Evaluation der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder - Kapitel 1-3

Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Lehrerinnen und Lehrern im Schulversuch

Autor:in - Werner Specht
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Erschienen in: BUNDESMINISTERIUM FÜR UNTERRICHT UND KUNST. Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung - Abteilung II. Zurück zur Indexseite: Evaluation der Schulversuche
Copyright: © Werner Specht 1993

Inhaltsverzeichnis

1. Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder: Plan und Praxis ihrer Entwicklung und wissenschaftlichen Begleitung

1.1 Die Vorstellung des Rahmenkonzepts

Noch nicht einmal vier Jahre ist es her, daß von Seiten des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst ein Rahmenkonzept für die Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder herausgegeben wurde (GRUBER & PETRI 1989), in dem die Autoren versuchten, der sich rasch ausbreitenden pädagogischen Idee der Integration behinderter Kinder in das Regelschulwesen konzeptuelle, organisatorische und wissenschaftlich geleitete Gestalt zu geben.

Dieses Konzept, das durch seine Ausgewogenheit und Elaboration bei gleichzeitiger Offenheit für neue Ideen und Entwicklungen national und international viel Anerkennung gefunden hat, ging - teils implizit, teils explizit - von der folgenden Entwicklung der Schulversuchssituation und ihrer wissenschaftlichen Betreuung und Begleitung aus:

  • Eine gewisse Übersichtlichkeit und quantitative Begrenztheit der Schulversuchssituation sollte gewährleisten, daß auf wissenschaftlicher Grundlage Erfahrungen gesammelt, gesichtet und gesichert werden können, die in die permanente Verbesserung und weitere Elaboration der Schulversuche einfließen.

  • In einem vielfältig vernetzten Informations- und Entwicklungssystem, in das Versuchslehrer[1], Bundesländerbetreuer und das Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung eingebunden sind, sollten Erfahrungen zusammengetragen und systematisch ausgewertet, Organisationsmodelle und Unterrichtsmodule dokumentiert und evaluiert werden, um so die bestmöglichen Informationsgrundlagen zu schaffen für die Fortentwicklung des Schulversuchs und letztlich auch für seine Testung auf Praxistauglichkeit unter den Alltagsbedingungen des Regelschulwesens.

  • Die dem Konzept zugrundeliegende Vorstellung war die, daß man die verschiedenen Versuchsmodelle in einem eher begrenzten quantitativen Rahmen zunächst einmal unter kontrollierten Bedingungen "ausreifen" lassen müßte, um in einem Stadium hoher Elaboration dann entscheiden zu können, ob eines oder mehrere der verwirklichten Modelle in die Regelschulpraxis übergeführt werden könnten.

  • In diesem Prozess der "Ausreifung" sollten die wissenschaftlichen Versuchsbetreuer in den Bundesländern zentrale Aufgaben der Betreuung, Entwicklung und Evaluation übernehmen, deren Koordination, Integration und Synthese an der Abteilung II des Zentrums für Schulversuche und Schulentwicklung geleistet werden sollte.

1.2 Praxis und gegenwärtiger Stand

Die Entwicklung des Schulversuchs und damit auch die Praxis seiner wissenschaftlichen Begleitung und Betreuung wich und weicht von dieser Planung erheblich ab.

Die wichtigste dieser Abweichungen besteht darin, daß sich der Schulversuch nach §131a SchOG nicht so schrittweise und kontrolliert entwickelt hat, wie das Rahmenkonzept dies - zumindest implizit - vorsah. Dies machen schlaglichtartig die Vergleichszahlen zwischen den Jahren 1988/89 und 1992/93 deutlich, die in der folgenden Tabelle 1 wiedergegeben sind.

Modellvarianten

1988/89

1992/93

Integrative Klassen

50

279

Kooperative Klassen

30

19

Förder (Klein) Klassen:

22

36

Stützlehrer: (Zahl der ca. betreuten Kinder)

2600

4189

Tab. 1 verdeutlicht das drastische Ansteigen der Zahl der Schulversuchsklassen im Laufe der vergangenen vier Jahre. Allein in der Versuchsvariante "Integrative Klasse", die den stärksten Zuwachs zu verzeichnen hat, werden im gegenwärtigen Schuljahr 1175 behinderte Kinder betreut, im Modell "Stützlehrer" sogar annähernd die vierfache Anzahl. Die beiden übrigen Modellvarianten ("Kooperative Klasse" und "Förder-/Kleinklasse") sind dagegen quantitativ von weit geringerer Bedeutung. Die Zahl der Kooperativen Klassen hat sich sogar von 30 auf 19 reduziert.

Die hier zum Ausdruck kommende, stürmische Entwicklung der Integrationsversuche hat gerade auch für die Institutionen und Personen, die mit der wissenschaftlichen Betreuung und Begleitung betraut sind, erhebliche Schwerpunktverlagerungen bezüglich ihrer Probleme und Aufgabenstellungen mit sich gebracht, die in der Rahmenplanung noch nicht in diesem Ausmaß vorhersehbar waren. So sind in kaum einem Bundesland hinreichend personelle und materielle Ressourcen vorhanden, um in den zentralen Bereichen der Entwicklung und Evaluation im engeren Sinne wissenschaftliche Aufgaben übernehmen zu können. Obwohl die Betreuungseinrichtungen in den Ländern (länderspezifisch allerdings sehr unterschiedlich) im Vergleich zu jenen anderer Schulversuche oft eher gut ausgestattet sind, befinden sich die einzelnen Betreuer hinsichtlich der ihnen übertragenen Aufgaben, vor allem aber auch angesichts der an sie herangetragenen Bedürfnisse der Lehrer ständig am Rande ihrer Bewältigungskapazität. Sie sind weitestgehend ausgelastet mit Aufgaben des Managements, der Organisation, der fachlichen Beratung und Betreuung der Versuchslehrer sowie der Verhandlungsführung mit den Schulbehörden. Die Bewältigung wissenschaftlicher Aufgaben im engeren Sinne, d.h. die Bearbeitung eigenständiger Projekte zur erfahrungsgestützten Weiterentwicklung der Versuchsarbeit, liegt weitgehend jenseits ihrer Kapazitäten.

Auch das Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung ist mit der einen (Teil-) Arbeitskraft, die mit dieser Angelegenheit betraut ist, angesichts der gegenwärtigen Größenordnung des Schulversuchs überfordert, die ihm im Rahmenkonzept zugewiesene Koordinationsfunktion der wissenschaftlichen Begleitung wirksam wahrzunehmen.

All dies wäre vielleicht weniger beklagenswert, wenn es sich bei diesem Schulversuch - gerade auch in der Größenordnung, die er nun einmal hat - nicht um die wohl weitestgehende Innovation im Bildungswesen Österreichs handeln würde, die es seit den Ansätzen zur Gesamtschulreform der 70er Jahre gegeben hat. Es handelt sich um einen strukturellen Ansatz der Innovation, dessen Langzeitfolgen für das Schulwesen noch nicht einmal in vollem Umfang abzusehen sind - insbesondere, wenn man daran denkt, die integrativen Ansätze über den Volksschulbereich hinaus in der Sekundarstufe weiterzuführen (was ja nur eine logische Konsequenz darstellen würde). Diese Folgen betreffen nicht nur die Zusammensetzung der Klassen, den Stellenwert der Sonderschulen im Rahmen des Gesamtsystems oder die Entwicklung der behinderten Kinder. Macht man mit dem Integrationsgedanken wirklich ernst, dann bedeutet dies längerfristig zweifellos eine Veränderung von sehr vielen Dingen, die man sich angewöhnt hat, als zur "Natur" von Schule gehörig anzusehen - angefangen von der lehrerzentrierten Unterrichtsführung, über die schulformorientierte Leistungsbeurteilung bis hin zu den einzelnen weiterführenden Schulformen selbst: Die letzte Konsequenz einer am Leitgedanken der Integration orientierten Schulreform ist "Die Schule für alle" (und zwar auch die Sekundarschule für alle), und dies nicht nur in einem räumlich-organisatorischen Sinn, sondern in der Form eines wirklichen gemeinsamen Lehrens und Lernens.

Überblickt man die Tragweite dieser Entwicklung, dann mutet es bedenklich an, diese alleine dem Engagement, Idealismus und Talent der Lehrer einerseits und den oft allzu rasch wechselnden Prioritäten der "großen Politik" andererseits zu überlassen. Zwar kommen wirklich kreative Neuerungen im Sozial- und Bildungswesen ohne Engagement und Idealismus derer, die sie verwirklichen sollen, nicht aus und bedürfen andererseits auch des Mutes zum Risiko von Seiten der Politik - der längerfristige Erfolg aber hängt nicht zuletzt daran, ob in die Entwicklung selbst Mechanismen des Lernens und der Kontrolle eingebaut sind, die zum einen Kurskorrekturen bei unerwünschten Nebenwirkungen ermöglichen, ohne andererseits dadurch die Innovationsfreude und den Pioniergeist der Reformträger zu untergraben.

Als ein solcher institutionalisierter Lernmechanismus war die wissenschaftliche Begleitung ursprünglich gedacht und konzipiert, und gerade diese Funktion kann sie aus den oben geschilderten Gründen heraus nun in nur unzureichendem Maße erfüllen.

Schon aus diesen Gründen erschiene es nicht ratsam, daran zu denken, die Stellen und Institutionen der wissenschaftlichen Betreuung in den Bundesländern bezüglich ihrer personellen und materiellen Ausstattung in irgendeiner Weise aus Ersparnisgründen anzutasten. Schon heute sind sie angesichts der Aufgaben, die sie zu leisten haben, eher zu knapp als zu üppig besetzt. Das wird sich, soweit man übersehen kann, auch nicht (zumindest nicht in absehbarer Zeit) ändern, wenn der Versuch ins Regelschulwesen überführt wird. Die Probleme, die hier entstehen, werden immer "besonderer Art" und nicht schematisch zu lösen sein. Dazu bedarf es kompetenter Personen und Institutionen, die sich den Betreuungsbedürfnissen der Schulen, der Lehrer und nicht zuletzt auch der Familien mit behinderten Kindern annehmen. Wir werden auf diese Problematik weiter unten 3.2.5 Defizite in der wissenschaftlichen Betreuung (WB) und Begleitung nochmals näher eingehen.

Auf der anderen Seite liegt es in der Natur sozialer Bewegungen in pluralistischen und demokratischen Gesellschaften (und die Integrationsbewegung ist in erster Linie eine gesellschaftliche, und erst in zweiter Linie eine pädagogische oder bildungspolitische Bewegung), daß sie Eigendynamiken entfalten, sich nur begrenzt kontrollieren lassen und dadurch letztlich dem Steuerungsprinzip von Versuch und Irrtum, aber auch von Macht und Durchsetzung unterworfen werden. Dem Planer mag dabei unwohl sein und der Wissenschaftler die Irrationalität mancher der damit verbundenen Entwicklungen beklagen. In jedem Fall verlangt eine solche Situation das Abgehen von Ideallösungskonzepten und die Entwicklung von eher pragmatischen Ansätzen, wenn man sich von der Vorstellung einer wissenschaftlichen Begleitung von Schulversuchen nicht gänzlich verabschieden will.

Das auch unter solchen pragmatischen Gesichtspunkten entworfene Konzept wissenschaftlicher Begleitung, das am Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung in den letzten drei Jahren verfolgt wurde, und für das von der regelmäßig tagenden Runde der Bundesländerbetreuer wesentliche Impulse und Anregungen ausgingen, soll im folgenden in seinen Grundzügen geschildert werden.

1.3 Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung: Grundkonzeption der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs

Um die Entstehung dieser Konzeption nachvollziehen zu können, sind zwei Voraussetzungen zu berücksichtigen: Zum einen das erwähnte Faktum der Mittel- und Personalknappheit, das es notwendig machte, die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Zum anderen aber ist - wie in anderen Tätigkeitsfeldern - auch im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens nichts unabhängig von den Traditionen der Institutionen, in denen geforscht wird, und von den Personen, die bestimmte Programme verwirklichen. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Forschung, die sich in sozialen Feldern bewegt. Viele der gelehrten Positionskämpfe, ein großer Teil des Ringens um die besten Methoden, die richtigen Paradigmen und die "Wahrheit" als solche ist auch ein Ringen zwischen institutionellen Traditionen, Persönlichkeiten, Lebensgeschichten, Ausbildungsformen. Und gerade im Bereich der Sozialwissenschaften muß man sich wahrscheinlich mehr als in anderen Feldern davon lösen, zu glauben, es gebe nur einen - sozusagen den Königsweg - zur Erkenntnis.

Diese Voraussetzungen haben zu einem Ansatz der wissenschaftlichen Begleitung der Integrationsversuche geführt, den man am ehesten der "klassisch-empirischen Evaluationsforschung" zuordnen könnte.

  • Ein solcher Ansatz schien am ehesten geeignet, mit begrenzten Ressourcen ein Maximum an Wissen und Information über die gegenwärtige Praxis des Schulversuchs zu generieren und daraus Schlußfolgerungen für die zukünftige Entwicklung abzuleiten.

