De_Pathologisierung und_oder Re_Stigmatisierung?

Eine Analyse von Wirkungsweisen hegemonialer Denkstrukturen in Gegendiskursen

Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Seminararbeit
Releaseinfo: Seminararbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin; Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät; Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien; Seminar: „Konstruktionen von Anders-Sein aus der Perspektive der feministischen Psychiatriekritik und den Disability Studies“; Dozent_in: Lisa Pfahl; verfasst: Berlin, den 24.10.2015.
Copyright: © Katharina Krämer und Sandra Tausch 2015

1 Einleitung

In a pass/fail situation, standards for acceptance may vary, but somebody always gets trampled.” (Mattilda a.k.a. Matt Bernstein Sycamore, zitiert in Time/Franzen 2012, 126)

In dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit aktivistischen Bestrebungen, Trans* zu de_pathologisieren. Dabei soll untersucht werden, wie die generellen Mechanismen von Pathologisierungen dabei unangetastet bleiben oder sogar verstärkt werden können. Argumentative Rhetoriken zu Trans*, wie „We ain’t broke, so stop trying to fix us.” (Virginia Prince, zitiert in Time/Franzen 2012, 242) oder „there is nothing wrong with us“ (zitiert in Withers 2014, 118), so unsere Hauptthese, verfestigen Pathologisierungen wiederum an anderer Stelle: Konkret meinen wir damit die breitere psychiatrische Definitionsmacht über (Psycho-)Disableisierungen. Das heißt, dass die generelle Idee von „krank=negativ“ re_produziert wird, indem sich von Kategorien wie „psychisch krank“ abgegrenzt wird, ohne deren Herstellungsprozess zu hinterfragen. Dadurch findet eine Entsolidarisierung verschiedener im Grunde anti-psychiatrischer Kämpfe statt, es wird sich in die rhetorischen Strategien hegemonialer Machtverhältnisse eingeordnet, um (scheinbar) in den Kreis des „Normalen“ und „Gesunden“ aufgenommen zu werden und somit relative Privilegien zu erhalten, anstatt Diskriminierungssysteme intersektional in Frage zu stellen. Durch diesen perfiden Mechanismus, der als „teile und herrsche“-Strategie funktioniert, werden gemeinsame Aktivismen unmöglich gemacht und mehrfach diskriminierte Personen umso stärker marginalisiert.

Unser Ansatz zu dieser Thematik ist interdependent/intersektional, was bedeutet, dass wir Gender (im Fokus sollen geschlechtliche Normierungsprozesse als vordergründiger Pathologisierungsgrund stehen) als immer ko_konstituiert durch Sexismus/Genderismus_Rassismus_ BeHinderung_*[1] begreifen. Wir verstehen unseren Ansatz als Versuch der Re_Komplexisierung eines Sachverhaltes an den Stellen, wo dieser entkomplexisiert verhandelt wird.[2] Dies bedeutet für uns, dass Ansätze, die von einer monolithischen Diskriminierungsform ausgehen (hier: Trans*Diskriminierung), konstruktiv kritisiert werden, um diese (wieder) zu erweitern und anschlussfähig für intersektionale Perspektiven und Bündnisse zu machen. Zentral setzen wir hierfür die Wechselwirkung von Trans* und disability, da unser Bedürfnis ist, eine konkrete Kritik an diesem Punkt zu formulieren, wobei jedoch immer klar bleiben muss, dass gerade Kategorien wie „normal/gesund“ sich nicht entlang einer oder zweier Diskriminierungsformen reproduzieren, sondern auf der Basis interdependenter Zuschreibungen und Herstellungen, die sich im Prozess dessen selbst unwahrnehmbar machen.[3]

Anlass, dieses Thema zu bearbeiten, ist ein Unbehagen[4], das sich teilweise als schwer greifbar darstellt, wenn z. B. in bestimmten Aktivismen Satze fallen wie „ich bin nicht krank. Ich bin großartig“ (Kommentarspalte bei [#notsick]): Als konnten Menschen nicht gleichzeitig krank und großartig sein. Durch solche Abgrenzungen, durch ein solches Othering, das teilweise einen (impliziten) Fingerzeig zu einem scheinbaren Außerhalb „der Trans*Community bedeutet, teilweise aber gerade Menschen innerhalb von Trans*Communities ausgrenzt und entfremdet (konkret: psycho-disableisierte Trans*Personen), normalisieren sich Dichotomien, die Marginalisierungen erzeugen, teilweise so stark, dass sie nicht einmal mehr erkennbar sind (vor allem nicht aus privilegierten und nicht-sensibilisierten Perspektiven).

Unser Ziel ist es dabei, konstruktive Kritik zu äußern, nicht um vorzuführen, sondern um ebendiese „teile und herrsche“-Strategie zu entlarven, zu benennen und solidarische Alternativen zu diesen Rhetoriken vorzuschlagen, um hegemoniale Strukturen aufzubrechen. Somit soll der Vereinzelung von Aktivismen entgegengewirkt werden, um in gemeinsamen, solidarisch kollektiven und inklusiven Kämpfen Unterdrückungsmechanismen zu begegnen.

Eine systematisierende Analyse verschiedener Kampagnen unter dem genannten Fokus liegt unseres Wissens bisher nicht vor, auch wenn an vielen Stellen einzelne prägnante Kritiken formuliert werden, die wir im Laufe der Arbeit zusammentragen werden. Hierbei hervorzuheben ist neben der pointierten Arbeit von A.J. Withers (2014) die Analyse von Eliah Lüthi (i.E.), die zum Teil in gemeinsamen Gesprächen sowie im gegenseitigen Austausch entstanden ist. Während Lüthi einen breiteren Kontext analysiert, fokussieren wir die linguistischen Tiefenstrukturen in Narrativen um die Bestrebungen von De_Pathologisierung und Selbstbestimmung.

Zentrale Konzepte bei dieser Analyse werden die Themen Stigmatisierung, Othering, Pejorisierung, Metaphorisierung und Präsuppositionen sein. Gerade subtile Implikationen von Äußerungen und Forderungen werden wir mikroanalytisch und qualitativ auswerten, um fundierte Bezeichnungen für die gegebenen Narrative und argumentativen Rhetoriken herauszuarbeiten und damit Problematiken wahrnehmbar zu machen, die sonst meist in einem Unbehagen verbleiben, das nicht klar formulierbar ist.

Das Ziel dieser Arbeit ist die Systematisierung dieser durchaus diversen Rhetoriken, Narrative und Argumentationslinien, die sich in Kampagnen gegen die Pathologisierung von Trans*Personen finden bzw. aufgegriffen werden. Dazu wird auch die Benennung und Ausdifferenzierung verschiedener Ebenen von Pathologisierungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Wir werden nach der Ausdifferenzierung von Analysekriterien herausstellen, inwiefern bestimmte Bearbeitungsweisen der Thematik subversive Denkmuster bieten oder sich vielmehr hegemonialer Strukturen bedienen: Im Interesse welcher Personen(gruppen) wird argumentiert? Dazu stellen wir nach vorherigen Ausführungen zur theoretischen Basis unserer Arbeit bestimmte Fragen, um die Aussagen zur De_Pathologisierung von Trans* zu untersuchen und dann induktiv spezifische Narrative etc. zu benennen. Konkret werden wir Manifeste, Petitionen, Blogeintrage und Artikel untersuchen, die sich für eine De_Pathologisierung von Trans* aussprechen, sowie Kommentare bzw. Aussagen von Personen, die begründen, warum sie eine konkrete Bestrebung (z. B. Petition) unterstützen.

Zunächst werden wir im Folgenden Hintergrunde und Begrifflichkeiten erläutern, um unser Verständnis der Kontexte und Diskurse darzustellen, in denen wir uns bewegen werden (Kap. 2). Daran anschließend stellen wir in Kapitel 3 unsere Analysewerkzeuge und Kriterien vor, anhand derer wir dann in Kapitel 4 Rhetoriken, Narrative und Denkmuster unter dem bereits geschilderten Fokus untersuchen werden, das Fazit schließt danach mit Denkanstößen und möglichen Handlungsimpulsen.



[1] Dieses Sternchen soll darauf hinweisen, dass diese Reihe von Nennungen nie abgeschlossen sein kann, sondern dass die Nennungen jeweils vor allem eine punktuelle Fokussierung bedeuten.

[2] Vgl. zum Begriff der „Entkomplexisierung“ Hornscheidt (2014), zum Begriff der Re_komplexisierung vgl. Hornscheidt (im Erscheinen (i.E.)).

[3] Konkret für Kategorien wie „normal/gesund“ bedeutet dies, dass oft eine Selbstherstellung als Teil dieser privilegierten Kategorie über verschiedenste Abgrenzungsmechanismen stattfindet, ohne dass z. B. explizit benannt werden muss „ich verstehe mich als normal“, was eine Analyse der Konstruktionsprozesse dieser Kategorien umso schwieriger macht.

[4] Dieses Unbehagen stellte sich unter anderem im Austausch mit anderen Trans*- und disability- Aktivist_innen und -Forscher_innen heraus. Wir bedanken uns bei allen Gesprächspartner_innen herzlich für das Vertrauen und die offenen und inspirierenden Worte uns gegenüber. Konkret danken wir Milan Geldermann für das Teilen von Unbehagen und eigenen Texten und Gedanken, Rene_ Hornstein für Unterstützung, Anregungen und das Teilen von Materialien und Erfahrungen, sowie insbesondere Eliah Lüthi für die Inspiration, thematische Unterstützung, viele Gespräche und konstruktive Kritik und Vorschläge. Ohne Eliah wäre diese Arbeit wahrscheinlich nie entstanden.

2 Kontextualisierung und Problematisierung

2.1 Biomacht und Kapitalismus

Die Kämpfe, die in verschiedensten Bewegungen der Geschichte und der Gegenwart geführt werden, sind eingebettet in das jeweilige gesellschaftliche System. Insbesondere die Bestrebungen gegen Pathologisierung, Kriminalisierung und Moralisierung von LGBT*I*Q stehen in einem Verhältnis zu den „Bedingungen und Belangen des reproduktiven, vergeschlechtlichten Lebens“ (Laufenberg 2014, 12). Durch medizinische und staatliche Regulierung von Körpern sind Menschen im Kapitalismus zugleich Zielscheibe und Motor – Objekt und Subjekt – der Biomacht und somit gesellschaftlicher Verhältnisse. Wenn an den Grenzpfeilern von Cisnormativität und Zwangszweigeschlechtlichkeit gerüttelt wird, ist eine Erschütterung innerhalb des Denkens, das ein Leben durch Vermehrung und Wachstum anstrebt, zu spüren (vgl. ebd. 13,81). Menschen in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft sind nur als Arbeitskraft relevant. Um ausreichend Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, wird Fortpflanzung benötigt. Diese wird im Kapitalismus zunehmend auch Ziel des Regierens. Die kapitalistische Ökonomie basiert wiederum auf geschlechtlicher Arbeitsteilung, repräsentiert durch die heterosexuell- monogam organisierte Familie, welche an Diskurse um Zwei- und Cisgeschlechtlichkeit sowie Heteronormativität gekoppelt ist. Biologie, Recht und Medizin legen Positionen und Möglichkeiten innerhalb dieser Verwertungsgesellschaft fest. Des Weiteren werden Menschen über biologische und medizinische Zuschreibungen legitimiert, zugerichtet und ausgeschlossen. Aus der Norm fallen dadurch insbesondere diejenigen Subjekte, die vermeintlich nicht zur reproduktiven Masse gehören (können/wollen/sollen). In den wissenschaftlichen Feldern Biologie und Medizin, die wiederum in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet sind und zusammen mit den Funktionalisierungsbestrebungen des Menschen zu denken sind, gilt der weiße bürgerliche, „gesunde“ Cis-Mann als unmarkierte Normvorstellung eines Menschen. Alle anderen, also jene, die zu sehr von dieser Norm abweichen, wurden_ werden für „wahnsinnig“ erklärt (z. B. durch Diagnosen wie „Depression“ oder „Hysterie“), ebenso wie Personen, die sich gegen diese Norm wenden. „Nur ‚typisch weibliche‘ bzw. ‚typisch männliche‘ Entwicklung war gewollt“ (Voß/Wolter 2013, 103). Sämtliche von der Norm abweichende Phänomene sollten_sollen passend gemacht werden. Dabei ist einerseits „typisch“ außerdem als implizit eurozentristisch_weiß_nicht-beHindert_* zu verstehen, da Konzepte „typischen“ bzw. erwünschten Verhaltens etc. kontextgebunden sind – andererseits wird gerade über die Herstellung bestimmter (vermeintlicher) Wahrnehmungsweisen als Pathologien (z. B. „Hysterie“) Kontrolle über die jeweiligen Subjekte ausgeübt und Systemkritik somit lenkbar gemacht[5] und entschärfend auf diese eingewirkt.

