Inklusion – Herausforderung an die Lehre am Beispiel der Pädagogischen Akademie des Bundes in Linz

Autor:in - Ewald Feyerer
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Erschienen in: Schnell, Irmtraud [Hrsg.]; Sander, Alfred [Hrsg.]: Inklusive Pädagogik. Julius Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2004.
Copyright: © Julius Klinkhardt 2004

Inklusion – Herausforderung an die Lehre am Beispiel der Pädagogischen Akademie des Bundes in Linz

Wo stehen wir momentan in der Entwicklung von der Segregation über die Integration zur Inklusion?

Was bedeutet das Konzept der Inklusion für die Lehre?

Wie kann und muss sich Lehre verändern, wenn das Konzept der Inklusion einmal Wirklichkeit werden soll?

1 Kritische Analyse der Situation

Trotz nachgewiesener Nachteile der Sonderbeschulung (vgl. BURGENER- WOEFFRAY/ JENNY-FUCHS/ MOSER-OPITZ 1993,66ff.) wie

  • Stigmatisierung und Etikettierung, die zu einem geringeren gesellschaftlichen Wert, verminderten sozialen Kontakten und schließlich zu sozialem Ausschluss führt,

  • einer schlechteren schulischen Förderung (Stichwort: HAEBERLIN- Studie) und deutlich geringeren Berufschancen als z.B. Hauptschulabbrecher,

  • ein geringes Selbstwertgefühl, da die Selbstwahrnehmung der Kinder mit Beeinträchtigungen in der Sonderschule verstärkt auf ihre Defizite gelenkt wird, auf ihr Abweichen von der Normalität, auf ihre Defekte und Mängel,

  • eine Wegnahme von Entwicklungschancen einerseits durch die Reduktion des Lernstoffes im Sinne einer „Schonraumpädagogik“ und andererseits durch die Reduktion wichtiger sozialer Kontakte, wodurch eine positive Veränderung sozialer und emotionaler Persönlichkeitseigenschaften kaum herbeigeführt werden kann, sowie

  • die Festschreibung sozialer Ungleichheit, wie BEGEMANN (1984) und PROBST (1973) ja hinlänglich gezeigt haben;

trotz einer umfangreichen Paradigmendiskussion, die – zumindest auf der theoretischen Ebene – zur folgenden neuen Sichtweise von „Behinderung“ führte:

  • Eine ökosystemische Sichtweise, die Behinderung im Sinne der WHO- Definition aus 1980 konsequent nicht als Eigenschaft bestimmter Personen, sondern als sozial bedingte Folge von individualer Schädigung (impairment) oder Leistungsminderung bzw. Funktionsbeeinträchtigung (disability) sieht. Behinderung (handicap) ist demnach „eine auf eine Schädigung oder Leistungsminderung zurückgehende Benachteiligung, die einen Menschen teilweise oder ganz daran hindert, eine Rolle auszufüllen, die für ihn nach Alter, Geschlecht und soziokulturellen Faktoren normal wäre“ (offizielle deutsche Übersetzung der WHO-Definition von 1980, zit. nach SANDER 1994,103f.).

  • Im ökosystemischen Paradigma werden Selektion und Separation nicht als logische Folge von Behinderung, sondern als die Behinderung selbst gesehen. SANDER (1994, 105) meint dazu:

Behinderung ist aus dieser Sicht also kein unveränderbarer, genetisch, hirn- organisch oder sonst wie biologisch vorgegebener Defekt, sondern eine durch soziales Handeln und Erleben veränderliche Bedingung des Menschseins. Sind Kinder ungenügend in ihr Ökosystem integriert, haben sie zuwenig Anregungen zur Auseinandersetzung mit ihrer konkreten Lebenswelt, dann werden sie behindert. Selektion und Separation werden im ökosystemischen Paradigma somit nicht mehr als logische Folge von Behinderung, sondern als die Behinderung selbst gesehen. Jedes Kind braucht zur Entwicklung nämlich ausreichend Anregungen aus seiner sozialen und materiellen Umwelt, seinem ökologischen System, das ihm in einem dialektischen Wechselwirkungsprozess Lernen und Entwickeln ermöglicht.

