Das Aufnahmeverfahren für behinderte Kinder in Integrationsklassen

Themenbereiche: Schule
Textsorte: Buch
Releaseinfo: erschienen in: Hans Wocken, Georg Antor, Andreas Hinz (Hrsg.): Integrationsklassen in Hamburger Grundschulen, Hamburg: Curio Verlag 1988, S.77-86
Copyright: © Curio Verlag 1988

Das Aufnahmeverfahren für behinderte Kinder in Integrationsklassen

Für die Aufnahme der Kinder mit erhöhtem sonderpädagogischen Förderbedarf in Integrationsklassen wird je Schule eine Kommission aus Grund- und Sonderschulpädagogen gebildet. Aufgabe der Kommission ist es, den Förderbedarf der Kinder festzustellen, bzw. zu bestätigen und ohne formalisiertes Verfahren in jedem Einzelfall zu prüfen, ob zu erwarten ist, daß ein Kind unter den gegebenen Bedingungen seinen Möglichkeiten entsprechend in einer Integrationsklasse gefördert werden kann.

Grundsätzlich wird keine Behinderungsart und kein Behinderungsgrad ausgeschlossen. Die Empfehlungen der Kommission sind Grundlage für die Entscheidung des Amtes für Schule.

Einrichtung der Aufnahmekommission

Die Aufnahmekommission wird von der Schulleitung der aufnehmenden Grundschule in Zusammenarbeit mit dem Amt für Schule gebildet. Sie setzt sich zusammen aus:

  • der Schulleiterin/dem Schulleiter der Grundschule (Vorsitz),

  • einer Schulleiterin/einem Schulleiter einer Sonderschule, die möglichst nicht im Schulaufsichtsbezirk der Grundschule liegt,

  • einer Vertreterin/einem Vertreter des künftigen Pädagogenteams.

Ein Mitglied der Aufnahmekommission soll Unterrichtserfahrung in einer Integrationsklasse haben. Das sollte möglichst ein Sonderpädagoge der Grundschule, kann aber, z. B. bei Neuanfang, auch ein Mitglied des Arbeitskreises 'Integrationsklassen' beim Amt für Schule oder der Wissenschaftlichen Begleitung sein.

Das Amt für Schule kann ein weiteres Mitglied in die Kommission berufen mit der Aufgabe, die Interessen der Erziehungsberechtigten wahrzunehmen. Die Schulleitung weist die Erziehungsberechtigten bei der Anmeldung auf diese Möglichkeit hin. Weitere Personen können zur Beratung herangezogen werden.

Die zuständige Schulaufsicht entscheidet vor Beginn der Tätigkeit über die Zusammensetzung der Aufnahmekommission.

Kriterien für die Aufnahme

Integrationsklassen sind Schulversuch nach Paragraph 23 des Schulgesetzes. Es können nur Kinder aufgenommen werden, deren Eltern die Teilnahme am Schulversuch wünschen. Nur jene behinderten Kinder sollten aufgenommen werden, zu deren Betreuung die Pädagogen unter den gegebenen Bedingungen einer Integrationsklasse bereit sind.

Bei der Auswahl der Kinder sollten folgende drei Kriterien Berücksichtigung finden:

1.) Erhalt und Aufbau alltäglicher sozialer Beziehungen

Beziehungen zwischen Kindern, die in der Nachbarschaft, in Kindergarten, in vorschulischen Einrichtungen usw. gewachsen sind, sollen erhalten und gefördert werden.

2.) Repräsentative Vielfalt

Eine Integrationsgruppe ist im Idealfall ein getreues Abbild der sozialen Umgebung einer Schule. Sie besteht aus einer gut gemischten, vielfältigen Gruppe von Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das bedeutet, die behinderten Kinder in einer Integrationsklasse sollen unterschiedlich und verschiedenartig behindert sein. Eine unverhältnismäßige Häufung gleicher Behinderungsarten und -grade ist zu vermeiden.

3.) Gewährleistung der Förderung

Dem Anspruch, alle Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend zu fördern, muß unter den pädagogischen Rahmenbedingungen einer Integrationsklasse entsprochen werden können. Die Gruppengröße von Integrationsklassen und die Anzahl der behinderten Kinder sind auf die gegebenen pädagogischen Ressourcen abzustimmen. Das bedeutet:

- Integrationsklassen müssen nach der Anzahl der behinderten Kinder und nach der Gesamtgröße so zusammengestellt sein, daß alle Schüler jederzeit durch zwei Pädagogen hinreichend betreut und gefördert werden können.

- Es können nur solche Kinder aufgenommen werden, deren besonderer Förderbedarf durch die Integrationsklasse allein oder im Zusammenwirken mit außerschulischen pädagogisch-therapeutischen Unterstützungsmaßnahmen befriedigt werden kann.

Tätigkeit der Aufnahmekommission

Bei der Anmeldung der behinderten Kinder ist durch die Schulleitung das Einverständnis der Erziehungsberechtigten für Gespräche mit den bisher betreuenden Erziehern und Therapeuten sowie die Einsicht in die bereits vorliegenden Berichte und ärztlichen Gutachten einzuholen.

