Tanzen ist wie Singen mit dem Körper

Autor:in - Daniel Aschwanden
Themenbereiche: Schule, Kultur
Schlagwörter: Therapie, Kultur, Kunst, Tanz, Theater
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Titel zitiert nach Elisabeth Löffler. Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein". Veranstaltungszeitraum: 6. - 8. Juni 1996 in Innsbruck. Veranstalter: "Tafie - Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung" in Zusammenarbeit mit der "Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder" und dem "Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck".
Copyright: © Daniel Aschwanden 1996

Tanz als Chance für Integration

Das Körperintegrationsprojekt begann eigentlich zufällig. Ich hatte zwar in meiner tänzerisch/performerischen Arbeit bereits die Intention, mich gegen das Diktat der "perfekten" Körper im Tanz zu stellen, hatte auch eine Performance mit Senioren realisiert, war aber doch weit davon entfernt, an ein "Behinderten"- Projekt zu denken.

Eines Tages meinte der Chef einer kleinen Firma, welche unter anderem Plasticobjekte für Kunstprojekte herstellt, er würde einen Tänzer beschäftigen, ob ich ihn kennenlernen wolle.Leicht verwundert entgegnete ich," Warum nicht". So stand ich zum ersten Mal Christian Polster gegenüber, einem jungen Mann mit Down-Syndrom in blauem Arbeitskittel , der mich mit einem lachenden "Hi" begrüsste. Nach einer kurzen Unterhaltung, die für mich schwierig war, weil ich ihn kaum verstehen konnte, fragte ich ihn, ob er für mich tanzen würde. " Du bissi warten", war die positive Antwort, nach der er blitzschnell verschwand. Kurze Zeit später erschien er in Lederjacke, mit abgeschnittenen Handschuhen und aufgesetzten Walkmankopfhörern. Zwischen den Maschinen stellte er sich in Position und begann zu tanzen. Ich hatte mir bis dahin nichts vorstellen können und blickte erstaunt auf die persönliche und ausdrucksstarke Kombination von Michael Jackson- beeinflussten Showtanzelementen, die mit Kung Fu - Folgen vermischt und wiederum durch ganz persönliche Gesten gebrochen wurden. Dabei trug er seine Choreografie mit hoher Konzentration und einer erstaunlichen Präsenz vor. Ich war überrascht von seiner Präzision und berührt von seiner Ausdruckskraft , umso mehr, als es mir zuvor äusserst schwer gefallen war, seine Aussprache zu verstehen.

Ein paar Wochen später fragte ich ihn, ob er Interesse hätte, regelmässig mit mir zu tanzen. - Wir wurden Partner.

Im sogenannten New Dance, einer Strömung die sich als sanfte Oppositionsbewegung gegen die strikten Formalismen des Modern Dance entwickelt hatte, nimmt die Contact Improvisation eine wichtige Stellung ein. Von Gründer Steve Paxton als eine Art Synthese aus Aikido und Tanzelementen und, sehr wesentlich, dem Geist und der Praxis der Improvisation geformt, hat sie sich seit den 70 iger Jahren stetig weiterentwickelt, sowohl als eigene Disziplin, wie auch als Ausgangsmaterial für neue Richtungen des zeitgenössischen Tanzes und Tanztheaters, die sie nachhaltig beeinflusst und beeinflusst hat.

Die Contact Improvisation zeichnet sich dadurch aus, dass Sie eher mit Prinzipien, dem dynamischen Prinzip von Geben und Nehmen von Gewicht und Unterstützung, dem Prinzip der Improvisation arbeitet, als mit fixierten, ästhetischen Formen, wie sie in anderen Tanzstilen durchwegs vorgegeben sind . Das prädestiniert sie wohl auch für die integrative Arbeit von behinderten und nichtbehinderten Menschen. So scheint es kein Zufall, dass gerade aus diesem tänzerischen Umfeld eine der überzeugendsten und seit über 10 Jahren praktizierten integrativen Methoden kommt:

Alito Alessi gründete 1984 gemeinsam mit Karen Nelson in den USA das Danceability- Projekt, dessen alleiniger künstlerischer Leiter er seit längerem ist. Durch nationale und internationale Workshoptätigkeit mit behinderten und nichtbehinderten Menschen aller Art verfeinerte er seine Arbeitsweise, die sich aus einer Synthese von Elementen aus meditativer Selbstbeobachtung, Körperarbeit im Sinne von Massagetechniken, Contactimprovisation, systematisch aufgebauten Einzel-, Partner- sowie Gruppen-Übungen und intensiven Gesprächsblöcken zusammensetzt. Wesentliches Merkmal seiner Arbeit ist, dass sich die Methode latent weiterentwickelt, und, je nach Art der Behinderung der TeilnehmerInnen modifiziert und erweitert wird. Das heisst, die Arbeitsweise wird jedesmal speziell auf die TeilnehmerInnen und ihre speziellen Probleme ausgerichtet.

