Behindernde Hilfe oder Selbstbestimmung der Behinderten

Neue Wege gemeindenaher Hilfen zum selbständigen Leben

Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Kongressbericht der internationalen Tagung: "Leben, Lernen, Arbeiten in der Gemeinschaft" München 24. - 26. März 1982
Copyright: © Vereinigung Integrationsförderung e.V.(VIF) München 1999

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Printausgabe

Gemeindenahe, ambulante Konzepte der Hilfe und Pflege für behinderte Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland noch sehr wenig bekannt und kaum praktiziert. Noch immer glauben Politiker, Sozialbehörden, Fachleute und oft genug auch Betroffene selbst, daß behinderte Menschen nur in speziell auf Ihre Bedürfnisse ausgerichteten Sondereinrichtungen leben, lernen und arbeiten könnten. Nur dort sei eine optimale Versorgung und Förderung möglich.

Daß diese besondere Fürsorge oft genug um den Preis der Aussonderung des behinderten Menschen aus dem alltäglichen Leben der Gemeinschaft erkauft ist, wird meist übersehen oder für unvermeidbar gehalten. Die Behauptung gar, daß die Gesellschaft solche Institutionen auch errichtet, um behinderte Menschen ruhigen Gewissens dorthin abschieben zu können, wo sie niemand mehr sieht, weist man als böswillige Unterstellung zurück. Behinderte, so scheint es, brauchen Sondereinrichtungen, und wenn sie sich dort ausgesondert fühlen, so ist das eben der Preis der Hilfsbedürftigkeit.

"Behindert ist, wer Hilfe braucht", so hatte die Vereinigung Integrations-Förderung (VIF) ihre 1981 erschienene Broschüre genannt, und hinter diesem Titel steht eine wichtige Überlegung zu der Frage: "Was eigentlich ist Behinderung?" - Der verbreiteten Auffassung zufolge ist Behinderung zunächst etwas Individuelles: demnach ist behindert, wer durch eine körperliche, geistige oder seelische Einschränkung in bestimmten Lebensvollzügen beeinträchtigt ist. Weil ihn diese Einschränkung aber u. U. abhängig macht von fremder Hilfe, wird für die Gesamtsituation "Behinderung" eine soziale Komponente ausschlaggebend: Behindert ist, wem die erforderliche Hilfe vorenthalten wird. Wer Hilfe braucht, hat Anspruch auf Hilfe. Erhält er diese Hilfe nicht, so ist er nicht nur individuellen Einschränkungen unterworfen, sondern er wird behindert durch die Gemeinschaft. Erhält er die erforderliche Hilfe nicht so, wie er selbst dies möchte, sondern so, wie andere es vorschreiben, so stellt auch dies eine soziale Behinderung dar. Und wird die nötige Hilfe nur in bestimmten Einrichtungen angeboten und nicht dort, wo der Betroffene selbst leben, lernen und arbeiten möchte, so bedeutet auch dies eine Behinderung durch die Gesellschaft. Wenigstens dann, wenn erwiesen ist, daß es auch anders geht.

Die VIF in München unterhält seit nunmehr fast vier Jahren einen ambulanten Hilfs- und Pflegedienst zur Integration Behinderter und Langzeitkranker. Laienhelfer sind nach kurzer Einführung selbständig in der Betreuung tätig und leisten nach den Wünschen des Behinderten praktische und pflegerische Hilfen in allen Lebensbereichen: Familie, Ausbildung, Berufsausübung, Freizeit. Dieses Konzept war neu und wurde hier erstmals in der Bundesrepublik modellhaft erprobt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß solche ambulanten Hilfen eine wirklich praktizierbare Alternative zur institutionellen Aussonderung behinderter Menschen darstellen. Auch einige andere Gruppen in der Bundesrepublik haben inzwischen ähnliche Dienste ins Leben gerufen. Aber diese einzelnen Initiativen können bundesweit nur wenig erreichen, solange die Öffentlichkeit und die Verantwortlichen noch immer an den herkömmlichen Vorstellungen festhalten.

Den Gedanken der gemeindenahen, ambulanten Hilfen für Behinderte und Langzeitkranke einmal auf breiterer Ebene bekanntzumachen und seine Verwirklichung durchzusetzen war ein wesentliches Ziel, als die VIF daranging, einen internationalen Kongreß zu diesem Thema zu veranstalten. Ein weiteres Ziel war, einen internationalen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, durch den die Integrationsbemühungen in der Bundesrepublik neue Impulse erhalten könnten.

Der Kongreß "Leben, Lernen, Arbeiten in der Gemeinschaft" führte etwa 400 Teilnehmer aus 11 Nationen zusammen. Im Laufe der drei Kongreßtage wurden wesentliche Erfahrungen aus dem In- und Ausland vermittelt und entscheidende Zielsetzungen für die kommenden Jahre erarbeitet. Die breite Zustimmung, die diese Tagung gefunden hat und das große Interesse bei Betroffenen, Fachleuten, Politikern und der Öffentlichkeit sind ein Beleg sowohl für das dringende Bedürfnis nach gemeindenahen ambulanten Diensten in der Bundesrepublik, als auch für den Erfolg dieser Tagung. Die VIF dankt allen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben.

Der vorliegende Kongreßbericht enthält alle Referate der Tagung, Berichte aus den Arbeitsgruppen, die sich mit bestimmten Themenschwerpunkten befaßten und die vom Plenum des Kongresses verabschiedeten Resolutionen. Ergänzt wird diese Dokumentation durch einige weiterführende Texte, eine Darstellung der Zunkunftsperspektiven, die sich aus der Tagung ergeben haben, sowie eine ausführliche Liste deutscher und internationaler Literatur. Als Lesehilfe sind wichtige Stichworte im fortlaufenden Text kursiv gesetzt. [gilt nur für die Printausgabe]

Otto Speck: Leben, Lernen, Arbeiten in der Gemeinschaft

Behinderung als Hilfsbedürftigkeit und Integration als praktisches Problem.

Die Fragen, die wir hier unter dem Aspekt ambulanter Dienste für Hilfsbedürftige erörtern wollen, bedürfen eines Bezugsrahmens, in welchem sie sich als ein Fragen nach dem Ganzen des menschlichen Zusammenlebens ausweisen. Diese Ganzheitssicht droht uns angesichts der fortschreitenden Spezialisierung, Professionalisierung und Durchorganisation der Gesellschaft auf dem Wege über immer mehr Teile, Begriffe, rechtliche Regelungen, entsprechende Institutionen, verloren zu gehen.

Wir sprechen zwar mit gewissem Stolz vom immer dichter werdenden sozialen Netz, entdecken aber gleichzeitig, daß dieses auch einschnüren kann und offenbar letztlich die menschlichen Bedürfnisse doch nicht erreicht. Wie sonst ist die für die Öffentlichkeit überraschende Distanzierung weiter Kreise von behinderten Mitbürgern vom "Internationalen Jahr der Behinderten" zu verstehen? "Erst jetzt", sagte ein solcher Mitbürger, "weiß ich, daß ich ein Behinderter bin", das heißt, eine besondere Kategorie Mensch; die Desillusionierung eines Menschen, der sich bisher einfach als dazugehörig betrachtet hatte.

Worum geht es also unter einem humanen Gesamtaspekt, wenn wir im Dienste für den Menschen planen und handeln, der uns braucht, so wie jeder des anderen bedarf, um Mensch sein zu können?

1. Es geht nicht so sehr um etwas Besonderes, als vielmehr um etwas menschlich-mitmenschlich Selbstverständliches! Daß ein Mensch in seinem Lebensvollzug durch irgendwelche Umstände behindert wird, ist in einem humanen Sinn etwas menschenverbindendes, bedeutet mitmenschliche Ergänzung, die den Weg über Hindernisse hinweg sucht. Von Solidarität sprechen wir in diesem Zusammenhang und meinen dabei vor allem die spontane Aktionsbereitschaft füreinander.

2. Es ist ein unabweisbares Grundbedürfnis des Menschen, möglichst in den sozialen Bezügen verbleiben zu dürfen, in die er hineingewachsen ist, und die ihm den sozialen Spielraum bieten, in dem er sich in Freiheit, das heißt möglichster Unabhängigkeit verwirklichen kann, auch wenn er dabei Hindernisse zu bewältigen hat. Wir haben dafür den Begriff der sozialen Integration geprägt. Wir beziehen sie auf die verschiedenen Lebensbereiche, seien es Schule, Arbeit oder die offene Freizeit.

Nach diesen generellen Maßgaben ergibt sich für unsere spezielle Fragestellung hier Folgendes:

1. Die Beeinträchtigung der psychophysischen Funktionsfähigkeit ist ein soziales Ereignis. Sie erhält eine isolierende und zerstörende Wirkung dann, wenn sie aus der gemeinsamen Verantwortung herausfällt. Die entstehenden Erschwernisse sind eine gemeinsame Aufgabe. Behinderung geht jeden etwas an, nicht nur ihren Träger.

2. Die notwendig werdende Hilfe ist Dienst im Sinne des Hilfsbedürftigen, also nicht unter der primären Maßgabe von Dienstsystemen. Mit diesem Dienst meinen wir diejenige Unterstützung und kompensierende Ergänzung, die den Bedürfnissen des Menschen mit einer Behinderung entsprechen, z. B. seinen Bedürfnissen nach einem möglichst unabhängigen Leben, nach einem Realisieren können seiner besonderen Neigungen und Interessen, nach sozialem Kontakt und gesellschaftlicher Partizipation.

3. Die in den hochorganisierten Industriegesellschaften zu installierenden Dienstleistungssysteme haben sich der Kontrolle durch gesellschaftliche Instanzen, die humane Verantwortung tragen, und auch durch diejenigen zu stellen, denen diese Dienste gelten. Wir sind gegenwärtig in einer sozialpolitischen Entwicklung begriffen, die Anlaß bietet, eher das Gegenteil zu befürchten. Die Dienstleistungssysteme drohen unter dem Einfluß organisatorischer, bürokratischer Regelungsbedürfnisse sich zu verselbständigen und institutionelle Eigenmacht zu entwickeln, so daß sich das Dienstleistungsverhältnis anschickt, sich umzukehren:

Der Behinderte wird Objekt und Abhängiger der Eigenbedürfnisse der Systeme, seien es solche nach "sauberen," verwaltungsmäßig praktikablen Einteilungsbegriffen, nach scheinbar "klaren" rechtlichen Regelungen, nach tariflichen Absicherungen, rationalisierenden Vereinheitlichungen, nach bürokratischen Zentrierungen, nach optimaler Ausnutzung der hohen technologischen Investitionen etc.

Diese systemimmanenten Trends, die durchaus nicht mehr Humanität eo ipso versprechen, sind im gesellschaftspolitischen Balancespiel zwischen subjektiven und objektiven Erfordernissen auf soziale Gegengewichte und Gegentrends angewiesen, wenn sich das Ganze der Behindertenhilfe nicht einseitig in die subjektferne Dominanz bloßer Organisationen hinein entwickeln soll, und spontane Solidarität nicht durch das bloße Management der Spezialinstitutionen neutralisiert werden soll.

4. Als Gegengewicht gegen eine dominante Entwicklung in soziale Großsysteme mit ihren desintegrierenden Trends haben gemeinde- und personennahe ambulante, also offene Dienste zu gelten. Sie sind weniger von professionellem Management und objektivierender Technologie bestimmt, als von persönlicher Nähe, von einer primären Orientierung an den Alltagsbedürfnissen des Menschen in seinen gewachsenen sozialen Bezügen, vom räumlichen und sozialen Eingegliedertbleibenkönnen, vom Unterstützen eines möglichst selbständigen Lebens, vom In-Funktion-Treten gemeindeorientierter Helfer, auch freiwilliger, nachbarschaftlicher Helfer.

5. Diese unmittelbar an der natürlichen, das heißt normalen sozialen Basis ansetzenden Dienste betrachten wir darüber hinaus als einen Beitrag zur Mobilisierung spontaner Solidarität innerhalb der Gemeinden. Ambulante soziale Dienste werden derartige Impulse umso deutlicher setzen, je mehr es ihnen gelingt, nicht selber sich in organisatorisch erstarrende Systeme auszuwachsen, sich lebendig in soziale Aktivitäten einer Gemeinde zu integrieren. Ohne den entsprechenden Ausbau gemeindenaher ambulanter Dienste dürfte sich die Entsolidarisierung der Gesellschaft unter dem gleichzeitigen Systemzwang der stationären Dienste beschleunigen.

6. Der Ausbau ambulanter sozialer Dienste in den verschiedenen Bereichen (Familie, Schule, Arbeit, Freizeit) bedeutet keine totale Absage an stationäre Einrichtungen, sondern eine Alternative. Eine radikale Absage an sämtliche speziellen Einrichtungen käme einem gesellschaftspolitischen Va-banque-Spiel auf Kosten hilfloser, ausgelieferter Menschen gleich.

Es geht vielmehr um eine klare Priorisierung der sozialen Dienste, innerhalb derer die Unterbringung in speziellen Kliniken, Heimen und Schulen die ultima ratio darstellt, wenn es nachgewiesenermaßen nicht gelingen sollte, angemessene, das heißt effektiv helfende ambulante Dienste einzusetzen.

Prinzipiell sollte jeder Bürger das Recht haben, im eingetretenen Sonderfall dort wohnen, arbeiten, lernen und leben zu können, wo es ihm entspricht. Diese freie Wahl wird umso mehr untergraben und neutralisiert, je einseitiger die sozialen Dienste ausgebaut sind.

Wir haben in München die Konsequenzen aus der sich abzeichnenden einseitigen Entwicklung in die leichter verwaltbaren stationären Dienste gezogen und einen ambulanten Hilfsdienst installiert, die Vereinigung Integrations-Förderung (VIF). Sie hat in relativ kurzer Zeit weithin Beachtung und Zustimmung erhalten.

Um diese Arbeit für eine Übertragung auf ähnliche Dienste auszuwerten, hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine wissenschaftliche Begleitforschung installiert. Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß das Bundesministerium den VIF-Ansatz offensichtlich jetzt schon für so wichtig ansieht, daß Planungen in Gang gesetzt wurden, eine Übertragung auf Modelleinrichtungen im Bundesgebiet vorzunehmen.

Der Bedarf an ambulanten sozialen Diensten ist mit Sicherheit wesentlich größer als angenommen. Er muß offensichtlich erkämpft werden. Daß offene Hilfen gegenüber zentrierenden Institutionen verwaltungsmäßig weniger funktionabel sind, spricht nicht unbedingt gegen sie. Wir Deutschen, stolz auf unser Organisationstalent, sollten uns nicht noch mehr von Perfektion blenden lassen, sondern intensiver und mutiger das offene soziale Spiel und seine Regeln zu erlernen versuchen. Es entspricht den Alltagsbedürfnissen.

Es geht um mehr Menschlichkeit im Alltag.

Prof. Dr. Otto Speck

Institut für Sonderpädagogik der Universität München

John Evans, Philip Mason: Was können behinderte Menschen in England heute erwarten? - Aus der Sicht von zwei schwerbehinderten Menschen

Zusammenfassung des Artikels: Einen Gesamtüberblick zur Situation behinderter Menschen in England aus der Sicht von Betroffenen geben Philip Mason und John Evans in einem Beitrag, der nicht auf der Tagung vorgetragen wurde, den wir aber an dieser Stelle einfügen möchten. Vor dem Hintergrund eines weitgehenden Mangels an finanzieller und praktischer Unterstützung zu autonomem Leben fordern sie Selbstbestimmung, freie Wahl der Lebensumstände und eine Unterstützung von Selbsthilfekonzepten.

Einleitung

Dieses Papier befaßt sich mit den Menschen, die durch ihre körperlichen Einschränkungen in elementaren Dingen des Lebens von der Hilfe anderer abhängig sind, z. B. beim Waschen, Anziehen, Kochen, Einkaufen etc., und deren Einkommen nicht ausreicht, um für solche Dienstleistungen zu bezahlen. (Die staatliche Hilfe, die speziell hierfür vorgesehen ist, die Finanzierungshilfe für Helfer, beläuft sich gegenwärtig auf 23 Pfund pro Woche, während die Kosten der Hilfe etwa 2 Pfund pro Stunde betragen.

Diese Menschen, die körperlich stark eingeschränkt sind, gehören zu einer Minderheit, die nicht ohne solche Hilfe auskommt. Erhalten sie zuverlässig persönliche Hilfe in allen Bereichen, dann zählen sie weiterhin zu einer größeren benachteiligten Gruppe solcher Menschen, die ein Wohnungsproblem haben, wobei dieses noch dadurch vergrößert wird, daß ihre Wohnbedürfnisse schwieriger gelagert sind als die Nichtbehinderter.

Aufgrund dieser und anderer gesellschaftlicher Bedingungen, mit denen Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen konfrontiert sind, finden sie sich außerhalb der Gesellschaft wieder, sind isoliert und oftmals ausgegliedert und man verweigert ihnen die Möglichkeit, als normale Bürger zu leben. Gegenwärtig stellen Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen ein "Problem" dar, um das sich eigentlich der Wohlfahrtsstaat kümmern soll, aber in der Praxis bedeutet dies, daß Angehörige die volle Last tragen, ohne daß sie dabei unterstützt würden - bis eine Krisensituation rasches Handeln erfordert.

"Regierungsstellen haben sich nie wirklich besonders stark damit befaßt, effektive Dienstleistungssysteme für Menschen mit körperlichen Einschränkungen einzurichten." (Judy Heumann, geschäftsführende Leiterin des Centers for Independent Living in Berkeley)

Es gibt amtliche Bestimmungen und Dienststellen auf nationaler und lokaler Ebene, die dazu da sind, Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen in solchen Fällen beizustehen, aber in Wirklichkeit werden diese den Bedürfnissen des Einzelnen nur selten gerecht.

Wir möchten die bislang dominierende Rolle der medizinischen Berufe, der Pflegefachkräfte und der Wohlfahrtspflege im Leben von Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen hinterfragen. Das gegenwärtige System ist auf Dienste, Anbieter von Diensten, Beamte und Verwaltungsleute für fast jede Einzelheit ausgerichtet, wohingegen wir unterstellen würden, daß der behinderte Mensch am besten dazu qualifiziert ist, Entscheidungen zu treffen, die sein Leben betreffen, und wir gehen davon aus, daß dies zum Leitprinzip gemacht werden sollte. Um diesen Grundsatz, daß ein Mensch für seine Lebensgestaltung selbst zuständig ist, ist es inzwischen so schlecht bestellt, daß wir ihn neu beleben, ihm das Markenzeichen "Independent Living" (Autonomes Leben) geben und dafür kämpfen müssen.

"Wenn du jeden Tag jemanden brauchst, der dir beim Aufstehen hilft, ist es das beste, du stellst denjenigen selbst an. Das ist wichtig. Wenn jemand anderer die Helfer schickt, ist das nur eine andere Art von Institution. Du mußt deinen eigenen Stundenplan festlegen. Es fällt Profis schwer, das zu begreifen, aber es ist so wichtig für dich, daß du diese Verfügungsgewalt hast, jemanden anzustellen und zu entlassen. Deine Zeiten selbst zu bestimmen und solche Sachen." (Phil Draper - Leiter des CIL in Berkeley)

"Der ganze Witz an Independent Living liegt darin, daß jeder sich selbst überlegt, was er tun will. Wir sagen jedem: "O.K., du willst autonom leben. Dies ist dein Leben und du fängst am besten damit an, daß du jetzt gleich deine eigenen Entscheidungen triffst. Wir werden dich mit Informationen jeder Art füttern; wir werden dir Wahlmöglichkeiten entwerfen; Alternativen; wir werden dich unsere Telefone benutzen lassen; wir werden dich beraten, mit wem du sprechen sollst, und wie du ihm gegenübertreten sollst, usw. Aber es ist dein Leben! Du mußt es leben. Wenn der Tag kommt, wo du alles von uns geholt hast, was du brauchst, dann bist du selbst verantwortlich. Darauf mußt du gefaßt sein." (Colleen Starkloff - Beraterin im Independent-LivingProgramm in St. Louis)

Dieses Papier soll die gegenwärtige Situation schwerbehinderter Menschen in England darstellen, wie zwei von ihnen sie sehen. Wir versuchen aufzuzeigen, daß Independent Living sowohl dem einzelnen als auch der Gesellschaft nützt, und wir wollen Wege aufzeigen, wie Möglichkeiten zum autonomen Leben vorangebracht werden können.

Dieses Papier wurde als Erfahrungsbericht verfaßt, mit dem wir auf dem Kongreß "Leben, Lernen, Arbeiten in der Gemeinschaft" der VIF in München die gegenwärtige Situation in England darstellen wollten. Unsere Teilnahme wurde durch die Unterstützung der Anglo-German Foundation for the Study of Industrial Society ermöglicht.

Was geschieht heute in England?

A. Die gültige Praxis

Kurz und verkürzt gesagt, stellt ein Mensch mit körperlichen Einschränkungen heute ein "medizinisches Problem" oder ein "soziales Problem" dar.

"Medizinisches Problem" - Das bedeutet Krankenhaus oder krankenhausmäßige Unterbringung und Versorgung. Diese wird von den Gesundheitsbehörden der Regierung organisiert und finanziert und manifestiert sich darin, daß behinderte Menschen in Krankenhausstationen und Einrichtungen für jugendliche Behinderte leben. Menschen, die sich in dieser Situation befinden sind im allgemeinen solche, deren körperliche Einschränkungen die Folge von Unfällen oder Krankheiten sind. Die Zahl der Menschen zwischen 16 und 65 Jahren in solchen Unterbringungsformen ist nicht bekannt, da sie zu den Belegungsziffern von Altenheimen gerechnet wird. Aber die Zahl ist nicht groß, verglichen mit der Zahl jener Menschen, die in Einrichtungen örtlicher Träger leben.

Rehabilitationsprogramme (in England) bemühen sich, den behinderten Menschen dorthin zurückzubringen, wo er herkommt, und erwarten, daß die Familie für die nötige Hilfe aufkommt. Sollte dies nicht möglich sein, dann ist die Einrichtung die einzige Alternative, die in Betracht gezogen wird. Zieht man aus dem Krankenhausbereich aus, dann ist die tägliche Hilfe keine Sache der Gesundheitsbehörden mehr. Sie wird Sache der örtlichen Behörde oder ein "soziales Problem".

"Soziales Problem" - Herkömmlicherweise wird Behindertsein als familiäres Problem angesehen und man überläßt es den Familien, damit zurechtzukommen. Viele davon sorgen unter größten physischen und finanziellen Opfern für ihre behinderten Angehörigen. Das trifft für mindestens 300.000 Menschen zu. Wo die Familie außerstande ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden, übernimmt die örtliche Behörde die Last auf Kosten des Gemeindesteuerzahlers und der behinderte Mensch wird in einer Einrichtung untergebracht. Die örtliche Behörde hat ihre eigenen Einrichtungen und fördert darüber hinaus die Unterbringung behinderter Menschen in privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen. Man nennt das im Allgemeinen "Residential Care" (= Pflegeheim-Unterbringung). 9.300 Menschen leben so.

Es gibt Gesetze und Richtlinien darüber, wofür die (staatlichen, d. h. überörtlichen) Gesundheitsbehörden und die örtlichen Träger zuständig sind. Da wir in der Gemeinde leben, ist für uns der örtliche Träger zuständig, und das bekannteste Gesetz, der Chronically Sick and Disabled Persons Act (Gesetz für chronisch kranke und behinderte Menschen) von 1970 zeigt, daß die Situation nicht ermutigend ist, denn dieses Gesetz begründet keinen Rechtsanspruch. (Dies kennzeichnet die Erfahrung behinderter Menschen, daß die Gesellschaft sie mehr behindert, als ihre eigenen körperlichen Einschränkungen.)

Theoretisch besteht die Möglichkeit zu einer Veränderung. Bedauerlicherweise wird sie nicht in die Praxis umgesetzt. Lange Zeit gültige und eingefahrene Einstellungen und Handlungsweisen bestehen fort, besonders unter Profis und Politikern, unterstützt durch die privaten caritativen Pflegeeinrichtungen.

Dennoch zwingt finanzieller Druck, besonders im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben, die örtlichen Behörden dazu, mehr auf ihre Ausgaben zu achten und die hohe Kostenbelastung durch stationäre Versorgung zu überprüfen. Unter der Voraussetzung daß sie kostensparend sind, werden nun Alternativen erwogen. Ein Beispiel dafür kann man in den Hauspflegediensten sehen, von denen es nunmehr 48 örtliche Gruppen gibt (36 CrossroadsDienste, 6 familienentlastende Dienste der Cheshire Foundation und 6 Dienste in kommunaler Trägerschaft), die alle nur zur Entlastung hilfeleistender Angehöriger gedacht sind. Aber weitaus üblicher ist es, auf finanzielle Engpässe dadurch zu reagieren, daß man überhaupt nichts tut.

Als allgemeine Regel ist zu wiederholen, daß (in England) für Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen die Hilfe durch Angehörige in deren eigener Wohnung oder stationäre Versorgung die übliche Praxis bleibt.

B. Außerordentliche Initiativen

Soweit uns bekannt ist, sind die einzigen Beispiele behinderter Menschen, die ausreichende Mittel erhalten, um autonom zu leben und denen man die Lösungswege selbst überläßt, das Paar in Norwich, einige Polio-Gelähmte (vergl. die drei vorhergehenden Referate) und drei Leute in Oxford. Alle anderen Beispiele sind demnach eine Frage von Kompromissen. Aber dafür, daß Menschen sich auf Kompromisse einlassen, sollte man nicht sie tadeln, und ihre Bemühungen und das, was sie erreicht haben, geringschätzen, sondern in erster Linie ist das System zu verurteilen, das sie in diese Lage bringt.

Zwei allgemeine Punkte

1. Es kommt häufig vor, daß Behinderte, wenn man sie vor die Wahl stellt, eine bestimmte Vorgehensweise befürworten. Ihre Antwort wird alsdann so aufgefaßt, als würden sie diesen Weg als allgemeinen Grundsatz gutheißen. Unverändert sind die Praktiker Wohlfahrtsorganisationen - und alles, was eine Wohlfahrtsorganisation sagt, wird in der Öffentlichkeit weit fragloser hingenommen, als beispielsweise die gleiche Aussage von Seiten einer Regierungsstelle. Hat man zum Beispiel die Wahl zwischen einer unsicheren, nicht geförderten, sich verschlechternden und unbefriedigenden Situation zu Hause und einer sicheren, etablierten und beständigen Einrichtung wen wundert es, daß man in seiner Verzweiflung die letztere wählt? Daß Wohlfahrtseinrichtungen dann sagen, dies sei ein Beweis für den Wert der Institutionen ist eine äußerst fehlgeleitete Interpretation, gegen die sich behinderte Menschen erbittert wenden, wenn sie dazu verwendet wird, weitere Unterstützung der Öffentlichkeit zu erhalten, die sich leicht irreführen läßt.

2. Independent Living (Autonom Leben) und Center for Independent Living (CIL) sind ohne Zweifel Begriffe, die "in" sind und die schnell von Versorgungsfachleuten "übernommen" werden. Wie in den USA geschehen:

"Die Independent-Living-Bewegung hat uns mehr geholfen, als irgendetwas sonst. Aber was geschieht, ist, daß es meines Erachtens in der ganzen Bewegung einen Einbruch gibt. Sie (die Regierungsstellen) haben auf politischer Ebene eine große Zahl von Projekten unterstützt, die von Ihrer Idee her keine Independent-Living-Projekte sind. Sie werden von Nichtbehinderten geführt, die stark bürokratisch ausgerichtet sind, und die wirklich kein rechtes Verständnis des Independent-Living-Konzeptes haben. Ich glaube, das kann uns sehr schaden, wenn wir nicht sehr gut achtgeben." (Max Starkloff geschäftsführender Leiter des CIL in St. Louis)

Eine Reihe von CILs in den USA wurden von der Behörde für berufliche Rehabilitation ohne jede Berücksichtigung der Independent-Living-Idee eingerichtet, wobei Betroffene nur zum Schein beteiligt wurden. Dies ist in England eine Entwicklung, die wir bereits feststellen und die wir aufdecken wollen. Selbstbestimmung und die Rolle der Versorgungsprofis sind nicht miteinander vereinbar, so wie sich die Ideen einer Verbraucherbewegung auch nicht mit profitorientierten Dienstleistungsunternehmen vertragen.

1. Die "Superkrüppel"

Das sind Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen, die sich unter physischen Opfern und mit hohem Aufwand an Zeit und Energie persönlich von fremder Hilfe unabhängig gemacht haben. Sie bilden eine Ausnahme sowohl hinsichtlich ihrer Fähigkeit, eine solche Unabhängigkeit zu erlangen, als auch darin, daß sie bereit sind, für ihre Selbständigkeit einen so hohen Preis zu bezahlen: mit Zeit, Energie und oft auch mit ihrer Gesundheit. (Neuere Forschungen deuten darauf hin, daß zusätzliche physische Belastungen dazu führen können, daß sich ein ursprünglich stabiler Zustand verschlechtert.)

2. Die offiziellen Dienste plus Freunde

Einige behinderte Menschen leben unter erheblichen Einschränkungen mit der gering dosierten Hilfe durch die offiziellen Dienste, ergänzt durch die Hilfe eines ausgedehnten Freundeskreises. Unnötig, zu sagen, daß dies eine sehr unsichere Daseinsform ist. Beispiele findet man häufig unter jenen, deren Behinderung sich langsam verschlechtert und die ursprünglich alleine zurechtgekommen waren. Es ist erstaunlich, welche Unannehmlichkeiten Menschen auf sich nehmen, um sich ihre Selbstständigkeit zu bewahren und stationäre Unterbringung zu vermeiden.

3. Finanzierung individueller Helfer durch den Staat oder örtliche Träger

Es gibt einige wenige Ausnahmefälle, wo Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen in ihrer eigenen Wohnung vollständig durch öffentlich finanzierte Helfer unterstützt werden. Am bekanntesten ist wohl (in England) das Tetraplegikerpaar in Norwich, dessen persönliche Helfer vom Ministerium für Gesundheit und Sozialfürsorge finanziert werden.

International gut bekannt ist der Dienst des St. Thomas's Hospital in London, der es einer begrenzten Zahl von Polio-Gelähmten (8-10) ermöglicht, zu Hause zu leben und persönliche Helfer zu beschäftigen. Sie bilden eine sehr privilegierte und vom Glück begünstigte Minderheit.

In Oxford soll es drei einzelne Fälle von schwerbehinderten Menschen geben, die von bei ihnen wohnenden persönlichen Helfern unterstützt werden, die durch eine Kombination von örtlicher und staatlicher Trägerschaft finanziert sind.

In Hampshire gibt es zwei Beispielfälle für Hilfe durch persönliche Helfer, die nicht mit in der Wohnung leben, obwohl man sagen muß, daß es in diesen Fällen gravierende Einschränkungen gibt, da die Helfer von außen her eingeteilt werden und ihre Dienstpläne gravierende Mängel aufweisen.

4. Independent-Living-Dienste der Wohlfahrtsorganisationen

Dies sind von Wohlfahrtsorganisationen finanzierte und unterhaltende Initiativprojekte, von denen es heißt, sie würden von Betroffenen geleitet, die aber bei näherem Zusehen erweiterte Institutionen darstellen. Zu den Beispielen hierfür gehören das Projekt der Spastics Society in Neath Hill, Keynes, und das "Independent-Living-House" der Chiltern Cheshire Homes. Diese bleiben von außen geleitete "besondere" Unterbringungsformen, die einem zugewiesen werden, und wo die Helfer dienstplanmäßig eingeteilt werden. (Läßt sich irgendein organisiertes "System" gedanklich mit Independent Living vereinbaren?)

5. Individuelle Helfer im freiwilligen Sozialdienst

Vierzig Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen werden, so heißt es, ausschließlich durch Helfer im freiwilligen Sozialdienst betreut. (Freiwillige soziale Tätigkeit junger Leute für die Dauer von sechs Monaten Arbeit gegen Verpflegung, Unterkunft und Taschengeld). Es gibt davon zwei Dienste in London. Die Helfer im freiwilligen Sozialdienst werden sehr häufig im Universitätsbereich in Anspruch genommen, wo sie schwer behinderten Studenten helfen, die in besonderen Unterkünften leben, die man ihnen zur Verfügung stellt. (Universitäten in Essex, Sussex und Realling). Es gibt ähnliche Dienste, die sich in starkem Maße auf "freiwillige" Hilfe "Guter Nächster" oder "Helfender Familien" stützen, die im allgemeinen nicht in der selben Wohnung leben. In den meisten Fällen kommen die örtlichen Behörden für die Kosten der Helfer im freiwilligen Sozialdienst und anderer "freiwilliger" Hilfe auf.

Die Erfahrung zeigt, daß diejenigen Dienste am meisten Erfolg haben, die die größte Flexibilität der Helfer unter Anleitung der Hilfeempfänger ermöglichen. Dies bestätigt amerikanische Erfahrungen.

Aus der Institution ausziehen

Gegenwärtig ist es für einen Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen beinahe unmöglich, aus einer Institution auszuziehen und autonom in der Gemeinde zu leben. Wenn es auch vereinzelte individuelle Hilfsdienste gibt, so sehen diese ihre Rolle nicht darin, in einem solchen Fall alle benötigte Hilfe zu stellen, noch besteht ein Rechtsanspruch auf diese Dienste. Was die finanzielle Unterstützung betrifft, so betragen die gesetzlichen Zuwendungen, auf die man im besten Falle hoffen kann, etwa 70 Pfund pro Woche. Da die Hilfe 2 Pfund pro Stunde kostet, wird ersichtlich, daß bei 25 Wochenstunden Hilfe - etwa der Durchschnitt für jemanden, der schwer behindert ist - zu wenig zum Leben übrigbleibt.

Schlußbemerkungen und Empfehlungen - Der Weg in die Zukunft

Gerben de Jong, Kenner der Geschichte der CILs, Boston: "Ich glaube nicht, daß man einen Politiker oder Geldgeber davon überzeugen kann, daß Selbstbestimmung ein adäquates Ergebnis ist. Nach meiner Meinung sind Politiker und Geldgeber wirklich nicht an Selbstbestimmung oder Selbstachtung interessiert. Sie interessieren sich hauptsächlich für zwei Gesichtspunkte: Geld für Independent Living, weil Menschen auf diese Weise produktiver sein können und weil Menschen auf diese Weise in ihrer Lebensführung weniger beengt sind. Und das ist es, was in das Denken von Politikern einzudringen scheint. Was wir also tun müssen, ist, wissenschaftlich aufzubereiten, was das bedeutet, und Wege zu finden, wie man das messen kann.

Was ist ein Independent-Living-Dienst? Das Gesetz (der Vereinigten Staaten, Titel 7) sagt, das seien Dienstleistungen, die es einem Menschen möglich machen, einen weniger beengten Lebensraum zu haben und produktiver zu sein.

Ein Fehler, den einige Independent-Living-Programme machen, ist, daß sie sagen, Independent Living sei, was immer jemand für sich wählt. Das ist schön. Aber wenn ich dir 1 Million Dollar im Jahr zahle, damit du ein Projekt durchführst, möchte ich wissen, was das Projekt macht. Und wenn man mir sagt, das Projekt gibt Menschen die Möglichkeit, zu tun, was sie wollen, dann wird mich das als Geldgeber nicht zufriedenstellen. Es wird keinen Beamten zufriedenstellen."

Es muß ein Konsens darüber bestehen, was gerechtfertigte und vernünftige Ziele sind. Daß dabei Betroffene und Gesetzgeber gemeint sind, braucht nicht eigens gesagt zu werden. Daß diese Ziele mit allgemein anerkannten Rechten des Einzelnen übereinstimmen, versteht sich ebenfalls von selbst. Die Mittel zur Erlangung dieser Ziele sollten in den Gesetzen des Landes abgesichert sein.

Ein Beispiel hierfür mag die Absichtserklärung sein, auf die sich die Derbishire Coalition of Disabled People (Behindertenverband) und das Country Counsil (Gebietskörperschaft) von Derbishire geeinigt haben.

Aber wir sollten der Gefahr aus dem Weg gehen, daß wir Wohlfahrtsorganisationen und Profis durch eine andere Form der Herrschaft ersetzen, auch wenn sie von behinderten Menschen ausgeübt wird. Es wäre naiv, zu glauben, daß nur die Nichtbehinderten der Gefahr erliegen, am Ende über das Leben anderer Menschen zu bestimmen. Wir müssen danach trachten, daß wir den Einzelnen in seine eigene Verantwortung entlassen. Wir in England müssen deutlich machen, wie wir die Rolle der individuellen Helfer sehen und müssen uns Versuchen widersetzen, diese einzuschränken. Darüber hinaus sollten wir allgemeine Grundsätze für individuelle Helfer aufstellen, um den Bedarf in etwa vorhersagen zu können, wobei individuelle Unterschiede möglich sein müssen.

Darüber hinaus sollten wir bemüht sein, unsere Überzeugung von der Wirtschaftlichkeit des Independent Living im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen durch glaubhafte Nachweise zu belegen. (Und dabei nie die ethischen Überlegungen vergessen, die hinter dem Independent-Living-Gedanken stehen.) Bestehen wir auf einer Übereinkunft über annehmbare Zielsetzungen. Bestehen wir darauf, daß realistische Mittel zu ihrer Erreichung geschaffen werden. Und seien wir uns darüber einig, daß dem Einzelnen die Freiheit gelassen werden soll, seinen eigenen Weg zu gehen. Denken wir an die Worte von Ed Roberts:

"Ein Maß dafür, ob ein Programm funktioniert oder nicht, liegt darin, ob es Menschen dazu führt, ihr Leben selbst zu bestimmen."

Der hier wiedergegebene Beitrag wurde nicht als Tagungsreferat vorgetragen, sondern im Anschluß an den Kongreß schriftlich eingereicht. wir haben diesen Text in die vorliegende Dokumentation aufgenommen, weil er als Bericht über die Gesamtsituation schwerbehinderter Menschen in England eine sinnvolle Ergänzung zu den Referaten englischer Tagungsteilnehmer über einzelne Projekte darstellt.

John Evans - Philip Mason

Project 81

N. E. Bank-Mikkelsen, E. Berg: Das dänische Verständnis von Normalisierung und seine Umsetzung in ein System von Hilfs- und Pflegediensten zur Integration

Zusammenfassung des Artikels: Das dänische Verständnis des Normalisierungsprinzips ist Thema des Beitrages von N. E Bank-Mikkelsen und E. Berg. Normale Lebensbedingungen auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes sind mit dem Normalisierungsprinzip gemeint. Seine praktische Durchführung in den Bereichen Wohnen, Bildung, Berufsleben und Freizeit wird beschrieben und Grundsätze einer Behindertenpolitik werden umrissen.

Ich danke für die Einladung, zu diesem Treffen zu kommen, und besonders danke ich für den Titel meines Referates. Hier denke ich speziell an den Ausdruck: "das dänische Verständnis vom Normalisierungsprinzip", woraus man ersehen kann, daß man das Normalisierungsprinzip verschieden auffassen kann, was bei Debatten oft irreführende Wirkung hat.

Zuerst will ich erwähnen, was das Normalisierungsprinzip auf dänisch nicht bedeutet. Es bedeutet nicht, daß man versuchen will, eine behinderte Person zu einer normalen umformen zu wollen, es hat demzufolge nichts mit Normalität zu tun. Oft wird in der Literatur der Begriff so beschrieben, als ob man den behinderten Menschen zu einer möglichst normalen Person umformen möchte. Z. B. gibt es verschiedene Schriften des amerikanischen Soziologen Wolf Wofensberger über dieses Thema.

Nach der dänischen - oder besser gesagt nach der skandinavischen Auffassung - da das Prinzip besonders in Dänemark und Schweden entwickelt wurde - sind normale Lebensbedingungen das Endziel unserer Bestrebungen um den behinderten Menschen. Das Wort "Normalisierung" wurde zum erstenmal in dem dänischen Gesetz von 1959 über die Fürsorge für Geistigbehinderte genannt, wo es folgendermaßen formuliert wurde: Man strebt an, den Behinderten ein Leben so nahe dem Normalen wie irgend möglich zu geben.

Ein einfacher, leicht verständlicher Begriff, und doch hat sich gezeigt, daß er recht kontroverser Art und schwer durchführbar ist. Im Verhältnis zu der früheren Segregationstheorie, nach welcher Behinderte als Abweichler, als unnormale, schutzbedürftige Personen angesehen wurden, die man im extremsten Fall als unnütze, unerwünschte Personen betrachtete, die man am besten "ausradierte", ist der Begriff wahrlich ein Gegensatz. Aber man benutzte auch in anderen Ländern diese Theorie, obwohl sie hier auf moderatere Weise als im "Dritten Reich" praktiziert wurde. Ich erlaube mir, es an dieser Stelle zu erwähnen, denn auch in Dänemark hatten wir in den Dreißigern eine Gesetzgebung, wonach geistige Behinderung ausgemerzt werden sollte, wobei zu bemerken ist, daß dies nicht durch "Ausmerzung" des einzelnen Menschen, sondern durch Sterilisation und Kastration durchgeführt werden sollte, um Neugeburten geistig behinderter Kinder zu vermeiden. Die Annahme der damaligen Zeit, daß geistige Behinderung zum größten Teil genetische Ursachen hätte, berechtigte meines Erachtens nicht zu den obengenannten Maßnahmen.

Das Grundprinzip der Normalisierungstheorie ist es, daß alle Menschen, seien sie behindert oder nicht, die gleichen Rechte haben; es ist also ein Gleichheitsprinzip. Trotzdem darf man nicht vergessen, daß alle Menschen verschiedenartig sind, daß sie verschiedene Bedürfnisse haben, so daß Gleichheit lediglich bedeutet, jedem einzelnen Menschen Hilfe und Unterstützung anzubieten, die seinen individuellen Bedürfnissen anzupassen sind. Der Behinderte ist in gesetzlicher und humaner Hinsicht als gleichgestellter Bürger zu betrachten, auch wenn die verschiedenen Formen von Therapiebehandlungen die Behinderung nicht zu beseitigen vermögen. Ich möchte hier über den Begriff, der an sich so einfach ist, nicht theoretisieren. Es ist keine neue Ideologie, sondern an und für sich ein Antidogma, das sich gegen die Diskriminierung behinderter Personen wehrt.

In diesen Jahren findet ein deutsch-dänisches Forschungsprojekt statt, das sich mit psychisch Behinderten befaßt und von zwei deutschen Universitäten, und zwar Oldenburg (früher war es Heidelberg) und Düsseldorf, sowie einem dänischen Bezirk (es ist der südliche Teil Seelands und die großen südlichen Inseln, die an der Vogelfluglinie liegen), durchgeführt wird. In der Anfangsphase dieses Projektes hat man das Normalisierungsprinzip beschrieben; zur Zeit führt man eine Reihe von Vergleichen zwischen den beiden Ländern und Bewertungen durch, um aufzudecken, wie weit man in den Bestrebungen um eine Normalisierung gekommen ist. Sollten einige der Anwesenden interessiert sein, dann kann ich später nähere Auskünfte über dieses Projekt geben.

Ich, als Administrator der Fürsorge für Personen mit Behinderungen, finde, daß der wichtigste Teil des Normalisierungsprinzips seine praktische Durchführung im täglichen Leben ist. Normale Lebensbedingungen sind das Ziel und was bedeutet das in dieser Verbindung?

Normale Lebensbedingungen unterscheiden sich von Land zu Land, von Kultur zu Kultur, sie hängen von den religiösen und politischen Gegebenheiten des betreffenden Landes ab. Die Lebensverhältnisse in Dänemark und Westdeutschland sind mehr oder weniger identisch. In einem arabischen Staat, wo ich seinerzeit eine beratende Tätigkeit einnahm, habe ich die Erfahrung gemacht, daß die praktische Anpassung von Serviceformen an die arabische Kultur in Form von Normalisierung nach westlichem Modell außerordentlich schwierig durchführbar ist, obwohl das Prinzip an sich doch überall angewendet werden kann. Das Normalisierungsprinzip hat globale Gültigkeit und man kann es jederzeit benutzen, da es ja lediglich bezweckt, behinderten Personen die gleichen Lebensbedingungen zu geben, die auch für sogenannte normale Personen gültig sind. Normale Lebensverhältnisse kann man in drei Grundkategorien einteilen, und zwar: Wohnverhältnisse, Unterrichts- und Arbeitsverhältnisse und Freizeit.

1. Wohnverhältnisse

Bei Kindern ist es normal, daß sie bei ihren Eltern leben. Für behinderte Kinder eine recht revolutionierende Tatsache, da sie früher in der Regel in Anstalten untergebracht wurden, wo sie oft Zeit ihres Lebens bleiben mußten. In solchen Fällen muß das Sozialsystem dem Elternhaus ambulante Dienste und gegebenenfalls ökonomische Unterstützung anbieten, damit die Kinder bei den Eltern bleiben können.

In Dänemark ist es die öffentliche Hand, die über das Sozialsystem alle Mehrausgaben, die Eltern für ihre behinderten Kinder bezahlen müssen, vergütet. Außerdem besuchen verschiedene Spezialisten, wie z. B. Gemeindeschwestern, Sozialpädagogen, Krankengymnasten und andere Spezialgruppen das Elternhaus. Obwohl das System recht gut ausgebaut ist, ist es noch nicht ganz vollkommen.

Eltern behinderter Kinder können ihre Kinder in allgemeine Kindergärten bringen, wo sie integriert oder in Sondergruppen mit nichtbehinderten Kindern den Tag verbringen können. Es gibt aber auch spezielle Sonderkindergärten. Heute zieht man es jedoch vor, die meisten behinderten Kinder in Normalkindergärten zu integrieren. Nach dieser Vorschulperiode besteht für alle behinderten Kinder ein Schulangebot, worüber ich nachher sprechen werde.

Wie gesagt, es wird immer Kinder geben, die aus dem einen oder anderen Grund nicht im Elternhaus bleiben können und daher in einer Institution leben müssen. Heute zieht man ganz kleine Einheiten für Institutionsunterbringung vor, im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo alle Anstalten riesig groß waren. Die Internationale Liga von Elternverbänden für Geistigbehinderte schlug vor kurzem vor, daß Einrichtungen für geistig behinderte Kinder höchstens vier bis sechs Kinder pro Haus aufnehmen sollten und daß man alle großen Anstalten schließen sollte. Wir befinden uns inmitten dieses Prozesses.

Gemäß dem Normalisierungsprinzip werden erwachsene Behinderte nicht mit ihren Eltern zusammen leben. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, daß Eltern in Dänemark - im Gegensatz zur deutschen Gesetzgebung - keine Versorgungspflicht gegenüber ihren Kindern haben, sobald diese 18 Jahre alt sind. Erwachsene und ältere behinderte Personen sollten daher so selbständig wie möglich wohnen können, und zwar in Wohnungen, die denen der sogenannten Normalbevölkerung entsprechen. Wenn eine Institutionsunterbringung angebracht ist, sollten sie auch hier höchstens zu vier bis sechs Personen pro Haus wohnen.

2. Unterrichts- und Arbeitsverhältnisse

Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Schulunterricht für alle Kinder, aber ganz besonders für behinderte Kinder, von fundamentaler Bedeutung ist. Jedes behinderte Kind ist unterrichtbar, kann irgend etwas lernen und sich dadurch weiterentwickeln. Ich möchte hier unterstreichen, daß dies für alle Kinder gilt und daß alle Kinder ein Unterrichtsangebot haben müssen. Auch die schwerstbehinderten Kinder können unterrichtet werden und haben ein Recht auf Unterricht.

In Dänemark wurde die Unterrichtung behinderter Kinder aller Kategorien, also auch der schwerstbehinderten, erst kürzlich in der Praxis eingeführt und heute haben die allgemeinen Schulbehörden die Verantwortung für die Durchführung der Unterrichtspflicht. Schulunterricht und möglichst auch die eine oder andere Art von Berufstraining sind notwendige Voraussetzungen, um später Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.

Behinderte haben - wie Nichtbehinderte - ein Recht auf Arbeit, was in Zeiten der Arbeitslosigkeit problematisch sein kann. Gleichstellung mit anderen Bürgern des Landes bedeutet auch hier, daß Behinderte, die keine Arbeit finden können, eine ökonomische Kompensation bekommen, entweder als Rente oder als Arbeitslosenunterstützung. Berufsfördernde Maßnahmen für Behinderte können Berufsfindungsmaßnahmen, Spezialtraining, individuell angepaßte Arbeitsplätze oder entsprechende Betriebe sein. Auch schwerbehinderte Personen können an industrieller Produktion teilnehmen, aber es ist notwendig, die Arbeitsprozesse behindertengerecht einzurichten.

3. Freizeit

Den dritten Lebensbereich bildet die Freizeit. Hier gilt es für Kinder wie für Erwachsene, daß ihnen die gleichen Freizeitangebote gegeben werden, wie anderen Bürgern des Landes. Aber auch hier kann von speziellen Maßnahmen für Behinderte die Rede sein, obwohl die Eingliederung auch auf diesem Gebiet heute schon recht gut ist.

Normalisierung ist Gleichheit vor dem Gesetz und das heißt, daß alle Bürger die gleichen Rechte haben. Das Recht, wie andere Menschen zu leben, habe ich schon erwähnt. Dies bedeutet aber auch das Recht auf ein Sexualleben, das Recht, Sexualerlebnisse zu haben, das Recht, eine Ehe zu schließen, das Recht, ein Kind zu bekommen. Es bedeutet das Recht, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen - allgemein gesprochen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Ich habe hier nicht versucht - und will es auch nicht versuchen - den Begriff der Behinderung zu definieren. Nur möchte ich sagen, daß wir traditionell von Behinderung sprechen, wenn eine Person einen physischen oder psychischen Defekt hat, durch den sich ihr Leben mehr oder weniger problematisch gestalten kann.

Die Industriegesellschaft, in der die Behinderten zu leben gezwungen sind, erleichtert ihnen das Dasein wenig oder fast gar nicht. Man denke an die Schwierigkeiten, die besonders Körperbehinderte im Verhältnis zu ihrer Umgebung haben, sei es im Verkehr, in Gebäuden mit Treppenhäusern und zu schmalen Türen und so weiter. Es sollte sich erübrigen, über die Probleme in allen Einzelheiten zu sprechen, da wir ja alle damit vertraut sind. Wir müssen uns immer vor Augen halten, daß das Leben für Behinderte erst dann normal sein kann, wenn Wege und Straßen, private und öffentliche Gebäude behindertengerecht eingerichtet werden. Hier hat man eine enorme Aufgabe, die weitgehend noch zu lösen ist, obwohl zu befürchten ist, daß sie nie zur vollen Zufriedenheit gelöst werden wird. Bei Planungen jeder Art muß man bedenken, daß es in der Bevölkerung etwa zehn bis zwölf Prozent Behinderte gibt, eine ansehnliche Minorität, die mit Recht verlangen kann, berücksichtigt zu werden, wenn wir uns das Endziel die Normalisierung - vor Augen halten.

Wir wissen, daß das Problem der Behinderten außerordentlich kompliziert ist. Behindertenpolitik sollte daher nicht nur als eine sozialpolitische Maßnahme angesehen werden, indem man den Behinderten soziale Kompensationen anbietet. Sie ist auch eine Unterrichtspolitik, eine Wohnungspolitik, eine Verkehrs- und eine Kulturpolitik.

In Dänemark wird die heutige Behindertenpolitik von den mit den Problemen der Behinderten vertrauten Behörden gemacht und zwar in jenen Ressorts, in denen sie entstehen. Im Rahmen der Normalisierung wurde allen öffentlichen Ämtern und Behörden die Verantwortung für alle Bürger des Landes, also auch für die Behinderten, übertragen.

Die Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Schüler untersteht dem allgemeinen Schulsystem. Ob dies in allgemeinen Klassen oder in Sonderklassen vor sich geht, kann ich als Laie nicht sagen. Behinderte Kinder sollten jedoch vorzugsweise Normalschulen besuchen, damit sich die übrigen Kinder an sie gewöhnen und im späteren Leben eine normale Einstellung zu ihnen bekommen.

Wohnungs-, Verkehrs- und Beschäftigungsprobleme gehören also zum Verantwortungsbereich der betreffenden öffentlichen Ämter und sollten nicht als soziale Hilfsmaßnahmen angesehen werden. Behindertenpolitik muß als differenzierte Gesellschaftspolitik gehandhabt werden. Besonders wichtig ist die Aufklärung der Bevölkerung, um ihre Einstellung zu Behinderten zu beeinflussen. Aufklärungsarbeit muß von professionellen Gruppen und Politikern verschiedener Observanz durchgeführt werden und muß sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene vor sich gehen. Letzten Endes muß sich die gesamte Bevölkerung mit den Behindertenproblemen vertraut machen. Doch muß man darauf gefaßt sein, daß die Beeinflussung der Bevölkerung ein langwieriger und schwieriger Prozeß sein wird - besonders für jene, die sich mit der Planung und Durchführung von Dienstleistungen für Behinderte befassen.

Das internationale Jahr der Behinderten versprach gute Aufklärungsmöglichkeiten. Jetzt ist es vorüber, aber die Probleme sind die gleichen. Vielleicht sollten auch die kommenden Jahre "Behindertenjahre" sein? Das Motto des Jahres der Behinderten war "Gleichstellung und volle Beteiligung". Bei uns heißt es: "Gleiches Anrecht - gleiche Möglichkeiten".

Das Normalisierungsprinzip bedeutet genau das selbe. Es ist ein einfaches Prinzip, das man als Arbeitsgrundlage verwenden kann. Hier braucht man keine spitzfindigen Theorien. Es handelt sich also lediglich darum, behinderte Personen als gleichberechtigte Bürger anzusehen - Bürger mit verschiedenartigen Bedürfnissen, für die die ganze Bevölkerung solidarisch verantwortlich sein muß. Das Verwaltungssystem ist in allen Ländern verschieden, alle Systeme enthalten aber eine Möglichkeit der Realisierung des Normalisierungsprinzips. Und hier ist die Einstellung der Bevölkerung des Landes von ausschlaggebender Bedeutung.

N. E. Bank-Mikkelsen - E. Berg

Dänisches Sozialministerium, Kopenhagen

Ludwig O. Roser: Hilfe für Behinderte in der Gemeinde

Zusammenfassung des Artikels: Den beinahe revolutionsartigen Umbruch im Umgang mit behinderten Menschen, den die umfassende Reform des Gesundheitswesens in Italien ausgelöst hat und die schrittweise Ausgestaltung der gemeindenahen Versorgung beschreibt Dr. Roser aus Florenz. Die Verhinderung von Aussonderung durch frühzeitige gemeindenahe Hilfen und die Betonung einer Medizin der Gesundheit (Verhütung) anstelle einer Medizin der Krankheit (Behandlung) bilden Schwerpunkte seines Beitrages.

Ursache oder Folge der Auflösung von Behindertenzentren und Sonderschulen

Die Betreuung und Behandlung Behinderter in ihrer sozialen Umwelt, wie sie in Italien in den letzten fünfzehn Jahren von den verschiedensten Seiten her vorgeschlagen wird, ist weder Ursache noch Folge der Auflösung von Heimen und Sonderschulen.

Den Anstoß zu dieser neuen Arbeitsweise und zu einer neuen Einstellung haben Überlegungen gegeben, die Begriffe wie "Krankheit" und "Gesundheit" zunächst unabhängigig von den existierenden Einrichtungen und den bestehenden Betreuungsgewohnheiten ein neues Licht gerückt haben. Am Anfang dieser Entwicklung standen die Fragen: Wie entsteht Behinderung? Was ist Normalität? Wie kommt es zur Geistes-"Krankheit"? Welche Gegebenheiten des menschlichen Zusammenlebens lassen Krankheiten und Behinderungen entstehen? - Und vor allem: "Rehabilitiert" Rehabilitation wirklich? Welches sind die Situationen, in denen Behinderung überwunden wird? - Oder auch: Muß man mehr Gewicht legen auf die Medizin der Krankheit (Behandlung) oder auf die Medizin der Gesundheit (Verhütung)? Ist Behinderung als Krankheit anzugehen, kann man sie wegerziehen, oder liegt vielmehr das Hauptgewicht ihrer Problematik im Bereich der mitmenschlichen Beziehungen?

Am Beispiel der italienischen Psychiatriereform ist zu sehen, daß die Betreuung Behinderter in der Gemeinde zwar vom Gesetz her als eine Folge der Schließung der Nervenheilanstalten erscheint, in Wirklichkeit aber ein Ziel darstellt. Die italienischen und ausländischen Kritiker der Psychiatriereform stellen in der Tat fest, daß die vom Gesetz bestimmte Betreuung der geistig oder seelischen Kranken in vielen italienischen Regionen im Argen liegt. Der Vorwurf, nicht schon vor der Schließung der Anstalten und Institutionen für Alternativen gesorgt zu haben, ist auch in dem Widerstand enthalten gewesen, der der Schließung von Sondereinrichtungen für behinderte Kinder und ihrer Eingliederung in die Regelschule entgegengesetzt wurde. So klagte man über den Mangel geeigneter Schulräume, über das Fehlen von Stützlehrern, über die nicht erfolgte Vorbereitung des Personals usw. Man beachtete aber dabei nicht, daß Veränderungen nur zustandekommen, wenn die Idee, die ihnen zugrundeliegt, eine breite Bevölkerungsschicht erfaßt hat. (So wäre es in den fünfziger Jahren nicht zur Errichtung von Rehabilitationszentren gekommen, wenn die vielen Pfennig- und Sonnenscheinaktionen nicht dafür das Klima geschaffen und das Problem zur allgemeinen Diskussion gebracht hätten). Deshalb kann man sagen, daß sich in Italien nur wenige mit den Geisteskranken und mit den seelischen Problemen des gemeinsamen Lebens und Arbeitens befaßt hätten, wenn die Tore der Anstalten verschlossen geblieben wären: Denn die Logik der Absonderung dieser Behinderten war ja die Angst vor ihnen, und ihre Isolierung in Stätten angeblicher Heilung erschien der einzige Weg.

Deshalb hat die unüberlegte, fast gewaltsame Integration behinderter Kinder in die Regelschule zu Beginn der siebziger Jahre mehr pädagogische Reflexionen in Bewegung gesetzt als alle Schulreformen zusammengenommen. Heute kann man beobachten, wie die Faktoren, die zu seelischer und geistiger Erkrankung führen, von einer breiten Bevölkerungsschicht erkannt und diskutiert werden. (Man sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer Gefahr zu starker Psychiatrisierung des politischen und sozialen Lebens.)

Die Erkenntnis, daß Sonderschulen im Grunde deshalb bestehen, weil Behinderung die "Gesunden" stört, daß Rehabilitation zum Alibi der Aussonderung werden kann, daß die Nerven-"heil"-anstalten alles andere tun als heilen, daß, je perfekter eine sonderschulische oder betreuende Einrichtung ist, der Bürger desto ruhiger schlafen kann, daß das Normdenken ständig die mitmenschlichen Beziehungen behindert, diese Erkenntnisse lassen sich nicht verwaltungstechnisch programmieren. Gemeindenahe Versorgung Behinderter läßt sich nur verwirklichen, wenn die Gemeinde - und möglichst alle Bürger in ihr - direkt mit den Problemen in Berührung kommen und ihre Lösung nicht nur an die Institutionen delegieren, die dazu die fachliche Kompetenz haben. Sonst entstehen statt der großen, möglichst außerhalb der Stadt im gesunden Grün liegenden Anstalten und Rehazentren viele kleine, scheinbar gemeindenahe Ambulatorien und Tagesaufenthaltszentren, um die einen Bogen zu machen nur etwas schwieriger wird.

Um aber den Bürger teilnehmen zu lassen, müssen diese Probleme diskutiert werden, muß der Widerstand zutage treten, d. h. die eigentlichen Gründe des Isolierens, die sich hinter den Worten "heilen" oder "rehabilitieren" verstecken, müssen bei ihrem wahren Namen genannt werden. Eine solche Diskussion und die Verarbeitung dieser Probleme dauert Jahrzehnte. Auf der anderen Seite bemerkt man heute in Italien, daß gerade die Gegenargumente und die Widerstände dazu beigetragen haben, Schwierigkeiten zu erkennen und zu überwinden. Noch einschneidender für die augenblickliche Entwicklung ist aber der direkte Kontakt mit den Behinderten von Seiten der Lehrer, der Eltern nichtbehinderter Kinder und der Bevölkerung im Allgemeinen. Von dieser Bewußtwerdung, von der Wahrnehmung der eigentlichen Probleme des Behinderten, bis zur korrekten und vollständigen gemeindenahen Betreuung aller Menschen, die Hilfe brauchen, ist aber noch ein weiter Weg.

Wenn auch das gemeinsame Leben und Lernen mit einem selbst schwerbehinderten Kind in der Schule selbstverständlich zu werden beginnt, so ist es weitaus schwieriger, zum Beispiel geistig gestörte Menschen in ihrem allernächsten Lebensbereich zu betreuen. Dabei ist auch zu bedenken, daß in Italien nach dem fast revolutionsartigen Umbruch der psychiatrischen, psychologischen und rehabilitativen Versorgung Behinderter die politische und wissenschaftliche Konsolidierung dieser Neuerungen noch im Gange ist. Die unglaublich komplexe Maschinerie der Gesundheitsreform (zehn Jahre allein waren für ihre Durchführung programmiert), die von fast allen politischen Parteien gewollt war und einen großen Teil der neuen Arbeitsweise gesetzlich verankert, läuft erst jetzt an: Sie führt mit dem Plan, vor allem für Gesundheit zu sorgen (mehr Gewicht auf Vorsorge, Früherkennung, Verhütung) alle bisher getrennt arbeitenden Institutionen z. B. der Rehabilitation auf einen einzigen Weg und verwaltungstechnisch zu einer einzigen Trägerorganisation. Das Ziel ist die Betreuung der gesamten Bevölkerung im allernächsten Lebensbereich, sowohl was die gesundheitlichen als auch die sozialen Belange anbetrifft.

Wie sieht das nun praktisch aus - dort wo es funktioniert, und das ist lange noch nicht überall?

Während früher z. B. ein geistig gestörtes Kind (fast immer erst im Augenblick seiner Einschulung als solches erkannt) in ein für geistig behinderte Kinder bestimmtes Rehabilitationszentrum mit Sonderschule kam, um schließlich in einer geschützten Werkstatt zu enden, während dieses Kind von einem fachspezifischen Rehabilitationsteam in einem oft weitabliegenden Zentrum versorgt wurde und somit auch kaum mit den Menschen seines Lebensbereiches in Kontakt kam, wird heute zunächst dafür gesorgt, daß es so früh wie nur möglich von seiner Familie und von den Menschen, die es pflegen verstanden wird. Geistige Schwierigkeiten potenzieren sich in der durch den Behandlungsdruck und durch defektbetontes Handeln gestörten Interaktion. Die Gefühlsbindung wird durch das Reparaturbedürfnis bestimmt. Dies zu verhindern bedarf nicht nur einer intensiven Elternarbeit in den schon erkannten Fällen, sondern einer breitangelegten Information über die Effekte erzieherischen Verhaltens. Die Gelegenheit dazu bietet sich z. B. in den Kursen für Schwangerschaftsvorbereitung der Unità Sanitaria Locale, die nicht nur eine Angelegenheit der werdenden Mütter sondern auch der werdenden Väter sind. Schon hier, in der Diskussion eines normalen, möglicherweise aber auch nicht normalen Prozesses wird Information über die Eigenarten menschlichen Verhaltens, über körperliche und seelische Gesundheit gegeben. Ein in dieser Hinsicht vertrauenerweckendes Gespräch kann auch nach der Geburt des Kindes fortgesetzt werden, denn wieviele neue Probleme entfacht der Neuankömmling im bewußten und unbewußten Miteinanderleben!

Die Früherkennung von Behinderung kann auch in dem - wie die Schwangerschaftsvorbereitung unentgeltlichen - pädiatrischen Dienstleistungsambulatorium erfolgen, das mit den zuständigen pädopsychiatrischen, psychologischen, rehabilitativen Institutionen des Wohnbereiches in Verbindung steht. Eventuelle Behandlung erfolgt also im Distrikt (kleinste Einheit der Unità Sanitaria Locale: etwa 20.000 Einwohner) und zwar sowohl für das betroffene Kind als auch für die Angehörigen, damit die Mitarbeit so ausgewogen wie nur möglich wird. Bei festgestellter Behinderung wird also nicht nur lange vor der Einschulung Behandlung angesetzt, sondern schon die korrekte Verarbeitung desProblems in der Familie und frühzeitiges Zusammenleben mit nichtbehinderten Kindern wird als Behandlung betrachtet. Daher der Ausbau der Kleinstkinderkrippen (in Florenz hat fast jeder Distrikt eine Kinderkrippe), die nicht als Depot für Kinder arbeitender Mütter sondern als erste Stufe gemeinsamen Lebens und Lernens betrachtet werden sollten. Hier können nicht nur die individuellen Bedürfnisse des betroffenen Kindes mit dem Personal der Kinderkrippe, den Fachleuten der einzelnen Reha-Ambulatorien und den Eltern besprochen werden, sondern hier haben die Eltern des Kindes auch Gelegenheit, mit anderen Eltern bei der psychologischen und pädagogischen Organisation der Kinderkrippe die allgemeinen Probleme der Erziehung und des kindlichen Verhaltens zu erörtern.

Von hier aus geht es selbstverständlich mit drei Jahren in den Kindergarten und das behinderte Kind - sei es körperbehindert, hörbehindert oder blind, geistigbehindert oder seelisch gestört - wächst weiter mit den Kindern seines Wohnbereiches auf, mit denen es eines Tages auch zur Schule gebracht wird. Behandlung findet aber nicht in der Schule statt oder sie wird so in den Unterricht eingebaut, daß alle daran teilnehmen können. Die Anwesenheit des behinderten Kindes inspiriert Spiele und Arbeitsweisen, die allen zugute kommen (z. B. beim kleinen blinden Kind: Wiedererkennen durch Tasten, Musik, Blindekuh spielen, Erzählen usw.). Fachleute beraten die Lehrer, aber die Lehrkräfte sind nicht in der Behandlung Behinderter spezialisiert, denn ihre Aufgabe ist ja, alle Kinder ihrer Anlage und ihren Bedürfnissen entsprechend zu fördern, jedem die Möglichkeit zu geben, der eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu geben, auch wenn sie der Norm nicht entsprechen kann. Vor allem soll auf dem aufgebaut werden, was das Kind kann und nicht auf dem, was es nicht kann oder noch nicht kann (oder nie können wird). Die Erfahrung hat gezeigt, daß das Beispiel der Kinder ohne Behinderung sehr viel stimulierender wirkt, als die künstliche Motivation der Rehabilitationssituation. Dies hat sich vor allem bei Sprachstörungen gezeigt.

Der Übergang des behinderten Kindes in die Pflichtschule ist flexibel und läßt sich zwei bis drei Jahre - je nach der Behinderung und dem Reiferhythmus des Kindes - hinausschieben. Wenn das behinderte Kind einmal in die Schule aufgenommen worden ist, nimmt es selbstverständlich auch an den außerhalb der Schule möglichen Veranstaltungen teil: also nicht Schwimmunterricht, Sport und Spiel für Behinderte, sondern: überall dabeisein und mittun, wo es nur irgendwie möglich ist. So kann auch verarbeitet werden, wenn das Mitmachen nicht möglich ist. Die Voraussetzung dafür ist nicht eine im caritativen Bereich errungene Solidarität, sondern eine von vorneherein n i c h t vollzogene Aussonderung.

Die in einer Stadt wie Florenz in den einzelnen "quartieri" entstehenden Freizeitzentren der dezentralisierten Stadtverwaltung, die mit den Distrikten der U.S.L. eng zusammenarbeiten, bilden die logische Weiterentwicklung dieser Realität: Die dem Wohnbereich des Behinderten nahe Betreuung entsteht durch Verhinderung von Aussonderung. Diese ist wiederum keine präzise legislative oder institutionelle Gegebenheit, sondern ein Prozeß, eine allmähliche Entwicklung, deren Angelpunkt meines Erachtens nicht die Betreuung der Behinderten ist, sondern das Bemühen, sie nicht als solche zu erleben.

In dieser Hinsicht ist es interessant, zu beobachten, wie sich heute Mitschüler einer Klasse z. B. psychotischen oder schwer verhaltensgestörten Kindern zur Seite stellen: Das Absurde, das Aggressive, das Unberechenbare wird nicht mit der Angst erlebt, die dagegen noch viele Erwachsene erfaßt, sondern wird in die Möglichkeiten des Miteinanderlebens eingebaut. Die Beobachtung, daß in Klassen mit verhaltensgestörten Kindern die Klassengruppe im Gesamtverhalten viel reifer ist, wird immer häufiger in den Veröffentlichungen erwähnt, die sich (auch im psychoanalytischen Sinne) mit dem Widerstand gegen Integration auseinandersetzen. Hilfe für Behinderte in der Gemeinde bedeutet deshalb nicht nur ein gut funktionierendes Versorgungsnetz und spezielle Behandlung im unmittelbaren Wohnbereich, bedeutet auch nicht nur rollstuhlfreundliche Bürgersteige und moderne Wohngemeinschaften, sondern eine grundlegende Veränderung der Mentalität dem gestörten, dem leistungsschwachen, dem "häßlichen" oder überhaupt andersartigen Mitmenschen gegenüber.

Daß dieses Ziel in Italien erreicht ist, kann bestimmt nicht behauptet werden. Daß aber die Voraussetzungen ideologischer und gesetzlicher Art in diesem Land im Gegensatz zu anderen Ländern vorhanden sind, das steht außer Frage. Die jetzt langsam anlaufende Gesundheitsreform, die die Wege der Betreuung und Behandlung in der sozialen Umwelt des Bürgers bestimmt und nach dem Prinzip einer Medizin der Gesundheit festlegt, sowie das Gesetz, das allen behinderten Kindern Zugang zur normalen Pflichtschule garantiert, wie auch die Psychiatriereform, haben Prinzipien festgefegt, an deren Durchführung noch lange zu arbeiten sein wird. Der Widerstand, der zum größten Teil in kulturell verankerten Vorurteilen, in der dunklen Angst vor dem sogenannten Anormalen und in der emendativen Tradition der Medizin und der Pädagogik wurzelt, wurde erst zum Teil gebrochen.

Dr. Ludwig O. Roser

Unità Sanitaria Locale 10 D, Florenz, Italien

Gerben DeJong: Independent Living: Eine soziale Bewegung verändert das Bewußtsein

Zusammenfassung des Artikels: In einem längeren Beitrag beschreibt Gerben de Jong aus wissenschaftlicher Perspektive die Independent-Living-Bewegung in den Vereinigten Staaten, die an ihr beteiligten Menschen, ihre Ursprünge, gesetzgeberische Hintergründe und die Beziehung der Independent-Living-Bewegung zu anderen sozialen Bewegungen. Schließlich zeigt er, wie diese soziale Bewegung beginnt, wissenschaftliche Denkansätze grundlegend zu verändern.

"Eine bedeutende soziale Initiativbewegung wird dann möglich, wenn eine größere Gruppe von Leuten ein widerfahrenes Schicksal nicht mehr als ein Schicksal betrachtet, das ihnen die Aufmerksamkeit wohltätiger Bemühungen sichert, sondern als ein Unrecht, das die Gesellschaft nicht hinnehmen kann." (Turner 1969)

Eine zukünftige Geschichtsschreibung der amerikanischen Sozialpolitik wird auf das Jahr 1973 als auf ein Jahr zurückblicken, das die Grenze zwischen zwei Epochen der Behindertenpolitik (in den USA) markiert. In jenem Jahr beschloß der amerikanische Kongreß ein neues Rehabilitationsgesetz, das den Anstoß zu einer ganzen Reihe neuer Initiativen gab, die alle behinderten Bürger des Landes und insbesondere die schwer behinderten betrafen.

Das augenfälligste Merkmal des Rehabilitationsgesetzes von 1973 ist der Absatz 504, ein einzelner Satz, der jede Diskriminierung Behinderter im, Sinne einer Einschränkung ihrer allgemeinen bürgerlichen Rechte in allen Programmen oder Aktivitäten verbietet, die aus Bundesmitteln gefördert werden. Wegen der großen Tragweite dieses Absatzes wurde das Rehabilitationsgesetz von 1973 gelegentlich als das "Gesetz über die Bürgerrechte Behinderter" bezeichnet.

Das volle Verständnis des Gesetzes von 1973 ist nicht ohne den Blick auf eine aufkommende soziale Initiativbewegung möglich: das Independent-Living-Movement (Bewegung für autonomes Leben). Entscheidend unter politischer Führung durch selbst Betroffene aus den Reihen der behinderten Bevölkerung strebt die Bewegung eine bessere Lebensqualität für behinderte Menschen an.

Die Independent-Living-Bewegung stellt mehr dar, als eine von der Basis ausgehende Bemühung Behinderter, neue Rechte und finanzielle Ansprüche zu erlangen; sie verändert zugleich das Denken der mit dem Behindertenbereich befaßten Fachleute und Wissenschaftler, hat neue Dienstleistungssysteme ins Leben gerufen und hat der Forschung neue Richtungen gezeigt.

Der vorliegende Aufsatz untersucht Independent Living (IL) als eine soziale Initiativbewegung und als ein "Verständnismodell" (Paradigma), das der Behindertenpolitik, der Praxis im Umgang mit Behinderung und der damit befaßten Wissenschaft eine neue Richtung gibt. Als Denkansatz (Paradigma) verändert IL die Auffassung von dem Problem Behinderung und ermutigt zu neuartigen Handlungsansätzen, die in deutlichem Gegensatz zu jenen Auffassungen und Handlungsweisen stehen, die durch den vorherigen Ansatz - den Rehabilitationsgedanken - hervorgebracht wurden. Aber um den IL-Ansatz wirklich zu erfassen, ist es erforderlich, IL als eine soziale Initiativbewegung zu verstehen, mit einer klar umrissenen Anhängerschaft und einer eigenen Geschichte. Mehr noch, die Bewegung verdankt vieles einer Reihe anderer zeitgenössischer sozialer Bewegungen, wie der Bürgerrechtsbewegung, der Verbraucherbewegung, dem Selbsthilfegedanken, der Bewegung zur Entmedizinisierung und der Abkehr von Institutionalisierung. Die Bedeutung des IL für die zukünftige Entwicklung im Umgang mit Behinderung und für die entsprechende Forschung kann nur verstanden werden, wenn man den Beitrag dieser anderen Bewegungen berücksichtigt.

Zielgruppe und Anhängerschaft der Independent-Living-Bewegung

Die IL-Bewegung hat die "Schwerbehinderten" von je her als ihre vorrangige Zielgruppe betrachtet. Aber wer sind die Schwerbehinderten? Wie viele von ihnen gibt es?

Ein verbreitetes Verfahren der Definition und der Messung schwerer Behinderung geht von der Unfähigkeit aus, einer Berufstätigkeit nachzugehen oder die bisher hauptsächliche Betätigung fortzusetzen.

Ausgehend von den Ergebnissen der 1974 durchgeführten Interviewstudie zur Gesundheitsversorgung (Health Interview Survey) schätzt das (amerikanische) Bundesinstitut für Gesundheitsstatistik, daß 3,3 % (6,8 Millionen) der Bevölkerung - etwa 0,2 % aller Kinder, 2,6 % aller berufstätigen Erwachsenen und 17,1 % aller älteren Menschen - ihre früher hauptsächliche Beschäftigung nicht mehr ausüben können. (National Center for Health Statistics, 1976)

Der Kern der Zielgruppe

Der Kern der Zielgruppe der Bewegung ist jedoch enger begrenzt, als diese offiziellen Daten vermuten lassen. Die Bewegung hat ihre Kräfte auf verhältnismäßig wenige größere Behinderungsarten konzentriert: Querschnittsgelähmte, Muskeldystrophiker, Spastiker, MS-Kranke und durch Kinderlähmung Behinderte. Darüber hinaus hat die IL-Bewegung ihre Kräfte auf eine bestimmte Altersgruppe konzentriert: auf die älteren Heranwachsenden und die jüngeren Erwachsenen im berufsfähigen Alter. Die Bevorzugung dieser speziellen Altersgruppe ist zum Teil durch die oben aufgeführten Behinderungsarten bedingt. So sind z. B. von Querschnittslähmung besonders häufig junge Männer Ende des ersten, anfangs des zweiten Lebensjahrzehnts betroffen, in einem Alter also, in dem am ehesten Aktivitäten unternommen werden, die zu Körperschäden dieser Art führen können. MS tritt im allgemeinen im dritten Lebensjahrzehnt zutage. Cerebralparese und Muskeldystrophie können vorwiegend als Entwicklungsstörungen aufgefaßt werden, die sich schon in der Kindheit abzeichnen. Die durch Kinderlähmung Behinderten sind die ältesten in der Bewegung.

Daß das Schwergewicht bei den jüngeren Erwachsenen liegt, geht auch auf die gesellschaftlichen Gruppen zurück, in denen die Bewegung verwurzelt ist. Die IL-Bewegung entfaltete ihre größte Stoßkraft im Umkreis junger Akademiker. Ohne die Belastungen familiärer und wirtschaftlicher Verantwortung fällt es dieser Altersgruppe oft leichter, Zusammenschlüsse zu bilden, um soziale Probleme anzugehen.

In auffälliger Weise fehlen in der Anhängerschaft ältere Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen durch Schlaganfälle oder andere Abbauerscheinungen. Während der Denkansatz der Bewegung für ältere Behinderte von unmittelbarer Bedeutung sein könnte, hat sie ihr Augenmerk auf andere Bereiche gerichtet. Die gegenwärtige Altersstruktur der Bewegung kann nicht unbegrenzt weiter bestehen. Die medizinische Wissenschaft macht es schwerbehinderten Menschen nicht nur möglich, die ursprünglichen Schädigungen zu überleben, sondern sie ermöglicht Schwerbehinderten auch ein längeres Leben. So kann man mit zunehmenden Alter der ursprünglichen Mitglieder der Bewegung erwarten, daß sich ihre gegenwärtige altersmäßige Beschränkung ausweitet.

In gleicher Weise fehlen in der Anhängerschaft der Bewegung und in ihrer Führungsschicht rassische Minderheiten. Das ist deshalb erwähnenswert, weil die Statistik über Behinderung zeigt, daß Behinderungen unter Schwarzen relativ häufiger vorkommen, als unter Weißen. Das Fehlen rassischer Minderheiten bedarf besonderer Untersuchung. Ausgehend von den Ähnlichkeiten zwischen der Bürgerrechtsbewegung, der Bewegung der Schwarzen und der IL-Bewegung wäre nämlich zu erwarten, daß die IL-Bewegung Behinderte aus rassischen Minderheiten an sich zieht.

Behinderungsfachleute und Selbsthilfeorganisationen einzelner Behindertengruppen

Noch eine weitere Gruppe ist zu erwähnen, die zur Anhängerschaft der Bewegung gehört: Behinderungsfachleute und Selbsthilfeorganisationen einzelner Behindertengruppen. Zu den Fachleuten gehören Ärzte aus dem Bereich der somatischen Medizin und der Rehabilitation, Krankengymnasten, Beschäftigungstherapeuten, Krankenschwestern, Rehabilitationsberater und mit den Fragen von Behinderung befaßte Wissenschaftler. Das Engagement dieser Fachleute in der Bewegung ist sehr unterschiedlich und es sind keine allgemeinen Aussagen darüber möglich, außer daß die Zahl der Anhänger der Bewegung stetig größer wird. Zu den Selbsthilfeorganisationen einzelner Behindertengruppen gehören Organisationen wie die National Spinal Cord Injury Foundation (Amerikanische Stiftung für Querschnittsgelähmte), die Easter Seal Society und verschiedene Berufsverbände. Auch das Engagement dieser Organisationen in der Bewegung ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

Für eine angemessene Einschätzung der Bewegung müssen Überschneidungen zwischen betroffenen behinderten Mitgliedern der Bewegung und Behinderungsfachleuten berücksichtigt werden. Zahlreiche Behinderte sind selbst Fachleute. Daß nichtbehinderte Fachleute zur Bewegung gehören, läßt sich zum Teil aus dem Einfluß und den Anstößen zur Entwicklung eines Problembewußtseins erklären, die von den behinderten Fachkollegen ausgingen.

Die Stärke der Bewegung liegt zu einem Teil darin begründet, daß die an ihrer Entstehung beteiligten Behindertengruppen ihre Interessen mit den Bedürfnissen anderer Gruppen von Behinderten verbunden haben, wo es um gruppenübergreifende Problemstellungen ging. Das Problem architektonischer Hindernisse schafft z. B. eine Verbundenheit mit anderen Gruppen von Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt werden, wenngleich es sich am meisten bei jenen Gruppen auswirkt, die den Kern der IL-Bewegung bilden. Der Zusammenschluß in Organisationen wie der American Coalition of Citizens with Disabilities (ACCD - Koalition behinderter Bürger Amerikas) hat der Bewegung die Möglichkeit gegeben, ihre Anhängerschaft in Bezug auf einzelne Problemstellungen zu erweitern.

Hieraus wird deutlich, daß es schwierig ist, die Zusammensetzung der Bewegung genau zu umreißen. Bundesweites Untersuchungsmaterial (USA) ermöglicht es, jene Bevölkerungsgruppen zu benennen, die mit der größten Wahrscheinlichkeit in den Umkreis der Bewegung gelangen. Man kann eine Kern-Anhängerschaft benennen, aber es gibt zahlreiche andere Gruppierungen, die an der Sache interessiert sind - Behinderungsfachleute und Selbsthilfeorganisationen einzelner Behindertengruppen - und die die Bewegung anerkannt und auf die eine oder andere Art aktiv unterstützt haben. (Siehe Grafik)

Darüberhinaus ermöglichen gemeinsame Interessen mit anderen Behindertengruppen der Bewegung eine Erweiterung ihres Einflusses weit über den Bereich der ursprünglichen Kerngruppe hinaus.

Die Anhängerschaft der Bewegung ist nicht nur dadurch bestimmt, wer zu ihr gehört, sondern auch dadurch, was sie vertritt. Gruppen, die sonst nicht aktiv in der Bewegung stehen, geraten in einigen Teilbereichen unter den Einfluß ihrer Gedanken und Ideen und werden so zu Verbündeten.

Ursprünge der Bewegung und gesetzliche Hintergründe

Es ist schwierig, Zeitpunkt und Ort der Entstehung der Bewegung genau anzugeben. Die Bewegung ist im wesentlichen doppelten Ursprungs: 1. Die Bemühungen behinderter Menschen um ein erfüllteres Leben in einer Welt von Nichtbehinderten und 2. die Bemühungen von Rehabilitationsfachleuten, auch solche Behinderten zu erreichen, für die es noch bis vor kurzem undenkbar gewesen wäre, eine Berufstätigkeit anzustreben. Wenn sich auch die Bemühungen beider Gruppen in Bezug auf bestimmte Fragen der Gesetzgebung treffen, so sind ihre Interessen und ihr Ursprung doch verschieden genug, um einzeln betrachtet zu werden.

Anfänge im Bereich der Behinderten selbst

Das Projekt behinderter Studenten an der Universität von Illinois in Champaign-Urbana gehörte zu den ersten, die es Menschen mit schweren Behinderungen ermöglichten, in der Gemeinschaft zu leben. Im Jahre 1962 wurden vier schwerbehinderte Studenten aus einem weitab vom Universitätsgelände gelegenen Pflegeheim in ein ihren Erfordernissen angepaßtes Haus umgesiedelt, das näher bei der Universität lag. Das Projekt behinderter Studenten hat sich seither zu einer bedeutenden Selbsthilfeeinrichtung entwickelt und hat dazu beigetragen, daß die Universität eine der baulich am besten zugänglichen Einrichtungen dieser Art wurde.

Erst in den frühen 70er Jahren erhielt die Bewegung durch die Gründung des Center for Independent Living (CIL) in Berkeley (Californien) größere Aufmerksamkeit und mehr Auftrieb. Das CIL in Berkeley wurde 1972 offiziell als Selbsthilfegruppe eingetragen, die vorwiegend durch Personen geleitet werden sollte, die selbst behindert sind. Das Center bietet ein weites Spektrum miteinander verknüpfter Dienstleistungen an, wie Beratung durch selbst Betroffene, Rechtsbeistand, Fahrdienste, Selbständigkeitstraining, Helfervermittlung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsvermittlung, Rollstuhlreparatur und anderes. (cf. Brown, 1978; Stoddard 1978) Im Unterschied zu anderen Centers, die seither entstanden sind, gibt es im CIL von Berkeley kein stationäres Angebot und es wird ein breiteres Spektrum von Behinderungsarten erfaßt als in vielen anderen bestehenden Centers.

An der Ostküste nahm 1974 das Boston Center for Independent Living (BCIL) seine Tätigkeit auf. Das BCIL legt seinen Schwerpunkt auf vorübergehende Unterbringung und Hilfsdienste. (cf. Corcoran et al. 1977) Ähnliche Zentren und Organisationen sind in Houston, Columbus, Ann Arbor und an anderen Orten entstanden. Jedes Center hat ein unterschiedliches Angebot von Beratung und Dienstleistungen; gemeinsam gaben die verschiedenen Centers der Bewegung sowohl einen organisatorischen Brennpunkt, wie auch die Basis für die Verwirklichung einiger der bedeutenderen Zielsetzungen der Bewegung.

Die Bemühungen der Bewegung waren nicht auf die Einrichtung von CILs begrenzt. Verbündete Organisationen wie die bereits erwähnte American Coalition of Citizens with Disabilities (ACCD) waren hilfreich, wo es darum ging, aufmerksam an der Bundesgesetzgebung im Behindertenbereich mitzuwirken. Die ACCD half auch bei der Organisation der landesweiten Demonstrationen, durch die das Ministerium für Gesundheit, Erziehung und Soziales veranlaßt wurde, Durchführungsbestimmungen zum Absatz 504 des Rehabilitationsgesetzes von 1973 zu erlassen.

Anstöße aus dem Bereich der Behinderungsfachleute

Gleichzeitig mit den organisatorischen Vorstößen von Behinderten bemühen sich Rehabilitationsfachleute um die Ausgestaltung der Gesetzgebung des Bundes.

Zum einen haben sich die Vorstellungen über Selbständigkeit als Ziel der Rehabilitation gewandelt, seit der (amerikanische) Kongreß vor beinahe zwei Jahrzehnten erstmals damit befaßt wurde. Seit dieser Zeit hat sich die Technik im Bereich der Medizin und der Rehabilitation erheblich fort entwickelt. Diejenigen, die vor fünfzehn Jahren allenfalls mit der Zielsetzung eine Verselbständigung im privaten Bereich für Rehabilitations-Maßnahmen, in Frage kamen, werden heute routinemäßig in staatlichen Rehabilitationsstellen auf eine Berufstätigkeit vorbereitet.

Unterschiedliche Vorstellungen von Independent Living

Zwei Dinge müssen zu den Vorstellungen von Fachleuten aus dem Bereich der klassischen Rehabilitation über das Ziel selbständiger Lebensführung gesagt werden:

(Die an dieser Stelle des Artikels ausführlich beschriebene Entwicklung der amerikanischen Gesetzgebung ist für europäische Verhältnisse von untergeordnetem Interesse. Wir verzichten deshalb an dieser Stelle auf eine Übersetzung und drucken den amerikanischen Originaltext im Faksimile ab.)

Professional Origins

Developing concurrently with the organizational initiatives of disabled persons were the efforts of rehabilitation professionals in the formulation of national legislation. In 1959, HR361 was introduced containing language that would extend IL services to individuals for whom employment was not an obtainabble objective (6, 7). That attempt failed and in 1961 a new bill, written largely by the National Rehabilitation Association, was introduced. The new bill contained separate title on IL services. That bill also failed.

If adopted, the 1961 bill would have authorized $ 15 million in the 1st year and $25 million in the 2nd year for IL rehabilitation services. The new title was to be administered by state vocational rehabilitation agencies. The reasons for Administration opposition to the bill are unclear but anecdotal evidence has it that HEW was unable to determine which of its component agencies should administer the new title.

The 1973 Rehabilitation Act

In 1972, Congress passed HR8395 amending the Vocational Rehabilitation Act to provide IL services to those individuals "for whom a vocational goal is not possible or feasible." The bill was twice vetoed by the President on the grounds that it "would divert the (vocational rehabilitation) program from its basic vocational objectives" toward more ill-defined medical and welfare goals (6). Eventually, the President did sign what became known as the 1973 Rehabilitation Act, albeit with the IL provisions deleted.

The 1973 Rehabilitation Act contained other breakthroughs important to the IL movement. First, it mandated that those who were most severely handicapped were to receive lst priority for services under the Act. Second, title V extended new statutory rights to handicapped persons. Sections 501 and 503 mandated affirmative action programs for the employment of disabled persons within the federal government and by organizations contracting with the federal government. Section 502 created the Architectural and Transportation Compliance Board. And Section 504 banned discrimination on the basis of handicap in any program or activity receiving or benefiting from federal financial assistance.

The 1978 Amendments

A statutory authorization for IL services finally come into being when President Carter signed PL95-602 in 1978. This law created a new title VII-"Comprehensive Services for Independent Living", which establishes a 4-part program: (1) an IL services program to be administered by the state vocational rehabilitation agencies; (2) a grant program for IL centers; (3) an IL program for older blind persons; and (4) a protection and advocacy program to guard the rights of severely disabled persons. Title VII authorizes $80 million for fiscal year 1979; $150 million for 1980; $200 million for 1981; and "such sums" in 1982. Given the Administration's current efforts to hold down federal spending, it is very unlikely that the amounts appropriated by Congress will approach authorized spending levels.

Zum zweiten haben die Fachleute der beruflichen Rehabilitation, die auf die beschriebene Gesetzgebung eingewirkt haben, eine andere Auflassung von autonomer Lebensführung, als die ihnen gegenüberstehenden Betroffenen in der IL-Bewegung. Für viele Fachleute der beruflichen Rehabilitation sind IL-Dienste für jene da, bei denen man eine berufliche Zielsetzung für unmöglich hält. IL wird als Alternative zum Ziel der Berufstätigkeit angesehen, und so ergab sich auch die begriffliche Unterscheidung zwischen IL Rehabilitation und beruflicher Rehabilitation. IL Rehabilitation (im Sinne der amerikanischen Gesetzgebung) bezieht sich auf diejenigen medizinischen und sozialen Dienstleistungen, die es einem Behinderten möglich machen, in der Gemeinschaft zu leben, wenn er nicht berufstätig ist. Aus diesem Blickwinkel werden IL und Rehabilitation als zwei konkurrierende politische Zielsetzungen betrachtet. In der gesamten Geschichte der Gesetzgebungsdebatte über IL bestand die Befürchtung, daß IL die vorrangig berufsbezogenen Maßstäbe der Rehabilitation verwässern könnte. Einige Fachleute hatten die Befürchtung, daß gegen IL-Dienste die gleichen Vorwürfe erhoben werden könnten, sie seien nicht überprüfbar, wie dies bei anderen weniger gut umschriebenen sozialen Leistungen, wie etwa jenen nach Abschnitt XX des Social Security Act geschehen ist.

Andere Mitglieder der IL-Bewegung, deren Beteiligung ihren Ursprung nicht in der Tradition der beruflichen Rehabilitation hat, verwerfen die Auffassung, daß IL und Berufstätigkeit konkurrierende politische Zielsetzungen darstellen. Sie halten eine solche Sichtweise für unheilträchtig: sie könnte bewirken, daß die selbstgesteckten Ziele von Behinderten durch willkürliche Abgrenzungen eingeschränkt werden; die berufliche Zielsetzung sollte als ein integraler Bestandteil der IL-Zielsetzung betrachtet werden, und nicht als etwas, das in Konkurrenz zu ihr steht (Einschränkung auf den rein privaten Bereich).

Die Beziehung zu anderen sozialen Bewegungen

Die IL-Bewegung hat sich in einer Zeit ausgebreitet, als sich auch eine Reihe ähnlicher sozialer Bewegungen entwickelte; dazu gehören:

  • Die Bürgerrechtsbewegung

  • die Verbraucherbewegung

  • die Selbsthilfebewegung

  • die Bewegung für Entmedizinisierung

  • die Bewegung für Deinstitutionalisierung, Normalisierung und Mainstreaming (Integration, vorwiegend im Bildungsbereich)

Sind auch die Wertvorstellungen und Grundansätze dieser verschiedenen Bewegungen dieselben, so ist ihr Ursprung dennoch in gewisser Weise verschieden, da sie auf unterschiedliche gesellschaftliche Probleme zurückgehen. Jede dieser Bewegungen hat die IL Bewegung in besonderer Weise beeinflußt. Die Ursprünge und das Gedankengut der IL Bewegung können nicht vollständig verstanden werden, wenn man den Einfluß anderer gesellschaftlicher Bewegungen nicht mit in Betracht zieht.

Die Bürgerrechtsbewegung

Die Bürgerrechtsbewegung ging in ihrer Wirkung weit über die rassischen Minderheiten hinaus, um die es ihr zu tun war. Sie machte anderen benachteiligten Gruppen bewußt, welche Rechte sie haben und wie man sie ihnen verweigerte. In der Anfangsphase befaßte sich die Bewegung hauptsächlich mit Bürgerrechten und weniger mit Ansprüchen auf finanzielle Sozialleistungen. Zu den Bürgerrechten zählen das aktive und das passive Wahlrecht, das Recht auf Gerichtsbarkeit durch Angehörige der gleichen Gruppe usw. Das Recht auf finanzielle Unterstützung beinhaltet den Anspruch auf ein Einkommen, auf medizinische Fürsorge, auf Ausbildungshilfen und andere Ansprüche. Die Frage der finanziellen Unterstützung wurde in der Bürgerrechtsbewegung erst später von der Poor Peoples' Campaign (Armeleutebewegung) aufgegriffen und von Initiativen wie der National Welfare Rights Organization (Amerikanische Bundesorganisation für Wohlfahrtsrechte).

Das Eintreten sowohl für Bürgerrechte als auch für Wohlfahrtsrechte ist auf andere hilfsbedürftige Gruppen übergegangen. Im Bereich der Psychiatrie haben Patienten in einigen Fällen das Recht erlangt, die Behandlung zu verweigern und qualifizierte Betreuung zu erhalten. Im Bereich der Fürsorge für Kinder haben Kinder neue Verfahrensrechte erworben, die nach und nach in der gerichtlichen Beurteilung von Kindesmißhandlung und Straffälligkeit an die Stelle der Regel treten, die das "Prinzip des Kindeswohles" zum rechtlichen Maßstab genommen hatte. Darüber hinaus erhalten die Kinder durch spezielle Erziehungsstatuten das Recht auf Behandlung und Erziehung.

In gleicher Weise hat sich die IL-Bewegung sowohl mit Bürgerrechten als auch mit Wohlfahrtsrechten befaßt. Das Interesse der Bewegung an Bürgerrechten spiegelt sich in Absatz 5 des Rehabilitationsgesetzes von 1973, der verschiedene Arten der Diskriminierung, besonders im Bereich der Berufstätigkeit untersagt. Aber das Bemühen um Bürgerrechte hat hier nicht haltgemacht. Personen mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität stellen mit Nachdruck fest, daß bauliche Hindernisse sie in ihrer Auswirkung um ihre Bürgerrechte bringen, wenn diese Hindernisse es ihnen unmöglich machen, am politischen Leben teilzunehmen. In ähnlicher Weise sind sich behinderte Menschen dessen bewußt geworden, daß ihr Recht auf finanzielle Unterstützung die Voraussetzung für ein Leben in der Gemeinde bildet. Ohne Einkommenshilfe und Unterstützungsleistungen für Hilfe und Pflege wären viele behinderte Menschen gegen ihren Willen auf Langzeit-Pflegeeinrichtungen angewiesen.

Die Bürgerrechtsbewegung hat sich nicht nur dahingehend ausgewirkt, daß bestimmte Rechte sichergestellt wurden, sondern auch darauf, wie ihre Sicherung betrieben wurde. Wo herkömmliche Rechtsmittel ausgeschöpft waren, haben behinderte Menschen gelernt, andere Mittel des sozialen Protestes anzuwenden, wie etwa Demonstrationen und Sit-Ins.

Die Bewegung der Schwarzen, die sich schließlich aus der Bürgerrechtsbewegung entwickelte, hatte ihre eigene Auswirkung auf die IL Bewegung. Nach der Kritik, die von der Bürgerrechtsbewegung vorgebracht wurde, ist rassische Diskriminierung in Amerika ein Mißstand, der weitgehend durch Gesetze beseitigt werden könnte. Die Bewegung der Schwarzen betrachtete das Problem als eines, das durch den Rassismus hervorgebracht wird, der ein Wesenszug des weißen Amerika ist, und der nicht durch Gesetze beseitigt werden kann. Die IL-Bewegung hat erkannt, daß Vorurteile gegen Behinderung ihre Wurzeln in der Einstellung unserer Kultur zu Jugend und Schönheit haben, und darin, daß die Möglichkeit, selbst behindert zu werden, die Nichtbehinderten beängstigt. Die Bewegung der Schwarzen hat IL-Bewegung dazu angeregt, nach den tieferen Quellen der Einstellung und der Verhaltensweisen gegenüber behinderten Menschen zu fragen. [vgl. Cloerkes: Einstellung und Verhalten gegenüber Behinderten]

Die Verbraucherbewegung

Die Merkmale der Verbraucherbewegung sind schwer abzugrenzen. Es handelt sich um eine Bewegung, die fast alle sozialen Schichten und Gruppen betrifft. Sie findet ihre deutlichste Personifikation in Ralph Nader, aber sie schließt auch die Interessenvertreter verschiedener benachteiligter Gruppen mit ein und zu ihr gehört sowohl derjenige, der mit Hingabe die "Consumer Reports" liest, als auch derjenige, der für neue Gesetze zum Verbraucherschutz kämpft.

Es wäre in diesem Falle ergiebiger, die Bewegung kurz hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Behindertenpolitik zu bewerten. Der Verbraucherbewegung liegt ein Mißtrauen gegen Händler und Anbieter von Dienstleistungen zugrunde. Es ist Sache des Konsumenten, sich über die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen zu informieren. Die beherrschende Rolle des Verbrauchers war immer ein Wesensmerkmal der Theorie freier Marktwirtschaft. In der Praxis liegt die beherrschende Rolle freilich oft beim professionellen Anbieter.

Mit wachsender Vorherrschaft der "Verbraucher" gerät auch die beherrschende Rolle der Profis in der Behindertenarbeit in die Schußlinie. In der beruflichen Rehabilitation zum Beispiel hat der professionelle Berater in der Planung einer Einzelmaßnahme nicht mehr wie vordem das letzte Wort. Stattdessen sieht das Rehabilitationsgesetz von 1973 einen "Einzelfallbezogenen schriftlichen Rehabilitationsplan" vor, der gemeinsam vom Betroffenen und vom Berater festgelegt wird. Zusätzlich zur beruflichen Rehabilitation hat die IL-Bewegung neue Beratungszentren ins Leben gerufen, um behinderte Personen über ihre Rechte und finanziellen Ansprüche zu beraten. Durch die Sensibilisierung, die die IL-Bewegung verursacht, weiß ein Behinderter mit mehreren Jahren Erfahrung oft besser über amtliche Unterstützungsleistungen und Vorschriften Bescheid, als der ihm gegenüberstehende Profi von einer sozialen Einrichtung.

Der Grundsatz der Vorherrschaft der "Verbraucher"; der gelegentlich als "consumer involvement" bezeichnet wird, ist heute fest in der IL-Bewegung verankert. Nach diesem Grundsatz können behinderte Menschen ihre eigenen Interessen am besten beurteilen und sollten die gewichtigere Stimme haben, wenn es darum geht, welche Dienste auf dem Markt der Dienstleistungen für behinderte Menschen angeboten werden.

Selbsthilfe

Die Selbsthilfebewegung umfaßt eine große Zahl verschiedener Gruppen: von der Female Improvement Society (Gesellschaft zur Verbesserung der Lage der Frauen) bis zu den Anonymen Alkoholikern (cf. Withorn, 1977). Es scheint heute beinahe für jede erkennbare menschliche Lebenssituation oder jedes Problem eine Selbsthilfegruppe zu geben: Drogen, Glücksspiel, Tod, Homosexualität, Kindesmißbrauch, Gesundheit von Frauen, Alter, Sexualität, Nachbarschaftskriminalität, Zigarettenrauchen, Geburt - und hier von vorrangigem Interesse - körperliche Einschränkungen (cf. Withorn, 1977; Back, 1976; Hurwitz, 1976; Levy, 1976; Reissman, 1976). Solche Organisationen betrachten sich selbst als Gruppen gegenseitiger Hilfeleistung, die als Ergänzung oder als echte Alternative zu etablierten sozialen Einrichtungen dienen (cf. Withorn, 1977; Durman, 1976; Levin, 1976; Sidel, 1976; Tax, 1976). Gewöhnlich sprechen sie Probleme und Bedürfnisse an, mit denen sich andere gesellschaftliche Einrichtungen nicht befassen.

Für behinderte Menschen sind IL-Centers die vorrangige Selbsthilfeeinrichtung geworden. Sie wollen sowohl als Ergänzung zum gegenwärtigen System sozialer Einrichtungen dienen, als auch ein echtes Alternativangebot an Dienstleistungen bieten. In Ergänzung zum System fungieren sie als Verteilerstellen zur Weiterleitung von Sozialhilfeleistungen, die z. B. der Bezahlung von Helfern dienen. Als Alternative zum bestehenden System bieten die Centers etwa Beratung durch selbst Betroffene und Rechtsbeistand, was die allgemeinen sozialen Einrichtungen nicht anbieten.

Die Selbsthilfebewegung bezieht ihre Triebkraft aus dem gleichen Mißtrauen gegenüber von Profis beherrschten Diensten, wie die Verbraucherbewegung. Selbsthilfeorganisationen sollen den Menschen die Möglichkeit geben, selbst über ihr Leben zu bestimmen und über die Dienste, die sie in Anspruch nehmen. Sie sind Vermittler von Sachkunde und Bewußtsein, die dem Verbraucher und Dienstleistungsnehmer zur bestimmenden Rolle verhelfen.

Die Bewegung für Entmedizinisierung und gesundheitliche Selbstverantwortung

Die Bewegung für Entmedizinisierung und gesundheitliche Selbstverantwortung ist ein Trend, der sich gegen die Vorherrschaft medizinischer Fachleute in einzelnen Bereichen des menschlichen Lebens wendet. Der Trend wird beispielhaft dargestellt durch bekannte Kritiker wie Ivan Illich, die dem Problem Ausdruck gegeben haben, daß zu viele soziale Schwierigkeiten und Lebensbedingungen unötigerweise "medizinisiert" werden (cf. Illich, 1976).

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurde eine wachsende Zahl von Verhaltensweisen, die man ursprünglich als moralisches Unrecht oder als Kriminalität betrachtet hatte, immer mehr im Sinne von Krankheiten verstanden. Alkoholismus und psychische Störungen zum Beispiel fallen danach nicht mehr unter die Kategorien von moralischem Unrecht oder Kriminalität sondern werden als Krankheiten bezeichnet. Einige haben damit begonnen, Kindesmißhandlung als "Krankheit" zu bezeichnen. In ähnlicher Weise bringen Lebensstationen wie Geburt und Tod heute fast immer ein beträchtliches Maß an medizinischem Eingreifen mit sich (cf. Coe, 1976; Fox, 1968; Fox, 1977; Freidson, 1977; Mechanic, 1970; Pitts, 1968; Twaddle,1973; Zola, 1975).

Viele Menschen haben begonnen, auf die Auswüchse der Medizinisierung zu reagieren und darauf zu dringen, daß bestimmte Umstände oder Lebenssituationen entmedizinisiert werden. Ein Beispiel sind Schwangerschaft und Geburt. Einige dringen darauf, daß Schwangerschaft aus der Kategorie Krankheit herausgenommen wird und daß Geburtshilfe besser von einer Hebamme als von einem Arzt geleistet werden sollte. Ein anderes Beispiel ist der Tod. "In Würde sterben" ist das Schlagwort, das dafür gebraucht wird, unheilbar Kranke lieber zu Hause sterben zu lassen, als im Krankenhaus, wo sie an eine Apparatur aus modernsten Überwachungsgeräten angeschlosssen sind (cf. Blauner, 1966; Buckingham, 1976; Kalish, 1965; Kron, 1976).

Die Argumentation für eine Entmedizinisierung schließt die Annahme ein, daß der Einzelne eine größere Verantwortung für seine eigene Gesundheit und medizinische Fürsorge übernehmen kann und sollte. In vielfacher Weise ist die Bewegung zur Entmedizinisierung eine Ausweitung der Selbsthilfebewegung auf die Bereiche von Gesundheit und medizinischer Fürsorge, und mancherorts sieht man sie unter diesem Aspekt. Die Bewegung geht über die Halte-dich-fit-, Achte-auf-dein-Gewicht-, Höre-auf-zu-Rauchen- und Trinke-weniger-Kampagnen der jüngeren Vergangenheit hinaus. Menschen werden dazu angeregt, kleinere gesundheitliche Probleme selbst zu behandeln und mögliche Komplikationen bei chronischen Erkrankungen zu vermeiden.

Die IL-Bewegung ist in hohem Maße Parteigänger in dieser Debatte um Entmedizinisierung und gesundheitliche Selbstverantwortung. Für die IL-Bewegung geht es darum, inwieweit der Umgang mit Behinderung eine Angelegenheit des Systems medizinischer Versorgung bleiben soll, sobald ein medizinisch stabiler Zustand im wesentlichen erreicht ist. Heutzutage erfordert die öffentliche Haltung gegenüber Behinderung meist in irgendeiner Weise die Beteiligung professioneller Medizin, sei es in den akuten Phasen der Behinderung, sei es, wenn festgestellt wird, ob jemand einkommensmäßige Unterstützung erhalten kann, oder im Falle langfristiger stationärer Betreuung. Die IL-Bewegung vertritt die Auffassung, daß viel von dieser medizinischen Überwachung sowohl unnötig ist, als auch die Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt.

Für die Zielsetzung der IL-Bewegung ist die Überzeugung maßgebend, daß der Umgang mit Behinderung, die in medizinischer Hinsicht einen stabilen Zustand erreicht hat, vorwiegend eine persönliche Angelegenheit darstellt und nur in zweiter Linie eine Sache der Medizin ist. Die dauerhafte Beteiligung der Medizin im Leben behinderter Menschen, so wird gesagt, erzeugt sowohl beim Mediziner als auch beim Patienten ein Verhalten, das Abhängigkeit verursacht und so im Gegensatz zu den Zielen von Rehabilitation und IL steht.

Das medizinische Modell:

Um zu verstehen, wie solches Verhalten zustande kommt, ist es hilfreich, wenn wir uns dem Konzept des "medizinischen Modells" zuwenden, einem Konzept, das unsystematisch gebraucht wird und sich häufig je nach dem Zusammenhang verändert, in dem es diskutiert wird. Wie wir es hier verwenden, besteht das medizinische Modell aus folgenden Annahmen und Rollenerwartungen in der medizinischen Betreuung:

  • Der Arzt ist der technisch kompetente Experte.

  • Medizinische Versorgung sollte von einer Kette von Fachleuten durchgeführt werden, in der der Arzt der oberste Entscheidungsträger ist; die Verantwortung für die Versorgung des Patienten liegt beim behandelnden Arzt.

  • Der "Patient" soll die "Rolle des Kranken" annehmen, die von ihm verlangt, daß er mit dem medizinischen Personal zusammenarbeitet.

  • Der Hauptzweck der Medizin besteht darin, die Versorgung im akuten Krankheitsfall und bei der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit zu gewährleisten.

  • Krankheitserscheinungen werden in erster Linie dadurch behoben, daß man klinische Verfahren wie Chirurgie und Pharmakotherapie einsetzt und "Hand anlegt".

  • Krankheiten können nur von ausgebildetem Personal diagnostiziert, bescheinigt und behandelt werden.

Wie die meisten Modelle ist diese Version des medizinischen Modells eine verhältnismäßig strenge Konstruktion dessen, was, wie man annimmt, in der medizinischen Versorgung vorhanden sein und geschehen muß. Das Modell erhebt nicht den Anspruch, vollständig zu sein; es konzentriert sich vor allem auf diejenigen Elemente, die uns auch dienlich sein können, um zu verstehen, worum es bei der Entmedizinisierung von-Behinderung überhaupt geht.

Ehe wir die Rollenerwartungen des medizinischen Modells untersuchen, ist es die Mühe wert, einige der übrigen Elemente des Modells zu betrachten, die bei der IL Bewegung Anstoß erregt haben. Ein wichtiger Grund dafür, Behinderung zu entmedizinisieren, so argumentiert die Bewegung unter anderem, liegt darin, daß viele der Annahmen des medizinischen Modells nicht zu den Bedürfnissen behinderter Menschen passen und nicht auf sie anwendbar sind. So entspricht zum Beispiel die Betonung, die das Modell auf die akute und wiederherstellende Versorgung legt, nicht den Bedürfnissen behinderter Menschen, die die akute Phase bereits hinter sich haben.

Entsprechend benötigen viele behinderte Menschen, wenn die akute Phase einmal vorbei ist und sie unabhängig leben, keine Chirurgie, keine Pharmaka und keine "Behandlung", die klinische Medizin charakterisieren. Darüber hinaus benötigen erfahrene behinderte Menschen häufig keine Diagnostik, Beurkundung oder Behandlung durch medizinische Fachleute, da sie mit den Besonderheiten ihres eigenen Zustandes ausreichend vertraut geworden sind, um selbst einen großen Teil ihrer medizinischen Beobachtung und Behandlung leisten zu können.

