Solidarisches Handeln in demokratischen Betrieben

Illusion oder Realität?

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Schriftliche Version eines Vortrags auf der Internationalen Konferenz „Demokratie in Arbeit? Chancen demokratischer Teilhabe in einer flexibilisierten Arbeitswelt“, Museumsquartier Wien, 4. Okt. 2005.
Copyright: © Wolfgang Weber, Christine Unterrainer 2005

Abbildungsverzeichnis

    1. Einleitung: Ein Konzept der Solidarität

    Auch die politisch-ökonomische Entwicklung in Europa ist durch eine umfassende Radikalisierung der kapitalistischen Entwicklung gekennzeichnet (z.B. Afheld, 1997; Altvater & Mahnkopf, 1996; Weiss & Schmiederer, 2004). Die sog. „neoliberale“ Wirtschaftslehre gewinnt immer stärkeren Einfluss nicht nur auf die Leitziele und die Geschäftspraxis von Unternehmen, sondern auch auf Behörden, Bildungseinrichtungen, kulturelle Institutionen und das Sozialwesen. Dies bringt die folgenden Entwicklungen mit sich, die so ziemlich jeder im Alltag zu spüren bekommt:

    • Rückgang gewerblich-industrieller Tätigkeiten und Anwachsen der (stark heterogenen) Dienstleistungsarbeit

    • Ökonomisierung bis hin zur radikalen Vermarktlichung von Dienstleistungstätigkeiten aller Art in Verbindung mit raffinierten Sozialtechnologien (z.B. organisationsinterne Simulierung von Marktbedingungen, Ziel- und Leistungsvereinbarungen) sowie eine Ausweitung technisch gestützter Überwachung und Kontrolle (z.B. Informations- und Kommunikationstechniken mit differenzierten Monitoring- und Controllingfunktionen)

    • Teilprivatisierung bislang öffentlich oder kommunal getragener Dienste mit entsprechender Transformation des Beschäftigungsverhältnisses und der Organisationskultur

    • genereller Rückgang von unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen mit sozialem Sicherungsstandard

    • Zunahme des ambivalenten „Arbeitskraftunternehmertums“ (Voß & Pongratz 1998) und der Subjektivierung von Arbeit (Moldaschl, 2002), die gekennzeichnet sind durch das Spannungsverhältnis zwischen erzwungener Autonomie und Selbstverantwortung auf der einen Seite und einer hohen Gefahr für psychosoziale Beeinträchtigungen auf der anderen Seite

    Im Folgenden soll auf zwei Phänomene eingegangen werden, die vor dem Hintergrund dieser Radikalisierung der Wirtschaft nicht sehr zeitgemäß erscheinen und dabei jedoch einen strategischen Ansatzpunkt (unter anderen wichtigen Ansatzpunkten) bilden können, dieser - sowohl im globalen als auch im nationalen und regionalen Maßstab - die Demokratie und das Sozialsystem gefährdenden Entwicklung entgegenzuwirken:

    • Solidarisches Handeln und

    • Demokratie in der Wirtschaft, d.h., Mitbestimmung und Miteignerschaft der Beschäftigten in den Unternehmen

    Im hier vorgestellten Forschungsvorhaben werden programmatische Aussagen Gedanken aus dem >node<-Forschungsprogramm (siehe www.node-research.at) des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur aufgegriffen, im Rahmen von welchem unser Projekt gefördert wird: In den Leitlinien des >node<-Kernbereichs „Demokratie in der wissensbasierten Arbeitsgesellschaft“ findet sich das Statement, soziale Rechte und politische Rechte seien an Erwerbsarbeit gebunden. Dies lässt sich vor dem Hintergrund der Demokratieforschung in Organisationen und auch bezüglich der psychologischen Erforschung der Erwerbsarbeitslosigkeit gut belegen (siehe z.B. Heller et al., 1998):

    • Arbeitsbedingungen tragen nicht nur zur sozialen Integration außerhalb der Arbeit bei.

    • Sie können auch einen Beitrag zur sozialen Integration in der Arbeit leisten, nämlich durch Gelegenheiten, demokratische Mitentscheidung in diesem zentralen Lebensbereich zu praktizieren.

    Entsprechend lautet die Haupthypothese des von unserer Seite durchgeführten Forschungsprojekt ODEM (siehe Forschungsprojekt ODEM, 2004; Schmid et al., 2005): Falls die betriebliche Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen demokratische Mitwirkung und Mitbestimmung der in diesen Unternehmen Beschäftigten in substantiellem Ausmaß ermöglichen, entstehen besondere Gelegenheiten für die Arbeitenden, solidarische Handlungsbereitschaften hohen Niveaus auszubilden. Solidarisches Handeln erstreckt sich dann nicht nur auf den eigenen Arbeitsbereich, sondern bewegt sich auch auf der Ebene des gesellschaftlich verantwortlichen Handelns. Somit können Wirtschaftsunternehmen durch entsprechende strukturell verankerte Sozialisationsgelegenheiten dazu beitragen, den inneren Zusammenhalt demokratischer Gesellschaften zu verteidigen und zu fördern.