Neben der Workshoptätigkeit , die auch durch den spastisch gelähmten Partner Emery Blackwell, der gleichberechtigt unterrichtet, mitbestimmt und geprägt wurde, erarbeiteten die beiden verschiedene Performanceprogramme, die erfolgreich auf der ganzen Welt aufgeführt werden.

Alljährlich findet, unterstützt durch die lokale Tanzuniversität in Eugene, Oregon ein internationales Danceability- Festival statt, welches in- und ausländische Gruppen präsentiert, neue Entwicklungen zeigt und einen hohen Kommunikationswert hat, da es mit einem grossen Workshop gekoppelt ist, an dem bis zu über 100 Interessierte teilnehmen.

Gegenwärtig arbeiten Alito Alessi und Steve Paxton an einem Buch, das die Arbeit beschreibt und allen Tänzern und Nichttänzern den Zugang erleichtern soll. Es wird voraussichtlich ab Herbst 96 erhältlich sein.

Alessi leitet im Sommer 96 ein spezielles Ausbildungsprojekt "Teach for teach" in dem er die Prinzipien seiner Arbeit an Fortgeschrittene im Umgang mit seiner Arbeit weitergibt, und worin die behinderten und nichtbehinderten Teilnehmenden gleichberechtigt die Möglichkeit erhalten, sich zu Workshop- und KursleiterInnen weiterzubilden.

Tanz&Theater: Kunst ?- Therapie ?

Dass da plötzlich behinderte Körper auf der Bühne sind, ist speziell im Kunstbereich umstritten und scheint eingeschleifte Tabus zu berühren. "Da werden diese Behinderungen ausgestellt - die Menschen benutzt, mit Mitleid gespielt, das lenkt von der wirklichen Kunst ab- ein behinderter Mensch wird immer nur einen behinderten Menschen, also sich selbst spielen können..."

Diese Ausssagen umreissen sicherlich das Spannungsfeld und zeigen auch Gefahren auf, welche durch die neue Tatsache entstehen, dass behinderte Menschen als Akteure arbeiten. Im Tanzbereich wird sogar prinzipiell einem Körperkult gefrönt, welcher selbst viele der "normalen" Körper ausschliesst. Grundsätzlich verdecken aber solche Aussagen eher die persönliche Angst und Verunsicherung der "normalen" Menschen. Der Ausschluss in der Kunst widerspiegelt den gesellschaftlichen Ausschluss. Das Überraschende am Ausschluss von behinderten Menschen ist, dass er weniger aufgrund von bestimmten Definitionen passiert, als durch die Macht des Faktischen. "Es gibt keinen Bedarf an behinderten DarstellerInnen"-also werden keine ausgebildet, also fragt niemand danach, somit gibt es keinen Bedarf, also werden keine ausgebildet...

Künstlerische Versuche von und mit behinderten Menschen werden gerne als sozial oder therapeutisch wertvolle Aktivitäten toleriert-immer vor dem Hintergrund, dass sie selbstverständlich künstlerisch nicht ernst zu nehmen seien. Durch die Vorstösse der soziokulturellen Animation in den letzten 20 Jahren wurde sicherlich in gesellschaftlich wertvoller Weise ein Arbeitsfeld und ein Bewusstsein geschaffen, welche die spielerischen und integrativen Momente betont. Das k a n n eine von verschiedenen Zielrichtungen sein.

Aber Körper-Kunst mit behinderten Menschen?

Es wäre nun wohl ein Irrtum, jegliche therapeutische Einflüsse, die durch diese Arbeit entstehen, abzustreiten. Diese Einsicht gilt jedoch auch für jede andere Kunstproduktion.

Wo jedoch im therapeutischen Prozess die Entwicklung, Erweiterung, Bewusstmachung, das Einüben,ev. Unterlassen verschiedener Verhalten im abgesicherten Rahmen zwischen Klienten und Therapeuten vor sich geht, führt der darstellerische Prozess auf die Bühne, wo die Ergebnisse der Arbeit zur Erzielung künstlerischer Wirkungen - vor Publikum, eingesetzt werden. Das heisst, das persönliche Potential muss im Hinblick auf die Erfordernisse der Rolle/Choreographie und auch auf die Drucksituation, öffentlich zu spielen, mobilisiert werden. Die Professionalität, mit der das geschieht, der künstlerische Einsatz der Mittel bestimmen dann die Qualität einer Aufführung- nicht das Faktum, dass vielleicht Akteure behindert sind.

Muss notgedrungen immer Behinderung thematisiert werden, wenn Handelnde auf der Bühne behindert sind ? Ich vermute nicht- auch wenn die Behinderung von den Betrachtern immer zur Kenntnis genommen wird.

Letztlich liegt jedoch die grosse Herausforderung beim Publikum: seinen Blick zu verändern, sich Einzulassen auf neue Bilder und Bewegungssprachen."Gerade die künstlerische Ausdrucksweise und das Tanztheater existiert dadurch , dass die Möglichkeit einer offenen Einschätzung gegeben ist." P. Niedermair, KULTUR 8/8,Okt.93

In diesem Sinne können integrative Kunstprojekte die gesellschaftliche Wahrnehmung erweitern und bereichern.

