Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung

Besonderer Förderbedarf in der Klasse

Autor:in - Unesco
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Handbuch
Copyright: © Unesco 1993

Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung

Original title: Teacher Education Resource Pack: Special Needs in the Classroom

Copyright UNESCO 1993; Copyright for the German translation: Zentrum für integrative Betreuung, Graz 1995

Das "Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung: Besonderer Förderbedarf in der Klasse" ist (mit Schulstempel kostenlos) erhältlich vom Zentrum für Schulentwicklung des BMUK, Abteilung I; A-9020 Klagenfurt, Tel.: 0463-54081, Fax.: -11.

Die Internet-Version (Auszug aus dem Handbuch) erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Hildegunn Olsen, Special Needs Education. Adresse: 7, place de Fontenoy; F-75352 Paris 07 SP; Tel: +33(0)1 45 68 10 00 Fax: +33 (0)1 45 68 56 26/27/28

Inhalt der Internet-Version

Vorwort 2

Einleitung 5

Die Entwicklung des Projektes 6

Die Zusammenstellung des Kursmaterials 7

Inhalt 9

Wie Sie mit diesen Unterlagen arbeiten 10

Abschnitt 2: Definitionen und Maßnahmen 10

Einleitung (Lernunterlagen) 10

Die Betrachtung des einzelnen Schülers 11

Die Betrachtung des Unterrichts 16

Ein möglicher Weg vorwärts 18

Abschnitt 2: Zusammenfassung 20

Einheit 2.1: Feststellen des besonderen Bedarfs 20

Einheit 2.2: Was können Schulen bei besonderem Förderbedarf machen? 25

Einheit 2.3: Integrative Schulen 26

Einheit 2.4: Umgang mit Behinderungen 27

Einheit 2.5: Einstellung zu Behinderung 29

Einheit 2.6: Sicht des Behinderten 30

Einheit 2.7: Integration in der Praxis 31

Einheit 2.8: Was ist Integration? 36

Einheit 2.9: Bedürfnisse der Lehrer 36

Vorwort

Bei der Erstellung dieses UNESCO-Handbuches wirkten viele Personen mit. Die Art und Weise, wie sich dieses Projekt entwickelt hat, läßt sich mit einer langen Reise vergleichen. Die Reise begann mit einer kleinen Gruppe von Kollegen, die nach Möglichkeiten suchten, den Lehrern beim Umgang mit besonderen Bedürfnissen in ihren Klassen zu helfen. Im Laufe der Zeit schlossen sich dieser kleinen Gruppe immer mehr Interessierte an. Das Entstehen von Partnerschaften zur Auseinandersetzung mit neuen Ideen und zur Verbesserung der Praxis ist der wichtigste Bestandteil des Projekts geworden, aus dem letztendlich dieses Handbuch hervorging.

Heute nützen Mitglieder unseres internationalen Partnernetzes weltweit das Handbuch als Grundlage für Lehrerfortbildungsprogramme. Zu diesem Zeitpunkt wird es bereits in mehr als 30 Ländern eingesetzt und in viele Sprachen übersetzt.

Ich hoffe, daß sich auch die künftigen Partner in unserem Netzwerk immer die Idee der Reise vor Augen halten. Die Unterlagen im Handbuch stellen sozusagen die Versorgung auf dieser langen Reise dar. Als solche sollen sie flexibel eingesetzt werden und auf die regionalen Besonderheiten Rücksicht nehmen. Im Zuge neuer Erfahrungen sollte man sich auch nicht davor scheuen, einzelne Bereiche abzuändern und zu verbessern. Das Handbuch ist darauf ausgerichtet, jene Schulen zu fördern und zu unterstützen, die das Lernen aller Kinder in der Gemeinschaft gewährleisten.

Lena Saleh UNESCO

Wir möchten die Benützer dieses Handbuches darüber informieren, daß es zu diesen Unterlagen einen Leitfaden mit dem Titel "Special Needs in the Classroom: Teacher Education Guide" [1], sowie drei Videos in englischer Sprache gibt: ein Informationsvideo, ein Trainingsvideo und ein Video zum Thema "Inclusive School". Der Leitfaden und die Videos sind käuflich zu erwerben und bei Bedarf von der UNESCO anzufordern.



[1] Siehe Literaturhinweise: Ainscow 1994.

Unser Dank gilt ...

Dieses Handbuch wurde von einem internationalen Expertenteam zusammengestellt. Zu den Mitgliedern zählen:

Anupam Ahuja, Indien

Mel Ainscow, Großbritannien

Cynthia Duk, Chile

Gerardo Echeita, Spanien

Hala Ibrahim, Jordanien

N. K. Jangira, Indien

Mennas Machawira, Zimbabwe

Chipo Marira, Zimbabwe

Charles Mifsud, Malta

Joseph Mifsud, Malta

Sophia Ngaywa, Kenia

Winston Rampaul, Kanada

Chris Rose, Kanada

Lena Saleh, UNESCO, Paris

Nina Sotorrio, Spanien

Danielle Van Steenlandt, Chile

Grace Wang'ombe, Kenia

Zuhair Zakaria, Jordanien

Das Team bedankt sich für die Beiträge der Lehrer und Lehrerbildner aus zahlreichen Ländern. Das Ergebnis ist ein bemerkenswertes Beispiel internationaler Zusammenarbeit, zu der sich Kollegen aus verschiedenen Kulturkreisen im Interesse der Kinder auf der ganzen Welt zusammengeschlossen haben.

Das vorliegende Handbuch wurde auf Initiative des Zentrums für integrative Betreuung (Beratungsstelle des Landesschulrates für Steiermark) in Graz, Österreich, bearbeitet. Es wurde 1993 im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht und Kunst von Frau Mag. Irene Huber aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Sodann wurden die einzelnen Abschnitte 1993/94 in vier Workshops, mit Integrationslehrern bzw. Multiplikatoren getestet. Ein Arbeitskreis, bestehend aus Heidemarie Klamminger, Gertrud Muckenhuber, Gerda Protas, Michaela Reitbauer, Volker Rutte und Marianne Schiffmann, erstellte aus diesen Erfahrungen die vorliegende Ausgabe.

Inhaltsverzeichnis des Handbuchs

Vorwort, Unser Dank gilt ..., Einführung in das Handbuch, Einleitung

Abschnitt 1

Eine Einführung zum Thema "Besonderer Förderbedarf in der Klasse"

Lernunterlagen Einheiten:

1.1 Persönliche Erwartungen

1.2 Gemeinsames Erarbeiten der Kursrichtlinien

1.3 Das Lernen

1.4 Das Klassenzimmer

1.5 Lernen der Kinder

1.6 Schulinterne Untersuchung

Abschnitt 2

Besonderer Förderbedarf: Definitionen und Maßnahmen

Lernunterlagen Einheiten:

2.1 Feststellen des besonderen Bedarfs

2.2. Was können Schulen bei besonderem Förderbedarf machen?

2.3 Integrative Schulen

2.4 Umgang mit Behinderungen

2.5 Einstellung zu Behinderung

2.6 Sicht des Behinderten

2.7 Integration in der Praxis

2.8 Was ist Integration?

2.9 Bedürfnisse der Lehrer

Abschnitt 3

Auf dem Weg zu einer effektiven Schule für alle

Lernunterlagen Einheiten:

3.1 Feststellen und Aufzeichnen von Leistung

3.2 Sinnvolleres Lernen

3.3 Veränderung des Unterrichts

3.4 Klassenfaktoren

3.5 Analysieren des Unterrichts

3.6 Gemeinsames Lernen

3.7 Gliederung von Gruppenaktivitäten

3.8 Lesen um zu lernen

3.9 Problemlösungen

3.10 Zusammengefaßt

Abschnitt 4

Hilfe und Unterstützung

Lernunterlagen Einheiten:

4.1 Das soziale Klima in der Klasse

4.2 Problemverhalten

4.3 Kinder mit Kindern

4.4 Partnerarbeit

4.5 Unterricht mit Partnerunterstützung

4.6 Gemeinsam in der Klasse

4.7 Eltern als Partner

4.8 Treffen mit Eltern

4.9 Einbeziehen der Bevölkerung

4.10 Externe Einrichtungen

4.11 Praxis und Feedback

Anhang: Literaturhinweise

Einführung in das Handbuch

Dieses Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung ist Teil eines UNESCO-Projekts, das Schulen und Lehrern helfen soll, Kinder mit einem besonderen Förderbedarf zu unterrichten. Die Unterlagen sollen der Situation angemessen, individuell benützt werden, z.B. als:

1 Teil eines Grundlehrkurses für Lehrer

2 Fortbildungsseminar für erfahrene Lehrer

3 Basis für schulinterne Programme zur Lehrerfortbildung

Das Handbuch besteht aus folgenden vier Abschnitten:

Abschnitt 1. Eine Einführung zum Thema "Besonderer Förderbedarf in der Klasse"

Abschnitt 2. Besonderer Förderbedarf: Definitionen und Maßnahmen

Abschnitt 3. Auf dem Weg zu einer effektiven Schule für alle

Abschnitt 4. Hilfe und Unterstützung

Jeder Abschnitt beginnt mit Lernunterlagen, die die Teilnehmer im Kurs oder Seminar durchlesen. Danach kommen Einheiten, auf denen die einzelnen Übungsstunden aufbauen. Die Einleitung gibt den Teilnehmern einen Überblick über den ganzen Kurs und eine Erklärung zu den Grundsätzen, aus denen er sich entwickelt hat. Es wird genau beschrieben, wie die einzelnen Übungsstunden abzuhalten sind und welche Methoden sich zur Reflexion anbieten.

Das in allen vier Abschnitten verwendete Material erfordert zu einem gewissen Maß aktives Lernen - dazu zählt vor allem Gruppenarbeit. Die Teilnehmer sollen möglichst die schriftlichen Unterlagen vor der Stunde durchlesen und danach ihre Arbeit darauf aufbauen. Vorträge sind kaum vorgesehen, aber es steht den Kursleitern und den Teilnehmern selbstverständlich frei, eigene Vorschläge zur Gestaltung der Stunden zu machen.

Wir gehen davon aus, daß die Leiter eines Kurses oder Seminars bereits an Trainingseinheiten teilgenommen haben, die sich mit dem Inhalt dieses Handbuchs beschäftigten. Sie sollen außerdem den englischen Leitfaden besitzen, den die UNESCO für Kursleiter herausgegeben hat[2].

Die Benützer des Handbuchs sollen für die Schwierigkeiten der Lehrer sensibilisiert werden. Das erklärte Ziel besteht darin, Lehrern beim Umgang mit den verschiedenen Schülern zu helfen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß dies angesichts großer Klassen, beschränkter Mittel oder Maßnahmen, die eine flexible Arbeit verhindern, nicht immer leicht möglich ist.

Mel Ainscow, Projektleiter



[2] Siehe Literaturhinweise: Ainscow 1994.

Einleitung

Vorliegendes Handbuch ist Teil eines UNESCO-Projektes, mit dem man weltweit Schulen und Lehrern den Umgang mit Kindern, die in der Schule Probleme haben, erleichtern will. Es ist zu erwarten, daß die Lernunterlagen unterschiedlich verwendet werden, um sie den Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern anzupassen. Deshalb liegt der Schwerpunkt auf Flexibilität. Benützen Sie die Unterlagen so, wie Sie und Ihre Kollegen es für angemessen erachten.

Die Kursunterlagen wurden mit Hilfe von Lehrern und Lehrerbildnern aus verschiedenen Ländern ausgearbeitet. Obwohl sie für dieses Handbuch von einem Autor zusammengestellt wurden, spiegeln sie doch die Gedanken und Erfahrungen vieler Menschen wieder.

Im Rahmen des Skriptums werden wir Hintergrund, Ziel und Schwerpunkte des Kurses näher beleuchten und danach einige Hinweise zur Anwendung der Unterlagen geben.

Die Entwicklung des Projektes

Das Projekt "Besonderer Förderbedarf in der Klasse" wurde 1988 von der UNESCO ins Leben gerufen. Sein Ziel bestand darin, ein Handbuch mit Ideen und Unterlagen zu erstellen, das weltweit von Lehrern und Lehrerausbildnern verwendet werden kann. Den Regelschulen soll dadurch die Möglichkeit geboten werden, sich umfassend mit der Vielfalt von Schülern auseinanderzusetzen.

Die Initiative zu diesem Projekt entwickelte sich aus dem ständigen Bemühen der UNESCO, jene Mitgliedstaaten zu unterstützen, die bemüht sind, Strategien für Schüler mit besonderem Förderbedarf in Regelschulen zu entwerfen. Eine von der UNESCO in Auftrag gegebene und von einem Forschungsteam der Universität London in vierzehn Ländern durchgeführte Umfrage zeigte folgende drei Prioritäten in der Schulpolitik:

1 Die Möglichkeit der Pflichtschule für alle Kinder;

2 die Integration von behinderten Kindern in Regelschulen; und

3 eine verbesserte Lehrerausbildung als Voraussetzung für das Erreichen von 1 und 2.

Die Daten dieser Umfrage bildeten die Grundlage für eine Reihe regionaler Workshops. Ein Ergebnis dieser Veranstaltungen war, daß die UNESCO gebeten wurde, bei der Herausgabe von Unterlagen zur Lehrerfortbildung zu helfen, die den Umgang mit besonderem Förderbedarf in Regelschulen erleichtern sollten. In den regionalen Workshops wurden auch genauere Richtlinien über den Inhalt und den Schwerpunkt zukünftiger Unterlagen erstellt.

Die Zusammenstellung eines solchen Skriptums zur Lehrerfortbildung stellte eine enorme Herausforderung dar. Im Vordergrund stand die Frage, wie ein Handbuch aussehen sollte, das auf alle länderspezifischen Besonderheiten eingeht, besonders auf jene der Entwicklungsländer. Um das zu erreichen, wurden während der Erstellung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die Flexibilität und dadurch auch den Einbezug verschiedenster Problemstellungen garantierten. Es waren folgende:

  • Im April 1989 wurde in Nairobi, Kenia, ein Probeseminar für Lehrer und Lehrerausbildner aus verschiedenen afrikanischen Ländern abgehalten. Dabei konnten verschiedene Unterlagen und Methoden beurteilt werden.

  • Weitere Veranstaltungen folgten in der Türkei im September 1989.

  • In verschiedenen Ländern wurden Beratungsteams, bestehend aus Lehrern und Lehrerausbildnern, eingesetzt. Diese Teams beurteilten Erstentwürfe und steuerten eigene Beiträge und Gedanken zum Handbuch bei.

  • Sonderpädagogen und Fachleute, die weltweit mit der Entwicklung der Lehrerausbildung beschäftigt waren, beurteilten die Entwürfe.

  • Ein internationales Expertenteam wurde beauftragt, die Entwürfe zu testen und auszuwerten. Dieses Team spielte auch bei der weiteren Gestaltung der Unterlagen eine Rolle.

Im April 1990 nahmen je zwei Koordinatoren aus acht Ländern (Kanada, Chile, Indien, Jordanien, Kenia, Malta, Spanien und Zimbabwe) an einem zweiwöchigen Workshop/Seminar an der Universität von Zimbabwe teil. In der Gruppe waren Universitätsprofessoren, Verwaltungsbeamte, Lehrer und ein Schuldirektor vertreten. Die erste Woche gestaltete sich zu einer Art Vorführworkshop, in dessen Rahmen Kurse für die Koordinatoren, eine Gruppe von einheimischen Lehrern und Studenten, abgehalten wurden. In der zweiten Woche wurde der Workshop anläßlich eines Seminars ausgewertet, wobei die internationalen Koordinatoren gemeinsam festlegten, wie das Handbuch in ihren Heimatländern getestet werden sollte.

Diese Praxistests endeten im März 1991 und jedes Koordinatorenteam erstellte daraufhin einen Bericht über seine Arbeit. Die Tests waren hauptsächlich darauf ausgerichtet, Informationen zu sammeln, die für die weitere Entwicklung des Handbuchs und seine zukünftige Verbreitung zu brauchen waren.

Die 16 Koordinatoren wurden durch ihre ständige Arbeit auf dem Gebiet des besonderen Förderbedarfs zu internationalen Experten, die nun in vielen Ländern zusammen mit Kollegen an der Förderung des Projekts beteiligt sind.

Die Auswertungsberichte ergaben, daß die Unterlagen in allen Testgebieten wie vorgesehen verwendet worden waren, und daß die Kursleiter in ihren Arbeitsmethoden mit der Idee des Projektes übereinstimmten. Aus dem Bericht geht die Zustimmung und die optimistische Haltung hervor, die dem eingeschlagenen Weg entgegegebracht wird. Die Ergebnisse belegen, daß dieses Handbuch für alle Lehrer unter den jeweiligen Voraussetzungen ihrer Länder geeignet war, wobei sich die Lehrer auf Abschnitte konzentrierten, die sie für wichtig erachteten. Außerdem zeigte sich, daß die verwendeten Aktivitäten und Prozesse erfolgreich dazu beitragen, den Lehrerausbildnern zu helfen und umgekehrt, das Denken und die Unterrichtspraxis der Lehrer weiterzuentwickeln.