Bei der ersten Sitzung der Kommission wird das Arbeitsverfahren erörtert. Wenn einer Schule erheblich mehr Kinder gemeldet worden sind als Plätze zur Verfügung stehen, kann die Kommission eine Vorauswahl treffen.

Nach Abschluß der Vorauswahl sehen sich alle Mitglieder der Aufnahmekommission jedes Kind in seiner bisherigen Einrichtung an. Diese Besuche müssen nicht für alle Mitglieder zur gleichen Zeit stattfinden, sollten aber mindestens zu zweit erfolgen. Es werden Gespräche mit den Erziehern und Therapeuten geführt, die die Kinder bisher betreut haben. Die Erziehungsberechtigten werden vor der Entscheidung zu einem Gespräch mit der Kommission eingeladen. Vor allem sind ihre Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen zu besprechen sowie die Fördermöglichkeiten in Integrationsklassen und Sonderschulen eingehend darzustellen.

Die Schulleitung der Grundschule teilt nach der Schlußsitzung das Beratungsergebnis der Kommission den Erziehungsberechtigten umgehend mit und macht sie zugleich darauf aufmerksam, daß die endgültige Entscheidung durch das Amt für Schule erfolgt. Die Kommission legt dem Amt für Schule eine schriftliche Empfehlung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme aller Kinder vor. In dem Bericht ist jedes Kind kurz zu beschreiben. Das Beratungsergebnis ist für alle Kinder gesondert festzuhalten und zu begründen, dabei ist der erhöhte sonderpädagogische Förderbedarf zu kennzeichnen, der üblicherweise die Feststellung der Sonderschulbedürftigkeit beinhaltet.

Der Bericht ist nach Abstimmung in der Aufnahmekommission von der Grundschulleiterin/dem Grundschulleiter zu unterschreiben.

Im Amt für Schule entscheidet die zuständige Schulaufsicht in Abstimmung mit S 23 und S 221 über die Empfehlung der Aufnahmekommission und teilt der Schule das Ergebnis mit. Die Schule informiert dann die Erziehungsberechtigten.

Sollen während der Grundschulzeit weitere Kinder mit erhöhtem sonderpädagogischen Förderbedarf in die Gruppe der behinderten Kinder einer Integrationsklasse aufgenommen werden, kann dies nur über das Aufnahmeverfahren erfolgen. Das gilt auch für Kinder aus der Integrationsklasse, für die ein erhöhter sonderpädagogischer Förderbedarf nicht festgestellt war.

Kann ein behindertes Kind nach Auffassung der Klassenkonferenz in einer Integrationsklasse nicht mehr seinen Möglichkeiten entsprechend gefördert werden, tritt die Aufnahmekommission erneut zusammen und veranlaßt gegebenenfalls die Meldung zur Überprüfung der Sonderschulbedürftigkeit nach der Ordnung der Aufnahme in Sonderschulen. S 221 ist zu informieren.

Anhang 1: Zeitplan des Aufnahmeverfahrens

Bis Ende Februar melden die Erziehungsberechtigten die behinderten Kinder den Schulen.

Ende Februar meldet die Schule auf dem Dienstweg an S 221 alle behinderten Kinder mit Namen, Geburtsdatum, Anschrift und, soweit möglich, die im Vordergrund stehende Behinderung (Formblatt).

1. Märzwoche: Die Schulleiter bilden die Aufnahmekommission. Entscheidung durch die Schulaufsicht und Mitteilung an S 221.

Bis Ende April soll die Tätigkeit der Aufnahmekommission beendet sein.

Bis Mitte Mai sollen auf dem Dienstweg an S 221 die Berichte mit den Empfehlungen zugeschickt werden.

Bis Ende Mai entscheidet die zuständige Schulaufsicht in Abstimmung mit S 23 und S 221 über die Empfehlung der Aufnahmekommission.

Bis Mitte Juni teilt die zuständige Schulaufsicht der Schule die Entscheidung mit. Die Schule informiert die Erziehungsberechtigten.

Jederzeit kann die Aufnahmekommission Empfehlungen für die Zu- und Abgänge auf dem Dienstweg an S 221 schicken. Der Entscheidungsablauf erfolgt wie oben.

Abgänge auf Wunsch der Erziehungsberechtigten werden auf dem Dienstweg S 221 mitgeteilt und erläutert.

Anhang 2: Abfolge der Entscheidungsschritte im Aufnahmeverfahren (Hans Wocken)

1. Stufe: Feststellung der Integrationsfähigkeit

Erläuterung:

NEIN - Das behinderte Kind kann nicht aufgenommen werden.

KANN - Das behinderte Kind kann aufgenommen werden.

SOLL - Das behinderte Kind sollte aufgenommen werden.

2. Stufe: Auswahl der behinderten Kinder

Problem: Es können nicht alle integrationsfähigen behinderten Kinder aufgenommen werden, weil nicht genügend Integrationsplätze vorhanden sind.

Quelle:

Behörde für Schule und Berufsbildung: Das Aufnahmeverfahren für behinderte Kinder in Integrationsklassen

In: Hans Wocken, Georg Antor, Andreas Hinz (Hrsg.): Integrationsklassen in Hamburger Grundschulen, Hamburg: Curio Verlag 1988; S. 77-86

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 21.08.2006

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation