270]

2.5.3.2. Versorgung und Betreuung

Herr B. fühlte sich auf die Säuglingszeit mit seinem Kind gut vorbereitet. Er bemühte sich selbst um eine Hebamme, welche ihm einen auf seine Behinderung abgestimmten Vorbereitungskurs ermöglichte und auch keine Bedenken bezüglich seiner Fähigkeiten ein Baby zu versorgen äußerte.

"Ich hab mir damals, äh, ne Hebamme gesucht, die mich wiederum persönlich kannte. Die also keine Vorbehalte gegenüber irgendwelchen Behinderungen hatte, also jetzt Sehbehinderung hatte. [...] äh, ich hab jede denkbare Unterstützung bekommen, anhand von Modellen, anhand von irgendwelchen Babypuppen zum Wickeln üben und so weiter und so weiter. Das war große Klasse. Das heißt von daher gesehen, war ich gut vorbereitet." [Z.: 41 - 50]

Weiterhin erhielt Herr B. über eine Mailing-Liste vorab einige Ratschläge von anderen blinden oder sehbehinderten Eltern, welche er als sehr hilfreich bewertete. Die Hinweise im Krankenhaus, als sein Sohn dann geboren war, empfand Herr B. nur teilweise sachdienlich und eher strapaziös. Einen adäquaten Umgang mit dem Kind als blinder Vater könnten einen doch eher nur Leute in der gleichen Situation erklären.

"Und ich hab, muss ich sagen sehr viel, öhm, vorweg an Hinweisen bekommen, an ernst gemeinten Hinweisen, Hinweisen wie damit umzugehen ist, in Anführungsstrichen, von blinden und sehbehinderten Eltern, die ich kannte. Und zwar aufgrund einer Mailing-Liste [...] Wie geht man denn jetzt damit so um? Beziehungsweise, wie kann man bestimmte Reaktionen des Kindes halt tatsächlich ertasten, erhören und so weiter und so weiter. Das waren für mich ja tatsächlich neue Dinge und die letztendlich mir auch diese Hebamme oder sonst jemand nicht erklären konnte. Aber ich hab ähm, gemerkt, da sind einfach Leute, die das auch erlebt haben und die mir da tatsächlich helfen wollen und es auch irgendwie können." [Z.: 70 - 86]

Herr B. hat aber ebenso gesagt bekommen, dass die Beschreibungen der anderen Eltern nur die Theorie ermöglichen und er sich seinen Wissensschatz selbsttätig aneignen muss.

"Und die Quintessenz des Ganzen hieß natürlich: Tipps kannste haben, aber diese, die Erfahrungen, was da, was da, was da läuft und wie de, wie de damit umgehn musst, wie de selbst das empfindest, musst du selbst machen. Die solltest du auch selbst machen. Das hab ich getan und das auch bewusst." [Z.: 86 - 90]

Die Einarbeitung in väterliche Aufgaben bereitet Herrn B. keine großen Anstrengungen. Er erzählt, dass er zum Beispiel die Nachtwache übernommen habe, da es ihm keine Probleme bereite, aus dem Schlaf gerissen zu werden, oder dass er auch immer über den Zustand des Windelpopos des Sohnes informiert gewesen sei, da er solche Dinge ertastet habe. Herr B. erwähnt, dass teilweise in der ersten Zeit dort Schwierigkeiten auftraten, wo ein korrigierender Blick seiner Frau hilfreich gewesen wäre, beispielshalber bei der Auswahl von Kleidungsstücken oder Verschmutzungen nach dem Essen.

"Also zum Beispiel so Geschichten wie, ähm, meine Frau is nicht da, und es geht darum, die richtigen Klamotten für ihn zusammen aus dem Kleiderschrank zu suchen, und er möchte aber gerne den Ratgeber machen, beziehungsweise sich selbst auch daran beteiligen. Das ging anfangs zum Teil ganz schön schwierig ab, beziehungsweise kamen da zum Teil recht abenteuerliche Farbgebungen zusammen. Weil er halt, je bunter desto besser." [Z.: 304 - 310]

Herr B. berichtet davon, dass ihm eine spezielle Situation die normale Sehkraft seines Kindes und dessen damit einhergehenden Bedürfnisse, die sich von seinen unterscheiden können, verdeutlicht habe. Als er seinen Sohn eines nachts beruhigen wollte, vergass er, bevor er das Kind auf den Arm nahm, das Licht einzuschalten, etwas was für ihn selbst nicht notwendig ist. Sein Sohn jedoch begann vor Schreck aufgrund dieser für ihn unerwarteten Handlung im Dunkeln erst richtig zu weinen. Generell aber ist Herr B. froh darüber, dass die Versorgung seines Kindes ihn nie überfordert und ihn mögliche Handlungsgrenzen als Vater mit Behinderung spüren lassen habe.

"Also ich hatte, ich hatte nie so das Gefühl, jetzt da zu stehen, auch als, meinetwegen, als, phhh, ja behinderter Mensch, jetzt so das Gefühl zu haben, der quäkst und quietscht und ich, ich, ich komm nicht weiter." [Z.: 121 - 125]

Dennoch verdeutlicht Herr B., dass ein blindes Elternteil gewisse Dinge nicht leisten und er in bestimmten Bereichen den Sohn nur an die sehende Mutter verweisen kann, da er entweder keine Hilfe geben kann oder eine gemeinsame Erfahrung von Vater und Kind behinderungsbedingt nicht möglich ist.

" ... aber in meiner jetzigen Situation kann ich selber ihm eigentlich oft nur immer sagen, ‚Pass auf, klingt gemein, was ich sag, klingt blöd, was ich sag, aber es ist einfach so, halt dich was das angeht bitte mal an Mama, ich kann dir da nicht helfen'." [Z.: 1048 - 1052]

Herr B. bemerkt bei seinem Sohn manchmal eine gewisse Unzufriedenheit oder Ungeduld hinsichtlich bestimmter nicht teilbarer Erfahrungen von visuellen Dingen. Auch ihn selbst frustrieren solche Situationen. Im Allgemeinen kann Herr B. sich aber mit der behinderungsbedingten Situation, an der kindlichen Erfahrungswelt nicht in allem teilhaben zu können, arrangieren.

"Aber . äh, ich sach immer, es is wiederum ne Geschichte, die ich nachvollziehen kann. Und die für mich, ömm, . ja, mit der ich irgendwie äh, äh, umgehen, mit der ich auch irgendwie leben kann, mit der ich auch mich arrangieren kann." [Z.: 1055 - 1058]

2.5.3.3. Vaterbilder

Für Herrn B. hat ein idealer Vater vor allem seine Verantwortung für die Familie wahrzunehmen, zu deren Gründung er ja auch seinen Teil beigetragen hat. Die Vaterrolle beschreibt er auf zwei Ebenen. Zum einen sieht er den Vater weiterhin als klassischen, archaischen Patriarchen, welcher seinem Kind Orientierung geben und es auf seinem Lebensweg in die richtige Richtung lenken kann. Zum anderen sollte einem Vater auch eine Beziehung auf der gleichwertigen Ebene des freundschaftlichen Miteinanders möglich sein.

"Er sollte, ja, Vater sein, im Sinne der klassischen Vaterrolle, so, die man so, die so zum Teil ja archaisch auch rüberkommt, und andererseits auch sollte er, denke ich, den Kindern gegenüber auch Freund sein, Kumpel sein und auch zu nem gewissen Grad Spielkamerad sein." [Z.: 351 - 355]

In der Qualität des Spielgefährten sieht Herr B. auch einen Unterschied zwischen sich und seiner Frau. Obwohl sein Sohn auch mit ihm gut schmusen könne, betont er die besondere Beziehung zwischen einem Vater und einem Sohn auch als Kumpel mit spielerischen körperlichen Auseinandersetzungen im Raufen.

" ... und auch äh, also bei ihm ging das so mit drei los, dass er erkannt hat, mit Mama kann man schön schmusen, und mit Papa kann aber auch schön schmusen, mit Papa kann man wunderbar raufen." [Z.: 863 - 866]

Für Herrn B. ist die väterliche Ernährerrolle der Familie weiterhin gültig, allerdings bereitet es ihm einiges Unbehagen, allein in der finanziellen Verantwortung zu stehen. Oftmals zwingt ihn diese Abhängigkeit der Familie von seinem Broterwerb zu erhöhter Disziplin im Job. Allerdings nimmt er an, dass Männer und Väter in der Regel keine Probleme mit der alleinigen Verdienerrolle haben und bewertet seine Bedenken als ungewöhnlich.

"Wobei ich mich . ich bin zur Zeit in der Tat, weil meine Frau nicht arbeitet oder keinen Job findet, bin ich zur Zeit der Ernährer der Familie. Und ich muss ehrlich sagen, des is ne Rolle, in der ich mich nicht immer wohl fühle, [...] Aber einfach so das Gefühl zu haben, in der Beziehung nicht der allein Verantwortliche zu sein. Und mir deswegen zum Teil auch Dinge, die ich mir eigentlich mal gerne am Job rausnehmen würde, nicht rausnehmen kann, ne? Das macht mir manchmal n bisschen Kummer. Aber das mag ja nen Sonderfall sein. Ich weiß es nicht." [Z.: 369 - 380]

2.5.3.4. Reaktionen auf die Vaterschaft

Die Reaktionen der Umwelt, wenn Herr B. mit seinem Sohn unterwegs ist, umfassen ein Spektrum von Nichtbeachtung bis hin zu unangenehmen Bemerkungen. Solch extreme Reaktion, welche Herr B. bereits persönlich erlebt hat, habe er mit seinem Kind jedoch noch nicht erfahren.

" Also, .. die reichen eigentlich von allem, von . stillem Weitergehen, oder einfach irgendwie man hat das Gefühl, man wird eigentlich nicht beachtet, bis hin zu Dingen, die, die, ja, vielleicht nicht so schön sind." [Z.: 1192 - 1195]

Bezüglich anderer Eltern gibt es kaum Probleme, wenn diese ihn bereits als Vater erlebt haben und ihn kennen. Dann spricht Herr B. auch andere Eltern zum Beispiel auf dem Spielplatz auf die Möglichkeit der Mitbetreuung seines Kindes an.

"Und ämm, ja, ich krieg dann schon manchmal auch mit, dass der eine oder andere, ich mein wenn Eltern dabei sind, die mich kennen, mal erlebt haben, wie ich mit ihm umgehe, wie ich mit den anderen Eltern auch umgehe und rauf und runter, wir uns einfach kennen, da läuft das einfach so nebenher, ämm." [Z.: 1098 - 1102]

Allerdings kam es schon vor, dass eine Mutter seine Vaterschaft in Frage stellte. Sie kannte bereits seinen Sohn als Kindergartenfreund der Tochter, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er der dazugehörige Vater sei. Herr B. merkt weiterhin an, dass seine Behinderung nicht immer problematisiert werden sollte. Sein Kind sei nun auf der Welt und dies erfordere, dass alle Beteiligten probieren, mit der väterlichen Behinderung zurechtzukommen.

"Ich hab, ja ich hab die Behinderung halt und ich versuch mich halt mit den Fakten so gut es geht zu arrangieren, wie es irgendwie geht und äh, ja das Kind is da und das .. äh, is halt jetzt so und irgendwie müssen da eben alle, müssen wir alle damit klar kommen." [Z.: 1120 - 1123]

2.5.4. Erziehung

2.5.4.1. Einfluss der Biographie

Für Herrn B. kommen generell in der Erziehung Gedanken und Erfahrungen der Erziehenden zum Ausdruck. Seine Erziehungsvorstellungen seien sehr von der eigenen Kindheit im Internat geprägt und weniger von seiner Behinderung. Ein Leben im Internat bedeute, mit unterschiedlichsten Menschen zusammen zu leben und auskommen zu müssen. Dadurch eigne man sich schnell einen Grundstock an Menschenkenntnis an und lerne, Verantwortung für seine Handlungen und deren Folgen zu übernehmen.

"Weniger von der Behinderung, als eher von der Idee geprägt, dass ich in eine Internatsschule gegangen bin, in der man halt, ja, ne andere Form von Erziehung, ne andere Form von Miteinander von klein auf erlebt, als sie üblicherweise so da ist. Man lernt, einmal sehr früh, Menschen zu kennen, man lernt andererseits aber auch Menschen, man lernt aber eben für Dinge für und auch für sich selbst und für andere, ja, Verantwortung zu übernehmen und auch für Dinge, für, für Folgen von Dingen Verantwortung zu übernehmen." [Z.: 963 - 971]

Herr B. übertrage diese erlebte Erziehung zwar nicht auf seinen häuslichen Bereich, aber er bemerkt selbst einen Einfluss seiner Kindheitserlebnisse im Umgang mit seinem Sohn, da die positiven Erfahrungen aus der Internatszeit in seinem erzieherischen Handeln zum Ausdruck kämen.

2.5.4.2. Erziehungsabsicht

Die Erziehung von Herrn B. ist darauf ausgerichtet, seinem Sohn vielfältige Erfahrungen hinsichtlich verschiedener Lebensorte und sozialer Kontakte zu ermöglichen, um eine eingeschränkte Sichtweise seinerseits auf die Welt zu vermeiden. Herr B. wünscht sich, dass sein Kind eine "gute Promenadenmischung aus allem denkbaren" werde und nicht eine bestimmte Ausrichtung nach außen vertritt.

" ... und wichtig ist mir für mich, nicht dass mein Kind in irgend ner, ja, sagen wir mal in irgend so ner sozialen Schublade steckt und da letztendlich sozusagen diese Schublade auch repräsentiert. Mir ist es wichtig, dass mein Kind ein, ja, sozialen, geistigen Brennwinkel für möglichst viel, wenn nicht für alles, dann für zumindest möglichst viel entwickelt und für viele unterschiedliche Lebenssituationen." [Z.: 399 - 405]

Aus den verschiedenen Lebensperspektiven, welchen man begegnet, kann man dann das Günstigste für sich selbst bewusst auswählen.

2.5.4.3. Erziehungsgrundsätze

Generell, so erzählt Herr B., vertreten beide Elternteile die gleichen Grundsätze in der Erziehung ihres Sohnes. Entscheidungen und Absprachen über den Handlungsspielraum des Kindes treffen die Eltern gemeinsam.

Herr B. hat sich bereits vor der Geburt des Sohnes Gedanken zu verschiedenen Erziehungsthemen gemacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass es zu Erziehung viele theoretische Überlegungen und keine ideale Norm gebe. In seiner eigenen erzieherischen Praxis bemerkt er, dass ideelle theoretische Vorstellungen nicht haltbar sind und diese auch niemand umsetzen könne. Die erzieherische Realität bestehe eher aus gemeinschaftlichen Kompromissen, zumal das zwischenmenschliche Miteinander Vereinbarungen bedürfe.

"Aber ich denke mir, es gibt nur eins, was wirklich zählt, das ist die tägliche Realität, die man lebt. Und es gibt die, äh, Vorstellung einer, einer, äh, einer idealen Erziehung, die aber letztendlich wahrscheinlich niemand, oder ich glaube, wirklich niemand erreichen kann. Es gibt den ganz persönlichen, äh, Konsens, den man täglich miteinander eingeht und auch die Kompromisse, die man miteinander eingeht" [Z.: 393 - 399]

Die Erziehung eines Kindes wirkt sich auch erzieherisch auf die an der Erziehung Beteiligten aus. Herr B. beschreibt Erziehung als ein Spiel von Kräften, als einen Einfluss der Möglichkeiten eines jeden in bestimmter Weise zu wirken.

"Auch weil jeder, jeder Mensch, äh, setzt im zwischenmenschlichen Bereich andere Parameter. Entweder welche, die er gelernt hat, oder welche, die er selbst entwickelt hat und in dieses gemeinsame Spiel einfließen lässt. Denn es ist letztendlich, es ist nen Spiel der Kräfte, es kann auch nen Machtspielchen sein. Das, ich mein das kriegt der auch hin. Ja? Und das kriegen, denke ich, wir alle hin." [Z.: 630 - 636]

Aufgrund dieser Erziehungsüberlegungen gelten in der Familie von Herrn B. für alle Familienmitglieder die gleichen Grundsätze. Herr B. betont auch, dass Kinder eher lernen, Verantwortung für etwas oder Rücksicht auf andere zu übernehmen, wenn sie dieses Handeln auch an sich selbst erfahren.

"Weil ich der Meinung bin, nen Kind kann nur dann lernen, sich für Dinge zu entschuldigen, lernen für Dinge geradezustehen, lernen Verantwortung zu übernehmen, wenn er selbst erfahren hat, was eine Entschuldigung ist." [Z.: 565 - 568]

Daher zeichne sich das Zusammenleben mit seinem Sohn durch einige wechselseitige Verhaltensweisen aus. So beachte jeder beim anderen dessen Recht auf einen eigenständigen Bereich, wie das Kinder- oder Arbeitszimmer und eigenen zeitlichen Freiraum.

"Und andererseits weiß er zum Beispiel, dass wenn er in seinem Zimmer ist und spielt oder irgendwas liest, irgendwas hört, ich werd nie in sein Zimmer reinkommen, bei uns wird niemand ins Zimmer reinkommen bei ihm und sagen, äh, äh, hier komm mal raus oder einfach in das Zimmer rein stürmen. Das ist sein Zimmer! Und da frag ich denn auch, kann ich reinkommen? Das ist drin, das mach ich auch jetzt schon." [Z.: 594 - 600]

Auch würde Herr B. offen Verhalten ihm gegenüber ansprechen, welches ihm von seinem Sohn missfalle, aber genauso entschuldige er auch sein Fehlverhalten dem Kind gegenüber, wie er ebenfalls vom Kind erwarte, Verantwortung und Rechtfertigung für seine Fehler zu übernehmen.

" ... er weiß wiederum, dass es Dinge gibt, die ich nicht mag und die ich auch ganz offen sage, dass ich sie nicht mag. [...] Und das zeig ich ihm und dann sag ich ihm auch. Er wiederum kann bei mir zum Beispiel heute sagen, wenn ich mit ihm zusammen bin und ich erkenne, dass wir irgendwie zusammen sind und ich hab hier nen Fehler gemacht, dann werde ich mich bei ihm entschuldigen." [Z.: 558 - 565]

Wichtig ist es für Herrn B. weiterhin, dass elterliche Anweisungen eine Begründung enthalten, damit sein Sohn die Chance bekommt, die Anordnung nachzuvollziehen und sich nicht einer reinen Willkür ausgesetzt sieht.

2.5.4.4. Erziehungserleben

Herr B. erlebt es als Herausforderung, seinem Sohn verständlich zu machen, manche Erledigungen in einem gewissen Zeitrahmen sinnvoll durchzuführen. In diesen Momenten prüft er erst bei sich selbst, ob bestimmte Handlungen jetzt unbedingt erforderlich sind. Herr B. sagt von sich selbst, dass er noch lernen muss, sein Kind eher zu den erforderlichen Tätigkeiten zu ermuntern als gleich seine Ungeduld zu zeigen.

"Ähm, ich denke das is nen Bereich, da müssen wir teilweise noch nen bisschen arbeiten, da muss ich auch noch zum Teil an mir arbeiten. Wie is es? Ich muss mir dann immer mal wieder die Frage stellen, is es nu tatsächlich notwendig? So dieses, ähm, ihm das Gefühl zu vermitteln, da geht Zeit verloren, die, die, die du eigentlich, in der du schon viele Dinge hättest machen können." [Z.: 676 - 682]

Er schätzt die Situation so ein, dass sein Sohn keine Belohnung für Erledigungen fordere, aber einsichtige, motivierende Beweggründe. Teilweise gelinge es ihm bereits, die kindliche Motivation aufzubauen, indem er kleine Spiele iniziiere, was ihm selbst wiederum mehr Spass mache.

" Ein Möglichkeit, eine Möglichkeit ihn davon zu überzeugen, dass es doch ganz schön ist, sich jetzt langsam auszuziehen und ins Bett zu legen, ist seit ungefähr zwei Jahren die Tatsache, dass ich ihm Stegreifgeschichten erzähle. [...] des macht unheimlich Spaß und ihm machts Spaß und mir machts Spaß." [Z.: 691 - 704]

Für die Handhabung von Konflikten existiert für Herrn B. keine verallgemeinerbare Regel, denn Konflikte sollen je für sich gelöst werden und es sei wichtig, das Reaktionen absolut auf die gegebene Situation abgestimmt werden.

" Und äh, ich bin so, ja, wie soll ich sagen, das muss wirklich von Fall, des muss, das so auf eine Situation eingehen muss aus meiner Sicht eigentlich ne kalibrierbare Größe sein, dass sie sich wirklich der Situation, der definitiv vor handenen Situation anpasst." [Z.: 843 - 847]

Nur teilweise bei ähnlichen Konfliktumständen kann man sich an einer allgemeinen Richtschnur in seiner Entscheidung orientieren. Als L. noch jünger war, spielte Körperkontakt neben der sprachlichen Klärung in der Handhabung solcher Situationen eine wichtige Rolle, um das Kind zu beruhigen oder ihm eine Grenze zu verdeutlichen.

" Körperkontakt, Körperkontakt, ganz viel streicheln, ganz viel in Arm nehmen, ganz viel aber auch zeigen bis hierher und nicht weiter." [Z.: 861 - 863]

Jetzt versucht Herr B., Auseinandersetzungen vorrangig vernunftmäßig und sprachlich zu lösen, indem versucht wird, eine gemeinsame Verständigungsbasis zu erreichen. Diese Abklärung von Konflikten ist Herrn B. wichtig, denn eine weiterschwelende Missstimmung empfindet er als belastend, zumal ein Streit es ja auch ermöglicht, aufgestaute Differenzen in Ordnung zu bringen.

"Ähm, ich versuche eigentlich Konflikte so weit es eben möglich ist, ja, rationell zu klären. Also irgendwo zu sagen, ich ähm, ich kann dich verstehen, dass du sauer bist, ich kann aber auch den anderen verstehen, mit dem du gerade, oder du musst auch, wenn wir die Konflikte haben, ich möchte auch gerne erreichen, dass du mich verstehst, dass ich sauer bin. Ja? Und kriegn wir das nicht irgendwie gebacken. [...] und dass wir dann vielleicht zu ner Lösung kommen, die irgendwie, mit der wir beide pennen können, ja oder was." [Z.: 811 - 825]

Weiterhin sind für Herrn B. konsequente Reaktionen und Strafen wichtig in der Erziehung, da Kinder lernen müssen, welche Konsequenzen ihre Handlungen hervorbringen, auch die ungünstigen. Die deutsche antiautoritäre Erziehung bewertet Herr B. in diesem Zusammenhang als ambivalent. Für ihn ist es notwendig, Kindern Handlungsgrenzen aufzuzeigen, gerade auch in der heutigen Zeit. Zudem sind Grenzen auch zur Vermeidung der eigenen Gefährdung bedeutsam.

" ... und ich selbst bin eigentlich zu dem Schluss gekommen, s gab sicher ne Menge guter Dinge oder guter Aspekte der APO, beziehungsweise auch der antiautoritären Erziehung, äh, aber es ist einfach nötig, dass nen Kind heute und gerade heute, heute fast mehr denn je, äh, lernt, dass es, dass es Grenzen gibt, die auch im Sinne des Selbstschutzes gut sind." [Z.: 905 - 910]

Des Weiteren möchte Herr B. seinen Sohn nicht überbehüten. So nennt er als Beispiel die Raufspielchen zwischen ihm und L., bei welchen der Sohn seine Kraftgrenzen austesten kann, aber auch damit rechnen muss, dass manche Aktionen ihm selbst Schaden können. Eine wesentliche Erfahrung sei auch der Umgang mit Schmerzen.

"Und äh, dass er wiederum, also äh, ja auch seine, seine Kraftgrenzen erkennen lernt. Ja, so das und auch das Gefühl, was es heißt, mal plötzlich so, äh, so richtig dazu hängen und es, es tut dann auch mal weh." [Z.: 866 - 869]

2.5.4.5. Erziehungserfolg

Herr B. bewertet seine erzieherischen Maßnahmen bis zum jetzigen Zeitpunkt alswirksam und im täglichen Miteinander gut funktionierend.

" Und, äh, bisher fahrn wer gut damit. Bisher fahrn wer gut damit." [Z.: 606 - 607]

2.5.4.6. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Herr B. beschäftigt es sehr, wie und inwieweit seine Behinderung und sich daraus ergebende Handlungen sein Sohn beeinflusst haben könnten. So weist er darauf hin, dass er L. bereits früh angehalten habe, seine Wahrnehmung in Worte zu fassen, da hindeutende Gesten für ihn nicht nachvollziehbar sind. Ähnliches vermutet er für das starke Bedürfnis des Kindes nach Körperkontakt. Dies sei vielleicht eine Auswirkung seiner verstärkten behinderungsbedingten körperlichen Zuwendung, da er seinen Sohn oft anfassen musste, um über den Zustand seines Kindes Bescheid zu wissen.

"Und das merkt auch man häufig noch. L. äh, is gern mit uns, also mit mir und mit meiner Frau zusammen, aber er isn äh, äh, nen Kind was, was so ähm, ja des, des nicht das Schmusen unbedingt in jedem Fall, aber einfach so des Anfassen und hier bin ich und da bist du. Das brauchts irgendwie. Ne? Das is schon da. Und das mag aus dieser Zeit resultieren." [Z.: 884 - 891]

2.5.5. Väterliches Handicap

2.5.5.1. Persönlicher Umgang

Herr B. beschreibt sich als einen Mensch mit allgemein positiver Zukunftssicht, der sich von der gesellschaftlichen Jammerkultur abgrenzen möchte. So nimmt er seine Behinderung als einen Fakt hin, mit dem er sich versucht zu arrangieren. Nach Herrn B. zwingt eine Beeinträchtigung zur Auseinandersetzung damit, dass die Teilhabe an gewissen Lebensbereichen unmöglich ist.