Die Rolle des Kranken:

Die IL-Bewegung kritisiert besonders die Verhaltenserwartungen des medizinischen Modells, wie sie in der Rolle des Kranken definiert sind, und die in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung haben. Dieses Konzept, das ursprünglich von Talcot Parsons (1951) formuliert wurde, gilt als das bedeutendste Einzelkonzept der Medizinsoziologie. Indem wir seine Anforderungen verstehen, gewinnen wir eine bessere Einsicht in die Position, die die IL-Bewegung vertritt.

Die Rolle des Kranken besteht aus zwei aufeinander bezogenen Komplexen von Freistellungen und Verpflichtungen:

  • Ein Kranker ist je nach Art und Schwere der Erkrankung von "normalen" gesellschaftlichen Aktivitäten und Verantwortlichkeiten freigestellt.

  • Ein Kranker ist von jeder Verantwortung für seine Krankheit befreit. Er ist nicht moralisch verantwortlich für seinen Zustand und man erwartet nicht von ihm, daß er durch bloße Willensanstrengung eine Besserung herbeiführt.

Diese Ausnahmen werden bedingt gewährt. Denn umgekehrt gilt:

  • Ein Kranker ist verpflichtet, den Zustand des Krankseins als anormal und unerwünscht zu betrachten und alles zu tun, um seine Genesung zu erleichtern.

  • Ein Kranker ist verpflichtet, sich um technisch fachkundige Hilfe zu bemühen und in seiner Genesung mit dem Arzt zu kooperieren.

Die Rolle des Kranken ist darauf zugeschnitten, vorübergehend zu sein. Aber für einen langfristig oder dauerhaft behinderten Menschen gibt es keine unmittelbare Genesung in dem Sinne, daß er seine ursprüngliche gesundheitliche Verfassung wiedererlangt. Da die Behinderung häufig einen unabänderlichen Bestandteil seines Daseins darstellt, beginnt der behinderte Mensch aufgrund der Rolle des Kranken nicht nur seinen Zustand anzunehmen, sondern er beginnt auch, seine ureigene Persönlichkeit als "anormal" und "unerwünscht" zu begreifen. Mehr noch, er beginnt, die Abhängigkeit, die in der Rolle des Kranken beschrieben ist, für die Dauer seiner Behinderung als Norm anzunehmen. Auf diese Weise enthebt die Rolle des Kranken den behinderten Menschen von der Verpflichtung, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Die Behindertenrolle:

Diese Kritik der Rolle des Kranken wird durch das Konzept der Behindertenrolle bestärkt, die von Gordon (1966) und von Siegler und Osmond (1973) dargestellt wurde. Die Behindertenrolle wird einer Person zugeschrieben, deren Zustand sich kaum verbessern dürfte und die außerstande ist, die erste Anforderung der Rolle des Kranken zu erfüllen, nämlich die Pflicht, sich um eine möglichst baldige Genesung zu bemühen. Wer sich in der Behindertenrolle befindet, hat den Gedanken an eine Genesung gänzlich hinter sich gelassen und seinen Zustand sowie seine Abhängigkeit als dauerhaft angenommen. Mit den Worten von Siegler und Osmond bringt die Behindertenrolle "einen Verlust des vollwertigen Menschseins mit sich".

".... die Behindertenrolle erfordert nicht die Anstrengung, in der medizinischen Behandlung mitzuarbeiten und sich um die Wiedererlangung der Gesundheit zu bemühen, aber der Preis dieses Nichtstuns besteht darin, daß man eine Art von Bürger zweiter Klasse ist"

Die Behindertenrolle stellt keine Norm dar und wird nicht durch das medizinische Modell vorgeschrieben, aber sie ist eine Rolle, in die ein behinderter Mensch schlüpfen darf, wenn sich die Erfordernisse der Rolle des Kranken mit zunehmender Zeit abschwächen.

Die Behindertenrolle findet ihre literarische Darstellung in Thomas Manns nobelpreisgekröntem Roman "Der Zauberberg" der von Patienten handelt, die im "Berghof" leben, einem internationalen Tuberkulose-Sanatorium für die Reichen. Hier geben Patienten die Rolle des Kranken auf und wechseln in die Behindertenrolle. Sieger und Osmond geben eine aufschlußreiche Beschreibung der Behindertenrolle im Berghof:

"Die Behindertenrolle hat einen niedrigeren Status als die Rolle des Kranken, aber der Lohn dieses kindlichen Status besteht darin, daß sie sich verhalten dürfen wie Kinder, indem sie Kartenspielen, Hobbies entwickeln, die Mahlzeiten serviert bekommen, miteinander "spielen" oder, meistens, überhaupt nichts tun".

Manns romanhafte Beschreibung des "Berghof" stellt uns eine Variante der Behindertenrolle vor, wie man sie in einer bestimmten institutionellen Umgebung vorfindet. Seine Darstellung gibt einen Eindruck von der Tendenz zu kindlicher Abhängigkeit, wie sie in der Behindertenrolle enthalten ist.

Die IL-Bewegung weist die Verhaltenserwartungen zurück, die sowohl in der Rolle des Kranken als auch in der Behindertenrolle enthalten sind, wenn sie sagt, daß die behinderten Menschen nicht ihrer familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Verantwortung enthoben werden wollen, wenn der Preis darin besteht, sich in kindliche Abhängigkeit zu begeben. Man betrachtet diese "Entlastung" sogar als gleichbedeutend mit der Verweigerung des Rechtes behinderter Menschen auf Teilnahme am Leben der Gemeinschaft und ihres vollen Persönlichkeitsrechtes.

Entinstitutionalisierung, Normalisierung, Mainstreaming

Die Abhängigkeit schaffenden Strukturen des medizinischen Modells und der Behindertenrolle drücken sich am deutlichsten im institutionellen Bereich aus. Institutionen sind in sich geschlossene soziale Systeme, die dem Personal und Fachleuten verschiedener Art die Möglichkeit geben, ein erhebliches Maß an sozialer Kontrolle auszuüben, wobei wenig Einmischung von außen erfolgt.

Längere Institutionalisierung zieht bekanntermaßen ungünstige Auswirkungen nach sich: "Die Patienten werden dazu gebracht, sich nach Anweisungen und Vorschriften zu richten. Angepaßtheit wird hoch bewertet und Individualismus wird unterdrückt. Der "gute" Patient ist derjenige, der respektvoll den Anweisungen folge leistet und sich nicht mit dem Personal anlegt. Andererseits neigt man dazu, den Patienten, der ständig nach Kleingeld für den Münzfernsprecher fragt, nach einer Briefmarke oder nach einer Ausgangserlaubnis, um private Dinge zu erledigen, als lästig und unselbständig abzustempeln. Patienten legen nicht selbst Termine fest, führen keine eigenen Krankenblätter und nehmen nicht selbständig ihre Medikamente. Die rechtliche Verantwortung für diese Dinge liegt bei der Einrichtung. Aber am Tage der Entlassung soll der Patient auf einmal die Verantwortung für seine Gesundheit und sein Leben übernehmen" (Corcoran, 1978)

Der Trend zur Entinstitutionalisierung geht quer durch viele Arten von Behinderung. Die bekannteste Initiative zur Entinstitutionalisierung ist das Community Mental Health Movement (Gemeindepsychiatrie-Bewegung), das vielen Menschen die Möglichkeit gegeben hat - häufig unter Einnahme von Psychopharmaka - die Mauern der Institutionen zu verlassen oder in der Gemeinde zu verbleiben. Ähnliche Beispiele finden sich in anderen Bereichen, wie etwa in der Altenhilfe oder in der Jugendpflege.

Die Bewegung zur Entinstitutionalisierung hat durch das politische Argument Rückendeckung erhalten, daß institutionelle Pflege teuer ist, und daß eine Betreuung in der Gemeinde Steuergelder spart. Es ist schwierig, den Beweis für diese Argumentation zu führen, besonders dann, wenn Untersuchungen die allgegenwärtige Tendenz von Institutionen außer Acht lassen, die Belegung zu erhöhen, um eine Auslastung zu erreichen.

Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen und ihre Interessenvertreter sind verständlicherweise Nachzügler in diesem Vorstoß zur Deinstitutionalisierung. Anders als bei geistig Behinderten oder ehemals Straffälligen läßt sich ihre Behinderung weniger leicht verbergen. Darüber hinaus erfordert eine Deinstitutionalisierung bei Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen umfangreiche bauliche Anpassungsmaßnahmen, die andere nicht benötigen.

Die IL-Bewegung hat viele Spar-Argumente anderer Gruppen übernommen Das Problem ist nur, daß diese Argumente sich gegenüber Vertretern der Steuerzahler abzunutzen beginnen, die keinen nennenswerten Rückgang der Sozialausgaben feststellen. Da Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen Nachzügler im Vorstoß zur Deinstitutionalisierung sind, nützt ihnen das Argument der Kostenersparnis nicht mehr so viel. Die öffentliche Skepsis gegenüber Deinstitutionalisierung mag sich als ein weiteres Hindernis für autonomes Leben erweisen.

Eng verbunden mit der Bewegung für Deinstitutionalisierung sind die Konzepte der Normalisierung und des Mainstreaming (= Integration, vorwiegend im Bildungsbereich). Diese Konzepte werden hauptsächlich in Bezug auf geistig behinderte Kinder und junge Erwachsene angewendet. Früher glaubte man, es wäre das beste für behinderte Kinder, wenn man sie in Institutionen unterbringt oder in Sonderklassen ausgliedert. Heute glaubt man, daß ein behindertes Kind oder ein junger Erwachsener sich "normaler" entwickelt, wenn man ihn zusammen mit gleichaltrigen Nichtbehinderten aufwachsen läßt (= Mainstreaming).

Aber Normalisierung ist mehr als bloße Deinstitutionalisierung. Nach Dybward geht Normalisierung davon aus, daß "Sorgen und Streit, schwere Prüfung und großer Kummer normal sind auf Erden, und daß ein behinderter Mensch das Recht hat, ihnen ausgesetzt zu sein. Normalisierung schließt die Würde des Risikos mit ein". (Dybward, 1975)

So geht Normalisierung einen Schritt über Deinstitutionalisierung hinaus und schließt die Möglichkeit des Scheiterns mit ein - eine Tatsache, die die Bewegung für Deinstitutionalisierung nicht immer wahrhaben wollte. Die Würde des Risikos ist es, worum es in der IL-Bewegung geht. Ohne die Möglichkeit des Scheiterns, so wird gesagt, fehlt den behinderten Menschen die wahre Autonomie und das Zeichen wahren Menschseins das Recht, auf Wohl und Wehe zu entscheiden.

Independent Living als Paradigma des Denkens

Soziale Bewegungen finden letztlich ihren Ausdruck in der Politik oder in der Arbeitsweise von Fachleuten. Wenn auch weder Politik noch Fachpraxis das gesamte Gedankengut einer Bewegung vollständig übernehmen mögen, so läßt sich doch eine entscheidende Beeinflussung feststellen. Bei der IL-Bewegung ist das nicht anders. Wir haben unsere Diskussion mit der Feststellung begonnen, daß IL mehr ist als eine soziale Bewegung, die neue Rechte und finanzielle Ansprüche für behinderte Menschen anstrebt, sondern daß sie auch Fachleute aus dem Behindertenbereich beeinflußt. Wie wir gesagt haben, verändert die Bewegung die Art und Weise, wie das Problem Behinderung definiert wird und sie gibt Anstoß zu neuen Vorgehensweisen. Was wir in der amerikanischen Behindertenpolitik beobachten, ist das Auftauchen eines neuen "Paradigma" (Denkmodell), das das Denken von Fachleuten aus dem Behindertenbereich ebenso verändert wie das von Wissenschaftlern.

Kuhns Begriff des "Paradigma"

Mein Gebrauch des Begriffes "Paradigma" ist Kuhns oft zitiertem Werk "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" entlehnt. Als Wissenschaftshistoriker beobachtete Kuhn, daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach durch eine Anhäufung von Fakten oder durch kontinuierliche Entwicklung zustandekommen, sondern daß sie das Ergebnis neuer Denkweisen sind neuer wissenschaftlicher Paradigmen. Paradigmen definieren für den Wissenschaftler Realität. Sie setzen den Rahmen für Problemfeststellung und -Lösung. Das Paradigma schreibt auch die Methodik zur Lösung eines gegebenen Problems vor.

Kuhns historischer Bezugsrahmen läßt sich nicht nur auf die Naturwissenschaft anwenden, sondern er ist ebenso angemessen für die Politik und das Handeln von Fachleuten. Der Begriff des Paradigma kann hier hilfreich sein, um die Auseinandersetzung zu verstehen, die die IL-Bewegung ausgelöst hat.

Zwei weitere Begriffe sind wichtig für Kuhns analytischen Bezugsrahmen. Der erste ist der Begriff der Anomalie. Eine Anomalie ist ein Ereignis oder eine Beobachtung, die sich innerhalb des zum jeweiligen Zeitpunkt herrschenden Paradigmas nicht zureichend erklären läßt. Treten in ausreichender Zahl Anomalien zutage, so wird eine Krise ausgelöst und einzelne, die unzufrieden sind, beginnen, nach einem alternativen Erklärungsmodell oder "Paradigma" zu suchen. Der zweite ist der Begriff des Paradigmawechsels - wenn ein Paradigma zugunsten eines anderen aufgegeben wird. Anomalien veranlassen jemanden nicht automatisch dazu, sich von einem Paradigma loszulösen und ein anderes zu wählen. Ein Paradigmawechsel findet nur statt, wenn es ein neues Paradigma gibt, das an die Stelle des alten treten kann. "(Eine) wissenschaftliche Theorie wird nur dann für ungültig erklärt, wenn es eine Alternative gibt, die ihren Platz einnehmen kann." Diese Begriffe sind beide nützlich für unsere Fragestellung hier

Das Paradigma der Rehabilitation

Das vorherrschende Paradigma im Umgang mit Behinderung ist heute das Paradigma der Rehabilitation, das sowohl in der medizinischen als auch in der beruflichen Rehabilitation zutage tritt. Man könnte argumentieren, daß es ausreichende Unterschiede zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation gebe, um von zwei Paradigmen zu sprechen, aber es gibt auch eine ausreichende Zahl von Gemeinsamkeiten, um sie als eines zu betrachten. Da mein Hauptanliegen darin besteht, Rehabilitation und Independent Living als Paradigmen einander gegenüberzustellen, sind die Unterschiede zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation von geringerer Bedeutung.

Das Paradigma der Rehabilitation definiert Behinderung im allgemeinen anhand unzureichender Handlungsfähigkeit in Bezug auf Erfordernisse des täglichen Lebens oder anhand unzureichender Möglichkeiten zur Berufsausübung. In beiden Fällen geht man davon aus, daß das Problem seinen Ort beim Einzelnen hat. Es ist der Einzelne, den man verändern muß. Um sein Problem zu überwinden, erwartet man vom behinderten Menschen, daß er Rat und Anweisungen eines Arztes, Krankengymnasten, Beschäftigungstherapeuten oder Berufsberaters in Anspruch nimmt. Der behinderte Mensch soll die Rolle eines "Patienten" oder "Klienten" annehmen. Während das Ziel des Rehabilitationsprozesses größtmögliche physische Funktionsfähigkeit oder Berufstätigkeit ist, hängt der Erfolg der Rehabilitation in hohem Maße davon ab, ob sich der Patient oder Klient in die beschriebenen therapeutischen Regeln einfügt.

Der schwerbehinderte Mensch als "Anomalie"

In den zurückliegenden Jahren sind Anomalien aufgetreten, die mit dem Paradigma der Rehabilitation nicht erklärt werden können. Die wichtigste Anomalie war die Tatsache, daß sehr schwer behinderte Menschen ohne die Hilfe oder sogar gegen den Widerstand der professionellen Rehabilitation Autonomie erlangt haben. In der Tat hielt man einige für zu stark behindert, als daß ihnen die Rehabilitationseinrichtungen hätten wesentlich helfen können. Es wurde sichtbar, daß die Zusammenarbeit mit der professionellen Rehabilitation keine unerläßliche Voraussetzung für Independent Living darstellt. Die Folge war, daß in wachsender Zahl Menschen, vor allem unter den sehr schwer Behinderten, unzufrieden wurden und nach einem anderem Paradigma suchten.

Das Independent-Living-Paradigma

Das IL-Paradigma ist teilweise als eine Antwort auf die Anomalie des schwer körperbehinderten Menschen entstanden. Nach dem IL-Paradigma liegt das Problem nicht beim Einzelnen, sondern oft bei der Lösung, die das Rehabilitations-Paradigma anbietet - an den Abhängigkeit schaffenden Strukturen des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient oder Fachmann und Klient. Rehabilitation wird als ein Teil des Problems angesehen, und nicht als dessen Lösung. Der Ort des Problems ist nicht der Einzelne, sondern die Umwelt, die nicht nur den Rehabilitationsprozeß umfaßt, sondern auch die physische Umwelt und die sozialen Steuermechanismen der Gesellschaft im Allgemeinen. Um mit diesen Hindernissen der Umwelt zurechtzukommen, muß der behinderte Mensch die Rolle des Patienten oder Klienten ablegen und die Rolle des kritischen Konsumenten von Dienstleistungen annehmen. Rechtsbeistand, Beratung durch gleichfalls Betroffene, Selbsthilfe, Kontrolle durch Dienstleistungsnehmer und die Abschaffung baulicher Hindernisse sind Markenzeichen des IL-Paradigmas. (Siehe Tafel 1)

Wenngleich das IL Paradigma nunmehr den Kinderschuhen ein gutes Stück weit entwachsen ist, bleibt die Wirksamkeit des Rehabilitations-Paradigmas doch in starkem Maße erhalten. Wir können davon ausgehen, daß das IL-Paradigma an Stärke gewinnt, wenn die Führungspersönlichkeiten in der Bewegung fortfahren, seine Grundsätze genauer zu fassen. In dieser Phase des Paradigmawechsels sehen wir einzelne Menschen, die beiden Paradigmen anhängen. Es gibt einige Rehabilitationsfachleute, die in ihrer Praxis IL-Konzepte eingeführt haben, die aber das Rehabilitations-Paradigma nicht gänzlich zugunsten des IL-Paradigmas aufgegeben haben. Diese Analyse unterscheidet sich etwas von der Kuhns. Er argumentiert, daß "die Entscheidung, ein Paradigma aufzugeben immer gleichzeitig mit der Entscheidung für ein anderes erfolgt ..."Die hier gegebene Analyse unterstellt, daß der Übergang zu einem anderen Paradigma nicht notwendig abrupt oder ausschließlich erfolgen muß.

 

Rehabilitations-Paradigma

IL-Paradigma

Problemdefinition

Körperliche Einschränkung

Mangelnde Fähigkeit zur Berufsausbildung

Abhängigkeit von Fachleuten, Angehörigen etc.

Ort des Problems

Der einzelne Betroffene

Umwelt, Rehabilitationsprozeß

Problemlösung

Fachkundiges Vorgehen von Arzt, Krankengymnast, Beschäftigungstherapeut, Berufsberater etc.

Beratung durch gleichfalls Betroffene, Rechtsbeistand, Selbsthilfe, Kontrolle durch behinderte "Konsumenten", Abbau architektonischer Hindernisse

Soziale Rolle

Patient/Klient

"Konsument"

Wer ist tonangebend

Fachprofi

"Konsument"

Erwünschtes Ergebnis

Größtmögliche Fähigkeiten in Bezug auf Aktivitäten des täglichen Lebens, Berufstätigkeit

Independent Living (= Autonomes Leben)

Folgerungen für die Wissenschaft, die sich mit Behinderung befaßt

Paradigmen definieren nicht nur Probleme und den Rahmen angemessenen Vorgehens; sie legen auch fest, welche Fragestellungen in der Forschung wichtig werden. Kuhn vertritt die Auffassung, daß es ohne jegliches Paradigma keine Wissenschaft geben kann. Jedem Paradigma liegen Annahmen über Wirkungszusammenhänge zugrunde. Sie beziehen sich auf ein System aus unabhängigen Variablen (Bedingungen, die verändert werden können) und abhängigen Variablen (Folgen oder Ergebnisse geänderter Bedingungen).

In der traditionellen Rehabilitationswissenschaft liegt die Betonung auf solchen Ergebnissen wie etwa Fortschritten bei der Alltagsbewältigung, der Mobilität und der Berufstätigkeit. Die entsprechenden Veränderlichen (Ursachen), die man für bedeutsam hält, bewegen sich im allgemeinen rund um Charakteristika des Patienten/Klienten und verschiedene Therapieformen der Rehabilitation. Die Bezugsdaten über den Patienten/Klienten beinhalten im allgemeinen das Alter, das Geschlecht, die körperlichen Einschränkungen und das psychologische Bild des Einzelnen. Daß diese Daten mit herangezogen werden, entspricht der Annahme der Rehabilitationswissenschaft, daß das in Betracht stehende Problem beim Einzelnen liegt. Die Fragestellung der Rehabilitationswissenschaft ist nicht, ob Rehabilitation funktioniert, sondern welche Therapie oder Maßnahme für welche Gruppen von Patienten oder Klienten am besten funktioniert.

IL hat erst begonnen, als wissenschaftliches Paradigma in Erscheinung zu treten. Vieles an wissenschaftlicher Arbeit, das IL-Konzepte mit einbezieht, muß den Weg in die wissenschaftlichen Veröffentlichungen erst noch finden. Ausgehend von den Wertbegriffen und Grundannahmen, die die IL-Bewegung formuliert, können wir immerhin wenigstens damit beginnen, einige der Variablen festzumachen, die als wissenschaftlich bedeutsam gelten können.

Die im IL-Paradigma enthaltene Verursachungstheorie geht davon aus, daß Umweltbarrieren als Ursache für Behinderungen ebenso bedeutsam sind wie persönliche Charakteristika - wenn nicht noch mehr als diese. Diese Verursachungstheorie ist in Trieschmanns Denkansatz impliziert, wenn sie versucht, das Verhalten und die Situation querschnittgelähmter Menschen zu erklären. Trieschmann stellt die Hypothese auf, daß das Verhalten eine Funktion dreier Gruppen von Variablen ist - von Variablen, die in der Persönlichkeit liegen, Variablen, die in der körperlichen Verfassung liegen und Variablen, die in der Umwelt liegen, wie dies in Tafel 2 gezeigt wird. (cf. Trieschmann, 1978)

Nach Trieschmann muß die sich mit Behinderung befassende Wissenschaft mehr Rücksicht auf die Auswirkungen von Umweltvariablen legen. Ihre Liste von Umweltvariablen ist nicht erschöpfend, aber sie illustriert die Forschungsansätze, die das IL-Paradigma nahelegt.

Persönliche Faktoren

  • Gewohnheiten

  • Persönlichkeitsstil

  • Interessen und Neigungen

  • Selbstbestimmt oder beeinflußbar

  • Streßverhalten

  • Selbsteinschätzung

Umweltfaktoren

  • Krankenhausumgebung

  • Behinderungstypischer Umfang an sozialer Diskriminierung

  • Familiäre und zwischenmenschliche Unterstützung

  • Finanzielle Sicherheit

  • Soziales Milieu

  • Städtisches od. ländliches Wohngebiet

  • Zugang zu medizinischer Versorgung und Wartung technischer Hilfsmittel

  • Zugang zu Bildung, Erholung und außerberuflichen Aktivitäten

  • Sozioökonomischer Status

  • Bauliche Hindernisse und verfügbare Transportmittel

  • Gesetzgebung

  • Kulturelle und ethnische Einflüsse

Organische Faktoren

  • Alter

  • Schwer der körperlichen Einschränkungen

  • Medizinische Komplikationen

  • Angeborene Auffälligkeiten

  • Körperkraft

  • Ausdauer

Darüber hinaus unterscheidet sich das IL-Paradigma vom Rehabilitationsparadigma in der Festlegung derjenigen Variablen, die sich auf die erwünschten Erfolge beziehen. Während Rehabilitation die Bedeutung von Selbstversorgung, Mobilität und Berufstätigkeit betont hat, hebt IL ein breiteres Spektrum bedeutsamer Ergebnisse hervor. Zusätzlich zu den drei Zielsetzungen, die in der Rehabilitation für erstrebenswert gehalten werden, hat IL die Bedeutung von Wohn- und Lebensformen, der Ausrichtung der Dienste an den Bedürfnissen und Wünschen der Dienstleistungsnehmer, der Mobilität außerhalb der Wohnung und der Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände betont. In einigen Fällen würde das IL-Paradigma Selbstversorgung als bedeutsame Zielvariable ablehnen. Die Tatsache, daß ein behinderter Mensch mehr Unterstützung von seiten des Helfers benötigt, bedeutet nicht notwendigerweise, daß er in größerem Maße abhängig ist. Wenn jemand sich mit Hilfe eines Helfers in fünfzehn Minuten anziehen kann, um dann einen Tag lang einer Berufstätigkeit außer Hause nachzugehen, dann ist er unabhängiger, als jemand, der zwei Stunden benötigt, um sich selbst anzukleiden und dann seine Wohnung nicht verlassen kann.

Die Herausforderung für Wissenschaftler, die sich mit Behinderung befassen, liegt darin, die Auffassungen in wissenschaftlich überprüfbarer Form aufzubereiten, die das IL-Paradigma einbringt. Insbesondere müssen wir die Ergebnisse und die Einflußgrößen operationalisieren, die im IL-Paradigma für bedeutsam gehalten werden. Was die Ergebnisse anlangt, müssen wir eine Reihe von Variablen identifizieren und gewichten, in denen sich die Werte des IL ganz besonders deutlich widerspiegeln. Was die entsprechenden Umweltvariablen anlangt, müssen wir aussagefähige Meßverfahren für Beschränkungen durch die Umwelt festlegen.

Man mag fragen, ob man sich mit der Untersuchung von Umweltvariablen nicht überflüssige Mühe mit Dingen gibt, die auf der Hand liegen. "Fragt irgendeinen behinderten Menschen", könnte man sagen. Während die Bedeutsamkeit von Umweltvariablen anscheinend offensichtlich ist, sind wir uns über die unterschiedlichen Auswirkungen der einzelnen Beschränkungen durch die Umwelt für die Erklärung des Gesamterfolges von IL nicht sicher. Auch wissen wir nicht, wie wichtig diese Umweltvariablen insgesamt in Bezug zu individuellen Charakteristika sind. Wir müssen über die bloße statistische Signifikanz hinausgehen, um zu zeigen, zu welchem Prozentsatz die Varianz der Ergebnisse sich aus Einflußgrößen erklären läßt, die im IL-Paradigma als bedeutsam angesehen werden.

Aber es gibt einen wichtigen Grund, den Einfluß von Umweltvariablen zu betrachten. Es gibt eine sich ausbreitende öffentliche Diskussion darüber, in welchem Ausmaß die Gesellschaft die Entfernung von Umwelthindernissen finanziell unterstützen soll - nicht behindertengerechte öffentliche Verkehrsmittel, bauliche Barrieren, ungedeckter Bedarf an persönlichen Hilfen u. a. m. Wenn sich empirisch aufzeigen läßt, daß diese Hindernisse maßgebend für Behinderung sind, dann wird die Position der IL-Bewegung in den verschiedenen öffentlichen Gremien erheblich gestärkt.