Die Zusammenstellung des Kursmaterials

Der Bericht über die Entwicklung des Handbuchs läßt erkennen, wie schwierig es ist, geeignetes Material zur Lehrerfortbildung zusammenzustellen. Wie können ein und dieselben Unterlagen für so viele verschiedene Ländern relevant sein?

Wie Sie sehen, versucht man dieses Problem mit einer Reihe von Methoden in den Griff zu bekommen, die sich durch den gesamten Kurs ziehen. Man geht von der Annahme aus, daß sie in allen Lehr- und Lernsituationen angewendet werden können, unabhängig davon, ob es sich um einen Hörsaal in einer Universität, einen weiterbildenden Workshop für erfahrene Lehrer oder um eine Klasse in Ihrer Schule handelt.

Vereinfacht dargestellt, handelt es sich dabei um folgende Überlegungen:

Lernen wird man am ehesten in Klassen, in denen folgendes geschieht:

1 Aktives Lernen

Methoden, die es fördern, daß Teilnehmer sich auf verschiedene Lerngelegenheiten einlassen.

2 vereinbaren der Ziele

Methoden, in denen bei den einzelnen Aktivitäten auf die Sorgen und Interessen der Teilnehmer eingegangen wird.

3 Vorzeigen, Übung und Bestätigung

Methoden, die Beispiele aus der Praxis bringen, zu ihrer Anwendung ermutigen und Feedback ermöglichen.

4 Ständige Reflexion

Methoden, die Untersuchung und Beobachtung als Mittel der Reflexion über das Lernen ermöglichen.

5 Unterstützung

Methoden, die dem einzelnen zu mehr Risikofreudigkeit verhelfen.

Betrachten wir nun jeden dieser fünf Punkte genauer, speziell im Hinblick auf die Lehrerbildung. Vergessen Sie dabei nicht auf die möglichen Konsequenzen für Ihre eigene Klasse.

1 Aktives Lernen

Aktive Lernmethoden, bei denen die Kursteilnehmer zusammenarbeiten, um ihre Fertigkeiten und ihr Verständnis zu entwickeln und um gemeinsame Probleme zu lösen, haben gegenüber herkömmlichen Methoden in der Lehrerausbildung viele Vorteile. Im besonderen fördern sie das Engagement und helfen dem einzelnen über einige der Ängste vor Veränderungen hinweg. Deshalb werden Sie auch für die Dauer dieses Kurses gebeten, mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir glauben, daß Sie dadurch leichter lernen werden und denken, daß dadurch Lernen für Sie angenehm wird.

2 Besprechung der Ziele

Jeder Teilnehmer hat seine eigenen Ideen, Erfahrungen und Vorbehalte. Daher ist es auch notwendig, daß jeder seine eigenen Prioritäten und Lernziele festsetzen kann. Möglicherweise ändern sich diese Ziele, wenn man die verschiedenen Lernmaterialien gelesen und an den zugehörigen Übungen teilgenommen hat.

3 Darbietung, Übung und Feedback

Forschungsergebnisse besagen, daß die Einführung neuer Arbeitsmethoden in Schulen eher gelingt, wenn diese drei Punkte, nämlich Darbietung, Übung und Feedback, vereint ausgeführt werden. Aus diesem Grund haben Sie während des Kurses die Möglichkeit, dargebotene Lehrmethoden zu sehen, sie auszuprobieren und hilfreiche Kommentare zu ihren Versuchen zu hören. Um dabei zu helfen, wird es gefördert, daß Sie mit Ihren Kollegen zusammenarbeiten.

4 Ständige Reflexion

Da wir erreichen wollen, daß Sie Ihre Lernziele innerhalb dieses Kurses selbst festlegen, ist es nur sinnvoll, daß Sie auch die Verantwortung für die Feststellung ihres Fortschritts übernehmen. Wir glauben, daß dies für Sie eine zusätzliche Motivation zur Verbesserung Ihrer Leistungen sein wird. Wir wollen, daß Sie sich selbst als Lernenden sehen, der zusammen mit den Schülern in der Klasse lernt. Darüberhinaus soll die ständige Reflexion auch dazu genützt werden, die Kursaktivitäten und Prioritäten mitzubestimmen. Auf diese Weise sollte der Kurs auch Einzelpersonen helfen.

5 Unterstützung

Zum Schluß möchten wir noch betonen, daß während des ganzen Kurses, ob es sich nun um Aus- oder Fortbildung von Lehrern handelt, der Schwerpunkt auf Unterstützung innerhalb der Klasse liegt. Lernen kann für Schüler und Lehrer eine sehr anstrengende Sache sein. Wenn der Streß zu groß wird, ist ein Lernerfolg weniger wahrscheinlich. Klassen in denen Unterstützung großgeschrieben wird, helfen den Teilnehmern, also Lehrern und Schülern, besser zu lernen.

Diese fünf Punkte deuten schon an, daß Sie als Teilnehmer an diesem Kurs viel Arbeit vor sich haben. Sie sollen ja vor allem dazu bewogen werden, "Verantwortung für Ihr eigenes Lernen zu übernehmen". Das ist ein brauchbares Motto, das man immer vor Augen haben sollte.

Überlegungen

Was halten Sie von diesen fünf Punkten?

Wenden Sie in Ihrer Klasse einige davon an?

Inhalt

Die Art der Kursunterlagen wurde vom Ergebnis einer in vierzehn Ländern durchgeführten Umfrage mitbestimmt. Wichtig waren auch die in den verschiedenen Workshops vorgebrachten Ideen und die Erfahrungen anderer Initiativen zur Lehrerausbildung. Nach den Feldtests und Untersuchungen in acht Ländern wurden sie adaptiert. Das Hauptziel ist folgendes:

Den Lehrern zu helfen, ihr Denken und Arbeiten den erzieherischen Schwierigkeiten gemäß zu entwickeln.

Wie schon an früher angemerkt, sollte man die Unterlagen flexibel einsetzen, um die verschiedenen nationalen Besonderheiten berücksichtigen und auf die individuellen Bedürfnisse der Kursteilnehmer eingehen zu können.

Die Unterlagen werden aller Voraussicht nach im Rahmen folgender Veranstaltungen angewendet:

  1. Kurse zur Lehrerausbildung an Pädagogischen Akademien oder Universitäten.

  2. Weiterbildende Kurse oder Workshops für Gruppen von Lehrern mit Erfahrung.

  3. Teil eines schulinternen Fortbildungsprogramms für alle Mitglieder des Lehrkörpers einer Schule.

Im gesamten Kursmaterial wird Wert darauf gelegt, daß der besondere Förderbedarf als ein Thema der Unterrichtsgestaltung angesehen wird. Mit anderen Worten - wie allgemein die Auffassung besteht, daß schulische Schwierigkeiten infolge des Zusammentreffens einer Reihe von Faktoren auftreten, müssen wir Lehrer die Bedingungen schaffen, daß alle Kinder zu lernen imstande sind. Diese Erkenntnis führt zu einer optimistischeren Einstellung. Sie bedeutet, daß die Arbeit der Lehrer, ihre Entscheidungen, die Erfahrungen, die sie beisteuern und die Beziehungen, die sie zu ihren Schülern aufbauen, einen großen Einfluß auf den Fortschritt der Schüler in den Schulen haben.

Diese Methode berücksichtigt auch eventuelle Gefahren durch den Begriff des Etikettierens. Anstatt Kinder, die wir auf eine gewisse Art für "besonders" halten, zu kategorisieren, sollten wir anerkennen, daß alle Kinder etwas Besonderes sind. Wir müssen versuchen, alle Schüler als Einzelpersonen zu sehen und Individualität als etwas Annehmbares erkennen. Es würde auf dieser Welt sicherlich traurig aussehen, wenn alle Menschen gleich wären.

All das bedeutet, daß Lehrer in Regelschulen bemüht sein sollten, einen gemeinsamen Unterricht zu entwickeln, der auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingeht, anstatt Kinder mit besonderem Förderbedarf getrennt zu unterrichten. Das ist das Thema, um das es in diesem Lehrmaterial und auch in dem Kurs geht, den Sie mit Ihren Kollegen absolvieren.

Überlegungen

Glauben Sie, daß alle Kinder etwas Besonderes sind?

Ist es möglich, einen gemeinsamen Unterricht für alle Kinder zu erbringen?

Wie Sie mit diesen Unterlagen arbeiten

Die vier Abschnitte bestehen aus Lernunterlagen, die eine allgemeine Einführung in das Thema bieten, sowie einer Reihe von Einheiten, die die Grundlage für die Kursaktivitäten bieten. In den meisten Fällen wird von Ihnen erwartet, daß Sie vor einer Übungsstunde die Einleitung zu einer bestimmten Einheit durchlesen, damit die Stunde aktiver gestaltet werden kann und so auch mehr gelernt wird. Im Inhaltsverzeichnis können Sie sich über die verschiedenen Abschnitte und Einheiten dieses Handbuchs kurz informieren. Dadurch sollte es Ihnen und Ihren Kollegen leichter fallen, jene Abschnitte auszuwählen, die Sie für wichtig erachten. Es wird nicht erwartet, daß die Gruppen in einem Kurs oder Seminar alle Unterlagen im Handbuch durchnehmen. Sie sollten vielmehr jene Bereiche behandeln, die für Ihre Arbeit von Bedeutung sind. So können Sie ein für Sie optimales Arbeitsprogramm erstellen.

Abschnitt 2: Definitionen und Maßnahmen

Einleitung (Lernunterlagen)

Diese Unterlagen sollen Ihnen helfen, Ihr Denken und Handeln als Lehrer in Bezug auf den Umgang mit besonderen Schülern zu reflektieren. Beim Durchlesen der Lernunterlagen sollten Sie Ihre eigenen Erfahrungen Revue passieren lassen und mit den Ideen, die wir vorbringen, vergleichen. Dadurch können Sie Bereiche Ihrer Arbeit bestimmen, die einer Weiterentwicklung bedürfen.

Früher hätte man ein solches Seminar als Zusatzprogramm für jene konzipiert, die ein besonderes Interesse an Förder- und Sonderunterricht anmelden. Je mehr Sie sich aber mit unseren Argumenten beschäftigen, desto eher werden Sie erkennen, daß wir alle Lehrer ansprechen und unser Bemühen auf das Lernen aller Kinder ausgerichtet ist.

Damit sind wir auch schon beim Kernpunkt des Projekts "Besonderer Förderbedarf in der Klasse" angelangt. Es soll allen Kindern ermöglicht werden, in der Klasse Erfolge zu erzielen, auch jenen, die Behinderungen oder Schwierigkeiten zu überwinden haben.

In diesen Unterlagen gehen wir auf derzeitige Trends im Denken ein und erklären, warum diese für Lehrer so wichtig sind. Insbesondere versuchen wir darzulegen, wie sich die verschiedenen Maßnahmen der Bildungseinrichtungen zur besseren Versorgung von Kindern mit Schwierigkeiten in vielen Ländern entwickeln. Wir wollen erreichen, daß Sie sich mit diesen Argumenten auseinandersetzen und Ihren eigenen Standpunkt zu den Themen, die wir aufwerfen, überdenken.

Wir werden die Schwierigkeiten, mit denen die Schüler in der Klasse konfrontiert sind, aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten:

1 Die Betrachtung des einzelnen Schülers

Bei der Analyse von schulischen Schwierigkeiten wird von individuellen Charakteristika der Schüler ausgegangen, wie z.B. Behinderung, sozialer Hintergrund oder psychologische Faktoren.

2 Die Betrachtung des Unterrichts

Die schulischen Schwierigkeiten werden anhand von Aufgaben, Übungen und Bedingungen in der Klasse definiert, mit denen die Schüler konfrontiert sind. Bei Untersuchungen in vielen Ländern wird momentan von der Betrachtung des Schülers ausgegangen. Es stellt sich jedoch immer häufiger heraus, daß diese Art der Definition eine Reihe von Nachteilen in sich birgt. Deshalb konzentriert man sich jetzt zusehends auf den Unterricht. Im folgenden werden diese zwei verschiedenen Definitionsmöglichkeiten eingehender betrachtet.

Die Betrachtung des einzelnen Schülers

In vielen Ländern wird die Untersuchung von Schülern, die in der Schule mit Problemen zu kämpfen haben, von diesem Verfahren dominiert. Dabei geht man heute noch von folgenden Thesen aus:

These 1 Eine Gruppe von Kindern kann identifiziert werden, die besonders ist

Schwierigkeiten mit bestimmten Schülern werden anhand von Faktoren erklärt, die den Fortschritt zu behindern scheinen (z.B. Behinderung, Elternhaus, Intelligenz). Als Folge davon werden die Schüler in zwei Gruppen geteilt, wovon eine aus Schülern besteht, die als "behindert" gelten. So werden in vielen Ländern rechtlich und verwaltungstechnisch jene Schüler erfaßt, die eine besondere Erziehung benötigen. Diese wird in Sonderschulen oder gesonderten Klassen vorgenommen. Mit der Entwicklung des Förderunterrichts wird in einigen Ländern eine weitere Gruppe in Grund- und Mittelschule gesondert unterrichtet. Diese Schüler bekommen gesonderten Förderunterricht (oder gehen in eine eigene Förderklasse).

These 2 Diese Kinder benötigen aufgrund ihres Problems einen Sonderunterricht

Sonderunterricht gibt es üblicherweise ganz oder gar nicht; das bedeutet, die Kinder werden entweder als besonders eingestuft und in einer besonderen Gruppe untergebracht oder sie bleiben in der Normalklasse, wo sie keine besondere Erziehung erhalten. Der Einstufungsprozeß wird daher zu einem entscheidenden Unterfangen, und ein ganzer Arbeitsbereich ist darauf aufgebaut, der häufig den Klassenlehrer ausschließt, und der den Prozeß der Identifikation und Zuteilung erleichtern soll. Manchmal können Schüler auch nur dann als besonders eingestuft werden, wenn zusätzliche Einrichtungen existieren.

These 3 Es ist am besten, wenn man Kinder mit gleichen Problemen zusammen unterrichtet

Mit dem Bestreben, besonderen Schülern besonders zu helfen, werden sie manchmal in Sonderschulen, -klassen oder -gruppen zusammengefaßt. Für diese Entscheidung ist die vermutliche gemeinsame Ursache ihrer Probleme ausschlaggebend. So werden in Sonderschulen all jene Schüler, die in ihren schulischen Leistungen zurückgeblieben sind, jene mit körperlichen Behinderungen, usw. zusammengegeben. Gleicherweise werden in Förderklassen oder -gruppen Schüler unterrichtet, von denen angenommen wird, daß sie die gleichen Lernprobleme haben. Indem man sie zusammengibt, sollen sie nun von speziellen Lehrern, die besonderes Interesse und Wissen um ihre Schwierigkeiten haben, die bestmögliche Ausbildung bekommen. Es sollte noch hinzugefügt werden, daß in einigen Ländern Kinder mit bestimmten Behinderungen nicht unterrichtet werden, da sie als nicht schulfähig eingestuft wurden.

These 4 Andere Kinder sind "normal " und profitieren von den derzeitigen Schulformen

Da man Sondereinrichtungen geschaffen hat, die sich um besondere Kinder kümmern, ist es für das System selbstverständlich, daß andere Schüler automatisch erfolgreich lernen, wenn sie am bereitgestellten Unterricht teilnehmen. Lehrer in gewöhnlichen Klassen werden deshalb auch nicht dazu genötigt, sich mit Schülern, die Schwierigkeiten haben, auseinanderzusetzen.

Sie fassen diesen Gedanken erst gar nicht ins Auge, da der Unterricht von Schülern mit besonderem Förderbedarf als Aufgabe von Experten in Sonderschulen oder Sonderklassen angesehen wird. Der gewöhnliche Lehrer, der versucht, "besondere" Schüler mitzuunterrichten, könnte beschuldigt werden, ihnen keinen guten Dienst zu erweisen, da er ihnen den Zugang zu dem Fachwissen und zusätzlichen Fördermaßnahmen verwehrt.

Aufgrund dieser vier Thesen ist der Schwerpunkt bei der Erziehung von Kindern mit schulischen Schwierigkeiten vielerorts charakterisiert durch

Kategorisierung, Schutz und Trennung.

Im folgenden soll nun auf die Auswirkungen dieser drei Konzepte näher eingegangen werden.

Kategorisierung

In vielen Ländern müssen Kinder einer formalen Behinderungskategorie (z.B. geistig behindert, lernbehindert usw.) zugeordnet werden, um in den Genuß von Sondererziehung zu kommen.