  • Ein solcher ökosystemischer Behinderungsbegriff hat den Vorteil, dass er den Blick weg vom Kind auf den dialektischen Wechselwirkungsprozess zwischen Individuum und Umwelt lenkt und damit neue pädagogische Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Ziel pädagogischen Handelns ist nun die Manipulation der Lernbedingungen, wobei nicht von den Defekten ausgegangen wird, sondern von den jeweiligen Kompetenzen.

  • Dieser Perspektivenwechsel „Weg von den Defekten — hin zu den Kompetenzen“ drückt sich auch in der neuen Diktion der WHO aus dem Jahre 1999 aus (ICIDH-2 Beta 2 Version), die anstelle von Schädigung (impairment) Körperfunktion (function), statt Leistungsminderung (disability) Aktivität! Leistung (activity) und anstelle des Begriffes Behinderung (handicap) den der Partizipation (participation) setzt (WHO 1999).

  • Bei Berücksichtigung systemisch-konstruktivistischer Sichtweisen und insbesondere der theoretischen Position der Autopoiese nach MATURANA/ VARELA wird bewusst, dass Personen nicht länger mehr aufgrund ihrer Symptome kategorisiert, selektiert und separiert werden können, sondern als Menschen in all ihrem subjektiven So-Sein, in ihren biographischen und gesellschaftlichen Bezügen als unverwechselbare bio-psycho-soziale Einheit anzunehmen sind, um ihnen eine möglichst autonome und selbstbestimmte Entwicklung zu ermöglichen (vgl. FEUSER 1995, 84ff.).

  • Dies wird auch im Prinzip der menschlichen Würde (nach DYBWAD in WACKER/ NEUMANN 1985, 24f.) ausgedrückt, welches verlangt, die Vielfalt des menschlichen Seins anzuerkennen und zu fördern und jedem Menschen die gleiche Würde und das gleiche Recht entgegenzubringen, unabhängig von seiner Intelligenz, seiner Bewegungsfähigkeit, seinem Sprachvermögen, seiner Hautfarbe, seinem Alter, seinem Geschlecht etc. Gleichwertigkeit und nicht Gleichartigkeit ist daher eines der grundlegendsten Prinzipien der Integration und Inklusion;

„Behinderung liegt vor, wenn ein Mensch auf Grund einer Schädigung oder Leistungsminderung ungenügend in sein vielschichtiges Mensch-Umfeld-System integriert ist.“

trotz internationaler und nationaler Erklärungen, Verträge und Gesetze, worin immer schon die Integration als die anzustrebende Schulform betont wird (vgl. auch INCLUSION INTERNATIONAL 1998) wie z.B.

  • in den Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates „zur sonderpädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ 1973 mit der Intention, der „...vorherrschenden schulischen Isolation Behinderter ihre schulische Integration“ entgegenzustellen,

  • im UN-Weltaktionsprogramm 1983,

  • in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes 1989,

  • in den Standard Rules für die Herstellung von Chancengleichheit Behinderter 1993,

  • in der Salamanca-Erklärung der UNESCO 1994, in der alle Regierungen dazu aufgefordert werden, „das Prinzip Erziehung ohne Ausgrenzung auf rechtlicher und politischer Ebene anzuerkennen“ (Pkt. 3) und in der „Regelschulen mit einer integrativen Ausrichtung als das wirksamste Mittel, eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und eine Erziehung für alle zu verwirklichen“, bezeichnet werden,

  • in den KMK-Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der BRD 1994, welche unter anderem die Erfüllung sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht mehr an Sonderschulen binden und „die Bildung behinderter junger Menschen... verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen“ (Empfehlungen S. 3) anstreben und somit mit BLEIDICK die kopernikanische Wende in der Organisation der sonderpädagogischen Förderung darstellen, sowie

  • in der Festschreibung des Verbots von Benachteiligungen Behinderter im Artikel 3 des Grundgesetzes 1996;

ist „Eine Schule für alle“ , die wirklich

  • demokratisch (jede/r darf alles lernen),

  • human (jede/r auf ihre/ seine Weise) und

  • solidarisch (jede/r bekommt die dafür notwendigen Hilfen) ist, heute noch immer nichts weiter als eine nette bildungspolitische Idee!

