Der partizipatorische Forschungsansatz des Projekts "Bildnis eines behinderten Mannes"

Autor:in - Petra Flieger
Themenbereiche: Disability Studies
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 5/2005, S. 42 - 49. Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (5/2005)
Copyright: © Petra Flieger 2005

Der partizipatorische Forschungsansatz des Projekts "Bildnis eines behinderten Mannes"

"Vielmehr ist in Betracht zu ziehen,

dass das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt

und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen

Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformationen bilden."

(Michel Foucault 1994, 39)

Das von Volker Schönwiese beschriebene Projekt "Bildnis eines behinderten Mannes" wird im Rahmen eines vom österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst finanzierten Programms zu transdisziplinärem Forschen [1]abgewickelt. Transdisziplinarität meint im Unterschied zu Interdisziplinarität, die die Zusammenarbeit unterschiedlicher akademischer Fachdisziplinen bezeichnet, dass auch andere als akademische Wissensformen in den Forschungsprozess einbezogen werden. Konkret sollen, so die Ausschreibung, Stakeholder bzw. NutzerInnen von Forschung direkt und aktiv am Forschungsprozess partizipieren. Diesem Ansatz liegt die Annahme zu Grunde, dass Fragestellungen der Geistes- und Kulturwissenschaften nur durch die Verknüpfung von akademischen mit anderen Wissens- und Erkenntnisformen befriedigend bearbeitet und erklärt werden können. Das Programm TRAFO (TRAnsdisziplinäres FOrschen) hat daher ausdrücklich die Erprobung und Beurteilung konkreter Methoden der Partizipation von Personen, die über nicht-akademisches Wissen zu den jeweiligen Fragestellungen verfügen, zum Ziel (vgl. dazu besonders die Ausschreibung des Forschungsprogramms, siehe Fußnote 1). Das Projekt "Bildnis eines behinderten Mannes" hat die Startphase gerade hinter sich, es läuft von März 2005 bis Oktober 2006 und ist in Bezug auf die partizipatorische Methode betont experimentell und prozesshaft angelegt. Daher kann an dieser Stelle noch nicht von konkreten Ergebnissen berichtet werden. Der folgende Beitrag behandelt zuerst allgemeine Überlegungen zu partizipatorischem Forschen, anschließend erfolgt die Darstellung des konkreten Konzepts für das besagte Forschungsprojekt.

Was die Forschung über behinderte Frauen und Männer bzw. allgemein zum Phänomen Behinderung betrifft, hat sich in der deutschsprachigen Fachliteratur bislang weder die Frage nach der Notwendigkeit noch nach Möglichkeiten der Partizipation behinderter Personen am Forschungsprozess als Thema erkennbar niedergeschlagen. Bei der Durchsicht von Fachzeitschriften der letzten Jahre fällt zwar auf, dass Darstellungen von Forschungsprojekten, in denen behinderte InterviewpartnerInnen und nicht Eltern oder pädagogisches Personal als InformantInnen für wissenschaftliche Erhebungen fungieren, zunehmen, aber über Teilnahme, Mitsprache oder Mitwirkung von behinderten Personen am Forschungsprozess selbst wird nicht berichtet. Seltene Ausnahmen stellen jene Arbeiten dar, die von behinderten ForscherInnen selbst verfasst wurden. Diese Beobachtung dürfte insgesamt mit der Tatsache zusammen hängen, dass die Etablierung der Disability Studies in Deutschland, Österreich und der Schweiz im internationalen Vergleich deutlich nachhinkt (vgl. dazu den Beitrag "Perspektiven der Disability Studies" von Volker Schönwiese http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-studies.html ). Demgegenüber nimmt sowohl in den USA als auch in Großbritannien die methodologische Auseinandersetzung über partizipatorische Forschungsstrategien einen wichtigen Stellenwert ein, sie ist in Theorie und Praxis differenziert fortgeschritten, wie einschlägige Publikationen zeigen (vgl. z.B. Heron; Bradbury 2001; Walmsley; Johnson, 2003)

Bezüge zu partizipatorischen Forschungsstrategien innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methodologie des deutschsprachigen Raums finden sich deutlich in den Konzepten der Aktions- bzw. Handlungsforschung aus den 1970er Jahren. Diese waren der Kritik an den damals vorherrschenden empirisch-analytischen und quantitativ naturwissenschaftlich orientierten Methoden der Wissenschaftspraxis entsprungen (vgl. z.B. Moser 1995). Ziel der Aktionsforschung war es, Theorie und Praxis in ein engeres Verhältnis zueinander zu bringen und vor allem das Wissen und die Interessen der Betroffenen mehr zu berücksichtigen. ForscherInnen, so die Idee, sollten mit PraktikerInnen zusammenarbeiten, deren Perspektiven sollten in die Forschung einfließen. Personen, die der Wissenschaft bislang als Forschungsobjekte gedient hatten, sollten durch Aktionsforschung zu Subjekten in der Forschung über ihre eigene Praxis werden. Konkrete Forschungsprojekte fanden in verschiedenen Bereichen psychosozialer Arbeit statt, der bei weitem größte Schwerpunkt lag im Bildungswesen, wo LehrerInnen ihren eigenen Unterricht erforschten. In einer postalischen Umfrage zum aktuellen Stand der Aktionsforschung, die Altrichter und Gstettner 1993 durchführten, waren nahezu alle Antwortenden der Meinung, dass dieses Konzept aus der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Debatte verschwunden ist (vgl. Altrichter; Gstettner 1993, 67). Seit Ende der 1970er Jahre wandte sich die Sozialforschung verstärkt der Entwicklung qualitativer Forschungsmethoden zu, die im wissenschaftlichen Methodenkanon mittlerweile anerkannt und etabliert sind. "Von der Aktionsforschung blieb der Anspruch übrig, dass Forschung an die Interpretationsmuster und Sinnstrukturen der "Beforschten" anzuknüpfen habe." (Moser 1995, 61)

In den USA ist die Entwicklung partizipatorischer Forschungsstrategien im Zusammenhang mit der Forschung zum Thema Behinderung stark von der Tatsache beeinflusst, dass behinderte Männer und Frauen an Universitäten studierten. Als StudentInnen bzw. AkademikerInnen formulierten sie in unterschiedlichen Fachrichtungen Forschungsfragen über Behinderung. Sie begannen, jene wissenschaftlichen Methoden, die ihnen an der Universität vermittelt worden waren, für die Auseinandersetzung mit ihren Alltagserfahrungen als Personen mit Behinderung anzuwenden. Der Begriff Participatory Action Research (PAR) und damit verbundene Forschungsstrategien wurden in den USA sowohl von der Independent Living Bewegung als auch vom National Institute on Disability and Rehabilitation Research aufgenommen. Das Forschungsinstitut schlägt folgende Definition für PAR vor: "Participatory Action Research recognizes the need for persons being studied to participate in the design and conduct of all phases (e.g. design, execution and dissemination) of the research that affects them. PAR is an approach or strategy for research, not a research methodology" (Doe; Whyte 1995, 2). Doe und Whyte betonen, dass sie PAR als generelle Forschungsstrategie verstehen, die dazu führen soll, dass Forschung für behinderte Personen sinnvoll und brauchbar ist. Innerhalb dieses allgemeinen Ansatzes müssen die der jeweiligen Forschungsfrage angemessenen wissenschaftlichen Methoden korrekt angewandt werden. Gerade durch die Brauchbarkeit von Forschungsergebnissen für Betroffene könne die Validität von Ergebnissen erhöht werden. "Finally, we believe that scientific rigor and validity will increase rather than decrease if PAR is implemented, since traditionally rigorous tools can still be used, while ensuring that the products of the research have meaning to all concerned." (ebd., 16). Dass die Möglichkeiten der Teilnahme an Forschungsprozessen vielfältig sind, veranschaulicht Bob Dick in einer Übersicht. Innerhalb von drei großen Bereichen differenziert er sieben Dimensionen der Partizipation:

  • Partizipation, die den Inhalt der Forschung betrifft (TeilnehmerInnen informieren, indem sie z.B. als InterviewpartnerInnen über einen Sachverhalt Auskunft geben; TeilnehmerInnen interpretieren, indem sie in begleitenden Forschungsgruppen Ergebnisse analysieren und kommentieren; TeilnehmerInnen planen Veränderungen, indem sie Anregungen aus einem Forschungsprojekt aufnehmen und umsetzen; TeilnehmerInnen setzen Veränderungen um)

  • Partizipation, die den Forschungsprozess selbst betrifft (TeilnehmerInnen unterstützen den Prozess der Datengewinnung und -interpretation, sie führen z.B. Interviews im lokalen Dialekt und werden daher von der Zielgruppe besser akzeptiert; TeilnehmerInnen gestalten den Forschungsprozess mit, sie sind ForscherInnen bzw. Co-ForscherInnen)

  • Partizipation, die den Inhalt, den Forschungsprozess oder beides betrifft (TeilnehmerInnen werden über den Forschungsprozess und seine Konsequenzen informiert, z.B in regelmäßigen Informationsveranstaltungen über den Stand eines Forschungsprojekts) (vgl. Dick 1997)

Je nach Design eines Forschungsvorhabens sind die einzelnen Dimensionen in der Praxis nicht strikt voneinander zu trennen, vielmehr kann es zu Überschneidungen oder Vermischungen der Dimensionen bzw. der Rollen und Tätigkeiten der TeilnehmerInnen kommen.

Ein häufig erwähntes Modell partizipatorischen Forschens ist die Zusammenarbeit von ForscherInnen mit Referenzgruppen. Diese konstituieren sich aus RepräsentantInnen jener Personengruppen, die von der jeweils konkreten Forschungsfrage betroffen sind. Ihre wesentliche Funktion besteht darin, den Forschungsprozess zu begleiten und mitzugestalten, indem sie von Anfang an mitentscheiden, welche Fragen mit welchen Methoden beforscht werden sollen. Im weiteren Verlauf wirken Referenzgruppen nicht nur bei der Interpretation von Ergebnissen mit, sondern auch bei der Entscheidung darüber, wie diese weiter verwendet werden sollen. In der Literatur finden sich unterschiedliche Bezeichnungen für Referenzgruppen, z.B. führen Turnbull und Friesen sogenannte "PAR committees" als gängiges Modell der Begleitung von Forschungsprojekten zu Fragen von Familien mit behinderten Kindern an. "The PAR committee advises assertively, candidly and comprehensively on all aspects of research - its initial planning, implementation, interpretation and utilization." (Turnbull; Friesen 1995, 3). Heron und Reason beschreiben "inquiry groups". Hier bezieht sich die enge Zusammenarbeit der von einer Fragestellung Betroffenen mit den ForscherInnen nicht nur auf die Gestaltung des Forschungsprozesses, sondern auch auf die Erarbeitung vertiefter inhaltlicher Beiträge (Heron; Reason 2001). Schließlich führen Walmsley und Johnson "advisory or reference groups" als eines der ersten Modelle an, das es Frauen und Männern mit Lernschwierigkeiten ermöglichte, an Forschungsprojekten teilzuhaben: "One of the earliest ways in which people with learning disabilities were engaged in major research projects was as advisory or reference group." (Walmsley; Johnson 2003, 146)

Um das Forschungsprojekt "Bildnis eines behinderten Mannes" partizipatorisch anzulegen, wurden zwei Strategien gewählt:

Erstens arbeiten Volker Schönwiese und Ulrike Pfeifenberger, zwei WissenschaftlerInnen mit Behinderung, im Projekt mit. Ihnen kommt insofern eine besondere Rolle zu, als sie potentiell Brücken schlagen können zwischen Wissenschaft und persönlicher Erfahrung bzw. zwischen Theorie und gelebtem Alltag. AkademikerInnen mit Behinderung haben seit Beginn der Disability Studies eine zentrale Rolle bei der Entwicklung partizipatorischer Forschungsansätze gespielt, sie sind wichtige VermittlerInnen bei der Zusammenarbeit zwischen WissenschaftlerInnen und Betroffenen. "People who have membership in multiple constituencies, such as researchers who have disabilities, will play critical roles in this collaboration"(Doe; Whyte 1995, 12)

Zweitens wird durch die Kooperation mit einer Referenzgruppe der Bogen zu einer Betroffenen- bzw. BürgerInneninitiative gespannt, wie dies für partizipatorische Foschungsansätze durchaus charakteristisch ist (vgl. Reason; Bradbury 2001). Sieben Frauen und Männer mit Behinderung, die Selbstbestimmt Leben Innsbruck nahe stehen und sich mit den Zielen der Selbstbestimmt Leben Bewegung identifizieren, bilden die Referenzgruppe für das Projekt "Bildnis eines behinderten Mannes". Es sind Heinz Brandmayr, Mag. Karin Flatz, Christine Riegler, DSA David Sporschill, Mag. Harald Stauber, Georg Urban und DSA Erika Zwicklhuber. Für die Teilnahme an den Besprechungen erhalten sie ein auf Stundenbasis vereinbartes Honorar. Der Verein Selbstbestimmt Leben Innsbruck fungiert im Forschungsprojekt als Kooperationspartner. Während des gesamten Projektverlaufs trifft sich die Referenzgruppe etwa alle sechs bis acht Wochen zu zwei- bis dreistündige Besprechungen, bei Bedarf kann dies auch häufiger der Fall sein. Die Sitzungen können entweder gemeinsam mit den ForscherInnen oder ohne diese stattfinden, sie werden von den zuständigen ProjektmitarbeiterInnen vorbereitet, moderiert und protokolliert. Die Inhalte der Besprechungsprotokolle müssen von allen Beteiligten abgenommen werden, sie sollen im weiteren Verlauf bzw. am Ende des Projekts als Datenbasis für die Reflexion und Beurteilung der Methode Referenzgruppe herangezogen werden. Unter Berücksichtigung des experimentellen Charakters können zum momentanen Zeitpunkt folgende Ziele, die mit der Arbeit der Referenzgruppe verbunden sind, skizziert werden:

  • RepräsentantInnen jener Frauen und Männer, die von der Fragestellung des Projekts betroffen sind, können direkten Einfluss auf die konkrete Realisierung und den Verlauf des Forschungsprojekts ausüben.

  • Die heutige Perspektive von behinderten Frauen und Männern soll eine zentrale Rolle sowohl bei den inhaltlichen Fragestellungen des Projekts als auch bei der Präsentation von Forschungsergebnissen in der Öffentlichkeit spielen. Der Fokus auf Personen, die in ihrer Sozialisation die Erfahrung des Behindert Werdens gemacht haben, kann neue Blickwinkel auf die Darstellung behinderter Personen eröffnen.

  • Für die strukturelle Verankerung von Partizipation in der Forschung zum Thema Behinderung könnte es sinnvoll sein, den Aufbau einer Gruppe zu initiieren, die langfristig, auch über den Zeitrahmen des konkreten Projekts hinaus, relevante Forschungsvorhaben verfolgt bzw. dazu Stellungnahmen abgibt. Im Sinne eines Monitorings der Forschung zum Thema Behinderung wird Zentren für Selbstbestimmtes Leben die Einrichtung solcher Gruppen nahegelegt: "It may be useful for each ILRC[2] to form a committee to oversee research activities such as reviewing proposals, monitoring research, and dealing with issues that may arise through the research process." (CAILC 1994, 6)

  • Anhand der konkreten Umsetzung dieses partizipatorischen Ansatzes ist schließlich die Reflexion der Methode Referenzgruppe ein konkretes Ziel des Projekts. Sowohl die wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen als auch die MitarbeiterInnen der Referenzgruppe sollen Rückmeldungen über ihre Wahrnehmung des Verlaufs geben bzw. die Effizienz und Praktikabilität der Methode beurteilen. Alle Beiträge werden dokumentiert und in einer abschließenden Zusammenfassung evaluiert. Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse sollen allgemeine Richtlinien bzw. Standards für die Arbeit mit Referenzgruppen ausgearbeitet werden.