    Vorstellungen von Solidarität in der Arbeitswelt und auch der Begriff der Solidarität entwickelten sich besonders ab dem 19. Jahrhundert im Zuge der radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen im Zusammenhang mit der sog. industriellen Revolution in sehr unterschiedlichen politischen Kontexten:

    • ArbeiterInnenbewegung: Gewerkschaften, Arbeiter- und Angestelltenkammern, sozialdemokratische, humanistisch-sozialistische und kommunistische Parteien und Hilfsorganisationen

    • Christliche Soziallehre und entsprechende Organisationen

    • Genossenschaftsbewegung (z.B. in den Statuten aller Genossenschaftsverbände, wie z.B. Raiffeisenorganisation, ÖGB „Schultze-Delitzsch“, besonders deutlich im Internationalen Genossenschaftsbund /International Cooperative Alliance)

    • internationale Institutionen (z.B. International Labour Organisation der U.N.)

    • Bürgerrechtsinitiativen (z.B. attac, Fair Trade, Ethical Trade Initiative)

    • demokratische und sozial verantwortliche Unternehmungen (z.B. 3. Welt-Läden; Body Shop)

    Angesichts einer solchen Vielfalt solidarischer Organisationen fällt es schwer, „Solidarität“ allgemeingültig und exakt zu definieren. Dies kann im Rahmen dieses Beitrags auch nicht geleistet werden. Vielmehr soll hier in Kürze ein Begriff von solidarischem Handeln und damit verbundenen Handlungsweisen vorgestellt werden, die wir im Forschungsprojekt ODEM in Österreich und zwei angrenzenden Staaten untersuchen.

    Solidarität im Bereich von Arbeit und Wirtschaft bedeutet unserem Konzept gemäß

    • die Bereitschaft (und deren Umsetzung in Taten) einer Gruppe von Menschen als Solidargemeinschaft sich a) gegenseitig oder b) andere zu unterstützen, zu helfen oder zu fördern,

    • was eine individuelle Fähigkeit der Perspektivenverschränkung voraussetzt (in die Lage des Anderen versetzen, Mitgefühl);

    • diese Unterstützung ist in erster Linie nicht nur durch ein individuelles, egoistisches Interesse bzw. durch die individuelle Erwartung kurzfristiger Reziprozität der solidarisch Handelnden motiviert (ansonsten droht jeweils ein kurzfristiger Ausstieg aus der Solidargemeinschaft);

    • den Hintergrund der Unterstützung bilden eine Notsituation, Bedrohung oder die Bedürftigkeit anderer sowie gemeinsame Werte, Ziele, Interessen (i.w.S. humanistische / vernunftethische Basis: Verteidigung bzw. Herstellung von Gerechtigkeit, verantwortlicher Freiheit, Demokratie);

    • Die Unterstützung geschieht direkt oder vermittelt in einem Verbund (der Solidargemeinschaft)

    • (auch) mit langfristiger Zeitperspektive

    • und (auch) für weit entfernt betroffene Menschen (z.B. Streik, Spendenaktion)

    Die Perspektive der Solidarität kann unterschiedlich weit sein:

    • Organisation, Unternehmen und seine Stakeholder

    • interorganisationales Netzwerk (z.B. Gewerkschaft, Genossenschaftsverband)

    • Gemeinwesen (z.B. Beschäftigungssicherung in einer Region)

    • Volkswirtschaft (z.B. Verteidigung sozial-regulierter Marktwirtschaft und ihres Sicherungssystems

    • weltweite Belange (z.B. Kampf für menschenwürdige Arbeitsbedingungen; ökologisch und sozial verträglicher Welthandel).

    Solidarisches Handeln geschieht häufig auch gegenüber Menschen, die man gar nicht kennt, die jedoch von den Folgen des eigenen Handelns betroffen sind, auch wenn sie weit entfernt vom solidarisch Handelnden leben oder erst in der fernen Zukunft von seinem Handeln betroffen sind. Für solidarisches Handeln ist die Erwartung, dass es, längerfristig und systemisch betrachtet, auf Gegenseitigkeit beruht, zwar typisch. Es kann aber auch altruistisch, aus Solidarität mit der Menschheit bzw. unterdrückten Personengruppen erfolgen, ohne dass vom Gebenden eine spätere Gegenleistung erhofft wird (Münkner, 1996; zwischen diesen beiden Fällen unterscheiden einige gängige Definitionen, siehe Höffe, 2002).