Es ist kaum überraschend, daß sich Bildungseinrichtungen so sehr auf diese Methode der Beschreibung einer Untergruppe von Kindern durch Kategorien verlassen. Menschen brauchen gewisse sprachliche Konventionen, um sich im Gespräch auf andere beziehen zu können. Es scheint unserem Denken auch leichter zu fallen, wenn wir über Personen allgemeine Bemerkungen machen können, die ihre Situation sinnvoll zu erklären scheinen. Zusätzlich gibt es auch einen historischen Grund, der die bevorzugte Anwendung von Kategorien bei der Beschreibung von Kindern, die in der Schule Sorgen machen, erklärt. Das zeigt sich, wenn man die Entwicklung der Sonderbeschulung in verschiedenen Teilen der Welt untersucht. Die Taktik Etiketten einzuführen, die die Allgemeinheit verstehen kann, ist auch eine effektive Methode zusätzliche Unterstützung der bedürftigen Gruppen zu erlangen.

Es werden jedoch immer häufiger die negativen Auswirkungen des Gebrauchs von Kategorien und Etiketten für Kinder erkannt. Der englische Autor Paul Widlake geht sogar soweit zu behaupten: "Der Vorgang Problemschüler zu etikettieren, könnte sich auf diese noch verheerender auswirken als jede andere Maßnahme der Lehrer."

Wie sehen nun die negativen Auswirkungen des Etikettierungsprozesses auf Kinder aus? Wie können sie beim Entstehen von Lernschwierigkeiten beteiligt sein?

Erstens besteht bei Etiketten, die die möglichen Ursachen der Lernschwierigkeiten eines Kindes betonen, die Gefahr, daß man Faktoren übersieht, die wichtig sein könnten, den Schülern bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen. Weiters sind die beschriebenen Ursachen oft vage, sehr spekulativ und basieren auf vereinfachenden Erklärungen, wie schulische Schwierigkeiten auftreten. Das Konzept der "allgemeinen Befähigung" hat das Denken der Lehrer diesbezüglich stark geprägt. Besonders den Intelligenztests wurde solche Bedeutung beigemessen, daß die Lehrer schwache Leistungen der Schüler mit deren "niedrigen Anlagen" erklärt haben. Das Problem wird so zu einem des Kindes und der Lehrer mag demzufolge wenig Sinn darin sehen, die Schwierigkeiten des Kindes zu bewältigen.

Ein zweites Problem beim Gebrauch von Etiketten ist, daß Kinder einfach nicht ordentlich in die Schemata passen, die wir aufgestellt haben. Das wurde immer deutlicher, als Fortschritte der Medizin es ermöglicht haben, geringfügigere Schwächen von Kleinkindern leichter zu identifizieren und mehr Kinder mit Mehrfachbehinderungen überlebten. Welcher Kategorie sollen wir z.B. einem Jugendlichen zuordnen, der schlecht sieht, ein beeinträchtigtes Hörvermögen hat, nicht lesen kann und zu seinen Klassenkameraden wenig soziale Kontakte hat?

Da Kinder nicht ordentlich in Kategorien passen, ist es schwer, die richtigen Etiketten für sie zu finden. Wenn das Etikettieren bei der Entscheidung über Hilfsmittel ausschlaggebend ist, kann es zwischen den verschiedenen Berufsgruppen zu Spannungen kommen. Es kann z.B. passieren, daß ein Lehrer das Gefühl hat, daß ein Kind den Unterricht nicht bewältigen kann und nach Beratung mit den Eltern werden außenstehende Experten zur Hilfe herangezogen.

Die Empfehlungen der Experten können nun widersprüchlich und davon abhängen, ob das Kind in eine bestimmte Kategorie paßt oder nicht. Ob solche Debatten dem Kind nützen, ist fraglich. Solche Diskussionen strapazieren die Kräfte der verschiedenen beteiligten Personen, ohne einen positiven Beitrag dahingehend zu leisten, wie man hier und jetzt dem Kind helfen könnte. Lehrer und Eltern können auch noch mehr darin verunsichert werden, was sie für das Kind tun sollten. Selbst wenn es leicht zu einer Übereinstimmung bezüglich des Etiketts kommt, wird es doch oft nur dazu benutzt, um für eine Sonderbeschulung zu votieren und der Klassenlehrer muß nicht mehr nach geeigneten Maßnahmen im Rahmen seines Unterrichts suchen.

Der dritte und wahrscheinlich beängstigendste Aspekt des Etikettierungsprozesses hängt mit seinen Auswirkungen auf die Einstellungen der Menschen zusammen. Es handelt sich um nichts anderes als um eine Stereotypisierung, wenn auf Kinder mit einem Wort oder einer Phrase Bezug genommen wird, um damit ihr Wesen, ihr Können (oder Nichtkönnen) und sogar ihre Zukunft zusammenzufassen. Wenn Ihnen gesagt wird, daß ein Kind auf eine gewisse Art behindert, gestört oder wenig fähig ist, so wird dieses eine Merkmal wahrscheinlich Ihr Gesamtbild so stark beeinflussen, daß Sie von vielen anderen wichtigen Wesensmerkmalen abgelenkt werden. Als übliche Folge dieser Stigmatisierung werden die Leistungserwartungen gegenüber diesen Person stark sinken. Ein gutes Beispiel dafür ist die Voranstellung der Bezeichnung "Sonder". Bei einem Sonderschüler wird automatisch davon ausgegangen, daß ihn jemand in der Schule aufgrund seiner schwachen Leistungen z.B. in Mathematik oder Deutsch für dumm erklärt hat. Was daraus folgt, ist die anhaltende und unauslöschliche Meinung, daß das Kind in der Schule keine großen Leistungen vollbringen wird.

In einigen Ländern wurden die formalen Kategorien in der Sondererziehung durch die Gesetzgebung abgeschafft. Die obigen Argumente zeigen ebenfalls, daß Lehrer hinsichtlich des Gebrauchs von Etiketten sehr vorsichtig sein müssen.

Schutz

Durch das Etikettieren neigen viele Lehrer dazu, bestimmte Kinder zu überbehüten. Natürlich soll die Sorge um das Kind ein Bestandteil jedes Unterrichts sein, wir müssen uns aber der Gefahren bewußt sein und nicht unterschätzen, was Kinder leisten können.

Der Wunsch, für die Kinder zu sorgen und sie zu beschützen, kann dazu führen, daß für sie Unterrichtsprogramme ausgearbeitet werden, die sie zu wenig fordern und stimulieren. Manche Lehrer sind z.B. der Meinung, daß sie den Schülern helfen, wenn sie sie malen und zeichnen lassen, anstatt sie an den Aufgaben der restlichen Klasse zu beteiligen. Diese Lehrer befürchten, die Kinder unter Druck zu setzen, und Unbehagen und Angst auszulösen.

Im allgemeinen erhalten Kinder, bei denen besondere Probleme diagnostiziert wurden, in ihren Problemfächern zusätzlichen Unterricht. So werden z.B. Kinder mit Leseschwierigkeiten über den normalen Unterricht hinaus mit Aufgaben betraut, die mit dem Lesen in Zusammenhang stehen. Dabei kann es sich um besondere Tätigkeiten im Unterricht handeln, oder aber auch, was eher vorkommt, um Lerneinheiten außerhalb der Klasse, in denen intensiv mit Sonderprogrammen oder -materialien gearbeitet wird. Manchmal gehört zu diesen Aktivitäten auch die Verwendung von sorgfältig ausgewählten Materialien, die dem Leistungsniveau des Kindes angepaßt sind und durch die ein Leistungsfortschritt erzielt werden soll. Diese Art der Hilfestellung kann erfolgreich sein. Oft führen diese Versuche aber dazu, daß die Kinder isoliert von den anderen mit Übungen beschäftigt sind, die keinen offensichtlichen Zusammenhang zu anderen Arbeiten aufweisen und langweilig oder eintönig sind.

Es besteht die Gefahr, daß die Kinder durch getrennte Arbeiten, die darauf ausgerichtet sind, ihnen zu helfen, Nachteile anderer Art erleben. Sie sind z.B. von anregenden Aktivitäten durch ihre Klassenkameraden ausgeschlossen. Dadurch könnte es ihnen schwerfallen, wichtige Bereiche oder Themen zu verstehen, die eine bestimmte Zeit lang bearbeitet werden, was wiederum ein Grund für Unsicherheit und Kummer wäre. Außerdem könnten sie jene Übungen versäumen, die den notwendigen Anreiz zur Entwicklung von Fähigkeiten, wie Lesen und Schreiben, geben. Die Trennung könnte zusätzlich negative Auswirkungen auf ihre Motivation als Lernende und ihre Stellung unter den Mitschülern haben.

Fairerweise muß hinzugefügt werden, daß sich viele Lehrer der Gefahr des übermäßigen Beschützens sehr bewußt sind, und deshalb versuchen, alle Kinder zu unterrichten und sie weder überzubehüten, noch zu unterfordern. Optimismus ist wesentlich für erfolgreiches Unterrichten, besonders bei jenen Schülern, die im Laufe ihrer Schulzeit schon ein Gefühl für Versagen entwickeln mußten.

Segregation

Mit Kategorisierung und Schutz, die das traditionelle Denken kennzeichnen, geht die Taktik der Separation einher, nach der Gruppen von Kindern aus der Klasse herausgenommen werden und gesonderte Hilfe erhalten. Für einige bedeutet das Unterricht in einer Sonderschule, für andere eine Sonderklasse und für viele stundenweise getrennter individueller oder Gruppenunterricht. Das Thema der Segregation in der Schule ist emotionsbeladen und kann die Beteiligten in zwei Lager spalten.

Ohne eine extreme Meinung vertreten zu wollen, muß dennoch gesagt werden, daß in der Schule allgemein die Neigung besteht, rasch die Möglichkeit der Trennung in Betracht zu ziehen. Als eine der Folgen davon verlieren die Lehrer ihr Vertrauen, Problemschüler unterrichten zu können. Die Botschaft hat immer gelautet: Sondererziehung ist etwas für Experten.

In jüngster Zeit sind besonders Sonderschulen in das Kreuzfeuer der Kritik geraten. Gegen sie wurden unter anderem folgende Argumente vorgebracht:

  • viele Eltern sind über die Sonderbeschulung ihres Kindes unglücklich;

  • Sonderschulen sind mit einem Stigma behaftet;

  • es gibt keine überzeugenden Beweise dafür, daß Kinder in Sonderschulen größere Fortschritte erzielen;

  • aufgrund der Organisation der Sonderschule, ist der Unterricht eingeschränkter und verhindert eine breitere Ausbildungsbasis;

  • dem Sonderschüler wird der Kontakt zu "normalen" Kindern erschwert (und natürlich auch "normalen" Kindern die Möglichkeit zum Umgang mit "besonderen" Kindern);

  • da Kinder sehr oft die Sonderschule in einem fremden Bezirk besuchen, verlieren sie den sozialen Kontakt zu ihren Altersgenossen in der Nachbarschaft;

  • das Kind verbleibt meistens für den Rest seiner Schulzeit in der Sonderschule; ein Transfer zurück ist theoretisch möglich, kommt aber in der Praxis kaum vor.

Man könnte nun fairerweise einwenden, daß Sonderschulen dort, wo sie existieren, viel zu bieten haben und daß, trotz aller Kritik, viele Kinder von der Qualität ihres Unterrichts profitieren. In manchen Fällen haben Größe der Sonderschule, ihre finanziellen Mittel und der Einsatz der Lehrer dazu geführt, daß sich eine kindzentrierte Erziehung entwickeln konnte. Das heißt, individuelle Beiträge im Unterricht werden hoch geschätzt und das Selbstvertrauen und die Selbstachtung der Schüler wird deutlich gestärkt.

In einigen Ländern haben Sonderschulen auf dem Gebiet der Schulentwicklung beeindruckende Arbeit geleistet. Das ist vornehmlich der Erfolg von Lehrergruppen, die bei der Erstellung sorgfältig durchdachter Lehrpläne eng zusammenarbeiten, die auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen. Diese Entwicklungen beschränken sich jedoch nicht nur auf die Sonderschule und viele sind der Meinung, daß sich die Sonderschulen zu weit von der herkömmlichen Schule entfernen, zum Nachteil von Lehrern und Schülern beider Teile. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in vielen Bereichen an einer größeren Zusammenarbeit zwischen Regel- und Sonderschule gearbeitet wird.

Segregation ist nicht nur ein Thema über Sonderschulen. Auch getrennte Einrichtungen innerhalb von Regelschulen wirken sich nachteilig auf die Schüler aus. So wurde z.B. in einer Schule eine Abteilung für Kinder mit Verhaltensproblemen eingerichtet. Auch wenn die Kinder von einem engagierten und einfallsreichen Lehrer unterrichtet wurden, hatten sie doch nur wenig Kontakt zur restlichen Schule. In den drei oder vier Jahren, die die Schüler in diesem Trakt verblieben, kamen sie nur selten in andere Klassen, andere Lehrer unterrichteten kaum bei ihnen und, um alles noch zu verschlimmern, sie verbrachten sogar die Pause isoliert von ihren Schulkameraden in dieser Abteilung.

Manchmal sind Segregationsformen schwerer zu erkennen, obwohl sie zu schlechten Ergebnissen führen. Ein Lehrer beschreibt die Gruppierungen in seiner Klasse z.B. folgend: an einem Tisch sind die Kinder, die "schnell" arbeiten; an einem anderen Kinder, die "durchschnittlich" sind und an einem dritten jene, die es zumindest "versuchen"! Der Lehrer sagt, daß er sicher sei, die Schüler verstünden die Bedeutung dieser Einteilungen nicht. Es wäre beruhigend zu wissen, daß er recht hat.

Was wir hier klarzumachen versuchen, ist relativ einfach erklärt: wenn wir Schüler trennen, um ihnen gesonderte Zuwendung geben zu können, müssen wir uns der möglichen negativen Auswirkungen auf ihre Selbstachtung und auch auf das Verhalten ihrer Umgebung bewußt sein.

Kurz zusammengefaßt handelt es sich bei der vorherrschenden Methode im Umgang mit Problemkindern an Schulen darum, sie als Untergruppen mit ähnlichen Problemen und gemeinsamen Ursachen zu identifizieren. Diese Sichtweise auf den individuellen Schüler führt zu Schulformen, die durch Kategorien, Schutz und Segregation charakterisiert sind.

Überlegungen

Kategorisierung, Schutz und Segregation - ist das noch immer die vorherrschende Betrachtungsweise ihrer Umgebung?

Stimmen Sie mit der Kritik, die an diesem Ansatz gemacht wird, überein?

Die Betrachtung des Unterrichts

Viele Lehrer erkennen die Grenzen und möglichen Gefahren, die entstehen, wenn bei schulischen Schwierigkeiten die Probleme einzig beim Schüler gesucht werden. Als Folge davon erproben sie einen flexibleren und optimistischeren Ansatz und widmen sich der Betrachtung des Unterrichts. Mit anderen Worten, sie versuchen, die Schwierigkeiten der Kinder in Zusammenhang mit deren Erfahrungen in der Schule zu sehen.

Durch die Betrachtung des Unterrichts ist es uns möglich, auch auf andere Schüler einzugehen, wie z.B. auf einige, die derzeit nicht in Regelschulen aufgenommen werden. Diese Betrachtung geht von folgenden vier Thesen aus:

These 1: Jedes Kind kann einmal Probleme in der Schule haben

Man muß einsehen, daß Lernschwierigkeiten einen Teil des Schulalltags darstellen und nur selten ein Anzeichen dafür sind, daß mit dem Schüler etwas nicht in Ordnung ist. Erst wenn die Lernschwierigkeiten dem Kind, seinen Eltern oder den Lehrern Sorgen bereiten, muß dem Problem besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Darüberhinaus kann dies auf alle Schüler zutreffen, unabhängig von ihren Leistungen in Vergleich zu den Mitschülern. Z.B. kann ein Kind, das im allgemeinen sehr gut lernt, sich eine gewisse Zeit hindurch langweilen mit der angebotenen Arbeit des Klassenlehrers. Wenn darunter die schulischen Leistungen des Kindes leiden, dann besteht Anlaß zu Sorge. Andererseits könnte dadurch ein Schüler, der im allgemeinen schwächer ist als seine Klassenkameraden, gut vorankommen und durch das positive Ergebnis neuen Auftrieb bekommen. Unser Standpunkt ist deshalb klar: wir müssen uns um alle Kinder kümmern.

These 2: Schwierigkeiten können uns helfen, den Unterricht zu verbessern

Wenn wir uns mir dieser neuen Arbeitsmethode beschäftigen, müssen wir ihre theoretischen Grundlagen kennen. Sie werden sich erinnern, daß es bei der Betrachtung des Schülers darum ging, herauszufinden, was denn nun mit dem Kind nicht in Ordnung sei. Dieser Ansatz, der oft als medizinisches Modell bezeichnet wird, geht davon aus, daß die Feststellung der Ursache eines Problems (z.B. Diagnose) automatisch dabei hilft, die richtigen Gegenmaßnahmen (z.B. Behandlung oder Maßnahmenzuschreibung) festzulegen. Neue Erkenntnisse haben andererseits gezeigt, daß neben den individuellen Unterschieden der Kinder, die ihren Fortschritt beeinflussen, auch die Arbeit der Lehrer sehr wichtig ist.

