Hamburger Budget für Arbeit

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Zusammenfassung des Evaluationsberichts, der im Auftrag des Hamburger Integrationsamts durch die Lawaetz-Stiftung im Dezember 2014 erstellt wurde: http://www.lawaetz.de/fileadmin/lawaetz/dokumente/archiv/Aktuelles/Hamburger_Budget_fuer_Arbeit_hat_sich_bewaehrt/Evaluationsbericht_HH_Budget__18-12-2014.pdf. Die Zusammenfassung ist erschienen in: impulse Nr. 73, 02/2015, Seite 16–18; Schwerpunkt: Budget für Arbeit; impulse (73/2015)
Copyright: © Thomas Mirbach et. al 2015

Das „Hamburger Budget für Arbeit“

Die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung wird in Hamburg mit hoher politischer Unterstützung verfolgt. Die verstärkte Förderung des Übergangs aus den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse stellt daher einen Schwerpunkt des Hamburger Landesaktionsplans dar. Neben der fachlichen Umsetzung von Artikel 27 UN-BRK und der Notwendigkeit, für Menschen mit Behinderung echte Wahlmöglichkeit im Bereich Arbeit zu gewährleisten, gilt die Einführung eines Budgets für Arbeit auch als ein Weg, den mit der erheblichen Zunahme der Anzahl der Werkstattplätze einhergehenden Ausgabenanstieg zu bremsen.

Programmziele

Im Rahmen des Modellvorhabens „Mit dem Hamburger Budget für Arbeit aus der Werkstatt für Behinderte Menschen in die arbeitsmarktliche Inklusion“ sollen in den Jahren 2012 bis 2014 insgesamt 100 Beschäftigte aus den WfbM in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden. Bei erfolgreicher Umsetzung des Modellvorhabens ist die dauerhafte Etablierung der Förderleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe vorgesehen. Zentrale Konditionen des Hamburger Budget für Arbeit sind drei Elemente:

  • Gewährleistung eines langfristigen bis dauerhaften Minderleistungsausgleichs.

  • Kontinuierliche Arbeitsbegleitung auf neuer rechtlicher und prozeduraler Grundlage.

  • Sicherung eines Rechtsanspruchs auf ein Rückkehrrecht in die WfbM.

Umsetzung

Die Umsetzung des Modellvorhabens wird von Einrichtungen getragen, die über langjährige und zugleich sehr spezifische Erfahrungen der Integration von Menschen mit Behinderungen verfügen. Zu ihnen zählen die beiden Werkstätten für behinderte Menschen Elbe-Werkstätten GmbH und alsterarbeit gGmbH sowie die Integrationsfachdienste Hamburger Arbeitsassistenz und Arinet GmbH. Die Leistungen dieser Akteure werden auf Arbeitgeberseite durch den Bildungs- und Integrationsfachdienst Hamburg (BIHA) und auf Seiten betrieblicher Interessenvertretungen durch die Beratungsstelle handicap/Arbeit und Leben Hamburg unterstützt.

Die Koordination dieses Netzwerkes ist eine gemeinsame Leistung der beteiligten Partner, die einerseits durch ein akteursübergreifendes Austauschgremium – dem von der BASFI organisierten „Runden Tisch“ – und andererseits durch Kooperationsrunden auf operativer Ebene und fallweisen bilateralen Abstimmungen verfolgt wird. Diese Form der integrierten Steuerung schreibt den Akteuren der WfbM und der IFD – trotz bestehender organisationsstruktureller Unterschiede – die gleichen Aufgaben zu. Die Koordination des Netzwerkes stand deshalb vor den Aufgaben, Einzelschritte intern mit ausreichender Transparenz zu vollziehen und die Leistungen der beiden Beratungsstellen (BIHA; handicap) angemessen in die Vermittlungsarbeit einzubinden.

Eine zentrale Herausforderung für die Erreichung der Programmziele ergab sich daraus, zwei konträre, allerdings fachlich und funktional begründete Perspektiven operativ so weit wie möglich in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite eine unternehmensorientierte Perspektive, der zufolge das vorhandene Potential an Arbeitsplätzen im allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen aufgrund des Selbstverständnisses und der Interessenlage der WfbM nicht gedeckt werden könne. Auf der anderen Seite eine personenorientierte Perspektive, der zufolge das Hamburger Budget für Arbeit nur für einen kleinen Teil der Werkstattbeschäftigten – abhängig von individueller Eignung und Motivation – in Frage käme.