Ja, nicht einmal überall dort, wo Integration draufsteht, ist auch Integration drinnen. Eine kritische Analyse der momentanen Integrationspraxis zeigt nämlich, dass

  • die notwendigen didaktisch-methodischen Veränderungen des Unterrichts wie innere Differenzierung durch Individualisierung, Wochenplanunterricht, Freiarbeit, Projektunterricht, Teamteaching, alternative Formen der Leistungsbeurteilung nur in Ansätzen stattfinden,

  • Individualisierung häufig falsch interpretiert wird, was oft zu getrenntem Lernen der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf am Gang, im Extraraum oder hinten in der Klasse führt,

  • die Kooperation der SchülerInnen, das entscheidende Merkmal effektiven gemeinsamen Unterrichts, kaum gefördert wird,

  • speziell im Sekundarstufenbereich die Verwirklichung einer integrativen Pädagogik und Didaktik massiv auf die Grenzen des selektionsorientierten Schulsystems stößt, aber auch in der Grundschule immer wieder Kindern mit schweren Behinderungen im Namen der „responsible inclusion“ die „Integrationsfähigkeit“ abgesprochen wird,

  • die Integrationsbewegung das gegliederte und damit auf Selektion und Segregation orientierte Schul- und Bildungssystem nicht prinzipiell in Frage stellen, sondern nur partiell verbessern konnte, die Integration heute daher noch immer unter den – eigentlich paradoxen, weil letztendlich wieder Segregation erzeugenden – Bedingungen wie schultypenbezogene Lehrpläne, Jahrgangsstufenziele, Noten und zumindest zeitweiser äußerer Differenzierung verwirklicht werden muss.

Die integrative Praxis ist somit immer noch von der jahrzehntelangen Vorherrschaft medizinischen Denkens innerhalb der Heil- und Sonderpädagogik im Sinne des „medizinischen oder individualtheoretischem Paradigmas“ (BLEIDICK 1979, 68) geprägt. Behinderung wird praktisch noch immer als Krankheit mit einer bestimmten Ursache und Symptomen gesehen, deren Besserung nur durch besondere Therapien und besondere Spezialisten in besonderen Anstalten geleistet werden kann, wenn auch diese Besonderung heute für rund 12 Prozent aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland bereits im Rahmen der Allgemeinen Schule durchgeführt wird. Am enorm ausdifferenzierten Sonderschulwesen als auch an der dementsprechend ausdifferenzierten Lehre und Forschung an den Universitäten wird aber weiterhin festgehalten und damit die individualtheoretische Sichtweise manifestiert.

2 Herausforderungen an die Lehre allgemein

Das aus dem angelsächsischen Sprachraum kommende Denkmodell der Inklusion, der „Education for all“, fasst in letzter Zeit auch im deutschen Sprachraum immer stärker Fuß und kann mit MITTLER (2000, 10ff.) durch folgende Aspekte gekennzeichnet werden:

  • Jedes Kind/ jeder Mensch hat das Recht als vollwertiges Mitglied dazu zu gehören, unabhängig von Fähigkeiten und Unfähigkeiten, womit sich die Frage nach der Integrationsfähigkeit erübrigt.

  • Es geht nicht darum, dass eine Mehrheit unter bestimmten Umständen eine Minderheit integriert, sondern, mit PRENGEL (1994, 96) gesagt, um „das gleiche Recht auf Verschiedenheit“.

  • Verschiedenheit bezieht sich dabei nicht nur auf das Merkmal „Behinderung – Nichtbehinderung“, sondern auf die gesamte Bandbreite gesellschaftlicher Buntheit.

  • Heterogenität ist die Normalität und wird als Ausgangspunkt des Lernens über und durch Unterschiede gemacht.

  • Nicht das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf steht im Mittelpunkt pädagogischen Handelns, sondern das System Klasse, wodurch anstelle von individuumzentrierten Maßnahmen laut individuellem Förderplan institutionelle und strukturelle Interventionen gesetzt werden. Die Ressourcenzuteilung erfolgt dementsprechend nicht kindbezogen, sondern schulbezogen.

  • Damit kann auf eine Kategorisierung der Kinder nach ihrem Defizit genauso verzichtet werden wie auf individuelle Curricula und Förderpläne zugunsten von verbindlichen Strukturen gemeinsamer Reflexions- und Planungsprozesse im Team.

