Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 1/98. Thema: Integration in Italien Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (1/1998)
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Die Warnung vor der "italienischen Seuche" - vielen Integrationsbefürwortern noch in Erinnerung - ist zwar abgeklungen, die Hinweise auf schlechte Beispiele gibt es noch zur Genüge. Wir wollen in diesem Heft die Integration in Italien - mit ihren Stärken und Schwächen - aufzeigen.
Die Geschichte in Italien ist eine andere als in den deutschsprachigen Ländern. Während des italienischen Faschismus wurden keine behinderten Menschen ermordet und in Italien brauchen die Eltern seit über zwanzig Jahren nicht mehr für die Integration ihrer Kinder kämpfen.
Nicola Cuomo, der viele Verhältnisse auf den Punkt bringt, spricht von einer Intelligenzform, die Waffen und Konzentrationslager produziert und einer anderen, der positiven Intelligenz, die dem Zusammenleben der Menschen verpflichtet ist. Lebensfreude und Wißbegierde gehören angeregt und gefördert, weil sie tragende Säulen für Integration sind.
Was können wir von den italienischen Erfahrungen lernen? Zunächst bekommen wir durch eine Vielzahl von gelungenen Beispielen unzählige Anregungen. Der Beitrag von Michael Göhlich in diesem Heft über den reggianischen Ansatz öffnet eine Fundgrube von neuen Ansatzpunkten. Der in unseren Breiten häufig zugespitzte theoretische Diskurs wird dort praktisch umgesetzt: das Kind als Wirklichkeitskonstrukteur ersetzt die Wörter über Konstruktivismus, die Idealvorstellungen eines richtigen Bildes vom Kind werden durch die Bilder von Kindern erweitert, Ich-Bildung und überbetonte Selbstbestimmung wird untrennbar mit Wir-Bildung verbunden, die Förderung der verbalen Sprache geht nicht einher mit der Beraubung der "neunundneunzig" anderen Sprachen des Kindes, das Erziehungsprogramm wird zum gemeinsamen Projekt ausgeweitet, die Produktorientierung wird durch eine genaue Prozeßdokumentation gemildert, der Raum gilt als dritter Erzieher, der Kinder und Erzieherinnen unterstützt, Theorie und Praxis verbinden sich in der Fort- und Weiterbildung, die Gestaltung des Miteinander rückt in den Mittelpunkt.
Dies alles geht aber einher - und dies ist auch für uns von eminenter Bedeutung - mit einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeit und Unterstützung für Bildung. Wir dürfen diese Dimension nicht aus dem Auge verlieren. Das integrative Modell zeigt - für alle Kinder - einen gangbaren Weg auf.
Josef Fragner
Chefredakteur
Quelle:
Josef Fragner: Vorwort - Integration in Italien
Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 1/98; Reha Druck Graz
bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Stand: 19.04.2005