Drinnen oder draußen?

Autor:in - Kassandra Ruhm
Themenbereiche: Lebensraum
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Veröffentlicht in gekürzter Fassung in der Reihe: „Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen“ beim Internet-Nachrichtenmagazin BIZEPS-Info des Wiener Zentrums für Selbstbestimmtes Leben BIZEPS,www.bizeps.or.at/index.php; Ruhm, Kassandra (2009), Teil 8: Drinnen oder draußen?, Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen,<ulink url="www.bizeps.or.at/news.php?nr=9504">www.bizeps.or.at/news.php?nr=9504</ulink> und <ulink url="www.bizeps.or.at/news.php?nr=9531">www.bizeps.or.at/news.php?nr=9531</ulink> ; Die komplette Reihe finden Sie unter:<ulink url="www.bizeps.or.at/person.php?wer=rhm">www.bizeps.or.at/person.php?wer=rhm</ulink>
Copyright: © Kassandra Ruhm 2009

Drinnen oder draußen?

Behindert zu sein bedeutet mehr, als körperliche, kognitive oder psychische Einschränkungen zu haben. Zumindest für mich bedeutet Behindert sein auch, immer wieder vor der Frage zu stehen, ob man in der Gesellschaft und in bestimmten Gruppen drinnen oder draußen, in der warmen Mitte oder am Rand steht. Oder an welchen Orten dazwischen man sich bewegen kann. In diesem Text beschäftige ich mich nicht mit Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt, mit ökonomischer Benachteiligung oder mit Einhaltung von Barrierefreiheit bei öffentlichen Gebäuden. Das sind auch wichtige Themen. Aber heute geht es mir um Zugehörigkeit und Ausgrenzung im Privatleben.

In meinem Essay „Bloß nicht zur Last fallen?“ habe ich über eine Feier geschrieben, bei der ich nicht erwünscht war, weil die Gastgeberin es als zu große Belastung empfand, mir als Rollstuhlfahrerin beim Überwinden der Stufen zu ihrer Wohnung zu helfen. Dabei hätte ich sogar gewusst, wie ich mit nur ganz wenig Rücksichtnahme von ihr bis zu ihrer Wohnung hätte hochklettern können. An dem Abend habe ich definitiv draußen gestanden.

Noch häufiger als bei solch drastischen Erlebnissen von Ausgrenzung fällt mir das Problem, wie schwierig Geselligkeit sein kann, an einer andern Stelle auf. Ich finde es nämlich ziemlich schwer, in Cliquen herein zu kommen, in denen nicht sowieso mehrere RollstuhlfahrerInnen sind.

Wo man sich trifft

Meist fällt es mir leicht, in Gruppen herzlich aufgenommen zu werden, wenn sie sich unabhängig von mir schon in rollstuhlzugänglichen Räumen treffen und außerdem keine größeren negativen Vorurteile über behinderte Menschen im Weg stehen.

Aber manchmal will ich auch noch mit andern Leuten zu tun haben. Zum Beispiel, weil ich mich unter anderen Lesben oder Feministinnen bewegen möchte oder unter ZeitgenossInnen, die ähnliche kulturelle oder politische Interessen haben, wie ich.

Das geht mehr oder weniger gut, wenn ich Einzelkontakte pflege. Aber auch die muss ich oft richtig pflegen, weil man sich nicht sowieso zufällig regelmäßig begegnet. Mein nichtbehindertes Gegenüber trifft an den verschiedensten, meist nicht barrierefreien Szene-Orten ohne großen Aufwand Gleichgesinnte. Um mich zu treffen, sind jedoch Verabredungen und Planungen wegen der Barrierefreiheit nötig. Wenn jemand nicht extra darüber nachdenkt, kommt es deshalb automatisch dazu, dass sie sich mit mir seltener trifft, als mit andern. Und es kommt manchmal zu einen ungleichmäßigen Verhältnis: Ich rufe häufiger an und kümmere mich um Verabredungen. Sie meldet sich seltener, weil sie es bei andern Leuten ja auch nicht tut, sondern andere von selbst und ohne besondere Planungen trifft. Wenn sie den Kontakt zu mir genauso pflegt, wie zu einer Nichtbehinderten, kommt etwas Unterschiedliches dabei heraus.

Deshalb sind Einzelkontakte für mich oft aufwendiger als für Nichtbehinderte. Aber mit entsprechendem Engagement kann ich einiges ausgleichen.