  • Grundlage des Unterrichts ist ein gemeinsames Curriculum für alle, das individualisiert wird.

Nimmt man dieses Konzept der Inklusion ernst, dann

  • muss die LehrerInnenbildung (aber auch die Schulorganisation) vor allem weg vom kategorialen Denken nach Behinderungsarten

  • hin zu einer gemeinsamen Grundausbildung für alle Pädagoglnnen nach dem Konzept der „Allgemeinen Pädagogik“ von GEORG FEUSER (1995)

  • mit der Möglichkeit zu einer Spezialisierung nach „Funktionsbereichen“ wie zum Beispiel Sprache, Motorik, Wahrnehmung, Denken und Handeln, Soziale Kompetenz etc.

Nur so kann die Grundherausforderung der dialektischen Auflösung von Gleichheit und Differenz aller Menschen wirklich in den Köpfen verankert und eine Qualifizierung aller zu einem humanen, demokratischen und solidarischen Leben in einer vielfältigen und multikulturellen Gesellschaft erreicht werden.

3 Herausforderungen an die Lehre konkret

Wenn langfristig Nicht-Aussonderung den Regelfall darstellen, vom defizitorientierten zum kompetenzorientierten Paradigma gewechselt werden und von einer Kategorisierung nach Behinderungsarten abgegangen werden soll, bedarf es letztendlich nicht mehr verschiedener Pädagogiken. Die Hochschulen müssen sich langfristig an diesen Zielsetzungen orientieren, was allerdings eine große Herausforderung darstellt, da es ein Hinterfragen traditioneller Standpunkte und Positionen und damit auch bisheriger Funktionen und Machteinflüsse bedeutet.

Die Verankerung der Gleichwertigkeit aller ist in einer Gesellschaft, die wesentlich durch soziale Ungleichheit geprägt ist und die „lebensunwertes Leben“ heute gar nicht mehr zur Welt kommen lässt, sondern humangenetisch schon vor der Geburt bzw. Zeugung ausschaltet, sicherlich nicht einfach und ein sehr hohes Ziel, kann aber mit entsprechend kleinen und pragmatischen Schritten erreicht werden. Schon EBERWEIN (1996, 32f.) meinte:

„Der systemtranszendierende Weg dazu führt über die Integrationspädagogik. Sie stellt sozusagen die Brücke dar zwischen Sonderpädagogik und Allgemeiner Pädagogik und ist daher ein Übergangsbegriff. Integrationspädagogik hat dann ihren Auftrag erfüllt, wenn die Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen in Schulen und Vorschulen endgültig überwunden ist.“

3.1 Integrationspädagogisches Fundamentum

Konkret bedeutet dies, dass zuerst einmal in allen grundständigen Pädagogikstudien im Rahmen eines Integrationspädagogischen Fundamentums die Grundlagen der Allgemeinen (inklusiven) Pädagogik gelehrt werden sollten. In Kooperation aller an der LehrerInnenbildung beteiligten Fakultäten könnte ein solches Fundamentum auf der Basis der im Projekt INTEGER entwickelten Module (siehe auch http://integer.pa-linz.ac.at) Schritt für Schritt in die grundständigen Studien implementiert werden, damit alle zukünftigen Pädagoglnnen ein gemeinsames Verständnis von Integration bzw. Inklusion und diejenigen Kompetenzen erwerben können, die für einen wirkungsvollen integrativen Unterricht notwendig sind: interdisziplinäre Kooperation, innere Differenzierung durch Individualisierung, offene Lernformen, alternative Formen der Leistungsbeurteilung, entwicklungs- und prozessorientierte Lernbegleitung und eine vorurteilsfreie Einstellung gegenüber Menschen mit und ohne Behinderungen.

Die Pädagogische Akademie[1] des Bundes in Oberösterreich (OÖ), Linz, hat daher im neuen Studienplan 2000 für alle Lehramtsstudien das Fach „Inklusive Pädagogik“ im Ausmaß von vier verpflichtenden Semesterwochen- stunden verankert. Vorrangiges Ziel ist es, interdisziplinär und kooperativ zu arbeiten.