    Beispiele für solidarisches oder unsolidarisches Alltagshandeln bilden neben dem aktiven Engagement von Beschäftigten für betriebliche und überbetriebliche (z.B. Streikteilnahme trotz Drohung der Kapitaleigner) gewerkschaftliche oder soziale Belange (z.B. Arbeit für einen gemeinnützigen Hilfsdienst) somit auch

    • der Umgang mit Energieressourcen oder umweltzerstörerischen Chemikalien (incl. Treibgasen);

    • das Konsumverhalten (z.B. Kaufentscheidungen zum Schutz des tropischen Regenwalds, Boykott von Textilherstellern, deren Zulieferfirmen unter menschenunwürdigen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen produzieren lassen);

    • Strategien der Vermögensbildung (Anlageformen und Investments mit ihren regionalen, nationalen oder weltweiten Nebenwirkungen; z.B. wenn jemand Kapital für seine Region arbeitsplatzwirksam anlegt, z.B. bei regional engagierten Genossenschaftsbanken bzw. wenn er mittels Beitrag zu einem Ethikfonds moralisch beispielhafte Firmen unterstützt).

    Mit dem Ideal der Solidarität steht die menschliche Fähigkeit und eine daraus ableitbare ethische Verpflichtung in Zusammenhang, bei der Planung und Ausführung des eigenen Handelns stets zu bedenken, ob durch die beabsichtigten Handlungen

    • existentielle Bedürfnisse (z.B. Lebensgrundbedürfnisse, Menschenrechte, Erhalt der für Lebewesen notwendigen Umwelt)

    • oder andere legitime Ansprüche (z.B. Bürgerrechte, Menschenwürde, Anerkennung) anderer Menschen unzumutbar eingeschränkt werden

    (siehe hierzu z.B. Peter Ulrich’s Konzeptualisierung einer integrativen Wirtschaftsethik [1997] oder als Exempel statuierende Umsetzung Anita Roddick’s Body Shop [2001]).

    2. Demokratische Unternehmen: eine Illusion?

    Am Ausgangspunkt der produktivgenossenschaftlichen Initiativen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Ländern bildeten, stand die Idee einer solidarischen und demokratischen Wirtschaftsweise. Solidarität innerhalb und zwischen den Genossenschaften sollte eine Alternative zur autoritären industriellen Herrschaft und zur permanenten Existenzunsicherheit in herkömmlichen kapitalistischen Unternehmen bieten (Gubitzer, 1989; Peters, 1980). Die Erfolge solcher arbeitereigener Unternehmungen hielten sich allerdings in recht engen Grenzen und ihre Verbreitung erfolgte - im Gegensatz zu Konsumgenossenschaften - nur mäßig. Ihre Streuung weist bis heute starke nationale Unterschiede auf. Beispielsweise finden sich vergleichsweise viele Produktivgenossenschaften i.e.S. in Spanien (darunter das riesige Produktiv-genossenschaftsnetz Montragon CC im spanischen Baskenland mit Zehntausenden von ArbeiterInneneigentümern), Italien und Frankreich, wenige hingegen in Österreich oder Deutschland. Ist Demokratie in Unternehmen und damit solidarisches Handeln im Sinne kollektiver Eignerschaft überhaupt Realität?

    Prominente Genossenschaftsforscher und Politikwissenschafter waren schon früh der Ansicht, dass es sich um eine Illusion handle.

    Der sozialdemokratische deutsche Genossenschaftstheoretiker Franz Oppenheimer (Instabilitäts - und Transformationsthese, 1896; siehe hierzu ausführlich: Flieger, 1997) sowie die Gründer der demokratisch-sozialistischen englischen Fabian Society und gleichzeitig Theoretiker und Mitgründer der Labour Party Sidney und Beatrice Webb (Degenerationsthese, 1897) behaupteten:

    Demokratische Genossenschaften bzw. sonstige demokratische Unternehmen

    • scheitern im Verlauf ihrer Entwicklung aufgrund der effektiveren kapitalistischen Konkurrenzunternehmen in derselben Branche oder

    • im Falle des wirtschaftlichen Erfolgs expandieren sie, geben ihre demokratischen und solidarischen Prinzipien nach und nach auf, wandeln sich in hierarchisch strukturierte Kapitalgesellschaften um und gleichen sich somit den kapitalistischen Unternehmen an.

    • „Nur äußerst selten gelangt eine Produktionsgenossenschaft zur Blüte. Wo sie aber zur Blüte gelangt, hört sie auf, eine Produktivgenossenschaft zu sein“ (Oppenheimer, 1896, S.45). Im Zusammenhang mit diesen Thesen entstand international, so auch in Österreich, eine bis heute anhaltende Diskussion über den Sinn und über die Gefahren von Unternehmen in Arbeiterhand (z.B. Produktivgenossenschaften, Belegschafts-übernahmen, selbstverwaltete Kollektivunternehmen) sowohl in der Wissenschaft als auch in der Arbeiterbewegung.