Doch wenn ich in Cliquen herein kommen möchte, gibt es ein größeres Problem.

Die allermeisten Menschen wohnen hinter Stufen

Häufig treffen sich Menschen, vor allem solche, die bestimmten Subkulturen angehören, ohne große Planung an irgendwelchen Treffpunkten, die nicht barrierefrei sind. Dann bin ich automatisch erstmal nicht dabei. Oder man trifft sich „mal eben“ auf ein Bier bei jemandem zu Hause. Die allermeisten Leute, die ich kenne, wohnen hinter Stufen. Für richtige Feiern werde ich -hoffentlich- eingeladen. Aber für unkomplizierte Treffen nicht. Das ist ja zu aufwendig und außerdem bestimmt zu belastend für mich.

Stimmt, es ist eine Belastung für mich, mal eben die Stufen zu überwinden. Das kann ich nur in Ausnahmefällen machen.

Da wäre besser, wenn man sich einfach bei mir oder an einem anderen barrierefreien Ort trifft. Aber alles umzulegen ist dann wieder für die andern zu aufwendig. Zumindest wenn man es oft und sogar für die kleineren, alltäglichen Treffen machen würde.

Ich weiß nicht, wie viele Abende mit gemeinsamem Krimi-Gucken oder Spielen und danach noch einer Runde schnacken mir entgangen sind, weil Fernseher und Sofa im ersten Stock standen und ich deshalb gar nicht erst eingeladen worden bin. Oder wie viele dieser netten Besuche ich nicht machen konnte, bei denen man morgens mal eben mit Croissants zum Kaffee vorbei kommt... Einige herzerwärmende, gemeinsame Gewohnheiten haben sich deshalb gar nicht erst eingeschliffen.

Fehlende Barrierefreiheit - ein Teufelskreis

Wenn ich schon alle aus einer Clique kenne, gibt es eine Chance, dass sie sich die Mühe machen, die Treffen zu verlegen und Rücksicht zu nehmen. Aber normalerweise kommt man erst über eine Reihe von Treffen in Gruppen herein. Na ja und zu genau dieser Reihe von unkomplizierten Treffen kommt es nicht, weil ich wegen der fehlenden Barrierefreiheit der meisten Privatwohnungen und anderen Treffpunkte gar nicht erst regelmäßig genug dabei bin. Vielleicht könnte ich von der Barrierefreiheit her bei jedem 7. oder 10. Treffen dabei sein. Aber das reicht einfach nicht, um den andern das Gefühl zu geben, dass ich dazu gehöre, man mich automatisch einlädt und bei Planungen auf Barrierefreiheit achtet. So ergibt sich, dass ich kein richtiger Teil der Cliquen werde. Es ist ein Teufelskreis.

Ein schönes Alltags-Beispiel

Bei meinem netten Arbeitsplatz gibt es jeden Dienstag einen kleinen Wochenmarkt, über den ich regelmäßig fahre. Mittlerweile haben sich mit verschiedenen der Marktleute, bei denen ich häufiger kaufe, nette, gemeinsame Gewohnheiten entwickelt. Außerdem erkundigen sie sich nach meinem Urlaub oder meiner Gesundheit, wenn ich länger nicht da war. Ich weiß vorher Bescheid, wenn Sie ihren Arbeitsplatz wechseln und wohin sie gehen. Ich erfahre, ob und warum sie mit ihrem Mann in die Schweiz ziehen oder in Oldenburg eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker machen und welche Hürden es auf dem Weg zu besagtem Ausbildungsplatz gab. Und dass sie bei Freiluft-Veranstaltungen gerne darauf hinweisen werden, dass man rollitaugliche Dixi-WCs anmieten sollte.

Zwei der sympathischsten Marktleute haben versucht, mit mir einen privaten Kontakt außerhalb des Marktes aufzubauen. Einer hat mich dazu sogar mit einer ganzen Sammlung von entzückenden und überzeugenden Komplimenten bedacht.

Das Marktgelände ist komplett rollstuhlzugänglich. Deshalb gehöre ich „dazu“. Obwohl ich mich gar nicht darum bemüht habe.

