Denkfehler in der Philosophie: Peter Singer, "Praktische Ethik"

Eine kritische Analyse

Autor:in - Harald Rüdisser
Themenbereiche: Eugenik
Textsorte: Proseminararbeit
Releaseinfo: Proseminararbeit, eingereicht bei Prof. R. Kleinknecht
Copyright: © Harald Rüdisser 1998

1. Vorwort: Was ist ethisch falsch und warum?

Will man ein ethisches System auf seine Korrektheit überprüfen, so sieht man sich mit Problemen konfrontiert, die bei der Prüfung anderer Arten von Theorien nicht auftreten.

Aus den, der jeweiligen Ethikauffassung zugrundeliegenden, Prinzipien lassen sich zwar, wie aus anderen Sätzen auch, weitere Aussagen ableiten.[1] Hier gilt nun aber normalerweise, dass eine Theorie dann als widerlegt angesehen werden kann, wenn aus ihr mit Notwendigkeit Behauptungen über die Wirklichkeit folgen, die ganz augenscheinlich nicht mit der Realität übereinstimmen.

Das Ziel der Ethik ist es aber eben nicht, festzustellen ‚was ist', sondern was sein sollte.[2] Aus den ethischen Prinzipien gewonnene Handlungsanweisungen für konkrete Situationen, können also nicht so einfach als falsch bewiesen werden, indem aufgezeigt wird dass diese nicht mit bestehenden Vorgehensweisen übereinstimmen. Damit ist was sein soll, noch wesentlich schwieriger festzustellen, als was ist, und genau dies ist ja das Ziel der Ethik. Für die Behauptung, dass eine Konsequenz der untersuchten Ethik nicht mit dem was sein soll übereinstimmt, scheint es, dass man sich letzten Endes auf eine andere Ethikkonzeption oder Auffassung berufen muss, oder einfach gewisse Sachverhalte als aus sich evident und damit nicht weiter begründbar erklärt. Die Gefahr der Zirkularität oder des blinden für wahr Haltens, der reinen Doxa, wird hier sehr deutlich.

Muss aber bei der Untersuchung von Ethiken wirklich wie Singer meint[3] auf jedes intuitive empfinden verzichtet werden, oder ist Ethik am Ende nur das Verteidigen der, durch, zwangsläufig subjektives, Empfinden bestimmten, eigenen Sichtweise?

Da Singer in seiner tatsächlichen Vorgehensweise bei der Einführung seiner Ethik nicht ganz mit seiner theoretischen Auffassung konform geht[4], soll diese Frage einstweilen zurückgestellt werden und zunächst Fälle zur Sprache kommen, bei denen keine solche Grundsatzdiskussionen notwendig sind, welche kaum für eine allgemein akzeptierte Widerlegung geeignet scheinen.[5]

Da sich die Tragweite dieser Fehler in Grenzen hält, gesehen hinsichtlich einer Falsifizierung dieser ganzen Auffassung von Ethik und weil zugegeben werden muss, dass einige Widersprüche nur bei einer gewissen Deutung der oft nicht ganz klaren Formulierungen zu Stande kommen, werden sie unter folgender merkwürdigen Überschrift zusammengefasst:



[1] Unter ‚ableiten' wird hier nicht das streng logische formale Schliessen verstanden, sondern ein übergehen von Aussagen zu weiteren Aussagen, unter besonderer Berücksichtigung des inhaltlichen Aspektes der Sätze, was eigentlich mit dem Wort 'folgern' korrekter beschrieben wäre, für den Versuch einer systematischen Gliederung dieser Arbeit wird aber weiter an dieser ungenauen Sprechweise festgehalten.

[2] In einem gewissen Sinne ist diese Aussage natürlich falsch, wenn nicht für eine subjektive oder relativistische Ethik plädiert wird. Aber es dürfte zumindest ausser Frage stehen, dass die Existenzweise ‚Ethischer Wahrheiten' sehr verschieden ist von dem, was wir normalerweise damit meinen, wenn wir sagen, dass etwas ist.