    Demokratisch verfasste Unternehmen in Belegschaftsbesitz werden beispielsweise mit folgenden Argumenten befürwortet:

    • Befreiung aus der industriellen Knechtschaft;

    • Verwirklichung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und demokratischer Werte;

    • vergleichsweise höhere Beschäftigungssicherheit, weil nicht Profitmaximierungsinteresse, sondern das Interesse der ArbeitnehmerInnen die strategische Unternehmenspolitik bestimmt;

    • solidarische Alternative des (Wieder-/) Eintritts in das Erwerbsleben gegenüber nahezu schutzlosen „Ich-AGs“ und „Arbeitskraftunternehmertum“;

    • im Vergleich zu privatkapitalistischen Neugründungen wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit, in der Aufbauphase zu scheitern (in Österreich scheitern weniger als 10% der demokratischen Unternehmen gegenüber 50% herkömmlichen Unternehmen innerhalb der ersten drei Jahre gemäß Feiler, 1988; ähnliche Resultate eines solchen Vergleichs für Deutschland nennen Heider et al., 1997).

    Folgende Gegenargumente werden vorgetragen:

    • Durch Einbindung in den kapitalistischen Markt schlägt die industrielle Herrschaft trotzdem auf die Belegschaften demokratischer Unternehmen durch (z.B. Unterlaufen von ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen; „Selbstausbeutung“; Einstellung von Lohn-arbeiterInnen, um Auftragsschwankungen abzufangen);

    • Abkopplung der (gewählten) Vorstände bzw. Geschäftsleitungen von den Interessen der GenossenschafterInnen bzw. GesellschafterInnen;

    • ArbeitnehmerInnen gehen erhebliches finanzielles Risiko ein (chronische Unter-kapitalisierung, auf aufgrund des Desinteresses oder der Gegnerschaft von potentiellen Kreditgebern und Investoren);

    • das System der Sozialpartnerschaft und die Funktion der Gewerkschaften als starkes Gegengewicht zur Kapitalmacht werden ausgehöhlt (z.B. Unterlaufen von Kollektivverträgen).

    Weder in Österreich noch in anderen deutschsprachigen Staaten finden sich bislang Gesamterhebungen, welche Auskunft über die genaue Anzahl und die Verteilung der Arten von demokratischen Unternehmen geben könnten. Nach verschiedenen Schätzungen existierten in den 90-er-Jahren im Westteil der Bundesrepublik Deutschland zwischen 3000 und 12000 selbstverwaltete Unternehmen mit einer durchschnittlichen Anzahl von sieben bis neun Beschäftigten (Heider et al., 1997) sowie ca. 400 ostdeutsche Produktiv-genossenschaften (Müller & Sander, 1994). Die Zahl der selbstverwalteten Unternehmen in Belegschaftsbesitz wurde Ende der 80-er-Jahre für Österreich auf immerhin etwa 70 veranschlagt (Feiler, 1988).

    In Bezug auf die österreichischen selbstverwalteten Unternehmen finden sich insbesondere in den 80-er-Jahren einerseits befürwortende Stellungnahmen, beispielsweise in Veröffentlichungen der Österreichischen Studien- und Beratungsgesellschaft (ÖSB, siehe Bundesministerium für soziale Verwaltung, 1983), welche zum Zweck der Beratung von demokratischen Unternehmen in ArbeitnehmerInnenhand gegründet worden war. Auch von anwendungsorientierten ForscherInnen wurden österreichische Selbstverwaltungs-unternehmen unterstützt (z.B. Gubitzer, 1989; Schneider & Laske, 1985). Ein Teil der Arbeiter- und Angestelltenkammern (z.B. die AK Tirol im Falle der Übernahme der MID Imst durch die Belegschaft, siehe Bundesministerium für soziale Verwaltung, 1983 sowie Feiler, 1988) unterstützte die Gründung selbstverwalteter Unternehmen. Ein anderer Teil verhält sich unter Bezug auf oben genannte Argumente indifferent bzw. skeptisch bis ablehnend, ähnlich wie große Teile der Gewerkschaftsführungen und manche Arbeits- und OrganisationswissenschaftlerInnen (siehe hierzu die Überblicke zum Disput um belegschaftseigene Unternehmen von Cerny, 1988; Gubitzer, 1989; Hofmann et al., 1993; Weissel, 1983).

    3. Formen und Merkmale demokratischer Unternehmen

    Die verschiedenen Formen demokratischer Unternehmen unterscheiden sich u.a. hinsichtlich der Reichweite der demokratisch getroffenen Entscheidungen, der Art der Mitentscheidungsmöglichkeiten (z.B. basisdemokratisches Plenum vs. Repräsentatives Mitbestimmungsorgan) sowie bezüglich des Ausmaßes der Kapitalbeteiligung der Beschäftigten. Unter anderem können folgende Unternehmenstypen unterschieden werden (siehe ausführlicher bei Weber, 1997):

    1. Produktivgenossenschaften

      Für Produktivgenossenschaften ist charakteristisch, dass sie in Besitz eines Teils der in ihnen arbeitenden GenossenschafterInnen sind und daneben auch Angestellte ohne GenossenschafterInnenstatus beschäftigt werden (eingeschränktes Identitätsprinzip). Auf der jährlichen Generalversammlung wählen bzw. bestätigen die GenossenschafterInnen den Vorstand/Obmann, den Aufsichtsrat und entscheiden über zentrale strategische Angelegenheiten, wie z.B. den Unternehmenshaushalt. Viele andere strategische und taktische Angelegenheiten werden im laufenden Jahr jedoch durch Vorstand und Geschäftsführung getroffen (begrenztes Demokratieprinzip). Der wirtschaftliche Zweck von Produktivgenossenschaften besteht vorrangig in der Erwerbsicherung für die GenossenschafterInnen (Subsistenzprinzip) und nicht primär in der Profitmaximierung (siehe ausführlich: Flieger, 1997).