" Es gibt einfach Faktoren, Fakten und Lebenssituationen, mit denen musste dich halt, wenn de irgend nen Handicap hast, versuchen zu arrangieren. Ja? Des is so ähnlich wie mit den Tauben oder mit dem hörmäßig eingeschränkten Menschen, ders halt überhaupt nicht nachvollziehn kann, dass sich seine Leute, die am Nebentisch sitzen oder bei ihm sitzen, permanent über irgendwelche Hifi-Anlagen unterhalten, sone Geschichten gehn ihm letztendlich ir gendwo ab." [Z.: 1059 - 1066]

In seinem Fall ist es der visuelle Bereich, welchen er für sich selbst als uninteressant bewertet. Im Umgang mit seinem Sohn, wenn dieser seine Umwelt beschreibt, betont Herr B. seinen Vorteil gegenüber anderen blinden Eltern, dass er durch seine spätere vollständige Erblindung noch bildhafte Erinnerungen an die Welt habe.

Herr B. stellt an sich selbst den Anspruch der völligen Selbstkontrolle bezüglich zu erledigender Aufgaben. Wenn er sich dafür entscheidet, bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen, möchte er sie ohne Mithilfe eines anderen ausführen können.

"Und des is jetzt wiederum ne Macke bei mir, [...] Ich möcht die Dinge, wenn ich sie tue, möglichst 100prozentig selbst kontrollieren können. Das Werden oder das nicht Werden der Sache, die da entsteht, möcht ich kontrollieren können." [Z.: 742 - 749]

Dies gilt auch für seinen Anspruch, seinem Sohn eigenständig und nach eigenem Vermögen zu helfen.

2.5.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Herr B. geht davon aus, dass es unpassende Reaktionen auf Menschen mit Behinderungen immer und überall geben wird, da viele Leute verunsichert sind, weil sie auch nicht wissen, wie sie mit der Behinderung des anderen umgehen sollen und auch die Umwelt nicht auf Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingerichtet ist. Ebenso verwirrt es andere, wenn Menschen mit Behinderung zwanglos mit ihrer Beeinträchtigung umgehen.

"Also es ist einfach, ömm, es irritiert Leute, immer wieder wenn, dass es gelegentlich Behinderte gibt, in diesem Fall blinde oder sehbehinderte Leute gibt, die äh, ja mit ihrer Behinderung eigentlich eher, ja nicht hemdsärmelig umgehen, hemdsärmelig geh ich gewiss nicht damit um. Aber äh, sagen wir mal, das, das nicht zum Vordergrund ihres Lebens machen, sondern es läuft einfach so." [Z.: 1114 - 1120]

Herr B. selbst hat einige unangenehme Situationen ausstehen müssen. Als extremes Beispiel schildert er eine Busfahrt zusammen mit seiner Frau, bei welcher der überwiegende Teil der Anwesenden seine Offenlegung diskriminierenden Verhaltens bejubelt, während eine ältere Dame ihm seine Kompetenz zur Selbstvertretung abspricht.

"Als wir zusammen im Bus saßen, da saß uns mal ne Dame gegenüber und dann fragte sie, mit Blick auf mich meine Frau: "Ist er denn blind?" Meine Frau tippt mich an, ich tipp meine Frau an und das war für uns so das innere Gefühl, jetzt machen wir ein Spielchen daraus. Meine Frau sagt zu mir: "Manni, du bist soeben gefragt worden, ob du blind bist." Und da sag ich: "Sag der Dame bitte: ja." Sagt meine Frau: "Sie habens selbst gehört, ich soll ihnen sagen, ja." (Lachen) Oh, das ging fünf Minuten lang! Sie hat denn immer: "Wie lange hat er das denn schon?" Auch so kleine Pausen dazwischen, so richtig loriotmässig, ne? Meine Frau sagt: "Manni, du bist soeben gefragt worden, wie lange du das denn schon hast." Sag ich: "Sag der Dame bitte, seit ich zehn bin." Sagt sie: "Ich soll ihnen sagen, seit er zehn ist." Sie hat mich nicht direkt angesprochen, sie hat immer nur meine Frau und das wollten wir einfach karikieren. Der Bus war still und immer wenn son, wenn son Dialog rum war, Beifall klatschen, grölen, Gelache, es war absolut klasse. Die is dann irgendwann ausgestiegen aus dem Bus (lacht) völlig entnervt (lacht). O Gott, o Gott, es war so schrecklich." [Z.: 1215 - 1233]

Auch im Hinblick auf dieses Erlebnis in der Provinz ist Herr B. der Auffassung, dass eine Großstadt eine entspanntere Atmosphäre bezüglich seiner Behinderung aufweist als dies auf dem Dorf der Fall wäre, weil eine Großstadt allein schon durch ihre hohe Einwohnerdichte mehr Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Umganges mit anderen Leuten biete. Eine Großstadt schütze vor Anfeindungen und verringere unangenehme, diskriminierende Situationen.

" ... aber, ähm, im Allgemeinen muss ich sagen, . grad hier in T. ist das schon ganz schön. Man kann, äh, das muss man auch wieder sehn, da hab ich die Erfahrung gemacht, je kleiner die Stadt, desto komischere Sachen könne man in der Beziehung erleben." [Z.: 1205 - 1209]

Dennoch verhindere auch eine Großstadt wie die seinige mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, Menschen mit Behinderung zu treffen, nicht die Diskriminierung des Einzelnen. So erlebte es Herr B., dass sich das Personal des Kindergartens seines Sohnes weigerte, auf seine Bedürfnisse einzugehen, und er immer seine Frau als Verbindung in der Kommunikation zwischen Kita und Zuhause brauchte, weil viele Ankündigungen schriftlich erfolgten und per Hand verfasst waren und in seinen Computer diese Mitteilungen so nicht eingelesen und in Braille umgesetzt werden konnten. Beschwerden gegen dieses Behandlung, auch mit dem Verweis, dass man einen Vertrag mit dem Kindergarten abgeschlossen und ein Recht darauf habe, informiert zu werden, blieben wirkungslos.

"Die [im alten Kindergarten] ham Zettel mit der Hand geschrieben und ham se ausgehängt. Grundsätzlich nichts dagegen zu sagen, bloß der Scanner, der Handschrift lesen soll und sie dann in Klarschrift umsetzen kann, den gibts noch nicht. Ich habe das mehrfach beanstandet. Ich habe es mehrfach über den Elternbeirat beanstandet. Es war der Kindergartenleitung egal." [Z.: 1277 - 1282]

Als sein Sohn die Kita wechselte, tätigte Herr B. gleich von Beginn des Kontaktes an grundsätzliche, persönliche Absprachen, so dass diese Kita sich auf seine Bedürfnisse entsprechend eingestellt habe. Viel hänge dabei auch mit dem jeweiligen institutionellen Personal zusammen.

"Bescheid sagen? Ja, also sag mer mal so, das geht im jetzigen Kindergarten auch besser. Sag ma die Grundlinie der äh, man geht, man geht darauf besser ein. Es is, es is, wirklich ne Frage des Personals." [Z.: 1306 - 1309]

Von anderen blinden Eltern hört er oft ähnliche Probleme mit den Schulen. Dies ist für Herrn B. auch deshalb unbegreiflich, weil eigentlich weitestgehend alle Institutionen nun über Computer verfügen und gerade die neuen Medien die Chance zwischen gleichberechtigter Kommunikation zwischen Sehenden und Nichtsehenden bieten. Zudem seien viele Hilfsmittel der Verständigung weniger kostspielig als von den meisten Menschen angenommen, bewirken aber viel Positives.

"Also die, das is ja das Irre, das begreifen halt auch viele Leute nicht, ähm, dass zum Beispiel der Computer als Mittler, als Mittlermedium, zwischen Sehenden und Blinden heute Mittel und Wege eröffnet, die gar nicht teuer sein müssen, die aber riesig viel bewegen können, weil man letztendlich auf der einen und selben Ebene kommunizieren kann." [Z.: 1327 - 1332]

2.5.6. Beziehung zum Kind

2.5.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Herr B. beschreibt seine Beziehung zu seinem Sohn als freundschaftlich und offen im Umgang miteinander. Er genießt die Aktivitäten, welche er allein mit seinem Sohn unternimmt wie zum Beispiel der samstägliche Einkauf. Sein Kind heranwachsen zu sehen und daran Anteil zu nehmen, bewertet er als außergewöhnliches Erlebnis. Herr B. bekommt von seinem Sohn oft ein Gefühl gegenseitiger Unterstützung vermittelt, so dass er selbst der Meinung ist, dass ihr Verhältnis, welches sowohl hierarchisch, wie Vater und Sohn, als auch ebenso gleichwertig wie zwischen Freunden sei, nicht ganz einer Vater-Kind-Beziehung entspreche.

"Das ist ein, ja, vielleicht nicht so nen ganz Vater-Kind gemäßes Verhältnis, [...] ja klar Vater-Kind aber eben auch ‚Kumpels sind unterwegs', ne? Kann ja nichts passieren. Einer passt so nen bisschen auf den anderen auf, klappt dann schon alles. Ne? Das ist ein tolles Gefühl, ne?" [Z.: 241 - 246]

Bereits als Säugling hat L. seinen Vater positiv überrascht, da er ganz im Gegensatz zu den väterlichen Vorstellungen ein pflegeleichtes Baby war. Herr B. nahm an, dass das Zusammenleben mit einem Kleinkind fast ausschließlich aus elementarer Bedürfnisbefriedigung seitens der Eltern, Schlafmangel und Schreien seitens des Babys bestehe. Zu seinem Erstaunen jedoch schläft der Sohn bald die Nächte durch und scheint gut alleine zurechtzukommen. Herr B. erzählt, dass L. alles souverän bewältigte, notwendige Bedürfnisse meldet er von selbst an.

"Er hat uns eigentlich irgendwie, er hat uns eigentlich immer, uns beiden kann ich sagen, meiner Frau und mir, das Gefühl vermittelt ähm, . macht mal hin, ich komm schon klar! Und was ich brauch, äh, das sag ich euch schon. Und irgendwie ham wir das auch so aufgefasst, und das, das lief auch dann hier unheimlich schön." [Z.: 117 - 121]

Herr B. beschreibt seinen Sohn als sozial aufgeschlossen, er ist zufrieden mit dessen Freundschaften und seinem sozialen Umfeld. Er ist stolz auf die soziale Kompetenz und die Selbstständigkeit seines Kindes, auf welche er auch vertrauen kann.

" ... aber er hilft mir dabei, indem er, also ihn [den Stress] zu bewältigen, oder ähm, einfach mit dem umzugehen, indem er ganz souverän auf Straßen, auf Ampeln zum Beispiel, ganz souverän reagiert. Und nicht sich irgendwie den Mist leistet, bloß weil fünf andere bei rot rüber gegangen sind, auch mal bei rot rüber zu gehen. Ne? Das macht der nicht." [Z.: 230 - 235]

Im Vergleich mit seiner eigenen Persönlichkeit in diesem Alter bewertet er seinen Sohn als wesentlich kompetenter bei Regelungen gewisser Situationen.

Herr B. bekommt seitens seines Sohnes das für ihn beruhigende Gefühl gegenseitigen Achtgebens aufeinander vermittelt, nicht in Worte gefasst, doch L. strahle diese Einstellung über sein selbstständiges, verantwortungsbewusstes Verhalten, mit welchem er seinen Vater unterstütze, aus. Auch gibt L. sein Vertrauen in die alltägliche Bewältigung darüber, dass nur jeder sich bemühen soll, seinen Teil im Rahmen seiner Fähigkeiten zu leisten, an Herrn B. weiter.

"Und äh, das ist so, so des Gefühl, du kannst mir vertrauen, ich, ich pass schon auf, auf mich. Ich pass auf, auf uns. Und wenn du nen bisschen mitmachst und das, was de machen kannst, machst, dann kriegen wir das auch hin. Sagt der mir nicht so. Aber ich, ich empfinde das einfach so." [Z.: 237 - 241]

2.5.6.2. Beziehungsebene

Herr B. stellt den Anspruch an sich selbst, seinem Kind eigenständig und nach eigenem Vermögen zu helfen. Sorge bereitet ihm der baldige Schuleintritt seines Sohnes, da Herr B. vermutet, dass sich schulisches Lernen größtenteils auf visuelles Lernen stütze, welches für ihn nicht nachvollziehbar ist.

" ... ich weiß noch nicht, was passiert, wenn er in die Schule kommt. Da gibts dann wiederum so Situationen, da hab ich nen kleines bisschen, na, ja, Angst is übertrieben, aber ich mach mir ne gewisse Sorge, das wird sehr schnell in Bereiche rein gehn, bei denen ich ihm nicht helfen kann, aufgrund der Tatsache, dass Schulbücher verwendet werden, die ich nicht nachvollziehen kann. Weil ja heute das, gerade das Erstklässlerlernen sehr stark visuell orientiert ist. Wo eben zum Teil auch, äh, so die ersten Leseerfahrungen gar nicht mehr mit Buchstaben gemacht werden, sondern, ja mit der Erklärung von Bildern zum Beispiel." [Z.: 728 - 737]

Er befürchtet, dass dieses schulische Lernen ihn zur Beschränkung oder gar Abgabe von Unterstützungsangeboten für das Kind zwingt. Weiterhin ist sich Herr B. unsicher, ob er in der Lage ist, dann immer einschätzen zu können, ob Hilfe gegenüber seinem Sohn nun möglich ist oder nicht.

"Und da seh ich möglicherweise, ich weiß nicht, ob mirs immer gelingen wird, öhm, dann eh, so den richtigen, ach, den richtigen Abstand zu finden, beziehungsweise das richtige Verhältnis zu finden, zu sagen, öhm, ich kann bestimmte Dinge nicht dir helfen, oder ich kann bestimmte Dinge einfach, da komm ich nicht weiter, weil ich das nicht sehn kann, äh, oder ich kann dir nicht helfen, äh, beziehungsweise oder da, da kann ich dir auf jeden Fall helfen und das will ich jetzt machen." [Z.: 755 - 762]

Bereits jetzt erweitert das wachsende Interesse von L. für Bücher den nicht teilbaren Erfahrungsbereich von Vater und Sohn, da visuelle Medien nur begrenzt gemeinsam über den sprachlichen Austausch erlebbar sind.

"Ja, das ist natürlich auch son Punkt manchmal mit dem Lesen, ömm, oder dieser Vorfreude auf Bücher, oder auf, ja, vor, vor vornehmlich visuelle Medien, öhm, da steh ich natürlich auch manchmal so bisschen davor wie der Ochs vorm Berg." [Z.: 1044 - 1047]

Ebenso erwähnt Herr B. aber auch, dass sich aus seiner Behinderung Fähigkeiten ergeben, welche seinen Sohn mit Stolz erfüllen. Gegenüber seinen Peers im Kindergarten habe dieser bereits seinen Vater gerühmt, welcher über die Beherrschung der Braille-Schrift in der Lage sei, auch im Dunkeln vorlesen zu können.

"Er hat zum Beispiel vor ner ganzen Weile schon im Kindergarten stolz wie ein Spanier erzählt, ‚Ätsch, mein Papa kann aber im Dunkeln lesen.' Das ist so Klasse, ja? So richtig, hier Dings, ne, weil, weil ich hab ihm halt auch schon das eine oder andere in Braille vorgelesen und da ist es nun unerheblich, ob es hell oder dunkel is, ne? Und das findet er, glaub ich, auch spannend." [Z.: 1027 - 1033]

2.5.6.3. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

Herr B. ist erleichtert, dass sein Sohn so kooperativ ist bezüglich seiner Art väterlicher Handlungen, die teilweise aufgrund seiner Behinderung nicht anders zu bewältigen sind.

"Und er hat auch damit überhaupt kein Problem, wenn ich das Gesicht anfasse. Er weiß, dass das bei mir nicht anders geht. Ist er auch völlig, völlig kooperativ. Macht er keine Sperenzien oder so irgendwas. Das finde ich absolut klasse. Da ham wir irgendwie, das klappt sehr gut." [Z.: 333 - 337]

Darüber hinaus, erzählt Herr B., beachtet sein Sohn nicht nur in der Kommunikation mit ihm seine Behinderung und stimme sein Verhalten an den Möglichkeiten des Vaters ab, sondern L. versuche auch, seinen Vater in seine sehende Welt einzubeziehen, ohne dass Herr B. ihn explizit darum gebeten habe, dies geschehe auf Initiative des Kindes.

"Und das hab ich ihm nicht gesagt. Ich hab nie gesagt, erklär mir das jetzt bitte, zeig mir das jetzt bitte, ich will das jetzt auch sehen. Er hat es von sich aus gemacht." [Z.: 1016 - 1018]

So beschreibe L. oft seinem Vater von sich aus die Umwelt, wenn sie zusammen spazieren gehen. Auch versuche der Sohn mit eigenen Mitteln und den Tastsinn des Vaters nutzend, diesen an seinen sehenden Erfahrungen teilhaben zu lassen. Da dem Kind die Grenzen väterlicher Wahrnehmung bekannt sind, überlege er, wie er Visuelles für den Vater verdeutlichen kann.

"Er kam irgendwann mal, ‚Ich möcht dir was zeigen, Papa.' Also ja ich komm mal mit, hat er mir, in seinem Zimmer hat er ne Tafel stehen, auf einer Seite Schreibtafel, so ne Kreidetafel, auf der anderen Seite Magnettafel. Dann hat der tatsächlich nen Bild so wie er sich vorstellt, als Relief, als Skulptur sozusagen, als 3-D-Skulptur auf diese Tafel gesetzt mit diesen Magnetsteinen. So dass ich sie anfassen konnte, ja?" [Z.: 1005 - 1012]

Auch probiert L. teilweise Probleme zwischen seinem Vater und nichtblinden Menschen zu lösen und unterstützt beide Seiten in der Kommunikation.

" ... kam auch so nen Mädchen an, hat ihn, hat, wollte mir irgendein Sandspielzeug zeigen, und er dann auch, ich hab wohl gemerkt, die war dann da ja und Dings und ba, hör ich L. dann von Weitem, ,Ja, du musst das mein Papa schon in die Hand geben, er kann nicht gucken.‚ Ne? Er macht (lacht) so völlig (lacht) so irgendwie (lacht) er guckt dann auch schon mal rüber, sag ich, ,Dank dir, hast mir prima geholfen.' Ne, toll." [Z.: 1130 - 1136]

2.5.6.4. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Herr B. äußert allgemein, dass Kinder mit sehendem und nichtsehendem Elternteil frühzeitig zwischen den beiden Wahrnehmungs-Spielräumen unterscheiden lernen und sich darauf einstellen. Ebenso zeige sein Sohn gegenüber den beiden Elternteilen unterschiedliche Verhaltensweisen.

"Und das erleb ich halt bei vielen Kindern, die mir bekannt sind, mit einem Teil blind, einem Teil sehender Eltern. Äh, das die Kinder sehr früh, sehr fein und sehr elegant äh, differenzieren lernen." [Z.: 1022 - 1024]

Weiterhin seien Kinder blinder Eltern oft früh sprachlich weit entwickelt. Auch sein Sohn habe bereits früh gesprochen, Herr B. vermutet, dass dies mit seiner Behinderung zusammenhängen könnte, da sein Sohn darüber gezwungen war, sich sprachlich präzise zu äußern, um sich mit seinem Vater zu verständigen und eigene Bedürfnisse einzufordern.

"L. war im Verhältnis zu vielen Kindern im Kindergarten verbal relativ früh dran. Das mag daran liegen unter anderem, dass er äh, von Anfang gehalten, wenn er mit mir direkt zu tun hatte, gehalten war, mir nicht Dinge mit da, da zu erklären, sobald der nämlich nen paar Worte konnte, hab ich dann schon gesagt, ja, du, ich brauchs genauer, was meinst du. [...] Und dann hat er auch richtig er, er sah sich gezwungen, in klaren und eindeutigen Sätzen zu sprechen und mir letztendlich auch plausibel zu machen, was er will, oder was er da sieht." [Z.: 1164 - 1174]

2.5.6.5. Kindliche Assistenz

Als eine Erwartung der Umwelt an Kinder mit einem blinden Elternteil beschreibt Herr B. die Forderung an diese Kinder, dass sie die Verantwortung für ihre Eltern übernehmen und auf sie aufpassen. Auch mit seinem Sohn habe er solche Reaktionen bereits erlebt.

"Zum Beispiel, ich habs einmal erlebt, wir standn an ner, an ner Ampel, und warn mitten auf der Straße, warn, ich war hochkonzentriert, äh, er hat auch zugesehen, dass er auf sich und irgendwie, ja, irgendwie auch auf mich aufpasst, was auch immer, und da kreischt einer, irgend ne ältere Dame, uns hinterher, ihm, ihn, nicht mal mich, ,Du musst aber', da war der, da war der knapp vier, ne, ,du musst aber deinen Papa ordentlich führn!' Und da habe ich mich umgedreht, ,Der führt sich schon selber, der Papa.'" [Z.: 1197 - 1204]

Herr B. vermutet, dass, wenn er mit seinem Sohn auf Reisen gehen würde, andere Leute L. als seinen zweibeinigen Führhund betrachten würden. Herr B. wehrt sich gegen diese stereotype Festlegung seines Kindes aufgrund seiner Behinderung. Sein Sohn habe keine Assistenz zu leisten und Herr B. hat an sich selbst den Anspruch, L. nicht seine Verantwortung zuzuweisen.

"Er wird, L. wird oder ich werde L. niemals und habe bisher L. niemals, äh, meine Behinderung bewusst, ganz bewusst spüren lassen. Also ich bin nie hingegangen, hab gesagt, du äh, hilf mir jetzt, weil ich bin blind, ich kann des nicht, ja?" [Z.: 984 - 988]

Ebenso bemerkt er, dass er acht geben muss, dass L. nicht ausweitender versucht, permanent Dinge für ihn zu regeln oder seine Position zu verteidigen. Die Hilfe seines Sohnes ist für Herrn B. nicht selbstverständlich, zumal er dieser Unterstützung auch nicht bedürfe. Ganz selten bitte er L. im Bedarfsfall ihm behilflich zu sein. Die gemeinsame Bewältigung in solchen Situationen erfülle Vater und Sohn mit Freude und Stolz, Gefühle, welche in diesem Rahmen rechtens seien.

" Ich, oder wenn ichs brauche, oder das Gefühl hab, dann sag ich ihm das. Und dann, wenn das dann gut gelaufen ist und alles dann, dann sind mer auch mächtig stolz aufeinander. Dann haben wir das wirklich ganz toll hingekriegt. Das is, das is dann ein schönes Gefühl, das ist ein legitimes Gefühl. " [Z.: 1246 - 1251]

2.5.6.6. Normalität

Herr B. erlebt väterliche Freude über die erlebte Normalität im Zusammenleben mit seinem Kind. Seinem Sohn sei seine Behinderung gleichgültig. Auch ist Herr B. erleichtert über das kooperative Verhalten von L. bei väterlichen Handlungen, welche er aufgrund seiner Behinderung nicht anders bewältigen kann. Seinem Sohn sei es von sich aus klar, dass bei seinem Vater bestimmte Dinge nicht anders ablaufen können.

"Äh, das sind so diese Momente, wo ich dann wirklich merke, da ist einer, der, der erklärt, also da ist ein Mensch auf die Welt gekommen, der ist seit sechs Jahren lang mit uns zusammen, jetzt speziell im Bezug auf mich, dem ist eigentlich die Tatsache, dass ich, äh, jetzt, äh, sehbehindert, beziehungsweise blind bin, scheißegal. Der, der geht darauf ein, äh, aber so wie er es eben kann, macht da kein riesen Brimborium drum, äh und das ist ein unheimlich tolles Gefühl." [Z.: 176 - 183]

Zudem sei das kindliche Eingehen auf den Spielraum des Vaters keine Folge von restriktiver Erziehung oder krankhafter Ängstlichkeit.

"Er läuft bei mir an der Hand [auf der Straße], ich hab ihm nie gesagt, du bleibst jetzt bei mir! So diese, dass er sozusagen übermäßiges Sicherheitsgefühl entwickeln müsste. Oder er so nen bleib-hier-, äh, äh, Trauma hätte, oder so was. Er bleibt einfach!" [Z.: 194 - 198]

2.5.6.7. Zukunft

Für Herrn B. stellt das Heranwachsen eines Kindes für die Erziehenden teilweise auch harte Ansprüche. Besonders für die Pubertät antizipiert er von seiner eigenen Erinnerung her Konflikte, auch Auseinandersetzungen, in welchen sein Sohn nicht bereit ist, auf seine Behinderung entsprechend einzugehen. Herr B. hofft, angemessen in der Pubertät auf Konflikte reagieren zu können. Allgemein wünscht er sich, dass alle Familienmitglieder von der gemeinsamen Familienzeit für sich persönlich profitieren.

"Dann kann man sagen, o.k. das warn vielleicht 18, 17, 16, 17, 18 schwere Jahre zum Teil, aber es waren am Ende stehen alle irgendwie als Gewinner da. Und das finde ich gut. Da würde ich mich freuen drüber, wenn des, wenn es so kommen könnte." [Z.: 653 - 657]

2.5.7. Familienleben

2.5.7.1. Alltagsgestaltung

Zwischen Herrn B. und seiner Frau richtet sich die familiale Aufgabenverteilung nach der Verfügbarkeit, wer gerade Zeit hat, und nach der Erforderlichkeit der zu erledigenden Dinge. Weniger erfolge die Arbeitsteilung nach geschlechtsspezifischen Kriterien.

"Bei uns wird halt ganz viel nach Notwendigkeiten entschieden, nicht so nach der Devise, Männerarbeit, Frauenarbeit." [Z.: 502 - 504]

Herr B. spürt, dass seine Umwelt und auch seine Familie teilweise überlegen, ob anstehende Aufgaben von ihm zu bewältigen sind und ihm damit übertragen werden können. Doch akzeptiert es seine Familie, wenn er entscheidet, Erledigungen zu übernehmen und damit auch die Verantwortung im Falle des Missglückens.

