Qualifizierung am Arbeitsplatz - Kernelement im Konzept der Unterstützten Beschäftigung

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 30, August 2004, Seite 3 - 7. impulse (30/2004)
Copyright: © Ilja Lilienthal, Rolf Behncke 2004

Qualifizierung am Arbeitsplatz - Kernelement im Konzept der Unterstützten Beschäftigung

In der Konzeption "Unterstützter Beschäftigung" gilt die qualifizierende Unterstützung am betrieblichen Arbeits- oder Praktikumsplatz als ein wesentlicher Baustein in der Angebotspalette von Diensten der beruflichen Eingliederung.

Mittlerweile ist es unumstritten, dass die qualifizierende Unterstützung am betrieblichen Arbeitsplatz eine entscheidende Voraussetzung für eine gelingende Eingliederung vor allen Dingen von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist. Diese gilt insbesondere dann, wenn es sich um Personen handelt, die über keine nennenswerten Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfügen: MitarbeiterInnen aus den WfbM oder SchulabgängerInnen aus den Sonderschulen.

Trotz dieser Anerkennung ist die herrschende Grundhaltung in der beruflichen Rehabilitation und beruflichen Bildung hinsichtlich des Personenkreises der Menschen mit Lernschwierigkeiten erstaunlicherweise aber weiterhin durch den Ansatz "erst qualifizieren, dann vermitteln" geprägt. Erst langsam sind Veränderungen festzustellen, die ein höheres Gewicht auf Qualifizierungsphasen legen, die in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes stattfinden. Die im Rahmen Unterstützter Beschäftigung vertretene Auffassung fordert eine Verlegung des Schwergewichts der Qualifizierung in die betriebliche Realsituation.

Erst in der betrieblichen Lernsituation erschließen sich dem/der ArbeitnehmerIn die Sinnhaftigkeit seines/ihres Tuns, die Eingebundenheit in die Prozessabläufe und betriebliche Arbeitsteilung ersetzen die künstliche Stimulation in Übungswerkstätten, und das über Teameinbindung ermöglichte Selbstwertgefühl und Rollenbewusstsein fördern die Motivation und damit in entscheidender Weise den Lernerfolg.

In institutionellen Einrichtungen der beruflichen Bildung wie z.B. den WfbM können diese Voraussetzungen nur bedingt simuliert werden: Wenn z.B. nicht ausreichend Arbeit zur Verfügung steht, besteht keine Notwendigkeit, Eigeninitiative zu entwickeln, flexibel mit unterschiedlichen Anforderungen umzugehen oder den Wert der Einhaltung von Arbeits- und Pausenzeiten zu erkennen.

Die Form der Qualifizierung am Arbeitsplatz ist nicht alleine abhängig vom Grad und der Art der Behinderung sondern auch

  • von der Komplexität der Tätigkeiten

  • von der Komplexität des betrieblichen Umfeldes

  • von den Fähigkeiten und Lernerfolgen der unterstützten Beschäftigten.

Alle Faktoren zusammen bestimmen dann auch die Dauer und Intensität der Unterstützung am Arbeitsplatz.

So kann die personelle Unterstützung am Arbeitsplatz durchaus für einen Zeitraum von mehreren Monaten im Verhältnis 1:1 erforderlich sein und erst dann langsam reduziert werden, während ein anderer Arbeitnehmer lediglich an einem Tag in der Woche stundenweise unterstützt wird.

In den letzten Jahren haben sich Konzeption und Praxis der Unterstützten Beschäftigung sichtlich verändert. Während in den ersten Anfängen der Praxis zu Beginn der 90er Jahre der Focus der qualifizierenden Unterstützung fast ausschließlich auf die unterstützten Arbeitnehmer/innen und die Arbeitstätigkeiten gelegt wurde, werden heute auch mehr und mehr die betrieblichen Strukturen berücksichtigt.

Weiterhin werden heute im Rahmen Unterstützter Beschäftigung zunehmend stärker die Qualifizierungsbereiche:

- Erwerb von Schlüsselqualifikationen und

- das Einfinden in die betriebliche Kultur/ Struktur

betont.