  • Am Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung, Abt.II besteht eine lange Tradition der empirischen Erforschung und Evaluation von Schulversuchen, die bereits in die 70er Jahre zurückweist, und die ein hohes Maß an nationaler und internationaler Anerkennung gefunden hat. Die hier aufgebaute Infrastruktur für empirische Schul- und Sozialforschung schien gute Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung eines solchen Projekts auch für den Bereich der integrativen Schulversuche zu bieten.

  • Schließlich hat der Autor dieses Berichts viele Jahre seiner beruflichen Tätigkeit im universitären Bereich an empirischen Evaluationsprojekten gearbeitet und dabei die Erfahrung gemacht, daß solche Projekte, wenn sie sorgfältig konzipiert sind, gleichermaßen praxis- und entscheidungsrelevant sein können - auf der Ebene der pädagogisch Handelnden an der einzelnen Schule, vor allem aber auch auf Ebene politisch-administrativer Entscheidungen.

In der Phase der Ausarbeitung unseres Untersuchungsansatzes und seiner Darstellung vor Lehrern, Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern sind wir auf viel Verständnis und Unterstützung, aber auch auf Skepsis und Ablehnung gestoßen. Gleichwohl fanden wir nicht nur unter Kritikern, sondern auch unter Verteidigern Haltungen, die wir mit seriöser und an praktischer Erkenntnis orientierter Forschung für unvereinbar halten. Drei dieser Argumentationen sollen hier kurz schlagwortartig dargestellt werden, weil sich in der Auseinandersetzung mit ihnen unsere eigene Grundposition besonders gut herausarbeiten läßt (vgl. auch LANGFELDT 1988, 1991).

"Empirische Forschung ist sinnlos und unnötig"

Es wird argumentiert, Integration sei einerseits ein nur moralisch und ethisch zu rechtfertigendes Anliegen und andererseits eine Sache politischer Entscheidungen und könne daher nicht wissenschaftlich legitimiert werden. Was lediglich notwendig sei, sei die Verbesserung der finanziellen, organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen, um die Arbeit vor Ort erfolgreicher zu gestalten. Die Funktion wissenschaftlicher Begleitung könne nur die der Betreuung, Unterstützung und Weiterbildung der Lehrer in den Versuchsklassen sein.

Wir meinen demgegenüber, daß Forschung auch dort eine wichtige Funktion haben kann, wo primär weltanschaulich begründete Programme in schulische Praxis übersetzt werden. Dabei muß der Forscher auch von wertgeladenen Grundsatzpositionen ausgehen können, sofern er diese offenlegt. In diesem Sinne sei hier vorausgeschickt, daß wir das bildungspolitische Anliegen der Integration behinderter Kinder in das Regelschulwesen für wichtig und notwendig halten.

Gleichzeitig aber meinen wir, daß die Optimierung der Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit, die diesen Schulversuch zu einem erfolgreichen Versuch werden läßt, nicht allein aus der Praxis für die Praxis erfolgen kann. Gerade wenn man am Erfolg einer schulischen Neuerung interessiert und orientiert ist, sollte man sich vorrangig mit deren Problemen und Schwächen im jeweiligen Versuchsstadium auseinandersetzen. Dazu aber ist es erforderlich, auch ein Stückweit über den Tellerrand des praktisch-pädagogischen Handlungsfeldes hinauszublicken und beispielsweise zu prüfen,

  • ob das, was der einzelne Lehrer als Erfolg und Gelingen der eigenen Arbeit ansieht, auch im Lichte der Erfahrungen anderer so interpretiert werden kann,

  • ob die Probleme und Schwächen, die an einem bestimmten Versuchsstandort auftreten, für den Schulversuch "typisch" und repräsentativ oder eher auf standortspezifische Faktoren oder Bedingungen zurückzuführen sind.

Vor diesem Hintergrund sehen wir die Aufgabe von Forschung in diesem Schulversuch in erster Linie darin, fördernde und hemmende Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeit am pädagogischen Ziel der Integration behinderter Kinder aufzudecken und auszufiltern. Dies impliziert vor allem auch, daß man Schwachpunkte und Problembereiche identifiziert, und zwar nicht, um dadurch jemanden oder den Schulversuch selbst zu desavouieren, sondern gerade umgekehrt mit dem Ziel, den Finger auf wunde Punkte zu legen, an denen weitergearbeitet werden muß, um das "Programm Integration" langfristig erfolgreich zu gestalten.

"Forschung ist notwendig, um die Überlegenheit oder Unterlegenheit verschiedener Handlungs- oder Modellalternativen zu beweisen".

Es wird argumentiert, wissenschaftliche Untersuchungen seien unumgänglich, weil sie die eingeleiteten Innovationen auf ihre Praxistauglichkeit testen und so zwischen Handlungsalternativen entscheiden könnten. Es sei notwendig, Auswirkungen schulischer Neuerungen objektiv zu erfassen und ihre Vereinbarkeit mit den eigenen Zielen zu überprüfen. Solche Untersuchungen müßten dann die Informationsbasis für die Entscheidung liefern, ob ein Schulversuch ins Regelschulwesen überführt werden soll oder nicht.

Wir halten diese Ansicht für problematisch. So wichtig in unseren Augen der Versuch ist, fördernde und hemmende Bedingungen für eine Optimierung der Bilanz eines Schulversuchs zu erforschen, so unmöglich erscheint es, damit die Überlegenheit oder Unterlegenheit eines bestimmten Ansatzes ein für allemal zu beweisen.

Wir gehen vielmehr davon aus, daß die Unter- oder Überlegenheit integrativer schulischer Betreuung behinderter Kinder gegenüber eher segregierenden Ansätzen durch wissenschaftliche Forschung prinzipiell nicht "bewiesen" werden kann. Dieser Ansatz beruht auf Wertsetzungen, die nur diskursiv zu behandeln und zu bewerten sind. Auch wenn dies keineswegs ausschließt, daß einzelne Annahmensysteme, die mit dem einen oder anderen Ansatz verbunden sind, durch wissenschaftliche Forschung auf ihren Realitätsgehalt überprüft werden können, so ist doch kein Forschungsansatz vorstellbar, der gleichzeitig alle möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen unterschiedlicher pädagogischer Handlungsmodelle identifizieren kann. Prinzipiell unmöglich ist es, mit empirischen Methoden (ganz gleich ob sie quantitativer oder qualitativer Natur sind) zwischen verschiedenen pädagogischen Zielsetzungen, die mit den organisatorischen Modellen ja auch verbunden sind, zu entscheiden.

Der Anspruch vieler politisch Handelnder, der Wissenschaftler könne für sie Ethik und Verantwortung für die eigene Entscheidung übernehmen, kann nicht entschieden genug zurückgewiesen werden.

Aus ebendiesem Grund haben wir sehr bewußt darauf verzichtet, im Rahmen unserer Untersuchungen Vergleiche zwischen dem herkömmlichen Sonderschulwesen und den Integrativen Versuchsklassen herzustellen. Es ging und geht uns nicht darum, die Überlegenheit oder Unterlegenheit einer dieser beiden Formen sonderpädagogischer Betreuung nachzuweisen und damit die andere herabzusetzen.

Worum es uns alleine ging und geht, ist, innerhalb der verschiedenen Modelle und Varianten integrativer Schulversuche Erfolge und Problempunkte zu identifizieren, die die pädagogische und politische Weiterarbeit und Weiterentwicklung an diesen Formen sonderpädagogischer Betreuung leiten könnten.

"Es werden Daten benötigt, um die Überlegenheit der eigenen politischen oder pädagogischen Position untermauern zu können."

Diese Art der Argumentation findet man oft in der Begegnung mit Personen oder Gruppen, bei denen politische Kategorien im Vordergrund des Denkens stehen. Hier interessieren nicht die konkreten Inhalte, Methoden und Ergebnisse der Forschung, sondern nur, wie sich diese im Sinne der eigenen politischen Zielsetzungen verwerten lassen. Forschung dient nicht der Förderung von Erkenntnis, sondern lediglich der Legitimation von Interessen. Ergebnisse werden nur insoweit rezipiert, als sie die eigene Position unterstützen. "Kritische" oder problematische Ergebnisse im Sinne dieser Position werden unterdrückt oder uminterpretiert.

Zu dieser Tendenz, Forschung nur zur Legitimation und Durchsetzung von Interessen zu "benutzen", erübrigt sich ein langer Kommentar. Um solchen Tendenzen vorzubeugen, erscheint es insbesondere wichtig, daß Konzeption und Interpretation solcher Untersuchungen soweit wie möglich in einem diskursiven Rahmen unter Verantwortlichen und Betroffenen erarbeitet und von politisch motivierten Direktiven oder gar Druck freigehalten werden. Dies trifft für die bisherige Arbeit an der vorliegenden Untersuchung in vollem Umfang zu. Der Ansatz der Untersuchungen ist ausschließlich nach Wissen und Gewissen der Forscher selbst - aber in kooperativer Diskussion mit vielen Beteiligten und Betroffenen - konzipiert und durchgeführt worden. Ebenso sind die Ergebnisse ohne autoritative Einflußnahme von außen interpretiert und publiziert worden. Gleichwohl ist die Gefahr der Vereinnahmung und der selektiven Rezeption natürlich nie auszuschließen. Aber auch letzteres gilt für verschiedene methodische Ansätze in gleicher Weise.



[1] Nur aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in diesem Bericht im Zusammenhang mit Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern das Maskulinum und verzichten auf aufwendige und oft gekünstelte zweigeschlechtliche Formen. Alle Leserinnen seien hierfür um Verständnis gebeten.

2. DIE UNTERSUCHUNGSANLAGE

2.1 LEITENDE FRAGESTELLUNGEN

Die allgemeinen Fragestellungen, von denen die vorliegende Untersuchung ihren Ausgang nahm, lassen sich folgendermaßen umreißen:

Unter welchen Bedingungen entstehen in den Versuchsklassen zur Integration behinderter Kinder pädagogische Handlungsräume, die durch folgende, als wünschenswert anzusehende Merkmale gekennzeichnet sind :

  • Harmonisches und funktionierendes miteinander Leben und Lernen von Lehrern und Schülern, behinderten und nichtbehinderten Kindern;

  • optimale kognitive, emotionale und soziale Förderung aller Kinder;

  • funktionierende Kooperation der Lehrer im Dienste der gemeinsamen pädagogischen Aufgabe;

  • hohes Engagement bei hoher Arbeits- und Berufszufriedenheit auf Seiten der Lehrer;

  • geringe Problembelastung von Schülern, Lehrern und Eltern?

Oder eher umgangssprachlich und global:

Wo und unter welchen Bedingungen "funktioniert" Integration und welche Bedingungen sind wesentlich bzw. entscheidend dafür, wenn sie weniger gut oder unzureichend funktioniert?

Mit diesen Fragestellungen ist nun allerdings ein Forschungsprogramm umrissen, das sehr schnell die Ressourcen eines kleinen Instituts sprengen würde, wenn man es sorgfältig und ohne Abstriche verwirklichen wollte: Auf der Seite der Bedingungen des Unterrichtens wäre ein multiperspektivischer Ansatz erforderlich mit Befragungen von Lehrern, Eltern und Vertretern der Schulaufsicht sowie standardisierten Beobachtungen des Unterrichtsgeschehens durch geschulte Fachkräfte. Auf der Seite der Zielkriterien gelungenen integrativen Unterrichts müßten sich standardisierte Leistungstests ergänzen mit Persönlichkeitsfragebogen, Erhebungen des Klassenklimas, soziometrischen Verfahren und Interaktionsanalysen bei den Schülern. Das meiste davon wäre mit den gegebenen personellen und infrastrukturellen Mitteln nicht zu leisten gewesen.

2.2 UNTERSUCHUNGSPLAN

Pragmatische Überlegungen in Verbindung mit differenzierten inhaltlichen und methodischen Kosten-Nutzen-Analysen führten zu zwei wesentlichen Einschränkungen in der Untersuchungsanlage, was die Methode einerseits und die Zielgruppe der Untersuchung andererseits anbetrifft:

  • Die Einschränkung hinsichtlich der Zielgruppe bestand in der Konzentration auf die Lehrer als Informanten über Rahmenbedingungen und pädagogische Verhältnisse in den Versuchsklassen.

  • Die Einschränkung in Bezug auf die Methode erfolgte durch die Entwicklung und Verwendung eines weitgehend geschlossenen, d.h. mit Auswahlantworten operierenden Fragebogens als Forschungsinstrument - allerdings mit der eingeräumten (und auch ausgewerteten!) Möglichkeit handschriftlicher Stellungnahmen zu den einzelnen Untersuchungsbereichen.

Vorteile und Probleme dieser Beschränkungen liegen relativ klar auf der Hand:

  • Die Konzentration auf die Lehrer bedeutet einerseits, daß die Lehrperson als die zentrale Instanz angesehen wird, deren Persönlichkeit, Ausbildung, Phantasie, Kreativität und Engagement letztlich über Gelingen oder Mißlingen dieses großen Schulreformexperiments entscheidet. Der Lehrer wird gleichzeitig als pädagogisch Handelnder und als Experte für die Beurteilung der Situation in seiner Klasse und Schule betrachtet.

Die wichtigste Problematik einer reinen Lehrerbefragung besteht andererseits darin, daß die letztlich zentralen Kriterien der Qualität von Schule und Unterricht - das Befinden und die Förderung der Kinder - nicht direkt erfaßt werden, sondern wir uns auch diesbezüglich auf das Expertenurteil des Lehrers verlassen[2].