Ungleiche Chancen

Wahrscheinlich wäre ich auf dem Wochenmarkt weniger gut eingebunden, wenn ich z.B. eine stärkere Spastik im Gesichtsbereich hätte und sprachbehindert wäre. Ich hätte mich zumindest mehr darum bemühen müssen, durch Charme, Witz, Freundlichkeit und gute Laune zu überzeugen. Diese ungleichen Chancen sind nicht fair.

Viele Nichtbehinderte finden, ich sähe „normal“ aus, „außer dass ich einen Rollstuhl benutze“. (Ich selbst finde, ich sehe mit meinem Rollstuhl normal aus. Ohne fände ich es mittlerweile etwas seltsam.) Aber mein hübscher, praktischer Rollstuhl reicht aus, um in einigen Menschen Reaktionen von Befremden und Unsicherheit auszulösen. Noch halbwegs gut ins Schönheitsideal zu passen, oft fröhlich zu sein, leicht reden zu können und schlagfertig zu sein, macht es allerdings wieder leichter.

Unabhängig davon, wie „normal“ andere unser Aussehen finden: Mit regelmäßigen Kontakten, wie denen auf meinem Wochenmarkt, können Nichtbehinderte ihr Gefühl von Fremdheit und ihre Unsicherheit mit der Zeit überwinden, wenn sie es wollen.

Ein deprimierendes Beispiel

Mir ist noch ein anderes Beispiel eingefallen. Es ist ein deprimierendes Beispiel, obwohl es von den andern überhaupt nicht böse oder ausgrenzend gemeint ist.

Wie schon erwähnt, bin ich lesbisch, aber das Beispiel passt vermutlich auch für viele andere Interessengruppen. Lesbisch zu sein ist für mich viel mehr als eine sexuelle Vorliebe, sonst würde ich nicht in Artikeln darüber schreiben. Es ist meine Lebensform. Nicht nur im Bett, sondern in vielen Bereichen meines alltäglichen Lebens hat es Auswirkungen.

Weil ich mich gerne auch in dieser Hinsicht manchmal nicht „anders als die andern“ fühlen möchte, investiere ich viel Energie in Kontakte mit anderen Lesben.

Wenn sich eine passende Gelegenheit ergibt, unterhalte ich mich auch mit Lesben, die ich noch nicht gut kenne. Weil viele Szene-Orte sowieso nicht barrierefrei sind, versuche ich bei den wenigen Gelegenheiten meistens, kontaktfreundlich und möglichst angenehm im Umgang zu sein, um einem neuen Kennenlernen einen leichten Weg zu ebnen. Manchmal klappt das sogar ganz gut.

Wenn ich die selbe Frau das nächste Mal wieder sehe, sind oft viele Monate oder 1-2 Jahre vergangen. Bei allen andern potentiellen Gelegenheiten, war ich aus den schon beschriebenen Gründen nicht dabei.

Für mich ist es die allererste Gelegenheit, den Kontakt fortzusetzen. Ohne genau darüber nachzudenken, hinterlässt es mich traurig, zu merken, dass meistens nichts fortgesetzt wird, sondern ich als Fremde behandelt werde.

Sie erlebt eine andere Geschichte als ich.

Während das die Geschichte ist, die ich erlebe, erlebt mein nichtbehindertes Gegenüber vermutlich eine ganz andere Geschichte. Für sie haben wir uns nett unterhalten, aber dann habe ich Monate oder Jahre nicht mehr mit ihr geredet. Vielleicht hat sie die unklare Empfindung, ich wolle nicht näher mit ihr zu tun haben. Oder dass ich niemand besonders Sympathisches bin, denn sonst hätten wir uns ja weiterhin gelegentlich unterhalten. Das ist nichts Bewusstes, sondern eine unbewusste Schlussfolgerung. Aber diese Schlussfolgerung wird ihr Gefühl und ihre Haltung zu mir beeinflussen. Wahrscheinlich hat sie nicht darüber nachgedacht, warum ich nicht mehr mit ihr rede. Deshalb ist ihr nicht aufgefallen, dass es daran liegt, dass ich wegen der alltäglichen Barrieren bei den anderen Gelegenheiten gar nicht dabei sein konnte.

Man könnte außerdem sagen, ich habe sehr wohl geredet, sogar viel. Sie hat sich nur nicht in die Räume begeben, in denen sie mich hätte hören können.