Im Folgenden werden zunächst die Unterstützungsangebote, die sich auf die ArbeitnehmerIn mit Behinderung beziehen dargestellt. Anschließend wenden sich die Ausführungen den Unternehmen zu.

Unterstützung der ArbeitnehmerIn

Qualifizierung tätigkeitsbezogener Kompetenzen und Methoden der Qualifizierung

Wie bereits weiter oben ausgeführt, wird im Rahmen der Qualifizierung am Arbeitsplatz sehr viel Wert darauf gelegt wird, dass die ArbeitnehmerIn ihre Tätigkeiten in den Gesamtzusammenhang der Produktionsabläufe einordnen kann und sich somit auch darüber Lernzuwächse erschließen. In der Herausbildung dieses Vermögens kommt der Qualifizierungsprozeß nicht ohne die Unterstützung der ArbeitsassistentInnen aus. Häufig erscheinen der ArbeitnehmerIn zu Beginn einer Eingliederungsmaßnahme die Arbeitsabläufe als schwer zu überblickende und zu strukturierende Abfolge von Arbeitsschritten und Zusammenhängen. Die Unterstützung der ArbeitsassistentIn besteht hierbei dann in der Herunterbrechung der Tätigkeiten in einzelne Teilschritte, deren Erlernen auf die Möglichkeiten der behinderten ArbeitnehmerIn abgestimmt ist. Auf diese Weise können Arbeitsschritte mit einem höheren Komplexitätsgrad intensiver qualifiziert werden als andere, die die ArbeitnehmerIn vor nicht so große Schwierigkeiten stellen. Häufig reicht die erklärende Beschreibung einzelner Arbeitsabläufe nicht aus, so dass die ArbeitsassistentIn den Lernprozess durch das Vormachen der entsprechenden Tätigkeit unterstützt. In der ersten Phase der Einarbeitung arbeitet die ArbeitsassistentIn zusammen mit der einzuarbeitenden Arbeitnehmerin am Arbeitsplatz mit. Das führt zum einen dazu, dass sich die ArbeitnehmerIn mit Behinderung an der ArbeitsassistentIn bei der Durchführung der Arbeitsschritte orientieren kann. Zum anderen ist aber auch der - durchaus gewünschte - Effekt damit verbunden, dass der Druck durch die durch die Mitarbeit bewirkte zeitliche Entlastung deutlich gemindert wird. Hiermit eröffnen sich dann Qualifizierungsspielräume, die dazu beitragen, dass die ArbeitnehmerIn zunehmend an Sicherheit und Routine gewinnt und im Verlauf der weiteren Einarbeitung immer unabhängiger von der Unterstützung der ArbeitsassistentIn wird.

Der Stellenwert der Mitarbeit durch die unterstützende ArbeitsassistentIn ist nicht unumstritten in der Fachdiskussion. Häufig wird an dieser Stelle kritisch angeführt, dass durch die Mitarbeit der ArbeitsassistentIn ein verzerrtes Bild über die wirkliche Arbeitsleistung der behinderten ArbeitnehmerIn gegeben wird. Weder den KollegInnen noch den Vorgesetzten würde eine realistische Grundlage geboten ist, den Stand der Einarbeitung der behinderten Arbeitnehmerin zu beurteilen.

Es gibt allerdings ein anderes, nicht von der Hand zu weisendes Argument, das für die Mitarbeit der Arbeitsassistentin spricht. Die bisherigen Erfahrungen mit der Qualifizierung am Arbeitsplatz legen nahe, dass die Legitimation der ArbeitsassistentIn vor Ort im Betrieb in dem Maße wächst, in dem sich die ArbeitsassistentIn in den normalen Betriebsablauf einfügt. Nicht nur, dass das Beurteilungsvermögen der ArbeitsassistentIn über die Schwierigkeit bestimmter Arbeitsvorgänge durch die Mitarbeit realistischer ausfällt, sondern auch die Hinzugewinnung an größerer Akzeptanz bei den KollegInnen erleichtert das Agieren in diesem Qualifizierungsfeld. KollegInnen reagieren mitunter mit Vorbehalten gegenüber untätigen Personen im Betrieb und öffnen schnell die Schublade "arbeitsscheuer Sozialpädagoge". Gleichwohl ist es in bestimmten Qualifizierungsphasen wichtig, dass sich die ArbeitsassistentIn der Mitarbeit enthält, etwa um der ArbeitnehmerIn mit Behinderung, bzw. sich selbst eine realistische Einschätzung zu ermöglichen, um ggf. weitere Lernziele zu entwickeln. Wichtig ist es, dass die ArbeitsassistentIn den betrieblichen KollegInnen den Sinn der Mitarbeit transparent macht. Dies ist auch u.a. deswegen notwendig, um zu vermeiden, dass die ArbeitsassistentIn wie selbstverständlich im Dienstplan (im Extremfall) als feste Arbeitskraft einbezogen wird.