  • Die Beschränkung auf die Methode des Fragebogens bedeutet im positiven Sinn, daß damit die Möglichkeit bestand, potentiell alle Versuchslehrer des gesamten Bundesgebietes in die Untersuchung miteinzubeziehen und dadurch einen sehr breiten Überblick zu gewinnen. Auf der Problemseite schlägt zu Buche, daß in einem standardisierten Fragebogen die individuellen Besonderheiten der Personen, Klassen und Schulstandorte nur unvollständig zum Ausdruck kommen können, und daß so ein Stück Qualität zugunsten von Quantität verloren geht. Eingehende Diskussionen des Befragungsinstruments im Kreise der wissenschaftlichen Betreuer aus den Bundesländern sowie mehrere kleinere Voruntersuchungen dienten jedoch der Sicherung der ökologischen und inhaltlichen Validität des Fragebogens, so daß wirklich jene Bereiche und Probleme thematisiert worden sein dürften, die die Qualität des gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nichtbehinderte Kinder bestimmen.

2.3 INHALTLICHE SCHWERPUNKTE UND VARIABLEN

Das Variablenmodell siehe Übersicht 1 gibt zunächst einen knappen Überblick über die zentralen inhaltlichen Bereiche dieser Untersuchung[3].

Das Modell zeigt im Überblick drei Gruppen von Merkmalen, die im Rahmen der Lehrerbefragung erfaßt wurden:

  • Die erste Spalte enthält relativ harte Daten zu Bereichen, die als objektive Bedingungen der Arbeit des Lehrers angesehen werden. Diese gliedern sich wiederum in Bedingungen der Umwelt und in solche der Person des Lehrers.

Umweltbedingungen sind etwa Bundesland, aber auch Merkmale der Schule und der Klasse. Von besonderer Bedeutung unter letzteren ist etwa, welche Art von Behinderungen in welcher Zahl und Kombination in der Klasse repräsentiert sind.

Merkmale der Person des Lehrers sind etwa Alter, Berufserfahrung und Funktion in der Klasse. Alle diese Bedingungen der Versuchsarbeit sind von potentieller Bedeutung für Problem- und Erfolgswahrnehmungen der Lehrer, die hier von Interesse sind.

Von "harten" oder auch "objektiven" Daten sprechen wir bei dieser Gruppe von Merkmalen deshalb, weil es sich hierbei um Aspekte von Person und Umwelt handelt, die eindeutig identifizierbar sind und in der Regel keinen Verzerrungen der subjektiven Wahrnehmung unterliegen.

  • Letzteres ist bei der zweiten Gruppe der Bedingungsmerkmale anders. Hier handelt es sich um Umweltaspekte der Tätigkeit des Lehrers, die, wenn man sie bei den Betroffenen erfragt, kein so "objektives" Bild ergeben dürften wie etwa die Frage nach dem Alter oder dem Geschlecht. Die Umweltaspekte, die hier genannt sind, dürften in mehr oder weniger starkem Maße subjektiven Wahrnehmungseffekten unterliegen[4]. Am Beispiel "Qualität der Lehrerkooperation" läßt sich dies besonders gut verdeutlichen: Zwei Lehrer, die miteinander kooperieren, können die Qualität dieser Kooperation sehr unterschiedlich wahrnehmen und beurteilen, je nach dem, welche Vorerfahrungen und welches Anspruchsniveau sie in diesem Zusammenhang haben.

Dies bedeutet nicht, daß solche Wahrnehmungen wegen ihrer geringen Objektivität bedeutungslos sind: Zum einen ist es durchaus nicht so, daß die "objektive" Beschaffenheit der Umwelt überhaupt keine Zusammenhänge mit den Wahrnehmungen der Menschen aufweist[5]. Zum anderen müssen wir davon ausgehen, daß Wirklichkeit im sozialen Bereich letztlich einfach das ist, was wirkt. Die Wahrnehmung einer guten Kooperation mit dem/den Kollegen dürfte sich positiv auf die allgemeine Arbeitszufriedenheit auswirken, einen Puffer für sonstige Belastungen bilden und "Burn-out"-Effekten entgegenwirken - weitgehend unabhängig davon, ob der Kollege die Kooperationsqualität ähnlich positiv wahrnimmt[6]. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Aspekte der zweiten Spalte als potentiell fördernde bzw. hemmende Umweltbedingungen der pädagogischen Arbeit des Lehrers zu betrachten.

Im einzelnen handelt es sich um Wahrnehmungen der dienstrechtlichen Stellung, um die Höhe der Arbeitsbelastung und des Betreuungsaufwandes sowie um Faktoren der Aus- und Fortbildung, der wissenschaftlichen Betreuung und der Anerkennung der eigenen Person und Funktion durch Kollegen, Vorgesetzte und Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der Schule.

Übersicht 1: Allegmeine Rahmenmodell zur Lehreruntersuchung

"OBJEKTIVE" RAHMENBEDINGUNGEN DER VERSUCHSARBEIT FÜR DIE LEHRPERSON

FÖRDERNDE UND RESTRINGIERENDE UMWELTBEDINGUNGEN DER VERSUCHSARBEIT (WAHRNEHMUNGSEBENE)

INDIKATOREN DER QUALITÄT DER VERSUCHSARBEIT

A) Bedingungen der Umwelt

- Allgemeine Rahmenbedingungen des Schulversuchs

(Bundesland, Region, Versuchsmodell usw.)

- Schulmerkmale

(Schulform, Schülerzahl, Ausstattung, Reformtradition usw.)

- Klassenmerkmale

(Schulstufe, Klassenschülerzahl, Anteil behinderter Kinder, Art der Behinderungen, erzieherisch relevante Merkmale der Nichtbehinderten Kinder)

B) Bedingungen der Lehrperson

- Personmerkmal

(Alter, Geschlecht)

- Ausbildung und Erfahrung

(Lehramt, Ausbildung, Berufs- und Integrationserfahrung usw.)

- Funktion in der Versuchsklasse

(Klassenführung, Stützlehrer, Unterrichtete Stunden / Gegenstände usw.)

A) Allgemein

- Dienst- und besoldungsrechtliche Nachteile durch die Arbeit im Schulversuch

B) Arbeitsaufwand

- Zeitlicher Aufwand für die Tätigkeit im Schulversuch (Zeitbudget)

- Zusätzlicher Betreuungsaufwand für die behinderten Kinder

C) Umwelt

- Qualität der Ausbildung

- Fortbildungsangebot

- Wissenschaftliche Betreuung

- Supervisionsangebote

- Qualität der Lehrerkooperation in der SV-Klasse

- Wertschätzung und Unterstützung bzw. Behinderung der Versuchsarbeit durch Schulaufsicht, Schulleitung, Kollegenschaft, Eltern

A) Belastungsfaktoren

- im Unterricht

- im Zusammenhang mit dem Schulversuch allgemein

B) Faktoren der Befriedigung und Bereicherung

- im Unterricht

- Im Zusammenhang mit dem Schulversuch allgemein

C) Förderung und Integeration der einzelnen behinderten Kinder

D) Erfolgsprofile und Problemwahrnehmungen

E) Summative Bewertungen

- Bewältigungskompetenz

- Zufriedenheit

- Engagement

- Grundsätzliche Einstellungen zur Integration

  • In der dritten Spalte finden sich diejenigen Merkmale, die im Rahmen des Modells letztlich als Kriterien dafür betrachtet werden, wie gut das soziale und pädagogische Arrangement in der Klasse "funktioniert":

  • Stehen für den Lehrer bei der Bewertung seiner Arbeit eher Belastungsaspekte im Vordergrund oder sieht er sich durch seine Tätigkeit im Schulversuch eher befriedigt und bereichert? Welche Rolle spielen dabei einzelne Aspekte seiner Tätigkeit?

  • Wie gut gelingen Förderung und soziale Integration der behinderten, aber auch der nichtbehinderten Schüler ?

  • In welchen Aspekten ihrer Tätigkeit fühlen sich die Lehrer eher erfolgreich, und wo nehmen sie Defizite und Probleme wahr ?

Schließlich finden sich in dieser Gruppe eine Reihe von allgemeinen Einschätzungen der eigenen Problembewältigungskapazität, der Arbeitszufriedenheit sowie der Bereitschaft zu weiterem Engagement im Bereich des gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nichtbehinderte Kinder.

Die hier kurz dargestellten Merkmalsdimensionen wurden im Rahmen eines 20-seitigen Fragebogens teils als Einzelitems, teils in der Form von theoretisch konzipierten Skalen erfaßt. Letztere wurden faktorenanalysiert und in homogene Bereichsscores transformiert. In der folgenden Aufstellung wird die inhaltliche Bedeutung der gebildeten Skalen kurz erläutert. Zu berücksichtigen ist, daß nur ein Teil dieser Dimensionen auch Gegenstand der Analyse im Text selbst sein wird. Einen vollständigen Überblick über die Einzelitems, die Konstruktion der Skalen und deren Grundauszählung, aufgegliedert nach Versuchsmodellen, findet sich im Anhang.

Übersicht 2: Kurzcharakterisierung der verwendeten Skalen und Scores, in der Reihenfolge der Themenbereiche des Lehrerfragebogens (s. Anhang)

Skalenbezeichnung

Inhaltliche Tendenz

Items

r tt

 
         

Nichtbehinderte- Problemschüler

Eingeschätzter Anteil von Schülern mit ungünstigen erzieherischen Voraussetzungen an der Gruppe der nichtbehinderten Schüler in der Klasse

4

.58

 

Nichtbehinderte - Unproblematische

Eingeschätzter Anteil von Schülern mit günstigen erzieherischen Voraussetzungen an der Gruppe der nichtbehinderten Schüler in der Klasse

3

.57

 

Nichtbehinderte - Problempotential

Gesamtscore aus den beiden obigen Skalen, wobei die Items der Skala "Nichtbehinderte - Unproblematische" umgepolt wurden

7

.69

 

Kooperation - Qualität gesamt

Einschätzung der Qualität der Kooperation zwischen den Lehrern der Versuchsklasse anhand verschiedener Indikatoren

12

.89

 

Supervision - Nützlichkeit

Ausmaß, in dem Supervision für Integrationslehrer unter verschiedenen Gesichtspunkten als nützlich angesehen wird

3

.75

 

Weiterbildung - Verwertung des Angebots

Ausmaß, in dem verschiedene Formen der Lehrerfortbildung in der Vergangenheit wahrgenommen und als nützlich empfunden wurden

9

.74

 

Fortbildung erwünscht - konventionell

Ausmaß, in dem Formen der Fortbildung erwünscht und gefordert werden, die auf die konkreten Inhalte und Aufgaben des integrativen Unterrichts bezogen sind (z.B. Unterricht nach unterschiedlichen Lehrplänen, verbale Beurteilung usw.)

5

.72

 

Fortbildung erwünscht - alternativ

Erwünschte Fortbildung in "neuen", "alternativen" Unterrichtsmethoden (z.B. Montessori, Freinet usw.)

3

.65

 

Fortbildung erwünscht - Sonderpädagogik

Erwünschte Fortbildung in sonderpädagogischen Inhalten

2

.73

 

Fortbildung erwünscht - Soziales Lernen

Erwünschte Fortbildung in sozialen Lernformen, Gruppendynamik und Selbsterfahrung

4

.74

 

Fortbildung erwünscht - Gesamtscore

Ausmaß des allgemeinen Fortbildungsbedürfnisses - Gesamtscore über alle Items der o.a. Subskalen hinweg

14

.82

 

WB-Betreuung - Gesamtscore

Wahrgenommene Intensität der Betreuung durch die wissenschaftliche Begleitung in Relation zu den eigenen Betreuungsbedürfnissen

9

.91

 

Schule - Status des Schulversuchs

Ausmaß der Anerkennung und Akzeptierung, das die Versuchslehrer von Seiten der Schulleitung und der nicht am Schulversuch beteiligten Kollegen erfahren - "Integration der Integration"

15

.88

 

Schlechte materielle Ausstattung

Einschränkung des pädagogischen Handlungsspielraumes durch ungenügende Ausstattung und fehlende Lernmaterialien für den integrativen Unterricht

2

.89

 

Elternprobleme

Überhöhte Erwartungen / negative Einstellungen der Eltern behinderter und nichtbehinderter Kinder

4

.62

 

Befriedigung und Belastung

Befriedigung und Belastung durch die Arbeit im Schulversuch wurden über die wortidente Vorgabe von insgesamt 23 möglichen Tätigkeits- bzw. Aufgabenbereichen erfaßt. Für jede der folgenden inhaltlichen Subscores existiert also sowohl ein Befriedigungswert als auch ein Belastungswert.

     

*Unterrichtsbezogene Tätigkeiten

Belastung und Befriedigung im Unterricht und in der Unterrichtsvorbereitung für die Versuchsklasse

9

.75

 

*Außenkontakte

Belastung und Befriedigung im Zusammenhang mit der Außenvertretung des Schulversuchs gegenüber Schulaufsicht, Schulleitung, WB usw.