Zu Beginn stehen bei den Treffen zwei Themen im Vordergrund: einerseits die Klärung der Rolle der Referenzgruppe bzw. der Kooperation zwischen Referenzgruppe und ProjektmitarbeiterInnen, andererseits die Vorstellung des vorläufigen Projektentwurfs. An dieser Stelle hat die Referenzgruppe erstmals Gelegenheit, sowohl inhaltliche als auch methodische Kommentare und Änderungsvorschläge für den Verlauf des Forschungsprojekts einzubringen. Für das Projekt sind Momente dieser Art entscheidend dafür, ob wirkliche Partizipation möglich gemacht wird oder ob der Referenzgruppe eine bloße Alibifunktion zuteil wird. Diskussionen und Verhandlungen zwischen ForscherInnen und Referenzgruppe müssen Inhalt und Verlauf des Projekts so verändern, dass beide Perspektiven darin ihren Ausdruck finden. Für die ForscherInnen bedeutet dies freilich, ihre exklusive Position als Wissende aufzugeben und sich auf die Perspektive der Betroffenen einzulassen. Seyden und Abresch (1995, 4f) betonen, dass die Entwicklung einer gemeinsamen Kommunikation und die Klärung von Auffassungsunterschieden zwischen ForscherInnen und TeilnehmerInnen einen schwierigen, für den Forschungsprozess aber sehr bedeutsamen Schritt darstellt. Die AutorInnen sind in der medizinischen Forschung tätig und berichten von einer eigenen Untersuchung, die die unterschiedlichen, ja teilweise gegensätzlichen Erwartungen an Forschung illustrieren: sie stellten sowohl ForscherInnen als auch KonsumentInnen mit Behinderung die Frage, was für sie den Erfolg eines Forschungsprojekts ausmache. Für die ForscherInnen stand professionelles und wissenschaftliches Weiterkommen im Sinne anerkannter Publikationen und der Weiterfinanzierung von Forschung an erster Stelle. Außerdem sollten Ergebnisse wissenschaftlich gültig sein und über die Zeit bestehen. Für Personen mit Behinderung stand demgegenüber im Vordergrund, dass Forschung nützlich für ihr Leben sei und sich ihre Lebensqualität verbessere. Sie waren an leicht verständlichen Ergebnissen und gut brauchbaren Ergebnissen interessiert (vgl. Seyden; Abresch 1995). Zu klären ist, welche Rolle ForscherInnen und TeilnehmerInnen einnehmen, welches Verhältnis sie zueinander haben und wie sie konstruktiv kooperieren können. Heron und Reason beschreiben prägnant, wie partizipatorisches Vorgehen die Überwindung von einander ursprünglich ausschließenden Rollen ermöglichen kann und sich ein kooperatives Verhältnis zwischen ForscherInnen und Betroffenen entwickelt: "So in traditional research on people, the roles of researcher and subject are mutually exclusive: the researcher only contributes the thinking that goes into the project, and the subjects only contribute the action to be studied. In co-operative inquiry these exclusive roles are replaced by a co-operative relationship, so that all those involved work together as co-researchers and as co-subjects. Everyone is involved in the design and management of the inquiry, everyone gets into the experience and action that is being explored; everyone is involved in making sense and drawing conclusions; thus everyone involved can take initiative and exert influence on the process." (Heron; Reason 2001, 179)

Im weiteren Verlauf des Projekts stehen zuerst die Auseinandersetzung und Interpretation der laufend gewonnenen Ergebnisse bzw. Daten und schließlich die Frage im Vordergrund, wie Ergebnisse für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden sollen. Als eine weitere Dimension von Partizipation ist denkbar, dass einzelne MitarbeiterInnen der Referenzgruppe selbst Beiträge für die abschließende Publikation bzw. für die Ausstellung auf Schloss Ambras liefern, in der die Ergebnisse des Forschungsprojekts einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden sollen.