Lernschwierigkeiten entstehen aufgrund von Entscheidungen, die die Lehrer treffen, aufgrund der Übungen, die sie anordnen, den Hilfsmitteln, die sie bereitstellen und der Art und Weise, wie sie ihren Unterricht organisieren. Lernprobleme können demzufolge von den Lehrern verursacht, gleichermaßen aber auch von ihnen verhindert werden. Das ist eine grundsätzlich optimistische Sichtweise, weil sie Entscheidungsbereiche aufzeigt, die wir als Lehrer weitgehend kontrollieren, die Kindern Erfolgsgefühle in der Klasse vermitteln und Nachteile und Behinderungen, die sie mitbringen, bewältigen.

These 3: Diese Verbesserungen schaffen günstigere Lernbedingungen für alle Kinder

Die Methode, bei schulischen Schwierigkeiten den Unterricht zu betrachten, unterstützt die Lehrer, Vorkommnisse und Bedingungen in ihren Klassen besser zu deuten. Das Hauptziel ist es, die allgemeinen Lernbedingungen aufgrund der erkannten Schwierigkeiten der Schüler in ihren Klassen zu verbessern. Schüler mit Lernproblemen können somit positiver, als eine Art Informationsquelle gesehen werden, die Erkenntnisse liefern über den Unterricht und mögliche Verbesserungen. Da diese Erkenntnisse alle Klassenmitglieder betreffen, kann man annehmen, daß auch alle von den Vorteilen dieser Veränderungen profitieren. In dieser Hinsicht kann die Methode der Betrachtung des Unterrichts als eine Möglichkeit zur Verbesserung der Schule für alle angesehen werden.

These 4: Die Lehrer sollten bei der Weiterentwicklung ihres Unterrichts Unterstützung erhalten

In der Vergangenheit haben Experten schulische Schwierigkeiten behandelt. Sobald diese Kinder als außergewöhnlich oder besonders eingestuft waren, konnten die Lehrer Experten von außen suchen, um das Problem zu lösen. Folgerichtig nahmen die Lehrer an, daß es bestimmte Kinder der Klasse gab, für die man keinen Unterricht erwarten konnte. Dieser Standpunkt wurde durch einige Fachleute auf dem Gebiet der Sonderpädagogik zusätzlich unterstützt, die glauben machten, daß ausschließlich sie diese Arbeit ausführen konnten. Diese Haltung unterminierte das Selbstvertrauen der Lehrer weiter und bestärkte sie in der Annahme, daß sie für bestimmte Schüler in ihrer Klasse nicht verantwortlich sind. Die Methode der Betrachtung des Unterrichts hilft jedem von uns, Verantwortung für alle Klassenmitglieder zu übernehmen. Verantwortung für alle Kinder bedeutet jedoch nicht, daß Lehrer nicht zusätzliche Hilfe und Rat suchen dürfen. Wir alle sind durch unsere eigenen bisherigen Erfahrungen und bestehenden Fähigkeiten eingeschränkt; wir alle müssen uns auf schwierige Situationen und Herausforderungen einstellen; und wir alle müssen uns damit abfinden, daß wir auch an die Grenzen unserer beruflichen Leistungsfähigkeit stoßen.

Es nützt nichts vorzugeben, mit einem Problem fertigzuwerden, dem wir nicht gewachsen sind. Indem wir den Gedanken eines sonderpädagogischen Experten, der uns jegliche Verantwortung abzunehmen scheint, kritisieren, wollen wir auch feststellen, daß stattdessen Lehr- und Lernansätze nötig sind, die auf dem Austausch von Erfahrung, Energie und Hilfsmitteln aufbauen. Ferner handelt es sich bei der Fähigkeit zu Kommunikation und zur Zusammenarbeit, wie immer wieder im Abschnitt "Besonderer Förderbedarf in der Klasse" betont wird, um eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Schulen.

Angesichts dieser vier Thesen in Bezug auf die Methode der Betrachtung des Unterrichts bei schulischen Schwierigkeiten, können wir uns nun überlegen, was die Schulen diesbezüglich machen sollten. Wir werden uns dabei immer weiter von Kategorien, Schutz und Segregation entfernen, und uns vielmehr um Arbeitsmethoden kümmern, die Untersuchung, Zusammenarbeit und Verbesserung in den Vordergrund stellen.

Mit diesen Methoden wollen wir Unterrichtsformen suchen, die Rücksicht nehmen auf die Individualität aller unserer Schüler. Ferner werden uns bemühen, die Schwierigkeiten unserer Schüler zu verstehen, um unseren Unterrichtsstil verbessern zu können.

Überlegungen

Stimmten Sie damit überein, daß jeder Schüler einmal Schwierigkeiten in der Klasse haben kann?

Inwieweit stimmten Ihre eigenen Ansichten mit den bis jetzt vorgebrachten Aussagen zu schulischen Schwierigkeiten überein?

Ein möglicher Weg vorwärts

Obwohl ein Lehrer notgedrungen damit beschäftigt sein wird, die großen Schülerzahlen einigermaßen zu organisieren (man sehe sich nur die Klassengrößen in manchen Schulen an), so muß es doch seine vordringliche Aufgabe sein, die Klasse so zu gestalten, daß er sich mit bestimmten Schülern eingehender beschäftigen kann. Zunächst bedarf es dazu einer bestimmten Ausgangsbasis. Man muß bestrebt sein, die Individualität eines jeden Kindes zu erkennen und dies als etwas Positives zu sehen, das die geplanten Begegnungen in der Klasse aufwertet. Weiters muß herausgefunden werden, ob die Aufgaben, die man den Kindern überträgt, diesen auch persönlich etwas bedeuten. Das heißt, Lehrer müssen ihre Kinder in Bezug auf folgendes sehr gut kennen:

  • bisherige Erfahrung

z.B. Was haben die Kinder inner- und außerhalb der Schule für Erfahrungen gemacht?

  • Fähigkeiten und Kenntnisse

z.B. Was verstehen die Kinder? Was kann von den Kindern aufgrund ihrer derzeitigen Fähigkeiten und Kenntnisse wirklich erwartet werden?

  • Interessen

z.B. Welche Interessen und Vorlieben haben die Kinder?

  • Einstellungen

z.B. Haben die Kinder bestimmte Gefühle, die das Lernen beeinflussen könnten?

Wenn der Lehrer seine Schüler kennen will, muß er auch auf körperliche, sensorische und andere gesundheitliche Faktoren achten, die bei der Gestaltung des Unterrichts miteinbezogen werden müssen. Als Lehrer müssen wir uns bewußt sein, daß es manchmal an uns liegt, ob solche Problembereiche überhaupt entdeckt werden, besonders dann, wenn sie nur temporär oder periodisch auftreten. Beispielsweise bemerken Lehrer oft geringe Hörprobleme, die im engen sozialen Umfeld zuhause übersehen wurden.

Wenn wir uns überlegen, wie Schulen besser auf Schüler als Individuen reagieren können, müssen wir auf die Individualität der Lehrer Rücksicht nehmen. Ähnlich wie unsere Schüler unterscheiden auch wir uns voneinander. Noch einmal, diese Heterogenität muß erkannt, respektiert und dazu benützt werden, die Arbeit in der Schule zu verbessern. So wird auch ein Schwerpunkt in diesen Unterlagen auf den Lehrer als Lernenden gelegt, der seine Unterrichtspraxis zu verbessern versucht. In diesem Zusammenhang gibt es drei große Bereiche im Unterricht eines Lehrers, die verbessert werden können:

1 Bisherige Erfahrung

Wir alle müssen erkennen, daß unsere eigene berufliche Erfahrung viel dazu beitragen kann, uns als Lehrer zu verbessern. Bis jetzt wurde häufig angenommen, daß Verbesserungen nur durch Ratschläge außenstehender Experten zustande kommen können, die uns sagen, was wir zu tun haben. Abgesehen davon, daß dabei von einer sehr naiven Meinung bezüglich des Lernens ausgegangen wird, werden die Lehrer nicht gerade ermutigt, ihren Unterricht als Quelle neuer Ideen anzusehen, die die Weiterentwicklung fördert. In diesen Unterlagen werden Sie deshalb aufgefordert, über ihre eigene Arbeitsmethode nachzudenken, ihre eigenen Stärken herauszufinden und für all jene Bereiche, die sie weiterentwickeln wollen, Verbesserungsmöglichkeiten zu finden.

2 Kollegen

Wie in den Unterlagen schon erklärt wurde, zeichnen sich erfolgreiche Schulen durch ihre enge Zusammenarbeit aus. Diese Schulen haben den großen Vorteil, daß die berufliche Verbesserung in einer Umgebung vonstatten geht, in der sich Menschen gegenseitig Unterstützung und Sicherheit bieten. Die Lehrer können miteinander über ihre Probleme sprechen und haben Kollegen, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Dieser Prozeß kann gefördert werden, indem den Lehrern über eine gewisse Zeit die Möglichkeit gegeben wird, zusammen in Teams zu unterrichten, um sich bei der Einführung neuer Unterrichtsmethoden gegenseitig zu unterstützen.

3.Forschungsergebnisse

Obwohl hier der Schwerpunkt auf den Lehrer als Lernenden gelegt wird, der soviel wie möglich mit seinen Kollegen zusammenarbeiten soll, wollen wir doch auf den Nutzen aufmerksam machen, der durch Forschungsarbeiten auf anderen Gebieten des Unterrichts gezogen wurde. Ergebnisse aus Forschungsprojekten in der Literatur und das Wissen und die Erfahrung von anderen Personen auf dem Bildungssektor können und sollen dazu genützt werden, den Prozeß der beruflichen Entwicklung zu bereichern und zu stimulieren. Es ist jedoch wichtig, daß Forschungsergebnisse zusätzlich zur persönlichen Entwicklung und nicht als deren Ersatz eingesetzt werden. Während wir bestrebt sein müssen, auf die Schüler als Individuen zu reagieren und die Individualität der Lehrer nicht aus den Augen zu verlieren, dürfen wir nicht auf das Umfeld vergessen, in der sich die Schule befindet. Es wäre naiv, ignorierten wir Lehrer die Interessen, Sorgen und Ansprüche der Gesellschaft. Wenn die Methoden der Schule nicht gänzlich verstanden oder, noch schlimmer, von den Gemeindemitgliedern mißverstanden werden, so kann dies zu Spannungen führen, die sich nachteilig auf die betroffenen Schüler auswirken. Besonders eine Unsicherheit der Eltern bezüglich des Unterrichts ihrer Kinder, kann sich auf die Moral der Lehrer nachteilig auswirken und den Fortschritt der Kinder beeinträchtigen. Mit diesen Unterlagen wird außerdem versucht, das Verhältnis zwischen Umfeld und Schule zu verbessern, um das Verständnis hinsichtlich der gemeinsamen Ziele zu fördern.

Schließlich müssen wir uns, wenn wir nach Möglichkeiten der Unterrichtsverbesserung suchen, auch realistisch bezüglich der Grenzen sein, innerhalb derer wir uns als Lehrer bewegen. Hilfsmittel in Form von Materialien und Personen sind begrenzende Faktoren. Es kann nur so viel erreicht werden, als uns Zeit, Energie und Materialien erlauben. Das ist noch lange kein Grund, den Mut zu verlieren. Trotz relativ großer Klassen, begrenzter Mittel und zu großem Druck bleiben viele Lehrer auch weiterhin optimistisch und engagiert. Darin liegt eine unserer fundamentalen Stärken und stellt einen weiteren Bereich dar, den wir gerne hervorheben möchten. Wir sind überzeugt, daß die Anteilnahme der Lehrer - ihre emotionale Unterstützung und ihr berufliches Engagement - wesentlich zur Qualität der Erziehung beiträgt.

Zusammenfassend soll noch einmal unterstrichen werden, daß der Ansatz in den Kursunterlagen "Besonderer Förderbedarf in der Klasse" auf der Überzeugung beruht, daß die Methode der Betrachtung des Unterrichts bei schulischen Schwierigkeiten zu großen Verbesserungen im Schulwesen führen kann. Besondere Bedürfnisse der Schüler sind insofern als etwas Außergewöhnliches anzusehen, als sie uns Einsicht in Möglichkeiten zur Verbesserung gewähren, die sonst vielleicht unbemerkt blieben.

Überlegungen

Was halten Sie von diesem "neuen Ansatz"?

Glauben Sie, daß er für Ihre Arbeit als Lehrer relevant sein kann?

Abschnitt 2: Zusammenfassung

Zwei Möglichkeiten, schulische Schwierigkeiten zu betrachten:

1. Die Betrachtung des einzelnen Schülers

(z.B. Schwierigkeiten werden anhand der Charakteristika des Schülers definiert)

Basiert auf folgenden Gedanken:

  • Eine Gruppe von Kindern kann identifiziert werden, die besonders ist

  • Diese Kinder benötigen aufgrund ihres Problems Sonderunterricht

  • Es ist am besten, wenn man Kinder mit gleichen Problemen zusammen unterrichtet

  • Andere Kinder sind normal und profitieren von dem derzeitigen Unterricht

2. Die Betrachtung des Unterrichts

(z.B. Schwierigkeiten werden anhand von Aufgaben, Übungen und Bedingungen in der Klasse definiert)

Basiert auf folgenden Gedanken:

  • Jedes Kind kann einmal Probleme in der Schule haben

  • Diese Schwierigkeiten können uns helfen, den Unterricht zu verbessern

  • Diese Verbesserungen schaffen günstigere Lernbedingungen für alle Kinder

  • Die Lehrer sollten bei der Weiterentwicklung ihres Unterrichts Unterstützung erhalten

Dieser Kurs soll Ihnen helfen, ein besserer Lehrer zu werden. Er handelt von Möglichkeiten, allen Kindern beim Lernen zu helfen.

Einheit 2.1: Feststellen des besonderen Bedarfs

Ziel dieser Einheit

Die Teilnehmer sollen sich der Faktoren bewußt werden, die das Lernen von Kindern beeinflussen könnten.

Übungen

1 Lesen Sie das Diskussionsmaterial "Die Geschichte von Peter"

2 Besprechen Sie die Geschichte mit einem Partner. Analysieren Sie Ihre Reaktionen auf die Geschichte.

3 Diskutieren Sie in größeren Gruppen (vier oder sechs) die folgenden Fragen:

  • Worin liegen die Ursachen für Peters' Probleme?

  • Was halten Sie von den Beiträgen der betroffenen Fachleute?

  • Welche Faktoren beeinflußten Peters mangelnden Fortschritt?

  • Erstellen Sie in der Gruppe eine Liste mit den Faktoren die Peters Fortschritt beeinflussen.Schauen Sie, ob diese Faktoren gruppiert und kategorisiert werden können.

4 Berichten Sie den anderen Gruppen von Ihren Ergebnissen.

Fragen zur Reflexion

1 Was haben Sie aus diesen Übungen gelernt?

2 Welcher Zusammenhang besteht mit Ihrer eigenen Arbeit als Lehrer?

3 Was halten Sie von Unterrichtsbeobachtung bei schulischen Schwierigkeiten?

Die Geschichte von Peter (Diskussionsmaterial)

Das ist die Geschichte von Peter Blakeys erstem Jahr in der Grundschule. Die meisten Lehrer werden wahrscheinlich ein Kind wie Peter kennen - manche vielleicht mehrere.

Peter war 8 Jahre alt, als er im September in die Klasse von Frau Jones kam. Schon bald bemerkte sie, daß Peter im Unterricht nicht mit den anderen mitkam und besprach das Problem mit Frau Nolan, der früheren Klassenlehrerin von Peter. Frau Nolan meinte, daß das schon immer so gewesen wäre, Peter jedoch trotzdem einen zufriedenen Eindruck machte und in dem einen Jahr in ihrer Klasse, wenn auch langsam, so doch Fortschritte erzielt hätte. Frau Jones beschloß, die weitere Entwicklung genau zu beobachten.

Mit der Zeit schien sich die Situation immer mehr zu verschlimmern. Peter machte zwar Fortschritte, diese waren aber so minimal, daß sich der Abstand zwischen ihm und seinen Klassenkameraden von Tag zu Tag vergrößerte. Noch beängstigender war wahrscheinlich das Verhalten von Peter. Er wurde ein oder zweimal sehr zornig, als man ihn zur Arbeit ermahnte, und fand oft Ausreden dafür, nicht zu arbeiten. Er verlor Bücher und Schreibutensilien, wollte immer öfter auf die Toilette und war immer der erste, der sich freiwillig für Aufgaben meldete, die außerhalb der Klasse stattfanden.