Entwicklung geeigneter Hilfsmittel

Eine ganz wesentliche Bedeutung im Rahmen der Qualifizierung am Arbeitsplatz nimmt die Entwicklung von Hilfsmitteln ein, die behinderungsbedingte Einschränkungen (z.B. nicht lesen oder zählen zu können) kompensieren helfen. Mit Hilfsmitteln sind hier in erster Linie kleine, wenig aufwendige Arbeitshilfen gemeint, die von den ArbeitsassistentInnen selbst entwickelt werden können. Nicht gemeint sind hier die technischen Ausstattungen eines Arbeitsplatzes über Mittel aus der Ausgleichsabgabe, beispielsweise gefördert über die Agentur für Arbeit oder das Integrationsamt.

Hilfsmittel dienen dazu, neue Möglichkeiten zu öffnen. Sie können aber auch Entwicklungen verhindern. Beispielsweise kann die Einführung von Hilfsmitteln, die nur für die behinderte ArbeitnehmerIn bestimmt sind, dazu führen, diese ArbeitnehmerIn (beispielsweise als nicht lesen könnend) zu stigmatisieren, und damit Defizite aufzuzeigen, die die Integration in das betriebliche Kollegium eher erschweren. Der Einsatz von Hilfsmitteln wird im Verlauf der Qualifizierung immer wieder überprüft, möglicherweise reduziert oder ganz aufgegeben, falls kein Erfordernis auf Grund von Qualifizierungserfolgen mehr für den Einsatz besteht.

Im Verlaufe ihrer Tätigkeit hat die Hamburger Arbeitsassistenz eine ganz Reihe von diesen kleineren Hilfsmitteln entwickelt, die in verschiedenen Branchen ihre Anwendung finden.

Ein Instrument ist zum Beispiel die Erstellung einer Zählhilfe, die es einem jungen Mann mit Down-Syndrom, der in einer Bäckerei eine Anstellung gefunden hat, ermöglichte, das Backblech in der bäckereiüblichen Weise mit Brötchenrohlingen zu bestücken. Bezeichnenderweise ist diese Zählhilfe - ein in Blechgröße erstelltes Holzleistengitter - im weiteren Verlauf der Beschäftigung auch von anderen Auszubildenden in der Bäckerei genutzt worden. Großen Stellenwert nehmen Listen ein. Sie werden immer dann erstellt, wenn eine Arbeitsanforderung darin besteht, in einer unübersichtlichen Struktur der Arbeitsabläufe den roten Faden für die einzelnen Arbeitsschritte zu behalten und abarbeiten zu können. Diese Liste ermöglicht es der behinderten ArbeitnehmerIn, auch mit Unterbrechungen des Arbeitsablaufes durch äußere Störungen zu Recht zu kommen, um nach der Unterbrechung wieder in die Arbeitsabläufe hineinfinden zu können. Ein typisches Beispiel dafür stellen die Arbeitsabläufe an einer Tankstelle dar, bei denen die Hamburger Arbeitsassistenz vergleichsweise viele ArbeitnehmerInnen integrieren konnte. Hier passiert es immer wieder, dass beispielsweise Reinigungsarbeiten auf der Tankbahn unterbrochen werden müssen, wenn eine technische Dienstleistung (Reifendruck prüfen) für einen Kunden erbracht werden muss. Desweiteren gehören Orientierungshilfen dazu, beispielsweise das Setzen von farblichen Markierungen in einem Lager, die es der ArbeitnehmerIn ermöglicht, sich im Lagersystem zu orientieren. Da viele der BewerberInnen der Hamburger Arbeitsassistenz nicht über mitunter erforderliche Lese- und Schreibkenntnisse verfügen, wird in einem hohen Maße auch mit Fotos gearbeitet.