"Ich hab schon das Gefühl, da sind irgendwo Unterschiede und ich erlebe es auch immer mal wieder, dass man sozusagen differenziert und auch mein Sohn differenziert, vielleicht auch meine Frau bei dem einen oder anderen differenziert, kriegste das dann hin und rauf und runter, wobei, ömm, es ihr genügt und allen genügt, wenn ich sage, ich habe für mich entschieden, dass ich das jetzt mache und ich kriege das hin." [Z.: 489 - 495]

Seine Behinderung empfindet Herr B. manchmal als starkes Argument, welches ihm die Durchsetzung seines eigenen Willens im Gegensatz zu seiner Frau erleichtert. Herr B. bemerkt, dass er sich selbst kontrollieren müsse, dass seine Behinderung nicht zu sehr Mittel zur familialen Rücksichtnahme werde, denn möglicherweise nutze er seine Beeinträchtigung unbewusst in der familialen Organisation zum eigenen Vorteil aus.

"Öhm, wobei ich sag mer mal schon auch die Möglichkeiten, äh, ausspiele, sagen wir jetzt mal, die ich jetzt als, als Blinder hab, vielleicht, vielleicht besser sogar als meinetwegen meine Frau, die normal sehen kann, oder jetzt ein sehender Partner hätte, viel leichter als sie, aber ich machs nicht bewusst." [Z.: 484 - 489]

2.5.7.2. Familiensituation

Herr B. möchte Verbesserungen für die Lebenssituation von Eltern mit Behinderung nicht allein von höheren Institutionen abhängig machen, da die höhere Politik zu sehr an bestimmte Interessen gebunden oder nicht in der Lage sei, Dinge richtig einzuschätzen. Auch die bis dato in Deutschland fehlenden Antidiskriminierungsgesetze wie in den USA scheitern an der bürgerlichen Sichtweise, Veränderungen könnten allein von staatlicher Seite iniziiert werden. Strukturen seien aber eher durch ein echtes Engagement im Bürgersinn nach den Bedürfnissen der Betroffenen zu gestalten.

"Also, ich denke, . ähm, des is so als ähm, Quintessenz meiner bisherigen Erfahrungen, als sagen wir mal Vater, behinderter Vater, mit nem sogenannten nichtbehinderten Kind, wichtig, dass ma, bevor man in die ja, in die große Politik rennt und jetzt Dinge, gesellschaftliche Verhältnisse einfordert,[...] in der, ja, auf nicht auf Behinderung angelegten Umwelt verbessern helfen, dass mans eigentlich zunächst mal im Kleinen probieren sollte." [Z.: 1368 - 1376]

Als den kleinsten Wirkungskreis beschreibt Herr B. die Familie, hier könnten Veränderungen beginnen und die veränderte Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung könne sich von dort ausweiten.

"Und ähm, da ist meines Erachtens, dem is eigentlich nur entgegenzusetzen, dass man versucht im Kleinen und von der Familie ausgehend, Entwicklungen anzustoßen, die, die äh, dann vielleicht mal nach oben durchschlagen. Wenn man jetzt mal diese Metaphern oben und unten gebraucht." [Z.: 1405 - 1410]

2.5.8. Kommunikative Validierung

Leider war es Herrn B. nicht möglich, seine Darstellung des Interviews zu lesen und Korrekturen und Hinweise anzumerken, da meine Versendung der Interviews zeitlich in seinen Familienurlaub fiel. Er schrieb mir, ich solle "das entstandene Material nach Gutdünken bzw. nach eigenem Ermessen" (Korrektur Herr B., Z. 8) verwenden.

2.6. Interview mit Herrn C.

2.6.1. Vorbemerkung

Herr C. meldet sich auf meine Anfrage beim Bundesverband chronisch kranker und behinderter Eltern. Als ich einen Freund Ende Januar in der Stadt, in welcher Herr C. wohnt, besuche, verabreden wir per Telefon einen Gesprächstermin. Bereits hier bemerke ich die schwere Verständlichkeit der Aussprache von Herrn C. Das Interview findet in einem kleinen Seitenraum der Wohnung von Herrn C. statt, während sein Sohn bei Freunden ist und seine Frau unterwegs. Zum Ende des Gespräches lerne ich auch Frau U. kennen. Trotz einer ruhigen Atmosphäre und obwohl Herr C. und ich nah beieinander sitzen, bereitet es mir teilweise große Probleme, ihn sprachlich zu verstehen. Herr C. spricht sehr konzentriert und hat oft sehr viel Mühe mit seiner Atmung, weswegen ich Herrn C. die Gesprächsentwicklung zum großen Teil überlasse und nur spärlich nachfrage.

Bei der Transkription des Interviews wird schnell deutlich, dass nur ungefähr zwei Drittel der Gedanken von Herrn C. vom Tonband abzulauschen sind und auch diese Aussagen in ihrer Korrektheit fraglich sind. Da Herr C. mir mitteilt, dass er zwar an einer Korrektur des Gesprächs Interesse habe, sich aber nicht eigenständig dazu in der Lage sehe, da sich sein Zustand weiter verschlechtert habe, besuche ich Herrn C. im Juni nochmals. Während eines Gespräches auf der Terrasse, eine Örtlichkeit, welche Herr C. bevorzugt, besprechen wir den Text. Auf eine Tonbandaufnahme verzichte ich diesmal, da Herr C. noch schlechter zu verstehen ist als im Januar. Ich lese das Transkript in kleinen Abschnitten vor, frage konkret nach und erbitte immer wieder eine mündliche Bestätigung meiner Interpretation. Herr C. hört sehr konzentriert zu, teilweise mit geschlossenen Augen. Bei groben Unklarheiten liest er selbst den Text nach. Bei diesem Treffen lerne ich auch seinen Sohn kennen, welcher, nachdem er mit seiner Mutter vom Kindergarten kommt, erst einmal seinen Papa in Beschlag nimmt. Das letzte Drittel der Besprechung verläuft nun weniger ungestört, im Hintergrund immer die Geräuschkulisse des spielenden Kindes, manchmal setzt sich auch Frau U. zu uns und zum Ende kommt auch noch der Assistent von Herrn C.. Dies alles verunsichert Herrn C. weniger als mich.

Meine Befürchtung, ich könnte Herrn C. mit meiner Rückversicherung und dem nochmaligen Besuch lästig sein, zerstreut dieser von selbst, als mir Herr C. sagt, wie froh er sei, "so wichtig genommen zu werden", dass ich nochmals extra gekommen sei und es somit eine andere Möglichkeit gegeben habe, das Interview zu besprechen, als per email, welches er nicht mehr schaffe.

Die Zitate sind folgendermaßen zu deuten. Alle Äußerungen unseres ersten Gespräches sind kursiv gedruckt. Bei der zweiten Begegnung fertigte ich ein Protokoll an. Dessen Angaben sind gerade gedruckt, wobei wörtliche Zitate in Anführungszeichen stehen.

2.6.2. Biographischer Hintergrund

Herr C., 41 Jahre, wohnt mit seiner 39jährigen Frau U. und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn T. in einer Mietswohnung im Parterre mit Garten in einer mitteldeutschen Kleinstadt. Nach dem Abitur absolvierte Herr C. eine Ausbildung zum staatlich geprüften Masseur und arbeitet in diesem Beruf bis zum Ausbruch seiner Krankheit. Seit 1990 lebt Herr C. mit den Auswirkungen der Heredo-Ataxie, einer unheilbar chronisch fortschreitenden Erkrankung des Kleinhirns und der umgebenden Strukturen. Nach Beendigung seiner Masseurstätigkeit begann Herr C. eine Ausbildung zum klientenzentrierten Berater und Supervisor. Gleichzeitig studierte er Sozialpädagogik an einer Fachhochschule. Beide Ausbildungen beendete er erfolgreich. Bis 2003 war Herr C. an einem Institut als Berater tätig, zur Zeit übt er eine selbstständige Tätigkeit als Online-Berater aus, wobei zwei Bekannte, welche sich auch ein wenig auf therapeutischem Gebiet auskennen, für ihn den Text tippen. Wobei es Herrn C. jedoch wichtig ist, dass erkennbar bleibt, wer der "Täter" des Textes ist. Zur Schreibunterstützung und auch zur Mobilitätsunterstützung kann Herr C. neuerdings auf einen persönlichen Assistenten zurück greifen. da sein Assistent allerdings aus Togo komme und überwiegend französisch spreche, ein Sprache, welche Herr C. nie gelernt habe, gebe es in der deutschen Unterhaltung oft "Leerstellen". Seine Frau U., welche an Multipler Sklerose erkrankt ist, geht keiner Berufstätigkeit nach. Die Behindertenfreundlichkeit seiner Kommune schätzt Herr C. für blinde Menschen als positiv ein, für ihn als Rollstuhlfahrer jedoch als negativ. Seine Frau U. ist noch als Fußgängerin unterwegs.

2.6.3. Vaterschaft

2.6.3.1. Vater-Werden

Für Herrn C. und seine Frau war ihr Sohn ein Wunschkind. Da die Geburt anstrengend war und sich über einen langen Zeitraum erstreckte, war Herr C. im Nachhinein froh, im Krankenhaus den Rollstuhl dabei zu haben, den er in dieser Situation das erste Mal benutzte. Die fortschreitende Krankheit von Herrn C. zwingt ihn immer wieder aufs neue, sich mit weiteren Einschränkungen und Hilfsmitteln auseinander zu setzen, so dass auch die Benutzung des Rollstuhles ein weiteres Bekenntnis zu seinem Kräfteverlust darstellt. Herr C. erwähnt aber auch, dass sein Zustand zum nächtlichen Zeitpunkt der Geburt des Sohnes derart stabil war, dass er seinen Sohn wickeln konnte.

"Und dann das, dann gab es hin und wieder Hinweise darauf, dass ich schwer krank werden würde, also sehr krank. Und das war damals, ich habe meinen Rollstuhl damals bei der Entbindung im Kreißsaal das erste Mal benutzt, es war eine 32stündige Geburt, also die Geburt war sehr schwer. Und insofern war es gut, dass ich im Rolli war." [Z.: 9 - 13]

Herr C. äußert Stolz über seine Vaterschaft und Freude über sein lebhaftes und hübsches Kind. Die erste gemeinsame Zeit hat er als schöne Zeit in Erinnerung, in welcher die Familie auch öfters gemeinsam zu dritt unterwegs war. Dabei habe seine Frau ihn im Rollstuhl geschoben, während er den Kinderwagen vor sich her schob.

"Erstmal sehr viel Stolz. Stolz, Vater zu sein und so einen schönen Sohn zu haben. Und so ein lebendiges Kind zu haben." [Z.: 7 - 8]

Herr C. erwähnt auch, dass sowohl er als auch seine Frau aufgrund der Einschränkungen durch ihre jeweiligen Behinderungen Mühe hatten, mit den Entwicklungsschritten des Kindes mitzuhalten.

"Und, ja wir kamen kaum mit. U. ist auch krank, hat MS." [Z.: 16 - 17]

Die Geburt des Sohnes bewirkte bei Herrn C. einen Lebenswandel von einem unstetigen zu einem stetigen Alltag. Das Leben mit seinem Kind strukturiert den vormals ungleichmäßigen Alltag. So benennt Herr C. auch als wichtigsten Aspekt seiner Beziehung zu seinem Sohn die Kontinuität, welche er in sein Leben gebracht hat. Die kindlichen Ansprüche füllen die Zeit aus und bewirken eine Konzentration auf die Gemeinsamkeit, welche sich von der Routine, welche sich aus der Krankheit ergibt, abhebt.

"Ja, erst einmal die Kontinuität, die, die, äh so nichts mit der Krankheit zu tun hat, so Kontinuität. Die Kontinuität, die oft von ihm, von mir und ihm, von, dass ich zum Beispiel abends immer vorsinge." [Z.: 43 - 45]

Des Weiteren bemerkt Herr C., habe sich auch seine Einstellung zu sich selbst verändert, sein Selbst würde nun weniger im Zentrum seiner Wahrnehmung und Aufmerksamkeit stehen als vor der Geburt des Sohnes.

2.6.3.2. Versorgung und Betreuung

Die kindliche Versorgung gelingt Herrn C. teilweise sehr gut. Generell bemerkt Herr C., müssten Unternehmungen mit seinem Sohn vorstrukturiert werden. Als traditionelle väterliche Aufgaben beschreibt er das abendliche Vorsingen und den morgendlichen Gang zum Kindergarten.

" Ich möchte gern, dass ich ihn ins Bett bringe, er möchte gern, dass ich ihm vorsinge, was meine Aufgabe traditionell ist. Um halb acht morgens früh bringe ich ihn in den Kindergarten. Und das Gute, er ist hier inzwischen erfahren und wir fahren zum Kindergarten, der Kindergarten ist hier ganz in der Nähe." [Z.: 101 - 106]

Früher habe Herr C. auch den Kinderwagen geschoben und seinen Sohn gefüttert. Das Windeln des Säuglings beschreibt Herr C. als eine Aufgabe, welche für ihn selbst schwer zu erlernen war. Da sich sein Gesundheitszustand fortschreitend verschlechtere, habe er diese Fertigkeit so weit abgebaut, dass nun seine Frau gegebenenfalls das Kind wickle.

"Und dann ganz praktische Dinge, ihn zu wickeln, das lief schwer, das fällt mir heute auch extrem schwer. Wenn er in der Nacht noch eine Windel bekommt, dann legt die meine Frau um." [Z.: 57 - 59]

2.6.3.3. Vaterbilder

Für Herrn C. stellt Vaterschaft einen Lernprozess dar, in welchem ein guter Vater seine Autorität aufzubauen habe, wobei dieses väterliche Ansehen auf Zuwendung beruhen solle und nicht auf einem strengen hierachischen Machtgefälle zwischen Vater und Kind.

"Was macht einen guten Vater aus, würde ich sagen, er muss seine Autorität ausbilden, aber nicht Autorität, die auf Macht ausübt, sondern auf, auf Liebesmacht, auf, auf." [Z.: 73 - 75]

Ein Vater habe die Pflicht, seinen Sohn begreifen zu lernen, er soll sich in sein Kind hineinversetzen können, um die Beweggründe kindlichen Handelns erfassen zu lernen. In Anlehnung an seine therapeutische Ausbildung bezieht sich Herr C. speziell auf das Erfassen von Erlebensräumen, ein Vater sollte auch erlernen, aus welcher sinnlichen Erfahrungswelt das kindliche Verhalten herrühre. Dieses Gelernte für eine zuwendende, verständnisvolle Beziehung zum Kind sollte sich dann auch im väterlichen Reden und Handeln ausdrücken.

"Er muss verstehen lernen. Vater muss verstehen lernen die ‚Motivation, aus welcher sein Sohn handelt und dies umsetzen.' Er müsste verstehen lernen in Tat und Worten." [Z.: 75 - 78]

In seiner eigenen Vaterschaft versucht Herr C., diesem Ideal entsprechend nachzukommen. Seiner eigenen Einschätzung nach ist seine väterliche Qualität sehr abhängig vom eigenen Stressempfinden. Während er in ruhigen Situationen entsprechend auf den Sohn eingehen könne, gelinge dies unter Stress weniger.

"Und das mache ich weniger gut, bei Stress weniger gut und bei Ruhe mehr gut." [Z.: 87 - 88]

Für Herrn C. erfüllt sein väterliches Engagement seine eigenen Ansprüche. Seinen väterlichen Handlungsspielraum gegenüber seinem Kind sieht er jedoch abhängig von seinen Einflussmöglichkeiten auf den Sohn. Dies bewertet er als teilweise problematisch, da Herr C. öfters das Gefühl hat, dass sich sein Sohn stärker nach seiner Frau ausrichte.

" ... aber ob ich genug zum Zuge komme, ist sehr einseitig. Das macht zum Beispiel mein Zugriff aus, bei U., auf die er sich stärker bezieht als auf mich, zumindest oberflächlich gesehen." [Z.: 99 - 101]

Herr C. erzählt weiterhin von seiner Heirat und dem großartigen Fest im letzten Jahr, welches den Anwesenden nochmals seinen väterlichen Wert trotz seiner Behinderung verdeutlicht habe. Eine Behinderung verringere nicht die positive Bedeutung eines Vaters für seinen Sohn. Und eine Behinderung bedeute auch nicht eine völlige Handlungsunfähigkeit, auch er besitze die Fähigkeit zur Lebensgestaltung mit seinem Sohn.

"Und jetzt haben wir auch geheiratet voriges Jahr. Es war ein großes Fest und ein schönes Fest. Und da haben sie, finde ich, gemerkt, dass trotz der Behinderung so ein Mensch wert ist, wert ist mit seinem Sohn zu leben. Und das hat auch mich noch mal bestätigt, den Wert, den ich [...] mit meinem Sohn teilen mag." [Z.: 299 - 303]

2.6.3.4. Elternbeziehung

Die unterschiedlichen Ansichten der Eltern bezüglich der Erziehung ihres Sohnes finden auch ihren Niederschlag in der gegenseitigen Beziehung. Herr C. erzählt, dass die Familie manchmal gemeinsam ein Café besuche, was er schön findet, zumal er sich nur schwer allein in seinem Wohnumfeld bewegen könne. In letzter Zeit möchte sein Sohn dies aber weniger und Herr C. bemerkt, dass seine Frau sich eher für die Vorlieben von T., nämlich zu spielen, einsetze als für seinen Wunsch des Cafébesuchs.

"Manchmal gehen wir Cappuccino trinken, aber er will das meistens jetzt nicht und

will spielen, wobei meine Frau schon mehr auf seiner Seite steht, finde ich. So unbewusst. Und dass sie ihn unterstützt und meinen Wunsch Cappuccino zu trinken nicht so unterstützt." [Z.: 181 - 184]

2.6.3.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Auf die Geburt von T. reagierten beide Herkunftsfamilien der Eltern sehr unterschiedlich. Der Vater von Herrn C. bejaht seine Großvaterschaft und versuchte besonders in der ersten Zeit, die Familie finanziell und organisatorisch zu unterstützen.

"Mein Vater hat ganz gut reagiert, finde ich, hat geguckt, dass es uns finanziell gut geht. Ja, ja hat so reagiert, wie gesagt und hat alles mögliche versucht, was man so machen muss von der Wohnung und freut sich drüber. Und das war gut." [Z.: 22 - 26]

Von Seiten der Schwiegereltern gab es besonders für Frau U. Vorwürfe bezüglich der Umsetzung des Kinderwunsches. Auch befürchten ihre Eltern, dass die angemessene Versorgung des Kindes die Kraftkapazitäten der Eltern überfordere und zu Lasten des eigenen Gesundheitszustandes gehe.

"Und es war auch sehr schwierig, mit U.s Eltern haben wir Streit, haben wir viel Streit, weil sie nicht glauben, dass wir das Kind kompetent versorgen konnten ohne uns selbst fertig zu machen. Und sie haben so auf U. eingeredet- Wie konntest du bloß das tun?" [Z.:18 - 22]

Die Ansichten der Schwiegereltern sind für Herrn C. inakzeptabel.

Unterwegs auf der Straße ist es Herrn C. bereits passiert, dass er als Vater seines Sohnes nicht ernst genommen wurde.

" ... manchmal fragen sich die Leute, wenn sie T. sehen, wo denn seine Eltern sind, trauen C. nicht zu, der Vater zu sein, dies eher der Extremfall, nicht der Normalfall." [Z.: 232 - 234]

2.6.4. Erziehung

2.6.4.1. Erziehungsgrundsätze

Beide Eltern handeln erzieherisch sehr unterschiedlich. Herr C. verdeutlicht dies an der abendlichen Situation des Zubettbringens des Sohnes, eine Aufgabe, bei der sich die Eltern abwechseln. Herr C. singt immer ein Abendlied und wartet vor der Tür, bis der Sohn eingeschlafen sei. Bei seiner Frau hingegen dauere es wesentlich länger, bis das Kind schlafe, da Mutter und Kind erst noch gemeinsam spielen und sich etwas vorlesen.

"Und es wird dann immer später und später, gerade wenn die beiden zusammen sind, sie spielen dann noch, lesen sich was vor." [Z.: 189 - 191]

Zudem lege sich seine Frau gemeinsam mit T. hin. Herr C. verzichtet auf diesen Körperkontakt, da er aus seiner Beobachtung geschlussfolgert hat, dass diese Nähe die Einschlaf- und Schlafprobleme seines Sohnes auslöse. Da sein Sohn aber lieber angekuschelt einschläft, muss sich Herr C. damit auseinander setzen, dass T. lieber von seiner Mutter ins Bett gebracht werden möchte.

"Aber er mag es mehr lieber, wenn meine Frau [ihn ins Bett bringt], die legt sich dazu." [Z.: 194 - 195]

2.6.4.2. Erziehungserleben

Als Herausforderung nimmt Herr C. den Aufbau seiner väterlichen Autorität wahr. Zum einen beinhaltet dies gelassener auf trotziges Verhalten des Sohnes zu reagieren und gewandt, auch hinsichtlich seiner sprachlichen Kompetenz, einzuschreiten.

" Meine väterliche Autorität aufzubauen, wenn er zum Beispiel nur noch Trotzphasen, da möchte er nicht in den Kindergarten und möchte dieses und dieses nicht und so. Und dann das Gezeter auszuhalten. Und das Geschrei auch auszuhalten ohne, ohne ruppig zu werden oder ihn anzufahren. Oder, wenn ich ihn anfahre, dann auch geschickt anzufahren, dass er mich auch versteht, und sprachlich versteht." [Z.: 51 - 56]

Zum anderen bemerkt Herr C., müsse er noch lernen, keine überhöhten Anforderungen an sein Kind zu stellen. Oft führe dies zu konflikthaften Stresssituationen, welche mit mehr Geduld, ohne gleich grob zu reagieren, vielleicht vermeidbar wären.

"Ich schätze, es ist normal, dass ich T. ständig überschätze und dann reagiere ich recht grob und da muss ich noch an mir arbeiten. Dass ich mehr aushalte mit ihm und nicht überfordere." [Z.: 138 - 140]

Auch in versorgenden Tätigkeiten wünscht sich Herr C. mehr Ausdauer. Hinsichtlich des Wickelns möchte sich T. auch aufgrund der väterlichen Art, ungeduldig zu reagieren, nicht mehr von ihm und lieber von der Mutter wickeln lassen.

Generell führen die Forderungen seitens des Sohnes oft zu väterlichem Stress. In solchen Situationen zieht sich Herr C. dann in eine Ecke des Raumes oder im Sommer auf die Terrasse zurück, um seine Atmung wieder zu beruhigen. Allein diese Atemberuhigung erleichtert bereits viele konflikthafte Situationen.

"Und bei Stress meine ich reinen körperlichen Stress, da fahre ich meist in die Ecke von der Wohnung, im Sommer auf die Terrasse, gucke gerade aus und lass einfach für mich, guck dass ich den Stress loswerde. Ja, und meine Atmung ist so, und das ist ganz wichtig für mich, dass ich, auch fürs, dass ich gut durchatmen kann, weil das löst einiges." [Z.: 89 - 95]

Wenn es zwischen Herrn C. und seinem Sohn zum Streit kommt, entzieht sich T. meist räumlich dem väterlichen Zugriff, indem er sich in einer für den Vater unzugänglichen Ecke hinter dem Schrank versteckt. Oft lösen sich solche Konflikte dann im Nichts auf.

"Zum Beispiel, wenn er mich auslacht und dann versteckt er sich immer hinter dem Schrank. Immer da, wo er weiß, dass ich ihn nicht kriegen kann, das hat er ziemlich schnell spitz. Aber es ist so zur Zeit, dass der Streit verblafft so und ich selbst muss lachen, das war zum Beispiel gestern so." [Z.: 156 - 160]

In anderen Fällen versucht Herr C., die Situation sprachlich zu regeln, indem er seinem Sohn zu dessen Verständnis und Motivation für bestimmte Handlungen die Situation erklärt. Oder er probiert ein Spiel zu initiieren. Herr C. bewertet den Umgang mit widerständigem Verhalten seines Kindes als schwierig.

"Und ich habe mit ihm so ein Spiel gemacht. Und habe dementsprechend agiert. Und dann ist er auch ruhig. Aber es ist schon für mich nicht so easy zu handeln." [Z.: 166 - 168]

Weiterhin schwerer zu handhaben ist die hohe kindliche Forderung nach Körperkontakt, welchen der Vater teilweise nicht leisten kann und was zudem zu stressbeladenen Auseinandersetzungen führt.

"Er möchte mehr, als ich ihm geben kann, er will und dann powern wir uns dermaßen auf, dass das nicht geht. Das ist nicht gut, [...] wenn ich Stress habe. Viel zu tun. Die Forderungen nach Körperkontakt von T. sind sehr anstrengend in Stresssituationen, dies erfordert zuviel Kraft." [Z.: 211 - 215]

Abends möchte Herr C., dass sein Sohn selbstständig und ohne ankuscheln einschläft, weil dieses Einschlafritual vermutlich für die Einschlaf- und Schlafprobleme des Sohnes verantwortlich sei.

"Dass ich ihn einfach sich selbst überlasse, dass ich ihm ein Lied singe, dass ich dabei bin, bei ihm und er schläft so ziemlich schnell ein. Es ist sonst gar nicht gut im Kopf, wenn er einschläft. Er schläft nicht gut ein und da bin ich drauf gekommen, es liegt auch an der Nähe, die ich ihm gebe, dass er nicht gut einschläft." [Z.: 197 - 201]

2.6.4.3. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Einerseits erschwert die Angewiesenheit auf den Rollstuhl die körperliche Zuwendung, da es anstrengend sei, vom Rollstuhl herunter und wieder hinauf zu kommen. Dennoch ist die neue Einstellung von Herrn C. den Körperkontakt gerade auch beim abendlichen Einschlafen zu verringern, nur teilweise abhängig von seiner Behinderung und in gleichem Maße eine Erziehungsentscheidung. Zudem befindet Herr C., sei Körperkontakt umfangreich und ausreichend vorhanden.

"Es ist ne Erziehungsfrage, Konsequenz und es ist ja nicht so, dass wirklich der Körperkontakt fehlt." [Z.: 208 - 209]

2.6.5. Väterliches Handicap

2.6.5.1. Persönlicher Umgang

Für Herrn C. bedeutet seine Erkrankung eine zunehmende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bis hin zum Tod. Nach und nach verliere er die Beherrschung über seinen Körper und müsse sich daher immer auf neue Einschränkungen einstellen. Herrn C. ist die Auseinandersetzung mit seinem Zustand nicht leicht gefallen, er beschreibt die Anpassung an den Funktionsverlust seines Körpers als einen schweren, schmerzhaften Prozess. Seine Behinderung habe für ihn auch immer die Gefahr eines persönlichen Werteverlusts dargestellt. Zwar sei es ihm gelungen, seinen Selbstwert aufrechtzuerhalten, doch habe er darum kämpfen müssen.