5

.63

 

*Bürokratie

Belastung und Befriedigung durch organisatorische und bürokratische Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schulversuch

2

.72

 

*Elternarbeit

Belastung und Befriedigung im Rahmen der Arbeit mit Eltern von behinderten und nichtbehinderten Kindern.

2

.67

 

*Klimapflege

Belastung und Befriedigung im Bemühen um die Herstellung eines förderlichen integrativen Sozialklimas in der Versuchsklasse

4

.71

 

*Öffentlichkeitsarbeit

Belastung und Befriedigung durch Überzeugungsarbeit für die Ziele des Schulversuchs in der Öffentlichkeit

2

.67

 

Belastungssumme / Befriedigungssumme (Gesamtscore)

Gesamtscore über sämtliche Items der o.a. Subskalen hinweg: Gesamtausmaß der Belastung bzw. Befriedigung im Schulversuch

24

.85

 

Erfolg - Förderung

Einschätzung, in welchem Maß es in der eigenen Versuchsklasse gelungen ist, alle Kinder optimal zu fördern

5

.73

 

Erfolg - Klima und Motivation

Einschätzung, in welchem Maße es in der eigenen Versuchsklasse gelungen ist, ein förderliches Sozialklima herzustellen und die Lernmotivation der Kinder anzuregen

5

.81

 

Erfolg - Lehrerkooperation

Einschätzung, in welchem Maße es gelungen ist, eine tragfähige Zusammenarbeit zwischen den Lehrern der Versuchsklasse herzustellen

3

.77

 

Erfolg - Gesamtscore

Summenscore über sämtliche Erfolgsitems der o.a. drei Dimensionen. Indiziert das Gesamtausmaß, in dem die wesentlichen Ziele des Schulversuchs in der eigenen Versuchsklasse erreicht wurden

13

.87

 

Neben den zusammenfassenden Scores, die oben dargestellt wurden, spielen in der Ergebnisdarstellung eine Reihe von Einzelitems eine wichtige Rolle, die im folgenden kurz beschrieben werden. Es handelt sich dabei insbesondere um synoptische Einschätzungen zu unterschiedlichen Themen, bei denen jeweils eine 9-stufige Skala vorgegeben war.

Ausbildung: Zufriedenheit insgesamt

Einschätzung der Qualität der regulären Lehrerausbildung im Lichte der heutigen Tätigkeit im Schulversuch - 9-stufige Skala zwischen "sehr gut" (9) und "völlig unzureichend" (1)

Fortbildung: Zufriedenheit insgesamt

Beurteilung des gegenwärtig verfügbaren Fortbildungsangebots auf einer 9-stufigen Skala (wie oben)

Kooperation: Zufriedenheit insgesamt

Zufriedenheit mit der Kooperation zwischen den Lehrern der Versuchsklasse. 9-stufige Skala zwischen den Polen "sehr zufrieden" (+4) und "sehr unzufrieden" (-4)

Bewältigungszuversicht: Vor Beginn der SV-Tätigkeit

Sicherheit und Zuversicht im Hinblick auf die Bewältigung der Aufgaben im Schulversuch, vor Beginn der Schulversuchstätigkeit - retrospektive Einschätzung auf einer 9-stufigen Skala zwischen den Polen "sehr hohe Sicherheit und Zuversicht" (9) und "sehr geringe Sicherheit und Zuversicht" (1)

Bewältigungszuversicht: Heute

Wie oben, aber Einschätzung bezogen auf die gegenwärtige Situation

Bewältigungszuversicht: Entwicklung

Differenz der Werte zwischen der gegenwärtigen und der ursprünglichen Bewältigungszuversicht (s.o.). Dieser Wert wurde nicht im Fragebogen erfragt, sondern aufgrund der obigen Angaben berechnet. Der theoretische Wertbereich von -8 bis +8 wurde durch Addition der Konstanten 8 auf den Bereich von 0-16 transformiert.

WB- Betreuung: Zufriedenheit insgesamt

Zufriedenheit mit der Betreuung durch die WB. 9-stufige Skala zwischen den Polen "sehr zufrieden" (+4) und "sehr unzufrieden" (-4)

Belastung insgesamt

Einschätzung der eigenen Belastung durch die Tätigkeit im Schulversuch. 9-stufige Skala zwischen den Polen "sehr hohe Belastung" (9) und "keine Belastung" (1)

Befriedigung insgesamt

Wie oben "Belastung insgesamt"

Netto-Befriedigung

Differenzwert zwischen Befriedigung und Belastung insgesamt. Dieser Wert wurde nicht im Fragebogen erfragt, sondern aufgrund der obigen Angaben berechnet. Der theoretische Wertbereich von -8 bis +8 wurde durch Addition der Konstanten 8 auf den Bereich von 0-16 transformiert.

Wertschätzung: Zufriedenheit insgesamt

Wahrgenommene Unterstützung und Wertschätzung durch Schulleiter, Kollegen, Eltern und Öffentlichkeit. 9-stufige Skala zwischen den Polen "sehr hohe Unterstützung und Wertschätzung" (9) und "sehr geringe Unterstützung und Wertschätzung" (1)

Erfolg: Zufriedenheit insgesamt

Gesamtbilanz des Erfolgs des Schulversuchs in der eigenen Versuchsklasse, gemessen an den eigenen Idealvorstellungen. Skala von "sehr erfolgreich" (9) bis "nicht erfolgreich" (1)

Die übrigen, in diesem Bericht behandelten Instrumente werden jeweils dort besprochen, wo sie behandelt werden.

2.4 STICHPROBE UND DURCHFÜHRUNG DER BEFRAGUNG

Im Frühjahr 1991 wurden die Versuchsbetreuer der einzelnen Bundesländer gebeten, dem Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung die Anschriften sämtlicher Versuchsstandorte und die zugehörige Zahl der Klassen in ihrem jeweiligen Bereich zur Verfügung zu stellen.

Daraufhin wurden die Leiter dieser Schulstandorte angeschrieben, auf die bevorstehende Lehrerbefragung aufmerksam gemacht und gebeten, einen kurzen Schulleiterfragebogen (s. Anhang) auszufüllen, in dem einige Rahmendaten über die Gemeinde, die Schule und die Versuchsklassen erhoben wurden. Unter anderem wurde dabei nach der Anzahl der in den einzelnen Versuchsklassen unterrichtenden Lehrer gefragt, um so den Bedarf an Lehrerfragebogen abschätzen zu können. Leider hat gerade diese Frage häufig zu Mißverständnissen geführt, weil manche Schulleiter die Werk- und Religionslehrer nicht mitzählten.

Die infolge dessen häufige Unklarheit bezüglich der Lehrerzahl in den einzelnen Klassen führte dazu, die Zahl der an den Klassen verteilten Fragebogen - jedenfalls für die Volksschulklassen - zu standardisieren:

  • Jede Volksschulklasse (mit Ausnahme der Bundesländer Wien und Steiermark, s.u.) erhielt 3 Fragebogen, und zwar je einen für den Klassenlehrer, einen für den Begleitlehrer und einen für einen Religions- bzw. Werklehrer, wobei der dritte Fragebogen abwechselnd ausdrücklich an den Religions- bzw. Werklehrer adressiert wurde.

  • In einer Teilstichprobe, nämlich in den Integrations- und Stützlehrerklassen Wiens und der Steiermark wurde versucht, sämtliche in den Klassen tätigen Lehrer zu erreichen, indem in jeder Klasse 6 Fragebogen verteilt wurden.

  • Bei den Hauptschulklassen orientierten wir uns entweder an den Angaben der Schulleiter im Fragebogen oder versuchten, die Lehrerzahl noch einmal telephonisch zu eruieren. Dadurch variiert die Zahl der verteilten Fragebogen bei den HS-Klassen zwischen 5 und 11.

Die Fragebögen wurden zentral an die jeweiligen Schulleitungen verschickt mit der Bitte, Verteilung und Rücksendung zu organisieren. Die Lehrer erhielten ihre Fragebögen zusammen mit einem Anschreiben (s. Anhang), sowie einem Kuvert. Sie wurden ausdrücklich aufgefordert, dieses Kuvert bei Rückgabe des Fragebogens zu verschließen, um absolute Vertraulichkeit der Angaben zu gewährleisten.

Bei der Lehrerbefragung handelt es sich also de facto um eine Totalerhebung aller zum Untersuchungszeitpunkt in einer Versuchsklasse nach §131a SchOG unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer. Insgesamt wurden an 406 Klassen aus allen Bundesländern 1684 Fragebogen versandt. Dabei übersteigt die Zahl der Fragebogen, die verschickt wurden aus mehreren Gründen deutlich, aber in nicht genau bestimmbarem Ausmaß die Zahl der tatsächlich in den Versuchsklassen unterrichtenden Lehrer:

  • Jeder der 140 Stützlehrerklassen ging ein eigener Fragebogen für den in der Klasse tätigen Stützlehrer zu. Tatsächlich unterrichten aber viele Sonderschullehrer in mehreren Versuchsklassen gleichzeitig als Stützlehrer, so daß ein Teil dieses Personenkreises mehrere Fragebogen erhalten, aber nur einen retourniert hat.

  • Die an die etwa 100 Volksschulklassen in Steiermark und Wien verschickten 6 Fragebogen stellen ein absolutes Maximum dar, das nur in Ausnahmefällen tatsächlich realistisch gewesen sein dürfte. Im Normalfall unterrichten höchstens 4 Lehrer an einer Volksschulklasse.

  • Schließlich dürften auch viele Fragebogen, die an Hauptschulen verschickt worden waren, keinen wirklichen Adressaten gefunden haben. Viele der hier unterrichtenden Lehrer, etwa solche, die in den Leistungsgruppen unterrichten, dürften mit dem Schulversuch im eigentlichen Sinne kaum in Berührung kommen und sich infolge dessen auch durch die Befragung nicht angesprochen gefühlt haben.

Aus diesen und einigen anderen, weniger ins Gewicht fallenden Gründen ist die eigentliche Stichprobengröße bei maximal 1500 Lehrern anzusetzen.

2.5 RÜCKLAUF DER LEHRERBEFRAGUNG

Tab. 2 zeigt Stichprobengröße (verschickte Fragebogen) und Rücklauf für Klassen und Individuen, aufgegliedert nach dem Versuchsmodell.

 

FK

IK

SL

KK

Gesamt

         
 

Kl.

L.

Kl.

L.

Kl.

L.

Kl.

L.

Kl.

L.

Stichprobe

38

149

129

678

192

712

47

145

406

1684

Rücklauf

Prozent

35

92.1

80

53.7

124

96.1

367

53.7

140

70.8

296

40.7

33

70.2

45

31.0

332

80.8

788

46.3

Wie Tab. 2 zeigt, war der Rücklauf aus den verschiedenen Versuchsmodellen unterschiedlich. Während aus den Modellen Integrative Klasse und Kleinklasse jeweils über 90% der Klassen erreicht werden konnten, waren es unter den Klassen mit Stützlehrern und den Kooperativen Klassen nur jeweils knapp über 70%.

Eine weitere Charakterisierung der tatsächlichen Untersuchungsstichprobe (rückgesendete Fragebogen) nach einigen interessierenden Merkmalen zeigen die einzelnen Grafiken in

Abb. 1.

Die Schaubilder geben folgende bemerkenswerte Tendenzen wieder:

  • Knapp vier Fünftel der antwortenden Lehrer entstammen dem Volksschulbereich, 21% der Hauptschule. Dies bedeutet eine leichte Überrepräsentation der HS-Lehrer gegenüber dem HS-Anteil an den Klassen (16%), die durchaus erwünscht ist: Damit besitzen wir doch bereits eine gewisse quantitative Basis für Aussagen über die Integrationsversuche im Hauptschulbereich, die angesichts der zunehmenden Zahl von Integrationsklassen, die das Hauptschulalter erreichen, von einiger Bedeutung sein dürften.

  • Wie insgesamt im Schulwesen (besonders aber im VS-Bereich), ist die Lehrerschaft der integrativen Schulversuche sehr stark weiblich dominiert. Nur 17% der Stichprobe sind Männer.

  • In Bezug auf das Alter dominiert die Gruppe der 30-40-jährigen mit 44%. Die jüngste Gruppe der 20-30-jährigen ist mit 25% die zahlenmäßig schwächste. Immerhin 31% der Versuchslehrer in der Stichprobe sind älter als 40 Jahre.

  • Da zwischen den hier definierten vier Lehramtsgruppen natürlich Überschneidungen vorkamen, haben wir folgendes Klassifikationsverfahren benutzt: Ausgehend von einer unterstellten Hierarchie der Lehrämter in der Reihenfolge RL/WK - VS - HS - SOL, haben wir jede Lehrperson nach ihrem jeweils "höchsten" Lehramt klassifiziert. Ein Sonderschullehrer mit HS-Lehramt ist in diesem Sinne also dem Sonderschullehramt zugeordnet worden. Es zeigt sich demnach, daß immerhin 30% der im Schulversuch unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer eine qualifizierte sonderpädagogische Ausbildung aufweisen. Das dürfte bedeuten, daß über die Lehrer mit Stütz- und Begleitlehrerfunktion in integrativen und Stützlehrerklassen hinaus ein recht großer Anteil der Pädagogen als Sonderschullehrer ausgebildet ist. Dies und die offenen Angaben auf die Frage nach den Qualifikationen und Zusatzqualifikationen (ohne Tabelle) deutet darauf hin, daß in den Versuchsklassen weit überdurchschnittlich qualifiziertes Personal arbeitet.