Auch in der heutigen Gesellschaft werden nicht-normkonforme(s) Verhalten, Wahrnehmungen, Personen und Widerstande, die Normen herausfordern, in Psychiatrien weggesperrt und durch Medikalisierung ruhiggestellt. Des Weiteren können auch die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik als „Frühwarnsysteme“ gegen jene Menschen, deren Leben als nicht lebens- und lohnenswert erachtet wird, verstanden werden (vgl. Voß/Wolter 2013, 104). Als pathologisierte und geschlechtlich und_oder sexuell von der Norm abweichende Positionen sind LGBT*I*Q-Personen von Normierungsmechanismen betroffen: Psychische und physische Ein- und Übergriffe kommen dabei von staatlicher wie auch von nicht-staatlicher Seite. Die Institutionen Medizin_Biologie_Naturwissenschaft, Rechtssystem_Exekutive sowie gesellschaftliche Verhältnisse und Auffassungen (sozio-kulturelle Bewertungen) greifen dabei ineinander, können sich gegenseitig stützen_verstärken, sowie gegenseitig ablösen, wenn eine bestimmte Form der Marginalisierung nicht mehr vertretbar_opportun ist.[6] In einer interdependenten Analyse ist dabei wichtig mitzudenken, dass die Möglichkeit der Legitimierung von Diskriminierungen oftmals von mehr Diskriminierungsformen beeinflusst wird als von der einen, die genannt wird. Aufgrund dessen profitieren zumeist (teil)privilegierte Personen(gruppen) von eindimensionalen Antidiskriminierungsbestrebungen.

Medizin und Biologie sind also immer auch im Kontext von medizinischen Disziplinarisierungen zu verstehen. Die medizinische Praxis kontrolliert Hilfe- und Linderungsakte und somit auch die Herstellung eines normalisierten_homogenisierten und „gesunden (Volks)- Körpers“. Dieser Mechanismus will mit biopolitischen Regulierungsmaßnahmen eine liberale und reproduktionsfähige Gesellschaft hervorbringen und aufrechterhalten (vgl. Möller 2008, 2774).

2.2 „Krankheit“ und disability zwischen Selbstbezeichnung und Fremdzuschreibung – we_r oder was ist krank?

„NICHT DIE TRANS-MENSCHEN SIND KRANK, SONDERN DIE SITUATION, IN DER SIE LEBEN!“ (Slogan) auf TGEUTransgender Europe-Poster für die Stop Trans*Pathologisierung-Kundgebung 2009, zitiert in Allex 2014, 30.

In unserer Arbeit folgen wir konzeptuell der Perspektive des “radical model of disability“ nach A. J. Withers (Withers 2014, 115). Hier wird disability als sozial konstruiert und als Machtinstrument in kapitalistischen Ökonomien verstanden, sowie außerdem betont, dass disability Teil eines Systems von interlocking oppressions ist und dass diese nicht getrennt voneinander behandelt und gedacht werden können. Disability kann dabei als eine Variante bezeichnet werden, die sich in verschiedenen Zeiten, Orten und kuturellen Zusammenhängen verschiebt, wandelt und unterschiedlich (konnotiert) ist. Als Ziel von daraus erwachsenden Aktivismen und Politiken nennt Withers „radical access“ (ebd. 116), wobei damit „Zugang“ nicht nur im wörtlichen Sinne sondern auch in der Bedeutung von Inklusivität von sozialen Räumen im weitesten Sinne gemeint ist. Dieses Modell geht also beispielsweise nicht, wie das soziale Modell von disability (vgl. Waldschmidt 2010, 17ff.), davon aus, dass sich BeHinderung in disability und impairment aufschlüsseln lässt (wobei impairment biologisch gegeben wäre). Vielmehr ähnelt der Ansatz dem kulturellen Modell von disability, in dem der Fokus vor allem auf der Konstruktion von Anders-Sein und auf Normalisierungs- und Marginalisierungsprozessen liegt.

Auch innerhalb medizinisch-biologischer bzw. -psychologischer und neurowissenschaftlicher Diskurse, zu denen sich in De_Pathologisierungs-Bestrebungen in wie auch immer gearteten Bezug gesetzt wird, existieren keine einheitlichen Definitionen von Begriffen wie „Krankheit“, „Störung“ u. a. Trotzdem wird nach wie vor an diesen Begrifflichkeiten und hochproblematisch dichotomen Kategorisierungen in Werken wie dem ICD oder DSM festgehalten (vgl. Evers 2008, 51ff.).

Dieser Umstand macht im Umkehrschluss auch (relativ) unreflektierte Aussagen wie „wir sind nicht krank“ problematisch, weil Satze wie dieser nicht die generelle machtvolle Konstruktion von „Krankheit“ kritisieren, sondern sich lediglich – implizit oder explizit – abgrenzen gegen Gruppen von Personen, die dann als „wirklich krank“ hergestellt werden (vgl. Withers 2014, 118, Lüthi i.E.). Withers schildert weiterführend, dass innerhalb der Organisierung vieler c/s/x/m-Personen[7] nicht der Wille bestehe, sich als disabled zu identifizieren. Eine Aussage wie „There’s Nothing Wrong with Us“ (Withers 2014, 118) impliziert dabei eine Distanz und eine Herstellung von disability als wirklich „krank“ und psychiatrischen Diagnosen als nicht wirklich „krank“. Diese Abgrenzungsmechanismen resultieren aus der Befürchtung um weitere Stigmatisierungen, so Withers (vgl. ebd. 118,120).

Der Begriff der „Krankheit“ (und ähnliche Begriffe wie „Störung“ etc.) ist des Weiteren zwar nicht einheitlich definiert, aber dennoch zentral im medizinischen Diskurs verankert und bildet die Verbindung zwischen der theoretischen und klinisch-praktischen Medizin (vgl. Hucklenbroich 2008, 4). Die gesellschaftlichen und medizinischen Vorstellungen davon, was normal ist, fallen nicht unbedingt zusammen, sind aber, wie sich historisch feststellen lässt, nahe beieinander und durch einander bedingt (vgl. Klöppel 2013). So etwa können „gesellschaftliche Vorstellungen von Normalität und Krankhaftigkeit bestimmte ärztliche Maßnahmen notwendig machen [...], die keine Krankheitsbehandlung sind, die aber durch Spezial-Indikationen (insbesondere die Schutz-Indikation) normativ begründet werden können“ (Hucklenbroich 2008, 25).

In diesem Themenfeld geht es also primär um die Deutungshoheit darüber, was als pathologisch definiert wird und was nicht. Diese liegt fast ausschließlich bei „nicht Betroffenen“, die sich als „gesund“ und „objektiv“ herstellen und so ihre Definitionsmacht über als „abweichend“ bezeichnete Personen legitimieren. Auch durch die tiefe Verankerung in der Gesellschaft macht sich die Medizin in Komplizenschaft mit der Biologie unangreifbar. Zusammen mit anderen Institutionen hat sich die Medizin ein Fürsorgeverhältnis aufgebaut, das Menschen Hilfe und Vertrauen suggeriert.[8] Doch allein aus dem Krankheitsbegriff, der dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zugrundeliegt, geht eben genannte Defintionsmacht hervor. Dieser Begriff der „Krankheit“ bezieht sich auf ein Bundessozialgerichtsurteil (1987), das Krankheit als einen „regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- und Geisteszustand“ beschreibt, sowie „darüber hinaus auch einen Leidensdruck, durch den [...] die Regelwidrigkeit erst zur eigentlichen Krankheit“ (zitiert nach Lüthi 2014, 57) wird. Diese Definition beschreibt also beispielsweise nicht Transidentität per se als krankhaft, sondern das Leiden, das durch diese hervorgerufen wird. Dies bedeutet einerseits, dass ein Leiden notwendig ist, um etwaige gewünschte Behandlungen von der Krankenkasse erstattet zu bekommen (nicht-leidende Trans*Personen haben keinen Anspruch auf Leistungen), und andererseits dass Trans* als eine Abweichung vom „Leitbild des gesunden Menschen“ (ebd.) gedacht werden muss.

Gleichzeitig stellen sich die Normen selbst erst über eine solche Markierung von diversen Identitäten und Wahrnehmungs- und Erfahrungsweisen als „Normabweichungen“ her. Personen, die diese Normen erfüllen (z. B. durch unbewusste Selbstdisziplinierung), sind somit potentiell daran interessiert, die (teil)privilegierte Position in der Gesellschaft zu bewahren (Grenzziehungen der Normen eingeschlossen), während den Personen, die von diesen Normen marginalisiert werden, nahegelegt wird, sich diesen Normen zu unterwerfen und sich entweder anzupassen_zu assimilieren, sich dementsprechend zuzurichten, als nicht-stigmatisiert wahrgenommen zu werden, oder die marginalisierte Position wenigstens zu akzeptieren und die Normen nicht in Frage zu stellen, da sonst Sanktionierungen drohen.

Die Idee, dass privilegierte nichtbetroffene Expert_innen objektiv über Normabweichungen bestimmen konnten, stellt die Personen, um die es geht, als Objekte her, die behandelt werden müssten. Entgegen dieser Vorstellung kann über Konzepte von Selbstbezeichnungen eine Wendung bestimmter Begriffe in der Art möglich werden, Machtverhältnisse und die Herstellungsprozesse einer Norm in den Fokus zu nehmen. Hierzu ist eine Erläuterung und ein sprachliches Bild von Lüthi (i. E.) äußerst aufschlussreich:

„So wie beHindert die Frage nach dem durch was? antizipiert und dadurch eine Referenz zu gesellschaftlichen Diskriminierungen und Barrieren ermöglicht, so geht verRückt für mich einher mit dem wo_von?. Wenn ich beispielsweise einen Stuhl verrücke, so bezieht sich der verrückte Stuhl ganz klar auf eine Position, welche zwar nicht (mehr) benannt ist, aber die Position des Stuhles als verrückt zu definieren vermag. Ebenso ist VerRücktheit definiert durch dessen verrückt sein von einer Norm, welche im Prozess der Psychopathologisierung/ des VerRückens nicht mehr benannt ist, aber die Position des verRückt-Seins definiert.“ (Lüthi i.E.)

Hier wird deutlich, dass die Bedeutungsfelder der Wörter im Bereich disability alles andere als neutrale Kategorien sind, sondern als rück-angeeignete (vgl. engl: to reclaim) Selbstbezeichnungen[9] äußerst komplex verstanden werden können; dass gleichzeitig aber alltägliche Verwendungen der gleichen Wörter aus (teil)privilegierten Positionierungen heraus diese simplifizierend und herabsetzend konnotieren können. Selbstbezeichnungen wie beHindert und verRückt, insbesondere Konzepte von BeHindern und BeHindert-Werden, VerRücken, eröffnen seit langer Zeit Räume, um über Diskriminierungstrukturen zu reden, was notwendig ist, wenn Pathologisierungen intersektional kritisiert werden sollen. Da in unserer Arbeit der Fokus darauf liegen soll, wie Personen versuchen, sich als „normal“ und somit (teil)privilegiert herzustellen,[10] indem sie sich von Normabweichungen abgrenzen, werden solche Denkmuster eine wichtige Rolle spielen.