Herausforderung für Werkstätten

Vor diesem Hintergrund kann das Hamburger Budget für Arbeit als Prototyp eines neuen Lohnsystems für erwerbsfähige Menschen mit Schwerbehinderung gelten. Dabei geht es nicht mehr darum, Transferleistungen zu stückeln und an Kostenpositionen (HLU, Fahrgeld, Taschengeld etc.) zu binden, sondern ein personenbezogenes Budget zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung zu stellen. Dies zu etablieren und als ein Stück Normalität zu leben, dürfte die größte Herausforderung sein. Auf Seiten der Werkstätten bedeutet das auch, den eingeschlagenen Weg der Außenorientierung konsequent weiter zu verfolgen und nicht bei der Quote von 25% Außenarbeitsplätzen zu verharren, die die wesentliche Basis für die Überleitung in reguläre Beschäftigung und damit auch in das Hamburger Budget für Arbeit bildet. Diese Umorientierung wird auf Seiten der Werkstätten zum Teil durch strukturelle Faktoren erschwert. Wenn sich die Aufmerksamkeit der Leitungen der Betriebsstätten vornehmlich auf den wirtschaftlichen Produktionserfolg der jeweiligen Bereiche richtet, dann wird – das haben Befragungen der Akteure gezeigt – das Hamburger Budget für Arbeit nicht selten als konkurrierende Institution wahrgenommen, die die vermeintlich oder faktisch leistungsstarken Mitarbeiter abwirbt. Für die Hamburger Werkstätten gilt, dass die Vermittlung aus den eigenen Betrieben heraus noch stärker zu entwickeln und in den Fokus zu nehmen ist. Die Herausforderung für die Betriebsleitungen besteht auch darin, den wirtschaftlichen Produktionsprozess so zu steuern, dass eine Anpassung an abnehmende Beschäftigtenzahlen möglichst spannungsfrei vollzogen werden kann.

Auswirkungen

Im Zuge der Umsetzung des Modellvorhabens Hamburger Budget für Arbeit haben sich die Kooperationsformen im Projektverlauf sowohl durch die Beteiligung aller Partner in den gemeinsamen Abstimmungsrunden als auch in der operativen Zusammenarbeit kontinuierlich weiterentwickelt und gefestigt. Angesichts der Verschiedenheit der Rollen und Aufgaben der Partner in ihrem jeweiligen Kerngeschäft (Werkstätten, Integrationsfachdienste und unternehmensbezogene Beratungsstellen) kann die jetzt erreichte Form der Zusammenarbeit als ein grundsätzlicher Erfolg bewertet werden. Die Partner haben die Ziele, Arbeitszusammenhänge und Methoden der jeweils anderen kennen gelernt und sich im Rahmen des Projektes aufeinander zu bewegt.

In diesem Zusammenhang sind unter anderem Verbesserungen in den internen Kommunikationsprozessen zu nennen, die auf eine gezielte Information gerade auch der Betriebsstätten der WfbM abzielen. Beispielhaft steht dafür der von der Hamburger Arbeitsassistenz entwickelte Peer-Counseling bzw. -Support Ansatz, der gemeinsam mit den beteiligten Elbe-Werkstätten fortgeführt werden wird. Befürchtungen der Werkstätten hinsichtlich einer Konkurrenz um Leistungsträger könnten abgeschwächt werden, wenn die Motivlage derjenigen besser erkennbar wird, die an einem Wechsel in den allgemeinen Arbeitsmarkt interessiert sind. Eine Möglichkeit zur Verbesserung des sog. Matchings von Stellenangeboten und (potentiell) interessierten Werkstattbeschäftigten wird darin gesehen, die Akquisition von vakanten Stellen zielgerichteter an den Einsatzmöglichkeiten der Zielgruppe auszurichten. Entsprechende Ansätze einer intensiveren Feinabstimmung in Sachen Stellenbeschreibungen, Bewerbersuche und Begleitung von Bewerbungsprozessen sind in der Kooperation der Partner schrittweise entwickelt und praktiziert worden.

Erfolgreiche Übergänge in reguläre Beschäftigungen folgen keinem Standardverfahren. Die Daten der realisierten Übergänge belegen ebenso wie die Einschätzungen der befragten Praktiker, dass der Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt typisch über Zwischenstufen (Außenarbeitsplätze, Integrationspraktika) führt. Dabei bleibt der Wechsel in ein normales Arbeitsverhältnis – gerade auch im Interesse der zu Vermittelnden – von Einzelfallentscheidungen abhängig, die sowohl Eignungen und Motive der Beschäftigungsuchenden wie Erwartungen der Arbeitgeber abwägen und austarieren müssen.

Die Sicht der Vermittelten

Diese Unsicherheiten im Übergangsprozess spiegeln sich auch im Erleben der Vermittelten. Etwa die Hälfte von ihnen war nicht frei von Bedenken und 70% empfanden die Eingewöhnung an die konkreten Arbeitsbedingungen wenigstens teilweise als herausfordernd. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang die weitere Unterstützung durch die Arbeitsbegleitungen – 96% empfanden sie als hilfreich. Gefallen am neuen Arbeitsplatz fanden 90% – am häufigsten wurden das Betriebsklima und die Aufgabenvielfalt genannt. Wenn es dabei auch zu Problemen kam – davon berichten etwa zwei Drittel – dann betraf das unterschiedliche Aspekte wie Kritik von Kollegen, Arbeitszeitregelungen oder auch Arbeitsdruck.