Die Entwicklung von geeigneten Hilfsmitteln ist häufig auch das Ergebnis intensiver Branchenkenntnisse.

Vermittlung von Schlüsselqualifikationen

In der Vermittlungspraxis der Integrationsfachdienste ist es heutzutage eine übereinstimmende Erfahrung, dass Arbeitsplätze für den Personenkreis Menschen mit Behinderung nur noch in Ausnahmefällen im gewerblichen Sektor der Arbeitswelt akquiriert werden können, in denen die Arbeitsabläufe durch ein hohes Maß an Standardisierung der einzelnen Arbeitsschritte geprägt sind. Viel mehr wird die überwiegende Zahl der Arbeitsuchenden mittlerweile im Dienstleistungsbereich der Wirtschaft eingegliedert. An diesen Arbeitsplätzen, ob sie nun im Altenheim, an der Tankstelle oder in der Küche angesiedelt sind, spielen viele Anforderungen an so genannte Schlüsselqualifikationen der ArbeitnehmerInnen eine herausragende Rolle. Selbst in vergleichsweise einfachen Arbeitsbereichen wie z.B. denen einer Küchenhelferin werden mittlerweile hohe Anforderungen an Planungsvermögen und Kommunikationsverhalten gestellt. Eine KüchenhelferIn muss in der Lage sein, innerhalb eines Teams mit ihren KollegInnen beispielsweise kurz abzusprechen, wer welche Aufgaben übernimmt.

In der Unterstützung der Herausbildung dieser Kompetenzen liegt mittlerweile die Hauptanforderungen der Qualifizierungsbemühungen am Arbeitsplatz. Die bisherige Praxis der Hamburger Arbeitsassistenz hat deutlich gemacht, dass auch Menschen mit zum Teil erheblichen Lernschwierigkeiten - entgegen der landläufigen Meinung, Menschen aus diesem Personenkreis seien zu solchen Lernprozessen nicht fähig - in der Lage sind, mit der erforderlichen Unterstützung die entsprechenden Schlüsselqualifikationen zu erarbeiten.

Im Bereich der Qualifizierung dieser Inhalte nimmt die kontinuierliche Reflektion der spezifischen Anforderungen am Arbeitsplatz zwischen der ArbeitsassistenIn und der ArbeitnehmerIn mit Behinderung einen hohen Stellenwert ein. Dies dient dazu, in der Auseinandersetzung mit den entsprechenden Anforderungen die eigenen Verhaltensweisen der ArbeitnehmerIn wiederzuspiegeln, um zu betrieblich angemessen Arbeitsformen zu kommen. Unterstützt werden diese Reflektionsgespräche durch im Fachdienst entwickelte Materialien zur Selbst- und Fremdeinschätzung. Besonders wichtig ist dabei, dass betriebliche Kolleginnen und Kollegen in diesen Prozess eingebunden werden. Mittlerweile können die Bemühungen der ArbeitsassistentInnen am betrieblichen Arbeitsplatz durch ein weiteres Angebot unterstützt werden: Im Rahmen eines von Aktion Mensch geförderten Projektes hat die Hamburger Arbeitsassistenz ein Seminarkonzept entwickelt, das die Vermittlung von zentralen Schlüsselqualifikationen wie Kommunikation. Kooperation und Konfliktverhalten zum Thema hat. Von besonderer Wichtigkeit ist bei der Durchführung der Seminare die enge Verzahnung mit den betrieblichen Qualifizierungsprozessen, so dass die SeminarteilnehmerInnen in der Lage sind, die im Seminar erworbenen Kompetenzen auf die jeweiligen betrieblichen Situationen zu übertragen.