2.3 Pathologisierung und De_Pathologisierung von Trans*

Vor dem Hintergrund dieser Kontextualisierungen lässt sich nun der konkrete Rahmen der aktuellen De_Pathologisierungs-Bestrebungen in Trans*Aktivismen beschreiben, wobei wir uns auf die aktuelle Diskussion in der BRD beschränken und außerdem nicht sehr tief in die Diskussionen eintauchen werden. Es geht hier lediglich darum, zu umreißen: Was sind die Probleme, was wird gefordert und warum?

Einige der grundlegenden Trans* spezifischen Bedürfnisse, für die sich in den im Folgenden erwähnten Kampagnen im rechtlich-medizinischen Feld eingesetzt wird und die mit Pathologisierung zu tun haben, sind (abstrahiert und stark verkürzt[11]):

  1. Personenstandsänderungen, offizielle Änderungen in Dokumenten,

  2. Trans*spezifische Gesundheitsversorgung (z. B. Hormonpräparate uvm.),

  3. Anerkennung im sozio-kulturellen Kontext (z. B. Kampf gegen Alltagsdiskriminierung).

Die Zugänge zu diesen Bereichen werden kontrolliert und eingeschränkt durch

  1. Gesetzgebungen wie das deutsche Transsexuellengesetz (TSG),

  2. Diagnosekriterien und bevormundende Praxen der Pathologisierung von Trans* in den psychiatrischen Klassifikationskatalogen DSM und ICD sowie in diversen Behandlungsleitlinien,

  3. Gesellschaftliche Vorurteile, Stigmata, Ausgrenzung, Marginalisierung.

Deswegen wird gefordert:

  1. Recht auf Selbstbestimmung im juristischen Kontext,

  2. Recht auf Selbstbestimmung im medizinischen Kontext,

  3. Kampf gegen Diskriminierung und Stigmatisierung.

Die Bestrebungen, die erreichen wollen, dass Trans* nicht (mehr) psychopathologisiert wird, setzen sich also vor allem für Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung ein. Zudem wird davon ausgegangen, dass das medizinisch-psychiatrische Stigma der Psychopathologisierung eine Art Rechtfertigungsgrundlage für Alltagsdiskriminierung bietet.

Dass sich dabei in vielen Fällen (genauere Zitate folgen im Analyseteil) vom Begriff „psychisch krank“ abgegrenzt wird, hat von der Intention her nicht unbedingt etwas mit reellen Personen zu tun, die psychopathologisiert werden bzw. den Begriff „psychisch krank“ für sich verwenden oder auf die dieser Begriff angewendet wird. Vielmehr drückt sich hier die Bestrebung aus, innerhalb der medizinisch-psychiatrischen Logik das Recht auf Selbstbestimmung zu erlangen, indem sich von Personen(gruppen) abgegrenzt wird, denen das Recht auf Selbstbestimmung medizinisch-psychiatrisch und in Folge dessen auch juristisch aberkannt wird.[12]

Intersektional gedacht, liegt gerade hier der springende Punkt, da Fremdbestimmung nicht nur aufgrund einer pathologisierenden Trans*Diagnose stattfindet und – gelinde formuliert – problematisch ist, sondern das Thema Fremdbestimmung auch von anti-psychiatrischen Kämpfen problematisiert wird, die nicht unbedingt mit Trans* zu tun haben. Die Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung wird in prinzipiell allen aktivistischen Praxen, die uns begegnet sind, entweder implizit oder auch explizit deutlich. An manchen Stellen wird interessanterweise die Zuschreibung des Krank-Seins rhetorisch umgewendet und auf die normierenden Strukturen und aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse angewendet, z. B. als „krankes System“,[13] oder auch in Sätzen wie „Transphobia makes us ill!“ ([INTD], 4), die die gewaltvollen Folgen der Stigmatisierung als krank-machend oder Leiden hervorrufend beschreiben. Dass also in diesem Kontext das Bedeutungsfeld um das Wort „krank“ äußerst komplex ist, durfte spätestens deutlich werden im Vergleich zu Sätzen wie: „Transsexuelle Menschen als ‚psychisch krank‘ zu nennen, verstärkt die Diskriminierung.“ (aus einem Text von [#notsick]). Diese Aussagen sind auf einer bestimmten Ebene völlig nachvollziehbar (Forderung nach Selbstbestimmung), jedoch komplexerweise zugleich re_stigmatisierend im Bezug auf die Kategorie „psychisch krank“. Die Intention der Aussagen scheint an solchen Stellen eher zu sein, die aktuelle Situation als entmündigend und gewaltvoll darzustellen. Dabei werden jedoch zugleich potentiell entsolidarisierende Vergleiche bemüht, wenn Psychiatrisierungen und Psychopathologisierungen nicht zugleich breiter hinterfragt werden.[14] Perfide dabei ist, dass diese Kausalketten rechtlicher, medizinischer und kultureller Bedeutungs- und Macht-Produktion größtenteils nicht wahrnehmbar sind.[15] Diese Zusammenhänge, insbesondere die Festschreibung von „krank=negativ“, sollen im Folgenden aufgeschlüsselt werden.



[5] Im Sinne einer komplexen und machtvollen Wechselwirkung zwischen einer (kapitalistischen) Gesellschaft, institutionalisierter Wissenschaft und Institutionen.

[6] So kann beispielsweise die Kriminalisierung einer Verhaltensweise o. a. durch eine Pathologisierung (teilweise) abgelöst bzw. verschoben werden oder nach der offiziellen Abschaffung sowohl der Pathologisierung als auch der gesetzlichen Verankerung einer Verhaltensweise o. a. als „kriminell“ können gesellschaftliche Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster weiterhin als marginalisierender Mechanismus fungieren, ohne dass eine (staatliche_institutionelle) Sanktionierung nötig wäre.

[7] Dies steht kurz für „psychiatric consumer, survivor, ex-patient und mad (pride)“, übernommen von Withers 2014, ebd.

[8] Dies geschieht unter der Prämisse, das eigene Expert_innentum abzulegen und der Medizin und ihren Repräsentator_innen komplette Definitions- und Behandlungsmacht zu geben. Danke an Eliah Lüthi für die Konkretisierung an diesem Punkt.

[9] Weiterführend dazu Lüthi (i.E.): „In Anschluss an aktivistische VerRücktheitsbewegungen verwende ich verRückt zusätzlich als widerständige (Selbst)Bezeichnung für mich und weitere Personen, Kämpfe und Forderungen, die sich als psychisch BeHindert/verRückt positionieren und/oder als solches hergestellt werden. Darüber hinausgehend verstehe ich verRückt als Raum, Position und Bewegung mit grossem trans_formativem Potential.“

[10] Wiederum ist zu bemerken, dass an einem solchen Punkt die „teile und herrsche“-Strategie des Systems aufgeht: Um sich als legitimes Subjekt mit Mitspracherecht herzustellen, muss eine Person(engruppe) sich als „normal“ genug herstellen – um sich als „normal“ genug herzustellen, muss sie sich von marginalisierten Personen(gruppen) abgrenzen, was eine Solidarisierung erschwert. Dies ist (wohl) nur zu verhindern, wenn vereinnahmende Angebote der Hegemonie abgelehnt werden, solange die Person(engruppe) dafür Marginalisierungen „Anderer“ komplizenhaft mittragen muss.

[11] Wir beziehen uns hier primär auf die relativ repräsentative Zusammenschau von Hamm/Sauer (2014). Vgl. ebd. für eine detailliertere Darstellung der Forderungen und Sachverhalte.

[12] Des Weiteren muss bedacht werden, dass sich außerdem von Diagnosen abgegrenzt wird, die von der Medizin als Ausschluss- / Differentialdiagnosen gewertet werden, auf deren Grundlage trans*spezifische Gesundheitsversorgung verwehrt werden kann. Vgl. zu all dem Hamm/Sauer (2014), 14f. und 24, sowie Lüthi (i. E.).

[13] Vgl. das Eingangszitat von Kapitel 2.2.

[14] Vgl. dazu z. B. den Redebeitrag AK Psychiatriekritik (2013) von der Mad&Disability Pride Parade Berlin, in dem ganz klar alle Diagnosen als gemacht und unterdrückend kritisiert werden und in dem Trans*Pathologisierung ein Beispiel von vielen ist und Psychiatrie als Ganzes in Frage gestellt wird.

[15] Bedacht werden sollte z. B. auch, dass es sich zumeist um konkrete Kämpfe handelt, um z. B. Änderungen politischer oder medizinisch-rechtlicher Natur herbeizuführen. Bei solchen Forderungen macht es eine_r die Hegemonie selbstverständlich nicht einfach, eine ganze Institution in Frage zu stellen. Durch das Reformieren problematischer Strukturen werden dann zumeist bestimmte Personen(gruppen) in einen teilprivilegierten Normbereich aufgenommen – die diskriminierende Institution, in diesem Fall der medizinisch-psychiatrische Komplex, wird jedoch immer unangreifbarer – während bestimmte andere Personen(gruppen) noch stärker und irreversibler marginalisiert werden (vgl. z. B. auch den us-amerikanischen Diskurs zu marriage equality, konkreter Kritiken von Dean Spade u. a. (o. J.)).

3 Diskursive Mittel der VerAnderung[16]

Im Folgenden werden wir unsere analytischen Werkzeuge, mithilfe derer wir die Tiefenstrukturen der Diskurse, die Wirkungsweisen hegemonialer Denkmuster und sprachliche Feinheiten untersuchen werden. Zentral hierbei werden die Metapher des Stigmas nach Goffman (1975), der Begriff der Pejorisierung nach Hornscheidt/Jana/Acke (2011), die Dichotomie Transgression/Limitation nach Gottwald (2009) u. a., sowie Metaphern-Theorie nach Ben- Moshe (2005) und Lakoff (2006) sein.

3.1 Stigmatisierung

Die Instrumente und Mechanismen zur Kategorisierung von Menschen und einen Komplex von diesbezüglichen Vor_Annahmen schafft sich die Gesellschaft selbst – Institutionen und soziale Einrichtungen restabilisieren diese Kategorisierung lediglich. Die Kategorisierung von Menschen verläuft entlang einer Reihe von Vorannahmen, die sich nach und nach zu normativen Anforderungen innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft entwickeln. Erving Goffman untersucht diese Prozesse anhand des Bildes des „Stigmas“, eine Begrifflichkeit die im antiken Griechenland als „Verweis auf körperliche Zeichen“ (Goffman 1975, 9) geprägt wurde, um die Andersartigkeit eines Personenzustandes festzumachen bzw. etwas über sie auszusagen. Der Begriff des „Stigmas“ bezeichnet also die Verwobenheit bestimmter Merkmale von Personen und Gruppen mit Vorurteilen. Die Kategorisierung von Personen, die auch durch soziale Einrichtungen aufgenommen und immer wieder neu hergestellt werden, verschieben sich mit der Zeit von Vorannahmen zu normativen Erwartungen, welche völlig unund unterbewusst entstehen. Stigmatisierung funktioniert dabei als eine Art Taktik der Selbsterhöhung und Identitätssicherung, um das Andere vom Normalen abzugrenzen (vgl. Hagenah 2008, 215). Um das Phänomen des Stigmas zu beschreiben, führt Goffman das Konstrukt einer „sozialen Identität“ (Goffman 1975, 10ff) an. Diese beeinhaltet sowohl persönliche Charaktereigenschaften als auch strukturelle Merkmale. Zu unterscheiden ist hier zwischen der virtualen und der aktualen sozialen Identität. Erstere charakterisiert eine Person oder Personengruppe durch Erwartungen und Vorstellungen, welche zu einer Kategorisierung jener Personen führt. Die aktuale soziale Identität beeinhaltet „tatsächliche“[17] Merkmale und Attribute. Dass diese zwei sozialen Identitäten Differenzen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung hervorrufen können, ist selbstverständlich. Nicht immer sind diese problematisch, dennoch kann es passieren, dass Personen Attribute zugeschrieben werden, die diese als abweichend von der Norm kennzeichnen und herabstufen. Jene Attribute nennt Goffman Stigmata (vgl. Piontek 2009, 9f.). Es steht also nicht das Attribut selbst im Fokus, sondern die negative Konnotation dessen.