    2. Demokratische Reformunternehmen

      Bei demokratischen Reformunternehmen handelt es sich in der Regel um mittelständische Firmen, die ihren Beschäftigten Mitentscheidungsmöglichkeiten auch auf unternehmensstrategischer und -taktischer Ebene über den gesetzlich vorgeschriebenen Umfang hinaus gewähren, z.B. wird die Geschäftsleitung demokratisch kontrolliert bzw. werden Vorgesetzte mit von MitarbeiterInnen ausgewählt und die Beschäftigten sind an unternehmerischen Entscheidungen beteiligt, entweder indirekt durch über- bzw. paritätisch besetzte Wirtschaftsausschüsse, Beiräte etc. oder direkt durch die Gesellschafter-versammlung. Außerdem bestehen für die Beschäftigten Möglichkeiten einer substantiellen Beteiligung am Unternehmenskapital bzw. am Unternehmenserfolg.

    3. Selbstverwaltete Unternehmen in Belegschaftsbesitz

      In diesen klein- und mittelständischen Unternehmen besteht der Anspruch, dass die Beschäftigten direkt über strategische und taktische Ziele mitbestimmen bzw. diese Ziele sogar selbst festlegen. Folgendes ist dabei charakteristisch:

      • Identitätsprinzip und Kapitalneutralität: Kollektives Produktiveigentum, das heißt, es besteht eine Identität von EignerInnen und MitarbeiterInnen;

      • Demokratieprinzip: Gleichberechtigte Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme aller Mitglieder für Herstellungsprozesse und organisationale Entscheidungen, dezentralisiertes Management;

      • Subsistenzprinzip: Die Erträge dienen primär als soziale Sicherung anstelle der Vermögensanhäufung, Bedarfsdeckung anstelle Gewinnmaximierung;

      • Solidaritätsprinzip: Gegenseitige Hilfe, Ausgleich und Wissensförderung unter den Mitgliedern;

      • gemeinschaftliche Reinvestierung eventueller Gewinne als Produktivkapital sowie für soziale und Bildungszwecke, u.U. egalitäre Gewinnbeteiligung;

      • Aufhebung der Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit (durch Job Rotation, Job Enrichment oder teilautonome Arbeitsgruppen).

    4. Das Forschungsprojekt ODEM

    Im Forschungsprojekt ODEM (Organisationale Demokratie – Ressourcen für soziale, demokratieförderliche Handlungsbereitschaften) untersuchen wir anhand von selbstverwalteten bzw. basisdemokratisch organisierten und genossenschaftlichen Unternehmen, den sozialisatorischen Einfluss von demokratischen Organisationsstruktur- und Funktionsprinzipien auf prosoziale Handlungsbereitschaften, auf gemeinwesenbezogene, demokratieförderliche Wertorientierungen und auf das organisationale Commitment der Beschäftigten.

    Das heißt die konkrete Fragestellung lautet, ob demokratische Organisationsstrukturen und eine sozial-moralische Atmosphäre in Unternehmen die Entwicklung von

    • prosozialen Handlungsbereitschaften

    • gemeinwesenbezogenen Wertorientierungen und

    • organisationalem Commitment

    der MitarbeiterInnen unterstützen.

    Abbildung 1. Abbildung 1: ODEM Modell-Übersicht

    Die Grafik zeigt durch Pfeile positive Einflüsse von Organisation und
                  Atmosphäre auf Handlungsbereitschaften auf.

    Die Untersuchung wurde mittels Fragebogen durchgeführt. Für die Erhebung der Organisationsstrukturmerkmale setzten wir einen eigens von W. G. Weber (ODS – Organisationale Demokratie Strukturmerkmale) entwickelten Verfahrensteil ein, der im Wesentlichen auf den internationalen Vorgängerstudien der Industrial Democracy Research Group und weiteren empirischen Erhebungen (IDE International Research Group, 1981, 1992; Bartölke et al., 1985; Wilpert & Rayley, 1984; Heller et al., 1988) beruht. Der organisationale Demokratiegrad wurde dabei über die Ausprägung direkter und indirekter Mitwirkungs- bzw. Mitbestimmungsmöglichkeiten der MitarbeiterInnen anhand wiederholt vorkommender Entscheidungen im betrieblichen Geschehen ermittelt. Solche Entscheidungen betreffen sowohl operative (d. h. kurzfristige, alltagsstrukturierende) als auch taktische (mittelfristige, organisationsstrukturierende) und strategische (langfristige, unternehmerische) Bereiche.

