Nachrufe
Diese Seite stellt den Beginn einer Sammlung von Nachrufen für Inklusions-Forscher:innen und bedeutende Persönlichkeiten der Behinderten-Bewegung dar. In der Natur der Sache liegt die Unvollständigkeit, die wir an dieser Stelle entschuldigen wollen. Haben Sie einen Nachruf, den Sie an dieser Stelle gerne veröffentlicht sehen wollen, senden Sie uns bitte ein E-Mail (inklusive Veröffentlichungs- und Bild-Rechten!) an integration-ezwi@uibk.ac.at. Vielen Dank!
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Dorner, Max
Max Dorner war Autor, Regisseur, Schauspieler und in der Kunst- und Kultur-Landschaft von München nicht wegzudenken. Sein wichtigstes Ziel war stets, die Gesellschaft inklusiver und barrierefreier zu machen. Er hat sich selbst als Vollzeit-Rebell bezeichnet und war ein Inklusions-Aktivist, der Menschen zusammenbringen konnte.
Er ist am 18. Februar 2023 in München verstorben.
Bildrechte: © Richard Huber, Lizenz: CC-BY-SA 3.0
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Heumann, Judy
"Du kannst Judy zu mir sagen." Meine Angst, wir könnten uns nicht verstehen oder es würde ein angespanntes Interview werden, war verschwunden. Das Gegenteil war der Fall. Während unseres 90 minütigen Gesprächs, das ich mit "Guten Tag, Ms. Heumann" begonnen hatte, unterhielten wir uns wie Bekannte. Ich hatte ihr Buch gelesen Being Heumann (2020) und die Stärke und Schönheit einer jungen Frau bewundert, die entschlossen für ihre Rechte kämpfte, wie in der Dokumentation Crip Camp (2020) zu sehen war.
Im Juli 2020, trafen wir uns, der Pandemie geschuldet, auf Skype, als wir uns beide in Washington DC aufhielten. Die Sprechchöre der Menschen, die sich der Black Lives Matter Bewegung angeschlossen hatten, um ihrer Wut über die Ermordung von George Floyd Kraft zu verleihen, drangen von der Straße hoch in unsere Wohnungen. Das Verlangen der Zivilgesellschaft nach Gerechtigkeit bildete den Hintergrund und die Dringlichkeit, mit der wir uns über die UN BRK austauschten, über die andauernden Kämpfe der Behindertenrechts-Bewegung und die Schwierigkeiten die Artikel der UN Konvention in die Tat umzusetzen.
Judith Ellen Heumann war eine Internationalistin und, wie ihre Freundin Devva Kasnitz in ihrem Gedenken an Judy hervorhebt, eine stolze jüdische Frau. Ihre Eltern hatten Nazi-Deutschland verlassen müssen, um ihre Kinder in den USA in Sicherheit zu bringen. Geboren 1947, erkrankte sie dort zwei Jahre später an Polio, was ihre Eltern jedoch nicht davon abhielt eine Schule zu suchen, die auch Judy unterrichten würde. Dem Vorbild ihrer Eltern folgend, forderte sie als Erwachsene erstmals die New Yorker Schulbehörde gerichtlich heraus, als diese ihr die Lehrerinnen-Lizenz vorenthalten wollte aufgrund ihres Rollstuhls. Nachdem sie den ersten Rechtsstreit für sich gewinnen konnte, folgten viele weitere. In den 1970er Jahren führte sie eine Reihe von Sit-ins an, die gesetzliche Veränderungen für Menschen mit Behinderungen herbeiführten in bisher ungeahntem Ausmaß, beispielsweise der Individuals with Disabilities Education Act (1974) oder Section 504 des Rehabilitation Act (1973). Für diese Kampagnen gingen die Protestierenden an ihre körperlichen Grenzen und stritten mit unfassbarem Durchhalte-Vermögen für ihre Forderungen, unterstützt von Assistent*innen, Familien-Mitgliedern und Allies, zu denen auch Mitglieder der Black Panther Partei gehörten. Im Zuge dieser Protestaktionen wurden gigantische gesetzliche Veränderungen erreicht, die "separate but equal" auch für Menschen mit Behinderungen als verfassungswidrig erklärten.