Stigmatisierte Personen(gruppen) werden innerhalb der Gesellschaft fast ausschließlich über diese_s als negativ konnotierte_n Merkmal_e wahrgenommen, wobei bei mehrfacher Stigmatisierung oft eine Form der Zuschreibung vorrangig bleibt (vgl. z. B. die Wahrnehmung von Personen im Rollstuhl als ungeschlechtlich in Politiken von Toilettenschildern). Dennoch bleibt zu betonen, dass Stigmatisierung relativ ist: Normen sind gesellschafts- und gruppenspezifisch und verschieben bzw. ändern sich im Laufe der Zeit.

Dass, warum und wie sich auch bereits stigmatisierte Personen wiederum durch jene Systematik von anderen „Unnormalen“ durch eine Art von „implizitem Fingerzeig“ abgrenzen, soll nun über das Konzept von Pejorisierungen deutlich gemacht werden.

3.2 Pejorisierungen, Präsuppositionen und Kategorisierungen

In der Einleitung zu ihrem Sammelband erläutern Hornscheidt, Jana und Acke eine konstruktivistische Analysemethode für das, was zumeist als Schimpfwörter oder Beschimpfungen bezeichnet wird, unter dem Konzept der „Pejorisierung“. Zentral für dieses Konzept ist die Vorstellung, dass Wörter nicht an sich Schimpfwörter sind, sondern dass die sozio-linguistische Situation sich weitaus komplexer darstellt (vgl. Hornscheidt/Jana/Acke 2011). Verkürzt aber nicht weniger inspirierend lässt sich diese Situation wie folgt zusammenfassen (vgl. vor allem ebd. 34f.):

  1. Ein Wort wird in der Benutzung als Schimpfwort zu einem Schimpfwort und ist es nicht per se oder vorgängig.

  2. Wenn ich eine Person mit einem Begriff beleidige, der auch eine Bezeichnung für eine Personengruppe oder -kategorisierung ist, (bekanntes Beispiel: „schwul“ als Schimpfwort), so

    1. setze ich diese Gruppe indirekt herab, ohne mich direkt auf sie zu beziehen

    2. ist nicht von vornherein klar, ob sich die beleidigte Person auch beleidigt fühlt,

      1. da diese dafür die Bezeichnung als abwertend empfinden muss

      2. fraglich ist, ob sie selbst dieser vermeintlich negativen Gruppe angehört oder nicht.

Dies bedeutet, dass ich

  1. entweder die abwertende Intention der Aussage bemerke und diese Intention als verletztend empfinde, nicht jedoch die Aussage,[18]

  2. oder die Bezeichnung als beleidigend empfinde und somit indirekt der Annahme zustimme, dass eine Gruppenzugehörigkeit dieser Art negativ zu bewerten sei. Damit werde ich potentiell Kompliz_in für die jeweilige Diskriminierungsform (hier z. B. Heter@sexismus), ob bewusst oder unbewusst

Dies geschieht darüber hinaus in einer Art und Weise, die eine Infragestellung der konkreten Diskriminierungsform „undenk- und unwortbar“ macht: Sie wird „ent_erwähnt“ (ebd. 34) und somit nicht oder nur über mühsame Analysen überhaupt behandelbar. Deutlich wird die Kompliz_innenschaft der adressierten Person vor allem dann, wenn sich explizit von dieser Kategorisierung abgegrenzt wird, z. B. durch Sätze wie „bin ich gar nicht...“. Während der Reflex, die Pejorisierung von sich weisen zu wollen, gesellschaftlich durchaus verständlich ist, da eine Assoziierung mit einer stigmatisierten Gruppe zumeist nicht gewünscht ist, wird in solchen Fällen die Diskriminierungsform, die für die Stigmatisierung verantwortlich ist, gar nicht erst erwähnt und gerade durch die Nicht-Erwähnung umso starker verfestigt (diese Tatsache wurde oben als perfider Mechanismus bezeichnet).

Unsere Denkfigur des „impliziten Fingerzeigs“ meint dabei das, was nicht gesagt wird: „XYZ bin ich gar nicht [aber andere sind das und das ist auch negativ zu bewerten]“ – Ohne überhaupt darüber zu kommunizieren, wird also eine bestimmte Stigmatisierung akzeptiert und re_produziert.

Ein ähnliches Beispiel dafür, wie diskriminierende Strukturen aus dem Fokus geraten und stattdessen über (diskriminierende) Begriffe und (diskriminierte) Personen(gruppen) individualisiert geschrieben wird, beschreibt Hornscheidt (2012) treffend am folgenden Beispiel:

„es macht für mich einen entscheidenden unterschied, ob gesagt wird ‚xy war jüdisch und musste deshalb deutschland verlassen‘ – oder ob gesagt wird ‚deutschland war (und ist) antisemitisch, hat personen antisemitisch mit, durch und als jüdisch klassifiziert und aufgrund dieser antisemitischen herstellung von personen ist xy gezwungen worden, deutschland zu verlassen.‘“ (69)

Was hier deutlich wird, ist, dass ein Kurzschluss zwischen der Zuschreibung einer Eigenschaft und der vermeintlichen Eigenschaft selbst dazu führen kann, gewaltvolle Verhältnisse zu de_thematisieren[19]. Stattdessen werden die durch Diskriminierungen hergestellten Kategorisierungen als Präsuppositionen (Vor_Annahmen) übernommen und Gewalt- und Machtverhältnisse an (vermeintlichen) Identitäten festgemacht.

Der Begriff der Präsupposition bedeutet dabei, dass eine bestimmte Aussage auf anderen Aussagen basiert, die als „wahr“ angenommen werden, die aber nicht explizit erwähnt werden. Da diese nicht explizit erwähnt werden, aber trotzdem Teil der Aussage sind, verfestigen sie sich als akzeptables Denkmuster und werden schwer bis gar nicht thematisierbar.

Im Kontext des vorliegenden Themas ist dies beispielsweise die Annahme „krank bedeutet defizitär/negativ“, die wiederum von der Präsupposition „die Kategorie ‚krank‘ ist objektiv bestimmbar als Eigenschaft von Personen“ gestützt wird. Diese grundlegenden diskriminierenden und verkürzenden Vor_Annahmen zu dekonstruieren, wird durch die starke Normalisierung und die ständigen Re_Produktionen dieser Annahmen sehr komplex. Des Weiteren wird es dadurch äußerst schwer zu vertreten, die hegemonialen Denkmuster in einer ebenfalls hegemonial geprägten Sprache zu hinterfragen.[20] Dies zeigt sich nicht zuletzt in Bestrebungen, sich diskriminierende Kategorisierungen positiv als Selbstbezeichnung rück_anzueignen (vgl. Lüthis Ausführungen weiter oben) oder andere positive Selbstbezeichnungen zu etablieren, die nicht konventionalisiert sind.

Allgemein zu beschreiben, wann welche Interventionen in hegemoniale Deutungshoheit in welchem Maße für welche Personen subversiv sind und welche Positionierungen jeweils (re-)marginalisiert zu werden drohen, ist ebenfalls kein einfaches Unterfangen, gerade vor dem Hintergrund interdependenter Diskriminierungsstrukturen sowie auch äußerst diverser Interessen selbst innerhalb von Personengruppen mit sehr ähnlicher Positionierung.[21] Dennoch wollen wir im folgenden ein Denkkonzept zur Verfügung stellen, um zumindest punktuell beschreiben zu können, wie konkret Herrschaftssysteme in welchem Maße in Frage gestellt werden und wann und wie die Thematisierung von Herrschaftssystemen „nach hinten losgehen“ kann und vielmehr die Gefahr besteht, bestehende diskriminierende Verhältnisse diskursiv zu re_produzieren.

3.3 Transgression und Limitation

Um beschreiben zu können, inwiefern Normen und Grenzen an einem bestimmten Punkt herausgefordert und inwiefern eher verfestigt werden, bedienen wir uns eines Konzeptes, welches wir wiederum um Unterkategorien erweitern werden, um die Komplexität von Interdependenzen und Positionierungen einfließen zu lassen. Gottwald (2009) stellt in einer Zusammenschau Begrifflichkeiten dar, mit denen sich beschreiben lässt, ob in einer Situation des Lachens, hier konkret über disability, gelacht wird und Diskriminierungen re_produziert werden (z. B. in Form von Othering) oder ob durch das Lachen sich über die Normen und Normierungsprozesse lustig gemacht wird, diese also somit entlarvt, thematisierbar und herausforderbar gemacht werden. Wir halten die dort beschriebene Dichotomie von „Transgression“ (Überschreitung und Infragestellung von Grenzziehungen und Normierungen) im Gegensatz zu „Limitation“ (Verfestigung von Grenzziehungen und Normierungen) für sinnvoll (vgl. ebd, 278-283) und wollen diese um eine weitere Ebene der Ausdifferenzierung erweitern:

  1. Transgression

    1. Desintegration (Normen werden grundsätzlich in Frage gestellt, entlarvt, kritisiert)

    2. Integration (Der Bereich dessen, was als „normal“ und somit (teil)privilegiert gilt / gelten soll, wird ausgeweitet, Dichotomien wie „normal/unnormal“ jedoch kaum oder gar nicht in Frage gestellt. Beispiel: Hegemoniale Vereinnahmung von antihegemonialen Kämpfen)

  2. Limitation

    1. Coping ((Teil)Diskriminierte Personen(gruppen) grenzen sich aus Selbstschutz, als Überlebensstrategie o. a. von (teil)privilegierten Personen(gruppen) ab, z. B. separatistischer Aktivismus)

    2. Othering ((Teil)privilegierte Personen(gruppen) grenzen sich von Diskriminierten ab, um ihre hegemonial besser gestellte Position zu bewahren und auszubauen und begünstigen somit eine Marginalisierung)

Diesen Ausführungen folgend lässt sich zum Beispiel unterscheiden, ob in der Thematisierung von Normen und Diskriminierungen (in diesem Fall vor allem Pathologisierung als System) das zu kritisierende System an sich zum Thema gemacht wird, oder ob das System den Diskussionsrahmen bietet, über den nicht hinausgedacht wird: Wird also beispielsweise Patholosigierung generell als problematischer Vorgang wahrgenommen oder wird das System von Pathologisierungen eher versucht zu reformieren, aber nicht als Machtinstrument grundsätzlich in Frage gestellt?