[3] Peter Singer, Praktische Ethik. Stuttgart 1984, S 251ff . Da sämtliche Seitenangaben dieser Arbeit auf dieses Werk in der genannten Ausgabe bezug nehmen, wird in Zukunft lediglich die Seitenzahl genannt werden.

[4] Worauf in dieser Arbeit noch näher eingegangen wird, z.B. in Kap. 2.4

[5] Allgemeine Zustimmung darf man nie erwarten, wenn man sich auf grundsätzliche Positionen festlegt. Wenn das Ziel darin besteht, eine Position für möglichst alle als falsch zu erweisen, muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die verschiedenen Lebensläufe die einzelnen Individuen ganz verschieden geprägt haben und zu, zumindest scheinbar, ganz verschiedenen Gewissheiten geführt haben. Unter 'Gewissheiten' werden hier Aussagen verstanden, denen die einzelnen Personen ohne weitere Begründung zustimmen würden, die sie also für evident halten. Darum erscheint es mir ratsam, bei der Widerlegung einer Theorie möglichst wenig Annahmen über die tatsächliche Beschaffenheit der Wirklichkeit zu treffen, sondern statt dessen möglichst inherent zu argumentieren. Die dazu notwendigen Hypothesen über den Bau der Welt beschränken sich hier im wesentlichen auf die Gesetzmässigkeiten der Welt der Sprache, im speziellen diejenigen des Argumentierens. Auch ohne ein Studium der Logik oder der Kriterien für sinnvolles sprechen erscheint es beinahe jedem evident, wenn er auf Fehler in diesen Bereichen aufmerksam gemacht wird, denn Logik ist im wesentlichen ein abstrahieren von Aspekten unserer alltäglichen Tätigkeit der Sprachbenützung.

Eine Position muss demnach bei einer solchen Strategie nicht deshalb verworfen werden, weil sie an der aussersprachlichen Welt scheitert, sondern weil sie sich selbst widerspricht, also in keiner 'möglichen Welt' wahr sein kann, oder weil ihre zentralen Ausssagen nicht aus den vorgebrachten Begründungen folgen, sie also keine Theorie im eigentlichen Sinne, sondern lediglich ein Haufen unzusammenhängender Sätze ist. Das hier behandelte Werk von Peter Singer stellt ein Glücksfall für die anschauliche Darstellung der hier beschriebenen Vorgehensweise dar, da hier sowohl logische Widersprüche wie auch nur vorgetäuschte Ableitungen in ausreichender Zahl vorhanden sind.

2. Kleine Fehler und mutwillige Interpretationen:

2.1 Singers Widerlegung des Relativismus in der Ethik:

"Die ... letzte Behauptung im Hinblick auf Ethik, die ich ... zurückweisen werde, lautet, dass Ethik relativ oder subjektiv sei."[6]

Singers Argumentation:

Die Ansicht, dass Ethik immer nur auf eine besondere Gesellschaft bezogen ist, hätte folgende Konsequenzen[7]:

Es besteht kein wirklicher ethischer Konflikt, wenn Mitglieder einer Gesellschaft etwas für richtig halten, was in einer anderen Gesellschaft für falsch erachtet wird.

Was in einer Gesellschaft moralisch[8] richtig ist, ist letztlich durch Meinungsumfragen innerhalb dieser Gemeinschaft zu entscheiden.

Bevor Reformer die Mehrheit von ihrer Ansicht überzeugt haben, ist diese per Definition nicht ethisch korrekt, danach aber schon. 'Ethisches sollen' damit einem zeitlichen Wandel unterworfen.

Diese Punkte lassen sich zu einer Aussage zusammenfassen: Die relativistische Ethik ist relativ.