"Und so habe ich mich darauf eingestellt. Und trotzdem meinen Wert zu wahren, es kam nicht so einfach. Auch oftmals Tränen." [Z.: 39 - 40]

Halt in der Auseinandersetzung mit seiner progressiven Krankheit gab Herrn C. auch seine therapeutische Ausbildung. Diese ermöglichte es ihm, seinen Selbstwert wieder wahrzunehmen.

"Und dann hatte ich auch meine therapeutische Ausbildung in der Zeit, ja und da wurde ich dann auch entsprechend gestützt. Dass ich meine Behinderung nicht als Wertverlust erlebt habe, sondern auch meinen Wert spüren konnte." [Z.: 27 - 30]

2.6.5.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

Reaktionen der Leute auf der Straße charakterisiert Herr C. als seltsames Anschauen. Im Januar bemerkt er hierzu, dass er diese Blicke nicht an seiner Behinderung festmache. Zudem beachte er diese Reaktionen nicht weiter, höchsten reagiere er auf der gleichen Ebene, indem er seltsame Blicke mit gleichem Gesichtsausdruck erwidere.

"Es gibt schon Leute, die komisch gucken, aber wenn die komisch gucken, das stört mich nicht weiter. Es ist so, dass ich auch komisch gucke, wenn die komisch gucken. Das beruht auf Gegenseitigkeit." [Z.: 220 - 223]

Bei der Nachbesprechung im Juni korrigiert Herr C., dass sich seine Ansichten diesbezüglich verändert hätten. Merkwürdige Reaktionen seiner Umwelt bringe er nun mit seiner Behinderung in Verbindung. Herr C. erzählt im Zusammenhang mit der zunehmenden Mobilität seines Sohnes, dass dadurch, dass T. sich nun per Laufrad auf dem Bürgersteig bewege und nicht mehr bei ihm auf dem Schoß auf dem Rollstuhl mitfahre, die Sichtblende des Vaters vor diesen komischen Blicken der Passanten weggefallen sei.

"T. ist nun viel mit dem Laufrad unterwegs, als Kleinkind hat er auf dem Schoß seines Vaters gesessen und ist mit Rolli gefahren, sein Vater war dadurch ‚relativ geschützt vor den Blicken anderer Leute' und hat T. fest an sich gedrückt." [Z.: 226 - 229]

2.6.6. Beziehung zum Kind

2.6.6.1. Vater-Kind-Beziehung

Herr C. beschreibt seine Beziehung zu seinem Sohn über die Abgrenzung zur Mutter-Kind-Beziehung. Seine Frau und ihr Sohn würden in einer verschmelzenden Verbindung leben.

"U. und T. sind ‚ein Herz und eine Seele', können keine ‚Einzahl sein'" [Z.: 120 - 121]

Herrn C. jedoch ist es in seiner Beziehung zum Sohn möglich, die einzelnen Persönlichkeiten von Vater und Sohn wahrzunehmen und aufrechtzuerhalten, was er als positiv bewertet. Gleichermaßen erwähnt Herr C. die Akzeptanz seines Sohnes hinsichtlich der getrennten Tagesgestaltung der beiden nach dem morgendlichen Abschiedsritual im Kindergarten ohne große Abschiedsszenarien.

"Und er macht für mich immer die Tür auf im Kindergarten, die haben da eine Rampe und ich fahr da immer mit meinem E-Rolli rein in den Kindergarten und helfe ihm beim ausziehen und gucke, dass er sich vernünftig anzieht und ich gebe ihm dann einen Abschiedskuss und wir gehen dann unsere getrennten Wege. Und das finde ich gut." [Z.: 169 - 173]

Augenscheinlich lehne sich T. eher an seine Mutter an und ist auch möglicherweise vorzugsweise mit ihr zusammen. Im Vergleich beschreibt Herr C. die Bezugnahme von Mutter und Sohn anders, aber vielleicht nicht unbedingt besser als die Vater-Kind-Beziehung.

" ‚bei U. anders, ich weiß nicht ob besser oder anders'" [Z.: 119]

Von seinem Sohn bekommt Herr C. das Gefühl vermittelt, dass dieser ihn an seiner Welt teilhaben lassen möchte. T. ist sehr bemüht um das väterliche Wohlergehen, mehr als Herr C. sich um sich selbst sorgt. Auch bestehe sein Sohn auf das abendliche Schlaflied, obwohl der väterliche Gesang immer schlechter und unverständlicher wird. Dennoch hat Herr C. auch das Gefühl, dass sich T. bereits teilweise ihm entzogen habe bezüglich seines Handlungs- und Kommunikationsspielraumes.

"Herr C.: ‚T. ist mir ein Stück weit entglitten aus den Händen und aus dem Mund.' - In.: ‚Aus dem Mund?' - Herr C.: ‚Sprachlich.'" [Z.: 110 - 111]

Herr C. beschreibt, dass T. nun beginne, seinen eigenen Zustand wahrzunehmen.

"Jetzt insofern, dass mein Sohn aufwacht, dass er mitkriegt, wie es ihm geht." [Z.: 130 - 131]

Dennoch nimmt Herr C. seinen Sohn noch als sehr jung war, welcher vieles noch nicht begreife und auch nicht begreifen könne, so dass man ihn zu gewissen Dingen noch nicht nach seinen Ansichten befragen könne. Da sich Herr C. eine intensivere Beziehung zu T. wünscht und diesbezüglich in einer gewissen Konkurrenz zu seiner Frau steht, schmerzt und verunsichert ihn das.

" ... ist er vielleicht lieber mit U. Aber wie das genau läuft, kann man ihn ja noch nicht fragen." [Z.: 106 - 107]

2.6.6.2. Beziehungsebene

Als sehr zweischneidig nimmt Herr C. die zunehmende Eigenständigkeit seines Sohnes wahr. Einerseits erleichtert die vermehrte Mithilfe von T. bestimmte Erledigungen wie zum Beispiel den Gang zum Kindergarten. Andererseits erschwert der kindliche Wunsch nach eigenständiger Mobilität zum Beispiel mit dem Laufrad die Betreuung. Herr C. ist deshalb auch der Meinung, dass ein jüngeres Kind mit geringeren eigenständigen Fertigkeiten leichter zu versorgen sei.

"Da wäre es gut, ein kleines Kind zu haben, weil es die Kapazitäten sprengt. Es geht nicht mehr." [Z.: 148 - 149]

Die gesteigerte Mobilität von T. lässt Herrn C. an seine Grenzen der eigenen Kraft und Handhabung des Kindes stoßen, da er sich meist hilflos fühle, wenn sich T. nun oft außer Sichtweite entferne oder den Weg zum Kindergarten bereits eigenständig zurücklege.

"Erzählt eine Begebenheit von heute früh auf dem Weg zum Kindergarten, T. ist mit dem Laufrad ‚vorgeprescht', ‚nicht auf mich gewartet', hat andere Kinder gesehen, ‚habe ihn erst vor dem Kindergarten wiedergesehen', ‚das war schon frustrierend.'" [Z.:112 - 115]

Herr C. ist auch enttäuscht über die geringe Wertschätzung seines Sohnes hinsichtlich seiner Begleitung, eine Aufgabe, welche er als Vater jetzt noch wahrnehmen kann, aber irgendwann nicht mehr leisten kann. Für Herrn C. bedeutet die mobile Selbstständigkeit des Sohnes auch eine Lockerung der nahen Beziehung bei Unternehmungen. Als T. noch auf seinem Schoß auf dem Rollstuhl mitgefahren sei, habe er ihn immer ganz fest an sich gedrückt und überdies habe die Mitfahrgelegenheit für den Sohn zudem seinen Gebrauchswert als Vater für andere ersichtlich gemacht.

" ... und hat T. fest an sich gedrückt, das Mitfahren auf dem Rolli, dabei konnte der Vater ‚beweisen, dass ich noch zu was gut bin'." [Z.: 229 - 230]

2.6.6.3. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

T. weiß, wie weit der Handlungsspielraum seines Vaters reicht und agiert dementsprechend. Teilweise nutzt er diese behinderungsbedingten Einschränkungen zu seinem Vorteil, wenn er sich dem väterlichen Eingriff derart entzieht, indem er sich hinter dem Schrank versteckt, wo er für Herrn C. nicht erreichbar ist. Auch in anderen Örtlichkeiten kann T. schnell herausfinden, wo für den Vater unpassierbare Stellen sind.

"Und ich kann deswegen da meinen Sohn nicht erreichen. Und er weiß das und wir [...] auf andere Bedingungen, wenn wir woanders sind.

T. weiß, dass er sich hinter dem Schrank verstecken kann und sein Vater dann nicht mehr an ihn ran kommt; T. stellt sich auf die gegebenen Bedingungen ein, wenn die Familie woanders ist." [Z.: 255 - 261]

Herr C. berichtet, dass sein Sohn manchmal recht grausam erprobe, wie weit und in welcher Art er noch zu Handlungen fähig sei. Solche kindlichen Herausforderungen wecken in ihm Wut, doch er begegne den Provokationen von T. weitestgehend mit Duldung und schreitet nicht weiter ein.

"Manchmal testet T. ‚auf die harte Tour' ‚wie sein Vater noch reagiert'; dies bringt den Vater ‚zur Weißglut', aber trotz der Wut geht es nicht darum ihn ‚rachemäßig zu verdreschen', sondern ‚zu lassen wie es kommt'" [Z.: 123 - 127]

2.6.6.4. Kindliche Assistenz

Aufgrund seiner schwindenden Kräfte erwähnt Herr C., dass praktisch ein Rollentausch von Vater und Sohn stattfindet. Während er früher T. füttern konnte, könnte sein Sohn nun ihn mit Essen versorgen, wozu er allerdings noch nicht als im vollen Umfang verantwortlich angesehen wird.

"Und auch zu essen geben konnte [ich], jetzt macht er praktisch das für mich. Wir können es ihm zwar nicht zutrauen, aber er sorgt sich sehr um mich." [Z.: 63 - 65]

2.6.6.5. Zukunft

Herr C. wünscht sich für die Zukunft mit seinem Sohn, dass sich ein wortloses Einfühlungsvermögen in der Vater-Sohn-Beziehung entwickeln würde.

"Würde ich sagen, ein tiefes Verständnis. T. versteht mich, aber so ein Verständnis, was ohne Wort läuft, so ein Verständnis, dass wirklich tief läuft." [Z.: 264 - 266]

Durch seine progressive Erkrankung sieht es Herrn C. als seine Aufgabe, T. schrittweise auf sein kommendes Sterben vorzubereiten. Zwar sei dies momentan noch nicht so deutlich ersichtlich, doch möchte er dies frühzeitig und langsam seinem Sohn nahe bringen, dass es eine kommende Zeit ohne den Vater geben wird.

"‚es wird Zeit sich zu verabschieden'; nimmt sich vor, T. auf den Abschied vorzubereiten, auf die Zeit, in welcher er nicht mehr da sein wird." [Z.: 282 - 284]

Trotz der kurzen gemeinsamen Zeit von Vater und Sohn hofft Herr C., von seinem Kind in guter Erinnerung behalten zu werden.

"Und er soll mich in guter Erinnerung behalten, auch wenn ich nicht mehr da bin, heißt das. Er soll mich, soll mich, soll mich nicht als unmöglicher Mensch in Erinnerung behalten, wär nicht so gut? Das Leben, was da war, dass er mich in guter Erinnerung behält." [Z.: 271 - 275]

Die verbleibende Zeit möchte Herr C. zur Beziehungsfestigung zum Sohn nutzen. Solange wie es seine Kräfte erlauben, möchte er T. unterstützen und behüten.

Herr C. wünscht sich weiterhin Liebe und Verständnis in der Beziehung zu T. und hofft, dass dies auch seinem Sohn möglich sei, denn es ist für ihn fraglich, inwieweit er einen Werteverlust im Selbstwertempfinden von T. aufgrund seines behinderten undsterbenden Vaters verhindern kann.

2.6.7. Familienleben

2.6.7.1. Alltagsgestaltung

Hinsichtlich der Versorgung und Betreuung des Sohnes versuchen sich die Eltern die Aufgaben zu teilen. So macht Herr C. beispielsweise morgens das Frühstück für den Sohn und bringt ihn dann zum Kindergarten, seine Frau holt T. nachmittags vom Kindergarten ab und bereitet das Abendessen. Abends wird T. abwechselnd von den Eltern ins Bett gebracht. Falls er nachts noch eine Windel benötigt, erledigt dies Frau U., da diese Aufgabe ihrem Mann sehr schwer fällt.

Herr C. berichtet, dass die häuslichen Erledigungen zu einem überwiegenden Teil von seiner Frau geleistet werden, da diese durch eine geringere Beeinträchtigung durch ihre Behinderung dazu mehr in der Lage sei. Der Alltag sei teilweise allein bewältigbar, vieles würden die Eltern trotz geringer Unterstützung auch allein erledigen, teilweise sei man auf Hilfe angewiesen, welche die Familie sich im Bedarfsfall auch organisiere.

"Es gibt so Phasen, wo es allein geht und es gibt so Phasen, wo es nicht allein geht. Es ist viel meine Frau, die das macht, so einkaufen und. Die mehr machen kann, wenn sie nicht krank ist." [Z.: 307 - 309]

Für den Wohnungsputz hat Herr C. auch eine private Haushaltshilfe angestellt. Wenn Frau U. krankheitsbedingt ausfalle, wendet sich die Familie an die Johanniter und erhält professionelle Familienunterstützung.

2.6.7.2. Familiensituation

Generell fordert Herr C. mehr Vertrauen Außenstehender in die elterlichen Kompetenzen von ihm und seiner Frau. Auch sollten andere sich eher auf ihre eigenen Angelegenheiten konzentrieren, statt immer sehr schnell mit einer negativen Bewertung der Familiensituation bei der Hand zu sein. Außenstehende hätten oft von vorne herein eine skeptische Einstellung zur Versorgung eines Kindes durch zwei Elternteile mit Behinderung. Viel eher würden immer nur die Defizite thematisiert als auch durchaus die elterlichen Leistungen und Bewältigungen der Aufgaben, auf welche Herr C. stolz ist, zu sehen.

"Aber nicht, aber es reicht nicht, wenn sie sagen, dass zwei Behinderte nicht ein Kind versorgen können, sondern sie sollen stattdessen auch sehen, wie viel wir auch machen, und wie viel wir auch machen können. Und dafür, dass sie uns nicht viel unterstützen, dass es relativ nichts gibt, und es geht." [Z.: 294 - 298]

2.6.7.3. Umgang mit der väterlichen Behinderung

Meine Frage, wie mit dem Thema Behinderung in der Familie umgegangen wird, bewertet Herr C. als eine akademische Formulierung mit lebensferner Außenansicht, da die Behinderung als Thema nicht in der Familie existiere. Die Beeinträchtigungen der Eltern spielen in der Familie zwar eine Rolle, sind aber im Miteinander nicht vordergründig erkennbar.

"Das Thema Behinderung existiert, existiert als Thema ja schon, aber es tritt im Zusammenleben gar nicht so auf, finde ich." [Z.: 246 - 247]

Die Einschränkungen regeln grundsätzlich die Handlungen im gemeinsamen Alltag, aber auf einer theoretischen Ebene sei die Behinderung nicht handlungsleitend.

"Genau, es spielt schon eine große Fundiertheit, eine entscheidende Rolle, aber nicht als aufgesetztes Thema, sondern im Alltagsgeschehen." [Z.: 253 - 255]

2.6.8. Kommunikative Validierung

Eine korrigierende und kommentierende Besprechung des Interviews zusammen mit ersten Interpretationen fand im Fall von Herrn C. persönlich beim zweiten Treffen statt. Korrekturen wurden damit bereits vor der Analyse in die zu bearbeitende Transkription mit eingearbeitet.

3. Quervergleich über alle Interviews und Diskussion

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Einzelfallanlyse anhand der aufgestellten Haupt- und Unterkategorien zusammengestellt und untereinander verglichen. Die Resultate werden dabei auf der detaillierten Ebene der zweiten Unterkategorie abgebildet, um strukturiert möglichst alle geäußerten Ansichten der Väter abzubilden und untereinander zu vergleichen. Anschließend werden die gefundenen Ergebnisse mit Aussagen der Literatur in Beziehung gesetzt. Ziel ist es dabei nicht, einen Bezugsgruppenvergleich von Vätern mit und ohne Behinderung durchzuführen, sondern spezielle Momente der Vaterschaft erweiternd zu besprechen, welche für Väter mit Behinderung als Väter vermutlich die gleiche Relevanz besitzen. Inwieweit und welche Rolle die väterliche Behinderung in diesem Zusammenhang spielt, soll diskutiert werden.

3.1. Vaterschaft

3.1.1. Vater-Werden

3.1.1.1. Kinderwunsch

Alle Väter geben an, sich ihre Kinder gewünscht und bis auf ein Kind auch geplant zu haben. Die Nachricht der anstehenden Vaterschaft wurde mit Freude aufgenommen. In zwei Fällen wurde zur Verwirklichung des Kinderwunsches medizinische Unterstützung hinzugezogen. In einem dieser Fälle wäre eine natürliche Zeugung aufgrund der Behinderung nicht möglich gewesen.

Bei zwei Vätern kann ihre bewusst geplante Vaterschaft auch als ein geäußertes Zeichen an die Umgebung im Hinblick auf die jeweilige Behinderung gesehen werden. Einmal bei Herrn O. stellt die Vaterschaft Weichen für die zukünftige Lebensplanung, dem konkreten Abschied von ohnehin geringen Berufschancen durch die fortschreitende Behinderung und dem Rückzug ins Private. Für Herrn A. erbringt die Vaterschaft den persönlichen Beweis der Zeugungsfähigkeit, da er die Erfüllung des Kinderwunsches aufgrund seiner unfallbedingten Behinderung bereits glaubte aufgeben zu müssen.

3.1.1.2. Geburt

Die Hälfte der Väter äußert sich zur Geburt ihrer Kinder, für alle war es in unterschiedlicher Weise ein einschneidendes Erlebnis. Während für Herrn B. die Geburt seines Kindes ein aufregendes, tolles Erlebnis darstellt, wurde die Geburt für Herrn L. aufgrund der Reaktionen des medizinischen Personals auf seine Contergan-Behinderung zum traumatischen Ereignis, da ihm sein Kind vorenthalten wurde. Herr C. erwähnt die Geburt im Zuge eines weiteren Zugeständnisses seinerseits an die Umstände, welche seine fortschreitende Behinderung mit sich bringe. So benutzt er im Krankenhaus erstmalig einen Rollstuhl und kann dies im Zusammenhang einer langen Geburtsphase auch positiv bewerten.

3.1.1.3. Gemeinsame erste Zeit

Alle Väter beschreiben die erste gemeinsame Zeit mit dem Kind als eine schöne und intensive Zeit. Nur in einem Fall wird die Harmonie getrübt durch das väterliche Empfinden einer starken Mutter-Kind-Bindung, welche Herr D. so nicht erwartet und als ausschließend erlebt hatte.

Zwei Väter erwähnen, wie angenehm sie es empfanden, die erste Zeit auch gemeinsam zu dritt zu Hause, ermöglicht durch Urlaub oder Erziehungszeit, verbringen zu können. Auch über die ersten Wochen hinaus sind die Hälfte der Väter durch Arbeitslosigkeit oder Berufsaufgabe oder Verrentung aufgrund der Behinderung viel in der Familie präsent.

3.1.1.4. Veränderung der Lebenseinstellung

Veränderungen für die Väter im Zuge der Vaterschaft werden größtenteils auf der persönlichen Ebene formuliert. Dreimal wird angemerkt, wie sich Väter selbst weniger wichtig werden und ihr Wahrnehmungsfokus sich auf das Kind verschiebt. Zweimal wird das neue Verantwortungsgefühl betont, welches in einem Fall auf der Beziehungsebene im Umgang mit anderen auch als Statusaufwertung durch die Vaterschaft gesehen wird.

Zwei Väter führen Veränderungen auf struktureller Ebene an. Mit der Vaterschaft vollzieht sich ein Lebenswandel von einem überwiegend von eigenen Interessen bestimmten Tagesablauf hin zu einem strukturierten und häuslicheren Alltag.

3.1.2. Versorgung und Betreuung

3.1.2.1. Theorie und Praxis

Die Vorbereitung auf die Versorgung des Säuglings, theoretisch oder praktisch, erwähnen vier Väter, Herr D. und Herr L. orientieren sich dabei an Eltern mit der gleichen Behinderung, da nur von dieser Seite Ratschläge als wirklich hilfreich angesehen werden.

Generell erleben die Väter die Praxis anders als sie ihrer Vorstellung entsprach, was überwiegend auch antizipiert wurde. Aufgrund möglicher unvorhergesehener Schwierigkeiten wird eine Vorbereitung nur bis zu einem bestimmten Grad als möglich angesehen. Zwei Väter heben das Lernen über eigenes Tun und Erfahrungen als wichtig für die Versorgung des Kindes hervor.

3.1.2.2. Versorgung

Alle Väter berichten von ihrer Beteiligung an versorgenden Tätigkeiten für den Säuglings. Die Einschätzung der Bewältigung dieser Aufgaben reicht von der Wertung von Herrn O., es habe überhaupt keine Probleme gegeben, bis zur Aussage von Herrn D., dass sämtliche väterliche Versorgungen als völlig neue Aufgaben erst einmal erlernt werden mussten. Eventuell auftretende Schwierigkeiten betreffen bei den blinden Vätern die Essenssituation und Auswahl der Kleidung, bei den Vätern mit Körperbehinderung überwiegend das Wickeln des Kindes.

Allgemein bringen alle Väter in diesen Erzählungen ihre Behinderung mit ein. Die blinden Väter offenbaren viele Vorüberlegungen zu möglichen auftretenden Problemen, so dass Herr B. auch seine Erleichterung darüber, trotz seiner Behinderung nicht an Grenzen hinsichtlich der Versorgung des Kindes gestoßen zu sein, zum Ausdruck bringt. Die zwei Väter mit fortschreitender Behinderung, Herr O. und Herr C., erwähnen diesbezüglich überwiegend den Abbau von Kompetenzen und das Schwinden von Versorgungsleistungen. Die zwei weiteren Väter mit Körperbehinderung betonen, dass ihre Behinderung kein Hinderungsgrund für die Versorgung eines Kindes darstelle, im Fall von Herrn A. sei die häusliche Umgebung auch extra abgestimmt worden.

Herr L. und Herr D. erziehen ihre Kinder allein und können bei auftretenden Schwierigkeiten nicht auf die Mutter zurückgreifen. Diese Väter erledigen alle Aufgaben allein beziehungsweise erwähnen, welche Dinge sie nicht leisten können und delegieren. In der Auseinandersetzung mit der alleinigen Verantwortung hat Herr D. als blinder Vater kreative Lösungen entwickelt, zum Beispiel Glöckchen an den Kleidungsstücken des Kindes, um es akkustisch "im Blick" zu haben, während sein Sohn sich mit Büchern und Puzzles an seine zweite Frau wenden soll.

Die vier Väter mit Partnerin erwähnen ihre Beteiligung in unterschiedlichem Umfang, Aufgabendelegation aufgrund seiner Behinderung erwähnt Herr C. Im Fall von Herrn B. werden Schwierigkeiten ausschließlich in den Situationen, in welchen die Mutter abwesend ist, formuliert.

3.1.2.3. Vaterhandeln

Alle Väter, welche mit der Kindsmutter zusammenleben, erwähnen eine Aufgabenteilung in Versorgung und Betreuung des Kindes und diesbezüglich bestimmte Vateraufgaben wie Vorsingen, Ins-Bett-Bringen, Hausaufgaben, Brettspiele oder den sonnabendlichen Einkauf mit Kind. Die Zuweisung von Aufgaben richtet sich dabei danach, was die Väter gut oder besser als die Partnerin leisten können.

Klassische körperbezogene Spiele werden von einem blinden Vater, Herr B., in Form von Toben als spezifische Vaterhandlung in Abgrenzung zur Mutter zur Sprache gebracht. Zwei körperbehinderte Väter, Herr A. und Herr O., erzählen, dass sie Fußball gar nicht oder nur bis zu einem gewissen Alter der Söhne ermöglichen können. Umgekehrt fühlt Herr B. sich bezüglich seiner Tochter auch nicht, wie von einem Sohn angenommen, in dieser Vaterrolle gefordert.

3.1.3. Vaterbilder

3.1.3.1. Ideal und Selbstbild

Alle Väter fanden es problematisch, ein generelles Vaterbild zu entwerfen. Größtenteils wurde ein gesellschaftlicher Anspruch an einen Vater abgelehnt oder ein gesellschaftliches Vaterbild bestritten. Als Folie zur Beschreibung eines väterlichen Idealbildes diente dann die persönliche Präferenz.

Die idealen Vaterbilder sind überwiegend über die Handlungs- und die moralische Ebene definiert. Sorge tragen und sich kümmern zeichnet für vier Väter einen guten Vater aus, Herr A. und Herr B. verstehen unter väterlicher Verantwortung auch explizit die Übernahme der Rolle des Familienernährers. Weitere wichtige Punkte sind Wertevermittlung und Orientierung geben, nur in dem Fall von Herrn D. wird dabei aber auch Schwäche zeigen und Hilfe einfordern zugestanden. Auf der emotionalen Ebene benennen drei Väter Aufgaben wie Geborgenheit vermitteln, sich dem Kind zuwenden und Einfühlungsvermögen zeigen. Beide Väter mit fortschreitender Behinderung, Herr C. und Herr O., beziehen ihr ideales Vaterbild ausschließlich auf diese innere Beziehungswelt.