Im ersten Semester sollen die StudentInnen im Seminar mit dem Titel „Paradigmenwechsel in der (Behinderten)Pädagogik – Von der Aussonderung zur Integration“ die historische Entwicklung kennen lernen. Beginn, Entwicklung und der momentane Stand der Integrationsdiskussion in Österreich und im europäischen Ausland sind ebenso Inhalt wie nationale und internationale Beschlüsse (UNESCO-Weltkonferenz in Salamanca, Leitfaden der EU, Bundes- und Landesgesetze). Weiterer Bestandteil sind die pädagogischen Grundelemente der Integration in Erziehung und Unterricht (Prinzipien einer integrativen Pädagogik, Didaktisch-methodische Grundformen, Rahmenbedingungen). Die Vorlesung „Was heißt denn hier behindert?“ im 2. Semester beschäftigt sich mit verschiedenen Erziehungsbedürfnissen. Die klassischen Behinderungsformen und die Frage der Hochbegabung werden in das neue integrative Denken eingeordnet. Innerhalb des Seminars „Realisierung (integrativer) Allgemeiner Pädagogik“ haben die StudentInnen im 3. und 4. Semester die Möglichkeit, sich im Projektunterricht Kompetenzen für einen individualisierten Unterricht in einer heterogenen Schülergruppe anzueignen.

Im Rahmen von berufsbedeutsamen Lernfeldern[2] haben StudentInnen aller Lehrämter weiter die Möglichkeit, sich mit speziellen Fragen zur Gestaltung einer Schule für alle näher auseinander zu setzen. Das Fach Inklusive Pädagogik ist somit in allen Lehramtsstudien im gleichen Ausmaß und mit der gleichen Wertigkeit wie alle anderen Humanwissenschaftlichen Fächer (z.B. Pädagogische Soziologie, Psychologie, Schulpädagogik...) verankert und kann so wie jedes andere Fach auch als Prüfungsfach für die Lehramtsprüfung gewählt werden. Weiter wurden in allen anderen Studienfächern wie Psychologie, Soziologie etc. integrative Inhalte in zumindest einem Seminar pro Fach eingeführt (siehe dazu auch FEYERER 2002a, 307ff.).

3.2 Praxis in Integrationsklassen

Es erscheint mir unbedingt notwendig, Praxisphasen in Integrationsklassen bereits im Rahmen der ersten Phase des grundständigen Studiums zu verankern und eine intensive Kooperation mit den Ausbildungsstellen und Schulen der zweiten Phase aufzubauen. Wenn Theorie und Praxis von Anfang an auch in integrativen Settings erfolgen, kann die theoretische Auseinandersetzung mit der Inklusion viel effektiver wirken. Diesbezüglich hat die Pädagogische Akademie des Bundes in bereits seit 1996 die schulpraktische Ausbildung so organisiert, dass in Integrationsklassen im Teamteaching unterrichtet werden kann. Jede/r Sonderschul- und jede/r Volksschulstudentln muss im Laufe seiner/ ihrer Ausbildung zumindest ein Praktikum in einer Integrationsklasse absolviert haben, für die Hauptschulstudentlnnen laufen seit dem WS 1999/2000 erstmals Praxistage parallel zum Sonderschullehrerstudium, so dass auch jede/r HL-Studentln bald ein integratives Praktikum absolvieren muss. Sowohl an der Übungsvolks- als auch an der Übungshauptschule der Pädagogischen Akademie des Bundes in OÖ werden Klassen integrativ geführt.

3.3Berufsbegleitende Zusatzausbildungen

Für bereits im Beruf stehende LehrerInnen sollten die Hochschulen berufsbegleitende Weiterqualifizierungsmöglichkeiten anbieten. So richtete die Pädagogische Akademie des Bundes in bereits 1990/91 das Zusatzstudium Integrationslehrerln ein, das über drei Semester hinweg im Ausmaß von 12 Semesterwochenstunden (=144 Stunden gesamt) berufsbegleitend angeboten und entsprechend den Erfahrungen und Bedürfnissen der Studierenden ständig weiterentwickelt wird. Dieses Zusatzstudium war für die LehrerInnen im Schulversuch von großer Bedeutung, da damit die notwendigen Basiskompetenzen für einen integrativen Unterricht erworben und die Schulversuche zufriedenstellend entwickelt werden konnten, was nicht unwesentlich zum Erfolg der Integration in Oberösterreich beitrug.[3]