    Neben den Organisationsstrukturmerkmalen haben wir als zweite unabhängige Variable, die „sozial-moralische Atmosphäre“ erhoben. Dabei bezogen wir uns auf die von Hoff und Lempert und Lempert und Corsten (Hoff et al.; 1991, Lempert, 1993; Lempert &Corsten, 1997) konstatierten fünf soziomoralischen Anregungspotenziale sozialer Arbeitssituationen, welche die Autoren als förderliche Aspekte für die moralische Urteilsentwicklung in Längsschnittuntersuchungen nachweisen konnten. Diese sozialen Anregungspotentiale der beruflichen Sozialisation umfassen

    1. eine offene Konfrontation mit sozialen Problemen und Konflikten

    2. eine zuverlässig gewährte Wertschätzung, Zuwendung und Unterstützung

    3. die Gelegenheit zur zwanglosen Kommunikation und

    4. beteiligungsorientierten Zusammenarbeit sowie

    5. eine angemessene Zuweisung von Verantwortung.

    Aufgrund eines mangelnden Fragebogeninstruments zu diesen Merkmalsbereichen entwickelten wir ein eigenes screeningartiges Verfahren (16 Items).

    Auf der Seite der abhängigen Variablen ermittelten wir ebenfalls mittels Fragebogen die prosozialen Handlungsbereitschaften. Wir verwendeten – in von uns adaptierter Form – Skalen zu prosozialem Arbeitshandeln (von Staufenbiehl und Hartz, 2000 die beiden OCB-Dimensionen Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme), zur Perspektivenübernahme und Empathie (Holz-Ebling & Steinmetz, 1995) sowie zur solidarischen Hilfeleistung am Arbeitsplatz (von Flodell, 2004).

    Die Gemeinwesenbezogene Wertorientierungen erhoben wir – ebenfalls in adaptierter Form – mit Skalen zur sozialen Verantwortung (nach Bierhoff, 2000), zu humanistisch-egalitären Ethikvorstellungen (nach Doll & Dick, 2000), zu demokratischen Orientierungen (Bibouche, 2003) und zur erlebten Selbstwirksamkeit hinsichtlich der Bewahrung und Schaffung einer gerechten Welt (nach Mohiyeddini & Montada, 1996).

    Allgemein kann man sagen, dass die prosozialen Handlungsbereitschaften stärker jene Motive und Kompetenzen im Blick haben, die die direkte Interaktion betreffen, während die gemeinwesenbezogenen Wertorientierungen sich stärker auf soziales Verantwortungs-bewusstsein und auf Einstellungen beziehen, die gemeinschaftliche und gesamtgesell-schaftliche Leitprinzipien wie Freiheit, Mitbestimmung, Toleranz, Gerechtigkeit und soziale Sicherung im Blick haben.

    Als dritte abhängige Variable haben wir das Organisationale Commitment (die deutsche Übersetzung von Felfe et al, 2004) mit erhoben. Das Commitment nimmt in diesem Fall eine Sonderstellung ein, da es genuin nicht als demokratieförderlich bezeichnet werden kann. Es ist aber natürlich wünschenswert, dass in Unternehmen mit hoher demokratischer Beteiligung ein hohes affektives Commitment – und damit eine starke Identifikation mit den Zielen des Unternehmens – verbunden ist.

    Abbildung 2. Abbildung 2: Das ODEM-Modell

    Kriterienkatalog

    Im Folgenden werden einige erste Ergebnisse unserer empirischen Studie vorgestellt. In die Ergebnisse aufgenommen wurden bis jetzt die Daten von 343 TeilnehmerInnen aus 23 unterschiedlichen Betrieben aus Österreich, Süddeutschland und Norditalien (Südtirol):

    Vergleicht man die verschiedenen Unternehmenstypen hinsichtlich ihres Partizipationsgrades, so zeigt sich im Durchschnitt betrachtet, dass in unserer Stichprobe die MitarbeiterInnen in Genossenschaftsunternehmen am wenigsten zum Mitentscheiden haben (sie liegen im Bereich zwischen Informationsrecht und Anhörung). Die MitarbeiterInnen in Reformunternehmen gelangen hingegen bereits zur Stufe 3 „Anhörung“ und die MitarbeiterInnen in selbstverwalteten Betrieben erreichen durchschnittlich sogar Stufe 4 („Mitwirkung“), auf der bereits von Organisationaler Demokratie gesprochen werden kann.