Defakto hat es keine netten Begegnungen und noch nicht einmal einen kleinen Smalltalk mehr gegeben. Sie hat sich daran gewöhnt, dass ich nicht zu dem Kreis derer gehöre, mit denen sie etwas plaudert, wenn sie sie trifft.

Das könnte erklären, dass ich von manchen Frauen wenn überhaupt, dann gerade mal knapp zurück gegrüßt werde, wenn wir uns das nächste Mal treffen.

ohne das Einnehmen anderer Perspektiven

Ein Kontakt, der so verbindlich ist, dass wir ihn unabhängig von zufälligen Treffen planen und fortsetzen würden, wächst nicht. Wenn sie sich nicht auf die Bedingungen einstellt, unter denen ich mit ihr in Kontakt treten kann, kann ich mich noch so anstrengen, ohne dass viel dabei heraus kommt. Die Sub-Gruppen bleiben schön voneinander getrennt. Auch wenn die Ursache nur das fehlende Nachdenken und Einnehmen anderer Perspektiven war.

Vergleichbar ist es, wenn ich mich in Räumen aufhalte, die nur teilweise mit Rollstuhl erreichbar sind. Mit flüchtigen Bekannten, die im nicht-zugänglichen Teil hinter Stufen sitzen, kann ich keinen freundlichen Small-Talk anfangen. Wenn wir uns nicht schon gut genug kennen, kommen erstaunlich viele gar nicht auf die Idee, dass sie zu mir herunter kommen müssten, um die höflichen paar Sätze oder mehr mit mir auszutauschen. Beim nächsten Treffen behandeln sie mich fremder als vorher.

Auch bei Demonstrationen oder anderen Wanderungen in größerer Gruppe erlebe ich etwas Ähnliches. Im Vergleich zu früher, als ich noch nichtbehindert war, reden viel weniger Menschen mit mir. Ihre Kopfhöhe und ihre Gesprächsebene liegt deutlich höher als meine. Es ist anstrengender für sie, sich beim Gehen nach unten zu verständigen. Wenn ich mit einzelnen FreundInnen unterwegs bin, ist das kein Problem. Aber wenn es genug kopf-hohe GesprächspartnerInnen gibt, falle ich ab und zu hinten über.

Natürlich werden auch Nichtbehinderte manchmal unfreundlich behandelt. Manchmal hat die andere einfach einen schlechten Tag oder sie muffelt sowieso immer alle an. Aber das ist kein Widerspruch zu dem, was ich eben beschrieben habe. Eine behinderungs-unabhängige Unfreundlichkeit kommt bei uns zu den anderen Kontakthemmnissen noch dazu. Man könnte allerdings auch gezielt die Behinderung nutzen und versuchen, durch die Bitte um kleine Hilfen in Kontakt zu kommen oder andere an sich zu binden... Aber das ist ein anderes Thema und wurde in einem andern Artikel behandelt.

Eine gute Alternative

Als gute Alternative bleibt, sich mehr mit andern behinderten Menschen zu treffen. Oder mit Nichtbehinderten, die aus anderen Gründen bereit sind, Rücksicht zu nehmen, ohne ein großes Problem daraus zu machen.

Das müssen keine schlechteren Kontakte sein. Vielleicht sogar im Gegenteil? Aber es wäre schön, seine Bekanntschaften frei und nicht nach baulichen Kriterien aussuchen zu können. Besonders wenn man mehr als einer Minderheitengruppe angehört.

Ich vermute, dass ein großer Teil behinderter Menschen einen kleineren oder anders zusammen gesetzten Freundes- und Bekanntenkreis haben, als sie es als Nichtbehinderte hätten.

Wie viel Prozent Ihrer FreundInnen und Bekannten sind nichtbehindert? 90 % nichtbehindert und 10 % behindert, wie es der Verteilung in der Gesellschaft entspricht? 20 % behindert, weil es nett ist, andere Behinderte zu treffen? Oder 40 % behindert? Wie gesagt, ich meine das nicht wertend, behinderte FreundInnen sind keineswegs schlechter als nichtbehinderte.

Oder sind Sie vielleicht nichtbehindert und kennen „nur wenige“ behinderte Menschen – außer denen mit denen Sie möglicherweise beruflich zu tun haben?

Mühsam, hinterherzuhinken?

Ich nehme an, dass ein gemeinsames Leben leichter ist, wenn man zwar behindert ist, aber ohne Probleme Stufen überwinden und alle Treffpunkte und Privatwohnungen erreichen kann.