Dieses persönliche Ideal umzusetzen, probieren nach eigener Einschätzung alle Väter. Selbst beschreiben sie sich als zuwendende und anwesende Väter, welche versuchen, auf die Interessen ihrer Kinder einzugehen. In welchem Umfang ihnen dies gelingt machen zwei Drittel der Väter von der verfügbaren Geduld abhängig. Bei den Vätern mit fortschreitender Behinderung, Herrn C. und Herrn O., hängt die Kraft und Ausdauer überwiegend mit ihrer persönlichen Beeinträchtigung zusammen. Herr C. macht auch darauf aufmerksam, dass eine Behinderung nicht eine völlige Handlungsunfähigkeit bedeute, sondern weiterhin die Fähigkeit zur Lebensgestaltung mit seinem Sohn bestehe. Eine Behinderung verringere nicht die positive Bedeutung eines Vaters für sein Kind.

3.1.3.2. Vater als Ernährer

Hinsichtlich des traditionellen Rollenbildes des Vaters als Haupternährer seiner Familie beziehen fünf Väter Stellung. Herr A. und Herr B. bewerten dies als eigene Anforderung und sind auch in der tatsächlichen Situation, Hauptverantwortliche für das Familieneinkommen zu sein. In ihrer Rolle sehen sie sich jedoch ambivalent, einerseits nehmen sie ihre Wichtigkeit in der alleinigen Versorgerrolle wahr, andererseits wird ihre Berufstätigkeit darüber auch zur drückenden Pflicht beziehungsweise wird der gestaltende Spielraum im Beruf sehr eng durch erhöhte Disziplinanforderung an sich selbst. Herr L. als der dritte berufstätige Vater bezeichnet sich selbst als nicht-traditionellen Vater, überwiegend auch aufgrund seiner Ansicht, dass eine Vollzeitbeschäftigung nur wenig Zeit für das Kind übrig lässt.

Zwei weitere Väter, Herr O. und Herr D., lehnen die Forderung der Berufstätigkeit für Väter als konservativ ab. Herr O. erwähnt dabei, dass diese Definition von Vaterschaft seine persönliche Vaterschaft gänzlich negieren würde.

3.1.4. Elternbeziehung

3.1.4.1. Beschreibung der Elternbeziehung

Von zwei Vätern wird ihr Verhältnis zum anderen Elternteil positiv als gleichberechtigte Elternschaft beschrieben. Im Fall von Herrn B. konnte sich dies erst nach der Trennung der Partner und der Festlegung, dass ein Elternteil sich nicht in den Erziehungsstil des anderen einzumischen habe, entwickeln.

Herr C. erlebt seine Partnerschaft im Hinblick auf die Elternschaft problematisch. Zum einen unterscheiden sich die Ehepartner in ihren erzieherischen Ansichten und Handlungen, zum anderen unterstützt seine Frau teilweise eher die kindlichen Interessen vor seinen Ansprüchen, so dass er sich zurückgesetzt fühlt, zumal er zur Umsetzung seiner Wünsche auf die Hilfe seiner Frau angewiesen ist.

Herr D. kann sich nur negativ und missbilligend gegenüber den Ansichten der Mutter des Kindes, seiner einstigen Ehefrau, äußern. Vorrangig geht es dabei darum, dass das Kind von der Mutter als Ausrede vor der Erledigung von Haushaltstätigkeiten benutzt werde.

3.1.4.2. Mütter und Väter

Über Vaterschaft im Hinblick auf Mutterschaft gibt es nur von den allein erziehenden Vätern, Herrn D. und Herrn L., Aussagen. Diese betreffen Gedanken über Gründe für die unterschiedliche Qualität der Beziehungen des Kindes zu den verschiedenen Elternteilen. Zum einen empfinden die Väter eine Zurücksetzung in ihrer Beziehung zum Kind hinter die Mutter durch biologische Faktoren wie die starke Mutter-Kind-Bindung oder die biologische Prägung der Mutter, welche in versorgenden Handlungen zum Beispiel als schnellere Reaktionsfähigkeit zum Ausdruck komme. Zum anderen bereitet es ihnen durch die Mutterpräsenz Schwierigkeiten, eine eigene Beziehung zum Kind aufzubauen.

Das mütterliche Klammern am Kind vermutet Herr B. als Resultat der traditionellen Mutterrolle, von welcher seine Partnerin sich nicht distanzieren konnte. Die Qualität der Vater-Kind-Beziehung verbesserte sich erst, als die Mütter einige Aufgaben durch natürliche Umstände wie Abstillen oder von den Vätern erkämpft abgaben. Gelöst wurden beide Konflikte im Prinzip darüber, dass beide Väter Zuständigkeiten für das Kind einforderten. In einem Fall erwarb der Vater Selbstständigkeit und Durchsetzungsvermögen, indem er sich von der Mutter des Kindes emanzipierte und seine Art der Versorgung des Kindes für sich durchsetzte. Im anderen Fall von Herrn D. schaffte sich der Vater Freiraum durch die Anstellung einer Haushaltshilfe. Für beide Väter ermöglichte aber vor allem die räumliche Trennung von der Mutter des Kindes einen Bereich der primären und unangetasteten Zuständigkeit für das eigene Kind. Dies unterstützt die Vermutung, wie sehr die Qualität der Vaterschaft auch von den dazugehörigen Müttern der Kinder abhängig ist.

3.1.5. Reaktionen auf die Vaterschaft

Erfahrene Reaktionen auf die Vaterschaft werden hauptsächlich negativ berichtet. Drei Väter erlebten Situationen, in welchen ihnen der Vaterstatus für ihre Kinder aufgrund der Behinderung abgesprochen wurde. Zwei Väter benannten Handlungen und Bemerkungen, welche ihre väterliche Kompetenz oder gar Zuständigkeit in Frage stellten. Als Quelle solcher Äußerungen werden überwiegend fremde Personen benannt, einmal Bekannte und einmal die Herkunftsfamilie der Frau.

Bei den zwei allein erziehenden Vätern ergibt sich ein genau konträres Bild. Während Herr L. berichtet, dass vaterfeindliche Vorstellungen zum Beispiel mit Äußerungen, dass das Zuhause von Kindern bei ihrer Mutter sei, an ihn herangetragen werden, erzählt Herr D. ausschließlich von freundlichen, unterstützenden Reaktionen und von der Bejahung seiner Vaterschaft durch andere.

3.2. Erziehung

3.2.1. Erziehungsabsicht

Zwei Väter, Herr D. und Herr B., benennen eine Zielrichtung ihrer Erziehung, auch als gesellschaftliche Aufgabe der Familie formuliert. Im Mittelpunkt stehe dabei der Aufbau sozialer Kompetenzen beim Kind, um es zu einem gesellschaftsfähigen Menschen zu erziehen. Herr B. verweist diesbezüglich auch auf die Anstrengungen, welche die Erziehungstätigkeit über die gesamte Kinder- und Jugendphase des Kindes für die Eltern mit sich bringe.

3.2.2. Einfluss der Biographie

Die eigene Biographie mit ihren erzieherischen Erfahrungen, welche das Denken und Handeln beeinflussen, wird in zwei Fällen als negatives und in einem Fall als positives Vorbild genannt. Herr A. distanziert sich vom Erziehungsstil seiner Eltern, welche ihn spüren ließen, dass sie ein Leben mit Kind als Aufopferung verstünden. Herr L. grenzt sich von traditionellen Rollenmustern in seiner Erziehung ab. Die Emanzipation von vorgegebenen Erziehungshandlungen bewertet jedoch nur ein Vater als gelungen, hingegen hat Herr L. Spuren des erlernten Verständnisses auch in seinen Überlegungen wiederentdeckt.

Der dritte Vater, Herr B., beschreibt seine Erziehung im Internat als harte Schule, welche aber die Chance mit sich brachte, mit vielen verschiedenen Charakteren aufzuwachsen und den Umgang miteinander zu erlernen. Dies habe sich positiv auf seine sozialen Fähigkeiten ausgewirkt. Das Ideal, von unterschiedlichsten Menschen jeweils das für sich Beste in die eigene Persönlichkeit mit einzubeziehen, gilt auch als eine Erziehungsmaxime in seinem erzieherischen Handeln.

3.2.3. Erziehungsgrundsätze

3.2.3.1. Bild vom Kind

Für alle Väter ist Erziehung eine selbstverständliche väterliche Aufgabe, deren Begründung nicht notwendig ist. Herr A. vertritt die Meinung, Kinder seien erziehungsbedürftig und seien für die Geborgenheit, welche ihnen ihre Eltern geben könnten, bereit, die erzieherischen Wünsche zu erfüllen. Herr B. betont die Wechselseitigkeit des Erziehungsgeschehens, nicht nur Eltern würden die Kinder erziehen, sondern diese Erziehung würde auch die Eltern beeinflussen.

3.2.3.2. Erziehung und Schwerpunkte

Die Hälfte der Väter äußert eine erzieherische Grundposition für ihr Handeln. Es finden sich Überlegungen bezüglich einer Erziehung getragen von konsequenten Entscheidungen, um den Kindern darüber Sicherheit für ihr Handeln zu geben bei Herrn A., eine Erziehung hin zur Selbstständigkeit mit großzügigem Erfahrungsspielraum bei Herrn L. und eine Erziehung auf Basis von Aushandlungen zur Konsensbildung für das gemeinschaftliche Zusammenleben bei Herrn B. Dabei erwähnt dieser Vater auch in erzieherischer Hinsicht eine Kluft zwischen Theorie und Praxis, da eine ideale Erziehungsnorm im konkreten Handeln nicht eins zu eins umsetzbar sei.

Die verschiedenen Schwerpunkte bezüglich der Lebens- und Lernerfahrungen der Kinder sind abhängig von der Familiensituation und den Einstellungen und Erfahrungen der Eltern. Herrn D., als allein erziehendem Vater, welcher seinen Sohn nur einige Tage im Monat sieht, ist es wichtig, den Kontakt zur väterlichen Familie und zum Wohnumfeld aufrechtzuerhalten. In der Familie von Herrn A. werden intellektuelle Leistungen hoch bewertet, so dass die Kinder bereits im Kleinkindalter eine intensive Zuwendung in Form kognitiver und auch sozialer und emotionaler Förderung erhalten. Herrn B. ist es wichtig, dass sein Sohn lernt, Verantwortung für seine Handlungen zu lernen, was dieser seiner Meinung nach am ehesten lernen könne, wenn er eine solche Einstellung an den Handlungen der Eltern als Vorbild sieht.

3.2.4. Erziehungserleben

3.2.4.1. Ansichten der Eltern

Drei Väter berichten, dass sie mit ihren Partnerinnen in den wesentlichen Erziehungsgrundsätzen übereinstimmten und Entscheidungen und Absprachen gemeinsam treffen. Im Haushalt von Herrn C. handeln die Eltern unterschiedlich, wobei das Kind sich dann überwiegend der Mutter zuwende, deren Entscheidungen für es am vorteilhaftesten sind. Dieser Streit um die Zuwendung des Kindes und dessen Abweisungen frustrieren den Vater. Die zwei Väter, Herr D. und Herr L., welche nicht mit der Mutter des Kindes zusammenleben, haben über die räumliche Trennung den Freiraum, ihre Erziehungsideen allein in ihrem Haushalt umzusetzen. Umfassende Entscheidungen würden gemeinsam gefällt, aber ansonsten handle jeder nach seinem Ermessensrahmen.

3.2.4.2. Herausforderungen

Als häufigste Herausforderung wurde von den Vätern ihre eigene Ungeduld in der Interaktion mit dem Kind genannt, Herr D. und Herr C. erleben die momentane Entwicklungsphase ihrer Kinder, die sogenannte Trotzphase, als schwierig. Sie wiesen darauf hin, dass es ihnen schwer falle, in manchen Situationen, welche auch noch andere Ansprüche an sie stellten, adäquat auf das Kind einzugehen. Dabei überlegten auch Herr C. und Herr B., ob ihre Forderungen an das Kind nicht teilweise nicht wirklich nötig seien oder das Kind überfordern könnten.

Als Gründe für ungeduldige Reaktionen wurde zweimal auf persönliche Ungeduld oder den Mangel an Gelassenheit hingewiesen. Herr B. bemerkt, dass ihm noch die Fähigkeit fehle, seinen Sohn von gewissen Erledigungen durchaus auch spielerisch zu überzeugen. Kräfte- und Energiemangel aufgrund der eigenen Behinderung wird von Herrn O. als Begründung für Mangel an Geduld angegeben.

Herr L. benennt als größte Herausforderung grenzensetzende Entscheidungen gegenüber seiner Tochter, deren konsequente Durchsetzung und das Aushalten des kindlichen Einspruches.

Soweit die Väter die als Herausforderungen wahrgenommenen Situationen mit persönlichen oder erzieherischen Schwächen in Verbindung bringen, wird deren Behebung als zukünftige Aufgabe und Lernprozess angesehen. Für Herrn O., welcher aufgrund seiner fortschreitenden Behinderung nicht genügend Geduld für sein Kind aufbringen könne, ist dies ein nicht zu verändernder Fakt.

3.2.4.3. Konflikte

Konflikthafte Situationen werden ganz unterschiedlich bewertet. Im positiven Sinne würden sie den Abbau von angestauten Missstimmungen ermöglichen. Eher ironisch merkt Herr L. an, Konflikte machten das Leben abwechslungsreicher, letztendlich gehören sie einfach dazu. Negativ wird angemerkt, dass Konflikte schwer zu handhaben seien, da alle Beteiligten in emotionaler Aufgewühltheit meist unpassend reagieren würden. Herrn A. ist es daher wichtig, sich bei persönlicher Unausgeglichenheit vor den Kindern zurückzuziehen, um verschiedene Konflikte nicht zu vermengen.

Im Umgang mit Konflikten möchte Herr B. keine Patentlösungen angeben, ihm sei es wichtig, auf die Situation spezifisch abgestimmt zu reagieren. Ähnlich beschreibt Herr A. sein konsequentes Eingehen auf das Problem bezüglich der Bestrafung der Kinder bei Regelverletzungen. Hinsichtlich der Lösung von Konflikten wird viermal eine sprachliche Klärung angegeben und dreimal die Wichtigkeit einer abschließenden Versöhnung betont, bei zwei Angaben sollte dies zeitnah passieren. Bezogen auf das Kleinkindalter wurde auch zweimal Körperkontakt zur Beruhigung des Kindes erwähnt.

Die zwei Väter mit fortschreitender Behinderung, Herr C. und Herr O., berichteten, dass ihre Streitereien mit den Kindern meist ohne Lösung abgebrochen würden und sich in Folge von selbst erledigen würden. Der Abbruch erfolgt zumeist dadurch, dass sich eine streitende Partei der anderen räumlich entziehe, die Kinder würden den Raum verlassen oder sich in für den Vater nicht erreichbare Wohnbereiche zurückziehen, die Väter träten den Rückzug an, um wieder zu Atem zu kommen, in einem Fall ist das behinderungsbedingt wörtlich gemeint. An dieser Stelle wird die erzieherische Unterstützung anderer Personen deutlich. Auch Herr A., ein weiterer Vater im Rollstuhl, erzählt, dass sein Sohn, als er noch jünger war, versuchte, sich der väterlichen Auseinandersetzung räumlich zu entziehen in einen für den Vater unerreichbaren Ort, jedoch seine Frau das Kind zurückgebracht habe. Seitdem wisse sein Sohn, dass er dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen könne.

3.2.4.4. Grenzziehung

Den Kindern erzieherisch Grenzen in ihrem Handeln zu setzen sehen drei Väter als positiv an. Grenzen würden den Kindern Sicherheit für ihr Verhalten geben und sie somit auch selbst schützen. Zudem sei es Kindern möglich, diese Grenzen, wenn auch oft nur nachträglich, nachzuvollziehen. Herr A. und Herr B. gehen davon aus, dass diese Grenzen ein Durchsetzungsmedium bräuchten in Form von verbaler Bestrafung oder strafenden Verboten, da die Kinder die Konsequenzen ihres Handelns erlernen sollen. Dabei wendet Herr A. ein, dass seine verbalen Strafen vermutlich genauso hart wie körperliche Züchtigung seien, hofft aber, dass sie weniger demütigend empfunden würden.

Der Bereich des spielerischen Tobens hingegen ist für Herrn B. das Feld, in welchem sein Sohn seine Kräfte austesten, aber auch den Umgang mit eigenen Schmerzen lernen kann und muss.

3.2.4.5. Auswirkung der väterlichen Behinderung

Vier Väter konstatieren einen Einfluss ihrer Behinderung auf ihre Erziehungsvorstellungen und -handlungen. Herr A. formuliert explizit, dass seine Kinder in der Erziehung durch die Behinderung beeinflusst seien, da gewisse Umgangsformen zwischen Vater und Kindern behinderungsbedingt verboten oder geboten seien, wie das unmittelbare Reagieren auf Zuruf im Kleinkindalter. Eher implizit schlussfolgert Herr B. von den Reaktionen seines Sohnes auf mögliche Erziehungsforderungen durch seine Behinderung. Er erwähnt die Aufforderung an seinen Sohn zu konkreten sprachlichen Formulierungen. Des Weiteren vermutet er vermehrten Körperkontakt zu seinem Kind, besonders als sein Sohn noch zu klein für sprachliche Verständigung war, da er als blinder Vater viel über Tasten die Reaktionen des Kindes in Erfahrung gebracht hat.

Herr C. und Herr L. bewerten ihr Erziehungshandeln in einem jeweils speziellen Bereich als Zusammenspiel von erzieherischer Vorstellung und Auswirkung der Behinderung. Bei Herrn B. führt die Contergan-Behinderung zu häufiger verbaler Anweisung, da viele Tätigkeiten dem Kind nicht vorgemacht werden können oder Aktionen des Kindes nicht ohne Schwierigkeit wieder behoben werden können. Dennoch sieht dieser Vater beispielsweise in der überwiegend sprachlichen Beschränkung der Aktivitäten des Kindes auch eine Erziehungsmethode und greife weniger auf vorbeugenden Entzug von Handlungsmöglichkeiten zurück. Bei Herrn C. erschwert die Benutzung des Rollstuhles die körperliche Zuwendung zum Beispiel beim ins Bett bringen, die Entscheidung, das Kind besser ohne Körperkontakt einschlafen zu lassen, beruhe aber auch auf der Einschätzung, dass damit Einschlaf- und Schlafprobleme gemildert werden könnten.

3.2.5. Erziehungserfolg

Herr A. und Herr B. nehmen eine positive Bewertung ihrer Erziehungsleistungen vor. Die erzieherischen Überlegungen erhalten durch die erfolgreiche Praxis, in welcher beabsichtigte Resultate eingetreten sind, nochmals eine Bestätigung.

3.3. Väterliches Handicap

3.3.1. Persönliche Einstellung

3.3.1.1. Persönlicher Umgang

Vier Väter, deren Behinderung später eintrat oder die sich mit der zunehmenden Verschlechterung ihres körperlichen Zustandes auseinander setzen mussten, geben an, dass sie den Verlust von Möglichkeiten in ihr Selbstbild integrieren konnten. Herr A. und Herr C. beschreiben diesen Prozess als einen Kampf oder schmerzhafte Anpassung. Die Behinderung wird hierbei als Teil der Persönlichkeit angesehen, nicht als etwas Feindliches, Schreckliches und auch nicht als zentraler Lebensmittelpunkt. Dennoch wird ebenfalls zweimal genannt, dass eine Behinderung auch schlimme Einschränkungen mit sich bringe und die Teilhabe in gewissen Bereichen verhindere. Weiterhin benennt Herr C. die Gefahr eines persönlichen Werteverlustes. Behinderung wird auch als etwas persönlich ambivalentes von Leid und Freude wahrgenommen oder in sozialer Hinsicht betont Herr O. die Relativität von Normalität und beschreibt sich wenig später selbst als Repräsentant des Anormalen. Als positiver Aspekt im Sinne eines Vorteils gegenüber dem vorherigen Zustand werden einmal von Herrn A. die Erfahrungen mit Krisenbewältigung erwähnt.

Im Gespräch hinsichtlich der Erledigungen im Alltag schwang im Hintergrund zumeist auch das Thema des Hilfebedarfs mit. Bezüglich der eigenen Person berichten drei Väter von dem Grundsatz, erst den Versuch zu unternehmen, die Dinge selbst zu erledigen. Stelle dies aber eine Überforderung oder eine zu großer Belastung des eigenen Potenzials dar, würde Hilfe angefordert werden. Von Herrn D. und Herrn C. wird auch ausdrücklich die Bereitschaft zu professioneller Unterstützung benannt beziehungsweise bekannt.

Herr B. und Herr L. erheben an sich selbst den Anspruch der weitestgehenden Selbstkontrolle und benennen es auch als ein Problem, Aufgaben zu delegieren, wenn sie sich selbst aufgrund der Behinderung nicht in der Lage sehen, ihre Kinder zu unterstützen. Bei Herrn L. bezieht sich dies besonders auf Situationen wie Läuse, welche nach Meinung des Vaters für die Helfenden auch unangenehm sein müssen und er wünschte, nicht gezwungen zu sein, auf fremde Hilfe zurückgreifen zu müssen.

Hilfebedarf beziehungsweise Schwierigkeiten vor den Kindern zuzugeben erscheint problematischer als Unterstützung für die persönlichen Erledigungen einzufordern. Möglicherweise schwächt dies das eigene Vaterbild, zudem besteht die Gefahr, von anderen Leuten in der väterlichen Kompetenz abgewertet zu werden.

3.3.1.2. Umgang mit nichtbehinderter Umwelt

Der Kontakt zu Menschen ohne Behinderung wird von zwei Vätern thematisiert. Beide erzählen, dass sie auf ihre nichtbehinderte Umwelt zugehen, jedoch aus einer unterschiedlichen Motivation heraus. Herr A. berichtet, dass er, sofern er dazu in Stimmung ist, die Kommunikation steuere. Dies erleichtert ihm selbst die Begegnung, da er seitens seines Gegenüber jegliches Fehlverhalten und Schwierigkeiten antizipiert. Bei Herrn D. ist die Offenheit des Vaters gegenüber den Fragen und Gesprächen anderer eher von einer positiven Grundhaltung getragen. Zudem ist er ehrenamtlich sehr aktiv, vor allem in seinem Umfeld. Dieses Engagement in einer überschaubaren dörflichen Gegend wiederum bewirkt eine soziale Einbindung, da seine Umgebung teilweise ihr Handeln auf seine Behinderung abstimmt und darüber Bewusstsein bei anderen für seine Bedürfnisse geweckt wird.

3.3.2. Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung

3.3.2.1. Reaktionen der Umwelt

Drei Väter erleben das Unvermögen ihrer Umwelt, mit ihrer Behinderung umzugehen. Als Hauptgrund wird dafür die Tatsache, dass ihnen als Menschen mit Behinderung die Kompetenz zur Selbstvertretung entzogen werde, genannt, als weiteres Motiv die gesellschaftliche Norm der Rücksichtnahme und schlichte Unkenntnis des Umgangs mit Menschen mit Behinderung.

Die Reaktionen fremder Menschen auf der Straße reichten von Nichtbeachtung bis hin zu negativen Äußerungen oder abfälligen Blicken. Ein zwangloser Umgang mit der eigenen Behinderung verunsichere nichtbehinderte Menschen zudem. Die zwei blinden Väter, Herr B. und Herr D., berichten auch von ungläubigen oder erstaunten Kommentaren ihrer Umwelt bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit. Was diese Väter stolz berichten, könnte von außen betrachtet als Form von Diskriminierung bewertet werden. Nur Herr D. erzählt, er habe bis jetzt keine negativen Erfahrungen gemacht, sondern eher Unterstützung erfahren. Seine Formulierung "bis jetzt" schließt jedoch nicht aus, dass er damit nicht noch rechnet.

Auch lässt Herr B. antizipierte negative Reaktionen in seiner Erzählung mitschwingen. Die Wahl seines Wohnortes in der Großstadt hat auch etwas damit zu tun, dass ein Mensch mit einer Behinderung in einer größeren Stadt eher vor Anfeindungen geschützt sei als in der Provinz.

Im Kreis vertrauter Menschen erlebten zwei Väter die Problematisierung ihrer Behinderung, Herr C. von der Familie seiner Frau und Herr O. von Bekannten. Dabei ging es um mögliche Einschränkungen für das Kind oder die Frage nach der Bewältigung von versorgenden Aufgaben.

Diskriminierung seitens der Institution Kindergarten, welche keine Bereitschaft gezeigt habe, ihre Informationen auch dem blinden Vater zugänglich zu machen, wurde von Herrn D. erwähnt.

3.3.2.2. Persönlicher Umgang mit Reaktionen der Umwelt

Größtenteils merken die Väter an, dass sie die Reaktionen ihrer Umwelt nicht beachten würden, da für sie die öffentliche Meinung unwichtig sei oder sie Reaktionen gar nicht mitbekämen. Diese Form von Nicht-Beachtung lässt sich an den Berichten von Herrn O. und Herrn C., zweier Väter im Rollstuhl, über Unternehmungen mit dem Kind, wobei das Kind auf dem Schoss vom Vater auf dem Rollstuhl mitfährt, auch teilweise als bewusste Negation von Wahrnehmung hinterfragen. Während Herr O. erklärt, er hätte gar nicht auf Reaktionen achten können, da er immer so mit seinem Kind beschäftigt gewesen wäre, bezeichnet Herr C. sein Kind als Sichtblende vor den Blicken der anderen Leute. Eine weitere zu hinterfragende Art der Nicht-Beachtung ist die Umdefinition der Reaktionen als Problem der anderen, wie teilweise von Herrn B. formuliert.

Antworten auf diskriminierendes Verhalten in der Begegnung erfolgen kaum. Herr C. erwähnt, dass er beleidigende Blick den fremden Leuten zurückgäbe. Herr O. ärgert sich über fehlende spritzige Kommentare seinerseits in solchen Momenten. Auf privater oder institutioneller Ebene erscheint die Thematisierung von unpassendem Verhalten einfacher, als wenn es um alltägliche Begegnungen auf der Straße geht.