Frau Jones beschloß, den Direktor um Rat zu bitten. Sie beschrieb Herrn Walker die Probleme, die sie mit Peter hatte und er sprach zuerst mit Frau Nolan darüber. Dann bat er Frau Jones um einen schriftlichen Bericht, damit man auf Peters Bedürfnisse näher eingehen könne. Im Jänner hatte Frau Jones folgenden Bericht fertig:

Bericht über Peter Blakey

Peter ist ein fröhlicher und netter kleiner Junge, trotz der Tatsache, daß es fast unmöglich erscheint, ihn für länger als ein paar Minuten bei der Arbeit zu halten. Er braucht eine ständige persönliche Betreuung, sonst kommt er immer wieder von Thema ab und stört andere Kinder. Ich glaube, ich habe wirklich alles versucht, ich habe ihn ermahnt und es auf die nette Art probiert, aber es scheint sich dadurch nicht viel zu ändern.

Was die Arbeit anlangt, so kann Peter nur sechs oder sieben Wörter im "Worterkennungstest" lesen. Er erkennt seinen eigenen Namen und liest zur Zeit eines der Bücher der Stufe 2, wobei ich mir aber nicht sicher bin, ob er alles versteht. In Rechnen verhält es sich nicht anders!

Er liegt weit hinter den anderen Schülern zurück, er kann einigermaßen zählen und einfache Summen zusammenrechnen (wenn er einen guten Tag hat und vorausgesetzt, er bekommt eine Rechenhilfe). Aber auch dabei scheint er nicht die Vorgänge zu verstehen. An Gruppen-und Sprachübungen nimmt Peter kaum teil.

Ich habe viel über Peter nachgedacht, um herauszufinden, was mit ihm los sein könnte. Eine meiner Vermutungen ist, daß er vielleicht Hörprobleme haben könnte, weil er noch immer recht kindlich spricht und ständig meine Anweisungen mißachtet. Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob er schwer hört, nicht versteht, was ihm gesagt wird oder einfach faul ist.

Ich habe die Mutter von Peter noch nicht getroffen, da sie nicht zum letzten Elternsprechtag gekommen ist. Frau Nolan erzählte mir, daß Peter keinen Vater hat - er ist vor Peters drittem Lebensjahr gestorben. Ich habe mich gefragt, ob das vielleicht seine Arbeit irgendwie beeinträchtigt?

Peters Lieblingsfächer in der Schule sind Zeichnen und Turnen, und wie er mir berichtete, sieht er zuhause sehr gern fern. Er zeichnet und malt leidenschaftlich gerne und würde das am liebsten den ganzen Tag machen.

Ich hoffe, daß Peter bald professionelle Hilfe bekommt. Es tut mir sehr leid für ihn, aber ich fürchte, ich verstehe ihn nicht und kann ihm daher auch nicht helfen. Ich glaube, das Problem ist ein sehr dringendes, da sich sein Verhalten in der Klasse verschlimmert.

(T. Jones, Klassenlehrerin, l7. Jänner 1992)

Der Direktor, der Frau Blakey zuvor erst einmal getroffen hatte, beschloß, sie in die Schule einzuladen und Peters Probleme mit ihr zu besprechen. Er wollte mehr über den familiären Hintergrund erfahren und Frau Blakey dazu anregen, zuhause mit Peter zusätzlich zu arbeiten. In jedem Fall benötigte er ihre Erlaubnis, Peter zum sonderpädagogischen Beratungsdienst und zum Schularzt zu schicken.

Schließlich kam es zu einem Treffen zwischen Herrn Walker, Frau Jones und Frau Blakey. Wie sich herausstellte, war Herr Blakey bei einem Autounfall kurz vor Peters drittem Geburtstag gestorben. Frau Blakey war zu der Zeit schwanger gewesen. Peters Schwester, Susan, war fast fünf Jahre alt und besuchte einen ganztägigen Kindergarten. Es schein, daß Frau Blakey an dem Elternabend nicht teilnehmen hatte können, da ihr der Babysitter kurzfristig abgesagt hatte. Sowohl Herr Walker als auch Frau Jones waren beeindruckt, wie sich Frau Blakey um Peter sorgte und bestrebt war, ihm zuhause soviel wie möglich zu helfen. Frau Blakey war nicht sehr überrascht zu hören, daß Peter hinter seinen Klassenkameraden zurücklag, da er, wie sie es ausdrückte "immer schon schwer gelernt hatte" . Sie erzählte, daß er eineinhalb Jahre alt gewesen war, als er richtig gehen konnte und älter als zwei, bevor er mehr als zwei oder drei Wörter sprechen konnte. Herr Walker fand es sehr interessant zu hören, daß Peters Geburt schwierig verlaufen war. Frau Blakey sagte, daß es eine Zangengeburt gewesen war und Peters Kopf "merkwürdig" ausgesehen habe. Herr Walker fragte sich, ob Peter dabei einen leichten Gehirnschaden davongetragen hatte oder an Legasthenie litt?

Er sagte Frau Blakey nichts darüber, beschloß aber, diese Einzelheiten Fachleuten gegenüber zu erwähnen. Frau Blakey stimmte mit Herrn Walker darüber überein, daß der sonderpädagogische Beratungsdienst zu Hilfe gezogen werden sollte. Sie war nicht damit einverstanden, Peter von einem Schularzt untersuchen zu lassen, da sie sicher war, daß mit seinem Hörvermögen alles in Ordnung sei. Letztendlich gab sie aber doch die Erlaubnis dazu.

Hinterher besprachen Frau Jones und Herr Walker das Treffen, das sie beide für sehr hilfreich hielten. Es waren eine Reihe von Punkten aufgetaucht, die zumindest teilweise Peters Probleme erklären konnten. Es war möglich, daß der Tod von Herrn Blakey nachhaltige Auswirkungen auf Peter gehabt hatte, und Frau Blakey hatte auch bemerkt, daß Peter "oft nach ihm fragt". Herr Walker war sich sicher, daß die schwere Geburt ein bedeutender Faktor war und hielt es für möglich, daß ein leichter Gehirnschaden zurückgeblieben war. Und schließlich war da noch Frau Blakey selbst, die, obwohl eine sehr besorgte und liebende Mutter, doch nicht sehr intelligent war, was vielleicht auch berücksichtigt werden mußte. Herr Walker stimmte mit Frau Jones darin überein, daß, unabhängig von den Ursachen der Probleme, ein Experte zu Hilfe gezogen werden mußte, und so schrieb er an den sonderpädagogischen Beratungsdienst und an den Schularzt wegen Peters Gehör.

Obwohl Herr Walker sofort Antwort auf seine Anfragen erhielt, dauerte es doch noch einige Zeit, bevor er schließlich wieder von ihnen hörte. Er wußte, daß sowohl der Schularzt wie auch der sonderpädagogische Beratungsdienst lange Wartelisten hatten und rechnete daher nicht mit einer Untersuchung von Peter vor Ostern.

Frau Blakey wurde gebeten, Peter einen Hörtest machen zu lassen. Bei der genauen Untersuchung stellte sich, wie Frau Blakey erwartet hatte, heraus, daß Peters Hörvermögen völlig in Ordnung war. Der Schule wurde das Ergebnis der Untersuchung schriftlich übermittelt.

In der Zwischenzeit war ein Sprachtherapeut wegen eines anderen Kindes in die Schule gekommen und Frau Walker erwähnte bei dieser Gelegenheit auch Peter. Der Sprachtherapeut war sofort bereit, ihn zu sehen. Danach berichtete er dem Direktor, daß es keinen Hinweis auf ein abnormes Sprachverhalten gab, obwohl Peters Wortschatz für einen Achtjährigen noch recht kindlich war. Er meinte, das Problem würde sich mit der Zeit von selbst lösen, und er fände keinen ausreichenden Grund dafür, ihn einer regulären Sprachtherapie zu unterziehen.

Kurz vor den Ferien im April kam Herr Thompson, ein Lehrer vom sonderpädagogischen Beratungsdienst, in die Schule, um Peter zu sehen. Er ging mit ihm in das Untersuchungszimmer der Schule und führte eine Reihe von Tests durch. Während der ganzen Zeit strengte sich Peter an und zeigte keine Anzeichen von Unkonzentriertheit. Das überraschte Frau Jones keineswegs - sie wußte, Peter konnte sich recht lange konzentrieren, wenn er an etwas wirklich interessiert war, und sie sich mit ihm beschäftigte.

Darin lag eines der größten Probleme - sie hatte achtunddreißig Schüler in ihrer Klasse und konnte sie wegen Peter nicht vernachlässigen.

Abschließend besprach Herr Thompson die Ergebnisse mit Herrn Walker und Frau Jones. Es kam eine Reihe von interessanten Fragen zutage. Herr Thompson hatte verschiedene Tests durchgeführt, darunter auch einen Wort-Bild-Test. Mit diesem Test würde die "Sprachrezeption" gemessen, erklärte er, und Peter hätte einen Standardwert von 73. Darunter verstanden Herr Walker und Frau Jones nicht viel, es schien aber Herrn Thompson sehr zu beunruhigen. Die Testergebnisse zusammen mit Peters schlechtem Verhalten und schwachen Leistungen im Unterricht ließen ihn zu dem Schluß kommen, daß Peter zu einem Schulpsychologen gebracht werden sollte.

Herr Thompson hörte Herrn Walkers Ausführungen bezüglich Peters familiären Hintergrund und der schwierigen Geburt interessiert zu. Er war auch der Meinung, daß diese Faktoren die Ursache für Peters Lernprobleme sein könnten, daß aber ein Schulpsychologe besser darüber urteilen könnte.

Herr Thompson machte viele gute Vorschläge. Er hatte Peter einem Lesetest unterzogen. Anhand dieses Tests sollte festgestellt werden, welche Fähigkeiten sich dieser im Laufe der Zeit angeeignet hatte und welche nicht. Peter konnte die Fragen größtenteils nicht lösen, und das Ergebnis brachte für Frau Jones keine neuen Informationen. Zu dem Test gehörte ein Büchlein, das eine Reihe von Vorschlägen bezüglich Unterricht und Verwaltung enthielt und Herr Walker fand, daß es sehr nützlich für andere Kinder mit Leseschwierigkeiten sein würde. Darüberhinaus erklärte Herr Thompson die Funktion eines "Programmierten Lesepakets", das viele Gegenstände enthielt, die für Peter nützlich wären, und sagte, daß er der Schule eines leihen würde, damit die Lehrer es ausprobieren konnten.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt bekam Frau Jones gemischte Gefühle. Einerseits hatten der Schularzt, der Sprachtherapeut und der Sonderpädagoge so schnell es ihnen möglich war, auf ihre Anfragen reagiert, und jeder hatte seine Arbeit gut gemacht. Der Schularzt und der Sprachtherapeut hatten die Fragen bezüglich Peters Hör- und Sprachvermögen genau beantwortet, und Herr Thompson hatte eine Reihe von nützlichen praktischen Vorschlägen gemacht. Andererseits war sich Frau Jones aber auch bewußt, daß die Probleme um Peter immer noch existierten, daß der Abstand zwischen ihm und seinen Klassenkameraden größer wurde und daß vor allem sein Verhalten schlimmer geworden war. Peters Name mußte jetzt auf eine weitere Warteliste gesetzt werden. Wahrscheinlich würde Peter erst gegen Ende des Sommersemesters vom Psychologen untersucht werden, und würde dann in eine andere Klasse kommen. Sie war sehr frustriert, weil sie überzeugt war, daß mehr für Peter getan werden mußte und sie niemanden dafür verantwortlich machen konnte.

Ende Juni kam die Psychologin in die Schule. Frau Blakey hatte der Untersuchung zugestimmt, was Herr Walker im April schriftlich ausgefertigt hatte. Frau Armitage, die Schulpsychologin, beobachtete Peter eine zeitlang in seiner Klasse und brachte ihn anschließend ins Untersuchungszimmer der Schule, wo er länger als eine Stunde befragt wurde.

Noch am selben Tag setzten sich Frau Armitage, Herr Walker und Frau Jones nach der Schule zusammen. Der erste wichtige Punkt bestand darin, daß Peter, der Meinung von Frau Armitage zufolge, nicht in eine Sonderklasse mußte. Das war eine große Beruhigung für Herrn Walker. Weder er noch Frau Jones wollten Peter in eine andere Schule schicken. Sie wollten einfach wissen, wie man Peter am besten unterrichten konnte. Frau Armitage hatte Peter einem "Wechsler-Intelligenz-Test" für Kinder unterzogen, der den verbalen IQ und den praktischen IQ anzeigt. Peter erreichte einen Wert von 79 bzw. 94, was laut Frau Armitage bedeutete, daß Peter bei Übungen viel besser abschnitt, die nicht so sehr auf Verständnis und Benützung der Sprache aufbauten. Das war für Frau Jones keine Überraschung. Frau Armitage meinte weiter, daß in Peters Fall eine Segregation nicht zu seinem Besten wäre. "Wenn Peter in eine Sonderschule oder Sonderklasse geschickt wird, hat er keine Möglichkeit mehr, mit normalen Kindern umzugehen". Peter wäre um einiges intelligenter als die Kinder in der lokalen Sonderschule und überhaupt, "sein Lesealter ist nun über 6 Jahre, also macht er offensichtlich Fortschritte. "

Frau Armitage fragte nach den familiären Umständen von Peter und Herr Walker gab ihr die Informationen, die er sechs Monate zuvor von Frau Blakey erhalten hatte. Nach Meinung der Psychologin konnten die Ursachen für Lernprobleme nicht auf die gleiche Weise ergründet werden, wie z.B. ein Arzt eine Krankheit feststellt. In Wahrheit spielten wahrscheinlich alle Faktoren zusammen in irgendeiner Weise eine Rolle.

Frau Jones warf dann die Frage der Legasthenie auf. War Peter Legastheniker? Frau Armitage sagte, daß sie mit dieser Bezeichnung nicht sehr glücklich wäre, da es nicht sicher wäre, was die Leute damit eigentlich genau meinten und außerdem "gibt es keine besonderen Unterrichtsmethoden, die speziell auf die Probleme von Legasthenie eingehen." Bevor Frau Armitage die Schule verließ, gab sie uns noch drei praktische Hinweise. Zuerst wollte sie Herrn Thompson bitten, im kommenden Herbstsemester Peter wöchentlich zu betreuen. Außerdem war sie überzeugt, daß Sprachübungen für Peter genauso wichtig waren wie Lesen. Im schriftlichen Bericht an Herrn Walker listete sie drei Bücher auf, die nützliche Hinweise und ein Sprachentwicklungsprogramm beinhalteten und ihrer Meinung nach sehr geeignet waren. Was Peters schlechtes Benehmen in der Klasse betraf, so gab sie der Klassenlehrerin den Rat, Peters Leistungen, und wären sie im Vergleich zu den anderen in seiner Klasse auch noch so gering, besonders zu loben. Herr Walker bestellte sofort die Bücher und das Sprachprogramm in der Hoffnung, das sie vor Peters zweitem Jahr in der Unterstufe einträfen.

Frau Jones beendete das Schuljahr, wie sie es begonnen hatte - sie machte sich um Peter Sorgen. Der sonderpädagögische Beratungslehrer, der Schularzt, der Sprachtherapeut und auch der Psychologe hatten sich seiner angenommen. Sie alle hatten entweder die an sie gestellten Fragen beantwortet oder nützliche Hinweise bezüglich seiner Behandlung in der Klasse gegeben. Es waren verschiedene Bücher, ein Sprachprogramm und ein Test empfohlen und bestellt worden, und ein Förderlehrer würde Peter im nächsten Semester einmal in der Woche betreuen.

Obwohl Peter in diesem Jahr in ihrer Klasse, trotz seines phasenweise schwierigen Verhaltens und seiner ständigen Unaufmerksamkeit, Fortschritte gemacht hatte, machte sich Frau Jones Sorgen um seine Zukunft.

Einheit 2.2: Was können Schulen bei besonderem Förderbedarf machen?

Ziel dieser Einheit

Die Teilnehmer sollen schulische Faktoren erkennen, die den Fortschritt der Kinder beeinflussen.

Übungen

1 Lesen Sie den Diskussionsbeitrag "Fonteyn".

2 Besprechen Sie mit einem Partner die folgenden Fragen:

  • Welche besonderen Bedürfnisse kommen in Fonteyn vor?

  • Welche Faktoren schaffen diese besonderen Bedürfnisse?

3 Vergleichen Sie in größeren Gruppen (vier oder sechs) die Antworten auf diese Fragen. Diskutieren Sie dann in der Gruppe die folgende Frage: Wenn die Lehrer in Fonteyn die Methoden und Maßnahmen an ihren Schulen überdenken wollten, welche Faktoren sollten sie genauer betrachten?

4 Machen Sie einen Bericht über jene Faktoren, die Sie in diesem Fall für wichtig erachten.

5 Welche Bedeutung hätten diese Faktoren bei einer näheren Betrachtung des Unterrichts an Ihrer Schule?

Fragen zur Reflexion

1 Sind diese Faktoren auch für Ihre Schule relevant?

2 Gibt es Bereiche in Ihrer Schule, die aufgrund der Lernschwierigkeiten von Schülern verändert werden könnten?

Fonteyn (Diskussionsmaterial)

Ein Forschungsteam hat kürzlich das Bildungssystem von Fonteyn, einem kleinen Inselstaat, erforscht. In der gebildeten Gesellschaft von Fonteyn nehmen Grazie und Anmut der Bewegung den gleichen Stellenwert ein, wie bei uns Intelligenz. In unserer Gesellschaft sind es mangelnde geistige Fähigkeiten, die vielen Menschen das Leben erschweren, in Fonteyn ist es Schwerfälligkeit, die verachtet wird. Darüberhinaus dienen diese "Tölpel", wie ungeschickte Personen bezeichnet werden, oft dem Gespött der Leute.

