Analyse von Unterricht als Sprachhandlung

Autor:in - Andreas Möckel
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 3/99. Thema: Zumutungen im pädagogischen Feld Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (3/1999)
Copyright: © Andreas Möckel 1999

Analyse von Unterricht als Sprachhandlung

Sprache gestaltet und prägt das menschliche Leben der Individuen und der gesellschaftlichen Gruppen von der Namengebung bis zum Nachruf. Folgt man der Sprache, dann stößt man auf vier Grundphänomene (anreden und aufmerken, zeigen und wahrnehmen, vorgehen und folgen, prüfen und bewähren), die überall dort zusammenwirken müssen, wo Generationen - und damit Zeitunterschiede absichtsvoll verringert werden sollen, wie das jede Erziehungs- und Bildungseinrichtung will. Die Grundphänomene erzeugen Kraftfelder, die entstehen und wieder vergehen, die gelingen oder misslingen können. Sie wirken nachhaltig auf die "Unterredner" ein, und zwar gerade auch dann, wenn sie nicht gelingen.

Vorbemerkung[1]

Die Unterrichtsstunde ist ein Sprachraum auf Zeit. Die Sprache generiert den Zeitabschnitt. Sprache meint hierbei sowohl die gesprochene als auch die analoge Sprache. Im Unterricht sollen Menschen unterschiedlicher Zeitschichten, "Unzeitgenossen", wie Rosenstock-Huessy sagt, Zeitgenossen werden. Im Großen der Geschichte heißen sprachlich verfasste Zeiten "Epochen", wie die Epoche der "Aufklärung" oder die "Gründerzeit", im Lebenslauf heißt ein Zeitraum etwa "meine Schulzeit". Es gibt Einschnitte im Leben, von denen sich die Biographie in Abschnitte "vorher" und "danach" gliedert. Diese realen, hierarchisch in einander gefügten und klar unterscheidbaren Zeiträume im Leben der Menschen lassen sich bis in kleine Einheiten verfolgen. Sie machen unsere Lebenszeit aus. Eine der kleinen Phasen heißt "Unterrichtsstunde" oder "Stundenabschnitt", genauer: diese bestimmte Unterrichtsstunde heute und hier.

Die Unterrichtsprozesse lassen sich auf vier spezifische Beziehungsprozesse zurückführen.



[1] Dieser Aufsatz erschien in dem Sammelband "Zur Analyse heilpädagogischer Beziehungsprozesse" hrsg. von Wilfried Datler, Gisela Gerber, Helga Kappus, Kornelia Steinhardt, Andreas Strachota und Regina Studener. Luzern 1998, S. 90-95.

1. Anreden und aufmerken

Die Unterrichtstunde ist eine herausgehobene Zeit, am leichtesten zu erkennen durch die formelle Begrüßung und Verabschiedung. Die Begrüßung hebt die Unterrichtszeit von der vorausgehenden Zeit ab und leitet einen neuen Prozess ein. Auch kleinere Zeiten informeller Unterweisung innerhalb einer Stunde werden auf diese Weise mit Andeutungen herausgehoben und eingeleitet, zum Beispiel wenn die Lehrerin einem Kind in der Stillarbeit etwas zeigen will und es namentlich anredet.

Dieses Anreden hat eine anthropologische Dimension. Wenn die Eltern dem Kind den Namen geben, ist das die erste, fundamentale Anrede, die ein Mensch erfährt. Die namentliche Anrede gibt dem Kinde seine erste Identität. Eine der vielen Identitätskrisen im Leben eines Menschen kann entstehen, wenn der Kindername seine Kraft verliert, ein junger Mensch sich jedoch auch noch keinen eigenen Namen gemacht hat. Es ist wichtig, die Zeit anzusagen oder durch ein Arrangement kenntlich zu machen. Ziehen sich die Kinder um und treten in die Turnhalle ein, ist klar, was bevorsteht.

Die Anreden sind kritische Momente des Unterrichts. Sie bewirken, dass Unterrichtszeit "anheben" kann, aber es ist nie sicher, ob das gelingt. Anreden verbrauchen sich. Wenn Kinder sich nicht angesprochen fühlen, kann von der Lehrerin mit bestem Willen als sinnerfüllt geplante Zeit sinnleer und langweilig sein. Jede Lehrerin weiß, dass die reale Stunde etwas anderes ist als die Planung. "Was ist heute mit dieser Klasse (mit diesem Kind) los!"