Zusätzlich sollten mit einem postgradualen Studium neben LehrerInnen auch Diplompädagoglnnen, TherapeutInnen, Lehrerfortbildnerlnnen, Verwaltungsbeamte oder Führungskräfte unterschiedlichster Institutionen für Menschen mit Beeinträchtigungen als „Multiplikatoren der Inklusion“ auf Mastersniveau ausgebildet werden, die in der Lage sind, den Prozess der Inklusion in ihrem jeweiligen Berufsfeld aufgrund vertieften Wissens kritisch zu analysieren und engagiert voranzutreiben. Das von mir koordinierte SOKRATES-Projekt EUMIE (siehe http://eumie.pa-linz.ac.at) hat genau dieses zum Ziel.

3.4 Öffentlichkeitsarbeit

Durch die Vernetzung der Lehre mit regionalen Netzwerken zu dynamischen Austauschprozessen können und sollen die Universitäten zu Stätten des Dialogs zwischen Lehrenden, Studierenden, Praktikerlnnen, BildungspolitikerInnen und Betroffenen werden und damit intensive Öffentlichkeitsarbeit für die Idee der Inklusion sowie Lobbying im positiven Sinne in der Zusammenarbeit mit politischen und administrativen Entscheidungsträgern leisten.

An der Pädagogischen Akademie wurde dazu seit 1995 regelmäßig (früher jährlich, nun alle zwei Jahre) ein sogenanntes Praktikerlnnenforum abgehalten, im Rahmen dessen Praktikerlnnen, Lehrende, Studierende, Eltern und Menschen mit Beeinträchtigungen ihre Erfahrungen mit der Integration in (Ober-)Österreich austauschen. Die Referate und Workshopergebnisse der letzten Veranstaltungen wurden in Sammelbänden veröffentlicht.[4] Weiter kooperieren Lehrende der Akademie sehr eng mit der Schulbehörde, um die Entwicklung der Integration wissenschaftlich zu begleiten und Grundlagen für bildungspolitische Entscheidungen zu liefern.

3.5Einbeziehung neuer Technologien und Medien

Last but not least muss die Lehre verstärkt die neuen Medien und Technologien einbeziehen, um eine pädagogisch optimale Anwendung neuester technischer Entwicklungen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang beteiligt sich die Pädagogische Akademie des Bundes an dem SOKRATES MINER- VA-Projekt ODL:inclusive, in dem ein serverbasiertes Studienprogramm zur integrativen Pädagogik erarbeitet wird (vgl. FEYERER 2002b, 64ff. und FEYERER/ MIESENBERGER/ WOHLHART 2002,107ff.).



[1] Die Pflichtschullehrerlnnenausbildung findet in Österreich an Pädagogischen Akademien statt, wobei drei verschiedene Lehrämter in jeweils sechs Semestern erworben werden können: das Lehramt für Volksschulen (VL; Volksschule = Grundschule), das Lehramt für Sonderschulen (SL) und das Lehramt für Hauptschulen (HL). Nur in der Hauptschullehrerausbildung gibt es eine Spezialisierung auf zwei Unterrichtsfächer, alle anderen Pflichtschullehrerlnnen werden in sämtlichen Fächern ausgebildet. Die schulpraktische Ausbildung ist in das Grundstudium einbezogen. Die Ausbildung der GymnasiallehrerInnen ist an Universitäten angesiedelt, dauert mindestens 8 Semester und bezieht sich nur auf ein Unterrichtsfach.

[2] Jede/r Studentin muss insgesamt drei Lernfelder zu jeweils 4 Semesterwochenstunden inskribieren.

[3] Im Schuljahr 2002/2003 werden gemäß einer Erhebung des Landesschulrates für Oberösterreich bereits 65,3 % aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Allgemeinen Schulen beschult.

[4] siehe dazu FEYERER & PRAMMER 2000 und 2002.