    Betrachtet man die einzelnen Entscheidungsbereiche, so zeigt sich, dass die MitarbeiterInnen in selbstverwalteten Betrieben sowohl an alltäglichen wie auch an mittelfristigen und langfristigen Entscheidungen maßgeblich beteiligt sind. Auch die MitarbeiterInnnen in demokratischen Reformunternehmen sind noch an Unternehmensentscheidungen beteiligt. Es fällt allerdings auf, dass ihre Beteiligung an mittelfristigen (taktischen) und langfristigen (strategischen) Entscheidungen um einiges geringer ist als in den selbstverwalteten Betrieben. Bei den Genossenschaftsunternehmen ist dieser Effekt noch besser ersichtlich. Die GenossenschafterInnen liegen bei den operativen – also bei den alltäglichen – Entscheidungen im mittleren Bereich der Mitbestimmung, während sie bei mittelfristigen und langfristigen Entscheidungen deutlich darunter liegen und angeben, über Entscheidungen kaum mehr als informiert zu werden. Eine mögliche Ursache könnte darin liegen, dass das Prinzip der Produktivgenossenschaften „one person – one vote“ nur einmal jährlich – bei der Jahreshauptversammlung – praktiziert und somit nur selten an die GenossenschafterInnen vermittelt wird. Diese nur einmalige, jährliche Erfahrung von substanzieller Mitbestimmung wird möglicherweise nicht ausreichen, um in den MitarbeiterInnen dauerhaft das Gefühl, mitbestimmen zu können, zu verankern. Diese Praxis dürfte für das geringe Niveau des Demokratiegrades, welchen die GenossenschafterInnen bei der Befragung angaben, verantwortlich sein.

    Abbildung 3. Abbildung 3: Organisationsstrukturmerkmale / Mitentscheidung (Mittelwerte)

    Balkendiagramm

    Hinsichtlich der Überprüfung der im ODEM-Modell enthaltenen Zusammenhangs-hypothesen wurden Zusammenhänge zwischen der Mitbestimmung – über demokratische Organisationsmerkmale – und den sozialen, demokratieförderlichen Handlungsbereitschaften – Solidarität im weitesten Sinne – berechnet. Zusätzlich wurden auch mögliche Zusammenhänge zwischen der sozial-moralischen Atmosphäre – als Bestandteil der praktizierten Unternehmenskultur – und der Solidarität im gerade beschriebenen weitesten Sinne untersucht.

    Wirft man einen Blick auf die Zusammenhangsberechnungen, so lässt sich konstatieren, dass sich statistisch abgesicherte Zusammenhänge zwischen den Organisationsstrukturen und den sozialen, demokratieförderlichen Handlungsbereitschaften nachweisen lassen. Die Pearson-Korrelationskoeffizienten liegen im Bereich zwischen 0,239 und 0,487.

    Dabei ist zu erläutern, dass dieser Koeffizient die Stärke des Zusammenhanges zwischen jeweils zwei Merkmalen angibt und zwischen 0 und 1 variieren kann. 0 bedeutet dabei überhaupt kein linearer Zusammenhang und 1 bedeutet einen perfekten linearen Zusammenhang. Die Beträge der von uns aufgefundenen Zusammenhänge scheinen auf den ersten Blick in einigen Fällen nicht besonders hoch zu sein (z.B. 0,239), für arbeits- und organisationspsychologische Verhältnisse sind diese Koeffizienten jedoch sehr zufrieden stellend und weisen auf einen relativ starken linearen Zusammenhang hin.

    Die Ergebnisse lassen sich so interpretieren, dass stark ausgeprägte demokratische Organisationsstrukturen in Betrieben tendenziell mit einem verstärkten Hilfeverhalten und mit einer höheren Solidarität am Arbeitsplatz einhergehen. Weiters können wir festhalten, dass stark ausgeprägte demokratische Organisationsstrukturen mit höher ausgeprägtem humanistischen Ethikbewusstsein, mit einer höheren sozialen Verantwortungsbereitschaft, mit einem stärkeren demokratischen und gesellschaftlichen Engagement und mit einer verstärkten gefühlsmäßigen Bindung an den jeweiligen Betrieb (affective organizational commitment) zusammen hängen.

    Dies bedeutet anders ausgedrückt:Je demokratischer die Organisationsstrukturen in einem Unternehmen sind,

    • umso bereiter sind die MitarbeiterInnen, hilfsbereit, solidarisch und gesellschaftlich verantwortlich zu handeln,

    • umso stärker tendiert das Ethikbewusstsein der MitarbeiterInnen in Richtung humanistischer Wertorientierungen,

    • umso stärker ist deren Bereitschaft zum demokratischen und gesellschaftlichen Engagement,

    • umso stärker ist die gefühlsmäßige Bindung der MitarbeiterInnen an den Betrieb.

    Abbildung 4. Abbildung 4: Zusammenhänge zwischen demokratischen Organisationsstrukturen und sozialen, demokratieförderlichen Handlungsbereitschaften.