Nur zwei Hinweise aus einer Fülle von möglichen Abweichungen. Einzelne oder mehrere Kinder sind mit irgend einer Frage innerlich derart beschäftigt, dass sie nicht ansprechbar sind. Es ist, als träten sie nur mit ihrem Körper, aber nicht mit ihrem Geist in das Klassenzimmer. Sie lassen sich nicht auf die Lehrerin und nicht auf die Sache ein. Umgekehrt können Lehrerinnen und Lehrer innerlich von dem, was sie tun, ganz erfüllt sein und es versäumen, auf die Auswirkung ihrer Anreden zu warten. Der gesamte Unterricht ist von kleinen Ermahnungen durchsetzt, die wenige bewirken. Damit ist nicht die "Motivation", sondern zunächst das bescheidenere Sich-Zeit-nehmen gemeint, so wie man sich kurz, aber bewusst Zeit nimmt, wenn man in der Stadt einen Freund trifft. Man fühlt den Grad der Zuwendung.

2. Zeigen und wahrnehmen

Unterricht eröffnet eine Sicht auf Welt oder auf einen Weltausschnitt. Das kann die Schrift an der Tafel, ein Märchen, eine Bewegungsabfolge sein, wie zum Beispiel in der Unterstufe einer Förderschule das Händewaschen oder das Knüpfen einer Schleife. Zeigen ist ein konstitutives Moment von jedem Unterricht (Giel 1965). Unterricht wird herausgehobene Zeit, wenn es den Älteren gelingt, den Jüngeren Relevantes zu zeigen. Aufmerksammachen bezieht sich einmal auf das "Aufmerken", also auf den Beginn gemeinsamer Zeit, die da kommen soll. Es gibt keinen dichten Unterricht ohne Ankündigung. Das Aufmerksammachen bezieht sich zum andern auf die Sinne, besonders auf Auge und Ohr, die auf Sachverhalte gerichtet werden sollen. "Seht her!" sammelt die Blicke, die sich der Lehrerin zuwenden sollen. "Seht hin!" konstituiert die gemeinsame Sache, die gemeinsame Beziehung, wenn die Kinder sie "ins Auge fassen" im Bewusstsein, dass es jetzt um die Sache geht. Es soll in Gedanken oder auch praktisch eine Prozession um die Sache herum stattfinden. Der Unterricht gelingt nicht, wenn die Probleme oder die Gegenstände den Teilnehmern nicht gegenwärtig werden. Der sachliche Gegenstand muss soziale Gegenwart werden. Das Gezeigte kann fremd und widerständig, jedenfalls im Zusammenhang neu erscheinen. Es kann sogar widerwärtig sein, bevor er gegenwärtig wird. Herausgehobene Zeit muß nicht harmonisch sein. Kinder können auf Ankündigungen ablehnend reagieren: "Schon wieder Mathe!" Pflichtunterricht hat etwas Gewalttätiges und Überwältigendes an sich. Und doch kommt es immer wieder vor, dass in der Stunde der Protest verstummt, und zwar nicht nur deswegen, weil Kinder schnell vergessen, sondern auch deswegen, weil die Faszination des heraufbeschworenen Gegenstandes eingesetzt hat.

Am Zeigen und am Wahrnehmen kann Unterricht scheitern. Zeigehandlungen sind kritische Stellen im Unterricht. Mißverständnisse sind unumgänglich, sogar nützlich, aber auch gefährlich. Wenn das Gezeigte nur für das innere Auge sichtbar wird, wie ein Märchen oder ein Gleichnis, können Kinder Teile isoliert wahrnehmen, Proportionen verkennen, falsch Gewichten, Schwerpunkte übersehen. "Dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine" (Zinzendorf) gilt sowohl für die Unterrichtsstunde als auch für die Lebenszeit und für den Geschichtstag eines Volkes. Zeigt sich Kindern die Sache nicht, kommt kein Unterricht, sondern eine Art Zeitenchaos zustande, mechanisch begrenzt von der Pausenglocke. Kinder und Erwachsene werden jeweils auf ihre vorunterrichtliche Zeit zurückgeworfen, ohne dass der Unterricht provoziert, aufklärt, begeistert oder sättigt.