Singers Konklusion aus dieser Tautologie lautet:

"Diese Schwierigkeiten genügen, um den Relativismus zu erledigen;"[9]

Es ist Tautologien zwar wesenhaft immer wahr zu sein, nicht weniger notwendig mit ihnen Verbunden ist aber ihr Mangel an Aussagekraft. Es folgt aus einer bewiesenen Kontradiktion zwar alles, aber aus einer Tautologie folgt gar nichts(ausser sie selbst)[10]. Keine Theorie ist alleine deswegen erledigt, weil sie das behauptet was sie behauptet.

2.2 Wann handelt ein Person moralisch?

Singer stellt die Frage: "Was ist der Unterschied zwischen einer Person, die nach moralischen Maßstäben lebt, und einer Person, die das nicht tut?"[11], und gibt darauf Antworten, die nicht vollkommen miteinander verträglich sind:

1. Alleine aus dem Verhalten von Personen kann nach Singer nicht geschlossen werden, ob sie nach moralischen Massstäben leben, entscheidend ist nur, dass "sie aus irgendeinem Grunde glauben, es sei richtig, so zu handeln".[12]

2. "Daher können Menschen alles tun, was wir als falsch betrachten, und doch nach moralischen Maßstäben leben, falls sie bereit sind, das, was sie tun, zu verteidigen und zu rechtfertigen. Vielleicht finden wir die Rechtfertigung unangemessen und halten die Haltung für falsch, aber der Rechtfertigungsversuch, ob angemessen oder nicht, genügt, um das Verhalten der Person in den Bereich des Ethischen im Gegensatz zum Nicht-Ethischen zu versetzen."[13]

Mögliche Fälle:

a) Eine Person glaubt ‚aus irgendeinem Grunde', dass eine Rechtfertigung ihres Verhaltens falsch ist und handelt in Übereinstimmung mit dieser Überzeugung.

- Nach 1. handelt diese Person moralisch, nach 2. nicht - Widerspruch zwischen der 1. und der 2. Aussage

b) Eine Person ist bereit ihr Verhalten ‚zu verteidigen und zu rechtfertigen', ohne aber wirklich zu glauben, dass sie das richtige tut.

  • Nach 2. handelt diese Person moralisch, nach 1. nicht - Widerspruch zwischen der 1. und der 2. Aussage

Damit wurde, unabhängig davon was auch immer wirklich das Kriterium von moralischem Handeln ist, gezeigt, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig die 1. und die 2. Aussage zu behaupten, ohne sich in Widersprüche zu verstricken.

Das unangenehme an Widersprüchen ist, dass wer einen zulässt allen Widersprüchen die Türe öffnet[14] und damit jedes argumentieren und sprechen sinnlos zu werden droht.

Äusseres Verhalten und innere Einstellung wurden von Singer in der 1. Aussage als etwas Verschiedenes erkannt, allerdings scheint er diese Erkenntnis schnell wieder vergessen zu haben.

2.3 Bedeutet natürlich dasselbe wie moralisch?

Einerseits scheint Singer die Regel, dass von natürlichen Gegebenheiten nicht einfach auf das was sein soll geschlossen werden darf, anzuerkennen.[15]

Andererseits lassen sich Zitate wie folgendes finden:

"Viele Zygoten werden aus der Gebärmutter herausgeschwemmt, ohne daß die Frau irgendeine Störung bemerkt. Weshalb sollte dann die absichtliche Entfernung einer unerwünschten Zygote Anlaß zur Beunruhigung sein?"[16]

Wobei der Fairness halber darauf hingewiesen werden muss, dass Singer damit vielleicht lediglich auf die Schmerzfreiheit dieses Abganges hinweisen wollte, doch scheint mir hier zumindest eine gewisse beabsichtigte ‚Durchmischung' der Wirkung vorzuliegen.