BILDERWERFER integratives Tanz&Performanceprojekt

3 behinderte und 3 nichtbehinderte AkteurInnen arbeiten unter der künstlerischen Leitung von Daniel Aschwanden an einer künstlerischen Verbindung von New Dance / Contactimprovisation, Schauspiel und Video, um mit diesen Mitteln Performances, Installationen, Improvisationen, Happenings und Workshops zu produzieren.

Jeder Körper ist perfekt!

Wider den perfekten Körper!

Aus einem Interesse an der Sprache alltäglicher Körper und aus dem Widerstand gegen das Diktat des "perfekten" Körpers im Tanz begann der Choreograph und Performer Daniel Aschwanden 1992 die Zusammenarbeit mit Christian Polster, Tänzer mit Down-Syndrom. Aus diesem Nukleus entwickelte sich mittlerweile eine Company, die unter dem Namen BILDERWERFER arbeitet und in ihrer jetzigen Grösse aus sechs Mitgliedern, je drei behinderten- und drei nichtbehinderten Menschen, besteht.

Seit Herbst 94 produzierten die BILDERWERFER das abendfüllende Doppelstück BANANENSCHWEINE / N.N., tourten damit erfolgreich in Österreich und in Deutschland und wurden 1995 beim internationalen Performancepreis in Konstanz mit dem 2. Preis ausgezeichnet.

Im weitesten Sinn gehen BILDERWERFER von NewDance Techniken, speziell der Contact Improvisation aus. Diese bietet sich für die tänzerische/körperliche Arbeit besonders an, da sie mit dem Prinzip des dynamischen Gebens und Nehmens von Gewicht und dem der Improvisation arbeitet. Dieser formalästhetische Zugang eröffnet dem integrativen Tanz ein kreatives Feld, abseits formaler Zwänge.

Parallel zur tänzerischen Arbeitslinie läuft eine zweite, mit theatralem Inhalt: kontinuierlicher Bestandteil des Trainings der Gruppe ist die Arbeit mit Method-acting, um neben der Bewegungstechnischen auch die schauspielerische Präsenz wahrzunehmen.

Im Laborbetrieb werden dann Synthesen dieser unterschiedlichen Arbeitsmethoden ausprobiert:

Integration bildet die Klammer dieser verschiedenen Arbeitstechniken, die kreativ miteinander gekoppelt werden: erstens im Sinne der Integration behinderter Menschen in die Welt der Nichtbehinderten und der Einbindung Nichtbehinderter in die Welt der Behinderten, als auch zweitens im Sinne einer Integration verschiedener medialer Formen wie Tanz, Schauspiel, Performance, Video, Musik, Bildende Kunst und Architektur als künstlerischer Aussage.

Neben der künstlerischen, öffentlichen Artikulation durch Theateraufführungen, Happenings, Performances und Installationen geben BILDERWERFER ihre Erfahrungen auch in zahlreichen Workshops weiter, die immer von einem Team, bestehend aus einem/r behinderten und einer nichtbehinderten LeiterIn, besteht. Ein Musiker begleitet dabei live die Arbeit.

BILDERWERFER verstehen sich als aktive Mittler zwischen dem Realen und dem Utopischen und wollen als KünstlerInnen neue Bilder und Beziehungen kreieren: um so das scheinbar Utopische in reale Lebenszusammenhänge einzubringen. Das bedeutet, die Arbeit mit dem Abbau von Berührungsängsten und Tabus zu beginnen; bei sich und in der Gesellschaft.

Zum Autor

Daniel Aschwanden, geb. 1959 in der Schweiz. Video-, Performancekünstler und Choreograph. Eine intensive Beschäftigung mit asiatischen Kampfsportarten, Tanz: Butoh ,ContactImprovisation und Schauspiel stellen die Grundlage seiner Arbeit dar.Seine Stücke verbinden verschiedene Medien (Video/Theater), Kunstrichtungen(Architektur, bildende Kunst) und Bewegungsformen.Gründer des Festivals Tanzsprache. Zahlreiche (in&out-door) Performances u.a. mit dem Bildhauer Tone Fink, Christian Polster, der Jazzformation Ohmnibus .Soloperformances,ua. "Splittertänze", "Tempesta".Projekte in Tokyo, New York, Moskau, Budapest, London, Barcelona. Zusammenarbeit mit Fura dels Baus. Gründung des BILDERWERFER Performancelabels, Gründung u. Leitung des BILDERWERFER Nicht/Behinderten-Projekts mit Aufführungen in Ö, F, CH, BRD, GB, USA, 2. Preis beim int. Performance Wettbewerb in Konstanz.

Quelle:

Daniel Aschwanden: Tanzen ist wie Singen mit dem Körper

Titel zitiert nach Elisabeth Löffler. Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein", Innsbruck, 6.-8. Juni 1996

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 02.05.2007

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