3. Vorgehen und vormachen, folgen und nachmachen

Herausgehobene Zeit ist eine Herausforderung zum gemeinsamen Tun. Mit dem Gegenstand, der im Unterricht gegenwärtig ist, soll etwas gemacht werden. Das gilt selbst dann, wenn still betrachtet oder meditiert, also scheinbar nichts getan wird. Nach dem Aufmerken und nach dem Bemerken müssen Kinder etwas tun. Sie müssen mit dem Unterrichtsgegenstand etwas anfangen. Soll eine herausgehobene, eine freiwillig oder erzwungenerweise hochgestemmte Zeit entstehen, müssen beide Seiten aktiv werden, und zwar die Älteren und die Jüngeren. Die Aktivität kann vom Lehrer oder vom Gegenstand vorgeschrieben sein. Das Tun der Älteren, das der Jüngeren, das beider sind drei Aspekte einer einzigen Zeit: Lehr-Lernen, wie es Hans Rauschenberger genannt hat. Das Vor- und Nachmachen kann selbstverständlich auch bei ein und demselben Gegenstand vielfältige Formen annehmen. Die Grundstruktur ist das Vor- und Nachmachen, das Vorgehen und das Folgen.

Man kann sich das an den beiden Begriffen von Piaget Assimilation und Akkomodation klar machen. Diese beiden Begriffe sind von den Schülern aus gedachte Umwandlungen von Zeitstrukturen in Gegenstandsweisen (Schurer). Für Lehrende und Lernende zusammen ist Assimilation ein "Das können wir schon!" und Akkomodation ein "Das können wir noch nicht!" "Wir" ist betont; denn das spezifische Unterrichts-Wir entsteht im Tun. Akkomodation und Assimilation bezeichnen unterschiedliche Zeitpunkte im Lernen, an denen Inhalte zu Kategorien werden und Kategorien sich bewähren.

Arbeit als Unterrichtsprinzip und die Arbeitsschule haben ihre Begründung in der Struktur der herausgehobenen realen Zeit, also nicht bloß im Ablauf, im Verrinnen von Sekunden und Minuten, sondern in der inhaltlichen Ausgestaltung eines Zeitabschnittes. Das geht nur langsam und in Stufen. Es beginnt schon beim Kleinkind und es geht bis zur Akademie der Wissenschaften. Lebendiger Unterricht verdichtet und beschleunigt die Zeit durch korrespondierendes Tun. Auch hier ist auf die anthropologische Dimension hinzuweisen. Es gibt ein Lernen, das sich nur im Tun erschließt.

Vor- und Nachmachen, Vorangehen und das Folgen können misslingen. Die geforderten Aufgaben können aus welchen Gründen immer zu schwer oder zu leicht sein, zu früh oder zu spät angeboten werden. Der Gegenstand kann erfasst werden, und trotzdem kann der Umgang mit ihm ein Kind überfordern. Natürlich können auch schwache Aufmerksamkeit der Kinder und Demotivierung, schwache Auffassungsgabe und konfuse Demonstration im Wege stehen und das Lernen vereiteln.

In der Geschichte der Heilpädagogik führten nicht nur neue Verfahren beim Ansprechen und beim Zeigen zum Erfolg, sondern auch Erleichterungen beim Tun durch Unterteilung des Unterrichts in kleine Schritte. Freilich, - auch die Untergliederung kann optimal sein oder zu weit oder nicht weit genug gehen.