Erschließen der betrieblichen Kultur

Ein Betrieb ist nicht nur die Ansammlung arbeitsteiliger Produktionsprozesse, in dem die ArbeitnehmerInnen in einer funktionellen Struktur organisiert sind, sondern auch ein soziales Gebilde, das von sozialen und kulturellen Gepflogenheiten und Standards - einer betrieblichen Kultur - bestimmt wird. Wer an seinen eigenen betrieblichen Arbeitsplatz denkt wird auch feststellen können, dass der Umgang der KollegInnen miteinander beispielsweise durch einen bestimmten Sprachhabitus, durch eine besondere Art des Humors und durch bestimmte Gepflogenheiten geprägt ist. Insbesondere für die soziale Integration und Akzeptanz innerhalb des betrieblichen Kollegiums ist es wichtig, im Rahmen der Qualifizierung am Arbeitsplatz auch ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass die zu qualifizierende ArbeitnehmerIn ein Gespür für die mitunter informellen "kulturellen" Gesetze innerhalb des Betriebes bekommt. Dazu gehört beispielsweise, ob und wer sich innerhalb des Betriebes duzt oder siezt, wie der Umgang mit den Vorgesetzten ist oder auch ob einzelne KollegInnen bestimmte Rollen innerhalb des Kollegiums übernommen haben (beispielsweise "Kummerkasten"). Dazu gehört weiterhin auch die "Pausenkultur" (Fragen besonderer Sitzordnung im Pausenraum, welche KollegInnen sitzen zusammen, fühlt sich die Fangemeinde des Betriebes eher zum HSV oder zu St. Pauli hingezogen oder die "Gesetze" der Raucherpausen). Wichtig ist es für die ArbeitnehmerIn mit Behinderung auch sich im Einklang mit der unausgesprochenen Selbstbeschreibung der im Betrieb herrschenden Arbeitskultur zu verstehen, beispielsweise ob der Betrieb sich eher ein jung-dynamisches, lässig-legeres Image zuschreibt, oder ob ein besonderer Anspruch auf "hanseatische Seriösität" gelegt wird. Dies schlägt sich beispielsweise auch in der mehr oder weniger offiziellen Kleiderordnung nieder. Auch ist es für eine gelingende soziale Integration wichtig, nicht in die eigentlich in jedem Betrieb existierenden "Fettnäpfchen" zu treten, beispielsweise eine besonders ehrgeizige Arbeitsgeschwindigkeit den betriebsüblichen Standard übertreffen zu wollen. Hierfür ein Gespür zu entwickeln, ist ein wesentliches Ziel im betrieblichen Qualifizierungsprozess.

Kollegiale Unterstützung gewinnen

Die ArbeitsassisteInnen legen von Anfang an ein gewisses Augenmerk darauf, betriebliche KollegInnen in den Integrationsprozess mit einzubeziehen. Dies ist nicht nur deshalb wichtig, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt keine externe Arbeitsbegleitung mehr vor Ort im Betrieb sein wird, sondern auch aus der einfachen Erkenntnis heraus, dass das Maß der Integration in das betriebliche Gefüge mit dem Grad der Einbeziehung in die üblichen betrieblichen Bezüge und Abläufe steigt.