Umweltvariablen können, anders als persönliche Charakteristika, durch Gesetzgebung und Verwaltungsmaßnahmen korrigiert werden. In seiner Nachfolgeuntersuchung über querschnittgelähmte Kriegsteilnehmer macht Eggert (1973) in einer unveröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit folgende Bemerkung: "Umweltbedingungen und individuelle Charakteristia . . . sind in qualitativ verschiedenem Maße veränderbar. Demografische Merkmale wie Alter, Geschlecht und Rassenzugehörigkeit lassen sich nicht verändern. Andere individuelle Merkmale, wie das Maß an Unabhängigkeit in Bezug auf Aktivitäten des alltäglichen Lebens können durch krankengymnastische Maßnahmen in gewissem Umfang verbessert werden. Art und Umfang der Unterstützungsleistungen für Kriegsteilnehmer lassen sich durch einen Federstrich in der staatlichen Gesetzgebung drastisch verändern".

Die herkömmliche Rehabilitationsforschung, die die vorhandenen oder nicht vorhandenen Auswirkungen individueller Patienten/Klienten-Merkmale beforscht, hat wenig politische Bedeutung - und vielfach auch wenig Bedeutung für die klinische Praxis. Als wissenschaftliches Paradigma bietet uns IL die Gelegenheit, der kurzsichtigen Beschäftigung mit unveränderlichen Persönlichkeitsmerkmalen gegenzusteuern, die unsere Aufmerksamkeit von dem größeren institutionellen Rahmen und den Umweltzusammenhängen ablenkt, in denen behinderte Menschen leben. Der institutionelle Rahmen und die Umweltbedingungen wurden zu lange als gegeben hingenommen.

Die Zukunft

In nur sieben Jahren ist die IL-Bewegung von einer kleinen Mannschaft behinderter Menschen, die um einfache Rechte kämpften, zu einer bedeutsamen politischen Kraft herangewachsen, die die Zukunft der öffentlichen Haltung gegenüber Behinderung formend beeinflußt. Können wir angesichts dieses kometenhaften Aufstiegs vorhersagen, wie die Bewegung womöglich die Zukunft der Behindertenpolitik formt? Können wir vorhersagen, wie die Bewegung in weiteren zehn Jahren aussehen wird? Während sich diese Fragen nicht unmittelbar beantworten lassen, können wir einige Tendenzen und Entwicklungspunkte ausmachen.

Die Rolle des Independent-Living-Paradigmas

Der Begriff des Paradigma kann nützlich sein, um den möglichen Einfluß der IL-Bewegung auf die Behindertenpolitik vorherzusagen. Paradigmen sind mehr als ein wissenschaftlicher Bezugsrahmen; sie haben auch eine wichtige verborgene soziale Funktion. Sie bereiten Studenten, Wissenschaftler und Praktiker auf bestimmte Berufsrollen vor, helfen, die Grenzen professionellen Handelns abzustecken und tragen zur Legitimation professioneller Gruppierungen bei.

Bislang war der Behindertenbereich (für Körperbehinderte) fest in der Hand der Vertreter des Rehabilitations-Paradigmas und der Rehabilitationsfachleute, deren eingeschränkter Bezugshorizont in vielfacher Weise die Wahlmöglichkeiten behinderter Menschen einengte. Die Betonung der einzeltherapeutischen Arbeitsweise stand oft der interdisziplinären Zusammenarbeit im Wege. Durch die Erweiterung des Problems Behinderung mit der Einbeziehung einer großen Vielfalt vom Umweltbedingungen öffnet das IL-Paradigma das Feld der Behindertenarbeit für andere Disziplinen. Die Betonung von Rechten und finanziellen Ansprüchen gibt den Anstoß zur Beteiligung von Juristen; die Frage baulicher Hindernisse weckt neues Interesse auf Seiten von Architekten; und das Problem, daß verschiedene öffentliche Hilfsprogramme abschreckend auf den Arbeitswillen wirken, wird mit Sicherheit Wirtschaftsfachleute auf den Plan rufen, die ein ähnliches Feld auch schon bei Programmen zum Einkommensausgleich für nicht behinderte Personengruppen bearbeitet haben.

Darüber hinaus wird der Einfluß neuer Perspektiven, wie sie die IL-Bewegung vertritt, zweifellos zu einer Erneuerung im Bereich der Rehabilitation führen und das Bewußtsein für verwandte Bereiche schärfen. So könnten z. B. Berater aus dem Bereich der beruflichen Rehabilitation dazu angeregt werden, sich besser über das übrige System von Sozialleistungen zu informieren, und dies würde ihrer Klientel zugute kommen.

Die Rolle der Nichtbehinderten

Eines der meistdiskutierten Probleme wird in Zukunft die Rolle der Nichtbehinderten in der Bewegung sein. In einigen Bereichen herrscht das Gefühl vor, daß die Mehrzahl der Führungspositionen nur durch behinderte "Konsumenten" besetzt sein sollten. Das Problem erinnert an die Bürgerrechtsbewegung, wo die Weißen dazu aufgefordert wurden, ihre Führungsrolle in Organisationen aufzugeben, die für Schwarze eintraten. Die Diskussion über diese Frage wird sich sehr wahrscheinlich im Laufe der kommenden Jahre verstärken. Die Frage, inwieweit die behinderten "Konsumenten" die Führung übernehmen sollen, wird dann weniger umstritten werden, wenn Nichtbehinderte zunehmend erkennen, daß sie außerhalb von Organisationen der Bewegung eine wichtige Funktion haben, besonders in der Fortentwicklung der Behindertenpolitik.

Eine andere ungelöste Frage ist die, wer ein "Konsument" ist. Diese Frage ist für Eltern behinderter Kinder besonders wichtig. Eltern verstehen sich häufig als stellvertretende "Konsumenten" für ihre Kinder. Die Bewegung steht seit jeher in einem gewissen Gegensatz zu den Eltern, weil Eltern behinderter Kinder die kindliche Abhängigkeit häufig bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten. Die Bewegung hat Eltern oft als ein wesentliches Hindernis auf dem Wege zu autonomem Leben betrachtet.

Neue Gesetze

Die neue offizielle Anerkennung von IL-Diensten aufgrund des Gesetzes PL 95-602 stellt für die Bewegung sowohl Möglichkeiten als auch Risiken dar. Das neue Gesetz schafft die Möglichkeit, bestehende IL-Programme auszubauen und IL-Dienste auf Gegenden des Landes auszudehnen, in denen es diese nicht gibt. Das neue Gesetz verstärkt auch die politische Glaubwürdigkeit der Bewegung. Das Risiko liegt darin, daß neue Geldquellen die Bewegung bürokratisieren und ihr die Spitze nehmen könnten, wenn die Selbsterhaltung der Organisation die Oberhand gewinnt über die Interessenvertretung. Darüber hinaus könnten Geldmittel in Bereiche abgeleitet werden, die nur dem Namen nach etwas mit Independent Living zu tun haben, und dadurch würde die Bedeutung dessen verwässert, worum es im IL geht. Schließlich besteht die Gefahr, daß die Bewegung in Abhängigkeit zur etablierten Rehabilitation gerät, weil die neuen Gelder (nach amerikanischer Rechtslage) aus dem Rehabilitationsgesetz stammen.

Auch in anderen Bereichen sind neue gesetzgeberische Maßnahmen zu erwarten. Dem Kongreß liegt ein Gesetzentwurf vor, mit dem verhindert werden soll, daß die Arbeitswilligkeit von behinderten Menschen bestraft wird, die Leistungen nach den SSD- und SSI-Programmen erhalten. (Über Einzelheiten dieser Programme berichtet Gini Laurie in ihrem Kongreßreferat.) Am größten ist die bestrafende Wirkung dieser Programme für schwer behinderte Menschen, die nicht nur die Hilfe zum Lebensunterhalt sondern auch die damit verbundenen Sozialversicherungsleistungen verlieren, wenn sie eine Berufstätigkeit aufnehmen. Wenn sie beschlossen wird, müßte diese gesetzliche Regelung vielen behinderten Menschen die Möglichkeit geben, durch Berufstätigkeit unabhängiger zu werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (1979) erscheint es so, als werde der amerikanische Kongreß ein Gesetz in diesem Bereich beschließen.

Dieses Problem bestand bereits seit geraumer Zeit und hat die Möglichkeiten staatlicher Rehabilitationsstellen in der beruflichen Eingliederung schwerbehinderter Menschen stark eingeschränkt. Dennoch haben Rehabilitationsfachleute bis vor kurzem das Problem der Bestrafung von Arbeitswilligkeit nicht als eine wichtige Frage der Behindertenpolitik anerkannt obgleich diese Bestrafung, der sich behinderte Menschen gegenübersehen, wesentlich einschneidender ist, als bei anderen, umstritteneren Sozialprogrammen. Die Frage der Bestrafung von Arbeitswilligkeit beleuchtet, wie die IL Bewegung die Gestaltung der Behindertenpolitik von den Vorgaben befreit, die für die etablierte Rehabilitation bestimmend waren.

Schlußbemerkungen

Die IL-Bewegung stellt ein neues Kapitel in der amerikanischen Behindertenpolitik dar. Betrachtet man ihre kurze Geschichte, so sind ihre Errungenschaften im Bereich von Gesetzgebung, Dienstleistungen und Bewußtmachung wirklich bemerkenswert. Es ist zu erwarten, daß sie auch neue Gruppen von behinderten Menschen ergreift und ihre Basis vergrößert, wenn ihre ursprünglichen Anhänger älter werden. Es ist auch zu erwarten, daß sie eine wachsende und ausgereifte Literatur zum Thema Behinderung hervorbringt, wenn sie fortfährt, ihre Konzepte, Programme und Dienstleistungen genauer zu definieren.

Der bedeutsamste Beitrag der Bewegung besteht darin, daß sie behinderten Menschen in der Gestaltung ihrer Zukunft eine eigene Stimme verliehen hat, und daß sie ihnen ein neues Gefühl der Menschenwürde und Selbstachtung gegeben hat, das man ihnen zu lange vorenthalten hatte. Dies wird auch auf Jahre hinaus ihr wichtigster Beitrag bleiben.

Der hier in deutscher Übersetzung wiedergegebene Artikel von Gerben DeJong ist im Oktober 1979 in den Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, Vol. 60, S. 435-446 erschienen. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für das Verständnis der amerikanischen Independent-Living-Bewegung haben wir diesen Artikel übersetzt und in die vorliegende Kongressdokumentation aufgenommen.

Gerben DeJong, Ph. D.

Medical Rehabilitation and Training Center Tufts New England Medical Center

Boston, Massachusetts, USA

Gerben DeJong: Die Rolle des Akademikers bei der Fortentwicklung der Independent-Living-Bewegung

Zusammenfassung des Artikels: Der Autor befaßt sich mit der Rolle des Akademikers in der Independent-Living-Bewegung. Für eine tragfähige gesellschaftliche Verankerung dieser Bewegung hält er es für unerläßlich, daß sie in ihrer ethisch-moralischen Argumentation fundierte Aussagen entwickelt, um nicht die Diskussion der Kostenfrage zum Ersatz für ein an humanen Werten orientiertes Denken werden zu lassen. So lange die Beweislast für die Wirtschaftlichkeit ambulanter Angebote weiterhin der Independent-Living-Bewegung zugeschoben wird, sind darüber hinaus Kenntnisse wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden unerläßlich. Schließlich benötigt die Independent-Living-Bewegung eine klare Formulierung der ihr zugrundeliegenden Theorie.

Die Independent-Living-Bewegung (Bewegung für Autonomes Leben) ist inzwischen ein fester Bestandteil und eine tragende Kraft in den Behinderten- und Rehabilitationskreisen der USA geworden. Allerdings ist ihre Stellung in der amerikanischen Gesellschaft nicht sehr tief verankert. Nach einem Jahrzehnt neuer Gesetzgebungen, neuer Rechte und neuer Programme stehen jetzt die Errungenschaften der Independent-Living-(IL) Bewegung unter Beschuß; nicht als Teil einer systematischen Verschwörung, sondern als Auswirkung größerer sozialer Kräfte, die die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ihren hilfsbedürftigen Mitbürgern in Frage stellen.

Trotz des gegenwärtigen politischen Klimas in den USA bin ich überzeugt, daß der Geist und die Philosophie der IL-Bewegung weiter leben werden. Schließlich ist doch der Grundgedanke der IL-Bewegung mit der Betonung von Selbstvertrauen, Selbstbestimmung und Selbsthilfe konservativer Herkunft. Die Bewegung bejaht viele marktwirtschaftlich pluralistische Werte, die nicht nur in Amerika, sondern auch in vielen anderen demokratischen Ländern des Westens geschätzt werden.

Die in den letzten 10 Jahren in den USA errungenen Erfolge der IL-Bewegung wurden beinahe ausschließlich durch behinderte Menschen errungen. Behinderte Personen schulden dem professionellen Rehabilitationspersonal und anderen Experten sehr wenig; sie wurden von manchen Experten unterstützt, andere leisteten verschleierten Widerstand, indem sie die Idee der IL-Bewegung in modifizierter Form in das traditionelle Rehabilitationskonzept übernehmen wollten. Die Fähigkeit der Bewegung, ihre Leistungen zu halten und neue Angebote zu schaffen, ist in dieser Zeit der Kosteneinschränkung abhängig von ihrer Fähigkeit, die Anzahl ihrer Anhänger zu vergrößern und weitere Menschen mit ihren Angeboten zu erreichen.

Diese Menschen müssen die Philosophie dieser Bewegung in Konzepte und wissenschaftliche Erkenntnisse umsetzen, so daß die moralische, politische und ökonomische Glaubwürdigkeit der IL-Bewegung erhöht wird.

Was der IL-Bewegung zur Zeit fehlt, ist intellektuelle Tiefe. Dies soll nicht bedeuten, daß die behinderten Menschen dieser Bewegung intellektuell oberflächlich sind. Ganz im Gegenteil. Es geht nur darum, daß die Errungenschaften der Bewegung nicht allein durch rhetorische Floskeln, Demonstrationen und politische Schlagzeilen, die mit der Zeit fadenscheinig werden und an Aussagekraft verlieren, erhalten bleiben. Leider habe ich feststellen müssen, daß behinderte Menschen mit der Bewältigung des Lebensalltags so ausgelastet sind, daß es ihnen kaum möglich ist, sich mit den moralischen, theoretischen und empirischen Fragen auseinanderzusetzen, die der Bewegung die Tiefe verleihen würden, die sie braucht, um mit den politischen und sozialen Kräften, die die Erfolge der IL-Bewegung aus den fetzten 10 Jahren bedrohen, fertig zu werden.

In diesem Zusammenhang glaube ich, daß Akademiker eine strategisch wichtige Rolle zu spielen haben; nicht eine Führungsrolle, aber eine unterstützende Rolle, die es der folgenden Generation behinderter Menschen in den USA ermöglicht, auf die Erfolge des letzten Jahrzehnts aufzubauen.

Auf drei Gebieten können Akademiker besonders hilfreich sein:

  1. Auf dem Gebiet der ethischen und moralischen Argumentation

  2. In der Entwicklung von Forschungs- und Bewertungskriterien

  3. In der Ausbildung behinderter Menschen für zukünftige Führungsaufgaben im akademischen, professionellen und verwaltungstechnischen Bereich.

Bevor ich mich in diese Thematik vertiefe, möchte ich noch einige Bemerkungen machen:

Erstens beziehen sich meine Ausführungen hauptsächlich auf meine eigenen Erfahrungen in den USA und Kanada. Mir ist nur sehr wenig über die höhere Schul- und Berufsausbildung in West-Europa bekannt. Und das wenige, was ich weiß, ist wahrscheinlich falsch. Deshalb bin ich auch nicht imstande, die amerikanischen Erfahrungen auf die europäische bzw. deutsche Situation zu übertragen. Dies überlasse ich den Anwesenden, die die Relevanz der amerikanischen Erfahrungen für die eigene Situation am besten beurteilen können. Das einzige Heilmittel für meine Unwissenheit ist der Umstand, daß meine deutschen und europäischen Kollegen ihre Erfahrungen austauschen und mich daran teilhaben lassen.

Zweitens habe ich die Anfälligkeit der IL-Programme in den USA angeführt, um den inhaltlichen Zusammenhang für die Diskussion über die Rolle des Akademikers herzustellen. Die entscheidende Rolle des Akademikers ist nicht nur in dieser Phase der Entwicklung, wo es darum geht, die Errungenschaften aufrechtzuerhalten, von nicht zu unterschätzender Bedeutung, sondern für jede Phase der Programmentwicklung. Daher glaube ich auch, daß der Inhalt meiner weiteren Ausführungen auch auf die Länder übertragen werden kann, deren Programme sich noch nicht so weit entwickelt haben. Ich möchte nicht überheblich sein und vermute, daß es viele Länder gibt, deren IL-Programme fortschrittlicher sind als die der USA, aber sie sind dort vielleicht unter einer anderen Bezeichnung bekannt.

Abhandlung über Ethik und Moral

Eine der bedeutendsten Fragestellungen, der sich die Akademiker annehmen müssen, ist die Rechtsproblematik. Dabei beziehe ich mich (1.) auf den behinderten Menschen gewährten Rechtsschutz gegen Diskriminierung laut Absatz 504 des Rehabilitationsgesetzes aus dem Jahre 1973 und (2.) auf die Hilfeleistungsprogramme, die unentbehrlich sind, wenn behinderte Menschen autonom in der Gemeinde leben sollen. Diese Ansprüche auf Rechtsschutz und Hilfeleistungsprogramme sind zur Zeit in den USA unter Beschuß geraten. So beginnen einige meinungsbildende Anführer in den USA zu fragen, ob wir uns diesen Rechtsschutz und diese Unterstützung leisten können. Die Frage nach behindertengerechten Beförderungsmitteln wird zum Anlaß für die Diskussion über Rechte und angebliche Kosten behinderter Menschen in den USA genommen.

Was daran so tragisch ist, ist der überschnelle Sprung von der Kostenfrage zur Infragestellung der Rechte überhaupt. So gab ein Journalist in einer namhaften amerikanischen literarischen Zeitschrift folgende Bemerkung von sich: "Man wundert sich, wo diese Rechte herkommen." Er fährt fort, daß die den behinderten Menschen zugestandenen Rechte auf geringen moralischen und intellektuellen Grundlagen beruhen und daß der Preis für Gleichberechtigung zu hoch sei. Ich bin verwundert darüber, daß solche Ansichten überhaupt geäußert werden können und meistens auch ohne Erwiderung bleiben. Meiner Meinung nach sind solche Äußerungen das Ergebnis eines moralischen Vakuums - nicht eines Vakuums in moralischen Werten, sondern in moralischerArgumentation. Mit dem Begriff "Moralische Argumentation" beziehe ich mich auf die Fähigkeit, Rechtsfragen mit moralischen Werten und Prinzipien in einer intellektuell glaubwürdigen Art zu verbinden.

Bis jetzt haben Akademiker dieser Notwendigkeit nicht entsprochen. Wenn aber moralisches Denken ernsthaft stattfinden soll, muß es von Akademikern ausgehen, deren Aufgabe es ist, gegensätzliche soziale Ansprüche in einer überlegten und unparteilichen Art und Weise gegeneinander abzuwägen. Damit will ich nicht andeuten, daß Akademiker die Verteidigung von Angelegenheiten behinderter Mitbürger übernehmen sollen, sondern lediglich, daß sie ihre intellektuellen Fähigkeiten zur Verfügung stellen, um mitzuhelfen, diesen Sachverhalten die richtigen Perspektiven zu verleihen. Wenn Akademiker neue Literatur zu diesem Themenkomplex herausbringen würden, so würden sie dadurch auch bei Angriffen auf die Rechte behinderter Menschen dazu beitragen, mit fundierten Argumenten antworten zu können. Die immer wieder von Neuem vorgetragenen moralischen Argumente würden damit in den Hintergrund treten. Außerdem sind in der die Behinderten-Problematik betreffenden Rechtsprechung des Kongresses und der Gerichte viele Fragen offen, bei deren Diskussion eine als analytischer Ansatzpunkt fungierende qualifizierte Fachliteratur sehr hilfreich wäre.

Ein immer größerer Anteil der Diskussion über die Rechte behinderter Menschen und über Independent Living wird unter dem Aspekt der Kostenfrage geführt, obwohl enorme methodologische Unzulänglichkeiten bei diesen Untersuchungen offensichtlich sind. Es beunruhigt mich, daß die Schwerpunktlegung auf die Kostenfrage sehr wirkungsvoll von moralischen und ethischen Fragestellungen ablenkt. In einigen Fällen mögen die Kosten sogar höher sein als die Ersparnisse, doch dies sollte die Gesellschaft nicht von ihrer moralischen Verpflichtung befreien, für ein Minimum an Lebensqualität in der Gemeinschaft Sorge zu tragen.

Als Präzedenzfall ist das Strafrecht vieler freier Länder der westlichen Welt zu betrachten. In den USA zum Beispiel verweigern wir keinem Menschen bestimmte Rechte und Schutz, weil sie in der Anwendung kostspielig sind. In manchen Fällen wird von uns erwartet, daß wir Tausende von Dollars ausgeben, um individuelle Rechte zu sichern, selbst die eines bekannten Kriminellen!

Kurz gesagt, die Analyse der Kostenfrage kann kein Ersatz für moralisches Denken sein. Es ist interessant, festzustellen, wie schwer wir an der Verfeinerung der Untersuchungsmethoden der Kostenanalyse gearbeitet haben und wie wenig wir zur Förderung moralischer Denkweise beigetragen haben. Selbstverständlich versieht die Regierung wissenschaftlich arbeitende Institutionen nicht mit Geldern, um moralische Sachverhalte zu klären, sondern eher um Kostenanalysen zu erstellen. Wir verfügen jedoch über eine alte moralische und philosophische Tradition, aus der wir schöpfen können, um Klarheit in die Entschlüsse zu bringen, die wir fassen müssen.

In diesen Ausführungen wollte ich nicht zum Ausdruck bringen, daß die Wissenschaft eine großartige Quelle unendlicher Weisheiten ist, die einige der umstrittenen Fragen unserer Sozialpolitik klären wird, noch glaube ich daran, daß die Wissenschaft mit der Rationalität eines Plato oder Aristoteles die offensichtliche Irrationalität der politischen Prozesse ersetzen kann. Außerdem ist das Eigeninteresse der Wissenschaften eng verflochten mit den herrschenden Machtverhältnissen in der Gesellschaft überhaupt. Abgesehen von diesen Vorbehalten glaube ich, daß die Wissenschaften uns einen vernünftigen Rahmen bieten können, in dem Sozialpolitik mit Verstand diskutiert werden kann. Der Ausgang von Beschlüssen ist zum großen Teil davon abhängig, wie die Frage gestellt oder der Diskussionsrahmen gesetzt ist. Hierin liegen Ansatzmöglichkeiten für Akademiker: Sie können die Form und die Rahmenbedingungen einer Debatte festlegen.

Ohne diese Art intellektueller Führung befürchte ich, daß die aufkommende Debatte über Rechte behinderter Menschen und Independent Living sich in bedeutungslosen Alternativen polarisiert. Wir brauchen nur an die Debatte über Abtreibung in den USA zu denken, um uns die destruktive Natur moralischer Abhandlungen zu vergegenwärtigen. Wir werden gezwungen, zwischen "für das Leben" und "für die Wahl" zu entscheiden, wobei das Ausmaß moralischer Fragen innerhalb dieser Polarisierung völlig ignoriert wird.

Ich befürchte, daß, falls eine ähnliche Meinungspolarisierung in bezug auf die Behindertenfrage entstehen wird, behinderte Menschen immer mehr im Nachteil sein werden, je mehr sich die öffentliche Meinung dem Standpunkt nähert, der die wenigsten Anforderungen an die Gemeinde stellt.

Forschungs- und Auswertungskriterien

IL-Programme, die gemeindenah arbeiten, erhalten ihre ersten Gelder durch die öffentliche Hand auf Grund der Annahme, daß sie effektiver, kostengünstiger und deshalb ökonomischer sind als die traditionellen Hilfeleistungssysteme. Während in den ersten Phasen der Programmentwicklung kaum Beweise der kostensparenden Auswirkungen notwendig sind, müssen die Verbraucher und die Programmverwalter schließlich mit konkreten Zahlen beweisen, daß das ursprüngliche Versprechen auch verwirklicht wurde. Die weitere finanzielle Unterstützung der IL-Programme wird dann von der Fähigkeit abhängen, nachzuweisen, daß sie ihre ursprünglichen Ziele erreichen konnten.

Die Hauptfrage der Auswertung ist oft nur diese: Ist das autonome Leben in der Gemeinde kostengünstiger als das Leben in einer Institution? Doch diese Fragestellung empfinde ich oft als augenscheinlich unfair. Warum soll die Beweislast dem Fürsprecher der IL-Bewegung aufgebürdet werden? Sollte nicht die Beweislast den Verfechtern restriktiver Lebensformen übertragen werden? Autonomes Leben sollte als Norm angesehen werden und die Beweislast bei denen liegen, die von der Norm abweichen wollen.

Aber nach allem was ich in den USA gesehen habe, sind wenige IL-Programme in der Lage, die Effektivität ihrer Arbeit zu belegen. Ich möchte vier Gründe für diesen Sachverhalt anführen. Erstens lassen die meisten Subventionen der Regierung gar keinen Raum für die Beurteilung der Effektivität dieser Programme. (Und außerdem sind die Zuschüsse oft so knapp bemessen, daß eine fundierte Auswertung selten gesichert ist). Zweitens stehen viele behinderte Menschen der Subvention eines Auswertungsversuches gleichgültig wenn nicht sogar feindlich gegenüber, da man diese Bemühungen als nicht vereinbar mit den dringend notwendigen Hilfeleistungen ansieht. Drittens sind behinderte Menschen häufig mit ihrer Alltagsbewältigung derart intensiv beschäftigt, daß es ihnen an Zeit fehlt, sich mit den theoretischen und methodologischen Fragen der Auswertung auseinanderzusetzen. Und viertens verlangt solch ein auf exaktes Auswerten bedachtes Projekt Ausbildung in methodischem Arbeiten und eine derartige Ausbildung besitzen nur wenige der Mitarbeiter dieser Programme. Bisher wurde die Überprüfung der Arbeit als unwesentlich für den Fortbestand der IL-Programme angesehen, aber jetzt ist sie absolut notwendig. In absehbarer Zeit wird eine weitere und zusätzliche Unterstützung der IL-Programme von der Fähigkeit der Programme abhängen, ihre Arbeit in Form von Bedarfsanalysen und Erfolgsbewertungen darzustellen, denen eine methodologisch glaubwürdige Basis zugrunde liegt.

Auch hier können Akademiker einen wichtigen Beitrag leisten. Viele der Fähigkeiten, die zu einer gesicherten Auswertung unerläßlich sind, sind in diesen Kreisen zu finden: Auswahl der Methode, Entwerfen des Untersuchungsinstrumentariums, Meßverfahren, Datensammlung und Datenverarbeitung, statistische Analysen und ähnliches.

Technische und methodologische Feinheiten reichen allein jedoch nicht aus. Wie in der Forschung ganz allgemein ist auch hier die Auswertung nur so gut wie die ihr zugrundeliegende Theorie. Independent Living bietet vielfältige theoretische Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit den Fragen der Behinderung. Diese Möglichkeiten müssen Forscher in Betracht ziehen, wenn sie in der Analyse die Auswahl treffen zwischen unterschiedlichen abhängigen und unabhängigen Variablen. Um genauer zu sein, Independent Living definiert Behinderung nicht in bezug auf eine bestimmte physische Behinderung, sondern (1) auf ungerechtfertigte Abhängigkeit von den Eltern und Geldgebern und (2) als einen Mangel an Möglichkeiten der durch unterschiedliche soziale, ökonomische und architektonische Schranken bedingt ist.