4. Prüfen und bewähren

Unterricht ist erst dann abgeschlossen, wenn sich das im Lehr-Lernen erworbene Können bewährt. Es gibt Prüfungen, die nicht wahrgenommen werden, zum Beispiel in den Unterricht eingestreute Wiederholungsfragen. Klausuren und mündliche Examina dagegen sind, was sie sind, ausdrücklich. Die Vorform der Schulprüfung findet fast täglich in Schule und Familie statt; denn sie steckt im Abschluß jeder elterlichen Unterweisung und in der Entlassung aus der Stunde oder aus dem Unterricht. Die gemeinsame Unterrichtszeit wird angesagt und, wenn sie vorbei ist, abgesagt. Das Heft wird geschlossen, das Buch abgegeben, das Jahreszeugnis ausgeteilt, die Schulzeit beendet. Mit diesen kleinen oder großen Abschlüssen gehen Zeitabschnitte zu Ende und es beginnen neue: die Stunde, der Vormittag, das Schuljahr, die Schulzeit. Die Valediktion und andere Abschlussriten öffnen den Kindern die jeweils anderen Zeiten wieder, denen der Unterricht eingelagert ist. Die Abschlüsse muten den Kindern die Turbulenzen des Lebens zu und signalisieren, dass es Kontrolle und Selbstkontrolle, Prüfung und Selbstprüfung gibt. Mit der Bewährung des Schülers bewährt sich immer auch die Lehre mit. Wer sich prüft oder sich prüfen lässt, blickt zurück auf die Sache und verabschiedet sich vorläufig von ihr. Er hat Kriterien für sein Tun erworben und wird sie - hoffentlich - anwenden. Prüfung ist Vergewisserung. Sie schließt eine kleine Epoche ab und entlässt die Schüler aus dem Schutz der Gemeinsamkeit von Vorgehen und Folgen, Vor- und Nachmachen. Jetzt erst individualisiert die Schule die Schüler, wenn man den Begriff Individualisierung streng nimmt, und stellt sie auf sich allein.

Diese Handlungsdimension gilt im Kleinen wie im Großen. Ein Kind, das richtig abschreibt, merkt nicht, dass es sich kontrolliert. Es schreibt, blickt auf und schreibt weiter. Es prüft, wo es sich befindet. Das Abschreiben wird von der Frage begleitet: "Hab ich das schon? Was kommt jetzt? Bin ich schon am Ende?" Die Kontrolle oder Selbstkontrolle zwingt zurückzublicken, also die Richtung der Aufmerksamkeit noch einmal zu ändern. Das Fehlen der Selbstkontrolle beim Lesenlernen spielt vermutlich bei der Entstehung von Legasthenie eine Rolle. Die Kontrolle des Lernens ist letztlich die Lebensbewährung, die Anwendung im Ernstfall.

Die vom Unterricht erhoffte Wirkung der Selbstprüfung kann ausbleiben. Die Klagen darüber, dass Schülerinnen und Schüler das Wesentliche, die Hauptgesichtspunkte, die Kategorien der Methode nicht verstehen sind alt. Eine moralische getönte Formel lautet: "Kinder lassen es am nötigen Ernst fehlen". Es geht jedoch nicht um Moral, sondern um den Mangel an Gesichtspunkten zur Einschätzung der eigenen Leistung. Manche Schüler ahnen zum Kummer ihrer Eltern nicht, was ihnen in der Schule geschieht. Es gibt natürlich auch das Umgekehrte, dass Eltern nicht ahnen, was mit ihren Kindern in der Schule passiert. Aber davon soll hier nicht die Rede sein. Es geht um die Beziehung, die der Unterricht stiftet. Dazu gehört es, die eigene Leistung zu prüfen. Das strengt nicht nur Kinder an. Wer handelt, mitmacht, nachmacht oder nachfolgt, sieht nur mit einem Auge. Man kann Erfahrungen vergessen und verlieren. Eine häufige Klage der Lehrenden an Schulen für geistig behinderte und für lernbehinderte Kinder heißt: "Ich musste ganz von vorne anfangen!" Das heißt, der Unterricht hat das Kind nicht verwandelt.

Um noch einmal das Bild vom Erblasser und vom Erben aufzugreifen. Familienbetriebe können nur überleben, wenn die Erbfolge wirklich angetreten wird. Selbstkontrolle ist sicher nicht die einzige, aber eine notwendige Bedingung für das Überleben eines Familienbetriebes. Der Erbe muss sowohl die "Disziplin" beherrschen, zum Beispiel einen landwirtschaftlichen Betrieb führen können, als auch "diszipliniert sein" und sich wirklich "in den Dienst der Sache" stellen.

Nachbemerkung

Diese vier Sprachhandlungen schaffen im Unterricht die Beziehung zu den Erwachsenen, die als ältere Generation der jüngeren Generation zeitlich vorausgeht. Kinder leben in einer eigenen Welt. Welt hieß ursprünglich Zeitalter. Erwachsene haben, wenn Kinder und Jugendliche sich selbst überlassen werden, nicht ohne weiteres einen Schlüssel zu deren Welt. Es ist auch nicht richtig, wenn man davon ausgeht, dass Menschen, die im gleichen Haus oder in der gleichen Wohnung zusammenleben, allein schon deswegen eine gemeinsame Zeit haben müssten. Unterricht ist nicht die einzige, aber in der Jugend eine wichtige Weise, wie gemeinsame Zeit entsteht. Aufmerken, Bemerken, Ausführen, Anwenden wechseln sich ab. Am Vormittag ist ein neuer Algorithmus eingeführt worden. Am Nachmittag schon sollen die Kinder das Gelernte anwenden und müssen zeigen, ob sie auf der Höhe ihrer Klasse sind. Dieser Takt gilt analog auch für das ins Familienleben eingelagerte Lehr-Lernen.