Solche Fragen sind vor allem vor dem Hintergrund von intersektionalen Ansätzen wichtig zu stellen, da in einem komplexen Geflecht von Machtverhältnissen eindimensionale Darstellungen oft ausblenden, dass aus einer (teil)privilegierten Position heraus Aktivismus betrieben wird, der mehrfach diskriminierte Personen(gruppen) auch und gerade innerhalb der eigenen „Bewegung“ oder „Community“ re_marginalisiert. Wenn ich mich beispielsweise primär als wegen Cis- und Zweigenderismus diskriminiert wahrnehme und darstelle, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich – ohne dies zu benennen – aus einer teilprivilegierten, z. B. weißen und nicht-beHinderten Perspektive handele. Hier muss bedacht werden, dass ich für mich als teilprivilegierte Person die diskriminierenden Strukturen, über die ich privilegiert werde, erst wahrnehmbar machen muss, um mich einer bestimmten Thematik intersektional annähern zu können. Gerade weil es meist nicht die Intention von Aktivist_innen ist, Marginalisierungen „Anderer“ zu verfestigen, ist es umso wichtiger, dies zu reflektieren – nicht als intentionale Boshaftigkeit, sondern als Falle, die das hegemoniale System eine_r stellt, im Sinne einer, zumeist recht erfolgreichen, „teile und herrsche“-Strategie.[22]

3.4 Metaphern und Metaphorisierungen

Die Theorie der konzeptuellen Metapher nach Lakoff (2006) und Johnson („metaphors we live by“) besagt, dass abstrakte Sachverhalte, die nicht direkt erfahrbar sind, mit konkreten Sachverhalten konzeptuell gleichgesetzt werden, um diese behandelbar zu machen. Diese Metaphorisierung von konkreten Begrifflichkeiten, mit denen direkter Kontakt möglich ist, ist in einigen Fällen so konventionalisiert, dass die Metapher nicht mehr als solche zu erkennen ist, sondern vielmehr als eine Bedeutung unter vielen gilt.[23] Wenn eine Idee „greifbar“ ist, hat dies nichts mit der buchstäblichen Handlung des Greifens zu tun, sondern mit der Vorstellung „Verstehen=sinnliches Wahrnehmen“. Abgesehen davon, dass diese metaphorische Gleichsetzung potentiell beHinderten-feindlich ist, sollen hier vor allem zwei Feststellungen von Bedeutung sein:

Erstens zeigt Ben-Moshe (2005) im Kontext von Unterrichtssituationen auf, wie stark ein großer Teil von Alltagskommunikationen von BeHinderten-Feindlichkeit durchzogen ist. Dies geschieht vor allem durch „using disability as a metaphor, an analogy and a derogatory term“ (ebd., 107). Gerade also in einer Metaphorisierung von disability als negativer Eigenschaft, als „Unfähigkeit“ und Normabweichung, vollzieht sich eine subtile Verfestigung von Diskriminierungen: „even if we are referring to acts or ideas and not to people at all––we perpetuate the stigma associated with disability“ (ebd., 108). Was übrig bleibt, ist nicht die Vorstellung von Menschen, die diskriminiert werden, sondern konkrete Eigenschaften als Defizite, die zu verfügbaren Metaphern werden.

Zweitens haben wir in Kapitel 2.2 Lüthis Metapher vom verrückten Stuhl zitiert, welche eine machtkritische Perspektive auf den Begriff verRückt ausführt. Da hier ein Stuhl dafür herhält, Diskriminierungsstrukturen zu erklären (diese „greifbar“ zu machen), ist die Situation eine andere als bei der Metaphorisierung diskriminierter Personen. Metaphern können generell äußerst hilfreich dabei sein, komplexe und abstrakte Systeme verständlich zu vereinfachen.

Es ist also zu unterscheiden zwischen stark konventionalisierten Metaphern, die nicht mehr als Metaphern wahrgenommen werden, und andererseits Metaphern, die sofort als solche wahrgenommen werden, wie z. B. die vom „verrückten Stuhl“. Gerade die Metaphorisierung von „krank“ und, noch konkreter, Begriffen wie „blind“ u. ä. macht Diskriminierungen unwahrnehmbar und benutzt beHinderung und verRücktheit als verfügbares rhetorisches Stilmittel, das nichts mehr mit Marginalisierung zu tun hat, sondern lediglich defizitorientierte Lesarten von Eigenschaften anwendet, re_produziert und etabliert.

3.5 Zusammenfassung der Fragen und Fokussierungen, mit denen wir uns der Analyse annähern

Mit all diesem Hintergrund an Komplexitäten und Kontextualisierungen stellen wir uns nun folgende Fragen, um im Anschluss diverse Ausschnitte und Zitate zu Narrativen, wiederkehrenden Topoi, Argumentationslinien u. ä. zur De_Pathologisierung von Trans* zu benennen und deren Vorannahmen (Präsupposotionen) auf deren subversives Potential, bzw. potentiell re_stigmatisierenden Implikationen zu untersuchen. Dies geschieht, wie wir nicht oft genug betonen können, nicht in der Absicht, ohnehin marginalisierte Trans*Personen und deren Allies vorzuführen,[24] sondern vielmehr um konstruktive Kritik und Vorschläge für alternative Denkmuster denkbar zu machen, die Bestrebungen anschlussfähig(er) für allgemeine antipsychiatrische Kämpfe zu machen, Formulierungen anzubieten für Problematiken, die sich aus Differenzen der unterschiedlichen Perspektiven in solchen Kontexten ergeben können. In diesem Sinne stellen wir etwa folgende Fragen:

  • Wird „Krankheit“ als objektiv bestimmbar oder als konstruiert behandelt?

  • Wird das Stigma, mit dem Bezeichungen wie „psychisch krank“ gesellschaftlich behaftet sind, in Frage gestellt, ignoriert oder gar verfestigt?

  • Wird der Prozess der Pathologisierung und_oder die Macht bestimmter psychiatrischer Entscheidungsträger_innen thematisiert_kritisiert?

  • Wird die Institution Psychiatrie allgemein (intersektional) in Frage gestellt oder ausschließlich dafür, dass Trans* pathologisiert wird? (vgl. Desintegration vs. Integration: Wird die Kategorie „normal/gesund“ grundsätzlich in Frage gestellt oder wird impliziert, dass der Kreis des „Normalen“ lediglich auszuweiten wäre?)

  • Bezieht sich der Begriff „krank“ auf konkrete Personen(gruppen) oder wird er als metaphorisches Konzept verwendet?

  • Sind_werden Begriffe wie „krank“ (implizit/explizit) negativ besetzt?

  • In welchem Verhältnis werden sog. „körperliche“ oder „psychische“ Eigenschaften als „Normabweichung“ thematisiert?

  • In welchem Verhältnis stehen Vereinzelung und Solidarisierung?



[16] Den Begriff der VerAnderung (vgl. engl. othering) verdanken wir Eliah Lüthi, vgl. Lüthi (i. E.).

[17] Goffman geht selbst von der Möglichkeit „tatsächlicher“ (engl: „in fact“) Eigenschaften aus, während wir dies aus konstruktivistischer Perspektive als fragwürdig erachten und mit „tatsächlich“ die Selbstbezeichnungen und Selbstwahrnehmungen einer bestimmten Person bezeichnen würden.

[18] Danke, Rene_, für die Konkretisierung an diesem Punkt.

[19] Der Begriff „de_thematisieren“ beschreibt das Nicht-Thematisieren von etwas als aktive Handlung, anstatt zu suggerieren, dass eine De_Thematisierung Nicht-Handeln wäre.

[20] In vielen Fällen kann dies zu einem sprachlichen Dilemma führen, entweder eigene Überzeugungen zu verraten, um sich verständlich zu machen, oder so viele gesellschaftliche Vorannahmen nicht zu akzeptieren, dass eine_r unverständlich wird.

[21] Vgl. z. B. der Verein „VTSM e.V.“, in deren Selbstverständnis „Transsexualität“ klar von der Kategorie „Transgender“ abgegrenzt und sowohl politische Ziele als auch Diskriminierungen als grundverschieden dargestellt werden (siehe: http://www.transsexuellev.de/index.php?id=56 (Zugriff 11.10.2015)).

[22] In diesem Kontext stellt sich Audre Lordes Aufsatz „Age, Race, Class and Sex: Women Redefining Difference“, insbesondere das Bild „the master’s tools will never dismantle the master’s house“ (Lorde 2007, 123) immer wieder als Inspiration dar, um einem „misnaming of differences“ (ebd., 115) vorzubeugen und neue Arten und Weisen zu finden, hegemoniale Denkstrukturen nicht unbewusst zu übernehmen und Unterdrückungsmechanismen somit durch einen Mangel an Reflexion fortzuschreiben. Denn auch anti-hegemoniale Diskurse sind größtenteils an hegemoniale Sprache gebunden und müssen diese somitvielfältig hinterfragen, um Normen effektiv herausfordern zu können (nochmals vielen Dank an Eliah Lüthi für die begriffliche Schärfung an diesem Punkt).

[23] Ein gutes Beispiel hierfür stellt die konzeptuelle Metapher „Zeit=Raum“ dar: nächste Woche / vor zwei Stunden etc.

[24] Wiederum darf nicht in Vergessenheit geraten, dass Bestrebungen zur De_Pathologisierung von Trans* zumeist konkrete Forderungen an konkrete Institutionen etc. in machtvollen Positionen sind. So verständlich also ist, dass z. B. nicht die generelle Abschaffung von Psychiatrisierung gefordert wird, umso wichtiger ist es doch, im Aufmerksamkeitsfeld zu behalten, dass bestimmte Rhetoriken ent_dependierend und somit remarginalisierend sein können (vgl. Lüthi i.E.). Auch „kleinere“ Forderungen lassen sich vertreten, ohne sich in beHinderten-feindliche oder genau die psychopathologisierenden Argumentationslinien einzureihen, die bis heute auch Trans*Personen ihr Recht auf Selbstbestimmung aberkennen.

4 Analyseteil: Re_Stigmatisierung durch De_Pathologisierung?

In diesem Analyseteil der Arbeit werden wir nun die einzelnen Narrative, Topoi, Argumentationslinien und Rhetoriken benennen und kontextualisieren, auf die wir nach unseren oben ausgeführten Überlegungen und den ausformulierten Fragen gekommen sind. Die einzelnen rhetorischen Punkte überlappen sich verständlicherweise zum Teil oder setzen sich gegenseitig voraus, sodass sich an manchen Stellen Wiederholungen finden werden und an anderen Stellen die Übergänge zwischen verschiedenen Denkmustern nicht klar trennbar sind. Unser Ziel ist es jedoch vor allem, exemplarisch unsere obigen Ausführungen anzuwenden. Teils verwoben, teils anschließend wollen wir alternative Denkmuster aufzeigen, die – gemäß unseres oben erklärten Ansatzes – darauf abzielen, Diskriminierungsstrukturen intersektional/ interdependent in den Hauptfokus zu nehmen.

Neben diversen anderen Kampagnen und Statements[25] nehmen wir viele der folgenden Zitate aus dem Kontext der (deutschen) Online-Petition „WHO: Transsexualität ist keine psychische Krankheit #notsick“, sowie den Kommentaren der Personen, die unterschreiben. Gerade hier nämlich sind wir auf eine Vielfalt von Narrativen gestoßen, die sich zwar auch in vielen offiziellen Erklärungen und Kampagnen finden, die aber kaum irgendwo so gebündelt und direkt ausformuliert nebeneinander stehen. Wir haben dabei nicht den Anspruch, diese Kommentare umfassend auszuwerten, sondern werden exemplarisch und eklektisch bestimmte Aussagen analysieren. Außerdem ist es wichtig zu erklären, dass bereits der erste Satz auf der deutschspracheigen Seite dieser Kampagne „Ich bin nicht krank, ich bin großartig“ ([#notsick]), eine bestimmte argumentative Stoßrichtung vorgibt, von der sich dann teilweise in den Kommentaren wiederum abgegrenzt wird. Des Weiteren engt das Oberthema „Transsexualität“ bereits den Rahmen ein, da sich von diesem Begriff, der sich an einem psychiatrischen Begriffskonzept orientiert und nur binäre Identitäten vorsieht, weder abgegrenzt wird noch dieser komplexisiert wird.

Die Aussagen, die wir zitieren, sind auf der Internetseite nachvollziehbar. Um Einzelne nicht zu diskreditieren, sondern die Aussagen eher exemplarisch für bestimmte Denkmuster zu verstehen, zitieren wir daher anonym und nummerieren die Kommentare in der Reihenfolge, in der wir sie anführen, um später auf sie Bezug nehmen zu können.