    Grafik zu Starke demokratische Organisationsstrukturen

    Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient (2seitig); *Korr. auf dem Niveau von 5% signifikant; **Korr. auf dem Niveau von 1% signifikant; ***Korr. auf dem Niveau von 0,1% signifikant

    Als zweiten Wirkfaktor haben wir eine wertschätzenden Unternehmenskultur – also eine sozial-moralische Atmosphäre – in Hinblick auf ihren Zusammenhang mit den sozialen demokratieförderlichen Handlungsbereitschaften – wiederum der „Solidarität“ im weiteren Sinne – untersucht. Auch hier zeigen sich statistisch abgesicherte Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bereichen. So weist eine wertschätzende Unternehmenskultur ebenfalls auf verstärktes Hilfeverhalten und eine höhere Solidarität am Arbeitsplatz hin. Eine wertschätzende Unternehmenskultur geht einher mit einem höheren humanistischen Ethikbewusstsein, einer stärkeren sozialen Verantwortungsbereitschaft und einem ausgeprägteren demokratischen und gesellschaftlichen Engagement. Besonders hoch ist der Zusammenhang zwischen der wertschätzenden Unternehmenskultur und der gefühlsmäßigen Bindung an den Betrieb (siehe den Korrelationskoeffizient von 0,634).

    Diese Ergebnisse wiederum zusammengefasst besagen:Je stärker eine wertschätzende, sozialmoralisch niveauvolle Unternehmenskultur von den MitarbeiterInnen wahrgenommen wird,

    • umso solidarischer und sozial verantwortlicher handeln sie,

    • umso stärker ist das humanistische Ethikbewusstsein der MitarbeiterInnen,

    • umso stärker ist ihre Bereitschaft für demokratisches und gesellschaftliches Engagement,

    • umso stärker ist ihre gefühlsmäßige Bindung an den bzw. die Identifikation mit dem Betrieb.

    Abbildung 5. Abbildung 5: Zusammenhänge zwischen einer wertschätzenden Unternehmenskultur und sozialen, demokratieförderlichen Handlungsbereitschaften.

    Grafik zu Wertschätzender Unternehmenskultur

    Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient (2seitig); *Korr. auf dem Niveau von 5% signifikant; **Korr. auf dem Niveau von 1% signifikant; ***Korr. auf dem Niveau von 0,1% signifikant

    Gegenwärtig erfolgt eine methodisch noch strengere Überprüfung des Zusammenhangsmodells auf Basis multipler Regressionsanalysen sowie der Anwendung linearer Strukturgleichungsmodelle.

    Einschränkend ist aus methodischer Sicht zweierlei anzumerken:

    1. Dass die aufgefundenen Zusammenhänge tatsächlich auf einen kausalen anteiligen Einfluss des Ausmaßes an Organisationaler Demokratie zurückgehen und somit Sozialisationseffekte repräsentieren, ist zwar auf Basis vorliegender Längsschnittuntersuchungen über andere Zusammenhänge zwischen Organisationsstrukturmerkmalen und Wertorientierungen sehr wahrscheinlich (siehe den Überblick von Ulich, 2005). Dies kann aber im Rahmen einer Querschnittuntersuchung wie der unsrigen jedoch nicht streng bewiesen werden. Hierzu wäre eben ein aufwändiges Längsschnittdesign erforderlich.

    2. Die hier berichteten Ergebnisse beruhen auf einer Fragebogenstudie. Dies bedeutet, die ausgewerteten Daten beruhen auf Selbsteinschätzungen der Befragten und repräsentieren somit verbalisierte Wertorientierungen und Handlungsbereitschaften, nicht jedoch tatsächlich beobachtete Handlungen der UntersuchungsteilnehmerInnen.

    Als Fazit lässt sich vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse festhalten, dass solidarisches Handeln – vor allem in Kombination mit einer wertschätzenden Unternehmenskultur (ausgeprägte sozial-moralische Atmosphäre) – in demokratischen Unternehmen eine Realität und keine Illusion darstellt und, dass Unternehmen somit sehr wohl zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen können. Die Hypothese, dass eine radikale Transformation von demokratischen Unternehmen längerfristig betrachtet zwangsläufig erfolge, kann vor dem Hintergrund nicht nur unserer Untersuchung, sondern auch von anderen Studien in den deutschsprachigen Ländern (z.B. Flieger, 1997; Heider et al., 1997), sondern auch im internationalen Raum (z.B. Cornforth, 1995; Strauss, 1998) in ihrer deterministischen Form als widerlegt gelten. Vielmehr zeichnet sich eine vielfältige Entwicklung von Erfolgen und Problemen demokratischer Unternehmen ab. Erfolg oder Probleme hängen sowohl von betriebsinternen Handlungsweisen als auch von mannigfachen Kontextmerkmalen ab.

    Literatur

    Afheld, H. (1997). Wohlstand für Niemand? Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

    Allen, C. L., & Meyer, J. P. (1990). The measurement and antecedents of affective, continuance, and normative commitment to the organization. Journal of Occupational Psychology, 63, 1-18.

    Altvater, E. & Mahnkopf, B. (1996). Grenzen der Globalisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot.

    Bartölke K., Eschweiler, W., Flechsenberger, D., Palgi, M. & Rosner, M. (1985). Participation and Control. Spardorf: Wilfer.

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    Quelle

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    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 12.02.2016

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