Kurz gesagt, das Problem liegt nicht im einzelnen Menschen begründet, sondern in der Umwelt. Und so betont die IL-Bewegung in ihrer Zielsetzung auch weniger die Anpassungsfähigkeit und nachgiebiges Verhalten bei der erfolgreichen Bewältigung der Aktivitäten des täglichen Lebens, als vielmehr die Fähigkeiten behinderter Menschen, ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und dadurch fähig zu sein, außerhalb von Institutionen zu leben und einen für die Familie und die Gemeinde sichtbaren Beitrag zu leisten.

Deshalb müssen auch die Forscher, die in diesem Bereich Untersuchungen durchführen, in der Theorie und den Grundwerten der IL-Bewegung bewandert sein. Nur so können ihre Untersuchungsergebnisse wissenschaftlich fundiert und zukunftsweisend sein. Während es oft die Wissenschaftler sind, die die notwendigen methodologischen Kenntnisse besitzen, sind es behinderte Menschen, die die Bedingungen kennen, unter denen die Programme untersucht werden sollen. Sie müssen darauf achten, daß das Ergebnis Theorie und Werte der Programme wiederspiegelt. Der Erfolg dieses Unterfangens beruht meiner Meinung nach zum größten Teil auf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlich qualifizierten Forschern und behinderten Menschen, die die Grundlagen und Ziele der IL Programme artikulieren können.

Ausbildung

Die dritte wichtige Rolle der Akademiker liegt in der Ausbildung behinderter Menschen für Führungsaufgaben im akademischen, professionellen und verwaltungstechnischen Bereich. Diese Qualifikation kommt allen Programmen, den Konsumenten, wie der gesamten IL-Bewegung zugute. Ein Haupthindernis in der Entwicklung gut geführter Programme ist der Mangel an behinderten Menschen mit einer entsprechenden Ausbildung. Die Universitäten sollten bewußt versuchen, behinderte Studenten anzuwerben und auszubilden. Diese Menschen können dann die Positionen besetzen, die jetzt schon auf sie warten.

Der größte Mangel an qualifizierten behinderten Personen liegt im Bereich der Forschung und Auswertung. Dies ist ein Bereich, der eine solide Ausbildung in Forschungsmethodologie, Statistik und anderen wissenschaftlichen Fähigkeiten erfordert. Solange behinderte Menschen nicht in ausreichender Zahl unter professionellen Forschern zu finden sind, ist der Kampf um die Konzepte der IL-Programme umsonst.

Ein genauso ernsthaftes Problem entsteht, wenn verschiedene gleichgestellte Forschungsgruppen von der Regierung zusammengestellt werden, um die Güte der Forschungsvorhaben und die Untersuchungsmethode zu überprüfen. Behinderte Personen sind selten in einem der Ausschüsse repräsentiert. So werden auch Untersuchungsmethoden akzeptiert, die sich auf veraltete Theorien beziehen. Noch schwerwiegender ist die Ablehnung von eigenen Forschungsvorhaben, weil sie den herrschenden Forschungsparadigmen nicht Rechnung tragen. In einigen Fällen werden die Vorschläge der IL-Bewegung von körperlich gesunden Akademikern einfach nicht verstanden und in anderen Fällen werden die Konzepte so umgeformt, daß sie mit althergebrachten Einstellungen gegenüber behinderten Menschen übereinstimmen.

Was kann nun getan werden ? Ich habe mir zwar auch Gedanken über die Rolle von nationalen Geldgebern gemacht, möchte meine Ausführungen jedoch auf die Rolle der Akademiker beschränken.

Vom historischen Standpunkt aus gesehen haben die Colleges und Universitäten in den USA behinderte Studenten in Studiengänge wie Rehabilitation, Beratung und ähnliche Fachrichtungen gedrängt, wo sie abgesondert vom normalen Studienbetrieb "unter sich" waren. Ich möchte den Fachbereichsberatern und den Universitätsverwaltungen zwar keine bösen Absichten unterstellen, aber wir neigen dazu, Studenten in bestimmte Richtungen zu lenken. Dies beruht auf falschen Annahmen über ihre Fähigkeiten und auf der Bereitschaft der nationalen Wirtschaft, behinderte Menschen nur in den wirtschaftlichen Hauptbereich zu integrieren. Natürlich spielt die eigene Wahl auch eine Rolle: Behinderte Menschen bevorzugen, auf den Gebieten tätig zu sein, die auch den Bedürfnissen anderer behinderter Menschen entsprechen.

Ich bin der Ansicht, daß die Universitäten eine bestimmendere Rolle, insbesondere auf der graduierten Ebene einnehmen könnten, indem sie gemeindenahe Programme und Behinderungsfragen im allgemeinen, orientiert an den Grundlagen der Independent-Living-Bewegung, untersuchen würden. Zu Anfang würde ich es gerne sehen, daß verschiedene Fachbereiche wie Gesundheitswesen, Biostatistik, Jura und Sozialwissenschaften Stipendien und Hilfsassistenstellen anböten, um qualifizierte behinderte Studenten anzulocken, denen möglicherweise eine Karriere in der Forschung und Auswertungsanalyse bevorsteht. Außerdem würde ich versuchen, Forschungspraktika in forschungsorientierten Institutionen zu ermöglichen. Dies würde den behinderten Studenten die Möglichkeit geben, sich die notwendigen Fertigkeiten und Erfahrungen anzueignen, um nach ihrem Examen "vermarktbar" zu sein. Solche Praktika können auch die Möglichkeit bieten, in Forschungsinstitutionen mitzuarbeiten, die sich mit der Auswertung gemeindenaher Programme und ähnlicher Behinderungsthemen befassen.

In den USA würde die Übernahme dieser Aufgaben durch die Universitäten eine für einen Zeitraum von 3 bis 5 Jahren sichergestellte Finanzierung voraussetzen, die durch einen nationalen Fonds wie das Nationale Institut für Rehabilitationsforschung erfolgen könnte.

Ich bin nicht der Meinung, daß ich hier ein Allheilmittel anbiete, sondern nur einen weiteren Schritt zur Lösung einiger Probleme, die ich vorher angesprochen habe. Nach weiteren fünf Jahren hoffe ich nicht mit Schweigen antworten zu müssen, wenn ich nach einem behinderten Akademiker oder Forscher gefragt werde.

Abschließende Überlegungen

Es gibt noch viele andere Fragestellungen und Aufgaben im Rahmen der Fortentwicklung der Independent-Living-Bewegung, die von Akademikern in Angriff genommen werden müssen. Eine der häufigsten Aufgaben besteht in der Hilfestellung bei folgenden Fragen: Wie und wo beantragt man ein Stipendium?, - nach welchen Gesichtspunkten ist die Bedürfnissituation festzulegen?, - wie kommt man an entsprechende Informationen?, - und viele ähnliche Fragen mehr. Diese Fragen sind in den USA sehr häufig anzutreffen und sie bieten den Akademikern einen hervorragenden Einblick in die Bedürfnisse und Wünsche behinderter Menschen.

Die Führer der Independent-Living-Bewegung sollten jedoch immer versuchen, Akademiker für ihre Belange zu gewinnen, ohne dabei die Kontrolle über die zu treffenden Entscheidungen zu verlieren. Noch sollten sich behinderte Menschen durch außenstehende Experten und ihre Ausbildung einschüchtern lassen. Behinderte Menschen sollten sich immer wieder vor Augen führen, daß sie selbst Experten sind und aufgrund ihrer Behinderung zahlreiche Herausforderungen angenommen und bewältigt haben. Und zu meinen akademischen Kollegen möchte ich sagen, daß die Grenze zwischen Beraten und Kontrollieren nur sehr schmal ist. Ein Schritt zu weit bedeutet die Verletzung eines der grundlegenden Gebote der Independent-Living-Bewegung, nämlich die Verletzung des Rechtes behinderter Menschen auf Selbstbestimmung und Selbstgestaltung ihres Lebens.

Die wichtigste Aufgabe der Wissenschaft besteht weder in technischen Hilfsangeboten noch in der Vermittlung technischen Wissens an die Studenten. Sie besteht vielmehr in der Aufgabe, die IL-Bewegung mit der sie legitimierenden wissenschaftlichen Basis zu versehen. In der amerikanischen Gesellschaft ist die Essenschaft eine wichtige Bezugsquelle für Legitimationen jeder Art. Eine sichtbare Art der Legitimierung ist die Verleihung akademischer Grade, die behinderten und nichtbehinderten Menschen einen besseren Zugang zur amerikanischen Gesellschaft ermöglicht. Eine weniger augenfällige, dafür aber bedeutendere Methode der Legitimation ist dann gegeben, wenn sich die Wissenschaft intensiv mit einer Idee, einem Konzept oder einer Bewegung auseinandersetzt. Indem die Wissenschaft sich intensiv mit der Independent-Living-Bewegung auseinandersetzt, verleiht sie ihr Glaubwürdigkeit. Ferner macht diese Auseinandersetzung dem Rest der Gesellschaft deutlich, daß die Independent-Living-Bewegung Beachtung, wissenschaftliche Auseinandersetzung und vor allem aktiven Einsatz verdient.

In meinem Referat möchte ich betonen, wie wichtig es ist, daß sich behinderte Menschen in den verschiedenen Ländern aktiv an der Planung und Durchführung der Dienste beteiligen. In der Vergangenheit hat man den behinderten Menschen beigebracht, weder Ambitionen zu entwickeln noch Ziele anzustreben. Und wenn einmal Wünsche geäußert wurden, so wurden sie als unrealistisch abgetan. Ich denke hier z. B. an die Möglichkeit, selbst Auto zu fahren, die Universität zu besuchen, in einer eigenen Wohnung zu leben und die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

Es war allzu leicht für Regierung und Verwaltung, die Verantwortung für Pflege, Betreuung und Beschäftigung behinderter Menschen zu übernehmen. Wir wissen weiter, daß diese Instanzen oder Personen darüber entschieden haben, welche Art von Heimunterbringung und Beschäftigung für behinderte Menschen geeignet oder erlaubt war.

Mein Eindruck von der Situation in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere von diesem Kongreß ist der, daß die Entwicklung der Independent-Living-Bewegung sich hier in ähnlicher Weise vollzieht wie vor Jahren in den USA. Es schließen sich Menschen wie wir zusammen, die an den Bürger- und Menschenrechten behinderter Personen interessiert sind.

Diese Menschen (Konsumenten) erkannten und beschlossen, daß es realistisch und sehr wichtig war, ihre eigene Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Sie übernahmen die Verantwortung, ihr eigenes Leben zu gestalten; eine Aufgabe, die behinderten Menschen von Rechts wegen zusteht. Diese Eigenverantwortung macht aber auch Angst. Es ist viel einfacher, in einer Institution zu leben, wo für alle Bedürfnisse gesorgt wird. Dort brauchst du dir keine Gedanken zu machen, wer die Bettwäsche wechselt, das Essen kocht und die Miete bezahlt.

Aber diese Sicherheit hat einen hohen Preis. Nämlich den Verlust an Freiheit, Unabhängigkeit und aktivem Leben in der Gesellschaft. Aber - auf der anderen Seite - bedeutet Unabhängigkeit auch harte Arbeit. Ein behinderter Mensch muß aktiv an seiner Unabhängigkeit arbeiten. Er muß lernen, sein Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und die Aufgaben und Ziele in Angriff nehmen, die Unabhängigkeit erst ermöglichen.

Wir haben diese Unabhängigkeit noch lange nicht erreicht; doch durch den Zusammenschluß aller Gruppen von behinderten Menschen und durch ihre aktive Mitarbeit in den Centers for Independent Living sind wir heute an diesem Ziel angelangt. Darauf sind wir stolz.

Gerben DeJong, Ph. D., Medical Rehabilitation and Training Center Tufts-New England Medical Center; Boston, Massachusetts, USA

Resolutionen

Am dritten Kongreßtag legten die einzelnen Arbeitsgruppen die Ergebnisse ihrer Beratungen zur abschließenden Diskussion und Beschlußfassung im Plenum vor. Die dabei verabschiedeten Resolutionen, mit denen sich der Kongreß an die Öffentlichkeit sowie an die zuständigen Politiker und Behörden wandte, sind hier wiedergegeben.

Sozialrechtliche und ökonomische Grundlagen gemeindenaher Hilfe und Pflege zur Integration Behinderter in der Bundesrepublik

Arbeitsgruppe 1

Aufgrund des Vorschlages der Arbeitsgruppe 1 beschloß das Kongreßplenum mit großer Mehrheit folgende Resolution:

1. Zur besseren Absicherung des Pflegebedarfs

Die Versorgung alter, kranker und speziell auch behinderter Mitbürger in der Bundesrepublik durch gemeindenahe Hilfs- und Pflegedienste bzw. die Förderung solcher Leistungen im privaten Rahmen, im Rahmen von Selbsthilfe oder Nachbarschaftshilfe ist nach wie vor unzulänglich.

1.1. Durch einen entsprechenden Ausbau gemeindenaher Hilfs- und Pflegeangebote könnten nicht nur die mittlerweise allgemein anerkannten Kostenvorteile häuslicher Pflege vor Krankenhauspflege vermehrt ausgenutzt werden: auch längerfristig oder dauerhaft erforderliche Hilfe bzw. Pflege für alte und/oder Behinderte Mitbürger ist (in der volkswirtschaftlichen Vergleichsrechnung und nach verschiedenen Einzeluntersuchungen) wirtschaftlicher als die vergleichbare stationäre Betreuung in Pflegeheimen.

1.2. Auch die weithin mögliche schulische Integration - speziell für Körper- und Sinnesbehinderte - mit entsprechenden spezifischen und individuellen Hilfen im Unterricht bzw. schulbegleitend verspricht Kostenvorteile im Vergleich zum Ausbau und Unterhalt eines differenzierten und aufwendigen Sonderschulwesens.

1.3. Insofern berufliche Integration Behinderter mangelnder Hilfestellung am Arbeitsplatz zum Opfer fällt, ist häufig die Unterbringung in Werkstätten für Behinderte (dort ist die benötigte Hilfe eher verfügbar) bzw. Arbeitslosigkeit oder Frühverrentung die Folge. Entsprechende Hilfen am Arbeitsplatz zur beruflichen Integration versprechen in vielen Fällen wirtschaftliche Vorteile im Vergleich zur Unterbringung in der Werkstätte für Behinderte bzw. zu Arbeitslosigkeit oder Frühverrentung.

1.4. Der Pflegebedarf ist demzufolge im Verhältnis zu anderen sozialen Risiken (insbesondere im Verhältnis zur Krankheitsbehandlung) immer noch nicht hinreichend abgesichert, und zwar mit besonders nachteiligen Auswirkungen im Bereich der häuslichen Pflege und erforderlicher Hilfen am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz außerhalb von Spezialeinrichtungen.

Dies hängt damit zusammen, daß die wichtigsten Leistungen im Zusammenhang mit Pflege oder Hilfen zur Alltagsbewältigung im Bundessozialhilfegesetz geregelt sind. Das hat zur Konsequenz, daß wegen des dort herrschenden Nachrangprinzips Einkommen und Vermögen in bestimmten Grenzen einzusetzen sind. Somit scheidet ein Großteil Betroffener von entsprechenden Leistungen aus, der Status des Sozialhilfeempfängers oder Frührentners wird vielfach materiell attraktiv, und die leichtere Zugänglichkeit von Sozialhilfeleistungen in Sondereinrichtungen (Heime, Sonderschulen, Werkstätten für Behinderte) zwingt Betroffene häufig zur vorrangigen Nutzung solcher ausgliedernder Betreuungsangebote.

Da das Risiko der Pflege- und Hilfsbedürftigkeit für den Betroffenen und seine Familie ebenso gravierend ist wie der Eintritt einer Krankheit, ist zu fordern, daß dieses Risiko einer angemessenen Sicherung im Sinne einer Sozialversicherung zugeführt wird. Diese Pflegeversicherung soll so ausgestaltet sein, daß den Pflegebedürftigen weitestgehende Mitbestimmung bei der Festlegung des Umfanges der Pflege und freie Entscheidung bei ihrer Ausgestaltung eingeräumt wird.

2. Vorrangige rechtliche Verankerung gemeindenaher integrativer Pflege- und Hilfsangebote

Die Betonung der Pflege in Einrichtungen hat dazu geführt, daß für diese Pflegeformen gewisse - im Zuge der Sparmaßnahmen allerdings zum Teil reduzierte - Privilegien finanzieller Art gewährt worden sind.

Im Sinne der humanen Zielsetzung sozialer Eingliederung im Sinne einer echten, von ökonomischen Zwängen unbelasteten Wahlfreiheit des Einzelnen und im Sinne größerer Neutralität der Gesetzgebung sind gleiche Voraussetzungen für den Zugang zu Pflegeleistungen - unabhängig von der Pflegeform - herzustellen.

3. Pflegesatz in Einrichtungen - Einzelnachweis bei offener Betreuung

Die Technik des Pflegesatzes bringt Erleichterung für die Sozialverwaltungen insofern mit sich, als Detailprüfungen der Hilfsbedürftigkeit und der Leistungserbringung erspart werden. Der Pflegesatz deckt pauschal alle Leistungsansprüche ab.

Bei offener Betreuung ist ein oft äußerst mühsamer und diskriminierender Nachweis über Notwendigkeit und Durchführung einzelner Pflegeleistungen und anderer Kosten der Lebensführung zu erbringen.

Eine wesentliche Erleichterung muß hier durch die Gewährung höherer Pauschalbeträge zur globalen Begleichung behinderungsbedingter Kosten erreicht werden.

4. Zur Situation von Pflegepersonen

Pflege durch Familienmitglieder wie durch ambulante Helfer stellt eine Beschäftigung dar, die (genau wie im Bereich der stationären Betreuung) angemessen zu entgelten und die sozialversicherungsrechtlich zu berücksichtigen ist. Die restriktive Handhabung der bereits geltenden Vorschriften ist aufzugeben.

Eine bessere Eingliederung der Pflegepersonen in die Sozialversicherung sowie steuerrechtliche und verwaltungsrechtliche Vereinfachungen beim Einsatz nebenberuflicher Hilfskräfte führen zu erhöhter Pflegebereitschaft.

5. Zur Förderung von offenen Hilfestrukturen

Für die öffentlichen Haushalte existieren Vorschriften, nach denen Investitionsmaßnahmen (also der Bau von Sondereinrichtungen) leichter zu bewilligen sind als die Förderung der typischerweise laufend anfallenden Personal- und Organisationskosten gemeindenaher Hilfestrukturen.

Förderungsmöglichkeiten für offene Hilfestrukturen müssen Priorität genießen. Dringend erforderlich sind z. B. höhere und längerfristig vertraglich gesicherte Pauschalbezuschussung, grundsätzliche Orientierung der Richtlinien am Finalitätsprinzip (= Betreuungsbedürftigkeit schlechthin) anstatt an unterschiedlichen Krankheits- und Behinderungsursachen, vereinheitlichte und wesentlich einfachere Richtlinien zum Nachweis über die Mittelverwendung.

6. Zur Versorgung der Bevölkerung

Der Bedarf an ambulanter Hilfe und Pflege wird (auch in wissenschaftlichen Untersuchungen) vielfach unterschätzt, da den Betroffenen angesichts eklatanter Versorgungsmängel oft wenig bewußt ist, daß ambulante Betreuungsformen eine reale Möglichkeit zur Entlastung familiärer Pflegepersonen und somit eine reale Alternative zur drohenden Fremdunterbringung sind. Der Bedarf an stationären Einrichtungen wird aus den gleichen Gründen häufig überschätzt.

Für die Planung der Versorgung in der Zukunft soll daher gelten: Kein weiterer Ausbau stationärer Sonder- und Pflegeeinrichtungen. Statt dessen Deckung bestehender Versorgungsmängel durch den Ausbau ambulanter Hilfs- und Pflegedienste bzw. durch die Förderung organisierter Selbsthilfe. Besonders wichtig ist eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung, speziell im ländlichen Raum. Nur so kann vermieden werden, daß die Pflegebedürftigen auf die Versorgung in stationären Einrichtungen ausweichen müssen.

Behinderte - Pflegefachkräfte - Laienhelfer: Wer ist Experte? - Wer braucht Anleitung?

Arbeitsgruppe 2

Das Kongressplenum unterstützte mit Mehrheit die folgende von den Teilnehmern der Arbeitsgruppe 2 verabschiedete Feststellung:

Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen behinderten Menschen und Helfern ist dann gewährleistet:

  • Wenn Helfer und Behinderte kooperativ und kompromißbereit sind.

  • Wenn sie ein partnerschaftliches Verhältnis anstreben.

  • Wenn sie viel voneinander wissen.

  • Wenn sie offen miteinander reden.

  • Wenn sie sich gegenseitig akzeptieren.

  • Wenn Handlungsanweisungen klar formuliert sind.

  • Wenn beide Seiten wissen, was möglich und was unmöglich ist.

In der Frage, ob und durch wen die Anleitung von Laienhelfern vorgenommen werden soll, konnte in der Arbeitsgruppe keine Einigung erzielt werden. Es wurden vielmehr folgende unterschiedliche Standpunkte vertreten:

Laienhelfer benötigen eine von Experten durchgeführte Anleitung bzw. Behinderte Menschen leiten ihre Helfer selbstständig an.

Mit großer Mehrheit gab das Kongreßplenum darüber hinaus einem Zusatzantrag von Phillip Mason (England) seine Zustimmung:

Die westliche Medizin hat in der Erhaltung menschlichen Lebens bemerkenswerte Leistungen vollbracht, indem sie vielen von uns die Möglichkeit gegeben hat, schwere Verletzungen, lebensbedrohende Krankheiten oder angeborene Schädigungen zu überleben. Dennoch ist vielen von uns, die wir behindert sind, klar, daß uns viele Profis ungeachtet dieser Errungenschaften den nächsten Schritt nicht tun lassen wollen: den Schritt zur Wahrnehmung unseres Rechtes auf die eigenständige Gestaltung unseres Lebens und zur selbständigen Regelung der uns betreffenden Angelegenheiten. Wir glauben, daß viele der Profis, die auf diesem Kongreß vertreten sind, schlichtweg unserer Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen mißtrauen. Es sollte allen klar sein, daß viele sehr schwer behindere Leute die an diesem Kongreß teilnehmen imstande sind, ein autonomes Leben zu führen, indem sie nichtprofessionelle Hilfe in Anspruch nehmen, die nach ihrer eigenen Anleitung auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Was wir letztlich beanspruchen, ist das Recht, Risiken einzugehen, zwischen tatsächlichen Alternativen wählen zu können und zum Wohl der Gesellschaft insgesamt beizutragen. Wir sind davon überzeugt, daß gemeindenahe Alternativmodelle, die sich an diesen Grundsatz halten, ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten, als die meisten bestehenden Systeme der Hilfe und Pflege. Wenngleich die Frage des Kosten-NutzenVerhältnisses nicht der Hauptgesichtspunkt sein sollte, wo es darum geht, wesentlichen menschlichen Rechtsansprüchen gerecht zu werden, so kann sie doch in einer Zeit wirtschaftlicher Einschränkungen nicht übergangen werden.

Da von Profis dominierte Systeme der Hilfe und Pflege außerhalb der Betreuung im akut eingetretenen Fall wesentliche Einschränkungen beinhalten, wird zur Beschlußfassung beantragt:

Finanzielle Mittel sind bereitzustellen, um nichtprofessionelle Hilfe zu fördern, und zwar in Form von:

Beratung und Unterstützung durch selbst Betroffene, Hilfe und Pflege, sowie

durch die Einrichtung und organisatorische Durchführung von Selbsthilfekonzepten, die dem Bestreben Behinderter nach autonomer Lebensführung gerecht werden.

Organisationsformen gemeindenaher Hilfe und Pflege - Integrierte Dienste oder Sonderdienste für Behinderte?

Arbeitsgruppe 3

Das Kongreßplenum stimmte mit großer Mehrheit für folgende von der Arbeitsgruppe 3 vorgetragene Forderungen:

Behinderte wollen - wie jeder andere Mensch - leben, lernen, arbeiten in der Gemeinschaft - nicht in der Isolation. Behinderte wollen heraus aus den Ghettos der Sonderkindergärten, der Sonderschulen, der Sonderwohnheime, der Sonderarbeitsplätze. Denn es geht auch anders, wie viele Beispiele im Ausland beweisen, von denen auf diesem Kongreß Betroffene aus den USA, aus Canada, aus England, Dänemark, Schweden, aus den Niederlanden und Italien überzeugend berichteten.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland gibt es positive Ansätze, erste Schritte in der Richtung "heraus aus den Ghettos". Sie müssen bekanntgemacht und gefördert werden.

Eine Sonderbehandlung der "Probleme Behinderter" bedeutet grundsätzlich Ausgrenzung, Abhängigkeit, partielle Entmündigung, "Probleme Behinderter" sind zumeist "normale Probleme" auch anderer Menschen, wie z. B. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit usw. Behinderte wollen - wie jeder Dienstleistungsnehmer - die Hilfe, die sie brauchen, selbst wählen. Behinderte wissen - wie andere Menschen auch - am besten, was sie brauchen.

Hilfe zur Selbsthilfe, Hilfe zur Unabhängigkeit Behinderter setzt voraus, daß der Hilfsbedürftige die erforderliche Hilfe selbst bezahlen kann - wie jeder andere Dienstleistungsnehmer. Dazu benötigt er einen frei verfügbaren Pauschalbetrag, um die notwendigen Dienstleistungen "einzukaufen" die ihm ein unabhängiges Leben gewährleisten. Wir brauchen endlich die (Grund-) Pflegeversicherung!

Vielen Menschen könnte der Aufenthalt in Heimen oder anderen Sondereinrichtungen allein dadurch erspart werden, daß die praktischen Hilfen zur Bewältigung des Alltags - wie Hilfe beim Aufstehen, Waschen, Ankleiden, Toilettenbesuch, Putzen, Kochen, Einkaufen usw. - durch bezahlte Helfer geleistet würden. Solche praktischen Hilfen erfordern keine spezielle Ausbildung. Die notwendige Anleitung und Einweisung übernimmt grundsätzlich der Behinderte selbst, obwohl es Situationen geben mag, bei denen ein stärkeres Angewiesensein auf den Helfer in Kauf genommen werden muß.

Dienste praktischer Hilfe im Tagesablauf erfordern keine Organisation nach den Ursachen der Behinderung, sondern allenfalls nach der Schwere, dem Grad der Behinderung. Es geht um die Behinderung von Lebensbereichen.

Ein brauchbares Modell zur Beschaffung praktischer Hilfen im Tagesablauf ist:

Der Dienstleistungsempfänger sucht seine Helfer selbst in Bekanntenkreis oder Nachbarschaft oder durch Annoncen; er weist sie selbst an und entlohnt sie selbst. Auch kann er diese Hilfen bei bestehenden Einrichtungen "einkaufen", soweit solche Hilfen angeboten werden.

Falls praktische Hilfen nicht ausreichen, sollten spezifische Hilfen vermittelbar sein - wie beispielsweise Krankengymnasten, Fachärzte, Selbsthilfegruppen, andere Spezialisten, mit denen Betroffene gute Erfahrungen gemacht haben.

Gemeindenahe Hilfen sollten nicht vorgeformte Lebensformen aufgrund "genormter Dienstleistungspakete" bereithalten, sondern vielmehr unterstützende Einzelhilfen je nach Bedarf organisieren oder vermitteln können. "Gemeindenähe" heißt: Solche Organisationen sollten nach dem Prinzip der Nähe zum Dienstleistungsnehmer aufgebaut sein - von der Größe her überschaubar, von der Entfernung her zugänglich und möglichst von den Dienstleistungsnehmern (mit-)verwaltet. Daraus folgt:

Lieber eine gute Vermittlungskartei aufbauen, als teure Spezialisten anstellen, die dann auch eingesetzt werden müssen.