Judy lenkte ihre Energie in viele Projekte und Stiftungen, wie Disability in Action und Selbstbestimmt Leben, bevor sie dem Ruf auf die politische Bühne der 1990er Jahre folgte. Von 1993 bis 2001 wurde sie von der Clinton Administration in das Amt der Assistant Secretary im Office of Special Education and Rehabilitation Services des US Department of Education berufen. Zehn Jahre später, von 2010 bis 2017, ernannte sie Barack Obama zur Special Advisor for International Disability Rights. Judy Heumann ergriff jede Möglichkeit, die sich ihr bot, um Missstände anzufechten und Veränderung durch Aktivismus und Legislative herbeizuführen, gestärkt durch die Liebe ihrer Familie und ihres Ehemanns, Jorge Pineda.
Mich verbindet der tiefe Schmerz um das Scheiden von Judy Heumann mit vielen Menschen, ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Verbündeten. Sie bleibt die Ikone eines Kampfes um Menschenrechte, der noch längst nicht vorüber ist und einer Bewegung, die sie mit Wärme und Scharfsinn geführt hat. Sie handelte in tiefer Überzeugung, gemeinsam Wandel herbeiführen zu können, der nächsten Generation Mut zu geben und ihre Weggefährten zu ehren. Eine tiefe Leere ist nun spürbar und doch kann es nur einen Weg geben: vorwärts. (Josefine Wagner im Namen des bidok-Teams)
Bildrechte: © CDH - Comissão de Direitos Humanos e Legislação Participativa, Lizenz: CC-BY 2.0
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Jantzen, Wolfgang
Wolfgang Jantzen wurde 1941 geboren und machte 1963 sein Abitur (Matura). Er studierte an den Universitäten Gießen und Marburg in Deutschland. Seine Abschlüsse waren das Lehramt und ein Diplom in Psychologie. Bereits ab Mitte der 1960er-Jahre arbeitete er als Lehrer an einer Schule für Menschen mit Lern-Behinderungen. 1972 promovierte er in Marburg in Erziehungs-Wissenschaft. 1974 wurde er Professor für Behinderten-Pädagogik an der Universität Bremen. Dort baute er den Lehramts-Studiengang und ab 1985 den Diplom-Studiengang Behinderten-Pädagogik auf. Er hatte Lehr-Aufträge an verschiedenen Universitäten, etwa 1987/88 an der damaligen Karl-Marx-Universität in Leipzig. Seit August 2006 war Wolfgang Jantzen im Ruhestand, aber weiterhin wissenschaftlich und gesellschafts-politisch aktiv. Etwa hatte er 2010 eine Forschungs-Professur in Brasilien, wo er ein Projekt mit indigenen Gemeinschaften leitete und Gast-Vorträge hielt.
Jantzen war ein Pionier der Disability Studies und der Behinderten-Pädagogik. Er entwickelte innovative Konzepte und trug wesentlich zur Theorie und Praxis der Behinderten-Pädagogik bei. Sein Werk "Allgemeine Behindertenpädagogik" gilt als zentraler Beitrag zu diesem Feld. Seine Arbeit war geprägt von einem tiefen Engagement für soziale Gerechtigkeit. Er war ein Verfechter der uneingeschränkten Teilhabe aller Menschen an gesellschaftlichen Prozessen. Er kritisierte Heime und Anstalten für Menschen mit Behinderungen und setzte sich für ein inklusives Bildungs-System ein. Dabei kämpfte er auch gegen konservative und reaktionäre Ideologien, die sich gegen die Inklusion von Menschen mit Behinderungen aussprachen. Sein Wirken und seine Ideen beeinflussen die heutigen Debatten über Inklusion.
Wolfgang Jantzen starb am 22. November 2020.
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Martin, Robert
Am 30. April 2024 ist Sir Robert Martin im Alter von 67 Jahren verstorben. Er war ein bedeutender neuseeländischer Menschenrechts-Aktivist und half etwa bei der Entwicklung der UN-Behindertenrechts-Konvention (UN-BRK) mit. Von 2017 bis 2024 überwachte er die Umsetzung der UN-BRK.