Die Gesellschaft hat ein Schreibsystem entwickelt, das nur von anmutigen Menschen gemeistert werden kann und seine Handhabung erfordert ein hohes Maß an Grazie und Genauigkeit.

Innerhalb der Schule wird der Erfolg der Schüler größtenteils von ihren Bewegungsfertigkeiten bestimmt. Der Schuldienst hat ein umfangreiches Vokabelsystem und verschiedene Möglichkeiten zur Unterscheidung des Bewegungsniveaus ausgearbeitet. Für Schüler mit schwerer Ungeschicklichkeit, das sind jene mit unterdurchschnittlichem Grazie-Quotienten (GQ), gibt es kleine Sonderschulen. In Regelschulen erhalten Jugendliche mit leichterer oder mittlerer Ungeschicklichkeit zusätzlichen Förderunterricht.

Bevor die Kinder in die Sekundarstufe der Insel aufgenommen werden, müssen sie sich einem Test unterziehen und werden dann ihrer allgemeinen Bewegungsfähigkeit nach den Klassen zugeteilt. Der Lehrplan betont alle Aspekte der Bewegung, darunter auch Tanz und Rhythmus. In den letzten Jahren wurde auf "Grazie quer durch den Lehrplan" besonderer Wert gelegt, sodaß der Schwerpunkt im Unterricht auf der Bewegung als Mittel der Kommunikation und der Aufzeichnung lag.

Die Untersuchungen haben gezeigt, daß es unter der Bevölkerung große Meinungsunterschiede hinsichtlich des Zustandes des Schulsystems gibt. Viele Lehrer berichteten von Schwierigkeiten mit Schülern, die sie für körperlich ungeeignet hielten, am Unterricht teilzunehmen. Manche meinten, daß diese weniger fähigen Schüler in Sonderklassen unterrichtet werden sollten, in denen sie zusätzliche Hilfe und einen Lehrplan bekommen, der auf Nebenfächern, wie Literatur und Geisteswissenschaften aufgebaut ist. Andere wiederum hielten nicht viel von dieser Idee.

In der Berichterstattung der Inselzeitung machte man kürzlich darauf aufmerksam, daß viele sogenannte "Tölpel" aus dem Schulsystem aussteigen und ihre Zeit lieber mit asozialen Tätigkeiten, wie dem Umherlungern in Bibliotheken, verbringen. In einem Bericht wurde jedoch darauf hingewiesen, daß viele Jugendliche trotz ihres Scheiterns in der Schule glückliche und angepaßte Erwachsene werden.

Für die Lehrer in Fonteyn stellt sich nun die schwierige Frage, was Schulen unternehmen können, um Schülern mit besonderem Förderbedarf zu helfen?

Einheit 2.3: Integrative Schulen

Ziel dieser Einheit

Es sollen Möglichkeiten zur Eingliederung von behinderten Kindern in Schulen gefunden werden.

Übungen

1 Sehen Sie sich das Video "........ " an[3].

2 Halten Sie auf einer Liste fest, wie die Schulen in der Sendung behinderte Schüler integriert haben.

3 Ordnen Sie die Möglichkeiten ihrer Bedeutung nach.

4 Erstellen Sie nun eine Gesamtliste aller Gruppen.

Fragen zur Reflexion

1 Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Aussagen in dieser Diskussion?

2 Können diese Aussagen auch in Ihre Arbeit eingebaut werden?

Einheit 2.4: Umgang mit Behinderungen

Ziel dieser Einheit

Die Auswirkungen verschiedener Behinderungen auf die Schule sollen überlegt werden.

Übungen

1 Lesen Sie den Diskussionsbeitrag "Drei Kinder".

2 Beantworten Sie in kleinen Arbeitsgruppen die folgenden Fragen:

- Stimmen Sie mit den angeführten Bedürfnissen der drei Kinder überein?

- Welche Maßnahmen könnten in Ihren Schulen hinsichtlich dieser Bedürfnisse getroffen werden?

3 Besprechen Sie Ihre Ergebnisse mit den anderen Gruppen.

Fragen zur Reflexion

1 Könnten diese drei Kinder in Ihrer Schule unterrichtet werden?

2 Welche Änderungen/Verbesserungen könnten in Ihrer Schule vorgenommen werden, um besser auf die Bedürfnisse von behinderten Kindern eingehen zu können?

Drei Kinder (Diskussionsmaterial)

Sunil

Sunil steht kurz vor seinem Übertritt aus einer Sonderklasse für sehgeschädigte Kinder einer Grundschule in die Mittelschule. Er leidet an Nystagmus, einer Krankheit, bei der die Augen unkontrolliert zittern.

Die Lehrer in der Sonderklasse glauben, daß Sunil dank der guten Vorbereitung seiner Lehrer in der Grundschule von der integrativen Erziehung profitieren sollte. Er lernt gerade den Umgang mit einer speziellen Schreibmaschine für seine schriftlichen Arbeiten und auch im Lesen hat er sich verbessert. Der Lehrer für sehgeschädigte Kinder wird Sunil einmal in der Woche für eine Stunde in der Mittelschule unterrichten und ihm dabei helfen, mit den erhöhten Anforderungen fertigzuwerden.

Sunils Lehrer sind mit dem Schulpsychologen einer Meinung, daß nämlich seine Probleme ebenso auf seine grundlegenden Schwächen in Lesen und Schreiben zurückzuführen sind, wie auf das den Nystagmus. Der Lernerfolg ist gut, seitdem er mit einem speziellen Lernprogramm arbeitet.

Im Laufe einer Konferenz zwischen dem Direktor der Grundschule, dem Lehrer für sehgeschädigte Kinder, dem Schulpsychologen, dem Direktor der Mittelschule und dem Schulbeamten, stimmte man darin überein, daß Sunil die Mittelschule besuchen sollte, die auf folgende Bedürfnisse eingehen wird:

1 Er soll mit dem speziellen Lernprogramm weitermachen, das täglich ca. 30 Minuten beanspruchen wird.

2 Er wird auch weiterhin die spezielle Schreibmaschine für seine schriftlichen Arbeiten benützen.

3 Die Lehrer müssen auf seine speziellen Seh- und Lernschwierigkeiten aufmerksam gemacht werden und wissen, wohin sie sich zwecks Rat und Unterstützung wenden können.

Paco

Paco lebt mit seinen Eltern und den zwei jüngeren Schwestern zusammen. Streitigkeiten zwischen seinen Eltern eskalieren oft, und es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in die auch die Kinder hineingezogen werden. Paco geht dann zu seinem Onkel und übernachtet dort. In der Schule hat Paco sowohl Lern- als auch Verhaltensprobleme.

Er nimmt kaum an Leseübungen teil, da er sie für "kindisch" hält. Auch scheint er nur schwer die einfachsten Zahlenfolgen zu verstehen.

Er kann sich kaum länger auf eine Arbeit konzentrieren, wird frustriert und ungeduldig, beschimpft Lehrer und Schüler und verweigert letztendlich die Arbeit.

Manchmal stürmt er aus der Klasse und versteckt sich im Schulgelände. Ein anderes Mal wieder stört er die Klasse, indem er etwas laut herausruft oder Streit sucht oder rauft.

Eine Sonderschule wurde sowohl von Paco als auch von seinen Eltern abgelehnt und die Lehrer waren auch angesichts der schwierigen Situation im Elternhaus der Meinung, daß die normale Umgebung der Regelschule sehr wichtig für Paco sei. In einer Fallbesprechung im Sommersemester, wurden als Pacos wichtigste Bedürfnisse angesehen:

1 Eine Ansprechperson, die für seine ständige Unterstützung, Führung und Leitung zuständig ist.

2 Stundenweiser intensiver Unterricht in einer Kleingruppe in den Hauptfächern.

3 Die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit seinen Mitschülern, um die soziale Kontrolle in einer normalen Umgebung wiederzuerlangen.

4 Die Änderung oder Anpassung der Arbeitsmaterialien in den integrativen Fächern, sodaß er sie verstehen und bewältigen kann.

Jasmin

Die Eltern von Jasmin sind ein Jahr vor ihrer Geburt aus einem anderen Land gekommen. Sie haben die Landessprache gelernt und hoffen, daß es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Sie sind in zunehmendem Maße um Jasmin besorgt, die in ihrer Entwicklung weit hinter ihren Geschwistern und den Klassenkameraden zurückliegt. Der Abstand vergrößert sich jedes Jahr und obwohl sie im Lesen nun besser wird, ist sie doch im Buchstabieren und Schreiben sehr schwach.

In ihrer Sorge baten die Eltern kürzlich den Direktor, ein Treffen mit dem Schulpsychologen zu vereinbaren. Aus seinem Bericht geht hervor, daß Jasmin im allgemeinen über dem Durchschnitt ihrer Klassenkameraden liegt, daß sie aber Lernschwierigkeiten in Lesen und Schreiben hat. Wenn sie im September in eine Mittelschule kommt, muß sie ein spezielles Lernprogramm zur Überwindung ihrer Schwierigkeiten im Buchstabieren und Schreiben bekommen.

Der Schulpsychologe bemerkte Jasmins Interesse an Geschichte und lebenden Dingen. Anläßlich einer Fallbesprechung im Sommersemester, kurz vor ihrem Übertritt in die Mittelschule, zeigte sich Jasmins Klassenlehrer wegen der zunehmenden Isolierung von den Mitschülern und ihrer ablehnenden Haltung im Unterricht besorgt. Er schrieb dies der Beschämung zu, die sie wegen ihrer Lernschwierigkeiten hat.

Bei dem Treffen wurden folgende Maßnahmen vereinbart:

1 Jasmin sollte die Möglichkeit haben, an allen Unterrichtsfächern teilzunehmen, besonders an Geschichte und Biologie.

2 Ihre Lehrer sollten auf ihre Probleme in schriftlichen Arbeiten aufmerksam gemacht werden und sie sollten wissen, wo sie Unterstützung finden.

3 Es sollten neben dem Schreiben auch andere Methoden zur Leistungsbeurteilung verwendet werden.

4 Es sollte ein individuelles Lernprogramm für sie ausgearbeitet werden, um ihr Schreiben und Buchstabieren zu verbessern.

In den Eingangsuntersuchungen im September wurden bei achtzehn anderen Schülern ähnliche Probleme im Buchstabieren und Schreiben festgestellt, die, wenn sie nicht beachtet werden würden, ernsthafte Probleme in jenen Fächern verursachen, in denen hohe schriftliche Anforderungen gestellt werden.

Einheit 2.5: Einstellung zu Behinderung

Ziel dieser Einheit

Die Teilnehmer sollen ihr eigenes Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderungen überdenken.

Übungen

1 Lesen Sie den Diskussionsbeitrag "Die Bank der besonderen Bedürfnisse."

2 Diskutieren Sie in Vierergruppen den Vorschlag von Herrn Jones.

3 Die Gruppen sollen sich eine positive oder negative Meinung zu dem Vorschlag bilden und die Argumente dafür aufschreiben.

4 Setzen Sie sich mit einem Partner zusammen, der eine andere Meinung vertritt und machen Sie beide Ihre Argumente geltend. Versuchen Sie trotz der vorgebrachten Argumente, Ihren Standpunkt weiter zu vertreten.

5 Die Gruppen betrachten nun Ihre Standpunkte nach dem Abwägen der Argumente.

Fragen zur Reflexion

1 Was haben Sie aus dieser Übung gelernt?

2 Haben sich Ihre Gedanken und Einstellungen irgendwie verändert?

Die Bank für besondere Bedürfnisse (Diskussionsmaterial)

Es war ein heißer und langweiliger Tag gewesen. Endlich kam man zum letzten Punkt der Tagesordnung. Herr Jones kam nur zögernd darauf zu sprechen, da er spürte, daß die Aktionäre empfindlicher darauf reagieren könnten, als auf anderes. Er hatte sich deshalb entschlossen, einige einleitende Worte zu sagen. Er erzählte, daß er als Geschäftsführer der Bank bemerkt hatte, daß immer mehr behinderte Kunden die Einrichtungen der Bank in Anspruch nahmen. Wahrscheinlich sei dies auf das kürzlich eröffnete Wohnheim und die vermehrten Bankeinrichtungen an der nahen Fachhochschule zurückzuführen. Was auch immer die Ursache dafür war, die Auswirkungen wären auf jeden Fall zu spüren. Der Portier hatte sich schon wegen der Probleme die Rollstühle die Stufen hinaufzubekommen beschwert; mehrere Kassierer hatten berichtet, daß sie bei zwei Kunden Schwierigkeiten hatten zu verstehen, was im besonderen sie wünschten; und kürzlich hatte sich Herr Sharp, ein langjähriger Kunde, bei ihm persönlich beschwert, daß er wegen der für behinderte Menschen aufgewendete Zeit so lange anstehen müsse. Wie er Herrn Sharp kannte, vermutete er, daß es ihm, obwohl er das nie zugeben würde, peinlich war, daß er SEINE Bank mit Behinderten gemeinsam benutzen mußte. Den endgültigen Ausschlag hatte ein Zwischenfall mit Frau Bloom, der Hauptkassiererin, gegeben. Sie war in Tränen ausgebrochen, nachdem sie die Unterschrift eines Kunden in Frage gestellt hatte, und sie dann erfahren mußte, daß dieser nach einem Herzanfalls halbseitig gelähmt und dadurch mit der anderen Hand zu schreiben gezwungen war. Natürlich hat der "Fehler" von Frau Bloom nicht die Beschimpfungen gerechtfertigt, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen.

Der Vorschlag an die Aktionäre lautete, daß die Bank ihre behinderten Kunden in Zukunft positiv diskriminieren sollte. Einer der Kassierer, der einen behinderten Bruder hatte, würde freiwillig einen Trainingskurs absolvieren. Man hatte eine Planungsgenehmigung für einen neuen Eingang mit einer Rampe erhalten - dieser sollte von der hinteren Seite hereinführen, um das Aus- und Einladen der Rollstühle von Autos in der weniger verkehrsreichen Straße zu erleichtern. Diese Rampe sollte in einen eigenen Raum führen, in dem besondere Einrichtungen zur Verfügung stünden.

An dieser Stelle hielt Herr Jones erstaunt inne, als er von einem Aktionär gefragt wurde, ob denn die Behinderten solche Maßnahmen überhaupt wollten, und ob sie auch in ihrem Interesse wären. Er erklärte geduldig die Vorteile. Je günstiger das Kassier-Kunden-Verhältnis wäre, desto mehr Zeit könnte für die behinderten Kunden aufgewendet werden. Die Ansammlung von Hilfsmitteln in dem besonderen Raum, würde eine bestmögliche Hilfe wirtschaftlich ermöglichen. Andere Kunden würden besser bedient werden und die Angestellten der Bank wären mit dieser Vereinbarung viel glücklicher.

Nach weiteren Besprechungen kam es zur Abstimmung.

Würden Sie für Herrn Jones' Vorschlag stimmen?

Einheit 2.6: Sicht des Behinderten

Ziel dieser Einheit

Der Teilnehmer soll die Möglichkeit bekommen, die Erfahrungen eines behinderten Menschen zu teilen.

Übungen

1 Bilden Sie Gruppen aus sechs bis zehn Personen.

2 Bald kommt in Ihre Gruppe ein Erwachsener mit einer Behinderung. Sie werden einige Informationen zur Person bekommen. Sie sollten den Besucher als eine "Informationsquelle" sehen - jemand der Ihnen Informationen über Behinderungen gibt. Besprechen Sie vorher, wie Sie in der Gruppe mit dem Besucher umgehen. Sie sollten sich bemühen, den Besuch für alle erfreulich und nützlich zu machen. Denken Sie daran, daß auch der Besucher angesichts der vielen fremden Menschen nervös sein kann.

3 Besprechen Sie am Ende des Treffens mit dem Besucher, was daraus gelernt worden ist.

4 Teilen Sie den anderen Gruppen Ihr Ergebnis mit.

Fragen zur Reflexion

1 Was haben Sie von dem Besucher gelernt?

2 Glauben Sie, daß der Besucher etwas davon hatte?

Einheit 2.7: Integration in der Praxis

Ziel dieser Einheit

Die Teilnehmer sollen die Möglichkeit bekommen, über Unterrichtsformen bei besonderem Förderbedarf in Regelschulen nachzudenken.

Übungen

1 Lesen Sie den Diskussionsbeitrag mit den Geschichten "Rebecca Muvuah" und "Carol Jennings" .

2 Besprechen Sie in Gruppen mit ca. 6 Personen die Geschichten. Was sind die wichtigsten Aussagen? Was können wir in Bezug auf Unterrichtsmöglichkeiten bei besonderen Bedürfnissen in Regelschulen aus diesen Geschichten lernen?