  • Die Zusammensetzung der Lehrer nach Versuchserfahrung dürfte weitgehend ein Spiegelbild der Geschichte des Schulversuchs selbst sein: Fast die Hälfte der Lehrer befindet sich im 1. Jahr des Schulversuchs - kann also folglich noch als recht unerfahren im Hinblick auf diese Aufgabe angesehen werden. Im Zweiten Versuchsjahr befinden sich 24%, im dritten 15%, und 12% haben bereits über drei Jahre Erfahrung im gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder. Wir haben es also mit einer Stichprobe von Lehrern zu tun, die sich zum größten Teil noch selbst im Stadium der Erprobung ihrer eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen für diese Aufgabe befinden.

  • 63% der Lehrer unserer Stichprobe sind auf eigenen Wunsch im Schulversuch tätig. Dieser Anteil scheint überraschend klein, wenn man die intensiv geführten Diskussionen darüber vor Augen hat, ob integrativer Unterricht nur freiwilligen Lehrern übertragen werden sollte. Hoch ist der Anteil an nicht freiwillig im Schulversuch unterrichtenden Lehrer vor allem in zwei Bereichen: Zum einen in Stützlehrerklassen an Hauptschulstandorten, wo insbesondere die Lehrer in den Leistungsgruppen ohne expliziten Eigenwunsch unterrichten (61% unfreiwillig) und zum anderen bei den Werk- und Religionslehrern (73% unfreiwillig), die offenbar häufig gewissermaßen in die Versuchsklassen delegiert werden.

  • 28% der befragten Versuchslehrer schließlich sind am Aufbau des Schulversuchs an ihrer Schule unmittelbar beteiligt gewesen, bilden also sozusagen das Intensivsegment der integrationsengagierten Lehrer.

Zusammenfassend läßt sich die Stichprobe vereinfacht folgendermaßen beschreiben: Es handelt sich überwiegend um Frauen mittleren Alters, die überdurchschnittlich qualifiziert und engagiert im Sinne der Ziele des Schulversuchs sind. Allerdings ist eine nicht unbeträchtliche Minderheit von ihnen nicht freiwillig im Schulversuch tätig, so daß sich unter anderem näher untersuchen lassen wird, welche Rolle die Freiwilligkeit für die selbstperzipierten Erfahrungen im Schulversuch spielt.

2.6 DIE ERHEBUNG DER BEHINDERTEN KINDER IN DEN VERSUCHSKLASSEN

Parallel zur Durchführung der Lehrerbefragung erfolgte eine Erhebung sämtlicher behinderter Kinder, die zum Zeitpunkt dieser Untersuchung in den Versuchsklassen integriert wurden. Die Erfassung erfolgte in der Regel durch die wissenschaftlichen Betreuer des Schulversuchs in den Bundesländern anhand eines Erhebungsblattes, das im Anhang abgedruckt ist.

Erfaßt wurden von jedem integrierten Kind:

  • Identifikationsvariablen Schule, Klasse, Geburtsdatum und Geschlecht, sowie die Initialen des Vor- und Zunamens;

  • Eine Grobklassifikation der Behinderung(en) des Kindes anhand vorgegebener Kategorien;

  • Offene Angaben über die Manifestationsformen der Behinderung;

  • Angabe des Lehrplanes (bzw. der Lehrpläne), nach denen das Kind in der Versuchsklasse unterrichtet wird;

  • Angaben über den zusätzlichen Förderbedarf des Kindes und über das eingeschätzte Ausmaß der Realisierung dieser Fördermaßnahmen zum Zeitpunkt der Erhebung.

Ziel dieser Erhebung war es

  • einen statistischen Überblick über die in den Versuchsklassen integrierten behinderten Kinder, sowie eventuelle regionale und modellspezifische Unterschiede zu gewinnen;

  • Hinweise über die Betreuungsdichte und den Bedarf an therapeutischem Zusatzpersonal an Schulen mit gemeinsamem Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder zu erhalten;

  • Die Zusammensetzung der Versuchsklassen im Hinblick auf die Behinderungen der Kinder auch unabhängig von den dort unterrichtenden Lehrern zu erfassen.

Insbesondere im Zusammenhang mit dem zuletzt genannten Ziel ergeben sich wichtige Querverbindungen zur Lehrerbefragung: Für die Lehrer an den Versuchsklassen stellen die Behinderungen der Kinder, vor allem auch in ihrer Kombination miteinander, eine wichtige Rahmenbedingung ihrer Tätigkeit dar. Die Erhebung der behinderten Kindern über die Versuchsbetreuer in den Bundesländern hatte daher auch die Funktion, Merkmale der Klassenzusammensetzung unabhängig von den Lehrern zu erfassen und diese im Rahmen der Lehrerbefragung in ihrer Bedeutung für die Problemwahrnehmungen der Lehrer zu analysieren. So sollte etwa differenziert der Frage nachgegangen werden, mit welchen Behinderungsformen Lehrer im Rahmen des integrativen Unterrichts gut zurecht kommen und bei welchen Kindern eher Probleme auftreten.

Die Fragestellungen im Zusammenhang mit dieser Erhebung werden aber im Rahmen des vorliegenden Berichtes nicht behandelt werden. Die differenzierte Auswertung dieses Teils der Untersuchung erfordert einen eigenen Kontext und wird daher getrennt von der Lehreruntersuchung zu einem späteren Zeitpunkt publiziert werden.

Tab. 3 gibt einen Überblick über die Klassen und Kinder, die im Rahmen dieses Teils der Untersuchung erfaßt wurden

Insgesamt 1158 behinderte Kinder aus 331 Versuchsklassen wurden im Rahmen dieser Erhebung erfaßt. Aus 279 Klassen liegen sowohl Angaben über die behinderten Kinder als auch Daten aus der Lehrerbefragung vor, die zueinander in Beziehung gesetzt werden können.

Klassen insgesamt

(Grundgesamtheit)

Stichprobe

Klassen mit Lehrerbefragung

 

Klassen

Kinder

   

406

331

1158

279

Die Differenz zwischen den 406 Klassen der Grundgesamtheit und den 331 erklärt sich zu etwa je einem Drittel aus folgenden Faktoren:

  • Eine erste Gruppe von Schulen/Klassen verweigerte die Mitarbeit sowohl an der Lehrerbefragung als auch an der Erhebung der behinderten Kinder. Die hierfür genannten Gründe waren meist entweder Mißtrauen in die Anonymität bzw. Vertraulichkeit der Datenbehandlung, zum anderen wurde geltend gemacht, daß es sich in den betroffenen Klassen um keinen Schulversuch nach §131a SchOG handle, obwohl diese Behauptung nach Angaben der Versuchsbetreuer in den Bundesländern unrichtig war.

  • Einer zweiten Gruppe von Klassen gehören formal keine behinderten Kinder an. Hier handelt es sich insbesondere um Regelschulklassen, die im Rahmen des Kooperativen Modells mit Sonderschulklassen kooperieren, aber auch um einige Schulen, die sich selbst dem Stützlehrer-Modell zuordnen, in denen aber de facto eine angeschlossene Sonderschulklasse mit den Regelklassen einer Jahrgangsstufe kooperiert. Diese Konstruktion findet sich z.B. an einigen Schulen des Bundeslandes Salzburg.

  • Schließlich konnte in einigen wenigen Klassen die Erhebung der behinderten Kinder aus Gründen der arbeitsmäßigen Überlastung der Versuchsbetreuer nicht rechtzeitig durchgeführt werden.

Zur Abrundung der Stichprobenbeschreibung dieses Teils der Untersuchung ist in Tab. 4 die Verteilung über die vorgegebenen Behinderungsarten wiedergegeben. Die Prozentwerte addieren sich dabei auf mehr als 100, da die Kategorien nicht disjunktiv waren.

Behinderungsart

Häufigkeit

 

absolut

Prozent

 

lernbehindert

727

62.8

sprachgestört

397

34.3

schwerhörig

60

5.2

gehörlos

14

1.2

körperbehindert

123

10.6

sehbehindert

109

9.4

blind

2

0.2

verhaltensauffällig

278

24.0

geistig behindert

204

17.6

andere

392

33.9

2.7 LEITPERSPEKTIVEN DER DARSTELLUNG

Eine Untersuchung im Umfang der hier vorliegenden ist nie vollständig und umfassend darzustellen. Die Auswahl der darzustellenden Ergebnisse muß sich, je nach dem vorherrschenden Erkenntnisinteresse, entweder an den aus einer Theorie abgeleiteten Hypothesen, oder aber an den praktisch-politischen Problemen orientieren, die die Untersuchung angeregt haben.

Da es primäres Ziel der Untersuchung und dieser Arbeit ist, Informationen für eine Optimierung der Rahmenbedingungen des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nichtbehinderter Rahmenbedingungen bereitzustellen, wird sich die Ergebnisdarstellung weniger an theoretischen als an praktisch-politischen Fragen der Umsetzung integrativer Zielsetzungen in praktikable Organisationsformen orientieren.

Die Darstellung wird daher einer Reihe von Leitthemen folgen, die in erster Linie Fragen der Rahmenbedingungen des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nichtbehinderter Kinder behandeln. Problemstellungen, die mit der inneren, pädagogischen Gestaltung von Schulklassen mit behinderten und nichtbehinderten Kindern in Zusammenhang stehen, hoffen wir in einem späteren Bericht noch behandeln zu können.

Das folgende 3. Kapitel versucht zunächst, einige allgemeine Grundtendenzen der Rezeption des Schulversuchs aus der Sicht der diesen Versuch tragenden Lehrer zu skizzieren. Wir werden hier ohne weitere Aufgliederung die Grundauszählungen einiger uns zentral erscheinender Variablen präsentieren, die ein Bild davon entwerfen, wie die Lehrer in den Versuchsklassen ihre Lage zum Zeitpunkt der Untersuchung schildern. Dabei wird sich zeigen, daß die überwiegende Mehrheit der Versuchslehrer Programmatik und Zielsetzungen des Integrationsversuchs engagiert mitträgt, daß jedoch Enttäuschung und Frustration über eine Reihe von Rahmenbedingungen der Arbeit nicht übersehbar sind.

Das 4. Kapitel wird sich zunächst mit den im Rahmenplan vorgezeichneten und gegenwärtig im Versuchsstadium befindlichen Modellvarianten auseinandersetzen und deren jeweilige Chancen, Probleme und Risiken aus der Sicht der Lehrer beleuchten. Die Fragestellung, die hier im Mittelpunkt steht ist die, in welchem der gegenwärtig praktizierten vier Versuchsmodelle sich die dort unterrichtenden Lehrer subjektiv am wohlsten fühlen, wo sie am ehesten glauben, die eigenen Vorstellungen von integrativem Unterricht verwirklichen zu können und wo sie, gemessen an ihren eigenen Zielsetzungen am erfolgreichsten arbeiten. Obwohl die Lehrersicht für die Beurteilung unterrichtsorganisatorischer Rahmenbedingungen nicht alleine ausschlaggebend sein kann, erscheint es für die zukünftige Planung integrativer Schulen doch nicht unwesentlich, welche Chancen und Probleme eines Rahmenmodells Pädagogen sehen, die hier über mehr oder weniger lange Unterrichtserfahrung verfügen.

Das Kapitel umfaßt drei Teile: Im ersten, unmittelbar vergleichenden Teil (4.3) werden subjektive Befindlichkeiten, Erfolgseinschätzungen und Problemwahrnehmungen der Lehrer in den verschiedenen Modellen einander gegenübergestellt. Der zweite Teil (4.4) versucht unter zusätzlicher Miteinbeziehung von qualitativem Material aus der Lehrerbefragung zu einer Gesamtcharakterisierung der Chancen und Probleme der vier Modellvarianten vorzudringen. Im dritten Teil (4.5) schließlich stellen wir grundsätzliche Überlegungen zur Bewertung der gefundenen Ergebnistendenzen an. Die Fragestellung, die dabei im Vordergrund steht, ist, ob die sich in der Lehrerbefragung abzeichnende Überlegenheit voll-integrativer Organisationsformen auf strukturelle Bedingungen dieser Modellvarianten zurückzuführen ist, oder ob sie eher auf historischen Zufälligkeiten mentaler Strukturen der Lehrerschaft beruht. Dabei stellen wir unsere Ergebnisse der Lehrerbefragung in den größeren Kontext theoretischer Ansätze und empirischer Studien über die erzieherischen Wirkungen von Integration und Segregation in der Schule.