Literatur

BEGEMANN, ERNST: Schüler und Lern-Behinderungen. Zum pädagogischen Auftrag des Lehrers. Ein Studienbuch. Bad Heilbrunn/ Obb., 1984

BLEIDICK, ULRICH: Sonderpädagogische Grundlegungsprobleme. Kurseinheit der Fernuniversität Hagen, 1979

BURGENER-WOEFFRAY, ANDREA/ JENNY-FUCHS, ELISABETH/ MOSER-OPITZ, ELISABETH: Integration von behinderten Menschen: Separation oder Integration? In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 16 (1993) 4,65-71

EBERWEIN, HANS: Zur Kritik des Behinderungsbegriffes und des sonderpädagogischen Paradigmas. Integration als Aufgabe der allgemeinen Pädagogik und Schule. In: EBERWEIN, HANS (Hrsg.): Einführung in die Integrationspädagogik. Interdisziplinäre Zugangsweisen sowie Aspekte universitärer Ausbildung von Lehrern und Diplompädagogen. Weinheim 1996,9-37

Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6.5.1994. Bonn 1994

FEUSER, GEORG: Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt 1995

FEYERER, EWALD: INTEGER – LehrerInnenbildung für eine kindgerechte Schule. In: FEYERER, EWALD & PRAMMER, WILFRIED (Hrsg.): Eine kindgerechte Schule für alle. Beiträge zum 7. Praktikerforum. Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Band 14. Linz 2002a, 299-309

FEYERER, EWALD: Computer and Inclusive Education, In: MIESENBERGER, KLAUS u.a. (Hrsg.): Computers helping people with special needs : 8th international conference; proceedings / ICCHP 2002, Linz, Austria, July 15-22, 2002. Berlin; Heidelberg; New York u.a. 2002b, 64- 67

FEYERER, EWALD & PRAMMER, WILFRIED (Hrsg.): 10 Jahre Integration in Oberösterreich. Ein Grund zum Feiern!? Beiträge zum 5. Praktikerforum. Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Band 10. Linz 2000

FEYERER, EWALD & PRAMMER, WILFRIED (Hrsg.): Eine kindgerechte Schule für alle. Beiträge zum 7. Praktikerforum. Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Band 14. Linz 2002

FEYERER, EWALD/ MIESENBERGER, KLAUS/ WOHLHART, DAVID: ICT and Assistive Technology in Teachers Education and Training. In: Computers helping people with special needs: 8th international conference; proceedings/ ICCHP 2002, Linz, Austria, July 15-22, 2002. Berlin; Heidelberg; New York u.a. 2002, 107-114

HAEBERLIN, URS/ BLESS, GERARD/ MOSER, URS/ KLAGHOFER, RICHARD: Die Integration von Lernbehinderten: Versuche, Theorien, Forschungen, Enttäuschungen, Hoffnungen. 2. Auflage. Bern 1991

INCLUSION INTERNATIONAL (Hrsg.): Auf dem Weg zur Schule ohne Ausgrenzung. Ein Überblick zum Thema Erziehung ohne Ausgrenzung in sechs Ausgaben von GETTING-there im Lichte des Salamanca-Statements und des Aktionsrahmen der UNESCO, Nr. 3,1998

MITTLER, PETER: Working Towards Inclusive Education. Social Contexts. London 2000

PRENGEL, ANNEDORE: Zur Dialektik von Gleichheit und Differenz in der Integrationspädagogik. In: EBERWEIN, HANS (Hrsg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik. 3. Auflage. Weinheim; Basel 1994, 93-98

PROBST, HOLGER H.: Die scheinbare und wirkliche Funktion des Intelligenztests im Sonder- schulüberweisungsverfahren. In: ABÉ, ILSE u.a.: Kritik der Sonderpädagogik. Gießen. 1973, 107-183

SANDER, ALFRED: Behinderungsbegriffe und ihre Konsequenzen für die Integration. In: EBERWEIN, HANS (Hrsg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik. 3. Auflage. Weinheim; Basel 1994,99-107

WACKER, ELISABETH & NEUMANN, JOHANNES (Hrsg.): Geistige Behinderung und soziales Leben. Frankfurt/ New York 1985

WHO: ICIDH - 2. International Classification of Functioning and Disability, Beta-2 Draft. Geneva 1999.

Quelle

Ewald Feyerer: Inklusion – Herausforderung an die Lehre am Beispiel der Pädagogischen Akademie des Bundes in Linz.

Erschienen in: Schnell, Irmtraud [Hrsg.]; Sander, Alfred [Hrsg.]: Inklusive Pädagogik. Julius Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2004.

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Stand: 29.11.2018

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