Wir werden krank, wenn wir uns nicht in Ehren wandeln können. Erziehung in der Schule generiert mit Hilfe der vierfältigen Unterrichtsgrammatik einen - hoffentlich - friedlich Wandel. Dank der Vitalität der Kinder gelingt dieser Wandel in den meisten Fällen trotz mancher Zwischenfälle im Großen und Ganzen. Misslingt gemeinsame, leibhaftige Zeit, missrät auch der Wandel. Dann muss Erziehung neu ansetzen. Heilerziehung durch Unterricht ist der Neuanfang beim Versuch einen Generationen übergreifenden Zeitkörper zu bilden, so dass in seinem Schutz ein Wandel stattfinden kann, so wie ein Kücken im Schutz der Eierschale das werden kann, was es gleichzeitig schon ist und doch erst werden soll.

Schulische Erziehungsformen sind zeitweilig und bilden ein kompliziertes Fließgleichgewicht. Stetig ist der Wechsel vom Ansprechen-Aufmerken, Zeigen-Bemerken, Vormachen-Nachtun und Erproben-Prüfen. Dieser sprachlich fundierte Prozess kann gestört sein oder ganz zum Erliegen kommen. Behinderungen in der Erziehung sind nach dieser Grammatik des Unterrichts alltäglich. Die in der Geschichte der Heilerziehung entstandenen Schulen für spezifische Behinderungen von Kindern sind nur ein Aspekt gestörter Unterrichtsgrammatik unter anderen, allerdings der mit Abstand wichtigste. Der Ansatz von der im Unterricht entstehenden gemeinsamen Zeit erklärt, warum ein integrativer Unterricht genau so gut ein heilender Unterricht sein kann wie ein separierender. Der Ansatz erklärt ferner, warum auch umgekehrt beide heillos sein können. Integrativer Unterricht schafft nicht schon von sich aus einen lebendigen Zeitraum, aber um lebendige Zeit geht es im Unterricht.

Literatur

Giel, Klaus: Studie über das Zeigen. Bildung und Erziehung 18 (1965) 181-194.

Möckel, Andreas: Namen in der Erziehung. In: Paradoxien des Ich. Beiträge zu einer subjektorientierten Pädagogik. Festschrift für Günther Bittner. Hrsg. von Volker Fröhlich und Rolf Göppel. Würzburg 1997.

Rauschenberger, Hans: Über das Lehren und seine Momente. In: Zum Bildungsbegriff der Gegenwart, mit Beiträgen von Theodor W. Adorno, Wilhelm R. Gaede u.a., Frankfurt 1967, 66-110.

Bruno Schurer: Gegenstand und Struktur der Lernhandlung. Bergisch Gladbach 1984.

Rosenstock-Huessy, Eugen: Die Arbeiter lehren zu wenig und die Lehrer lehren zu viel. In: Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige Grammatik in vier Teilen. Bd II, Heidelberg 1964, S. 368-427.

Der Autor

Prof. Dr. Andreas Möckel, Professor em. für Sonderpädagogik (Lernbehindertenpädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen (1967-1976) und an der Universität Würzburg (1976-1992); Mitglied im Ausschuss "Sonderpädagogik" des Deutschen Bildungsrats (1969-1973); Schwerpunkte: Geschichte der Heilpädagogik (1988), Lese-Schreibschwierigkeiten als didaktisches Problem (1997), Aufsätze zu Grundfragen der Heilpädagogik (Integration, Erziehung, Legitimation schulischer Erziehung bei schwerer geistiger Behinderung, Ethik).

Von-Luxburg-Str. 9

D-97074 Würzburg

Quelle:

Andreas Möckel: Analyse von Unterricht als Sprachhandlung

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 3/99; Reha Druck Graz

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 23.05.2005

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