Selbstorganisierte Hilfen unter Betroffenen mit Heranziehung von Spezialisten je nach Bedarf. Keine professionelle Planung durch Nichtbetroffene nach sachfremden Gesichtspunkten.

Behinderte wollen nichts Utopisches. Sie wollen eine realistische, stufenweise Integration in allen Lebensbereichen. Sie wollen Koordination und Teamarbeit der örtlichen Dienste, die bereits bestehen, als einen der ersten gangbaren Schritte zu offener, dynamischer Zusammenarbeit. Nutzen wir die Möglichkeiten! - Warten wir die Grenzen gelassen ab! Aber: Packen wir es heute an! - Erst das Menschenrecht, dann die Ökonomie!

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!

Integration in Bildung und Ausbildung - Ein Problem von Helfern

Arbeitsgruppe 4

Ohne Gegenstimme und bei nur wenigen Stimmenthaltungen verabschiedete das Kongreßplenum die von der Arbeitsgruppe 4 vorgetragenen Arbeitsergebnisse:

Die Arbeitsgruppe ging in ihren Beratungen davon aus, daß,

  1. keine Situation die Aussonderung eines Kindes rechtfertigt und daß

  2. ausgesonderte Kinder integriert werden müssen.

Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit den Widerständen, die der Verwirklichung dieses Prinzips im deutschen Bildungswesen entgegenstehen:

  • Juristische und administrative Bestimmungen

  • Widerstände und Ängste der Eltern behinderter und nichtbehinderter Kinder

  • Ängste von Lehrern und Schulbehörden

  • Starker Leistungsdruck, enge Lehrplanfixierung und Notengebung · Traditionelle Ausbildung der Lehrer für Sonder- und Regelschulen ·

  • Zu "hohe" Kosten

  • Praktische Probleme (baulich, technisch und durch mangelnde persönliche Hilfen) u. a.

Des weiteren befaßte sich die Arbeitsgruppe mit den Erfahrungen, die Betroffene, Eltern und Experten durch praktizierte Integration gewonnen haben:

  • Behinderte Kinder werden in der Regelschule stärker in ihrer Gesamtpersönlichkeit gefördert.

  • Nichtbehinderte Kinder erbringen in gemischten Klassen vergleichbare Leistungen wie in Regelklassen und gewinnen an sozialer Reife.

  • Die Integration behinderter Kinder ist umso erfolgreicher, je früher sie einsetzt; d. h. sie muß gleich nach der Geburt und nicht erst im Schulalter beginnen.

  • Integration ist oft nur zu realisieren, wenn Helfer zur Verfügung stehen, die nach individuellen Bedürfnissen eingesetzt werden. Es hat sich gezeigt, daß die Helfer häufig nach kurzer Zeit überflüssig werden.

Fazit:

Die Ertahrungen und Erfolge im Ausland (USA, Schweden, Dänemark, Kanada, England, Italien) sollten uns ermutigen und uns sofort mit der Integration behinderter Kinder in das Regelschulsystem beginnen lassen. Wir dürfen und können nicht warten, bis sich Gesetze und Bildungssystem verändert haben. Die überwiegend theoretischen Integrationsbemühungen in der Bundesrepublik führen in eine Sackgasse (begrenzte Modellversuche etc.).

Obwohl der deutsche Bildungsrat bereits 1973 in einem umfangreichen Gutachten konkrete Vorschläge zur gemeinsamen Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder gemacht hat, sind diese Vorschläge und Forderungen bis heute nicht zur Kenntnis genommen worden.

Für uns - Betroffene, Eltern, Experten, Freunde - heißt das:

  • Daß wir es nicht weiter akzeptieren, daß unsere Kinder durch Sonderschulerziehung zusätzlich behindert werden, und

  • daß unsere Kinder mit vorgeschobenen Argumenten wie fehlende Hilfen, bauliche Barrieren und fragwürdige Leistungsanforderungen von Regelschulen abgelehnt werden,

  • daß wir uns nicht mehr durch angebliche finanzielle Mehrkosten, die die Integration durch zusätzliche Hilfen erfordert, verunsichern lassen: Beispiele beweisen, daß Integration kostengünstiger ist.

In der Bundesrepublik gibt es genügend Beispiele, wo Eltern durch Engagement, Ausdauer und Konsequenz die Integration ihrer Kinder in die Regelschule (Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium etc.) durchgesetzt haben.

Integration Behinderter ins Berufsleben - Chancen durch Hilfskräfte am Arbeitsplatz

Arbeitsgruppe 5

Mit großer Mehrheit verabschiedete das Kongreßplenum die von der Arbeitsgruppe 5 vorgetragenen Arbeitsergebnisse:

1. Die Situation der Behinderten ist gekennzeichnet durch:

  • Funktionelle Einschränkungen im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich, die die Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Arbeitsplatzsituation erschweren und ggf. technische oder menschliche Hilfestellung erfordern;

  • Vorurteile, Erwartungen geminderter Leistungsfähigkeit; demzufolge zusätzlich verminderte Einstellungsbereitschaft seitens der Arbeitgeber und bei Kollegen; ggf. geminderte Selbsteinschätzung;

  • Allgemeine Situation am Arbeitsmarkt: Mangel an Arbeits- und Ausbildungsplätzen (betriebliche); Probleme der beruflichen Qualifikation.

2. Der Aspekt persönlicher Hilfeleistung am Arbeitsplatz zur Kompensation funktioneller Defizite oder zur Überwindung (anfänglicher) Schwierigkeiten in der Arbeitssituation ist zwar nur ein, aber ein wichtiger Faktor der beruflichen Eingliederung. Wo entsprechende Hilfe am Arbeitsplatz (= Helfer am Arbeitsplatz) nicht geboten werden kann, ist unnötige berufliche Ausgliederung (Werkstätten für Behinderte, Sonderarbeitsplätze) oder erzwungene "Berufsunfähigkeit" die Folge.

Inhaltlich erscheinen folgende Arten der Hilfe durch den Helfer wesentlich:

  • Hilfe zur Mobilität, Hilfe zur Mobilität im Betrieb

  • Pflegerische Hilfen während der Arbeit oder in Arbeitspausen

  • Praktische Hilfen am Arbeitsplatz Hilfen im Bereich der Kommunikation oder der Beziehungen am Arbeitsplatz.

Der zeitliche Umfang von Hilfen am Arbeitsplatz kann sehr unterschiedlich sein:

  • Zeitintensive Hilfen, wenn während des ganzen Arbeitstages immer wieder kleine Handreichungen erforderlich sind, oder

  • zeitlich geringfügige Hilfen.

In manchen Fällen wird der Einsatz von Helfern dauerhaft erforderlich sein, in vielen Fällen aber wird eine Starthilfe ausreichen. Die Verfügbarkeit von Helfern, speziell auch für den Berufsstart, erleichtert das Vorstellungsgespräch entscheidend.

3. Die berufliche Integration Behinderter in die freie Wirtschaft und/ oder den öffentlichen Dienst ist nach Möglichkeit einer Berufstätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte bzw. einer - durch mangelnde menschliche oder technische Hilfe - erzwungenen "Berufsunfähigkeit" vorzuziehen, stellt also eine humanitäre Verpflichtung dar ("Berufsunfähigkeit = unterlassene Hilfeleistung").

In vielen Fällen ist die berufliche Eingliederung am allgemeinen Arbeitsmarkt oder im öffentlichen Dienst - auch wenn sie Hilfskräfte erfordert wirtschaftlicher, als die Unterbringung in einer Werkstatt für Behinderte oder eine erzwungene "Berufsunfähigkeit":

  • Im Vergleich zur Werkstätte läßt berufliche Integration für viele Behinderte eine höhere Arbeitsproduktivität erwarten;

  • bei der erzwungenen "Berufsunfähigkeit" wird die Produktivität der Arbeitskraft nicht genutzt, es entgehen Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen, stattdessen entstehen Sozialhilfe- und Rentenkosten;

  • der Wirtschaftlichkeitsvergleich wird nicht nur bei hochqualifizierten Arbeitskräften günstig ausfallen, sondern durchaus auch bei geringer qualifizierten Arbeitskräften.

4. Mehr berufliche Eingliederung durch Helfer am Arbeitsplatz!

  • Helfer benötigen in aller Regel keine spezielle berufliche Qualifikation; abgesehen von einer kurzen Einarbeitung sind nur gelegentlich einmal spezielle Fertigkeiten oder Kenntnisse erforderlich.

  • Im Rahmen weltgezogener Kosten-Nutzen-Überlegungen muß ein Anspruch auf Helfer am Arbeitsplatz zur Sicherung der beruflichen Eingliederung sozialrechtlich verankert werden.

  • Es ist vorzuziehen, daß der Anspruch auf Zuteilung eines Helfers oder die Erstattung entsprechender Kosten als Recht des Behinderten und nicht als Recht des Arbeitgebers verankert wird; der Behinderte wird so selbständiger gegenüber dem Arbeitgeber, seine berufliche Mobilität ist größer.

  • Die Finanzierung von Helfern am Arbeitsplatz ist - nach entsprechender Gesetzesänderung - denkbar aus Mitteln der Ausgleichsabgabe, aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit und Mitteln der Rentenversicherungsträger.

Wir fordern umgehend Modellversuche zur Erprobung des Helfereinsatzes am Arbeitsplatz!

Familienergänzende und familienersetzende Hilfe und Pflege. Individuelles Privatleben für Behinderte durch Hilfe von außen.

Arbeitsgruppe 6

Ohne Gegenstimmen und bei nur wenigen Enthaltungen beschloß das Kongreßplenum folgende von der Arbeitsgruppe 6 vorgelegte Resolution:

Wenn wir von familienergänzenden Hilfen für Behinderte sprechen, so denken wir an drei verschiedene Personengruppen:

  • Behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die bei ihren Eltern leben.

  • Behinderte Erwachsene in einer Partnerbeziehung oder in der eigenen Familie.

  • Behinderte ältere Menschen, die in der Familie ihrer Kinder leben.

Die äußeren Bedingungen sind für diese drei Gruppen zwar sehr unterschiedlich, das grundlegende Problem ist jedoch dasselbe. Es kann in ein Wort gefaßt werden: Abhängigkeit.

Es bleibt unbestritten, daß Familienangehörige im täglichen Leben und in besonderen Belastungssituationen füreinander da sind und sich gegenseitig helfen. Die Situation ist jedoch eine andere, wenn ein Familienmitglied langzeitig krank oder behindert ist; denn vor allem schwere Behinderungen erfordern die regelmäßige, zeitaufwendige und arbeitsintensive Übernahme von pflegerischen und praktischen Hilfeleistungen über Jahre hinweg. Sie sind also einer beruflichen Aufgabe gleichzusetzen. Wird diese Aufgabe ausschließlich von Angehörigen übernommen, so kann eine totale wechselseitige Abhängigkeit zwischen dem Behinderten und den betroffenen Angehörigen entstehen, mit der Gefahr, daß die Familie infolge dieser Belastungssituation auseinanderbricht.

Familienunterstützende, familienergänzende und familienersetzende Maßnahmen für Familien mit behinderten Kindern:

1. Im Vergleich zur Versorgung nichtbehinderter Kinder erfordert die Erziehung eines behinderten Kindes von den Eltern ein wesentlich höheres Engagement, zumal die Anforderungen auch mit zunehmendem Alter nicht geringer werden - im Gegenteil: zumindest die physische Belastung wird in der Regel größer.

Bis auf Angebote zur stundenweisen Betreuung behinderter Kinder durch private Initiativen und Verbände fehlen wirksame ergänzende Maßnahmen zur Entlastung der Familien weitgehend. Hier ist vor allem daran zu denken, daß die Eltern Anspruch auf einen Jahresurlaub ohne ihr behindertes Kind haben sollten. Trotz der Dringlichkeit dieser Forderung fehlen jedoch ambulante oder stationäre Betreuungsangebote, so daß eine Realisierung dieses Anspruches nicht möglich ist.

2. Als Maßnahme zur Unterstützung der Familie und zur Förderung des behinderten Kindes gibt es verschiedene Projekte der Frühförderung. Das Konzept der Frühförderung geht weitgehend von einer therapeutischen Eltern-Kind-Beziehung aus, d. h. die Eltern sollen einen erheblichen Teil der physiotherapeutischen, sprachtherapeutischen, beschäftigungstherapeutischen usw. Förderung ihres Kindes übernehmen.

Abgesehen davon, daß Therapie den Aufbau einer tragfähigen emotionalen Beziehung nicht fördert sondern eher hindert, wird in diesem Konzept die Auffassung von Behinderung als Krankheit deutlich. Behinderung ist jedoch nicht nur ein medizinisches, sondern vor allem ein emotionales und soziales Problem (wie Professor Speck in seinem Referat ausführte). Das Konzept der Frühförderung sollte unter diesen Gesichtspunkten neu diskutiert und modifiziert werden.

3. Die Ausgliederung behinderter Kinder in stationäre und teilstationäre Sondereinrichtungen zur schulischen und beruflichen Förderung hat, da es um Rehabilitation geht, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zum Ziel. Der Widerspruch, der in dieser Vorstellung liegt, ist nur allzu deutlich. Vor allem dann, wenn die schulische und berufliche Ausbildung aufgrund regionaler Bedingungen in einer stationären Einrichtung durchgeführt werden muß, wird der Behinderte von seiner natürlichen Umgebung isoliert - das physische oder geistige Handicap wird durch ein soziales Handicap ergänzt. Die Erfahrungen vor allem in den skandinavischen Ländern zeigen, daß eine Öffnung der Regelschulen für behinderte Kinder möglich, sinnvoll und vorteilhaft ist.

Eine weitere Bemerkung zum Thema Schule: Die Notwendigkeit einer besonders intensiven schulischen Förderung behinderter Kinder wird zwar erkannt, jedoch einseitig interpretiert. Intensive Förderung könnte und sollte auch eine zeitlich umfassendere schulische Bildung beinhalten können. Dem steht jedoch die Beendigung des Schulbesuches mit Abschluß der Schulpflicht entgegen.

4. Jedem Heranwachsenden wird das Recht zugestanden, sich allmählich von seiner Familie zu lösen und sein Leben selbständig zu gestalten. Auch in dieser Hinsicht sind Behinderte erheblich benachteiligt: Vor allem für schwer körperbehinderte und geistig behinderte Heranwachsende fehlen Möglichkeiten zum (relativ) selbständigen Wohnen. Die Lösung von der Familie erfolgt in der Regel sehr abrupt aufgrund von äußeren Bedingungen: Krankheit oder Tod der Eltern. Sie beinhaltet in der Regel auch eine Herauslösung aus der gewohnten Umgebung, da die übliche Alternative zum Leben in der Familie nach wie vor das Alten- oder Pflegeheim, die Großinstitution auf dem Lande oder die psychiatrische Anstalt ist.

Neben behindertengerechten Wohneinheiten in allen Wohngebieten fehlt ein Netz weitgestreuter Wohnmöglichkeiten mit Betreuungsangeboten, die entsprechend der Schwere der Behinderung abgestuft sind (Wohnheime mit pädagogischer und pflegerischer Betreuung bis hin zu behindertengerechten Wohnungen mit verfügbaren ambulanten Diensten).

Unterstützende und ergänzende Maßnahmen für Familien mit einem behinderten Partner:

1. Die Entwicklung bzw. Erhaltung einer partnerschaftlichen Beziehung ist erheblich erschwert, wenn ein Partner existenziell davon abhängig ist, daß der andere bestimmte Dienstleistungen für ihn übernimmt. In dieser Weise abhängig zu sein, kann auf der Seite des Behinderten eine Tendenz zur Überanpassung, zur verstärkten Unselbständigkeit und zu Minderwertigkeitsgefühlen fördern. Auf der Seite des nichtbehinderten Partners kann sie eine erhebliche physische und psychische Belastung zur Folge haben. Die Tendenz, den behinderten Partner abhängig und unselbständig zu machen und ihn andererseits wegen seiner Unselbständigkeit unter Druck zu setzen, ist eines der problematischen Verhaltensmuster, die sich infolge dieser Dauerbelastung entwickeln können.

2. Es wird offensichtlich als selbstverständlich angenommen, daß vor allem Frauen die Hilfe und Pflege für behinderte Familienangehörige übernehmen. So werden z. B. die Kosten für eine ambulante Hilfskraft eher übernommen, wenn die Ehefrau und nicht der Ehemann behindert ist. Die Verwirklichung des Anspruchs von Frauen auf Selbstbestimmung, Berufstätigkeit und Unabhängigkeit wird also im Falle von Familien mit behinderten Angehörigen mehrfach diskriminierend erschwert.

3. Zur Entlastung der Familien mit einem behindertem Partner ist der Ausbau ambulanter Hilfsdienste vor allem für zeitintensive Betreuungsbedürfnisse erforderlich. Diese Hilfeleistungen können von Laienhelfern übernommen werden, die über Nachbarschaftshilfen oder andere Initiativen vermittelt werden, wobei der Behinderte (und sein Ehepartner) die eigentliche Organisation der Betreuung den eigenen Bedürfnissen entsprechend selbst übernimmt.

Unterstützende und ergänzende Maßnamen für Familien mit behinderten Großeltern:

Die Einweisung von behinderten alten Menschen in ein Alten- oder Pflegeheim könnte auch heute in vielen Fällen vermieden werden, wenn die betroffenen Familien durch ambulante Dienste entlastet würden. Daneben fehlt vor allem dann, wenn eine Fremdunterbringung nach einem Krankenhausaufenthalt notwendig zu sein scheint, ein spezifisches Beratungsangebot in Zusammenarbeit mit der Klinik.

Schließlich besteht eine Forderung für alle hier genannten Gruppen: Familienangehörige, die langfristig die Pflege eines behinderten Familienmitgliedes übernehmen, verzichten auf eine berufliche Tätigkeit außerhalb der Familie. Sie nehmen damit erhebliche soziale, emotionale und finanzielle Benachteiligungen in Kauf und ersparen andererseits der Gemeinschaft erhebliche Kosten für die Bereitstellung bezahlter Pflegekräfte bzw. kostspieliger Heimplätze. Die Forderung nach einer angemessenen Entlohnung mit Sozialversicherung unabhängig vom Familieneinkommen für Angehörige, die pflegerische Aufgaben übernehmen, wird seit einiger Zeit diskutiert und sollte umgehend realisiert werden.

Solidaritätsbekundung

Auf Anregung eines Teilnehmers aus Griechenland bekundet das Plenum des Kongresses seine Solidarität mit den behinderten Menschen in aller Welt, die um die Anerkennung ihrer Bürger- und Menschenrechte kämpfen. Besonders gilt diese Solidarität den behinderten Menschen in jenen Ländern, in denen selbst die einfachsten Grundsätze rechtlicher Gleichstellung noch nicht verwirklicht sind, und in denen Fortschritte der gesellschaftlichen Integration, wie sie auf dieser Tagung vorgetragen und gefordert wurden, noch sehr ferne Utopien darstellen.

Abschließende Presseerklärung der Vereinigung Integrations-Förderung e. V.

Die Vereinigung Integrations-Förderung e. V (VIF) wendet sich mit dieser Presseerklärung an die Öffentlichkeit, an zuständige politische und administrative Instanzen und vor allem an betroffene Behinderte, um durch eine Zusammenfassung der Tagungsergebnisse den Gedanken des autonomen Lebens Behinderter als Alternative zur Ausgliederung verstärkt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen.

Unsere Tagung hat gezeigt, daß autonomere Lebensformen für Behinderte auf der Basis gemeindenaher praktischer und pflegerischer Hilfen eine realistische Alternative zu Isolierung, Diskriminierung und Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten Behinderter in speziellen Sondereinrichtungen darstellen. Eine ungeheuer große Anzahl Betroffener wird unnötigerweise in solche Großzentren und Sondereinrichtungen häufig mit Ghettocharakter - abgedrängt.

Nach wie vor besteht ein großer Bedarf an zusätzlichen ambulanten Hilfs- und Pflegediensten, speziell für behinderte, d. h. langzeitig betreuungsbedürftige Mitbürger, die häufig zeitintensive Hilfe benötigen. Der großzügige Ausbau solcher gemeindenaher Hilfen ist nicht nur humaner als die Fremdunterbringung, sondern auch für die soziale Gemeinschaft kostensparend. Trotz der Vielfalt unterschiedlicher Ansätze zur Integration Behinderter durch gemeindenahe Hilfen in den verschiedenen Ländern, war dies das einhellige Fazit der ausländischen Referenten.

Die Vereinigung Integrations-Förderung begrüßt es, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit sich dieses Anliegens in der Zukunft intensiver annehmen will und bittet die Bundesministerin und Schirmherrin der Tagung, Frau Antje Huber, um eine ausführliche Stellungnahme zu den Tagungsergebnissen, die wir im Rahmen des Kongreßberichtes zu veröffentlichen beabsichtigen.

Mit besonderem Nachdruck möchten wir die Dringlichkeit einer Sozialversicherung für Pflege- bzw. Helferkosten unterstreichen. Im Rahmen der Tagung wurden hierzu verschiedene Modelle diskutiert. Wichtig ist, daß die Art der Versicherungsleistung an den Behinderten dessen Möglichkeiten einer unabhängigen Gestaltung seines Lebensablaufes in keiner Weise einschränkt. Das Risiko, dauerhaft von fremder Hilfe und Pflege abhängig, behindert oder altersgebrechlich zu werden, betrifft jeden Bürger - ähnlich wie das Krankheits- und Unfallrisiko - und muß daher in ähnlicher Weise von einer Versicherung getragen werden.

Hilfe oder Pflege für behinderte oder langzeitkranke und ältere Menschen ist in erster Linie Hilfe zur alltäglichen Lebensbewältigung. Weniger dagegen hat sie mit Krankenbehandlung oder Therapie gemeinsam. Die Betroffenen sind oft durch langwierige Erfahrung mit ihrer Situation Experten in Sachen ihrer eigenen Pflege. Qualifizierte Pflegedienste mit professionellen Krankenpflegekräften sind daher für diesen Kreis hilfsbedürftiger Mitbürger nicht erforderlich. Laienhelfer bzw. angelernte Arbeitskräfte sind meist nach kurzer Zeit in der Lage, auch alle anspruchsvolleren Hilfen im Alltagsablauf durchzuführen (z. B. auch Druckstellenversorgung und Handhabung von Atemgeräten). Durch den Einsatz von angelernten Kräften werden auch Gefahren der Bevormundung oder professionellen Überbehütung von Behinderten vermindert. Der Einsatz von Laienhelfern bei Behinderten erfordert auch in aller Regel keine spezifische Fachanleitung, etwa durch leitende Pflegefachkräfte oder Sozialarbeiter. Ausländische Erfahrungen zeigen übereinstimmend, daß gezielte Trainingsprogramme für die betroffenen Behinderten, in denen diese lernen, ihre Helfer selbst anzuleiten, sowohl effektiver als auch entschieden wirtschaftlicher sind.

Die autonome Gestaltung der einzelnen Lebensabläufe durch den Betreuten wird durch die freie Wahl des Helfers - sei dieser auch "nur" angelernt - überhaupt erst möglich. Um Behinderte bzw. Pflegebedürftige in der Wahl ihrer Helfer bzw. Pfleger und in der Gestaltung ihrer Hilfe im Lebensablauf möglichst autonom zu machen, sollten ihnen nach Hilfsbedürftigkeit und jeweiliger Lebenssituation pauschale Zuwendungen für Pflege und andere behinderungsbedingte Extrakosten gewährt werden, und zwar als Versicherungsleistung (s. oben), d. h. einkommensunabhängig.

Spezifische Berufsqualifikationen und Berufsbilder für solche Hilfskräfte (etwa das jüngst geforderte Berufsbild eines "Behindertenhelfers") sind unnötig, ja schädlich.

Wichtig erscheinen Beratungs- und Selbsthilfezentren von und für Behinderte etwa nach Art der amerikanischen "Centers for Independent Living". Diese sollten auf kommunaler, Bezirks- und Landesebene gefördert werden, modellhaft auch durch die Bundesregierung.

Die Bundesregierung wird ersucht, gemeinsam mit den Kultusministerien der Länder Wege der Modellförderung oder Gesetzesänderung zu erwägen, um auf breiterer Basis Unterrichtsassistenten zu Integration behinderter Kinder in Regelschulen bereitzustellen.

Als ein Schritt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und speziell der Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten sollen Modellprogramme mit dem Ziel einer generellen Einführung von Arbeitsassistenten zur beruflichen Eingliederung von Schwerbehinderten durchgeführt werden.

Nach aktuellen Informationen plant das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ein Modellprogramm für sechzehn Sozialstationen, die ihr Betreuungsangebot speziell an den Bedürfnissen Behinderter bzw. Langzeitpflegebedürftiger orientieren sollen. Dieses Modellprogramm wird im Ansatz sehr begrüßt; es erscheint aber in verschiedener Hinsicht änderungs- und ergänzungsbedürftig, wenn es nicht an den tatsächlich bestehenden Bedarfslücken vorbeigehen soll:

  • Die Beschränkung des Modellprogrammes auf Sozialstationen ist sehr bedauerlich, da hierdurch eine einseitige Vorabentscheidung über die Organisationsform solcher Hilfsdienste für Langzeitpflegebedürftige getroffen wird, andererseits aber vorrangig wichtige und erfolgsträchtige Modelle keine Berücksichtigung finden.

  • Die unverständliche Einschränkung des Modellprogrammes auf einen Tag Betreuung pro Woche bzw. später auf 3-wöchige Urlaubsvertretung für die Familie des Behinderten stellt eine Angebotsstruktur dar, die an den entscheidenden Versorgungslücken (= intensive Dauerbetreuung Schwerstbehinderter) vorbeigeht und dem bestehenden Versorgungsangebot keine entscheidend neuen Qualitäten hinzugefügt.

  • Wir wünschen daher die Ersetzung der jetzt geplanten zeitlichen Angebotsstruktur durch einen klaren Vorrang der zeitintensiven Dauerbetreuung und die explizite Ausweitung des Betreuungsangebotes auf alle Lebensbereiche: Privatbereich, (Aus-)Bildung, Beruf.

In der dringlichen Hoffnung, daß die Ergebnisse der Tagung zur praktischen Veränderung der integrationsorientierten gemeindenahen Hilfsmaßnahmen für Behinderte in der Bundesrepublik führen mögen, dankt die Vereinigung Integrations-Förderung e. V allen Förderern der Tagung, speziell aber den zahlreichen Behinderten und Experten aus dem Ausland, von denen wir so viel lernen konnten.

München, den 26. März 1982

Vereinigung Integrations-Förderung e. V

Kontakt

Einige Restexemplare des Kongressberichts sind noch verfügbar. Bei einer Vorauszahlung von DM 15,-- plus Porto erhalten Sie den Bericht zugesandt.

Vereinigung Integrationsförderung e.V.

z. H. Herrn Claus Fussek

Klenzestr. 57 C

D-80469 München

Tel.: 0049 - 89 - 201 54 60 oder 66

Quelle:

Otto Speck, John Evans, Philip Mason, N. E. Bank-Mikkelsen, Elith Berg, Ludwig Otto Roser, Gerben DeJong: Behindernde Hilfe oder Selbstbestimmung der Behinderten. Neue Wege gemeindenaher Hilfen zum selbständigen Leben.

Kongressbericht der internationalen Tagung: "Leben, Lernen, Arbeiten in der Gemeinschaft" München 24. - 26. März 1982

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 28.02.2005

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