In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich das Projekt "Bildnis eines behinderten Mannes" von vielen partizipatorisch angelegten Forschungsvorhaben, die in der englischsprachigen Literatur beschrieben sind: Es ist weder an psychosozialen Themen bzw. an Praxis, wie z.B. die Beurteilung oder Verbesserung von Dienstleistungen für behinderte Personen, noch explizit an autobiographischen Themen orientiert, vielmehr liegt der inhaltliche Schwerpunkt bei geisteswissenschaftlichen und kulturhistorischen Fragestellungen. Ob, wie und mit welchen Schwierigkeiten es gelingen wird, das von Heron und Resaon quasi ideal beschriebene kooperative Verhältnis zwischen ForscherInnen und MitarbeiterInnen der Referenzgruppe herzustellen, wird nach Abschluss des Forschungsprojekts zu berichten sein.



[1] Ausschreibung des Forschungsprogramms TRAFO im Internet: http://www.bmbwk.gv.at/forschung/fps/trafo/trafo.xml

[2] ILRC = Independet Living Resource Center

Literatur:

Altrichter, Herbert; Gstettner, Peter. Aktionsforschung - ein abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte der deutschen Sozialwissenschaft? Sozialwissenschaftliche Literatur-Rundschau 26, 1993, 67 - 83.

CAICL (Canadian Association of Independent Living Centers). Choice, Flexibility and Control in Community Research. A Guidebook. Ottawa, Ontario: Canadian Association of Independent Living Centers, 1994.

Dick, Bob. Participative processes. 1997. Quelle: http://www.scu.edu.au/schools/gcm/ar/arp/partproc.html (Stand: 21. 07. 2003)

Doe, Tanis; Whyte, John. Participatory Action Research. Paper presented at the National Institute on Disability Research Conference "Forging Collaborative Partnerships in the Study of Disability" in Washington, D.C., 1995.

Flieger, Petra. Partizipative Forschungsmethoden und ihre konkrete Umsetzung. In: Hermes,

Gisela / Köbsell, Swantje (Hg.): Disability Studies in Deutschland - Behinderung neu Denken. Dokumentation der Sommeruni 2003. Kassel: bifos, 2003, 200-204.

Flieger, Petra. Buchbesprechung: Inclusive Research with People with Learning Disabilities.

Past, Present and Futures. Jan Walmsley; Kelley Johnson. in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft, 6/2004, 82.

Foucault, Michel. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1994.

Heron, John; Reason, Peter. The Practice of Co-operative Inquiry: Research "with" rather than "on" People. in: Reason, Peter/ Bradbury, Hilary (Ed.), a.a.O., 179-188.

Moser, Heinz. Grundlagen der Praxisforschung. Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1995.

Reason, Peter; Bradbury, Hilary (Hrsg.). Handbook of Action Research. Participative Inquiry and Practice. Sage Publications Ltd, 2001.

Seyden, Nancy; Abresch, Ted. Participatory Action Research from the Health Sciences Perspective. Paper presented at the National Institute on Disability Research Conference "Forging Collaborative Partnerships in the Study of Disability" in Washington, D.C., 1995.

Turnbull, Ann; Friesen, Barbara. Forging Collaborative Partnerships with Families in the Study of Disability. Paper presented at the National Institute on Disability Research Conference "Forging Collaborative Partnerships in the Study of Disability" in Washington, D.C., 1995.

Walmsley, Jan; Johnson, Kelly. Inclusive Research with People with Learning Disabilities, Past, Present an Future. London/ New York: Jessica Kingsley, 2003.

Quelle:

Petra Flieger: Der partizipatorische Forschungsansatz des Projekts "Bildnis eines behinderten Mannes"

erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 5/2005, S. 42 - 49.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 05.08.2010

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