3.3.2.3. Umgang der Partnerin mit Reaktionen der Umwelt

Zweimal wird auch der Umgang der Partnerin mit problematischen Situationen mit der Umwelt benannt. In einer Schilderung einer abstrusen Situation für den Mann habe die Partnerin von Herrn B. mit humorvoll in der Begegnung agiert, das Kind war damals allerdings noch nicht auf der Welt. Im anderen Fall bemerkt Herr O., dass die Problematisierung der Familiensituation von Außenstehenden seine Frau belaste.

3.4. Beziehung zum Kind

3.4.1. Vater-Kind-Beziehung

3.4.1.1. Beschreibung der Beziehung

Alle Väter finden für ihre Beziehung zu den Kindern positive Formulierungen. Fünfmal wird das Verhältnis als eng, vertrauend und liebevoll beschrieben. Zwei Väter äußern, dass sie ihre Söhne lieben würden, für Herrn O. stellt das Kind überdies den Lebensmittelpunkt dar. Auch wird dreimal erwähnt, wie sehr die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Kindern von den Vätern als Vergnügen empfunden wird. Herr A. und Herr B. finden es wichtig, am Leben des Kindes teilzuhaben und beim Aufwachsen dabei zu sein. Weiterhin genannt wird das Gefühl des Stolzes auf das Kind, einfach weil es als etwas Wunderbares wahrgenommen wird. Dies wie auch das Interesse Außenstehender am Kind, wie von Herrn D. berichtet, erweckt den väterlichen Stolz. Und Herr A. und Herr B. sehen in ihren Söhnen ein positives Jugendbild ihrer selbst.

Daneben charakterisiert Herr B. das Vater-Kind-Verhältnis zu seinem Sohn im Vorschulalter als ungewöhnlich. Die Beziehung sei sowohl hierarchisch wie Eltern-Kind-Beziehungen größtenteils seien, aber auch kumpelhaft über das Gefühl von Selbstständigkeit und Unterstützung hinsichtlich der Behinderung, welches ihm sein Kind übermittle.

Herr C. erwähnt, dass sich sein Kind aufgrund des fortschreitenden Abbaus seiner Kräfte ihm bereits ein Stück entzogen habe. Auch beschreibt Herr C. die momentane Vater-Kind-Beziehung über den Vergleich des Verhältnisses von Mutter und Kind. Zwar lehne sich sein Sohn augenscheinlich eher an seine Mutter an, jedoch könne darüber die Qualität der Beziehung nicht automatisch als besser, vielmehr als anders angesehen werden. Denn während Mutter und Kind zu einer Einheit verschmelzen würden, gelinge es ihm und seinem Kind, in der Interaktion die eigenständige Persönlichkeit beizubehalten, was als positiv gewertet wird.

3.4.1.2. Beziehungsentwicklung

Beide allein erziehenden Väter erzählen, Herr D. und Herr L., dass sich ihre Beziehung der jetzigen Nähe und Vertrautheit zum Kind jeweils erst entwickeln musste. In der ersten Zeit nach der Geburt empfanden die Väter durch die Vorrangstellung der Mütter der Kinder bezüglich der Versorgung eine Distanz zum Kind. Erst als beide Aufgaben der Kinderpflege eigenständig übernehmen konnten, in Konkurrenz zur Mutter traten und eigene Zuständigkeiten durchsetzten, war es möglich, eine verlässliche Beziehung zum Kind aufzubauen.

3.4.1.3. Wahrnehmung des eigenen Kindes

Einige Väter beschreiben, wie sie ihr eigenes Kind erleben. Zweimal wird über die positiven Fähigkeiten des Kindes berichtet. Die blinden Väter Herr D. und Herr B. sind stolz auf die hohe soziale Kompetenz und die Selbstständigkeit ihrer Söhne und setzen auch viel Vertrauen in deren Fähigkeiten.

Herr C. bemerkt, dass sein kleiner Sohn nun viel mehr in der Lage ist, Ereignisse zu bewerten und zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Dennoch sei es noch nicht möglich, ihn zu seinen Ansichten hinsichtlich gewisser familialer Situationen zu befragen. Vermutlich auch aufgrund seiner erwarteten kurzen Lebenszeit ist der Vater traurig über so wenig Verständnismöglichkeiten mit seinem Kind.

3.4.1.4. Bestätigung vom Kind

Vier Väter möchten mir in ihren Erzählungen vermitteln, dass auch ihre Kinder ihre positive Einschätzung der Vater-Kind-Beziehung teilen. In den kindlichen Handlungen sehen sie ihre eigene Wahrnehmung des Verhältnisses präsentiert, zum Beispiel durch Zuwendungen in Form von Küssen oder auf den Arm genommen werden wollen auch im öffentlichen Bereich wie bei Herrn D. oder die Annahme der elterlichen pazifistischen Grundüberzeugungen, welche sich im Kommunikationsstil der Kinder wieder finde wie bei Herrn A.

Auch auf der emotionalen Ebene erhalten die Väter Bestätigung durch die Wertschätzung und Sorge, welche sie von den Kindern entgegengebracht bekommen, aber auch im Vertrauen, welches im Fall von Herrn B. das Kind seinem Vater zur Bewältigung von Aufgaben gebe. Die Rückspiegelung der guten Beziehung von kindlicher Seite, die eine gleichlautende Bewertung der Kinder vermuten lässt, unterstützt das väterliche Selbstbild.

3.4.2. Beziehungsebenen

Jeder Vater thematisiert im Interview die Beziehung zum Kind auch hinsichtlich eines ganz bestimmten Spannungsmoments. In der momentanen Verhältnisbestimmung akkumulieren sich die väterlichen Gedanken in einem spezifischen Punkt, der des öfteren angesprochen wird und geprägt ist von der Auseinandersetzung mit der kindlichen Persönlichkeit im Hinblick auf die Lebensumstände, eigene Einstellungen und die väterliche Behinderung. Diese Problemkreise sind alle auf dem Kontinuum von Ablösung und Annäherung der Kinder in der Beziehung zum Vater thematisiert. Die Momente selbst sind dabei alle unterschiedlich und situationsspezifisch, ebenso wie der väterliche Umgang damit.

Zwei Väter benennen, dass in die Beziehung zum Kind nun etwas Trennendes eintrete, da die Kinder in ihrer Entwicklung Bereiche betreten, welche sie behinderungsbedingt nicht nachvollziehen können. Bei Herrn C. betrifft dies die motorische Entwicklung für einen Vater, welcher stark in seiner körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt ist, bei Herrn B. das sich entwickelnde Leseinteresse seines Sohnes als Sohn eines blinden Vaters. Beide Väter bewerten diese Entwicklung der kindlichen Kompetenz als positiv, für die eigene Beziehungsebene sehen sie aber Probleme.

Ähnlich ambivalent erlebt Herr O., ein Vater mit Körperbehinderung, das Interesse des Kindes am Rollstuhl. Einerseits ermöglicht diese Vorliebe eine gemeinsame Aktivität, was entscheidend ist, da die Kräfte des Vaters nur wenig Energie für gemeinsame Unternehmungen zulassen, andererseits ist dieses Interesse kaum nach nur Vater oder nur Rollstuhl zu trennen. Weiterhin erwähnen die zwei letztgenannten Väter aber auch, wie ihre Beeinträchtigung, welche gemeinsame Aktivitäten einschränkt, gleichzeitig für ihre Söhne unter den Peers für Anerkennung sorge. Der Rollstuhl oder die Fähigkeit, im Dunkeln Braille-Schrift zu lesen, bewirkt Bewunderung unter den Spielkameraden der Kinder und wertet sowohl den Sohn als auch den Vater auf.

Für zwei weitere Väter tritt die Veränderung in der Beziehung zu den Kindern durch die Pubertät ein. Herr L. erlebt, wie sich seine Tochter nun zur Frau entwickelt. Damit einhergehende Charakterveränderungen verschärfen für ihn manche Situationen, der Geschlechtsunterschied des Kindes zum Vater tritt deutlicher hervor und viele Reaktionen kann der Vater nicht mehr nachvollziehen, was er bei einem Sohn, so vermutet er, noch könnte. Herr A. sieht sich selbst in der Pflicht, seinen Kindern die kommende Lösung von der Familie zu ermöglichen und das seiner Meinung nach zu eng gewordene Verhältnis zu lockern, da dieses sich trotz der Pubertät der älteren Kinder nicht von allein ergebe.

Herr D. muss sich damit auseinander setzen, dass seine Beziehung zum Kind durch die Besuchsregelungen beherrscht wird. Ein vertrauendes Verhältnis und die auf die Behinderungen abgestimmten Handlungen des Kindes müssen jedesmal von neuem erworben werden. Zumal er einschätzt, dass sein Sohn weniger unter der Situation leide als er selbst, belastet ihn dieser Zustand sehr.

3.4.4. Kindlicher Umgang mit der väterlichen Behinderung

3.4.4.1. Umgang miteinander

Fast alle Väter berichten explizit, dass sie und ihre Kinder ihre Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hätten. Beispiele dafür sind die vermehrte Versprachlichung bei einem blinden Vater, Herrn B., die prompten Reaktionen auf Zuruf oder das still liegen bleiben beim Wickeln bei den Vätern mit Körperbehinderung. Das kooperative Verhalten habe sich bei den Kindern bereits in sehr jungem Alter gezeigt. Zudem beobachten die Väter diese Reaktionen der Kinder nicht auf die Forderungen der Partnerin oder anderer Personen.

Zwar konnte nur Herr A. bei seinen älteren Kindern benennen, dass ihnen die Behinderung als Abweichung von den anderen Vätern und deren Auswirkungen bewusst ist, dennoch stellen alle Kinder ihr Handeln auf die Eigenheiten ihres Vaters ein und akzeptieren, dass dies notwendig ist und nicht anders geht. Für die Kinder scheinen gewisse Regelungen zwischen ihnen und den Vätern sich aus der Persönlichkeit des Vaters mit seiner Behinderung zu ergeben. Dinge, welche in den prinzipiellen Machbarkeitsbereich der Väter fallen, müssen ebenso erzieherisch ausgehandelt werden, wie es andere Eltern auch erleben. So erzählt Herr L., dass seine Tochter beim Wickeln immer still gelegen habe, da dies sonst sehr viel Zeit in Anspruch genommen hätte, allerdings habe er auch eine furchtbare Auseinandersetzung mit seiner Tochter im Kindergartenalter darüber gehabt, dass sie weiterhin auf den Schultern getragen werden wollte, ein Wunsch, welche sie bis zu diesem Zeitpunkt von ihrem Vater erfüllt bekam.

3.4.4.2. Eingehen auf die väterliche Behinderung

Über die Hälfte der Väter berichten von Situationen, in welchen sie ungefragt Unterstützung bei behinderungsbedingten Schwierigkeiten seitens ihrer Kinder erfahren haben. Dies betrifft das Zureichen von Sachen, das Ausladen des Rollstuhls aus dem Auto oder die Lenkung der Kommunikation zwischen dem Vater und Spielgefährten des Kindes im Fall von Herrn B., eines blinden Vaters.

Weiterhin werden dreimal die kindlichen Reaktionen auf ihre Wahrnehmung der väterlichen Handlungsbeschränkung beschrieben. Herr B. ist sehr stolz, da sein Sohn versucht, seinem blinden Vater über plastisches Gestalten visuelle Erfahrungen zu übersetzen.

In den anderen für die rollstuhlbenutzenden Väter negativen Fällen nutzten oder nutzen die Kinder die eingeschränkte Mobilität, um sich bei Konflikten dem Vater zu entziehen. Zudem provoziere der Sohn von Herrn C. regelmäßig den Vater, um den Handlungsspielraum, welcher sich aufgrund der fortschreitenden Behinderung allmählich verringert, zu erproben. Für die Zeit der Pubertät des Kindes befürchtet Herr B. nicht nur das Ende kooperativen Verhaltens, sondern durchaus eine negative Wendung.

Bei allen Erklärungen, wie selbstverständlich sich ihre Kinder auf ihre behinderungsbedingten Handlungsmöglicheiten eingestellt hätten, erfolgen in einigen Fällen auch Bemerkungen der Väter, dass sie sich manchmal in ihrer Alltagsbewältigung oder hinsichtlich deren Probleme von der Kooperation der Kinder abhängig wissen. Ein Umstand, den Eltern im allgemeinen wenig reflektieren, eher bei auftauchenden Problemen.

3.4.4. Auswirkungen der väterlichen Behinderung

3.4.4.1. Schicksal

Herr A. und Herr C. bewerten bezüglich ihrer Kinder, dass es deren Schicksal sei, einen Vater mit Behinderung zu haben. Sie hätten sich dazu nicht entschieden, keine Wahlmöglichkeit gehabt, sondern seien in diese Situation hineingeboren worden. Für Herrn A. ist es ersichtlich, dass dieser Umstand das Leben der Kinder entscheidend mitbestimmen wird, da sie in gewisser Weise als in einem Behinderten-System lebend mit behindert seien. Im anderen Fall versucht Herr C., seinen Sohn aufgrund der fehlenden Entscheidungsmöglichkeit zum Zusammenleben mit einem Menschen mit Behinderung aus seinem benötigten Assistenzbedarf herauszuhalten. Er überlegt sehr genau, welche Unterstützungen er seinem Kind gestattet und welche Hilfe bereits für ihn grenzwertig sei.

3.4.4.2. Kindliche Persönlichkeit

Auf der individuellen Ebene geben Herr B. und Herr L. an, ihre Behinderung habe auf die kindliche Entwicklung eingewirkt und zwar derart, dass ihre Kinder früher als altersgemäß erwartet gewisse Kompetenzen erworben hätten. Dabei geht es um die Bereiche Sprache und Selbstständigkeit.

Herr B. als blinder Vater geht davon aus, dass das Bedürfnis seines Sohnes nach körperlicher Rückversicherung auf seine Umgangsform in der frühen Kindheit zurückgeht, da seine Behinderung vermehrten Körperkontakt bedingt habe, um Reaktionen des Kindes in Erfahrung zu bringen.

Herr A., welcher einen Rollstuhl benutzt, berichtet, das seine Kinder zur Perspektivübernahme aus dem Blickwinkel eines Rollstuhlfahrers in der Lage seien. Zudem würden sie sich mit dieser Rolle teilweise identifizieren und würden Missstände, welche Partizipation und Gleichbehandlung verhindern, wahrnehmen und beklagen.

3.4.4.3. Reaktionen auf Kind eines Vaters mit Behinderung

Auf der sozialen Ebene berichten zwei Väter, dass ihre Kinder auf die väterliche Behinderung angesprochen werden, hauptsächlich von Gleichaltrigen. Ein mögliches Anders-Sein ihres Vaters bekommen sie von außen herangetragen. Bis auf Nachfragen erwähnen die Väter keine weiteren Reaktionen seitens der Peers der Kinder, allerdings werden Überlegungen hinsichtlich der kindlichen Gedankenwelt bezüglich der väterlichen Behinderung auch nicht thematisiert. Bei Herrn L. stößt das Interview diese Frage an, so dass er dies bald mit seinem Kind besprechen möchte.

Herr B. berichtet, dass er es bereits erlebt hat und auch von anderen blinden Eltern immer wieder hört, dass seinem Kind von anderen Erwachsenen die Verantwortung für den Vater zugesprochen wurde. Diese Einstellung bewertet er als empörend und schritt auch in der Situation dagegen ein.

3.4.5. Kindliche Assistenz

Unakzeptabel ist für fünf Väter die Übernahme von Assistenzleistungen von Seiten der Kinder. Für drei Väter gehört dazu auch, dass ihre Kinder sich nicht in der Pflicht zu sehen haben, die Verantwortung für ihre Väter zu übernehmen. Begründet wird dies überwiegend mit dem Verweis auf den Status als Kind und dem Recht auf die eigene Kindheit. In diese Richtung geht auch eine Aussage von Herrn C., welcher meint, versorgende Leistungen könne man dem Kind nicht zutrauen, obwohl es dies möglicherweise sogar könnte. Ein weiteres Argument ist der Selbstversorgungsanspruch und dass man es nicht nötig habe, auf die Hilfe des Kindes zurückzugreifen.

Drei Väter äußern den Anspruch an sich selbst, es zu vermeiden, dass ihr Kind zu ihrem Assistenten wird. Sie hoffen, dass sie ein Verbot diesbezüglich explizit oder implizit in ihrer Erziehung zum Ausdruck bringen.

Hilfestellungen haben für Herrn O. nur in einem gewissen Rahmen zu erfolgen, wichtige Kriterien dafür sind Freiwilligkeit und Spass an der Tätigkeit. Herr B. akzeptiert Hilfe seines Sohnes nur nach ausdrücklicher Aufforderung und wehrt sich gegen die automatische Annahme von Außenstehenden, dass sein Sohn seine Behinderung auszugleichen habe. Für Herrn D. gehört kindliche Mithilfe im Haushalt entsprechend des Alters durchaus ins Erziehungskonzept. Die Trennlinie im Hinblick auf erwartbare und nicht zu leistende Unterstützung seitens des Kindes ist von den Vätern kaum konkret zu benennen.

3.4.6. Normalität im väterlichen Leben

Auf die Frage, wie die Kinder mit ihrer Behinderung umgehen würden, antworteten vier Vater, sie würden normal damit umgehen. Trotz dieses angemessenen, situationsadäquaten Umgangs mit der väterlichen Behinderung können die meisten Väter nicht abschätzen, inwieweit die Kinder eine Abweichung ihrer Väter von nichtbehinderten Vätern in ihrer eigenen Normalität wahrnehmen. Herr B. meint, seinem Sohn sei seine Behinderung egal. Herr A. betont seine Vorbildfunktion im Umgang mit Behinderung, da er sie nicht problematisiere, hätten auch seine Kinder keine Schwierigkeiten sie anzunehmen.

Für zwei Väter ermöglicht das Zusammensein mit ihren Kindern ein Leben in ihrer Normalität, das heißt ein Leben, in welchem ihre Behinderung unwichtig ist und sie auf keine Barrieren treffen. Da die Kinder seit ihrer Geburt mit dem Vater vertraut sind, können sie adäquat auf die väterlichen Bedürfnisse reagieren. Für Herrn L. stellt seine Tochter den einzigen Menschen dar, der dazu überhaupt in der Lage ist. Entscheidend in dieser Wahrnehmung ist vermutlich auch das Vertraute und die Selbstverständlichkeit in der Interaktion. Das Kind als Gegenüber ist nicht ausschließlich jemand, der sich gut auskennt mit Menschen mit Behinderung, sondern der es im Bezug auf den Vater gar nicht anders kennt und für normal erachtet.

Umgekehrt beschreibt Herr D., welcher seinen Sohn nur einige Tage im Monat sieht, dass sein noch junges Kind den Umgang mit dem Vater jedes Mal neu erlernen müsse. Die Eigenheiten des blinden Vaters als Einziger unter vielen Anderen kann sich das Kind über einen längeren Zeitraum der Abwesenheit nicht merken. Nach der Ankunft versucht es, die erlernten Verhaltensweisen gegenüber anderen Menschen auch bei seinem Vater anzuwenden. Sehr schnell lernt der Sohn dann sein Verhalten abzustimmen.

3.4.7. Zukunft

Die Zukunftswünsche der Väter sind ganz unterschiedlich, abhängig von der momentanen Familiensituation, der Gestaltung der Beziehung zum Kind und einhergehenden Problemen. Der allein erziehende Vater Herr D. wünscht sich, dass sein Sohn irgendwann bei ihm wohnen könnte, Herr A. erhofft, dass es ihm und seiner Frau möglich wird, die Kinder aus der Familie zu entlassen und sie nicht allzu sehr an die Familie zu binden. Herr C. möchte seinen Sohn noch so lange, wie es seine Kräfte zulassen, unterstützen und begleiten und sieht sich vor der Aufgabe, das Kind auf seinen kommenden Tod vorzubereiten. Herr L. mit einer Tochter im Schulalter wünscht sich, diese könnte den Wert von Bildung anerkennen.

In der Beziehung zum Kind äußern vier Väter den Wunsch, dass die positive Beziehung bestehen bleibt oder sich intensiviert hin zu einem partnerschaftlichen Verständnis. Dabei geht es auch darum, als Person so angenommen werden zu können, wie man ist, Herr C. und Herr D. formulieren ihre Hoffnung, dass dies den Kindern möglich wird, und Herr B. den Wunsch, mit seiner Tochter auch über seine Behinderung offen sprechen zu können.

Gerade Herr C., welcher sich mit seinem kommenden Sterben auseinandersetzen muss, wünscht sich, dass seine Behinderung weder für das Vaterbild des Sohnes noch für diesen persönlich einen Werteverlust seines Selbst bewirke. Doch auch Herr O. und Herr B. benennen ihre Angst, sie könnten im Laufe der kindlichen Entwicklung, gerade in der Pubertät, wenn die Freunde für die Kinder immer wichtiger werden, ihre väterliche Stellung auch oder gerade aufgrund der Behinderung verlieren und eine Abwertung als Vater erfahren.

3.5. Familienleben

3.5.1. Alltagsgeschehen

3.5.1.1.Alltagsgestaltung

Die Väter, welche mit einer Partnerin zusammenleben, beteiligen sich sehr unterschiedlich bei der Erledigung der täglich anfallenden Aufgaben. Herr D. bezeichnet sich selbst als Hausmann, während beide Väter mit fortschreitender Behinderung angeben, dass ihre Frauen den Alltag fast nahe zu allein bestreiten. Werden zusätzlich die Aufgaben der Versorgung und Betreuung der Kinder mit einbezogen, geben drei Väter an, zwischen ihnen und ihrer Partnerin herrsche eine Aufgabenteilung. Im Haushalt von Herrn A. und Herrn C. gäbe es klare Festlegungen, wer welche Erledigungen übernehme, bei Herrn B. richtet sich dies nach der Verfügbarkeit. Herr C. sowie die zwei allein erziehenden Väter Herr D. und Herr L. geben weiterhin an, dass sie zur Mithilfe eine Haushaltshilfe angestellt hätten.

Hinsichtlich seiner Alltagsgestaltung thematisiert Herr D., welcher sich selbst primär in der Beziehung für den Haushalt zuständig sieht, seine Probleme, die Aufgaben gut und umfassend zu erledigen und dabei gleichzeitig auch den Anforderungen seines Sohnes gerecht zu werden. Unzufrieden bemerkt er, dass er sich seinem Sohn teilweise weniger zuwende als der Haushaltstätigkeit.

3.5.1.2. Alltag und Behinderung

Entscheidend für die Übernahme von Aufgaben ist auch die Frage der prinzipiellen Bewältigung. Beide Väter mit weit fortgeschrittener chronischer Erkrankung, Herr C. und Herr O., können ihre Frauen kaum noch im Haushalt unterstützen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten hätten sie viele Aufgaben abgeben müssen. Im Falle von Herrn C., welcher eine ebenfalls behinderte Partnerin hat, wird in dem Fall, dass auch sie nicht in der Lage ist, den Alltag zu meistern, professionelle Unterstützung eines Vereins angefordert.

Herr B. erzählt, dass seine Übernahme von Aufgaben sich auch an der Bereitschaft seiner Umgebung, ihn einzubinden, entscheide. Teilweise habe er schon das Gefühl, dass sich sowohl seine Frau als auch der Sohn zuerst fragen, inwieweit es überhaupt möglich ist, dem Vater bestimmte Hausarbeiten zuzuweisen.

Einschränkend von seiner Seite bemerkt Herr B. jedoch auch, dass er möglicherweise manchmal unbewusst seine Behinderung zur Vorteilsnahme benutze, indem es ihm über einen Bezug darauf leichter falle als der Frau, unliebsame Aufgaben zu umgehen.

3.5.2. Familiensituation

3.5.2.1. Familienbewertung

Zwei Väter nehmen eine allgemeine Bewertung ihrer spezifischen Familiensituation vor. Während Herr C. in der momentanen Beziehungssituation die Erfüllung seiner Wünsche und Hoffnungen sieht, erlebt Herr A. die Situation der Familie durch sein berufsbedingtes Pendeln zwischen zwei Orten als ungünstig und anstrengend. Die Trennung sei für keine der beiden Seiten angenehm.

3.5.2.2. Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände

Die Einschätzung der heutigen Familiensituation bewerten zwei Väter über die Problematisierung der Veränderung der Lebensumstände von Eltern mit Behinderung. Beide nehmen dabei jeweils auf der persönlichen Ebene das nächste Umfeld als Ausgangspunkt in den Blick. Herr C. fordert von anderen, Außenstehenden, dass diese mehr Vertrauen in die elterlichen Kompetenzen von ihm und seiner Frau setzen. Es sei nicht akzeptabel, ihnen aufgrund der Behinderung von vorne herein die Bewältigung der Versorgung und Betreuung ihres Kindes abzusprechen.

Herr B. vertritt die Meinung, dass Veränderungen am ehesten durch ein gewisses Maß an Bürgerengagement umsetzbar seien. So stellt er an sich selbst die Forderung zum Handeln, indem er das Zusammenleben in seiner eigenen Familie als Ansatzpunkt nehme, um von dort einen Einstellungswandel seiner Umgebung zu bewirken.

3.5.3. Umgang mit der väterlichen Behinderung

3.5.3.1. In der Partnerschaft

Drei Väter erwähnen, dass ihre Frauen sich freiwillig in der Situation des Zusammenlebens mit einem Mann mit Behinderung befinden. Sie hätten gewusst, auf was sie sich da eingelassen hätten, dies betrifft vermutlich auch den Unterstützungsaufwand.

In der Beziehung der Paare wird die Behinderung unterschiedlich akzentuiert. Herr A. und Herr C. geben an, dass ihre Behinderung Einfluss auf das Zustandekommen der Partnerschaft gehabt hätte. Persönliche Eigenschaften der Männer wie Krisenerfahrenheit oder eine gewisse Einstellung gegenüber Behinderung, welche sich aus der persönlichen Betroffenheit entwickelt hätten, wären für die zukünftigen Frauen mit wichtig gewesen, sich hier zu binden.

Im Zusammenleben gibt Herr D. an, dass seine Behinderung keine Rolle spiele und auch nicht thematisiert würde, nicht weil dies tabuisiert sei, sondern weil im Alltag keine Probleme auftreten würden und grundlegend geklärt wurde, in welchen Fällen Hilfe notwendig sei.

