No Problem Orchestra: eine beklagenswerte Geschichte?

Autor:in - Volker Schönwiese
Themenbereiche: Therapie
Textsorte: Zeitschriftenarikel
Releaseinfo: Erschienen in: erziehung heute 2/1994; Österr. Studien-Verlag; Innsbruck
Copyright: © Volker Schönwiese 1994

Über einen Prozeß mit politischem Hintergrund

Seit mehreren Jahren wird in Kärnten eine öffentliche Auseinandersetzung über das No Problem Musiktherapiezentrum geführt. Im Mittelpunkt stehen die Fragen: Ist Musizieren in einem Orchester Therapie? Soll Musizieren von Behinderten aus dem Sozialbudget subventioniert werden? Seine politische Dimension bekam der heftig und über alle Medien geführte Streit, indem einzig die FPÖ unverbrüchlich hinter den Forderungen des No Problem Musiktherapiezentrums stand und steht. So haben z.B. FPÖ-Abgeordnete im Parlament in einer Anfrage an den Unterrichtsminister (4.3.92) v.a. angefragt: "Die No Problem Musiktherapie erzielt eine große therapeutische Effizienz. Warum wird diese Musiktherapie nicht lehrplanmäßig im Sonderschulbereich aufgenommen?"

Vorausgegangen ist dem ganzen Konflikt eine Podiumsdiskussion in Klagenfurt (Juni 91), wo der Leiter des No Problem Orchestras von Wissenschaftlern und Musiktherapeutinnen aufgefordert wurde, sein Konzept des Musizierens nicht mit Therapie in Zusammenhang zu bringen. Schörkmayer war und ist aber in dieser Frage zu keinem Nachgeben bereit und verweist auf die großen Erfolge seiner Auftritte (z.B. in Frankreich, USA und Australien) und die weltweite Unterstützung, die er von Musikern bekommt. Nach weiterem öffentlichen Streit und einem Bericht des Kärntner Kontrollamtes über den Verein No Problem Musiktherapiezentrum (mit späteren Vorerhebungen und Voruntersuchungen der Staatsanwaltschaft, wobei zu Redaktionsschluß noch nicht klar war, ob Anklage erhoben wird), wurden von der Kärntner Landesregierung Subventionen an den Verein No Problem vorläufig gestoppt.

Bei der Rehabiliationsmesse "Reha 92" in Altenhof war der Autor dieses e.h.-Beitrages (zusammen mit mehreren weiteren behinderten Personen) eingeladen, über Fragen des "selbstbestimmten Lebens" zu referieren. Nachdem wir erfuhren, daß bei der Messe auch das Na Problem Orchestra spielen sollte, sagten wir (und mehrere weitere Personen) unsere Referate bei der Messe ab. Die Messe-Leitung reagierte mit einer Ausladung des No Problem Orchestras, worauf das geplante Programm von uns eingehalten wurde.

Über die Gründe unserer Absage und die dann doch erfolgte Teilnahme verfaßten wir nach entsprechenden Anfragen an uns eine Pressemitteilung, gegen die der Verein No Problem Musiktherapiezentrum bezogen auf Andreas Oechsner und mich - den Autor dieses e.h.-Beitrages - eine Klage auf Unterlassung und Widerruf einreichte. Vertreten wurde der Verein No Problem Musiktherapiezentrum durch Jörg Haiders Hausanwalt Dr. Dieter Böhmdorfer. Da die Zeitschrift "betrifft:integration" unsere Presseerklärung druckte, wurde auch sie geklagt (weitere Klagen gab es gegen den KURIER und zuletzt gegen Herbert Würschl, Vizepräsident des Kärntner Landesschulrats). Eine vom Verein No Problem mit Hilfe von RA Böhmdorfer angestrebte einstweilige Verfügung gegen einen Unterzeichner (Andreas Oechsner) wurde auf den Ebenen Kreisgericht und Landesgericht vollständig zurückgewiesen. Der oberste Gerichtshof wies drei von sechs Punkten zurück, in den anderen drei Punkten forderte er damit uns - die Beklagten - zur Erbringung des juridischen Wahrheitsbeweises auf.

Wir waren daraufhin zu einem Vergleich bereit, und in einer außergerichtlichen Einigung haben wir uns verpflichtet, zu zwei von den geklagten sechs Punkten eine klärende Stellungnahme zu veröffentlichen: Die geklagte Presseerklärung war von Mag. Silvia und Andreas Oechsner (Hartkirchen/OÖ), Volker Schönwiese (Innsbruck) und Aiha Zemp (Hausen/Schweiz) unterzeichnet und argumentierte in folgende Richtungen:

  • Die Idee, daß behinderte Menschen mit nichtbehinderten Menschen gemeinsam musizieren, singen und theaterspielen und auch öffentlich mit Erfolg auftreten, ist positiv. Leider gibt es wenige Gruppen dieser Art. Stellvertretend kann das Münchner Crüppel Cabaret angeführt werden, dessen Ensemble aus behinderten und nichtbehinderten Schauspielern besteht. Unter ihnen befand sich auch "Alois", ein geistig behinderter junger Mann. "Manchmal war es sehr anstrengend, mit Alois zu arbeiten und spontane Gefühlsausbrüche von Alois in der Gruppe aufzufangen", sagte der Regisseur Werner Geifrig in einem Gespräch. "Aber die Arbeit hat Spaß gemacht", fügt er hinzu. Geifrig käme nie auf die Idee, seine Arbeit als Therapieform zu bezeichnen, sondern als normale Regiearbeit. Dieses Münchner Crüppel Cabaret besteht nun seit 10 Jahren und spielt in Europa vor ausverkauften Häusern. Der Name dieses Ensembles wurde so gewählt, weil "Krüppel" als Ehrentitel für behinderte Menschen verstanden wird.

  • Für den Namen "No Problem" gibt es eine Eigendefinition des Orchesterleiters Schörkmayr: "Bei professionellen Musikern tauchen vor, während und nach dem Auftritt nicht selten Probleme auf. Probleme wie die Kommunikation untereinander, die psychische Belastung usw. Diese treten bei Behinderten nicht auf. Sie sind über ihre Aufgabe und die Fähigkeiten, echte Leistungen zu erbringen, so erfreut, daß kein Grund für solche Probleme der nichtbehinderten Musikerkollegen besteht" (in: Kärntner Nachrichten, 30.1.92). Damit unterstellt Schörkmayr, der sich als führender Musiktherapeut fühlt, daß geistig behinderte Menschen ausschließlich positive Gefühle entwickeln können; oder es bedeutet, daß lediglich "problemlose Behinderte" in diesem Orchester aufgenommen werden. Nervosität, unvorhergesehene Gefühlsausbrüche oder gestörte Kommunikation dürfen hier keinesfalls zum falschen Zeitpunkt auftauchen. Die Musiker werden immer wieder ausgewechselt (vgl. Interview mit Schörkmayr, in: Kleine Zeitung, 23.1.92).

  • Ein weiteres Argument Schörkmayrs ist, daß hier Integration "auf ehrliche Art und Weise, ohne Mitleidsmasche" funktioniere (Schörkmayr in: Kleine Zeitung, 29.8.90), und der Mitarbeiter von Schörkmayr, Dr. Witzany, erklärt an anderer Stelle, daß die Behindertenintegration dadurch erreicht werde, daß die Behinderten durch ihre Leistung den Nichtbehinderten ehrlichen Respekt abnötigten (vgl. Witzany in: Kleine Zeitung, 25.5.91). Die besonderen Leistungen der behinderten Menschen bestehen im Abspielen elektronisch vorprogrammierter Melodien. Volksschüler können damit angeblich innerhalb von 15 Minuten Schlagermelodien spielen. Auch wenn diese Form des Musizierens behinderten Menschen Spaß machen kann, so ist zu bezweifeln, daß nichtbehinderte Menschen im Abspielen dieser Melodien eine besondere Leistung erblicken. Die besondere Leistung wird wohl eher in der Entwicklung der Instrumente durch Schörkmayr erblickt.

  • Es ist prinzipiell problematisch, die Möglichkeit einer Integration behindertet Menschen mit deren Leistungsfähigkeit in Verbindung zu bringen. Jörg Haider, FPÖ Obmann und Unterstützer des No Problem Orchestras, der das Orchester auch in seiner Wahlwerbung verwendet hat, definiert Integration so: "Integration findet erst dann statt, wenn der Nichtbehinderte seinem geistig behinderten Mitmenschen mit Ehrfurcht und echt empfundener Anerkennung gegenübertritt, was jedoch erst dann geschehen kann, wenn der Behinderte eine Leistung bringt, die nicht als selbstverständlich für diesen Personenkreis angesehen wird, oder etwas besser kann als ein Nichtbehinderter." In dem selben Leserbrief (Kleine Zeitung, 16.4.91) führt Haider diese Band als Beispiel gelungener Integration an. Meint Haider damit, daß den nach seinen Kriterien leistungsunfähigen Behinderten keine Ehrfurcht und Anerkennung zusteht? Ist das eine, behinderte Menschen in ihren Grundrechten akzeptierende Äußerung? Schörkmayr jedenfalls versucht zu beweisen, daß nur professionelles Musizieren und öffentliches Auftreten als Therapie und Integration zu verstehen sei. Wer diesen Kriterien nicht entspricht, wird als nicht therapierbar und damit als nicht integrierbar angesehen. Die Leistungsfähigkeit behinderter Menschen muß sicher mehr gefördert und auch gesellschaftlich anerkannt werden. Doch darf diese konventionelle Form der Leistungsfähigkeit als Eintrittsbedingung zur Integration und damit als Bedingung für die Anerkennung von Menschenrechten für die betroffenen behinderten Menschen verwendet werden?