In der Fachdiskussion wird häufig an dieser Stelle ein Gegensatz zwischen unterschiedlichen Handlungsstrategien bei der Eingliederung konstruiert. Auf der einen Seite stehen VertreterInnen des Ansatzes des "natural supports", die darauf hinweisen, dass die wirkungsvollste Form der Eingliederung von Menschen mit Behinderung in einem Betrieb über die "natürlichen Gegebenheiten" unter Einbeziehung der KollegInnen, Vorgesetzten, betriebliche Ablaufpläne zur allgemeinen Einarbeitung etc. stattfindet. Die BefürworterInnen eines job coachings weisen andererseits darauf hin, dass Betriebe auf Grund der besonderen Anforderungen der MitarbeiterInnen mit Behinderung unterstützt werden müssen, entsprechende angemessene Arbeitsmöglichkeiten zu öffnen. Heutzutage bestehen angesichts des zunehmenden Arbeitsdrucks in den Betrieben kaum noch Spielräume für KollegInnen, eine zusätzliche intensivere Unterstützungsleistungen zu erbringen. Diese Kontroverse soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Die Erfahrung der vergangenen 10 Jahre legt allerdings nahe, dass auch die Organisation kollegialer Unterstützung einer besonderen Anstrengung durch die ArbeitsassistentInnen bedarf. Dazu gehört beispielsweise, Gesprächssituationen zu unterstützen, die die soziale Einbeziehung der behinderten MitarbeiterInnen in die Kollegenschaft ermöglicht. Die neue MitarbeiterIn mit Behinderung in einem Betrieb ist in der Regel von sich aus nicht in der Lage, bzw. verfügt nicht über das entsprechende Selbstbewusstsein, Kontakte mit den anderen KollegInnen aufzunehmen. Deshalb ist eine wichtige Funktion der ArbeitsassistentInnen, entsprechende Impulse zu geben. Sowohl für die dauerhafte Integration der MitarbeiterIn mit Behinderung im Betrieb als auch für die Arbeitsbedingungen der ArbeitsassistentInnen vor Ort ist es zwingend notwendig, das eigene Tun gegenüber den betrieblichen KollegInnen weitgehend transparent zu machen. Die Existenz einer Arbeitsbegleitung im Betrieb ist ohnehin für die allermeisten KollegInnen eine völlig unbekannte Erfahrung. Es ist umso erforderlicher KollegInnen von Anfang an in Zielsetzung und Unterstützungsangebote der ArbeitsassistentIn mit einzubeziehen.

Psychosoziale Beratung und Unterstützung

Für die berufliche Eingliederung ist bei vielen Personen, insbesondere denen, die jahrelang in einer Sonderinstitution wie der Werkstatt für behinderte Menschen oder in der Sonderschule gewesen sind, auch eine psychosoziale Unterstützung erforderlich. Verunsicherung und Überforderung, die Erwartungen an sich selbst und die anderer, die Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung und die gewachsenen Anforderungen an Selbständigkeit und Eigenverantwortung stellen auch Anforderungen an die psychosoziale Kompetenz der ArbeitsbegleiterInnen.

Der Prozess der beruflichen Eingliederung der Menschen mit Behinderung macht mitunter Unterstützungsformen erforderlich, die die psychische Befindlichkeit, das Erleben und darüber hinaus die allgemeine Lebenssituationen auch außerhalb des Arbeitslebens insgesamt betreffen. Auch wenn es in der Praxis der beruflichen Eingliederung eine deutliche Trennung zwischen den betrieblichen Aktivitäten, für die die ArbeitsassistentInnen zuständig sind, und denen der Betreuungspersonen im privaten Umfeld gibt, bedarf es einer engen Absprache mit diesen KollegInnen, beispielsweise im Wohnbereich. Da geht es nicht nur um Fragen des pünktlichen Erscheinens am Arbeitsplatz sondern unter Umständen auch um die Einleitung von pädagogischer Betreuung im eigenen Wohnraum (pbw), von Therapien, um den Umgang mit Sucht und Drogenproblemen oder einer Verschuldungssituation

Auch im weiteren Verlauf des Arbeitslebens können Veränderungen im Betrieb eine integrationsgefährdende Belastung darstellen. Nicht selten bedeuten personelle Veränderungen, beispielsweise neue Vorgesetzte oder KollegInnen oder der Weggang liebgewordener KollegInnen eine besondere Belastung, die durch ArbeitsassistentInnen aufgefangen werden müssen.

Langfristige Stabilisierung

Aufgrund der bestehenden Finanzierungsstrukturen ist derzeit keine dauerhafte Begleitung am Arbeitsplatz möglich. Die ArbeitsassistentInnen stellen sicher, dass betriebliche Kollegen dafür gewonnen werden, Verantwortung für eine weitergehende Unterstützung zu übernehmen. Wenn die ArbeitsassistentInnen nicht mehr regelmäßig im Betrieb erscheinen, wird darauf geachtet, Kontakte in einem größeren zeitlichen Abstand sicherzustellen um mögliche Veränderungen, sich anbahnende Konflikte oder beispielsweise auch Veränderungswünsche der ArbeitnehmerIn im Auge zu behalten. Bevor sich die Hamburger Arbeitsassistenz völlig aus der Begleitung eines Betriebes zurückzieht, wird eine Vereinbarung mit dem Integrationsamt geschlossen, das dann zukünftig als Ansprechpartner sowohl für den Betrieb als auch für die MitarbeiterIn mit Behinderung fungiert. Gegebenenfalls wird bei bestimmten Erfordernissen die Hamburger Arbeitsassistenz erneut in die Begleitung eingeschaltet.