Für nahezu alle Vermittelten (95%) hat die Aufnahme einer regulären Beschäftigung die alltägliche Lebensführung spürbar verändert. Als ausschlaggebend sind mit diesem Wechsel Autonomiegewinne erlebt worden – diese drückten sich sowohl in einer verbesserten Einkommenslage (85%) als auch in gestiegenem Selbstvertrauen (61%) aus. Dieses Erleben höherer Selbständigkeit erklärt, warum für die Meisten (84%) – trotz der bestehenden rechtlichen Möglichkeit – eine Rückkehr in den alten Status nicht in Betracht kommt.

Erfahrungen der Unternehmen

Die geschaffenen Arbeitsplätze bewegen sich – nach Aussagen der Unternehmen – überwiegend im angelernten (47%) bzw. ungelernten Bereich (42%); lediglich rd. 10% entfallen auf qualifizierte Tätigkeiten. Nur in Ausnahmen kam es zu Einstellungen von Personen, die dem Betrieb zuvor nicht bekannt waren. In der Regel erfolgten die Zugänge in Beschäftigung über Praktika (56%) oder Außenarbeitsarbeitsplätze (33%).

Die Unternehmen haben klare Vorstellungen über die Voraussetzungen, die bei einer Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen gegeben sein müssen. Es kommt für sie in erster Linie auf die persönliche Motivation an (94%) und sehr wichtig ist ebenfalls eine vorherige Einarbeitungsphase über Praktika o.ä. (69%); demgegenüber sind berufsfachliche Aspekte (vergleichbare Arbeitserfahrungen, fachliche Fähigkeiten) von nachgeordneter Bedeutung. Befragt nach ihren bisherigen Erfahrungen bestätigen die Unternehmen, dass die Beschäftigten die Arbeitsanforderungen gut (33%) bzw. eher gut (57%) bewältigen. Zugleich unterstreichen sie zwei wichtige Faktoren: die Beschäftigten müssen von den Kollegen unterstützt (58%) und von Arbeitsbegleitungen weiterhin betreut werden (46%).

Insgesamt stellen die Unternehmen dem Hamburger Budget für Arbeit sehr gute Noten aus. Die befragten Unternehmen sind ebenso mit den Programmkonditionen, der Gestaltung der Lohnkostenförderung und der administrativen Abwicklung wie mit dem Einstellungsprozess und der Arbeitsbegleitung vor Ort sehr zufrieden bzw. zufrieden. Zusammengefasst bewegt sich die Zufriedenheitsquote zwischen 91% und 94%. Die sehr hohe Akzeptanz des Programms kommt schließlich auch darin zum Ausdruck, dass fast alle (94%) der bisher beteiligten Unternehmen auch künftig – bei entsprechendem Personalbedarf – Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Programms beschäftigen würden.

Ergebnisse

Zusammenfassend gesprochen zeigen die Befunde der externen Evaluation des Modellvorhabens „Mit dem Hamburger Budget für Arbeit aus der Werkstatt für Behinderte Menschen in die arbeitsmarktliche Inklusion“, dass die mit dem Programm gesetzten Ziele in einem sehr hohen Maße erreicht worden sind. Die quantitative Vorgabe von 100 Vermittelten (bis Jahresende 2014) ist mit Stand September annähernd realisiert (80). Die Aussagen der Vermittelten bestätigen die normativen Erwartungen, dass der Wechsel in den allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen der Programmkonditionen von der überwiegenden Mehrheit als deutliche Verbesserung in Richtung einer selbständigen Lebensführung erfahren wird. Auf Seiten der beteiligten Unternehmen treffen Programm wie Programmumsetzung auf eine außerordentlich hohe Akzeptanz; eine Bereitschaft zur weiteren Beteiligung an dem Programm erscheint aus Sicht der Unternehmen gewährleistet. Die Umsetzung des Programms ist durch die Kooperation der beteiligten Akteure sehr professionell geleistet worden. Im Zuge der Umsetzung hat sich die Kooperation der – organisationsstrukturell wie funktional sehr unterschiedlichen – Partner intensiviert; damit sind Voraussetzungen geschaffen, das Potenzial der Beschäftigungsmöglichkeiten für das Hamburger Budget für Arbeit in Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch stärker zu nutzen. Auch wenn in diesem Zusammenhang eine Öffnung der Zielgruppen (ggf. über den Werkstattstatus hinaus) erwogen werden sollte – das Hamburger Budget für Arbeit ist ein hochspezialisiertes und voraussetzungsreiches Angebot, kein im Rahmen von SGB XII/ SGB II flächendeckendes Programm.

Quelle

Thomas Mirbach; Katrin Triebl; Peer Gillner; Daniel Bode; Cornelia Enss; Christina Benning: Hamburger Budget für Arbeit. Erschienen in: impulse Nr. 73/2015, Seite 16–18.

bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.12.2017

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