4.1 Krank=negativ?

„Ich bin selber betroffen und deswegen "krank" genannt zu werden missfällt mir natürlich.“ (Kommentar #1a (K#1a) auf [#notsick])

Gerade aus der Perspektive einer von Pathologisierung betroffenen Person ist es nachvollziehbar, sich von dem Stigma, das an dem Begriff „krank“ haftet, abgrenzen zu wollen. Unseren obigen Ausführungen folgend wird dadurch jedoch „krank“ als eine negative Kategorie re_produziert, wenn in Sätzen wie K#1a dieses Stigma nicht benannt wird, sondern sich allgemein von der Kategorie „krank“ abgegrenzt wird. Ob sich von Personen oder von dem Begriff Krankheit abgegrenzt wird, bleibt hier unklar – das „genannt werden“ steht hier im Mittelpunkt. Im Anschluss an unsere Ausführungen zum Thema Pejorisierungen findet hier jedoch eine Anerkennung des Begriffes „krank“ als eine Abwertung statt – die machtvolle Herstellung von „krank“ als Mittel des hegemonialen Ausschlusses bleibt in solchen Aussagen unthematisierbar. Stattdessen steht der Versuch im Vordergrund, dass die Kategorie „krank“ nicht auf die Person angewendet werden soll, dass also die Grenzen zwischen „normal“ und „krank“ zu„gunsten“ von (ableisierten?) Trans*Personen verschoben werden sollen. Ein anderes Denkmuster, das die Gleichung „krank=negativ“ bedient, ist die Wendung, Personen, die trans*feindlich handeln, als „krank“ zu bezeichnen: „Die einzigen "Kranken" die ich erkennen kann, sind jene, die "Andersartigkeit" nicht respektieren können.“ (K#2 auf [#notsick]) Während in solchen Aussagen die Eigenschaft der „Trans*Phobie“ noch individualisiert zugeschrieben wird, gibt es auch Wendungen, die versuchen, das Stigma der Kategorisierung „krank“ auf die Gesellschaft als Ganzes zurückzuprojizieren: „krank ist allenfalls die Gesellschaft, die solche Klassifizierungen nötig hat“ (K#3 auf [#notsick]) In beiden Fällen findet sich implizit eine Vorstellung oder rhetorische Wendung von „Trans*Phobie“ als Krankheit, was impliziert, dass diese im Umkehrschluss „geheilt“ werden müsse, um Trans*Feindlichkeit entgegenwirken zu können. Gemeinsam ist den Aussagen weiterhin die Anerkennung von „krank“ als Pejorisierung durch den Mechanismus „xy bin ich nicht, du bist xy!“, das Stigma wird also (als Präsupposition) anerkannt, nicht in Frage gestellt und weiter verfestigt. In einem solchen diskursiven Feld scheint eine positive Selbstbezeichnung als „krank“, „beHindert“, „psychisch krank“ oder „verRückt“ so gut wie unmöglich. Dies zeigt sich in folgendem Kommentar: „Ich fand allerdings [den Kommentar] ‚Wir sind nicht psychisch krank, wir sind Menschen!‘ sehr beleidigend. Ich bin psychisch krank. Bin ich denn deswegen kein Mensch?!“ (K#4 auf [#notsick])

Um einiges komplizierter stellt sich das Narrativ „Trans*Personen sind nicht krank, sondern Trans*Feindlichkeit macht sie krank“ dar („Transphobia makes us ill!“ ([INTD], 4)). Unter Trans*Feindlichkeit zu leiden und dies so wahrzunehmen und zu artikulieren, ist zwar nicht per se problematisch, sondern es ist vielmehr wichtig, dass dies wahrnehmbar gemacht wird. Jedoch birgt eine solche Aussage wiederum problematisches Potential, und ist als Slogan nicht verallgemeinerbar - z. B. für Menschen, die sich als „krank“ und als „Trans*“ bezeichnen – und wiederum wird die Ebene der strukturellen Gewalt, die dieses Leiden verursacht, übersprungen, und Trans*Feindlichkeit über die Gleichung krank=negativ mit persönlichem, individuellen Leiden gleichgesetzt, was implizit die Gleichung Trans*=leidend evoziert. Hier bieten Konzepte wie BeHindert-Werden, psychiatrisch VerRücken u. ä. alternative Denkmuster an, solche Problematiken eingebettet in gesellschaftliche und institutionelle diskriminierende Kontexte zu verstehen und Machtstrukturen wahrnehmbar zu machen.

Perfide ist, dass das medizinische Versorgungssystem in Verbindung mit dem derzeitigen Diagnosesystem (vgl. Kap. 2.2) strukturell Menschen dazu zwingt, sich den jeweiligen Narrativen anzupassen, um Kostenerstattungen für etwaige Behandlungen etc. zu erhalten. Trans*Personen müssen sich als leidend (Leidensdruck als Voraussetzung) und als krank (Diagnose „Transsexualismus“) (vgl. Lüthi 2014, 57) bezeichnen (lassen), um Zugang zu Versorgung zu erhalten, während sie gleichzeitig beweisen müssen, bestimmte Diagnosekriterien nicht zu erfüllen (z. B. die einer „Persönlichkeitsstörung“), da diese als Ausschluss- / Differentialdiagnosen gelten.[26] Da viele Personen befürchten, eine De_Pathologisierung von Trans* konnte dazu führen, dass es keine Leistungen mehr von Krankenkassen gäbe, finden sich u. a. Kommentare wie der folgende, in dem sich indifferent-tolerierend auf die Klassifizierung als „krank“ bezogen wird: „Ich persönlich nehme diese klassifizierung in kauf, wenn mir dafür geholfen wird... ich muss mir davon ja nichts annehmen, solln sie es nennen wie sie wollen, hauptsache mir wird geholfen“ (K#1b auf [#notsick]), trotzdem äußert sich die gleiche Person jedoch an einer früheren Stelle im Kommentar (K#1a) negativ über die Kategorie „krank“, während das tiefer liegende Problem der Aberkennung der Selbstbestimmung, welches mit dieser Kategorisierung einher geht, nicht erwähnt wird.

Insgesamt zeigt sich also auf verschiedenen rhetorischen Wegen das Bedürfnis, Assoziierungen von „Trans*“ und „krank“ und somit die Stigmatisierung zu vermeiden. So wird im Grußwort zur Stuttgarter Erklärung beispielsweise gerügt, dass „trans- und intersexuelle Menschen oft assoziiert werden mit psychisch kranken Menschen“ ([SE], 8), was eine konkrete Entsolidarisierungsrhetorik darstellt und die generelle Macht von medizinisch-psychiatrischen Entscheidungsträger_innen auf verschiedenen Ebenen, wie der APA (American Psychiatric Association), WHO (World Health Organization) oder des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) kaum oder gar nicht in Frage stellt. Die starke Stigmatisierung des Begriffes „krank“ scheint also über den daraus resultierenden Abgrenzungsmechanismus bei vielen Personen (die sich dadurch meistens implizit als „normal/gesund“ herstellen wollen) zu verhindern, dass die Machtstrukturen offen kritisiert werden, die verantwortlich sind für die Stigmatisierung, Fremdbestimmung und Marginalisierung von Personen, die pathologisiert werden, bzw. sich selbst als „(psychisch, chronisch…) krank“, „beHindert“, „verRückt“ o. ä. bezeichnen. Der Versuch der Transgression (Einflussnahme auf Grenzziehungen) findet hier also als Integration statt (Reform: mehr Menschen sollen als „normal“ gelten), die sich als Othering realisiert („wir sind nicht krank [aber andere sind wirklich krank]“).

4.2 Deutungshoheit: we_r entscheidet? Auf welcher Grundlage?

Die Deutungshoheit und somit Machtpositionen und Diskriminierungsstrukturen in den Fokus zu nehmen, bietet hingegen die Möglichkeit, grundlegende Systemkritik zu äußern im Sinne einer Desintegration (Infragestellung des Systems und seiner Mechanismen) und somit auch Mehrfachdiskriminierung mitzudenken. Allerdings ist nicht jede Benennung von Deutungshoheit automatisch mit einer grundsätzlichen Kritik an hegemonialen Strukturen verbunden.

„Der freie Wille und die Würde jedes Menschen sind unantastbar, und so lange ein Mensch weder sich selbst noch einem Anderen schadet, hat niemand außer ihm selbst das Recht, über ihn Urteil zu fällen. Es gibt zahlreiche psychische Störungen und Krankheiten, Transsexualität gehört nicht zu ihnen.“ (K#5 auf [#notsick])

Diese Aussage scheint vor dem Hintergrund der Ausführungen in dieser Arbeit paradox. Während der erste Satz dieser Aussage eigentlich subversiven Raum für eine solidarische Infragestellung medizinischer Deutungshoheit bietet, impliziert der letzte Satz hingegen, dass Diagnosen generell objektiv feststellbar sind, „Transsexualität“ jedoch nicht mehr in diesen Bereich dieser pathologisierenden Kategorien fallen soll. Der Widerspruch lässt sich scheinbar nur auflösen, wenn „psychische Störungen und Krankheiten“ automatisch das Potential bergen, Schaden zuzufügen. Hier zeigt sich, wie unterschiedlich und verwoben die Legitimisierungsmechanismen von Psychiatrisierung und Psychopathologisierungen sind, gerade wenn die generelle Deutungshoheit des medizinisch-psychiatrischen Komplexes entweder nicht erwähnt oder nicht in Frage gestellt wird, sondern gefordert wird, die Kategorie Trans* quasi innerhalb des Systems in den Bereich des „Gesunden/Normalen“ zu verschieben, was sich nach der oben erläuterten Ausdifferenzierung wiederum als Versuch der Integration bezeichnen ließe.

Vor allem macht es an solchen Stellen einen Unterschied, ob Trans*Personen in Abgrenzung zu „psychisch Kranken“ hergestellt werden, oder ob die Pathologisierung als Prozess im Fokus der Kritik steht. Auch hier stellt sich dann aber die Frage, ob Pathologisierungen generell oder nur für Trans*Personen in Frage gestellt werden. Als Beispiel hierfür ließe sich folgendes Zitat anführen: „Es ist an der Zeit, die individuelle Identität von Menschen ernst zu nehmen, statt alles, was der Norm nicht entspricht, zu pathologisieren.“ (K#5-1 auf [#notsick]) Hier wird eine Perspektive artikuliert, die grundsätzlich anschlussfähig dafür ist, medizinische Deutungshoheit generell in Frage zu stellen und gleichzeitig Normen zu thematisieren, statt Probleme zu individualisieren und Diskriminierungsformen nicht zu benennen. Auch wird hier die gesellschaftliche Verwobenheit der Medizin zumindest impliziert, nämlich als Machtinstrument der Normalisierung, das alles pathologisiert, was nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Selbst kurze Aussagen wie „Entpathologisierung ist nötig!“ (K#5- 2 auf [#notsick]) machen also bereits eine potentiell umfassendere Kritik möglich, um solidarische Kampagnen für Selbstbestimmung und gegen Pathologisierung zu führen.

Ein besonders deutliches Beispiel für eine umfassende Kritik an psychiatrischer Definitionsmacht zeigt sich in einem Redebeitrag des AK Psychiatriekritik auf der Mad and Disability Pride Parade Berlin 2013, wo der Entzug der Selbstbestimmung sowie Gewalt- und Machtausübung durch Behörden im Fokus steht: „Du funktionierst nicht? – Du bist nicht immer glücklich, arbeitsam und hörst vielleicht manchmal Stimmen? Das geht natürlich in der kapitalistischen Verwertungslogik gar nicht.“ (AK Psychiatriekritik 2013) – im weiteren Verlauf des Redebeitrags wird dann Trans* als eine von vielen möglichen Diagnosen verhandelt, die Personen das Recht auf Selbstbestimmung aberkennt. Solidarische gemeinsame Kämpfe gegen Psychiatrisierung sind also möglich, wenn der Fokus auf gewaltvollen Strukturen liegt und diese problematisiert werden und Stigmata nicht als Präsuppositionen für Abgrenzungsrhetoriken verwendet werden.