Die Ergebnisse dieses Kapitels geben gleichzeitig einige Hinweise zur Klärung von zwei weiteren aktuellen Themen und Problemen:

  • Der Konflikt zwischen den Prinzipien der wohnortnahen Integration und der optimalen Förderung behinderter Kinder ist unter Planern und Praktikern integrativer Schulen ein vieldiskutiertes Problem: Vor allem in ländlichen Regionen stellt sich bei der Einrichtung von Integrationsklassen oft die Frage, ob einzelne behinderte Kinder am Wohnort integriert werden sollen, oder ob Integrationsklassen eher zentral ein weiteres Einzugsgebiet versorgen sollen. Diese Frage ist deshalb schwierig zu entscheiden, weil die vordergründig pädagogisch wertvoller erscheinende wohnortnahe Integration zumeist mit einem gravierenden Nachteil erkauft werden muß: Aus ökonomischen Gründen kann für ein einzelnes integriertes Kind nicht über die volle Unterrichtszeit ein Begleitlehrer zum Klassenlehrer zur Verfügung gestellt werden, so daß eine optimale Förderung und Betreuung unter Umständen nicht gewährleistet ist. Integrative Klassen, die behinderte Kinder aus einem weiteren Einzugsgebiet betreuen, weisen dagegen eher jenen Betreuungsbedarf auf, der eine zweite Vollzeitlehrkraft rechtfertigt und damit eine bessere Förderung der Kinder ermöglicht. Dieser Konflikt ist sicherlich nicht schematisch zu lösen. Seine beste Lösung wird, wie so vieles in diesem Bereich, von den ganz spezifischen Bedingungen "vor Ort" abhängen. Dennoch kann es hilfreich für eine solche Entscheidung sein, aus der Lehrersicht das Problempotential von Klassen, die nach dem Stützlehrermodell organisiert sind (wohnortnahe Integration) jenem von Integrationsklassen vergleichend gegenüberzustellen, die im Zweierteam geführt werden.

  • Sozusagen "en passant" liefern unsere Ergebnisse zum Modellvergleich auch interessante Hinweise zu einer Frage, die gegenwärtig Gegenstand heftiger Kontroversen ist. Wenn das "Recht auf Integration" für behinderte Kinder und ihre Eltern gesetzlich stärker verankert wird, dann wird dieses Recht voraussichtlich in einen an Intensität zunehmenden Konflikt treten mit dem Anspruch vieler Lehrer, nur auf freiwilliger Basis in integrativen Klassen zu unterrichten. Auch wenn dieser Anspruch unter den Bedingungen einer Überführung des Schulversuchs ins Regelschulwesen nur schwer rechtlich durchsetzbar sein dürfte, erhebt sich doch die pädagogisch relevante Frage, ob ein hochwertiger integrativer Unterricht mit Lehrpersonen zu verwirklichen ist, die sich nicht zum Geist dieses erzieherischen Prinzips eindeutig bekennen. Letztlich geht es hier darum, ob, bzw. in welchem Maße das integrative Prinzip "selbsttragend" ist insofern, als positive erzieherische Wirkungen auch unabhängig von den Einstellungen des Lehrers zu erwarten sind oder/und die konkrete Praxis des Unterrichts motivierende Effekte auf den Lehrer hat. Diese Fragen können mit Hilfe einer Survey-Untersuchung an Lehrern natürlich nicht letztlich beantwortet werden. Erste Anhaltspunkte können aber Vergleiche der Befindlichkeit, Motivation und Erfolgseinschätzung zwischen Lehrern geben, die auf eigenen Wunsch bzw. per Abordnung in den Schulversuch eingetreten sind.

Ein weiterer Komplex von Rahmenbedingungen des Schulversuchs wird in Kapitel 5 behandelt: Hier geht es um Aus- und Fortbildung von Integrationslehrern aus deren eigener Sicht und Erfahrung. Es besteht weitgehende Übereinstimmung darin, daß einer verbesserten, integrationsbezogenen Aus- und Fortbildung der Lehrer eine Schlüsselrolle für die erfolgreiche Übertragung des Schulversuchs in das Regelschulwesen zukommt, und daß Betreuungs-, Fortbildungs-, Organisations- und Koordinationsfunktionen durch wissenschaftliche Betreuungsstellen eher an Bedeutung gewinnen als verlieren werden. In diesem Kapitel wird untersucht, wie die Lehrer die derzeitigen Formen der Aus- und Fortbildung sowie der wissenschaftlichen Betreuung im Lichte ihrer bisherigen Erfahrungen und Bedürfnisse bewerten und welche inhaltlichen Erwartungen sie mit einer Verbesserung in diesen Bereichen verbinden. Gleichzeitig soll erkundet werden, ob es hinsichtlich der Bewertung von Ausbildung und Betreuung nennenswerte regionale (= bundesländerspezifische) Unterschiede gibt, die darauf hindeuten könnten, daß die diesbezüglich laufenden Bemühungen in einzelnen Ländern bereits erste Erfolge zeitigen. Solchen Ländern könnte dann eine Art Modellfunktion für die Weiterentwicklung der Integrationsprogramms zukommen.

Ein für viele Lehrer ähnlich wichtiges Problem wie das der Freiwilligkeit ist der Mangel an verfügbaren Möglichkeiten der Supervision. Die Schaffung von Gelegenheiten, Belastungen im Unterricht und Probleme der Kooperation in professionell geleiteten Supervisionsstunden unentgeltlich aufarbeiten zu können, gehört mit zu den häufigsten Forderungen der Integrationslehrer, die verständlicherweise von den finanzierenden Stellen eher mit Zurückhaltung rezipiert werden. In einem zweiten Teil des 5. Kapitels wird ein erster vorläufiger Ansatz zur Evaluation von Formen der Supervision versucht, wie sie gegenwärtig mancherorts angeboten werden. Wir versuchen der Frage nachzugehen, ob in Bezirken, in denen Supervision angeboten wird, in irgendeiner Weise positive Effekte bei denjenigen Lehrerinnen und Lehrern festzustellen sind, die Supervisionsmöglichkeiten wünschen und auch erhalten. Aus den Resultaten dieser Analyse werden einige vorsichtige und vorläufige Schlußfolgerungen gezogen.

2.8 ZUR DARSTELLUNGSFORM DER ERGEBNISSE

Der 20-seitige Fragebogen an die Lehrer enthielt eine Vielzahl von Items und Variablen und für die Ergebnisdarstellung stellt sich das Problem, wie man dem Leser die Logik und die Form der Erfassung aller Dimensionen transparent macht. Konventionellerweise beginnt ein solcher Untersuchungsbericht mit einer umfassenden Darstellung des Erhebungsinstrumentariums und der verwendeten Verfahren zur Datenreduktion sowie der daraus resultierenden Skalen und Scores.

Aufgrund der Komplexität des Untersuchungsansatzes, aber auch in Antizipation der Zielgruppe dieses Berichts, der sich vor allem an Praktiker und Planer, weniger an die "Scientific Community" richtet, verzichten wir hier auf ein solches, ausschließlich untersuchungsmethodisch orientiertes Kapitel, das, wenn man es den gebräuchlichen Standards entsprechend aufbereiten wollte, einen großen Teil des verfügbaren Berichtsumfanges einnehmen würde.

Für eine Übersicht über das verwendete Untersuchungsinstrument als Ganzes sei hier statt dessen noch einmal auf die im Anhang abgedruckten Fragebogen verwiesen. Die Ergebnisse der Datenreduktion in der Form von Skalen und Indizes enthält die Datendokumentation im Anhang. Dort sind auch die Werte für die Trennschärfe der Items und die Reliabilität der einzelnen gebildeten Scores mit aufgeführt. Auf die Darstellung der Faktorenanalysen, die in vielen Fällen die Grundlage der Datenreduktion bildeten, müssen wir indessen hier verzichten.

Eine kurze Einführung in die einzelnen Variablenbereiche, die Dimensionen ihrer Erfassung und die Form ihrer Präsentation ist bereits im Abschnitt 2.3 Inhaltliche Schwerpunkte und Variablen gegeben worden und wird jeweils dort noch etwas näher ausgeführt, wo die einzelnen Variablen in der Ergebnisdarstellung erstmals aufscheinen.

Qualitative Äußerungen: Wie bereits erwähnt und aus dem Fragebogen ersichtlich, hatten die befragten Lehrpersonen die Möglichkeit, eigene, verbale Zusätze und Erläuterungen in den Fragebogen einzubringen. Es gab nicht wenige, die jede freie Stelle nutzten, um die vielen nackten Kreuzchen mit verbalem "Fleisch" anzureichern. Da gerade diese freien Zusatzäußerungen wesentliche Informationen für die Interpretation der Daten enthielten, wurden sämtliche dieser Zusatzäußerungen auf Datenträger gebracht und nach Themen und inhaltlichen Tendenzen geordnet. Insgesamt kamen so etwa 4500 Statements zusammen, die an die 80 Seiten füllen. Es handelt sich dabei um wertvolles Material, das, wenn man es sorgfältig liest, tiefe Einblicke in den Reiz, die Herausforderungen und die Probleme dieses Schulversuchs bietet. Im Rahmen der Ergebnisdarstellung werden an vielen Stellen solche qualitativen Zusatzäußerungen verwendet, um die quantitativen Ergebnisse zu veranschaulichen und zu interpretieren. Diese Äußerungen sind sprachlich unbearbeitet und werden in ihrer ursprünglichen Form wiedergegeben. Sie sind jedoch ergänzt durch Bundesland[7] und Modellvariante[8], jeweils in Klammern am Ende jedes Zitats. Zu berücksichtigen ist beim Lesen der Zitate, daß bei diesen Äußerungen kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden kann, da es im freien Ermessen des einzelnen Lehrers stand, solche Anmerkungen zu machen. Wir haben uns aber immer bemüht, sowohl den Grundtenor, als auch davon abweichende Einzeläußerungen in die Darstellung mitaufzunehmen.

Grafiken: Einfache Mittelwertvergleiche in der Form von Grafiken (z.B. Abb. 13, in 4.3.3.1 Qualität der Lehrerkooperation) haben im Rahmen dieses Berichtes eine einheitliche Form insofern, als der abgebildete Bereich der Skala begrenzt ist durch den Bereich von je einer Standardabweichung um den Gesamtmittelwert. Die Mitte der Y-Achse ist daher gleichzeitig der Mittelwert der Gesamtgruppe (einfache Linie). Die Y-Achse selbst ist jeweils viergeteilt, wobei jede Unterteilung einer halben Standardabweichung entspricht. Mit dieser Standardisierung soll erreicht werden, daß manipulative Tendenzen durch die willkürliche Spreizung oder Verengung der abgebildeten Skalenausschnitte vermieden werden und dennoch die gruppenspezifische Variation zum Ausdruck kommt, die häufig völlig nivelliert erscheinen würde, wenn der Gesamtbereich der Skala grafisch abgebildet würde. Werden mehrere Dimensionen gleichzeitig abgebildet (vgl. z.B. Abb. 21, in 5.2.2 Bewältigungskompetenz) ist diese Art der Standardisierung natürlich ebensowenig möglich wie bei der grafischen Darstellung von Prozentunterschieden (z.B. Abb. 7 - 11 in 4.3.1.1 Zielbereich Förderung ff). Hier ist im allgemeinen die Strategie gewählt worden, den Abbildungsbereich dem Bereich der empirischen Variation anzupassen, was einer grafischen Maximierung der Unterschiede gleichkomnmt.



[2] Allerdings wurden in einem gesonderten Teil der Untersuchung sämtliche behinderten Kinder in den Versuchsklassen, die Art ihrer Behinderung, die Lehrpläne, nach denen sie unterrichtet werden und ihr spezifischer Förderbedarf unabhängig von den Lehrerwahrnehmungen über die einzelnen Länderbetreuer erhoben, um so sowohl Fördermöglichkeiten für die Kinder, als auch das daraus sich ergebende Problempotential für die Lehrer eruieren zu können. Genaueres zu diesem Teil der Untersuchung 2.6 Die Erhebung der behinderten Kinder in den Versuchsklassen

[3] Für die konkrete Operationalisierung der Variablen im Einzelnen s. die Fragebogen im Anhang, sowie die Instrumentendokumentation. Eine Kurzdarstellung der wichtigsten erfaßten Dimensionen findet sich außerdem in Übersicht 2. Außerdem werden die erfaßten Merkmale jeweils dort näher erläutert, wo die entsprechenden Ergebnisse dargestellt sind.

[4] DANN et al. (1978) sprechen in diesem Falle von "subjektivistischen Umweltmessungen". Zur Differenziertheit der Gesamtproblematik von Umweltmessungen in sozialwissenschaftlichen und speziell schulbezogenen Forschungen s. SPECHT (1986)

[5] Dies wird sich weiter unten noch deutlich zeigen, wenn wir die Problem- und Erfolgswahrnehmungen der Lehrer in Abhängigkeit von Versuchsmodell oder Bundesland - als objektiv gegebenen Größen - betrachten.

[6] Der amerikanische Soziologe Robert K. MERTON hat diesen Sachverhalt als das sog. "Thomas-Theorem" berühmt gemacht: "If men define situations as real, they are real in their consequences." (MERTON 1957, 421)

[7] entsprechend den alten Kfz-Kennzeichnungen

[8] FK=Klein-/Förderklasse; IK=Integrative Klasse; KK=Kooperative Klasse; SL=Stützlehrerklasse. Zur Beschreibung der Versuchsvarianten siehe 4.1. Grundzüge der vier Versuchsmodelle.