3 Erstellen Sie in der Gruppe eine Liste mit Ratschlägen, die Sie einem Lehrer geben würden, der in seiner Regelklasse Kinder mit besonderem Förderbedarf unterrichten muß. Berücksichtigen Sie dabei Vorschläge aus den Geschichten und eigene Erfahrungswerte.

4 Einer aus Ihrer Gruppe soll den anderen Teilnehmern die Liste vorlesen. Besprechen Sie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Listen.

Fragen zur Reflexion

1 Was ist Ihnen in diesen Diskussionen am meisten aufgefallen?

2 Gibt es Bereiche in Ihrem Unterricht, die Sie aufgrund dieser Übung nochmals überdenken wollen?

Rebecca Muvuah (Diskussionsmaterial)

"Mein Name ist Rebecca Muvuah. Ich bin von Beruf Lehrerin. Zur Zeit unterrichte ich die zweite Klasse in der Muranga Road Grundschule in Nairobi. Zu meinen Schülern gehört Judith Anyango, ein behindertes Mädchen. Sie kam im Jänner 1988 in unsere Schule. Als ich sie das erste Mal getroffen habe, glaubte ich nicht, mit einem behinderten Kind in meiner Klasse fertig zu werden. Deshalb hatte ich gehofft, sie würde in eine andere Klasse kommen.

Nun, im Jänner dieses Jahres landete das Mädchen nach den Vorbereitungen doch in meiner Klasse. Ich hatte keine Wahl und mußte sie wie jedes andere Kind akzeptieren. Mein erster Einfall war, mich mit ihrem Lehrer aus der ersten Klasse und ihren Eltern in Verbindung zu setzen, um einen kurzen Überblick über ihre Situation zu bekommen. Mein Ko-Lehrer meinte, der Schlüssel zu meinem Erfolg mit Judith würde in der Liebe liegen.

Ihre Mutter erzählte mir, daß Judith ihr erstes Kind sei. Die Eltern konnten sich mit der Behinderung ihrer ältesten Tochter überhaupt nicht abfinden. Ich weiß auch, daß es bei den Luos eine Bedeutung hat ein behindertes Kind zu haben und die Eltern es nicht akzeptieren, wenn ihr erstgeborenes Kind behindert ist. Da ich sie nicht weiter frustrieren wollte, versuchte ich erst gar nicht ihnen zu raten, ihr Kind in eine Sonderschule zu geben.

Judith ist insofern behindert, als ihre linke Seite gelähmt wirkt. Sie hinkt beim Gehen und kann ihre linke Hand nicht vollständig gebrauchen. Sie vergißt auch sehr schnell. Wenn sie alleine hinausgeht, findet sie den Weg nicht mehr in die Klasse zurück. Kommt sie in die Klasse, muß sie lange nachdenken, wo ihr Platz ist. Das bedeutet, ich muß immer jemanden mit ihr mitschicken. Wenn sie auch nur leicht gestoßen wird, fällt sie hin. Sie kann aber alleine stehen. Das bedeutet, sie braucht keinen, der ihr beim Stehen behilflich ist.

Was das Schreiben anbelangt, so kann sie jetzt ihren Namen schreiben, der Rest ist unleserliches Gekritzel. Im Unterricht habe ich bemerkt, daß sie durch die sogenannte Schau-und-Sprich-Methode lernen kann. Das heißt, zeig ihr ein Bild oder einen Gegenstand und sag ihr den Namen dazu. Wenn man ihr am nächsten Tag die gleichen Gegenstände zeigt, wird sie ohne Probleme auch den Namen dazu sagen, nur leider kann sie ihn nicht aufschreiben.

Wenn man eine Antwort von ihr will, muß man sie direkt fragen, wenn man eine Reaktion will, ist ein Lächeln unerläßlich. Das heißt, man muß sie liebevoll ansehen. Ich glaube, durch das Lächeln hat sie das Gefühl, geliebt und akzeptiert zu werden. Deshalb hat auch der Lehrer aus der ersten Klasse Liebe als den entscheidenden Faktor herausgestrichen.

Nochmals, sie kann die Zahlen von eins bis zehn schreiben, kennt ihre Bedeutung jedoch nicht. Ich versuche, sie in die Arbeiten in der Klasse miteinzubeziehen. Wenn z.B. Papier am Boden liegt, nehme ich sie zusammen mit anderen Kindern und lasse sie gemeinsam das Papier aufheben. Auf diese Weise fühlt sie sich in die Gemeinschaft aufgenommen.

Diese Übungen machen ihr auch Spaß. Wenn wir im Biologieunterricht ausgehen, nimmt sie daran teil, je nachdem, wie ich mich ihr gegenüber verhalte. Das heißt, bin ich kurzangebunden, reagiert sie ablehnend und beantwortet keine Fragen. Wenn ich sie aber liebevoll ansehe, wird sie mir sagen, was ich von ihr hören will. Auch Turnen hat sie gern. Wenn sie sich anstrengt, kann sie kurze Distanzen laufen. Im Fach "Bildnerische Erziehung" kann sie z.B. gut modellieren. Sie formt etwas, wenn man sagt "Judith, nimm etwas Modelliermasse und mach ein Tier oder einen Gegenstand", und sie wird es machen. Judiths Arbeit kommentiere ich in der Art, daß ich es den anderen Kindern währenddessen erkläre - sie applaudieren dann und Judith freut sich sehr darüber und strengt sich das nächste Mal noch mehr an. Auf diese Weise ermutige ich sie.

Wenn in der Klasse Übungen in Englisch durchgemacht werden, widme ich mich Judith eine zeitlang alleine. Das heißt, ich gebe ihr Zeichen- oder Malübungen auf oder beschäftige sie mit Lernbildern. Ich halte sie nahe bei mir. Das bedeutet, daß ich mich mit ihr individuell beschäftigen muß. Ich habe aber keine Probleme damit.

Aufgrund meiner Bemühungen kann Judith am Unterricht teilnehmen und erzielt auch Lernfortschritte. Solange sie etwas nachmachen oder Fragen beantworten kann hat sie die Möglichkeit zu lernen, glaube ich.

Jetzt habe ich mich an Judith gewöhnt. Sie bereitet keinerlei Schwierigkeiten und ich fürchte mich auch nicht mehr vor ihr, wie damals, als ich sie das erste mal gesehen habe. Sie ist ein vollständig akzeptiertes Mitglied der Klasse. Ich habe mir gesagt, dieses Kind könnte auch mein Kind sein und so fragte ich mich, was ich tun könnte, wenn das mein eigenes Kind wäre.

Als Lehrerin bin ich der Meinung, daß diese behinderten Kinder gemeinsam mit Regelschülern unterrichtet werden sollen, mit ihnen in verschiedener Weise konkurrieren sollen. Sonst glaube ich, wenn sie von der Gemeinschaft ausgestoßen bleiben, werden sie sich vernachlässigt, ungeliebt und unfähig fühlen. Sind sie aber mit dem Rest zusammen, werden sie sich als Teil davon sehen und es ist nichts falsch mit ihnen.

Wissen Sie, es gibt verschiedene Arten von Behinderungen, einige Kinder sind z.B. gelähmt, sie können nicht richtig gehen; andere wiederum haben keine Hände. Aber in der Schule können sie gut sein. Warum sollen sie nicht beweisen können, daß Gelähmtsein nicht unbedingt ein unüberwindbares Hindernis darstellen muß.

Schwierig wird es erst, wenn zu viele behinderte Kinder in einer Klasse sind, da sie viel Aufmerksamkeit benötigen. Wenn sie 5 oder 6 pro Klasse sind, kann der Lehrer ihnen gerecht werden, glaube ich. Ein Kind kann beispielsweise behindert sein und doch mit sehr interessanter Arbeit daherkommen und gut malen, etwas nett modellieren, auch Musikinstrumente richtig herstellen. Ich sehe nicht ein, warum wir behinderte Kinder nicht mit Regelschülern gemeinsam in der Klasse unterrichten sollten.

So bin ich der Meinung, daß wir solche Kinder in der Klasse zusammen mit dem Rest haben sollten, aber das hängt von der jeweiligen Behinderung ab. Wenn der behinderte Schüler in der Klassengemeinschaft nichts lernen kann, so ist das etwas anderes. Aber alle jene, die sich in der Klasse wohlfühlen, sollten auch bleiben dürfen. Es ist nicht leicht mit ihnen, aber wenn man die notwendige Geduld aufbringen kann, wird man es schaffen. Danke schön."

September 1989

Carol Jennings

Mein Name ist Carol Jennings und ich bin Lehrerin an einer Grundschule in Kings Lynn in England. Mein Bericht handelt von meiner Arbeit in den letzten drei Jahren. Dazu gehörten Kinder mit schweren Lernproblemen aus einer Sonderschule, die teilweise an meinem Unterricht teilnahmen.

Die ersten Kinder in diesem Projekt waren 6- und 7-jährige Schulanfänger. Die Schüler der Sonderschule waren ungefähr 9 Jahre alt. Sie waren etwa gleich groß wie meine Kinder. Wir haben sie ausgesucht, da wir der Meinung waren, daß die Regelschüler kleinere Kinder "verhätscheln" könnten und vor größeren Angst haben.

Insgesamt kamen anfangs also 13 Kinder und eine Lehrerin zu uns in die Klasse. Ein Kind saß im Rollstuhl. Die anderen hatten die unterschiedlichsten Behinderungen, darunter auch das Down Syndrom. In meiner eigenen Klasse waren 34 Kinder.

Ich habe meinen Kindern erklärt, daß wir Besucher aus einer anderen Schule in Kings Lynn haben würden, die etwas anders als sie wären. Sie würden vielleicht anders sprechen, sich anders benehmen und etwas anders aussehen. Ich kannte damals die Sonderschulkinder nicht, deshalb konnte ich nichts genaueres sagen. Ich sagte ihnen, daß diese Kinder kommen würden, um mit ihnen zu spielen. Natürlich benachrichtigte ich auch die Eltern der Kinder schriftlich, damit ich auch ihre Zustimmung hatte. Einige in meiner Klasse kannten Kinder aus der Sonderschule, da diese ja in der unmittelbaren Umgebung lag.

Wenn die Kinder ankamen, teilten wir sie in zwei Gruppen, von denen eine die Sonderschullehrerin und eine ich übernahm. Dadurch war die Schülerzahl leichter zu bewältigen. Wir waren in der glücklichen Position, über zwei Klassenzimmer zu verfügen. Eine Gruppe begann zu Töpfern, während man sich in der anderen mit den unterschiedlichsten Dingen beschäftigte. Ich übernahm das Töpfern, was sich als sehr interessant herausstellte. Ich hatte zwei Helfer aus der vierten Klasse (11 Jahre alt), die sich freiwillig gemeldet hatten. Ihr Klassenlehrer hatte ihnen von den Besuchern aus der Sonderschule erzählt und sie wollten helfen. Außerdem waren noch einige Eltern und ein Sozialarbeiter aus der Sonderschule anwesend.

Beim Töpfern hätten wir wegen der scharfen Werkzeuge sogar noch mehr Hilfe gebrauchen können. Aber wir hatten alle Spaß. Jedes Kind fertigte mit mir in dieser Woche einen Topf an. Alle anderen Kinder lernten mit Makatonzeichen Lieder und spielten sonst. Es war das erste Mal, daß ich so etwas gemacht habe. Wir beschlossen, mit diesen Besuchen in den nächsten Wochen weiterzumachen. Wenn es ein Mißerfolg gewesen wäre, hätten wir damit aufgehört. Das erste Mal war also mehr ein Test, um zu sehen, wie es funktioniert. Ich hatte zuvor noch nie mit Kindern gearbeitet, die schwere Lernschwierigkeiten haben. Ich ging eigentlich ganz instinktiv vor, sah, daß man alles genau erklären muß und daß sie, bis zu einem gewissen Grad, durch Imitation der anderen Kinder lernen.

Das war die erste Lektion und davon gingen wir aus. Es wurden Begegnungen daraus, bei denen eher die Partnerarbeit im Vordergrund stand. Das heißt, ich teilte jedem Sonderschüler einen oder zwei von meinen Schülern zu, die ihnen zur Seite standen. Das funktioniert wirklich sehr gut, sogar beim Malen, Töpfern und Spielen. Ich fragte meine Schüler, mit wem sie in der nächsten Woche arbeiten wollten. Jedes Kind suchte sich einen Partner aus und arbeitete sehr einfühlsam mit ihm. In diesem Jahr teilten wir uns aufgrund der 47 Kinder immer in zwei Gruppen. Auf ein Kind mußten wir später verzichten, da es sehr störend war.

Die Lehrerin aus der Sonderschule machte Sachen wie Drucken und Malen und veranstaltete mit Bohnensäcken und Reifen verschiedene Spiele im Gang. Weiters sang sie mit den Kindern und unternahm Spiele mit Zeichensprache. Da es ein schöner Sommer war, hielt sich die Gruppe auch oft im Freien auf. Wir gaben eine Menge Spiele und Baukästen aus, mit denen die Kinder spielten. Sie gingen sehr freundlich miteinander um. In dieser Gruppe herrschte ein besseres Klima als in meiner Töpfergruppe, in der es viel geordneter zuging.

Nach der ersten Woche wechselten wir und die zweite Gruppe der Kinder kam zum Töpfern. Dieses System hielten wir auch in den nächsten Wochen bei. Meine Kinder kamen mir weder ängstlich noch nervös vor. Es gab eigentlich keine Reaktion gegen die Besucher. Auf bestimmte Kinder haben sie sich eingestellt. Einige Besucher waren nicht sehr kommunikativ und meine Kinder waren ihnen nicht so zugetan wie den anderen. Trotzdem bemühten sie sich und wurden niemals zurückgewiesen.

Meine Kinder wurden etwas nervös, als wir die Sonderschule besuchten. Ich nahm sie zu einer Versammlung mit. Ich glaube, daß ich sie nicht genügend darauf vorbereitet hatte. Einige Schüler in der Sonderschule waren größer, z.B. 19 Jahre alt, und einige von ihnen hatten seltsame Mißbildungen. Es gab da einen jungen Mann, der nur ein Auge in der Mitte seiner Stirn hatte. Meine Kinder waren sehr, sehr verschreckt. Bis dieser Mann zu mir kam und mir die Hand küßte, als wir die Halle verließen. Er sagte, "Vielen Dank, daß sie gekommen sind". Meine Kinder waren ein wenig ratlos; sie hatten Angst, aber zur gleichen Zeit gab es ihnen zu denken. Dieser Bursche hatte meine Hand geküßt und ich fühlte mich wirklich sehr geschmeichelt. Die Kinder dachten sich dann, daß er ja gar nicht so schlecht sein kann.

Aber sie fürchteten sich und sagten mir das auch. Später haben wir darüber geredet und sie beruhigten sich dann wieder.

Ich habe die Kinder in dieser Schule hier noch nie ängstlich erlebt. Manchmal wollen sie sich bei einem bestimmten Spiel nicht die Hand geben. Andererseits gibt es Kinder, die das auch sonst nicht gerne haben. Kinder in diesem Alter wollen nicht ausgeschlossen sein, wenn sich andere gut unterhalten.

Lehrer, die auf diesem Gebiet etwas machen wollen, würde ich fragen, ob sie sich das auch wirklich überlegt haben. Man darf nicht mit Ausreden kommen, wie: Ich kenne mich dabei nicht aus, meine Kinder könnten schlimm reagieren, meine Eltern könnten schlimm darauf reagieren usw. Wenn es den Leuten wirklich ernst ist, können diese Probleme leicht bewältigt werden. Sie fallen einfach nicht ins Gewicht. Deshalb steht das Wollen an erster Stelle.

Danach muß man selbstverständlich mit den Kindern darüber sprechen. Man muß gerne ihre Fragen beantworten, ohne dabei zu verurteilen. Man ist leicht aufgebracht, wenn ein Kind sagt, daß diese oder jene Person so schrecklich oder so häßlich ist. Man darf keinesfalls verurteilen, sondern muß ehrlich sein. Auch andere Personen in der Schule müssen vorbereitet werden. Es ist wichtig, daß die Menschen, die die Besucher treffen, ihnen nicht ausweichen. Die anderen Lehrer müssen genauso vorbereitet werden. Und natürlich die Eltern. Ich habe vor kurzem den Eltern in einem Brief von den Besuchern erzählt und ihnen mitgeteilt, daß ich für eventuelle Anfragen nach der Schule gerne zur Verfügung stehe. Keiner ist gekommen. Ich habe es aber gemacht, damit die Eltern zuhause nicht negativ über Sonderschüler sprechen, wenn die Kinder ihnen von der Schule erzählen.