Unterstützung des Unternehmens

Wie eingangs ausgeführt beziehen sich die vom Fachdienst gebotenen Unterstützungsleistungen nicht nur auf die ArbeitnehmerIn mit Behinderung, sondern es wird mit den qualifizierenden Bemühungen auch ein Einfluss auf das Unternehmen genommen. Es gehört zur Philosophie des Fachdienstes, dass im Sinne einer gelingenden Integration Entwicklungserwartungen nicht nur an die ArbeitnehmerIn sondern auch an den Betrieb zu stellen sind.

Selbstverständlich gehören zum Unterstützungs- und Beratungsrepertoire der Hamburger Arbeitsassistenz die gleichen Elemente, über die auch Integrationsfachdienste in der Bundesrepublik allgemein verfügen: Beratung und Unterstützung bei der Beantragung von Eingliederungszuschüssen, Arbeitsplatzausstattung sowie eine Beratung hinsichtlich rechtlicher Fragestellungen bei der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung.

Darüber hinaus machen die bisherigen Erfahrungen der Hamburger Arbeitsassistenz deutlich, dass die so genannte Passgenauigkeit von Anforderungs- und Fähigkeitsprofil vor allem bei der beruflichen Eingliederung von Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Mythos ist, der sich nur in seltenen Fällen in der Realität wieder findet. Es ist ja auch gerade das Prinzip der Unterstützten Beschäftigung, dass im Prozess der Einarbeitung Fähigkeits- und Anforderungsprofil mit Unterstützung einander näher gebracht werden.

In Bezug auf das betriebliche Umfeld ergibt sich bisweilen die Notwendigkeit, Arbeitsplätze ausgehend von den Fähigkeiten, Interessen und Motiven der behinderten ArbeitnehmerIn möglicherweise umzustrukturieren. Das kann bedeuten, dass beispielsweise im Rahmen eines Praktikums festgestellt wird, dass einzelne Arbeitsanteile eine Überforderung für die ArbeitnehmerIn darstellen oder auch umgekehrt, dass sich Möglichkeiten ergeben, das Arbeitsfeld der behinderten ArbeitnehmerIn zu erweitern. Mitunter ist mit der Gestaltung eines Arbeitsplatzes auch eine Argumentation gegenüber dem Arbeitgeber verbunden, in dem Sinne, dass beispielsweise durch die Zusammenstellung einzelner Hifstätigkeiten zu einem eigenständigen Arbeitsplatz in der Folge andere Arbeitnehmer -möglicherweise aus der Sicht des Arbeitgebers teuer bezahlte Arbeitnehmer- von diesen Tätigkeiten entlastet werden. Die Umstrukturierung von Arbeitsplätzen unter Einbeziehung der Anregungen der Arbeitsassistenten erfordert eine hochsensible Vorgehensweise. In der Regel ist vorausgesetzt, dass ArbeitsassistentInnen durch längere Mitarbeit ihren Stand im Betrieb gefunden haben und von KollegInnen und Vorgesetzten akzeptiert werden. Häufig haben ArbeitsassistentInnen aus ihrer etwas distanzierteren Warte die Möglichkeit Arbeitsplatzoptionen zu entwickeln, die innerhalb des Betriebes ohne diesen Anstoß nicht entstanden wären. Dies setzt voraus, dass die Arbeitsassistenten mit hoher Sensibilität und vor dem Hintergrund intensiver Branchenkenntnisse unter Berücksichtigung betrieblicher Erwartungen als Gesprächspartner ernst genommen werden. Veränderungen auf der Seite des betrieblichen Arbeitsplatzes sind das Ergebnis eines längeren Prozesses vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen ArbeitsassistentInnen und Betrieb.

Neben den Möglichkeiten der Strukturierung des Arbeitsplatzes werden seitens der ArbeitsassistentInnen auch Spielräume wahrgenommen, Fragen der Arbeitszeiten zu klären. Beispielsweise kommt es mitunter vor, dass aus einer ursprünglichen Vollzeitstelle aufgrund der Anforderungen eine Teilzeitstelle geschaffen wird. Auch ist es in manchen Betrieben gelungen, eine Pausenregelung zu installieren, die den Möglichkeiten der ArbeitnehmerIn mit Behinderung eher entspricht.

Mit diesen Bemerkungen soll nicht der Eindruck erweckt werden, als wären die Spielräume der ArbeitsassistentInnen in den Betrieben beliebig groß. In der Regel wird von Seiten der Unternehmen der Rahmen vorgegeben, in dem Veränderungen möglich sind. Allerdings sind die Vorschläge der ArbeitsassistentInnen durchweg auch im Interesse des Unternehmens so angelegt, dass durch die angeregten Veränderungen keine zusätzlichen Belastungen sondern in der Regel Vorteile für das Unternehmen geschaffen werden.

Es gehört zu den Qualitätsstandards der ArbeitsassistentInnenn, für den Betrieb jederzeit ansprechbar zu sein und in flexibler Form die Unterstützung zu gewähren, die das Unternehmen wünscht. Dies setzt auf Seiten der Arbeitsweise der ArbeitsassistentInnen ein hohes Maß an Flexibilität in der Arbeitsorganisation und gekonntes Zeitmanagement voraus. Von den ArbeitsassistentInnen wird nicht nur erwartet, dass sie gut erreichbar sind, sondern auch dass sie als eine Art "Troubleshooter" in Problemfällen mit dem geeigneten Gespür Lösungsvorschläge machen können. Dies setzt in der Regel voraus, dass die ArbeitsassistentInnen neben der Sensibilität für die betrieblichen Abläufe über fundierte Branchenkenntnisse verfügen. In der Praxis der ArbeitsassistentInnen wird immer wieder deutlich, dass die Betriebe ein außerordentlich sensibles Qualifizierungsfeld darstellen, in denen die ArbeitsassistentInnen häufig genug eine Gratwanderung zwischen unterschiedlichen, mitunter widersprechenden Interessen vollführen.

Abschließende Bemerkung

Die Tätigkeit der ArbeitsassistentInnen im Betrieb ist darauf ausgelegt, sich allmählich überflüssig zu machen. Dafür müssen Vorkehrungen getroffen werden. Zum Beispiel ist es erforderlich, dass betrieblichen Ansprechpersonen von Vorneherein aktiv in den Eingliederungsprozess einbezogen werden. In diesem Sinne wird von den ArbeitsassistentInnen Wert darauf gelegt, dass Unterstützungsangebote der Hamburger Arbeitsassistenz gegenüber den KollegInnen im Betrieb transparent gemacht werden. Der Charakter der Arbeitsbegleitung ist darauf angelegt, eher moderierend wirken als dass betriebliche Initiative ersetzt werden soll, damit alle Beteiligten erlernen, von Anfang an Schwierigkeiten im unmittelbaren Umgang miteinander zu lösen. Ein wichtiges Gebot im Rahmen der Arbeitsbegleitung ist, dass das Unterstützungsangebot nicht zusätzlich stigmatisierend wirken solle.

Die bisherige Praxis beruflicher Eingliederung - und das gilt nicht nur für die der Hamburger Arbeitsassistenz - hat sehr deutlich gemacht, dass die berufliche Eingliederung von Menschen, die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besonders benachteiligt sind (Menschen mit geistiger Behinderung aus den Werkstätten für behinderte Menschen, aus Sonderschulen oder Menschen mit psychischen Behinderungen) nur dann erfolgreich ist, wenn die personellen Ressourcen für eine unterstützende Arbeitsbegleitung vorhanden sind.

Kontakt:

Hamburger Arbeitsassistenz

Schulterblatt 36, 20357 Hamburg

Fon: 040-431339-0

Fax: -22

eMail: info@hamburger-arbeitsassistenz.de

Quelle:

Ilja Lilienthal, Rolf Behncke: Qualifizierung am Arbeitsplatz - Kernelement im Konzept der Unterstützten Beschäftigung

Erschienen in: impulse 30, August 2004, Seite 3 - 7.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 13.09.2005

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