3. GRUNDSTIMMUNGEN DER LEHRER IM SCHULVERSUCH ZUM GEMEINSAMEN UNTERRICHT BEHINDERTER UND NICHTBEHINDERTER KINDER.

Dieser erste Teil der Ergebnisdarstellung versucht, einige Grundtendenzen herauszuarbeiten, die bei einer unaufgegliederten Auswertung der Daten sichtbar werden. Es handelt sich dabei sozusagen um "Grundstimmungen" der im Schulversuch arbeitenden Lehrer, die über die unterschiedlichen Versuchsmodelle, sowie die regions- und standortspezifischen Bedingungen hinweg eine gewisse allgemeine Gültigkeit haben. Die Darstellung dieser globalen Tendenzen ist sehr knapp gehalten, weil - wie noch zu zeigen sein wird - in vielen erfaßten Bereichen die Unterschiedlichkeiten (etwa zwischen Versuchsmodellen oder Bundesländern) gegenüber den Gemeinsamkeiten überwiegen.

3.1 POSITIVE ASPEKTE

Alles in allem gesehen wird der pädagogische Aspekt des Schulversuchs zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder von den Lehrern eindeutig positiv bewertet. Dies zeigt sich in mehreren Bereichen der Befragung recht deutlich.

3.1.1 Einstellungen zur schulischen Integration

Die Mehrheit (56.1%) aller Lehrer befürwortet die volle Integration aller behinderten Kinder in die Regelschule zumindest dann, wenn die Eltern dies wünschen (Elternrecht). Weitere 38.1% äußern sich zugunsten der Integration leichter behinderter Kinder und nur 5.8% vertreten die generelle Meinung, daß behinderte Kinder in der herkömmlichen Sonderschule besser gefördert würden als in integrativen Formen des Unterrichts.

3.1.2 Erfolg des Schulversuchs

Die überwältigende Mehrheit der Lehrer bewertet den pädagogischen Erfolg des Schulversuchs positiv. Die zusammenfassende Frage bezüglich der Einschätzung des Erfolgs des Schulversuchs lautete:

"Wenn Sie versuchen, Ihre Erfahrungen mit der Versuchsklasse zu bilanzieren: Wie erfolgreich ist der Schulversuch an dieser Klasse bisher alles in allem verlaufen?"

Die Beurteilungen erfolgten auf einer 9-stufigen Skala zwischen den Werten 1 ("nicht erfolgreich") und 9 ("sehr erfolgreich"). Die Verteilung der Gesamtstichprobe auf dieser Skala zeigt Abb. 2.

Abbildung 2: Einschätzung des Erfolgs des Schulversuchs in der eigenen Klasse durch die Lehrer. Einfache und kumulative Verteilung der 9-stufigen Skala in der Gesamtstichprobe (N=788)

Diese Verteilung ist sehr stark rechts schief - fast 70% der Lehrer haben die drei Extremwerte am positiven Pol der Skala gewählt und schätzen den Unterrichtserfolg sehr hoch ein. Ähnlich günstige Bewertungen werden auch abgegeben, wenn man die Erfolgsbilanz nicht global, sondern nach einzelnen inhaltlichen Zielkriterien (Förderung, Klassenklima, Lernen usw.) erfaßt.

3.1.3 Bewältigungszuversicht

Die gegenwärtige (Untersuchungszeitpunkt) Sicherheit und Zuversicht im Hinblick auf die Bewältigung der Aufgaben im Schulversuch[9] wird - ebenfalls auf einer 9-stufigen Skala - ähnlich eingeschätzt wie die Erfolgsbilanz. Nur relativ wenige Lehrer berichten über ernsthafte Schwierigkeiten, die Aufgaben, denen sie sich im integrativen Unterricht gegenüber sehen, zu meistern (s. Abb. 3). Fast zwei Drittel stufen sich im oberen Terzil der Schätzskala ein.

Die starke Zustimmung zu den unterrichtlichen und pädagogischen Aspekten der Integration kommt auch darin zum Ausdruck, daß die meisten Lehrer (64.4%) durch ihre konkrete Tätigkeit in der Versuchsklasse in ihrer subjektiven Wahrnehmung einen mehr oder weniger deutlichen Zuwachs an Sicherheit und Kompetenz verzeichnen, der die Bewältigung der neuen Aufgaben erleichtert, die sich im integrativen Unterricht stellen (ohne Tabelle oder Abbildung).

Abbildung 3: Einschätzung der eigenen Bewältigungskompetenz im Hinblick auf die Aufgaben in der Versuchsklasse. Einfache und kumulative Verteilung der 9-stufigen Skala in der Gesamtstichprobe (N=788)

Demgegenüber sind nur 16.2% der Lehrer durch ihre Erfahrungen in der Versuchsklasse in ihren ursprünglich optimistischen Erwartungen verunsichert worden (Abnahme von Sicherheit und Kompetenz). Der Kompetenzzuwachs bei der Mehrheit wurde erzielt, obwohl Aus- und Fortbildung sowie fachlich-wissenschaftliche Betreuung des Schulversuchs überwiegend als defizient angesehen werden[10].

3.1.4 Lehrerkooperation

Ein weiterer wichtiger Punkt weist auf die insgesamt sehr günstige Rezeption des Schulversuchs durch die Lehrer hin, nämlich das hohe Ausmaß an Zufriedenheit und Bereicherung durch die hier institutionalisierte Möglichkeit einer engeren pädagogischen Zusammenarbeit mit Kollegen. Umgekehrt bedeutet dies, daß das Mißlingen einer solchen Kooperation die deutlich wichtigste Ursache ist, wenn bei Versuchslehrern in Einzelfällen Frustration und Resignation eintreten. Diese Fälle kommen aber recht selten vor. Die globale Einschätzung der Zufriedenheit mit der Lehrerkooperation auf der 9-stufigen Skala erbrachte noch extremere Ergebnisse als die bereits dargestellten Einschätzungen in Bezug auf Erfolg und Bewältigungskompetenz. Demnach äußern nur 9% der Lehrer Unzufriedenheit mit der Lehrerkooperation (Einschätzungen unter dem theoretischen Mittelwert der Skala), wohingegen fast vier mal so viele ihrer Zufriedenheit mit Einstufungen auf dem extrem positiven Pol der Skala Ausdruck geben (ohne Tabelle oder Abbildung).

3.1.5 Befriedigung und Belastung

Ein letzter Punkt in diesem Zusammenhang ist die Gesamtbilanz von Belastung und Befriedigung in der eigenen Tätigkeit im Rahmen des Schulversuchs, wie sie von den Lehrern gezogen wird.

Im Fragebogen ist sowohl global, als auch differenziert in Bezug auf Einzelaspekte der Tätigkeit des Lehrers erfaßt worden, wie stark belastet er sich fühlt, bzw. wie viel Befriedigung und Bereicherung ihm die Arbeit im Schulversuch vermittelt. Die Iteminhalte waren dabei immer wortidentisch, sie sollten nur jeweils nach dem Ausmaß an vermittelter Belastung bzw. Befriedigung eingeschätzt werden.

Dabei zeigt sich mit ganz wenigen Ausnahmen durchgängig, daß die Befriedigung und Bereicherung durch die Tätigkeit im Schulversuch höher eingeschätzt wird als die damit verbundene Belastung. Ferner fällt auf, daß die Inanspruchnahme des Lehrers im positiven (Befriedigung) wie auch im negativen Sinne (Belastung) umso größer ist, je enger der Inhalt der Frage auf die konkrete Unterrichtsarbeit bezogen ist.

Abb. 4 zeigt die Werte der einzelnen Subskalen sowie des Gesamtscores im Vergleich zwischen Belastung und Befriedigung. Mit Ausnahme der Dimension "Bürokratie" sind die Relationen zwischen den entsprechenden Werten gleichsinnig ausgeprägt. Die Differenz der beiden Werte ("Netto-Befriedigung") - in der Abbildung nicht gesondert ausgewiesen - ist am größten bei den Subskalen "Elternarbeit" und "Klimapflege" [11], also Aspekten der Tätigkeit, die vorwiegend auf die erzieherischen Aufgaben bezogen sind.

Zu beachten ist allerdings der bereits genannte Befund, wonach mit der hohen Befriedigung, die die Lehrer im Schnitt mit dem gemeinsamen Unterricht verbinden, auch die höchsten Belastungswerte korrespondieren. Tatsächlich ist die zusätzliche zeitliche und psychische Belastung durch die Tätigkeit im Schulversuch ein häufig artikuliertes Thema der schriftlichen Begleitäußerungen im Fragebogen. Einige durchaus repräsentative Statements, die mit dem dargestellten Befund korrespondieren, seien zum Abschluß zitiert:

Die Arbeit mit den Kindern ist ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte - trotz der sehr belastenden Begleitumstände (St/SL).

Es ist eine Mehrbelastung, die aber, bei richtiger Unterstützung zu größerer Befriedigung und mehr Freude an der Arbeit führt (S/KK).

Manchmal gibt es Wochen, die eher ruhig verlaufen, und oft solche, die mit Terminen überladen sind und eine bis dreifache Arbeitsbelastung erfordern. Druck durch zeitl. Belastung durch Schule + Elternarbeit + Zusammenarbeit mit Therap. + Fortbildung + ...+ Familie (N/IK).

Es wird sehr viel von Integrationslehrer/innen verlangt, sowohl i.d. Klasse (Offenes Lernen, Lehrausgänge, Buchstabentage), als auch außerhalb (Engagement in Initiativen, Team-Besprechungen, Supervision, Fortbildung). Die Klassen sollen überdurchschnittliche Musterklassen sein, herzeigbar (=wie Prestige bringend). Dieser Leistungsdruck ist für mich höchst belastend! Wird man dem nicht gerecht, indem man nicht "herzeigt" und sich so nicht "gut verkauft", wird Unterstützung und Lob von Kollegen und Direktor/innen sehr knapp (W/IK).

Der Umgang mit den Kindern, die direkte Arbeit in der Klasse selbst stellt für mich eine hohe Befriedigung dar. Der tägliche Kampf, Rechtfertigung des Tuns etc ist belastend für mich! (St/IK).

Trotz hoher Belastung erlebe ich aber gerade in dieser Klasse viel Freude und Bereicherung (W/IK).

Ich habe Vergleiche zur Sonderschule, wo ich lange Jahre arbeitete. Ich bin von Integration überzeugt und auch für mich PERSÖNLICH ist die Arbeit auch wieder einmal mit Nichtbehinderten sehr wohltuend. Doch der Zeit- und Arbeitsaufwand stellen für mich, da ich auch Anhang besitze, schon größere Probleme dar (Nachbereitung, Team Teaching..) ! Trotzdem... (S/IK).

Abbildung 4: Vergleich von Belastung und Befriedigung in unterschiedlichen Aspekten der Versuchstätigkeit. Mittelwerte der Skalen in der Gesamtstichprobe (N=788). Skalenbereich jeweils von 0-10

3.2 KRITIKPUNKTE

Es wurde eingangs hervorgehoben, daß sich die positive Bewertung des Schulversuchs zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder vorwiegend auf die pädagogischen und interpersonalen Aspekte der eigenen Tätigkeit bezieht. Diese Zufriedenheit kontrastiert scharf mit der Bewertung der Rahmenbedingungen des Schulversuchs, die häufig sehr kritisch beurteilt werden. Dies deutet sich auch in den zuletzt zitierten freien Äußerungen der Lehrer an. Sechs Gesichtspunkte erscheinen im Rahmen dieser globalen Darstellung besonders erwähnenswert:[12]

3.2.1 Ausstattung der Schulen

Klagen über nicht genügende materielle (Räume, behindertengerechte Bauten) und personelle (Therapie-, Pflegepersonal) Ausstattung der Schulen sowie über das Fehlen von geeigneten Unterrichtsmaterialien für Individualisierung und offenes Lernen gehören zu den häufigsten Kritikpunkten an den Rahmenbedingungen des Schulversuchs. Etwa ein Drittel der Lehrer fühlt sich durch Probleme dieser Art in seinen pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten gravierend eingeschränkt (ohne Tabelle).

Während Probleme mit der materiellen Ausstattung vor allem auf die (Groß-)Städte (Wien!) konzentriert sind, wird das Fehlen von geeigneten Unterrichtsmaterialien überall häufig beklagt. Die Erstellung von Materialien für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder erscheint als die Aufgabe zukünftiger Entwicklungsarbeit in diesem Bereich schlechthin.

3.2.2 Dienstrechtliche Nachteile

Etwa ein Viertel der Lehrer muß durch seine Arbeit im integrativen Unterricht nach eigenen Angaben dienst- oder besoldungsrechtliche Nachteile in Kauf nehmen.

Auf die offene Frage, welcher Art diese sind, wird mit Abstand am häufigsten (130 Nennungen) die Relation von (erhöhtem) Arbeitsaufwand und (teilweise) verminderter Entlohnung genannt, oft mit einer gewissen Verbitterung in der folgenden Art und Weise:

Keine finanzielle Abgeltung für viele, viele Stunden Aufbau des Schulversuchs, Frust. Unser System bestraft Initiative und Einsatz (V/FK).