  • Selbst wenn man das "No Problem Orchestra" für die "leistungsfähigen Behinderten" als positiv ansieht, so fragt sich, wie die Integration dieser Menschen aussieht. Es lassen sich nirgends Ansätze dafür finden, daß ein gezielter individueller und integrativ wirksamer Kontakt zwischen Publikum und Orchester stattfindet. Es sind nur Hinweise auf ganz normale Konzerte zu finden, deren finanzielle und geschäftliche Bedingungen nicht genügend offengelegt sind, und nicht klar ist, wer und wieviel an den Patentrechten auf die Musikinstrumente und den entsprechenden Lizenzen verdient. Die Auftritte sind sicher auch als Werbe-Veranstaltungen für den Verkauf der No Problem Musikinstrumente zu verstehen. Außerhalb der "Therapie" besuchen die behinderten Menschen offensichtlich die üblichen Sonderinstitutionen und leben entsprechend isoliert.

  • Ob die behinderten Musiker für ihre Auftritte eine angemessene Gage bekommen, ist eine weitere Frage, da diese Form des Auftretens ja als Therapie verstanden wird. In einem Bericht der "Kleinen Zeitung" (17.12.93, "No problem": Streit ums Geld) wird - einer Argumentation Schörkmayrs folgend - berichtet: "Pro Konzert hätte 1991 jedes Kind 100 bis 300 S als Anerkennung bekommen. In manchen Fällen auch gar nichts, wenn die Aufenthaltskosten zu hoch waren."

In der oben schon genannten außergerichtlichen Einigung haben Andreas Oechsner und der Autor dieser Zeilen sich verpflichtet, zu zwei von den geklagten sechs Punkten in der Zeitschrift "betrifft:integration" folgende Stellungnahme zu veröffentlichen:

In der Ausgabe des "Rundbriefes der Elterninitiativen für Integration" vom September 1992 ist ein von Andreas Oechsner und Volker Schönwiese stammender Kom mentar erschienen, in dem unter Bezugnahme auf den Verein No Problem Musiktherapiezentrum insbe sondere erklärt wurde: "Schörkmayer wechsle - aus der politischen Überzeu gung, daß nichtbehinderten Menschen nur eine erträgliche und herzeigbare Dosis an behinderten Menschen zugemutet werden soll die Musiker des Orchesters immer wieder aus, um im entscheidenden Moment die ‚braven, ausgeglichenen und fröhlichen Vorzeigekrüppel' vorweisen zu können, ...

In diesem Zusammenhang stellen Andreas Oechsner und Volker Schönwiese klar, daß von ihnen lediglich die Auffassung geäußert werden wollte, die Art und Auswahl der Musiker des "No Problem Orchestras" und die Art der Präsentation dieses Orchesters bestärke Kräfte, deren Auffassungen mit der Menschenwürde der Behinderten unvereinbar sind. Damit sollte allerdings nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß der Verein "No Problem Musiktherapiezentrum Kärnten" oder dessen Vorstand derartige Überzeugungen vertreten würden.

In dem Kommentar wurde weiters erklärt, die Kriterien Schörkmayers, die Leistungsfähigkeit als Eintrittsbedingung zur Integration und damit als Bedingung für die Anerkennung von Menschenrechten für die betroffenen behinderten Menschen zu sehen, seien besonders gefährlich und könnten als psychische Euthanasie begriffen werden.

Andreas Oechsner und Volker Schönwiese haben hier die Auffassung vertreten, es wäre bedenklich, eine bestimmte Leistungsfähigkeit als Bedingung für die Integration behinderter Menschen anzunehmen - dies, zumal damit auch ein Werturteil verbunden ist und zahlreiche Behinderte nicht in der Lage sind, jenen Leistungsstandards zu entsprechen, die für nicht behinderte Menschen bestehen. Damit sollte jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß der Verein "No Problem - Musiktherapiezentrum Kärnten" oder dessen Vorstand einem Konzept anhängen würden, das mit psychischer Euthanasie gleichzusetzen wäre.

Gerichtliche Klagen statt inhaltlicher und politischer Auseinandersetzung sind in den letzten Jahren in Österreich in Mode gekommen, Jörg Haider z.B. droht oft mit gerichtlichen Klagen und klagt auch oft. Wir wollen dies hier nicht weiter bewerten, aber einschüchtern lassen wir uns durch ein solches Klima nicht.

Aber natürlich hoffen wir nun, daß der juristische Streit im beschriebenen Fall, so wie den Worten der Anwälte Böhmdorfer, Prunbauer & Partner zu entnehmen ist, ein "ewiges Ruhen" hat.

Quelle:

Volker Schönwiese: No Problem Orchestra: eine beklagenswerte Geschichte? - Über einen Prozeß mit politischem Hintergrund

Erschienen in: erziehung heute 2/1994; Österr. Studien-Verlag; Innsbruck

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Stand: 22.08.2005

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