4.3 Das „born this way“-Narrativ und der body/mind-Dualismus

„Transsexuelle haben sich ihre Transsexualität weder gewünscht noch freiwillig hervorgerufen. Wir Menschen werden geboren, wie wir sind.“ (K#6 auf [#notsick])

In einem Kontext, in dem die eigene Identität ständig legitimiert werden muss, da sie gesellschaftlich nicht der Norm entspricht und in Frage gestellt wird, ist es nachvollziehbar, Argumentationslinien zu verfolgen, die innerhalb des medizinisch-naturwissenschaftlichen Systems anerkannt sind.

In der Struktur des Narrativs „ich wurde so geboren“ finden sich allerdings problematische Denkmuster bzw. -ansätze. Wie schon im oberen Teil beschrieben, beziehen Biologie und Medizin machtvolle Deutungshoheit. In Sätzen wie K#6 zeigt sich eine Internalisierung – eine Verinnerlichung – hegemonialer Denkmuster. Diese führen problematischer Weise zu Vereinzelung und oftmals auch Entsolidarisierung. Wir kritisieren dabei nicht die Selbstwahrnehmung, Selbstbeschreibung und Selbstermächtigung als solche, sondern die verallgemeinernden Implikationen dessen. Ebenso ist dieses Narrativ als Strategie des Coping verständlich, da es auch darum geht, sich selbst nachvollziehbar zu machen und stichhaltige wissenschaftliche und somit gesellschaftlich anerkannte Belege dafür zu finden, dass die eigene Identität legitim ist. Nachweisbare Phänomene, die beispielsweise den Körper betreffen, sind dabei in der gegenwärtigen Medizin „handfester“ und stellen innerhalb des gegenwärtig anerkannten Systems eine solide Grundlage dar, anerkannt zu werden. Dies kann allerdings Grenzziehungen stabilisieren und Ausgrenzungsmechanismen verfestigen (Limitation/ Othering). Es muss immer auch Raum für Differenzen und andere Selbstverständnisse gelassen werden.

Jene Legitimierung wird oftmals durch den sogenannten body/mind-Dualismus versucht zu erzeugen. Dieses Konzept ist ein weißes und eurozentristisches, welches aus der europäischen Philosophie stammt. Es beschreibt die Unterscheidung zwischen Körper und Geist, die zwar zusammenhängen, aber zwei unabhängig voneinander existierende ontologische Entiäten darstellen. Es resultiert also die Dichotomisierung zwischen physischen und psychischen disabilities – ähnlich dem oben angesprochenen sozialen Modell von disability.

Es wird davon ausgegangen, dass körperliche disabilities starker wahrnehmbar sind und somit öffentlich stark unterdrückt werden, wohingegen psychische disabilities erst durch deren Offenlegung stigmatisiert werden (vgl. binaohan 2014b). Innerhalb dieses Diskurses wird dieser Dualismus immer wieder als Arbeitsansatz genutzt – z. B. wenn eine vermeintliche Eigenschaft nicht mehr „dem Geist“, sondern „dem Körper“ zugerechnet wird. Dies findet über komplexe gesellschaftliche und_oder wissenschaftliche Transformationen statt.

Solche Ziele einer wissenschaftlichen Anerkennung von Trans* verfolgt beispielsweise die Trans-Evidence-Working-Group. Diese setzt sich vor allem aus „trans-engagierten und transbewussten“ ([TH]) Menschen zusammen, die ihre Wurzeln im Gesundheitswesen und der Trans*-Beratung verorten (vgl. ebd.). Die Gruppe versucht sich aktiv in die sog. „Evidenzbasierte Medizin“ in Verbindung mit Sozialwissenschaften einzubringen. Evidenzmedizin untersucht „Diagnose- und Therapiemethoden dahingehend, ob sie wissenschaftlich begründet sind“ und überprüft „wie gut diese oder jene medizinische Vorgehensweisen durch Studien abgesichert sind“ ([TE]). Wenn es genügend Studien gibt, die belegen, dass eine Diagnosemethode brauchbar ist, dann ist von einer evidenzbasierten Diagnose zu sprechen. Weiterführend geht die Evidenzmedizin davon aus, dass die meisten Diagnosen für „psychische Störungen“ nicht durch Studien belegbar und somit nicht abgesichert genug sind, um wissenschaftlich haltbar zu sein. Das heißt, die Kriterien für eine solche Diagnose sind ungenügend ausgereift und somit nicht abgesichert – „Transsexualitäts-Diagnostik ist demnach ein absolut willkürliches Geschäft“ ([TE]). Der der Evidenzmedizin zugrundeliegende Krankheitsbegriff bezieht sich im weitesten Sinne auf die Funktionsstörung von Organen, der Psyche oder eines gesamtheitlichen Organismus. „Bei transsexuellen Menschen (per se!) sind aber keine Funktionen gestört, weder körperliche noch psychische Funktionen. Der Körper, die Organe und die Psyche von transsexuellen Menschen sind allesamt intakt“ ([TE]). Kritisiert wird somit maßgeblich die starke Pathologisierung und somit Psychiatrisierung von Trans*Personen.

Pathologisierung wird zwar kritisiert, aber die Gefahr einer ausgebauten medizinischen Deutungshoheit nicht reflektiert. Haupt (2012) geht beispielsweise von einem Hirngeschlecht aus, welches jeder Mensch in sich trägt, und bezeichnet dieses bei Trans*Personen in gewisser Weise als intersexuell. Diese Annahmen sind aus mehreren Gründen problematisch und zu kritisieren, denn: Zum einen besteht das Risiko, dass Inter*Personen unwahrnehmbar gemacht werden. Wenn beispielsweise „zerebraler Hermaphroditismus“ als Ursache für Transsexualität genannt wird, kann es passieren, dass Inter* zu einer metaphorischen Kategorie statt einer Identitätskategorie gemacht wird und spezifische Belange wie die Beendigung von Zwangsoperationen bei intergeschlechtlichen Kleinkindern trivialisiert werden.[27]

Zum anderen besteht die Gefahr eines neuen biologisch-naturalisierenden Essentialismus. Wenn ausschließlich neurowissenschaftliche Auswertungen von Gehirnströmen über das Recht auf Behandlung geben, würden neue Ausschlüsse und Abgrenzung passieren: Nicht- Binare Trans*Personen und alle, deren Gehirnstrome nicht in das Idealbild der – dann auch noch angeblich „wissenschaftlich wasserdichten“ – Diagnostik passen,[28] würden somit (unserer Befürchtung nach) noch starker pathologisiert werden und vielleicht nicht einmal mehr medizinische Versorgung beanspruchen dürfen.

In den Diskussionen über pathologisierende Kategorisierungen wird öfters die Dichotomie „psychisch/physisch“ aufgerufen: „Transsexualität ist keine psychische Krankheit, eher eine physische.“ (K#7 auf [#notsick]) Abgesehen davon, dass der machtvolle Prozess der Herstellung von Pathologisierungen und Fragen nach Selbstbestimmung hierbei nicht erwähnt werden, eröffnet sich auch ein anderes Problem, wenn sich wiederum implizit von der Kategorie „psychisch krank“ abgegrenzt wird, im Versuch, einer Stigmatisierung zu entgehen: „Wenn überhaupt, würde ich mich als "körperlich krank" beschreiben, ich bin als ganz normaler Mensch mit einem ganz normalen "geschlechtsempfinden" zur Welt gekommen und musste bloß irgendwann in frühester Jugend einsehen, dass sich mein Körper dem niemals anpassen wird. [...].“ (K#7-1) auf [#notsick])

Die Kategorie „körperlich krank“ wird hierbei im Bereich des „normalen“ verortet und die Kategorie „psychisch krank“ implizit re_stigmatisiert. Unseres Erachtens lässt sich diese Rhetorik zusammendenken mit der Vorstellung von „Körperlichem“ als wissenschaftlich fundierter beschreib- und behandelbar. So wie Withers (vgl. Kap 2.2) beschreibt, dass sich Personen weigern, disability als politische Verortung für sich anzunehmen, finden sich an vielen Stellen (vgl. v. a. Kommentare auf [#notsick]) Bestrebungen, Trans* im Bereich „körperliche Krankheit“ anzusiedeln. Es scheint davon ausgegangen zu werden, dass Körperliches (was auch immer das konkret heißt) frei von sozialer Konstruktion und objektiv bestimmbar wäre, was Withers an einem treffenden Beispiel deutlich widerlegt: „In a world without stairs, a wheelchair user may not be considered disabled“ (Withers 2014, 115).[29]

Auch das „ich wurde so geboren“-Narrativ stellt sich unseres Erachtens vor einem ähnlichen potentiell entsolidarisierenden Hintergrund dar, vor allem wenn es verallgemeinert verwendet wird und somit nicht nur Differenzen innerhalb von Trans* ausblendet, sondern auch den Grund für die Aussage selbst: Ohne Diskriminierung und Stigmatisierung wäre es gar nicht notwendig einen solchen Satz zu äußern, um die eigene Existenz zu rechtfertigen.[30]

4.4 Verschiedene Verschiebungen

In vielen Kommentaren auf [#notsick] sind Dichotomien erkennbar. Das bereits aufgegriffene Narrativ „Ich bin nicht krank, ich bin großartig“ zeigt ein oft wiederkehrendes dichotomes Begriffspaar. Eine Verschiebung der Dichotomie „krank/gesund“ ist zu erkennen, indem „gesund“ zwar durch großartig, „krank“ aber implizit durch „bedeutungslos/durchschnittlich/ minderwertig“ ersetzt wird. Diese Strategie kann gewiss hilfreich sein, um Stigmata von sich zu weisen, es wird in diesem Fall jedoch lediglich eine Stigmatisierungsgrenze verschoben. Zwar können einige von dieser Verschiebung auf der Grundlage hegemonialer Denkmuster profitieren (De_Stigmatisierung), andere wiederum werden re_stigmatisiert. Es wird des Weiteren deutlich, wie tief (psychiatrische) Normen in der Gesellschaft verwurzelt sind: Selbst in transsgressiven Narrativen spiegeln sich diese Normen (ungewollt) wieder, wenn der Versuch einer Integration (Reform des gewaltvollen Bewertungssystems) unternommen wird, der Machtstrukturen nicht thematisiert.

Eine weitere Verschiebung ist in den Kommentaren „andere die früher als krank bezeichnet wurden sind heute auch normal“ und „Wieso sollen Transsexuelle als krank gelten, wenn Schwule und Lesben mittlerweile auch "normal" sind?!“ (K#8-1 und K#8-2 auf [#notsick]) zu vermerken. Satze wie dieser beziehen sich darauf, dass bis zum Ende der 1960er Jahre auch Homosexualität durch DSM und ICD pathologisiert und marginalisiert wurden (vgl. Demiel 2014, 48). Erst im Jahr 1992 wurde Homosexualität, die bis dato mit dem Kürzel 302.0 als Krankheit gelistet war, aus der Ausgabe gestrichen. Nichtsdestoweniger werden homosexuelle Positionen in vielen psychiatrischen und gesellschaftlichen Verhandlungen als „abnormal“ pathologisiert (vgl. Lüthi i.E.).

Interessanterweise ist in Anlehnung an die Evidenzmedizin auch im Diskurs um Homosexualität eine Interessenverschiebung zu konstatieren: Medizinisch-psychologische Aussagen haben in hohem Maße ihre Deutungshoheit eingebüßt und an die neuen Biowissenschaften abtreten müssen (vgl. Laufenberg 2014, 34). Parallelen sind zudem in der Strategie der Selbstermächtigung erkennbar: Auch in diesem Fall ist sie in Bezug auf naturwissenschaftliche Forschung relativ.