Dann bleibt immer noch das Problem, dass man vielleicht manchmal hinterherhinken muss und sich anstrengen, um mit den andern Schritt zu halten. Egal, ob es wörtlich genommen ums Laufen geht oder ob man z.B. schwerhörig ist und sich ziemlich bemühen muss, um Gesprächen folgen zu können. Je nachdem, wie viel Rücksicht die andern nehmen. Und gerade bei nicht-sichtbaren Behinderungen ist es schwierig, genug Rücksichtnahme zu bekommen.

Ebenso anstrengend ist es, wenn man sprachbehindert ist und versucht, seinen Worten das gleiche Gehör zu verschaffen. Oder wenn man sich damit auseinander setzen muss, dass man mit der eigenen, ganz normalen, behinderten Erscheinung die Sehgewohnheiten der andern bricht.

Wer durch bauliche Barrieren nicht abgehalten wird, kann zwar prinzipiell dabei sein, aber manchmal ist es mühsamer und man hat nicht die gleiche Stellung innerhalb der Gruppe, die man als Nichtbehinderte/r hätte.

Ängste vor behinderten Menschen

Dazu kommt das Problem, dass sich negative Behindertenbilder in privaten Kontakten auswirken können. Wenn jemand Ängste vor behinderten Menschen hat oder denkt, sie wären arm dran oder weniger intelligent und attraktiv als Nichtbehinderte oder würden zu viel Hilfe von ihm brauchen, wird er weniger den Kontakt suchen.

Wenn ich höre, dass jemand „ganz normale“ abwertende Einstellungen über behinderte Menschen vertritt oder sich in einer anderen Situation behindertenfeindlich verhalten hat, fühle ich mich in Gegenwart dieser Person weniger wohl.

Kürzlich saß ich in einem integrativen Theaterprojekt an einem Cafetisch und musste mir anhören, wie meine nichtbehinderten Tischnachbarinnen sich darüber ausließen, wie eine behinderte Frau ihre Sexualität leben solle und ob sie Kinder bekommen dürfe. Kurz vorher hatte ich noch nett mit ihnen gescherzt. Nachdem ich ihre Diskussion mit angehört hatte, war mir nicht mehr nach einem gemeinsamen Scherzen zumute.

Wenn ich der Gastgeberin, die mich wegen meiner Behinderung ausgeladen hat, auf einer anderen, kleinen Privat-Party begegne, werde ich mich weniger fröhlich und ausgelassen fühlen, als ohne sie.

Natürlich mag ich genauso wenig, wenn jemand sich latent rassistisch äußert. Aber da kann ich gegen halten, ohne in meiner eigenen Persönlichkeit verletzt zu werden.

Die Verlierer sind beide Seiten

Verlierer dieser alltäglichen, unauffälligen Ausgrenzung sind beide Seiten. Die Standart-Gesellschaft verliert viele schöne, bunte, nicht-standartisierte Begegnungen mit uns und ein freieres Bild von Normalität.

Ich habe viele Gründe beschrieben, aus denen Menschen mit Behinderung manchmal draußen stehen oder gleich andere Orte für sich wählen. Aber daneben sollte nicht unter den Tisch fallen, dass dies nur die negativen Beispiele sind! Die ärgern mich und deshalb habe ich sie aufgeschrieben. Weil ich finde, dass sich etwas daran ändern sollte. Eine Analyse kann der erste Schritt zu Veränderungen sein. Aber das heißt nicht, dass es nicht auch viele positive Situationen zwischen nichtbehinderten und behinderten Menschen gibt! Wenn ich bei meiner Arbeitsstelle durch die Gebäude sause, erlebe ich jeden Tag mehrere einfach schöne, selbstverständliche Begegnungen mit Nichtbehinderten. Diese positiven Beispiele vom Zusammenleben sollten die Normalität sein, deshalb habe ich sie nicht extra alle aufgeschrieben. Vielleicht hole ich das ein anderes Mal nach. Oder jeder überlegt sie sich selbst.

Quelle

Kassandra Ruhm: Drinnen oder draußen? Veröffentlicht in gekürzter Fassung in der Reihe: „Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen“ beim Internet-Nachrichtenmagazin BIZEPS-Info: www.bizeps.or.at/news.php?nr=9504

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 17.06.2015

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