3.5.3.2. In der Familie

Hinsichtlich des Umganges mit der väterlichen Behinderung in der gesamten Familie wiesen mich Herr C. und Herr O. darauf hin, dass Behinderung bei ihnen ein unüblicher Begriff sei und als Thema dieser Bereich gar nicht behandelt würde. In der gegenseitigen Bezugnahme und den alltäglichen Handlungen sei der Umstand der väterlichen Behinderung hingegen grundlegend.

Dass die Behinderung für die Familie nicht als Problem betrachtet wird, führen Herr A. und Herr O. darauf zurück, dass den Kindern diese Einstellung seitens der Eltern vorgelebt werde. In der Familie von Herrn A. kommt die väterliche Behinderung zudem in Form von Witzen ironisch zur Sprache.

IV. Auswertung und Einordnung der Ergebnisse

Die abschließende Diskussion der Ergebnisse wird auf der Grundlage der Struktur des heuristischen Modells von Matzner bezüglich des subjektiven Vaterschaftskonzepts vorgenommen. Den Hauptdeterminanten im Bereich der Realisierung der sozialen Praxis von Vaterschaft wird für die hier befragte Vätergruppe die Determinante "väterliches Handicap" hinzugefügt. Generell kommt die väterliche Behinderung als Teil der Persönlichkeit der Väter in allen Determinanten zum Ausdruck und sollte nicht als abgespaltener Aspekt der väterlichen Person dargestellt werden. Hinsichtlich der Umsetzung und Ausgestaltung der Vaterschaft lassen sich in den Aussagen der Väter Hinweise auf den bestimmenden Einfluss der jeweils spezifischen Behinderung finden.

Im Rahmen der einzelnen Determinanten werden die Ergebnisse ausgewertet und weiterführende Fragestellungen entworfen.

1. Sozialisation zum Vater und Persönlichkeit des Vaters

Einen ersten Indikator für das spätere väterliche Engagement stellt die Einstellung des Mannes zur Schwangerschaft und die Erwünschtheit des Kindes, auch zu diesem momentanen Zeitpunkt, dar (vgl. Fthenakis, 2002, S. 152f.). Kommt das Kind gelegen im Hinblick auf die eigenen persönlichen Lebenspläne, wird die Schwangerschaft emotional positiv bewertet und sich selbst als zukünftigem Vater ein befriedigende Rollenkompetenz, welche davon ausgeht auch kompliziertere Situationen mit dem Kind bewältigen zu können, zugeschrieben, so erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann als Vater sich vermehrt an der Sorge um das Kind beteiligt.

Für alle befragten Väter waren ihre Kinder Wunschkinder und auch nur in einem Fall nicht direkt geplant. Der überwiegende Teil der Väter hatte sich auch auf die Versorgung des Säuglings vorbereitet, indem entsprechende Kurse bei Hebammen besucht, Informationen gesammelt oder auch Eltern mit gleicher Behinderung zu Rate gezogen wurden. Auch wurde als Auswertung der eigenen Erfahrungen mit dem Kind betont, dass die notwendigen Kompetenzen für die Versorgung und Betreuung des Kindes weniger vorab gelernt werden können als im direkten Umgang mit dem Säugling erarbeitet werden.

Im Kontext mit anderen Einflüssen spielt die eigene Vatererfahrung für das Fühlen, Denken und Handeln eines Vaters eine entscheidende Rolle. Der explizite Bezug auf die Sozialisation in der Familie fällt negativ aus, die Väter verstehen ihr Engagement in Betreuung und Erziehung ihres Kindes als Abgrenzung von den eigenen Erfahrungen und wollen ihre Vaterrolle in der Familie besser ausfüllen als bei den eigenen Eltern erlebt, indem sie eine enge und emotionale Beziehung anstreben. Diese Aussagen weisen ebenfalls in die Richtung eines Trends der Kompensationseffekte bei Vätern auf der Einstellungsebene hinsichtlich vorgelebter Geschlechterrollen (vgl. Fthenakis, 2002, S. 141).

Weiterhin entscheidet der persönliche Entwurf der eigenen Behinderung, wie die Behinderung in das Vaterbild integriert und im Umgang mit dem Kind thematisiert wird. Die Basis für die Präsentation der Identität sieht Frey (1983, zitiert Cloerkes, 1997, S. 162) im Integrations- und Balanceakt der Identität bezüglich diskrepanter Selbst-Erfahrungen. Sein interaktionistisches Modell beschreibt den Abgleich externer Erfahrungen und Informationen eines Individuums mit dem internen Aspekt vom antizipierten Fremdbild und der Selbstinterpretation auf der Grundlage von Fremdannahmen. Dieser Vergleich zwischen bestehendem Selbst mit dem Selbstfremdbild, welches angenommen oder zurückgewiesen wird, bestimmt das private Bild vom Selbst und die Identitätsdarstellung (vgl. Cloerkes, 1997, S. 161f.).

Fast alle befragten Väter präsentierten sich in der Auseinandersetzung mit ihrer Behinderung als gefestigt, die Behinderung wurde dabei als integrierter Teil der Persönlichkeit bezeichnet. Diese Väter thematisierten kaum Probleme oder vermutete negative Auswirkungen ihrer Behinderung auf ihre Kinder. Nur Herr C. äußert oftmals Zweifel und befürchtete aufgrund seiner Erfahrungen mit Gefühlen eines Wertverlustes dieses auch für seinen Sohn.

Für das Selbstkonzept entscheidend ist auch der persönliche Umgang der Betroffenen mit Stigmatisierung, welcher Menschen mit Behinderung ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass alle Väter eine sichtbare körperliche Behinderung haben oder über den Blindenstab als beeinträchtigt erkennbar sind. Da diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung vor allem von der Sichtbarkeit und dem Ausmaß der Beeinträchtigung in gesellschaftlich hochbewerteten Funktionsleistungen wie Mobilität und Flexibilität abhängig ist (vgl. Cloerkes, 1997, S. 77) gehören die befragten Väter in die Gruppe der Menschen mit Behinderung, welche besonders von ausgrenzenden Reaktionen betroffen sind.

"Eine Diskriminierung liegt vor, wenn Menschen wegen ihrer Beeinträchtigung in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit, der gleichberechtigten Teilhabe am Leben der Gesellschaft oder in ihrer selbstbestimmten Lebensführung behindert oder benachteiligt werden."(Heiden, 1996, zitiert nach Fries, 2005, S. 32)

Die Väter berichten von negativen Äußerungen, abfälligen Blicken, Unvermögen Anderer auf ihre Behinderung einzugehen sowie Bevormundung und Entmündigung. Wesentlich seltener aber auch vorhanden sind Erzählungen von positiv bewerteten Erlebnissen in Form von Unterstützung und Anerkennung von Leistungen, welche trotz der Behinderung möglich sind. Der größte Teil der negativen wie positiven Reaktionen bezogen auf den Umgang mit der nichtbehinderten Umwelt ereignet sich in der Auseinandersetzung mit unbekannten Mitmenschen in der Öffentlichkeit.

Die Folgen solcher Belastungen sind nach Frey (1983, zitiert nach Fries, 2005, S. 42) weder zwangsläufig noch einheitlich. Nach Cloerkes (1997, S. 176) stellt jede Stigmatisierung eine Bedrohung des Selbstbildes dar und wirft Identitätsprobleme auf, welchen in Form von Identitätsstrategien begegnet wird. Im Fall des Versagens von Abwehrstrategien "kommt es zu einer Beschädigung der Identität mit recht gravierenden Konsequenzen" (Cloerkes,1997, S. 176). Von den Vätern werden zumeist Reaktionen der Umwelt als unwichtig eingestuft und würden damit nicht weiter beachtet, oder es wird der Bewertung der Umwelt widersprochen oder das Problem allein auf deren Seite gesehen. Diese Väter versuchen teilweise die Bewertung der Außenwelt von sich fern zu halten und ihre emotionale Betroffenheit auszublenden. Als Identitätsstrategien (vgl. Cloerkes, 1997, S. 176) wirken hier Reaktionen, welche Zuschreibungen überspielen, herunter spielen, widersprechen, leugnen oder "Mängel" durch Überbetonung anderer Qualitäten kompensieren. Ebenfalls gibt es häufig Aussagen, welche eine stark kognitive Auseinandersetzung mit erlebten oder vermuteten Reaktionen der Umwelt erkennen lassen. So verfolgen beispielsweise einige Väter die Strategie aktiv auf ihre nichtbehinderten Menschen zuzugehen und darüber vermehrt Einfluss auf die Gestaltung der Beziehung zu nehmen.

Doch es gibt auch Aussagen von Vätern, welche auf Isolation und Kontaktverlust deuten, bei Herrn C. erfolgt auch teilweise die Anpassung des Selbst an die Bewertung durch die Außenwelt. Gerade die Väter mit chronischer Erkrankung scheinen sich gänzlich in den privaten Raum zurückzuziehen.

Zusammenfassend ist wiederum auf die Bedeutung sozialer Integration, beziehungsweise Vermeidung aussondernder Situationen, hinzuweisen und diese zu fordern. Denn nach Cloerkes (1997, S. 180) unterstützt eine gelungene soziale Integration behinderter Menschen die positive Identitätsentwicklung mit Aufbau von Identitätsstrategien und trägt zur Entstigmatisierung bei. Dieses kann die Ausübung der Vaterschaft und die Beteiligung bei Versorgung und Betreuung der Kinder für Väter mit Behinderung enorm erleichtern.

2. Soziale Lage und Milieu

Die Auswahl der befragten Väter repräsentiert die bürgerliche, westdeutsche Mittelschicht in abgesicherter sozioökonomischer Lage in welcher Bildung einen hohen Stellenwert besitzt. Überwiegend haben die Väter die Schule mit Abitur abgeschlossen und ein Studium aufgenommen, welches aber teilweise auch durch die Behinderung abgebrochen wurde. Die ergriffenen Berufe liegen im sozialen, psychologischen Bereich oder sind kaufmännische Tätigkeiten. Diese sozialen Umstände tragen mit zu der Möglichkeit eines selbst bestimmten Lebens außerhalb von Heimen oder der Herkunftsfamilie bei. Das Leben in einer selbst gewählten Umgebung unterstützt zudem die Realisierung des Kinderwunsches.

"Selbstbestimmte Lebensformen haben unter anderem den Vorteil, dass das (Er)Leben von Sexualität und Partnerschaft möglich ist. Von jungen, schwerbehinderten Erwachsenen , die in einer Sondereinrichtung leben, wird nicht erwartet, dass sie sexuelle Beziehungen entwickeln. Sie werden in der Regel sogar aktiv von der Elternschaft abgeschreckt. Dagegen ist es für behinderte Erwachsenen, die in der Gemeinschaft leben, wahrscheinlicher, dass sie sexuelle Beziehungen haben und sich das Recht herausnehmen, verschiedene Formen der Beziehung, einschließlich der Elternschaft, auszuprobieren. (Hermes, 2001, S. 13)"

3. Sozio-kulturelle Einflüsse

Matzner (2004, S. 155) beschreibt die universelle väterliche Funktion über Jahrhunderte hinweg als die des Patriarchen. In dieser einflussreichen und machtvollen sozialen Position hatte der Vater auch eine entscheidende Bedeutung für die Sozialisation und Erziehung seiner Kinder. Im Verlauf der Modernisierung erfolgte ein allgemeiner säkularer Bedeutungsverlust des Vaters und eine Erosion des Vaterbildes. Die heutige Vaterschaft als kulturelles Konstrukt und soziale Praxis ist nach Lupton und Barclay (1997, zitiert nach Matzner, 2004, S. 155) ein "amorphes Phänomen, welches prinzipiell über eine große Spannweite von Repräsentationen des Vaterseins verfüge und dem Paradoxien und Spannungen inhärent seinen". Auch die befragten Väter bestreiten ein einheitliches gesellschaftliches Vaterbild und verweisen auf verschiedene Orientierungs- und Handlungsmuster.

Die Beschreibungen des persönlichen Ideals aber weichen mehrheitlich wenig voneinander ab, zumindest in diesem Kreis teilen die befragten Väter Vorstellungen von Vaterschaft. Die väterliche Rolle werde ausgefüllt von allgemeiner Verantwortung und Sorge, die emotionale Zuwendung wird weniger thematisiert, im Falle der zwei Väter mit fortschreitender Behinderung wird das ideale Vaterbild ausschließlich über eine Ausgestaltung einer engen Beziehung zum Kind charakterisiert.

Neben der Versorgung und Betreuung des Kindes beschreiben Väter auch ihre erzieherische Rolle. Die Vätern sehen sich dabei Aufgaben wie Vorbild sein, Werte vermitteln, leiten und kontrollieren, Spielraum lassen und vor allem Grenzen ziehen gegenüber. Gerade der Umgang mit Grenzen und Forderungen an Kinder und damit verbunden die Themen Konflikte und Strafen beschäftigen die Väter sehr. Auch die eigene Ungeduld oder väterliche Ansprüche als Faktor, welcher erst Probleme mit dem Kind hervorrufe, werden seitens der Väter diskutiert. Die Beschneidung kindlichen Handelns war, als Erbe des erzieherischen Umschwungs von 1968, lange verpönt, nun wird dies aber gesamtgesellschaftlich geradezu gefordert (vgl. Gerster / Nürnberger, 2003, S.255f). Der gesellschaftliche Diskurs und die positive Neubewertung von Grenzen im kindlichen Handeln und deren Durchsetzung spiegelt sich in den Äußerungen der Väter wieder.

Das Erziehungshandeln ist für die Hälfte der Väter mit einer prägenden Wirkung verbunden und unterliegt einem fast zwangsläufigen Ursache-Wirkung-Schema. Bei Vätern scheint diese Einstellung generell ausgeprägter als bei Müttern zu sein (vgl. Dietrich, 1985, S. 7). Diese Sichtweise wird bei den befragten Vätern durch die Resultate eigener erzieherischer Praxis bestätigt und ermöglicht somit eine positive Bewertung des eigenen Erziehen.

Weiterhin ist die Vorstellungen eines Vaters von seiner allgemeinen Sozialisation zur erwachsenen Persönlichkeit geprägt. Hermes (2001, S. 28) verweist darauf, dass die Themen Sexualität und Kinderwunsch in der Erziehung vieler Menschen mit Behinderung ausgeklammert werden. Zwei der Interviewpartner haben ihre Behinderung von Geburt an. Von ihnen wird eine Erziehung als Neutrum oder zum Nicht-Vater-Sein nicht erwähnt. Für die übrigen Väter mit erworbener Behinderung, meist im frühen Erwachsenenalter eingetreten, stellte sich diese Frage nicht. Sie konnten vermutlich auf ihre bereits entworfene Lebensplanung uneingeschränkt zurückgreifen. Nur Herr A. berichtet von seiner Emanzipation von der gängigen Meinung der Unfruchtbarkeit bei Männern mit Querschnittslähmung.

Inwieweit in der Sozialisation zum Menschen mit Behinderung für Männer diese Thematik persönlich und sozial relevant und präsent ist, kann zum einen mit der Frage nach der Vererbbarkeit der Behinderung in Verbindung stehen, etwas das hier in keinem Fall dominiert. Oder auch Ausdruck einer gesellschaftlichen geschlechtsspezifischen Rollenerwartung sein, welche die Hauptverantwortung für Versorgung und Erziehung der Kinder weiterhin bei der Mutter sieht. So verspüren Männer mit Behinderung einen geringeren Erfolgsdruck und weniger Sorgen hinsichtlich der Versorgung des Kindes als Frauen mit Behinderung (vgl. Hermes, 2003, S. 261).

4. Erfahrungen als Vater

Reaktionen auf ihre Vaterschaft haben die Väter zumeist in negativer Form erfahren, wobei ihnen väterliche Kompetenz und Zuständigkeit abgesprochen wurde. Aber sie beschreiben auch einer Art Gewöhnungseffekt. Personen, welchen ihre Interaktion mit dem Kind vertraut seien, würden sie als Vater akzeptieren.

Die Aktivitäten der Kinder mit Freunden im Haus und außerhalb der Wohnung sofern sie, auch altersabhängig, von den Vätern begleitet werden, verhindern eher den Rückzug in einen abgeschotteten privaten Bereich als er allein lebenden Personen möglich ist. Die wahrgenommene Sorge für Kinder ermöglicht und verlangt einen Umgang und eine Auseinandersetzung mit der nächsten sozialen Umwelt seitens der Eltern. Umgekehrt gilt dies auch für sämtliche Kontaktpersonen des Kindes. Unter anderem verpflichtet die Existenz der Kinder zur Integration ihrer Eltern. Und in diesem Kontakt sind alle Interaktionspartner verpflichtet über sich selbst, den anderen und die beide umgebende Umwelt zu reflektieren (vgl. Cloerkes, 1997, S. 181). Damit bietet sich die Chance, wenn auch nicht Gewähr Differenzen und Spannungen im Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung zu verringern und ein realitätsgerechteres Bild von Menschen mit Behinderung aufzubauen.

Für die Gestaltung der Begegnung ist von nichtbehinderten Menschen ein intensiverer Kontakt mit behinderten Menschen zu fordern, die Bereitschaft sich über Formen von Behinderungen sowie sich über Menschen mit Behinderung und deren Lebensweise zu informieren und auch die Entwicklung von Toleranz, Verständnis und Reflexion eigener Verhaltensweisen. Auch behinderte Menschen sind zur Intensivierung des Kontakts zu nichtbehinderten Menschen angehalten (vgl. Fries, 2005, S.336f.).

Entscheidend für die Vaterschaft ist allerdings auch, in wie weit sie im gesellschaftlichen Rahmen gelebt werden kann. Eine großes Hindernis sind hierbei gerade auch pädagogische Institutionen. Da Mitarbeiter solcher Einrichtungen durchaus die Behinderung von Vätern betreuter Kinder ausblenden, Partizipation verhindern oder die Behinderung möglicherweise zum Anlass nehmen, sich über die elterliche Zuständigkeit hinwegzusetzen, besteht dringend Bedarf an Weiterbildung als auch an Reflexion der pädagogischen Haltung seitens des Personals. Zu hinterfragen wäre in diesem Zusammenhang auch das generelle Verhältnis von pädagogischen Einrichtungen und Vätern. Nur kurz soll erwähnt werden, dass einerseits die Abwesenheit der Väter in Einrichtungen beklagt wird, andererseits aber Väter in ihrer pädagogischen Rolle selten speziell angesprochen und gefordert werden. Ein großer Teil der Elternarbeit ist aus verschiedenen, wahrscheinlich aber auch institutionellen Gründen Arbeit mit Müttern (vgl. für den Kindergartenbereich Mieke, 2001).

5. Partnerin und Mutter des Kindes

Einstellungen und Verhaltensweisen der Mütter der Kinder wurden nur wenig von den Vätern thematisiert, die väterliche Wahrnehmung der Rolle der Mutter und Partnerin wurde auch nicht explizit erfragt. Teilweise, gerade im Falle von Diskrepanzen, weniger bei übereinstimmenden Meinungen zwischen den Partnern hinsichtlich Versorgung oder Erziehung, erfolgten aber ausführliche Schilderungen der Väter. Diese Äußerungen verdeutlichen den Einfluss der Mütter auf die Art und Weise und die väterliche Zufriedenheit hinsichtlich der Gestaltung der Vaterrolle. In der Literatur wird die Funktion der Mutter als "Gatekeeping" oder "Türsteher-Funktion" (z. Bsp. Fthenakis u. a., 2002, S. 142) beschrieben. In der ersten Zeit mit dem Säugling liegt die Zuständigkeit für das Neugeborene nahezu ausschließlich bei der Mutter. Deren Verhalten regelt den Zugang des Vaters zum Kind und darüber den väterlichen Spielraum von zuwendenden Tätigkeiten und Aufbau und Entwicklung einer Vater-Kind-Beziehung. Zudem setzt die Mutter die Standards, wie das Kind zu versorgen ist und überwacht die Regeln. Abweichende Ausführungen seitens des Vaters werden sanktioniert durch Kritik oder Übernahme von strittigen Aufgaben (vgl. Fthenakis u. a., 2002, S. 142).

Im Falle einer Behinderung kommt oft hinzu, dass aufgrund körperlicher Einschränkungen die Art und Weise der Versorgung des Kindes anders ausfällt als üblich und Tätigkeiten auch längere Zeit in Anspruch nehmen (vgl. Hermes, 2001, S. 163; Behrendt, 1998, S. 170f.). Dies berichten insbesondere die nun allein erziehenden Väter, welche in Kompetenzrangeleien mit ihren Partnerinnen gelangten und sich eine eigene Beziehung zum Kind auch unter Emanzipation von der dominant empfundenen Mutter erarbeiten mussten.

Inwieweit eine Mutter den Vater aktiv in die Versorgung und Betreuung des Kindes mit einbezieht, hänge vom mütterlichen Zutrauen in dessen Kompetenzen als Vater ab, in wie weit sie annimmt, dass dieser angemessen und kompetent auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen könne. Dabei gehe es vorrangig um die pflegerischen Tätigkeiten, weniger um das gemeinsame Spielen (vgl. Fthenakis u. a., 2002, S. 142f.). Alle Väter geben Hinweise und Beschreibungen, dass sie sich an der Versorgung der Kinder beteiligt haben und dazu auch in der Lage waren. In welchem Umfang dies geschah und inwieweit sie Unterstützung und Verantwortung den Müttern, welche die primären Bezugspersonen der Kinder waren, angeboten haben wird nicht weiter ausgeführt.

Die Paarbeziehung und die Rollendefinitionen als Mutter und Partnerin eines Mannes mit Behinderung war nicht Thema dieser Arbeit, da es hier um die Sichtweise der Väter mit Behinderung gehen soll. Vermutlich ist dieser Bereich jedoch sehr entscheidend für die soziale Praxis von Vaterschaft und verschiedene Bemerkungen der befragten Väter werfen eine Menge Fragen auf.

Es wäre interessant, die Ansichten der Mütter zu ermitteln. Ein Vater machte darauf aufmerksam, dass er schon das Gefühl habe, seine Frau überlege, bevor sie ihn um Erledigung von Aufgaben bitte, in welchem Maße er diese überhaupt erledigen könne. Welches Bild haben diese Frauen und Mütter von Mutterschaft, Vaterschaft und Elternschaft? Welche Vorstellungen haben sie von einer aktiven Vaterschaft und der Vater-Kind-Beziehung, und welche Rolle spielt dabei die väterliche Behinderung? Welchem Erfolgsdruck für eine gelingende Kinderversorgung sehen sich diese Mütter gegenüber, da die Verantwortung für das Kind gesellschaftlich in erster Linie bei der Mutter liegt und wie beeinflusst dies vielleicht nochmals ihr Einstellung gegenüber einer Behinderung? Wie definieren sie auch ihre Rolle als Partnerin eines Mannes mit Behinderung auch hinsichtlich möglicher Unterstützungs- und Pflegeleistungen für den behinderten Partner?

Gleichzeitig basiert die Konstruktion der Paarbeziehung und deren geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen auch auf der Aushandlungen der Rollen zwischen den Partnern. Der gleiche Vater erzählte ebenso, dass er seine Behinderung manchmal vielleicht als Grund unliebsame Aufgaben zu umgehen benutze. Zum anderen stellen sich also Fragen inwieweit die Rollenzuweisung von Vätern mit Behinderung an ihre Partnerinnen aufgrund geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen oder aufgrund eines eingeschränkten Handlungsspielraumes, aufgrund der Beeinträchtigung erfolgen und welche Bedeutung dabei auch dem väterlichen Konzept von Männlichkeit zukommt.

Neben der Versorgung und Betreuung des Kindes beeinflusst die Mutter auch den väterlichen Spielraum, seine Erziehungsfunktion wahrzunehmen. Einigkeit der Eltern in Erziehungsfragen befördert die Erzieherrolle beider Elternteile, da damit keine Autorität angezweifelt wird und das Kind weniger in Verlegenheit gerät, sich an die Person mit der günstigeren Einstellung zum jeweiligen Sachverhalt zu wenden. Weitestgehend ist das Familienalltag, inwieweit konträre Einstellungen der Eltern bezüglich erzieherischer Grundsätze problematisch werden, hängt von Häufigkeit und Schwere der Situationen und der Frustrationstoleranz des Elternteils, dessen Autorität vakant ist, ab. Gravierende Differenzen führen zu offenen Konflikten oder Rückzug des benachteiligten Elternteils.

Bei den befragten Vätern thematisiert die Hälfte unterschiedliche Erziehungshaltungen der Eltern. Die allein erziehenden Väter Herr D. und Herr L. geben dies mit als ein Grund zur Trennung von der Mutter des Kindes an. Die Trennung der Haushalte ermöglicht ihnen nun nach ihren Vorstellungen mit dem Kind zu leben. Herr C. setzt sich damit auseinander, dass er sein Kind deswegen mehr mutterbezogen wahrnimmt und einschätzt, dass ihm der Sohn ein Stück weit entglitten sei. Hier kommt allerdings auch der Abbau seiner Kräfte zum Tragen.

Eine Behinderung kann zudem den väterlichen Handlungsrahmen in der Erziehung verringern, womit sich Väter mit Behinderung auseinandersetzen müssen. Die Väter im Rollstuhl berichten alle von Situationen, in welchem die Kinder sich Konflikten durch räumliche Distanz entziehen, welche für sie nicht oder nicht schnell genug überbrückbar ist. Nur im Fall von Herrn A. wird dies vom Vater und auch von der Mutter nicht akzeptiert und mit Unterstützung der Mutter wird dem Vater dennoch ermöglicht seine väterliche Rolle auszufüllen. Denn seine Frau holt das Kind zurück und es wird auch im Folgenden nicht zugelassen, dass das Kind sich Auseinandersetzungen derart entziehen kann.

6. Kinder

Kinder besitzen weiterhin einen großen Wert in dieser Gesellschaft, allerdings weniger wie in vergangenen Zeiten in funktioneller Hinsicht als Sicherstellung der Reproduktion und Alterssicherung. Eher werden Kinder mit emotionalen Werten von Freude, Spaß sowie Elternstolz und -glück in Verbindung gebracht (vgl. Matzner, 2004, S. 112).