Prof.in Dr.in Theresia Degener, Leiterin von BODYS (Bochumer Zentrum für Disability Studies), äußerte ihre tiefe Trauer und betonte seine wichtige Rolle in der internationalen Behinderten-Bewegung.
Sir Robert Martin war mitverantwortlich dafür, Leichte Sprache als offizielle Kommunikations-Sprache der Vereinten Nationen einzuführen. Er setzte sich besonders für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung ein. Seine Reden begannen oft mit den Worten "Heime sind nicht nur Mauern und Zement, sondern auch Strukturen und Haltungen", um auf Menschenrechts-Verletzungen hinzuweisen. Seine Autobiografie "Becoming a Person" ("Wie man eine Person wird") beschreibt seinen Weg aus einer Einrichtung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Seine Biografie hatte großen Einfluss.
Sir Robert Martin erhielt viele Auszeichnungen, darunter den neuseeländischen Verdienst-Orden im Jahr 2008. 2020 wurde er zum Ritter geschlagen. (Quelle: BODYS)
Bildrechte: © Governor General of New Zealand, Lizenz: CC-BY 4.0
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Ratzka, Adolf
Adolf Ratzka, ein bedeutender Aktivist der Selbstbestimmt Leben Bewegung, ist im Alter von 80 Jahren bei einem Unfall verstorben.
Adolf Ratzka wurde am 20. November 1943 in Deutschland geboren und wuchs zunächst in Bayern auf. Mit 17 Jahren erkrankte er an Polio und muss daraufhin 5 Jahre in diversen Krankenhäusern verbringen, weil es keine rollstuhl-gerechten Wohnungen gibt. Mit 22 nutzte er die Chance und ging zum Studium in die USA. In Los Angeles (Kalifornien) lebte er mit elektrischem Rollstuhl, Beatmungs-Gerät und persönlicher Assistenz ohne familiäre Unterstützung oder Bekannte. In den 1970er-Jahren zog er nach Schweden, wo er in den Bereichen "barrierefreier Wohnungs-Bau" und "De-Institutionalisierung" (Abbau von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen) forschte. Dort lebte er bis zuletzt, weil er in Schweden - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern - die Unterstützungs-Leistungen bekam, die er für ein selbst-bestimmtes Leben benötigte.
Adolf Ratzka leistete einen großen Beitrag für eine inklusive Gesellschaft. Er war ein aktives und engagiertes Mitglied der europäischen Selbst-Bestimmt Leben Bewegung und war unter anderem Gründungs-Mitglied des "European Network on Independent Living" (ENIL).
Sein Tod löste weltweite Trauer aus. Ratzka galt vielen als Vorbild und Mentor. Er verstarb am 21. Juli 2024 in Stockholm nach einem schweren Unfall während eines Spaziergangs. Sein Lebenswerk wird als wichtiger Beitrag zur Ermöglichung eines selbst-bestimmten Lebens für Menschen mit Behinderungen gewürdigt.
(Quellen: BIZEPS, ENIL)
Riess, Erwin
Erwin Riess war Schriftsteller und Aktivist der Behinderten-Bewegung. Er schrieb unter anderem Theater-Stücke, Drehbücher und Hörspiele. Viele schätzten ihn als Verfasser von Kriminal-Romanen (Herr Groll). Bekannt war er auch für die Reihe "Korrespondent Groll", in der er regelmäßig für die linke deutsche Tageszeitung "junge Welt" aus Österreich berichtete.
Erwin Riess trat stets für soziale Gerechtigkeit und die Interessen der Behinderten-Bewegung ein. Außerdem engagierte er sich auch partei-politisch und trat etwa zur österreichischen Nationalrats-Wahl 2017 für die Kommunistische Partei (KPÖ Plus) an.
Erwin Riess starb am 25. März 2023 im Alter von 66 Jahren in Kärnten.
Wir dürfen auf folgenden Text von Erwin Riess in der bidokbib hinweisen, der während der COVID-Pandemie entstanden ist:
- Riess, Erwin (2021/2020): Herr Braun und die zweite Welle
Bildrechte: © C.Stadler/Bwag, Lizenz: CC-BY-SA 4.0
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