„[Von Pathologisierung Betroffene] haben auf die dort entwickelten Theorien wenig Einfluss. Diese werden maßgeblich von den Forschungsfragen bestimmt, die sich in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten ergeben [...]. Zugleich basieren die biologisch-medizinischen Theorien über Homosexualität zumindest historische auf der Grundlage, Homosexualität als ‚Abweichung’ und ‚Störung’ zu betrachten und auf ihre ‚Behandlung’ und ‚Auslöschung’ zu dringen.“ (Voß 2013, 67)

Zusammenfallend mit der vermeintlichen Streichung von Homosexualität aus Krankheitskatalogen, verstärkt sich die Psychopathologisierung von Trans*Personen (vgl. Lüthi i.E.). Nicht zuletzt ist es interessant, dieses Faktum unter dem Fokus der Verschiebung zu analysieren, denn durch die offizielle[31] De_Pathologisierung von Homosexualität und die Diagnoseausweitung um „Transvestismus“ werden wieder andere Gruppen starker pathologisiert, stigmatisiert und marginalisiert. Insbesondere unter dem Fokus Deprivilegierter muss darüber nachgedacht werden, wie biologisch-medizinische und sozialwissenschaftliche Forschung so entwickelt werden kann, dass nicht nur die Interessenslage (Teil)Privilegierter abgedeckt wird (vgl. Voß 2013, 68). Im Anschluss daran ist es sinnvoll, Unterstützungs-Kategorien auszubauen statt eine Stigmatisierung durch Diagnosen voranzutreiben. Es gibt hierbei zahlreiche „Möglichkeiten und Grenzen entpathologisierender Gesundheitsversorgung von Trans*“ (Allex 2014, 73, vgl. auch Hamm/Sauer 2014). Auch wenn, wie oben gezeigt, Individualisierung und Abgrenzung als legitime Mechanismen der Selbstermächtigung gelten können, ist es genauso wichtig, mit anderen Diagnosen, mit anderen Kämpfen zusammen zu arbeiten, um Bestrebungen von De_Stigmatisierung und De_Pathologisierung anschlussfähig und intersektional zu halten.

Die Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber der Institutionalisierung der Psychiatrie verstärkt sich immer weiter. Die Psychiatrie bedient sich dabei der Mittel der Überwachung und sozialen Kontrolle, welche sich damit auch un_bewusst tiefer in gesellschaftliche Interaktionen einschreiben. Durch diese gesellschaftlichen und institutionellen Mechanismen werden Kämpfe gespalten und handlungsohnmächtig gemacht. Stattdessen sprechen wir uns dafür aus, dassdas biologisch-medizinische System insgesamt als Machtinstrument kritisiert werden sollte (Desintegration) – ein Ansatz, der z. B. in vielen anti-psychiatrischen Aktivismen schon seit langer Zeit existiert.



[25] Dies umfasst z. B. Aussagen im Zuge der Berliner Kampagne Stop Trans*Pathologisierung und der damit zusammenhängenden Publikation (Allex 2014) sowie die „Stuttgarter Erklärung“ von ATME e.V. ([SE]).

[26] Vgl. zu all dem Hamm/Sauer (2014), 14f. und 24 sowie Lüthi (i. E.).

[27] Vgl. zu einer solchen Kritik beispielhaft OII Australia (2011).

[28] Es würden dann potentiell Fragen entstehen wie: „Welche Personen sind (auf der Grundlage biologischer Auswertungen) Trans* genug, um trans*spezifische Rechte zugesprochen zu bekommen?“

[29] Eine Perspektive, die mehr Raum für gemeinsame Identifikation gegen medizinische und gesellschaftliche Diskriminierungen bietet und nicht auf (vermeintliche) Eigenschaften von Personen gerichet ist. (vgl. dazu die Ausführungen zu BeHindert-Werden in Kap. 2.2, sowie Lüthi (i. E.).

[30] Ich, Conni*, empfinde selbst und persönlich als Trans*Person diese Narrative als internalisierte Transfeindlichkeit, die so tiefgehend und normalisiert ist, dass auf ihrer Grundlage Forderungen nach „Toleranz“ geäußert werden. Abgesehen davon, dass ich eine Forderung nach „Toleranz“ (als Duldung, die im „born this way“-Narrativ m. E. impliziert wird) nicht wünschenswert finde, empfinde ich es als Selbsterniedrigung, „so“ geboren sein zu müssen, um ein legitimes Subjekt zu sein. Manche Trans*Personen mögen sich als „so geboren“ beschreiben und manche nicht, darüber will ich kein Urteil fallen, jedoch kann dieses Narrativ nicht als vereinende Beschreibung von Trans*-Aktivismen verwendet werden.

[31] Die offizielle Streichung von Homosexualität als Krankheit ist allerdings nicht für alle Menschen zutreffend. Es soll nicht außer Acht gelassen werden, dass viele Menschen beispielsweise in Asylprozessen, weiterhin mit der behördlichen Stigmatisierung und Psychopathologisierung zu kämpfen haben (weiterführend vgl. Lüthi i.E.).

5 Fazit und Ausblick

In a pass/fail situation, standards for acceptance may vary, but somebody always gets trampled.“ (Time/Franzen 2012, 126)

Wir wiederholen dieses Zitat vom Beginn dieser Arbeit hier, um es zu kontextualisieren und in Bezug zur vorliegenden Analyse zu setzen. Dieser kurze Satz vermag es, auf den Punkt zu bringen, was wir in dieser Arbeit analysiert haben: Wenn sich die Standards dafür ändern (sollen), welche Personen(gruppen) als „akzeptabel“ gelten, besteht die Gefahr, dass das grundlegendere Problem, nämlich die „pass/fail situation“ an sich aus dem Fokus der Kritik gerät und sich immer weiter verfestigt. Diese Situation, die eine Art Konkurrenz herstellt zwischen Personen(gruppen), die aus (vermeintlich) unterschiedlichen Gründen (bisher) nicht als „akzeptabel“ gelten, vermag es, sich selbst so stark zu normalisieren, dass die Frage danach, we_r überhaupt das Recht haben sollte, darüber zu entscheiden, bzw. warum überhaupt entschieden werden sollte, unwahrnehmbar wird. Wird stattdessen die Grenzziehung an sich in Frage gestellt (Desintegration), eröffnet sich die Möglichkeit, gemeinsam und solidarisch die Kritiken zu äußern, die komplexe und interdependente Machtverhältnisse thematisieren, statt diese lediglich verschieben zu wollen (Integration). Dabei wissen wir aus eigenen (unterschiedlichen) Erfahrungen, dass Überlebensstrategien (Coping) in einem auf unterschiedlichste Arten und Weisen gewaltvollen System punktuell notwendiger sein können, als das Äußern radikaler Kritiken und wir kritisieren nicht primär die Aussagen an sich, die potentiell hegemoniale Denkmuster re_produzieren, sondern vielmehr die Mechanismen selbst, die zu Entsolidarisierung und Vereinzelung führen, wie beispielsweise die „teile und herrsche“-Strategie, die sich als Form des Konkurrenzdenkens in viele Formen des Handelns einschreibt.

Was ergibt sich also konkret aus den Ausführungen unserer Arbeit an Handlungsimpulsen, Empfehlungen und möglicherweise neuen Denkanstößen?

  • Notwendigkeit intersektionaler/interdependenter Denkweisen:

    Die Tatsache, dass es beHinderte, verRückte, chronisch kranke etc. Trans*Personen gibt, macht Denkstrukturen und Satze wie „Trans*Personen sind nicht krank“ mindestens fragwürdig, eher aber unsinnig und ausgrenzend für mehrfach diskriminierte Personen.

  • Rhetoriken sind also keine Nebensache:

    Forderungen werden zumeist durch Sprache vertreten. Sprache ist auf verschiedensten Weisen von Diskriminierungsformen durchzogen, oft so stark, dass diese Tatsache nicht einmal mehr wahrnehmbar ist.

  • De_Pathologisierung ohne Re_Stigmatisierung:

    Wenn Reformprozesse über Othering vorangetrieben werden sollen, werden Stigmata implizit oder explizit re_produziert, was wir als Re_Stigmatisierung bezeichnen.[32] Statt zu versuchen, sich selbst in Abgrenzung zu_m „Unnormalen“ als „normal“ darzustellen, sollten Kategorien wie „normal“ und diesbezügliche Formen von Deutungshoheit generell in Frage gestellt werden.

  • Forderungen inklusiver machen:

    Sozialer Wandel geschieht allzu oft unter Ausschluss bestimmter Perspektiven. Mit dem Paradigma „Integration oder Desintegration?“ lässt sich hinterfragen, ob bzw. warum ich hegemoniale Strukturen reformieren oder grundsätzlich in Frage stellen will. Eigene teilprivilegierte Perspektiven müssen herausgefordert werden, Personen sich sensibilisieren. „Einfache“ Forderungen, die angeblich für „alle“ da sind, spiegeln meistens eher teilprivilegierte Bedürfnisse dar.

  • Zusammen kämpfen:

    Die Funktionsweisen des herrschenden Systems versuchen in immer neuen Prozessen, die Gesellschaft, bzw. konkrete antidiskriminierende Bestrebungen durch diverse hier ausgeführte Strategien zu vereinnahmen, zu spalten und zu vereinzeln. Aktivistische Personen(gruppen) könnten_sollten sich vielmehr positiv auf Differenzen beziehen und diese in gemeinsame Kämpfe integrieren. Das „teile und herrsche“-Konzept funktioniert über Ausschlüsse und Entsolidarisierungen: Dafür sollten bio_mächtige Regierungsweisen aufgedeckt und entlarvt werden, um Individualisierungen vorzubeugen und solidarische Kämpfe zu ermöglichen.

Dabei wollen wir zum wiederholten Male bemerken, dass auch diese Kritik bestimmte Leerstellen re_produziert: Die Tatsache beispielsweise, dass der Kampf gegen die Psychiatrisierung von gender-nonkonformen Personen auch als dekolonialer Kampf begriffen werden kann, wird in Depathologisierungsbestrebungen meist überhaupt nicht aufgenommen, obwohl das generelle Wissen über Zwangszwei- und cisgenderung als koloniales Projekt längst produziert worden ist und sich an einigen Stellen das Bewusstsein über diese Tatsache auch offen zeigt (vgl. dazu Lüthi i.E., sowie konkreter binaohan 2014a, 79ff.).

Auch in unserer Arbeit fehlt beispielsweise ein Fokus auf De_Pathologisierung als dekolonialer Kampf – eine Leerstelle, die wir an diesem Punkt als solche markieren wollen. Die Normalisierungsprozesse, die kritikwürdig sind, geschehen auf viel mehr Ebenen und entlang von mehr Diskriminierungsstrukturen als wir im Laufe dieser Arbeit wahrnehmbar machen konnten. Eine konkrete Thematisierung der Strukturkategorie class bzw. von Klassismus fehlt trotz der Einbindung unseres Themas in kapitalistische Verhältnisse. Wir hoffen, dass diese Benennung der Leerstellen es gegebenenfalls erleichtert, an diese Arbeit anknüpfen zu können, konkrete konstruktive Kritik zu üben und verschiedene Ansätze weiterzuentwickeln.



[32] Vgl. auch Lüthi (i. E.), der in einem ähnlichen Kontext, nicht minder treffend, von „Re_psychopathologisierung durch De_psychopathologisierung“ schreibt.

6 Literaturliste

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Quelle

Katharina Krämer, Sandra Tausch: De_Pathologisierung und_oder Re_Stigmatisierung? Eine Analyse von Wirkungsweisen hegemonialer Denkstrukturen in Gegendiskursen.

Seminararbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin; Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät; Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien; Seminar: „Konstruktionen von Anders-Sein aus der Perspektive der feministischen Psychiatriekritik und den Disability Studies“; Dozent_in: Lisa Pfahl; verfasst: Berlin, den 24.10.2015.

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 22.09.2017

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