Für Frauen mit Behinderung stelle die Mutterschaft ein zentrales Element ihres weiblichen Selbstverständnisses dar. Die Mutterschaft löse Gefühle von Stolz und gesteigerter Wertigkeit aus. Für einige Mütter verbinde sich mit der Mutterschaft auch die Hoffnung auf gesellschaftliche Anerkennung als Frau (vgl., Hermes, 2003, S. 285, 260). Alle diese Momente finden sich auch bei den verschiedenen befragten Vätern. Teilweise wird dies konkret formuliert, indem die Vaterschaft als Aufwertung verstanden und eine Anerkennung des Umfeldes wahrgenommen wird. Oder der Verlust von Betreuungsaufgaben auch hinsichtlich gefühlter Nutzlosigkeit wird thematisiert. Bereits in der Formulierung des Kinderwunsches bringen zwei Väter ihren Wunsch nach (gesellschaftlicher) Anerkennung zum Ausdruck. Für Herrn A. ermöglicht Kinder zu haben eine "normale" Biographie zu leben, für Herrn O. zeigt die Vaterschaft, dass dem Vater zumindest im privaten, wenn schon nicht beruflichen Bereich eine wichtige Funktion zukommt und er gebraucht wird.

Wesentlich häufiger wird das Kind in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Mittels Äußerungen über dieses kindliche Wesen mit seinen Befähigungen kommt vor allem väterlicher Stolz zum Ausdruck, auch als Stolz auf das eigene Vatersein.

Das Selbstverständnis von Elternschaft orientiere sich bei Menschen mit Behinderung an einem unbestimmbaren Konzept von Normalität. Vom Wunsch und dem Streben nach Normalität bei Eltern mit Behinderung berichtet Hermes folgendes:

"Normalität wird von Eltern mit Behinderung meistens als etwas sehr Positives und Wünschenswertes gesehen. Normalität ist für sie die Mittellinie zwischen einem reichen, erfüllten Leben auf der einen Seite und einem armen, reduzierten Leben auf der anderen Seite. Normalität hat für Eltern mit Behinderung den Geschmack der Mittelmäßigkeit verloren und die Bedeutung eines Ideals erlangt." (Hermes, 2001, S. 101)

Auch die befragten Väter bewerten ihre väterliche Zuwendung zum Kind und ihre versorgenden Aktivitäten als selbstverständliche Vateraufgaben, wie sie sich für jeden Vater stellen. Normalitätsvorstellungen kommen aber eher konkret im Hinblick auf das Miteinander mit den Kindern in den Blick, wenn die Väter äußern, dass das Zusammenleben mit den Kindern ihnen ein Leben in einer Normalität ermögliche. Dies wird ermöglicht über die Adaption der kindlichen Verhaltensweisen an die Möglichkeiten des behinderten Elternteils. Alle Väter berichten, dass die Kinder bereits in frühem Alter auf den Handlungsrahmen des Vaters mit seiner Behinderung eingehen und teilweise auch die einzigen Menschen darstellen, welche ihr Verhalten ganz spezifisch auf die väterliche Behinderung abstimmen können. Wichtig ist den Vätern auch, dass ihre Behinderung im Umgang mit den Kindern nicht im Vordergrund steht, sondern ihre Persönlichkeit. Da die Kinder in diesem Rahmen aufwachsen und in diese Familienumstände hineinsozialisiert werden, werden Umstände wie Rollstuhl oder das Angewiesensein auf vermehrtes Verbalisieren, die in anderem Bezügen als außergewöhnlich gelten, nun unauffällig, nicht weiter zu thematisieren, gewöhnlich und üblich.

Überwiegend berichten die Väter auch, ihren Kindern wäre die Behinderung egal oder unwichtig oder sie wüssten gar nicht, in wie weit ihren Kindern der Umstand der Behinderung bewusst wäre. Wie schnell Kinder den jeweiligen Umgang mit einzelnen Menschen erlernen, davon erzählt der allein erziehende Vater Herr D., welcher seinen Sohn nur einige Tage im Monat bei sich zu Hause hat. Zwar vergesse das Kind jedes Mal das Blindsein des Vaters und was dies für den gemeinsamen Umgang bedeute, aber es könne sein Verhalten innerhalb weniger Tage darauf abstimmen. Dies verdeutlicht auch wieder, dass Normalität in der Aushandlung von Beziehungen geschaffen wird, als erstes im Sozialisationsprozess in der Familie.

"Die Familie und die in ihr vorgefundenen Beziehungsformen [repräsentieren] für das Kind die wesentliche Basis für die Interiorisierung von grundlegenden Mustern zwischenmenschlichen Umgangs. Die Interiorisierung dieser Muster schafft das Reservoir an kognitivem und affektivem "Wissen" über Beziehungen." (Kreppner, 1998, S. 323)

Die Väter reflektieren wenig über die Bewusstheit der Kinder bezüglich ihrer Behinderung. Vermutlich verlangt dieses Thema große Offenheit, zudem stellt sich vielleicht für die Väter die Frage, warum die Behinderung problematisiert werden soll, wenn sie im familialen Rahmen nichts ungewöhnliches darstellt, da alle Familienmitglieder gelernt haben, damit umzugehen. Es wurde von keinen Nachfragen seitens der Kinder berichtet, obwohl einige Väter wissen, dass diese von Freunden auf die väterliche Behinderung angesprochen werden.

Interessant wäre es, die Sicht der Kinder auf die Behinderung eines oder beider Elternteile zu erfragen, inwieweit diese die väterliche Einschätzung eines Lebens in Normalität teilen und welche Erfahrungen sie als Kinder mit Eltern mit Behinderung in ihrer Familie und mit ihrer Umwelt machen.

Zum Einfluss des Geschlechts des Kindes auf die Beteiligung des Vaters bei der Versorgung und Betreuung des Kindes gibt es in der Literatur verschiedene und widersprüchliche Ergebnisse. Während Fthenakis (2002, zitiert nach Matzner, 2004, S. 112) keinen Zusammenhang zwischen Geschlecht des Kleinkindes und väterlichem Engagement in seiner Studie findet, bemerkt Seiffge-Krenke (2001, zitiert nach Matzner, 2004, S. 113), dass Väter gegenüber ihren kleinen Söhnen vermehrt affektive Interaktionen wie gemeinsames Spielen oder berühren zeigten. Nach Townsend (1998, zitiert nach Matzner, 2004, S. 113) könnten Männer sich auch nur über ihre Söhne als Väter und Männer reproduzieren, da Mann sich nur in den Söhnen als Junge, Mann und Vater wiedererkennen und dementsprechend handeln könne. Vaterschaft würde damit zum "gendered process" (Townsend, 1998, zitiert nach Matzner, 2004, S. 113).

Auffällig ist, dass sich auf meine Anfrage an den Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern nur Väter mit Söhnen meldeten. Väter von Töchtern lernte ich erst über die Vermittlung eines Vaters kennen, also über gezieltes Ansprechen. Möglicherweise können Väter mit Behinderung von Söhnen hinsichtlich der Theorie vom Sohn als "Spiegel des Vaters" (Seiffge-Krenke, 2001, zitiert nach Matzner, 2004, S. 113), vom Vater selbst so konstruiert eher ein zuwendendes Vaterverhältnis aufbauen und dieses auch nach außen präsentieren.

Die Vater-Sohn-Beziehungen werden von den Vätern auch Bezug nehmend auf ein gesellschaftliches Bild von "wie Vater und Sohn", wie Herr B. (Interview Herr B., Z.: 556) es formuliert, als eine ganz besondere Beziehung dargestellt. Zwei Väter entdecken in ihren Söhnen auch ein kompetenteres Jugendbild ihrer selbst.

Bezüglich der zwei Töchter von befragten Vätern verschwindet die Beschreibung der Beziehung zur einen Tochter in den Erzählungen des Vaters Herr A. hinter denen der Söhne, die Beschreibung der anderen Vater-Tochter-Beziehung enthält den gleichen Tenor wie Seiffge-Krenke (2001, zitiert nach Matzner, 2004, S. 113), ihn für Beziehungen zwischen Vätern und Töchter beschreibt. Das Verhältnis charakterisiert Herr L. eher über Zärtlichkeit und der Verschiedenheit des anderen Geschlechts.

7. Materielle und soziale Ressourcen

Neben der Absicherung des Lebensunterhaltes über sozialpolitische Maßnahmen, der generellen Möglichkeit der Berufstätigkeit für Menschen mit Behinderung, der Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit und der Verfügbarkeit von Kinderbetreungseinrichtungen ist unter diesem Punkt auf die Bewältigung des Familienalltages für Väter mit Behinderung hinzuweisen.

Hinsichtlich technischer Unterstützungsmöglichkeiten erwähnen die Väter Hilfsmittel wie Rollstuhl oder Blindenstock für die eigene Mobilität und Orientierung, welche überwiegend auch bereits vor der Geburt des Kindes im Alltag verwendet wurden. Zur Versorgung der Kinder wird auf geeignetes Mobiliar, das den Bedürfnissen der Väter entspricht, wie zum Beispiel Hängewiegen für einen Vater im Rollstuhl, hingewiesen, aber auch auf eigene Lösungsansätze wie das akustische Signal an der Kleidung eines Kindes eines blinden Vaters. Auch Hermes (2003, S. 306f.) verweist darauf, dass selbstständige Versorgung des Kindes unter anderem von der Existenz geeigneter Hilfsmittel und angepasster Möbel abhänge, deren Anschaffung oder Umbauten zusätzliche finanzielle Kosten verursachten.

Familialer Rückhalt auch in finanziellen Dingen ist nur in einem Fall angesprochen worden. Ansonsten berichten die Väter nicht über finanzielle oder materielle Schwierigkeiten. Dies wurde auch nicht explizit erfragt. Möglicherweise ist das kein Thema für die Väter, weil ein annehmbarer Lebensstandard für diese Stichprobe gesichert ist, gleichzeitig könnte es sein, dass solche Sorgen nicht gern thematisiert werden, wobei der Umgang mit personeller Hilfe jedoch von fast allen von selbst angesprochen wird. Der Einschätzung von Cloerkes (1997, S. 54), dass Behindertsein unweigerlich bedeutet, zu den Armen der Gesellschaft zu gehören, sei gerade auch hinsichtlich der Einschätzung, dass alles bei einer Vielzahl von Ämtern und gegen eine undurchschaubare Vorschriftenlage zu erstreiten sei, damit nicht widersprochen. Letztendlich gibt es keine Erhebung über Anzahl und sozioökonomischen Stand der Familie mit mindestens einem Elternteil mit Behinderung. So bleiben Fragen nach dem Zusammenhang von finanzieller Lage, eigenständiger Lebensführung und Kinderwunsch und Elternschaft offen.

Nach der Einschätzung von Hermes (2003, S. 309f.) ermögliche die Inanspruchnahme von personeller Unterstützung für manche Eltern mit Behinderung erst die Erfüllung ihre Elternaufgaben. Hauptsächlich ist dies auf die Baby- und Kleinkinderzeit begrenzt, in welcher die Kinder körperliche Versorgung in größerem Umfang benötigen.

Personelle Unterstützung wird in verschiedener Form angeben. Speziell Assistenz wird nur von einem Vater erwähnt, jedoch nicht bezüglich der Versorgung des Kindes, sondern als Arbeits- und Mobilitätshilfe. Die Hälfte der befragten Väter hat privat eine Haushaltshilfe angestellt. Das betrifft die Haushalte, in welchen nicht ohne weiteres auf die Unterstützung der Frau zurückgegriffen werden kann, nämlich die Haushalte der allein erziehenden Väter, wobei der Vater, welcher wieder in einer Beziehung lebt, als Hausmann auch die Versorgung des Hauses als seine Aufgabe ansieht und in der Wohnung von Herrn C., dessen Frau ebenfalls behindert ist. Ob und in welcher Art die Inanspruchnahme von Assistenz bei Vätern mit Behinderung überhaupt gewünscht und bekannt ist, welche Einstellung gegenüber Unterstützung innerhalb und außerhalb der Familie vorhanden ist und inwieweit auch die Partnerin die Entscheidung hinsichtlich des Unterstützungsbedarf beeinflusst, erscheint mir als eine interessante Fragestellung. Im Kern berührt dieser spezielle Aspekt von Unterstützung und Hilfsleistungen die gleich Problematik der Folgen des Rollenkonzeptes der Partner wie bereits unter dem Abschnitt "Partnerin und Mutter des Kindes" angesprochen.

8. Berufstätigkeit des Vaters

In der männlichen Normalbiographie in westlichen Industrienationen kommt der ganztäglichen Berufstätigkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Abweichungen von dieser Erwerbsbiographie werden als Brüche empfunden. Väter stellen weiterhin in der Regel den Haupternährer ihrer Familie, dennoch ist auch ein Einstellungswandel hinsichtlich der Gestaltung der Vaterschaft zu beobachten. Dabei wollen laut Matzner (2004, S. 131) Väter sich mehr, auch zeitlich, als in den vorherigen Generationen um ihre Kinder kümmern. Damit unterliegen Väter zunehmend dem Dilemma der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie, etwas was bis jetzt ausschließlich als Frauenthema angesehen wird (vgl. Matzner, 2004, S. 116)

Die Ergebnisse der befragten Väter lassen erkennen, dass die berufliche Arbeit als gesellschaftliche Forderung und Erfüllung auch für sie ein Leitbild darstellt, sofern dies geleistet werden kann. Ist die Berufstätigkeit für den Vater aufgrund der Behinderung nicht realisierbar oder wird nicht realisiert, spielt der Anspruch im Vaterbild keine Rolle.

Problematisiert wird die Berufsätigkeit eher im Hinblick auf die Selbstverwirklichung durch die Arbeit. Da einigen Vätern die alleinige Versorgung der Familie obliegt, sehen sie sich gezwungen, vorrangig die Funktion des Brotverdieners auszufüllen. Fehlender Freiraum in der Gestaltung im Beruf oder der Berufswahl wird beklagt. Das Problem der geringeren Präsenz zu Hause, mit weniger Gelegenheiten sich dem Kind zuzuwenden, wird offen nur in einer Meinung als Negativbild, von welchem sich distanziert wird, angesprochen.

Auffällig ist, dass alle Berufstätigkeiten der Väter weitgefasst den Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderung betreffen. Teilweise sind sie angestellt bei Verbänden, welche Menschen mit bestimmter Behinderung betreuen oder beraten, oder sind dabei ihren Arbeitsplatz im Selbsthilfe- und Peer-Councelling-Bereich selbst mit aufzubauen.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind Menschen mit Behinderung massiv benachteiligt und in hohem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen, da ihre Fähigkeiten im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung als minderwertig eingestuft werden (vgl. Hermes, 2003, S. 55). Staatliche Regelungen wie Beschäftigungspflicht oder Rehabilitation, wie rechtlich im SGB IX festgeschrieben, welche die finanzielle Eigenständigkeit vor dem dauerhaften Bezug von Transferleistungen unterstützen sollen, scheitern in ihrer Umsetzung oft am Mangel von Konsequenz und fehlendem politischen Willen von staatlicher Seite (vgl. Cloerkes, 1997, S. 54) als auch an der fehlenden Bereitschaft der Arbeitgeberseite (vgl. Hermes, 2003, S. 55f.). Berufliche Verwirklichung ist bei diesen Vätern möglich über Autonomie und Partizipation durch Selbsthilfe oder Arbeitsplätze bei Behindertenverbänden. Insofern bieten Selbsthilfe und Interessenvertretung auch als Arbeitgeber eine Möglichkeit zur beruflichen Integration.

9. Väterliches Handicap

Als ergänzende Determinante im Modell von Matzner zum subjektiven Vaterschaftskonzept soll hier die väterliche Behinderung besprochen werden. Damit geht keine Bewertung einher, sondern die hier aufgeführten Aspekte ergeben sich aufgrund der vorliegenden Behinderung bei den Vätern. Behinderung wird damit mit Radtke als "eine ganz normale Form des Lebens" (Radtke, 2003, S. 113) gesehen.

"Eine Behinderung, welcher Art sie auch sei, kann nicht weggezaubert werden. Die schönsten und schicksten Hilfsmittel können sie zwar teilweise ausgleichen, aber die Behinderung bleibt. Selbst, wenn wir endlich eine barrierefreie Umwelt, barrierefreie Gebäude, Verkehrsmittel, Medien, Kommunikation überall durchgesetzt haben, so bleibt doch die Tatsache, dass unsere eigentliche Behinderung weiter vorhanden ist, wir dadurch keine nichtbehinderten Menschen werden." (Radtke, 2003, S. 113)

Die soziale Praxis der Vaterschaft entscheidet sich auch an der Realisierbarkeit und Art und Weise von Tätigkeiten, welche Väter übernehmen. Behrendt (1998, S. 259) erwähnt, dass sich die von ihm befragten körperbehinderten Männer mit der Rollenerwartung als körperlich starker Mann auseinandersetzen. Ihnen sei es zur Kompensation der körperlichen Beeinträchtigung wichtig, auf andere Aktivitäten im Zusammensein mit den Kindern zurückzugreifen und darin mögliche Stärken zu betonen. Auch Hermes (2001, S. 105f.)berichtet, dass Eltern mit Behinderung ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln, da weniger Aktivitäten als der intensive Kontakt zwischen Eltern und Kind als wichtig erachtet werden.

Auch die in dieser Arbeit befragten Väter thematisieren ihre Vaterrolle als Partner und Spielkamerad des Kindes. Zum Teil werden körperbezogene Aktivitäten bis zu einem gewissen Grad abgedeckt oder andere Aktivitäten dann auch als spezielle väterliche Aufgaben übernommen. In der Thematisierung inwieweit und ob Tätigkeiten möglich sind unterscheiden sich die Väter bezüglich ihrer Behinderungsart. Die blinden Väter thematisieren eher, dass es Dinge gibt, welche sie in keiner Weise tun können, da ein gleichartiger Zugang zur visuellen Erfahrungswelt wie bei ihren Kindern nicht möglich ist. Die Väter mit Körperbehinderung hingegen haben in gewisser Weise noch die Möglichkeit, Tätigkeiten im gleichen Erlebensraum wie ihre Kinder zu modifizieren. Oder nicht mögliche Aufgaben werden ähnlich einer persönlichen Entscheidung dargestellt, in dem Sinne, dass auch nichtbehinderte Eltern ihren Kindern nicht alles bieten, was an Aktivitäten möglich wäre, sondern dies mit von elterlichen Vorlieben bestimmt wird (vgl. Hermes, 2001, S. 107f.). Die körperliche Einschränkung präsentieren die Väter verschwindend, da die Entscheidung zur gemeinsamen körperlichen Aktivität auch einer Bereitschaft dazu bedarf. Zum Teilen visueller Erfahrungen hingegen ist neben der Bereitschaft vor allem das Vermögen entscheidend.

Die Beeinträchtigung erfordert besondere Anpassungsleistungen von Vater und Kind im täglichen Umgang und im Erziehungsgeschehen (vgl. Hermes, 2001, S. 151ff). Diesbezüglich äußern die Väter Überlegungen, wie weit und in welcher Art ihre Behinderung auf ihre Vorstellungen über Erziehung und ihr erzieherisches Handeln wirkt. Genannt werden diesbezüglich je nach Behinderung der geringere Körperkontakt zwischen Vater und Kind oder der hohe Stellenwert sprachlicher Verständigung, da väterliches Zeigen nicht möglich ist oder kindliches Zeigen einem blinden Vater nicht weiter hilft (Vgl. Absatz IV 3.2.4.5).

Dies betrifft auch die Mithilfe der Kinder im Haushalt und für den Vater. Häufig würden Kinder behinderter Eltern von Hausarbeiten freigestellt, weil die Eltern Angst hätten, das Kind zu überfordern oder ihre Umwelt ihnen dadurch unterstellen würde, sie würden ihr Kind als Assistenz benutzen (vgl. Hermes, 2001, S. 155). Letzteres wird als negative Erfahrung von einem blinden Vater formuliert. Generell wird von den Vätern die Übernahme von Assistenzleistungen seitens der Kinder abgelehnt. Dennoch bleibt für die Väter, sofern sie einen Versuch unternehmen, eine genaue Abgrenzung von erwünschter und unerwünschter Hilfe der Kinder schwierig, gerade auch bezogen auch die Unterstützung des Vaters. Oftmals wird die Hoffnung formuliert, dass man in der Erziehung zum Ausdruck gebracht habe, dass die Kinder keine Verantwortung für die Väter zu übernehmen haben.

V. Schlusswort

Diese Arbeit unternahm den Versuch den Ausschnitt der Lebenswelt von Vätern mit Behinderung darzustellen, welcher die Bereiche Vaterschaft, Erziehung, Alltagsgestaltung und die Beziehung zum einzelnen Kind umfasst. In Interviews berichteten Vätern, welche eine Körperbehinderung haben oder blind sind von Erlebnissen und Erfahrungen als Väter, ihren Einstellungen und Überlegungen hinsichtlich Vaterschaft und Erziehung, ihrem Zusammenleben mit ihrem Kind oder ihren Kindern und ihrer persönlichen Haltung zu ihrer Behinderung. Dieses mündliche Material wurde transkribiert und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse wurden in verschiedenen Zusammenhängen dargestellt und ausgewertet.

An ihnen wird nochmals der Anspruch dieser Arbeit deutlich. Aufgrund des geringen Kenntnisstandes über Väter mit Behinderung trägt diese Studie explorativen Charakter. Ziel war es einen Einblick in die Wahrnehmung und persönliche Sichtweise von Vätern mit Behinderung auf ihre Vaterschaft und damit verbundene Aspekte zu bekommen. Die Ergebnisse dieser Arbeit bieten erste Ansätze die Lebenswirklichkeit von Vätern mit Behinderung nachzuzeichnen und verweisen auf weiterführende und vertiefende Fragestellungen. Auch hinsichtlich der Methodik wäre für zukünftige Untersuchungen eine vermehrte Anwendung inklusiven Vorgehens hinsichtlich des Kreises der Betroffenen und der Beteiligten der Forschung wünschenswert und auch zu fordern. Damit bietet sich die Chance, die für den zu befragenden Personenkreis relevanten Themen heraus zu kristallisieren und die Forschungsergebnisse auf kommunikativen Wege zusätzlich zu validieren.

Des Weiteren ist es vielleicht möglich geworden, den Blickwinkel eines gewissen Kreises von Eltern mit Behinderung bezüglich der Vaterschaft von Männern mit Behinderung zu erweitern und eine, wenn nicht positivere, so doch hoffnungsvollere Einschätzung zu schaffen. Als ich in den ersten Anfängen dieser Arbeit ein Gespräch mit einem Vater mit Behinderung führte und gesagt bekam, dass eine Studie über Eltern mit Behinderung automatisch eine Studie zu Müttern mit Behinderung werden würde, da Väter oftmals sich recht schnell nicht mehr zuständig fühlen würden, fragte ich mich auf welche Lebenssituationen ich da treffen würde. Auch in der Literatur war der Vorwurf zu finden, dass die meisten Männer nur wenige Versuche unternähmen, ihre Vaterrolle aktiv auszugestalten (vgl. Hermes, 2001, S. 163).

Diese Studie kann keine Grundgesamtheit von Vätern mit Behinderung abbilden, aber sie präsentiert verschiedenste Väter mit ihren Sichtweisen, woran deutlich wird, dass man mit einem Generalverdacht des unwilligen Vaters, weder den Vätern selbst noch ihren Familien gerecht werden kann. Auch darin unterscheiden sich Väter mit Behinderung in keinster Weise von nichtbehinderten Vätern.

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VII. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell Subjektives Vaterschaftskonzept und die soziale Praxis von Vaterschaft (Matzner, 2004, S. 439)

Abbildung 2: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF (DIMDI, 2004, S. 23)

Abbildung 3: Leitfaden zur subjektiven Sicht der Vaterschaft bei Vätern mit Behinderung

Abbildung 4: Transkriptionsregeln (W. Kallmeyer / F. Schütze, 1976, zitiert nach Mayring, 2002, S. 92)

Abbildung 5: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell (Mayring, 2000, S. 54)

Abbildung 6: Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse zur Kategorienbildung (Mayring, 2000, S. 60)

Abbildung 7: Z-Regeln (Mayring, 2000, S.62)

Abbildung 8: Kategorienübersicht - Hauptkategorien mit Unterkategorien erster und zweiter Ordnung

Danksagung

Herzlicher Dank geht an alle Eltern, die ich während der Zeit dieser Arbeit kennen lernen durfte. Ihre Bereitschaft, mir ihre Situation zu schildern, unterstützte mich zum Einen sehr bei der Erstellung dieser Arbeit, zum Anderen schätze ich diese Einblicke als persönlichen Gewinn. Besonderer Dank gilt dabei den Vätern, welche sich für ein Interview bereit erklärten und sich so viel Zeit für mich nahmen.

Antje Ginnold und Karsten Exner seien für Ratschläge und vor allem ihre moralische Unterstützung im Vorfeld der Erhebung gedankt.

Natascha Riedel erstellte die Ersttranskription eines Interviews, Frank J. Müller half mit seinen korrigierenden Hinweisen und Ann-Christin Puchta unterstützte diese Arbeit durch ihre Sorge um deren kränkelnde Rechtschreibung. Ihnen allen gilt mein herzlichster Dank.

Mein allerherzlichster Dank allerdings gilt meinem Mann Micha und meiner Tochter Miria. Ohne die beiden hätte einfach gar nichts von alledem glücken können.

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich diese Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Bei Verwendung von Inhalten aus dem Internet habe ich diese gekennzeichnet und mit Datum sowie der Internet-Adresse (URL) ins Literaturverzeichnis aufgenommen.

Ich erkläre, dass die von mir angefertigte Arbeit keine personenbezogenen Daten enthält.

Ich bin mit der Möglichkeit der Einsichtnahme im Universitätsarchiv der FU einverstanden. Die Urheberrechte müssen gewahrt bleiben.

Quelle:

Birgit Behrisch :Vaterschaft, Erziehung und Alltagserleben von Vätern mit Behinderung. Eine empirische Studie zur Lebenssituation behinderter Väter auf der Grundlage von Interviews

Diplomarbeit an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft. 15.09.2005

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 31.08.2006

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