Viel Extra-Arbeit, viele persönliche Aufwendungen von meiner Seite, die nicht honoriert werden (W/IK)

Bei Projektarbeiten in Kooperation mit einer Regelklasse ist mehr Vorbereitungszeit notwendig. Viele Freistunden müssen dafür geopfert werden, daß solche Projekte stundenplantechnisch möglich werden (O/FK)

Ein zweiter wichtiger Bereich von berichteten Benachteiligungen betrifft speziell die Gruppe der im Schulversuch unterrichtenden Sonderschullehrer. Stellvertretend für 40 andere sei hier ausführlich ein Lehrer zitiert, der die meisten Probleme artikuliert, die aus dieser Gruppe insgesamt kommen:

Vor meiner Tätigkeit in der integrativen Klasse war ich klassenführender Lehrer an einer ASO. Trotz des zeitl. Mehraufwandes ergeben sich für mich nur Nachteile. ASO-Lehrer: Anrechnung einer Wochenstunde als klassenführender Lehrer. Integr. Klasse: Entfall dieses Verdienstes trotz zeitl. Mehraufwandes: Entwicklungsbeschreibungen, Projekterläuterungen, wiss. Begleitung, gemeinsame Vorbereitung des Unterrichts, Fortbildungsseminare. ASO-Lehrer: Abteilungsunterrichtszulage. Integr. Klasse: Entfall dieser Zulage, obwohl gerade der Unterricht in einer Integrativen Klasse weitaus mehr Binnendifferenzierung verlangt. ASO-Lehrer: Lehrverpflichtung 23 Wstd. / Integrative Klasse: Derzeit stuft mich das Land Tirol mit einer Lehrverpflichtung von 24 Wstd. ein, da ich in einer VS-Klasse unterrichte. Daß jedoch für meine Arbeit in der integrativen Klasse die Lehramtsprüfung f. Sonderschulen Voraussetzung ist, wird dabei trotz mehrfacher Anfragen einfach nicht beachtet. [Aus den geschilderten Nachteilen] ergibt sich für mich folgender Schluß: Die Arbeit eines Sonderschullehrers in einer integrativen Klasse (19 nichtbehinderte Kinder, 1 lernbehindertes, 1 verhaltensgestörtes und 1 gehörloses Kind) ist weniger wert als die Arbeit eines Sonderschullehrers in einer Sonderschulklasse. Dieser Fragebogen ist für mich Anlaß, auf die oben erwähnten gravierenden Benachteiligungen hinzuweisen. Ich ersuche Sie daher, sich mit diesem Problem zu befassen. Wenn den verantwortlichen Stellen an Integration WIRKLICH etwas liegt, sollten diese Ungerechtigkeiten endlich beseitigt werden. (T/IK)

Die Unzufriedenheit der Gruppe der Sonderschullehrer mit ihrer dienstrechtlichen Stellung (nicht: mit den pädagogischen Aspekten der Integration!) in Integrativen Klassen kann als eines der Hauptprobleme des Schulversuchs, vor allem aber seiner Überführung in das Regelschulwesen angesehen werden, da hier mittelfristig Schwierigkeiten mit der Besetzung von Stellen für sonderpädagogisch geschulte Fachkräfte zu erwarten sind.

3.2.3 Mangelhafte Ausbildung

Abbildung 5: Zufriedenheit mit der Lehreraus- und Fortbildung, bezogen auf das Tätigkeitsprofil im Schulversuch. Verteilungen der 9-stufigen Skalen in der Gesamtstichprobe (N=788)

Sehr kritisch werden Aus- und Fortbildung im Hinblick auf das Anforderungsprofil integrativen Unterrichtens eingeschätzt (s. Abb. 5). Fast die Hälfte der Lehrer ist der eigenen Einschätzung nach im Rahmen der regulären Ausbildung überhaupt nicht, ein weiteres Drittel nur sehr unzulänglich für die im Schulversuch anfallenden Aufgaben vorbereitet worden. Diese Einschätzung teilen jüngere und erfahrenere Lehrer annähernd gleichermaßen. Keine Unterschiede gibt es diesbezüglich auch zwischen den unterschiedlichen Lehramtsgruppen: Sonderschullehrer fühlen sich nicht besser für ihre Aufgaben in der Integration vorbereitet als ihre Kollegen mit Volks- oder Hauptschullehrämtern.

Probleme der Aus- und Fortbildung der Integrationslehrer aus deren eigener Sicht werden differenziert in Kapitel 5 behandelt.

3.2.4 Unzureichende Fortbildungsmöglichkeiten

Auch die Qualität und Quantität der Angebote zur Lehrerfortbildung werden von den Versuchslehrern eher kritisch eingeschätzt. Weniger als ein Fünftel drückt seine Zufriedenheit auf der 9-stufigen Skala durch eine Bewertung von mehr als 5 (theoretischer Mittelwert) aus. Dagegen äußern sich 60 Prozent mit mehr oder weniger großer Unzufriedenheit, obwohl in diesem Bereich - bundesländerspezifisch allerdings sehr unterschiedlich intensive - Bemühungen von Seiten der Pädagogischen Institute und der wissenschaftlichen Betreuer angelaufen sind. Diese schlagen sich in den Einschätzungen der Lehrer nur schwach nieder.

Erwünschte Schwerpunkte der Fortbildung sind insbesondere Kooperative Lernformen wie etwa Methoden des Projektunterrichts, aber auch "alternative" pädagogische Ansätze (Montessori, Freinet). Nicht-Sonderpädagogen unter den Versuchslehrern fordern darüber hinaus verstärkt Fortbildung im Sonder- und Heilpädagogischen Bereich allgemein, sowie Informationen über spezielle Behinderungsarten. Besonders großes Interesse (häufigste Nennung insgesamt) besteht schließlich bei allen Lehrergruppen auch an Informationen zu förderdiagnostischen Verfahren (Vgl. im Einzelnen dazu Kapitel 5).

3.2.5 Defizite in der wissenschaftlichen Betreuung (WB) und Begleitung

Zu den häufig kritisierten Rahmenbedingungen des Schulversuchs zählt auch die wissenschaftliche Betreuung. Die Verteilung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auf der 9-stufigen Skala entspricht in etwa jener für die Beurteilung der Fortbildung. Zwar existiert in jedem Bundesland eine vom jeweiligen Landesschulrat beauftragte Stelle zur wissenschaftlichen Betreuung und Begleitung des Schulversuchs. Deren personelle und materielle Ausstattung ist aber - in Relation zu den übertragenen Aufgaben, und erst recht in Relation zu den Erwartungen der Versuchslehrer - nicht hinreichend, um die Bedürfnisse der Praktiker befriedigen zu können.

Im Rahmen der Befragung wurden die Lehrer gebeten einzuschätzen, wie gut sie sich bei einzelnen Aspekten ihrer Tätigkeit durch die WB betreut fühlen. Das Ergebnis ist in Tab. 5 dargestellt.

Betreuungsinhalte

Betreuungsintensität (Skala von 0-5)

Wissenschaftliche Bewertung der Versuchsarbeit

1.47

Hilfe und Beratung für die Gestaltung und Verbesserung des Unterrichts

1.62

Hilfe und Beratung für die Betreuung von behinderten Kindern

1.65

Vermittlung von Kontakten mit Betreuungs-/Beratungsstellen

1.71

Hilfe und Beratung bei organisatorischen Problemen

2.09

Öffentlichkeitsarbeit / Politische Durchsetzung

2.09

Vermittlung von Kontakten und Erfahrungsaustausch zw. Versuchslehrern

2.37

Organisation von Veranstaltungen zur Fort- und Weiterbildung

2.40

Vertretung d. Anliegen d. Schulversuchs gegenüber Behörden/Schulaufs.

2.45

Wie die Tabelle zeigt, beziehen sich die Probleme der Versuchslehrer mit der wissenschaftlichen Betreuung insbesondere auf eine ihrer Meinung nach mangelnde Unterstützung im Rahmen des konkreten Unterrichtsgeschehens und im Umgang mit den behinderten Kindern. Interessant ist, daß auch die Durchführung im engeren Sinne evaluativer Aufgaben durch die WB vermißt wird. Dagegen werden die Bemühungen um die Organisation von Erfahrungsaustausch und Lehrerfortbildung eher anerkannt, auch wenn dabei ebenfalls nicht von einem hohen Zufriedenheitsgrad die Rede sein kann.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Lehrer in ihrer Mehrzahl mehr fachlich-wissenschaftliche Betreuung wünschen, die ihnen konkrete Hilfen für den integrativen Unterricht anbietet. Wie diese z.T. sehr vehement vorgebrachten Wünsche sich mit den oben in Abb. 3 dargestellten, sehr zuversichtlichen und positiven Einschätzungen der eigenen Bewältigungskompetenz vereinbaren lassen, ist dabei eine offene Frage, die auf der Basis der vorliegenden Daten nur schwer zu beantworten ist. Faktum ist, daß nur wenige Lehrer aus ihrer selbstbewußten Kompetenzeinschätzung jene Konsequenzen ziehen, die in den folgenden Einzeläußerungen zum Ausdruck kommen:

Vermisse den Wiss. Betreuer nicht, da mir das Unterrichten Spaß macht! (O/IK)

Da ich sehr tatkräftig veranlagt bin, löse ich gerne die Probleme selbst. Der wiss. Begleiter kann stundenlang reden und alles nur verkomplizieren (T/SL).

Wir bekommen Rat und Unterstützung durch Kollegen und Schulleitung und haben die wissenschaftl. Betreuung als Ratgeber nicht gebraucht (St/IK).

3.2.6 Einschränkungen in der Bereitschaft zu weiterem Engagement

Die relativ verbreitete Unzufriedenheit mit den materiellen und personellen Rahmenbedingungen des Schulversuchs führt zu erheblichen Einschränkungen der Bereitschaft, sich in Zukunft weiterhin im Rahmen der Integration zu engagieren. Auch wenn - wie eingangs erwähnt - die Befragung eine erwünschte Gelegenheit gewesen sein dürfte, Forderungen an die Schulverwaltung zu deponieren, die vielleicht auch von ihren Urhebern nicht bis zur letzten Konsequenz als realistisch betrachtet werden, so sind die folgenden Zahlen als Warnung vor einer möglichen inneren "Ausblutung" einer Integrationsreform infolge eines Mangels an engagementbereiten Lehrern doch ernst zu nehmen.

Als "harten Test" für diese Bereitschaft zu fortgesetztem Engagement enthielt der Fragebogen das folgende Item:

Wenn Sie völlig frei entscheiden könnten, würden Sie in Zukunft weiter in einer Versuchsklasse zur Integration behinderter Kinder arbeiten?

  • Ja, uneingeschränkt

  • Ja, aber unter anderen Rahmenbedingungen

  • Nein, lieber an einer herkömmlichen Volks-bzw. Hauptschulklasse

  • Nein, lieber an einer Sonderschulklasse

Die Verteilung der Antworten ist in Abb. 6 dargestellt, wobei die beiden "Nein"-Alternativen zusammengefaßt wurden.

Abbildung 6: Bereitschaft zu weiterem Engagement im gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder. Antwortverteilungen in der Gesamtstichprobe (N=788). 51 Vpn. Keine Angabe

Die Grafik gibt im wesentlichen zusammenfassend das wieder, was bereits gesagt wurde: Der Anteil der Lehrer, die von ihren konkreten pädagogischen Erfahrungen im integrativen Unterricht enttäuscht sind und sich ganz von diesem Ansatz abwenden wollen, ist mit insgesamt 12% recht niedrig. Immerhin 38 Prozent aber sind es, die die erwähnten (und andere) Rahmenbedingungen des Schulversuchs als so defizient ansehen, daß sie ihr weiteres Engagement in Frage stellen.

Für eine Gesamtbewertung der in diesem Kapitel dargestellten Befunde ist jedoch wichtig zu berücksichtigen, daß diese, auf die Gesamtstichprobe bezogenen Ergebnisse nicht für alle derzeit erprobten Versuchsvarianten, und auch nicht für alle regionalen Bedingungen in gleicher Weise ausgeprägt sind. Sehr wichtige Differenzierungen finden wir insbesondere zwischen den verschiedenen Versuchsmodellen. Hiervon handelt das nächste Kapitel.

Quelle:

Werner Specht: Evaluation der Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder - Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Lehrerinnen und Lehrern im Schulversuch; Graz 1993

Erschienen in: Bundesministerium für Unterricht und Kunst. Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung - Abteilung II

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 26.04.2005



[9] Die Angaben in diesem Abschnitt beziehen sich auf die Schätzskalen zur Bewältigungskompetenz - siehe zur Operationalisierung Übersicht 2 siehe in 2.3 Inhaltlich Schwerpunkte und Variablen

[10] s. Abschnitt 3.2.5 Defizite in der wissenschaftlichen Betreuung (WB) und Begleitung

[11] Für die Kurzbeschreibung der Dimensionen vgl. Übersicht 2, in 2.3 Inhaltlich Schwerpunkte und Variablen. Zur Zusammensetzung der Skalen im Einzelnen vgl. die Dokumentation der Skalen und Scores im Anhang

[12] Die Kritik und die Verbesserungswünsche der Lehrer sind zwar insofern ernst zu nehmen, als sie häufig mit ausführlichen und engagierten verbalen Stellungnahmen im Fragebogen verbunden waren. Dennoch sollte berücksichtigt werden, daß das Zentrum für Schulversuche und Schulentwicklung, das die Untersuchung durchführte, von vielen Lehrern mit der staatlichen Schulverwaltung identifiziert und offenbar als der geeignete Adressat für Forderungen und Wünsche verschiedenster Art angesehen wurde.

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