Das sind die wichtigsten Dinge: Engagement, Vorbereitung der Kinder, der Lehrer und der Eltern. Ich bin auch der Meinung, daß kooperative Tätigkeiten sehr wichtig sind. Töpfern z.B. eignet sich sehr gut. Die Kinder neigen dazu, alleine zu arbeiten. Es ist daher gut, wenn man ihnen Übungen aufgibt, die sie gemeinsam machen müssen. Partnerarbeit ist eine sehr nützliche Form des Unterrichts. Die Regelschüler unterstützen die Sonderschüler dabei, anstatt sie zu bevormunden. Sobald sie merken, daß die Person, der sie helfen sollen, fähig ist und alleine zurechtkommt, hören sie auf, sie zu bemuttern.

Ich rede mit meinen Kindern darüber, wie die Besucher behandelt werden sollen. Besonders darüber, wie man reagiert, wenn sie sich böse verhalten. Wenn z.B. eines der besuchenden Kinder anfängt, herumzuschlagen. Unsere Kinder sind diesbezüglich aufgrund der Schulregeln sehr passiv. Es gibt bei uns keine aggressiven Streitereien, unsere Spielzeiten verlaufen sehr angenehm und friedlich. Die Kinder sind allgemein ruhig und kreativ. Wir müssen unseren Kindern beibringen, daß sie konsequent sein müssen, einfach sagen müssen, "nein, mach das nicht". Sie haben sich davor gefürchtet, die Gefühle der Besucher zu verletzen. Sie sagten mir z.B., "John zwickt mich andauernd und ich weiß nicht, was ich machen soll". Wir mußten ihnen beibringen, wie man mit andersartigem Verhalten umgeht.

Ich weiß, daß die besuchenden Kinder sich bei uns anders verhalten, als in der Sonderschule. Sie sind viel unabhängiger, verlangen nicht so sehr nach Aufmerksamkeit und sind auch umgänglicher. Offensichtlich hat sich ihre Sprache verbessert. Sie reden viel mehr mit unseren Kindern, da diese mit ihnen reden.

Ich glaube, daß unsere Kinder durch solche Projekte viel toleranter werden. Obwohl unsere Schüler im allgemeinen sehr großzügig sind, legen Kinder doch ein angepaßtes Verhalten an den Tag. Sie mögen Dinge nicht, die von der Norm abweichen. Der Umgang mit den Sonderschülern macht sie gegenüber den Unterschieden zwischen den Menschen aufgeschlossener.

Einheit 2.8: Was ist Integration?

Ziel dieser Einheit

Anhand von Schulbesuchen sollen Maßnahmen zur Integration von behinderten Schülern besprochen werden.

Übungen

1 Organisieren Sie einen Besuch in eine Schule oder Klasse, in der versucht wird, Schüler mit Behinderungen zu integrieren. Gehen Sie, wenn möglich, mit einem oder mehreren Kursteilnehmern hin.

2 Schreiben Sie über den Besuch einen kurzen Bericht. Schreiben Sie besonders über Faktoren, die Ihrer Meinung nach bei der Integration von behinderten Kindern helfen.

3 Lesen Sie in kleinen Gruppen die Berichte über die Besuche. Fertigen Sie danach eine Liste mit Punkten an, die Ihnen für eine erfolgreiche Integration wichtig erscheinen. Ihre Frage lautet, was können Schulen machen, um behinderten Schülern zu helfen?

4 Besprechen Sie Ihre Ergebnisse mit den anderen Gruppen.

Fragen zur Reflexion

1 Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt?

2 Gibt es in Ihrer eigenen Klasse irgendetwas tun, um behinderten Schülern zu helfen?

Einheit 2.9: Bedürfnisse der Lehrer

Ziel dieser Einheit

Die Teilnehmer sollen überlegen, wie sie den "besonderen Bedürfnissen" von Lehrern begegnen können.

Übungen

1 Lesen Sie den Diskussionsbeitrag "Unterstützung für Lehrer".

2 Schreiben Sie auf vier separaten Seiten die Antworten auf folgende Fragen:

- Welchem Druck unterliegen Sie während Ihres Unterrichts?

- Wie werden Sie damit fertig?

- Wie reagieren Sie auf Druck, mit dem Sie nicht fertig werden?

- Wie würden Sie Streß in der Schule abbauen? Unterschreiben Sie diese Seiten nicht. Ihre Antworten bleiben anonym.

3 Bilden Sie vier Arbeitsgruppen. Jede Gruppe bekommt alle Antworten auf die einzelnen Fragen. Interpretieren Sie die Antworten und erstellen Sie eine Liste mit Ihren Schlußfolgerungen.

4 Jede Gruppe soll nun der Reihe nach ihre Liste vorlesen.

Fragen zur Reflexion

1 Nützen Sie alle Hilfsmittel, um mit dem Druck während Ihrer Arbeit fertig zu werden?

2 Gibt es in Ihrer Schule ein Programm zur Unterstützung des Lehrkörpers? Wie könnte es verbessert werden?

Unterstützung für Lehrer (Diskussionsmaterial)

Wie man nun weiß, können viele Kinder in manchen Phasen ihrer Schulzeit Schwierigkeiten haben. Eine Möglichkeit der Schulen, besser auf die besonderen Bedürfnisse der Schüler zu reagieren, besteht darin, effektivere Maßnahmen zur Unterstützung der einzelnen Lehrer anzubieten.

In diesen Unterlagen werden die Schwierigkeiten beleuchtet, mit denen die Lehrer durch Veränderungen im Bildungssystem zu kämpfen haben können und die Formen der Unterstützung, die angeboten werden, untersucht.

Streß und Unterricht

Obwohl Streß zu unserem Leben gehört, wird nur sehr wenig unternommen, um seine Ursachen und Auswirkungen festzustellen und herauszufinden, wie man am besten damit fertig wird. So ruft der Gedanke an Streß oder "Burn out" bei Lehrern eher Heiterkeit hervor, als ernsthafte Diskussionen. Lehrer geben nur ungern zu, daß sie unter Streß leiden, aus Angst, dies könnte ihnen als Schwäche oder Unfähigkeit ausgelegt werden. Es wäre jedoch falsch, Streß als eine völlig negative und unvermeidbar schädigende Erfahrung zu sehen. Positiver aufgefaßt könnte Streß im Unterricht als die Wahrnehmung von Problemen oder Forderungen gesehen werden, die wiederum die Bereitstellung von Hilfsmaßnahmen nötig machen. Demzufolge kann Streß sowohl kontraproduktiv als auch eine Möglichkeit sein, den Unterricht zu verbessern.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie man dem Problem Streß begegnen kann. Erstens kann man den Druck auf Lehrer genauer zu untersuchen, d.h. man nimmt an, daß bestimmte Umstände in der Umgebung als streßfördernd empfunden werden.

Streß durch die Umgebung kann zwei Ursachen haben - schlechte Arbeitsbedingungen oder Wechsel im Wesen des Berufs. Zu schlechten Arbeitsbedingungen gehören unpassendes Lehrmaterial, schlechten baulichen Gegebenheiten, Lärmstörungen, mangelnder gegenseitiger Unterstützung im Lehrkörper, geringe Entlohnung und schlechte Aufstiegsmöglichkeiten.

Wechsel im Wesen des Berufs können organisatorische Veränderungen sowohl innerhalb der Schule als auch in der Schulbehörde sein, Veränderungen in den öffentlichen Erwartungen, Einführung neuer Unterrichtsmethoden, Wechsel im Rollenverständnis usw.

Die zweite Methode zu verstehen, wie Streß entsteht, besteht darin, die Reaktion der Lehrer auf verschiedene Streßsituationen zu untersuchen. Jeder wird anders auf ein Problem reagieren und was auf eine Person zutrifft, muß nicht unbedingt auch für andere gelten. Es werden jedoch nicht alle mit den Problemen fertig und die Folge kann Angst sein, was schließlich zu Krankheiten führen kann.

Letztlich kann auch eine Betrachtung der zwischenmenschlichen Beziehungen eine Erklärung für die Ursachen von Streß liefern. Zusätzlich zu den Faktoren in der Umgebung, werden bei der Betrachtung von zwischenmenschlichen Beziehungen auch die Stärken und Schwächen der Lehrer in Betracht gezogen.

Wie Streß entstehen kann

Der Streß von Lehrern kann gut anhand der Stufen nachvollzogen werden, die die Lehrer aufgrund ihrer wachsenden negativen Reaktion auf schwierige Situationen durchlaufen - haben. Im folgenden wird ein solcher Ablauf gezeigt:

Stufe eins

Nachdem sich der Lehrer der zunehmenden Anforderungen bewußt wird, versucht er alte oder neue Bewältigungsmethoden, einschließlich professioneller Fertigkeiten. Ein Lehrer, der z.B. einen Schüler hat, der eine neue Mathematikaufgabe nicht versteht, bespricht das mit einem Kollegen und nimmt in Folge eine neue Fertigkeit in seinen Unterricht auf.

Stufe zwei

Der Lehrer wird den Anforderungen, die im Unterricht an ihn gestellt werden, laufend nicht gerecht und beginnt an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Um bei unserem Beispiel zu bleiben - der Lehrer sagt sich "wahrscheinlich ist es mein Fehler, daß das Kind die neue Aufgabe nicht erlernt" .

Stufe drei

Das ungelöste Gefühl des Versagens kann zu allgemeineren Auswirkungen führen, wie z.B. zu einer psychosomatischen Krankheit. Der hier angeführte Ablauf von Lehrerstreß soll zeigen, daß, falls bei Stufe eins keine erfolgreiche Hilfe von innen oder von außen kommt, sich die Frustration zu Angstgefühlen steigert, die Krankheiten auslösen.

Faktoren, die dem Streß vorausgehen

Es wurden eine Reihe von Studien durchgeführt, die sich mit Streßfaktoren in den verschiedenen Berufen befassen. Die folgenden Faktoren sind nach diesen Studien in allen Berufen relevant, unabhängig davon, ob sie mit Erziehung zu tun haben oder nicht:

1. Rollenzwiespalt und Konflik

In letzter Zeit gibt es viele Diskussionen über die Rolle der Erziehung, der Schulen und der Lehrer. Viele meinen, daß sich die Rollen erweitert haben und man nun mehr Augenmerk darauf legen müsse, sowohl Lehrer von Kindern wie auch eines bestimmten Faches zu sein. Hier geht es auch um Fragen der Verantwortung. Wem gegenüber ist der Lehrer verantwortlich, dem Kind, den Eltern, der Schule, der Gemeinde oder der Gesellschaft?

2. Rollenüberladung

Es wird von den Lehrern erwartet, daß sie zusätzliche Tätigkeiten übernehmen. Zusätzlich zu Veränderungen in Unterricht und Lehrplan, die die Rollendefinition beeinflussen, sollen sie auch ihre Rolle erweitern um mehr erzieherische und administrative Aufgaben bewältigen.

3. Zusammenarbeit über organisatorische Grenzen hinweg

Von Lehrern wird offensichtlich verlangt, daß sie mit Kollegen in der Schule zusammenarbeiten, die nicht nur andere Aufgabenbereiche, sondern auch bezüglich des Berufs andere Ansichten haben. Die Lehrer sind darüberhinaus Teil eines multidisziplinären Teams, das mit Kollegen außerhalb der Schule und mit Eltern zusammenarbeitet, die auch verschiedener Meinung darüber sein können, was in der Klasse geschehen soll.

4. Verantwortung für Menschen

Ein Merkmal aller helfenden Berufe besteht darin, daß sie mit Menschen umgehen. Das betrifft besonders den Lehrberuf, wo ein Lehrer in einer Woche vielleicht mit vielen Einzelpersonen zusammentrifft und möglicherweise Entscheidungen trifft, die deren Leben entscheidend prägen. Diese Verantwortung wird durch die Kritik bei eventuellen Fehlern durch die Öffentlichkeit noch gesteigert.

5. Mangelnde Mitsprache

Auf der Klassenebene haben Lehrer ein gewisses Maß an Autonomie. Was können Lehrer jedoch außerhalb der Klasse kontrollieren? In einer Schule oder auf Regierungsebene könnten größere Entscheidungen getroffen werden, bei denen Einzelpersonen das Gefühl haben, wenig Mitsprache oder Kontrolle zu haben.

Unterstützung für Lehrer

Nachdem wir gesehen haben wie Streß entsteht und welche Auswirkungen er hat, ist es wichtig Methoden kennenzulernen, wie man damit fertig wird. Allgemein gesehen, stehen zwei Möglichkeiten zur Auswahl - entweder werden Maßnahmen zur Reduzierung von Streßsituationen gefunden oder Bewältigungsstrategien werden entwickelt, wie Lehrer besser mit den schädlichen Auswirkungen von Streß zurechtkommen können. Diese zwei Möglichkeiten werden im folgenden näher untersucht.

Es können eine Reihe von Maßnahmen angewendet werden, die das mögliche Aufkommen von Streßsituationen vermindern, eine völlige Eliminierung ist aber, wenn auch wünschenswert, nicht möglich. Sie gehören zu folgenden Kategorien:

1. Persönlich

In dieser Form wird am ehesten auf Streß reagiert. Durch eine persönliche Reaktion lösen die Lehrer ihre eigenen Probleme entweder indem sie lernen, sie zu bewältigen, oder indem sie ihre beruflichen Fähigkeiten verbessern.

Die Bewältigung zu lernen kann erfordern, daß man außerberufliche Interessen und Hobbies findet, mit Kollegen, Freunden und Verwandten darüber spricht und arbeitsbezogene Tätigkeiten meidet. Um die beruflichen Fähigkeiten zu verbessern, kann man Strategien entwickeln, die von kleineren administrative Veränderungen reichen bis dazu, daß man lernt, "Nein" zu sagen. All das wird von einer Schule ermöglicht, die ihrer Verantwortung dadurch Rechnung trägt, indem sie Weiterbildungsmöglichkeiten in kleinem Rahmen anbietet.

2. Zwischenmenschlich

Dem Lehrer soll es möglich sein, mit anderen Experten über seine Sorgen zu sprechen, ohne dadurch ein Gefühl der Bedrohung oder Schwäche zu haben. Durch die Entwicklung von Teamarbeit kann der Lehrkörper unterstützt werden, vorausgesetzt, daß im Team Vertrauen herrscht. Treffen können dann problemorientiert sein, Schwierigkeiten diskutiert und mögliche Lösungen untersucht werden.

3. Organisatorisch

Die Schulen bieten bewußt Unterstützung an, um mögliche Streßfolgen abzuschwächen. Diese Form der Unterstützung könnte man als "Strukturiertes Unterstützungssystem" bezeichnen. Im folgenden wird dieser Gedanke näher besprochen.

Strukturiertes Unterstützungssystem

Es ist wahrscheinlich am klügsten anzuerkennen, daß eine Atmosphäre von Teamarbeit, in der Fachwissen und Erfahrung ausgetauscht wird, nicht ohne eine bewußte Anstrengung der Schulleitung verwirklicht werden kann. .Sie muß erst ermöglicht werden. In gleicher Weise wird auch die Art und Weise, wie die Lehrer miteinander umgehen, ein entscheidender Faktor des Unterstützungssystems sein, mit dessen Hilfe die Schule eine Atmosphäre schafft, die die Lehrer anregt, ihre Probleme auszusprechen statt sie zu verbergen.

Es können mindestens drei Wege aufgezeigt werden, wie Unterstützungssysteme organisiert werden können:

1 Eine Schule kann in Teams arbeiten und dabei entweder in Klassen oder in gewissen Fächern zusammenarbeiten. Ein Programm für Hospitationen und Unterrichtstausch oder auf Videos aufbauende Diskussionen ermöglicht, eine nichtbedrohende Umgebung zu schaffen, in der mögliche Problembereiche diskutiert werden.

2 Eine freiwillige "Selbsthilfegruppe" kann innerhalb der Schule tätig werden. Die Gruppe bestimmt die Diskussionsbereiche und legt fest, daß jeder in der Gruppe der Reihe nach über ein Gebiet der Schule sprechen soll, das ihm Sorgen macht.

3 Eine striktere Methode ist die "Lehrkörper Problemlösungsgruppe". Dabei gibt es sorgfältig festgelegte Richtlinien, um die Diskussion über einzelne Schüler zu ermöglichen und gleichzeitig dem Schüler und dem Lehrer Unterstützung anbieten. Man bespricht die Fälle der Probleme des Kindes, bei wem sie auftreten, welcher Lehrer am besten damit zurechtkommt, wie das Kind über sein Problem denkt und entscheidet schließlich als ganze Gruppe, was dagegen unternommen werden kann. Nach einer bestimmten Zeit werden die Maßnahmen nochmals überprüft und die Gruppe entscheidet über weitere Vorgänge.

Quelle:

UNESCO: Handbuch der UNESCO zur Lehrerfortbildung - Besonderer Förderbedarf in der Klasse

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 09.11.2005



[3] In Österreich z. B.: "Alles was neu ist macht Angst" - Integration in der Volksschule. 16 Minuten. "Integration fängt in den Köpfen an" - Integration im Sekundarstufenbereich. 16 Minuten. Erhältlich beim Medienservice des BMUK, 1150 Wien, Plunkergasse 3-5.

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