2.4 Oder ist Gewohntes richtig?

Ähnlich wie der Schluss von der natürlichen Veranlagung auf das was sein soll, ist der vom Gewohnten hin zum Richtigen, diesen müsste Singer alleine schon wegen seiner Ablehnung des Relativismus als falsch anerkennen. Er verurteilt diesen Übergang auch ständig und betont, dass es nicht darauf ankomme, was wir gewöhnlich tun, sondern was wir tun sollten.

Trotzdem kann man im ganzen Buch immer wieder solche Beispiele finden:

"Die Schlußfolgerungen[,dass das Töten unschuldiger Menschen nicht grundsätzlich falsch ist] ... verletzen eine der grundlegendsten Lehren der westlichen Ethik ... Ich habe[aber] bereits zu zeigen versucht, daß unsere Schlußfolgerungen ... von bestehenden Praktiken weniger radikal abweichen als man annehmen könnte."[17]

"Wenn diese Folgerungen [dass ein Kind, bevor es ein Selbstbewusstsein erreicht hat, lediglich ein Gefäss für Glück und Leid ist, bei dem es nur auf den Inhalt ankommt, das Kind selbst aber beliebig ersetzbar ist] zu schockierend erscheinen, um ernst genommen zu werden, dann sollten wir uns vielleicht daran erinnern, daß unser heutiger absoluter Schutz des Lebens von Säuglingen Ausdruck einer bestimmten jüdisch-christlichen Haltung ist und nicht etwa ein universaler moralischer Wert. Kindstötung wurde in Gesellschaften praktiziert, die sich geographisch von Tahiti bis Grönland erstrecken und kulturell voneinander so verschieden sind wie die nomadisierenden Ureinwohner Australiens von den hochkultivierten Stadtbewohnern des alten Griechenland oder des alten China der Mandarine. In einigen dieser Gesellschaften war Kindstötung nicht bloß erlaubt, sondern sie wurde unter bestimmten Umständen als moralische Verpflichtung angesehen. Ein mißgestaltetes oder krankes Kind nicht zu töten wurde oft als unrecht betrachtet, und Kindstötung war vermutlich die erste Form von Bevölkerungskontrolle."[18]

Singer ist in seinem ganzen Werk immer wieder bemüht, wo immer es möglich ist, auf Parallelen zwischen Konsequenzen seiner Ethik und unserem tatsächlichen Handeln hinzuweisen. Auch sucht er die Nähe zu Auffassungen berühmter Philosophen wie Aristoteles oder Platon.[19] Dies darf zumindest als eine sehr inkonsequente Vorgehensweise betrachtet werden, bedenkt man seine ausdrückliche und wiederholte Ablehnung von Gewohnheiten, Autoritäten und Traditionen hinsichtlich ihrer moralischen Relevanz.

Besonderes Gewicht erhält dieser Vorwurf, neben der angesprochenen Kulturabhängigkeit unseres Verhaltens und damit zwangsläufigen Verbindung zum abgelehnten Relativismus, durch die radikale Leugnung jeder Form des intuitiven Gefühls oder der ‚innneren Stimme'[20], die Gewohntem vielleicht doch wieder einen gewissen ethischen Wert verschaffen könnte.

2.5 Ist Unverständlichkeit eine Garantie für Wahrheit ?

Stellenweise ist es auch sehr schwer zu verstehen, was Singer mit seinen Worten meint.

Das Kriterium für eine wichtige Unterscheidung, die am Ende dafür entscheidend ist, wo die Grenze zwischen Wesen mit einem Recht auf Leben und solche ohne dieses liegt, formuliert er folgendermassen: "Wir könnten zugestehen, daß die Totalansicht dann anwendbar ist, wenn wir es mit Wesen zu tun haben, die nicht als Individuen existieren, welche ein eigenes Leben führen."[21]

Alles was als reales Wesen existiert, ist natürlich ein ‚dieses da' und damit zwangsläufig individuell. Sollte dieser Einschub ‚die nicht als Individuen existieren' lediglich so verstanden werden, dass Singer darauf hinweisen will, es gehe hier nicht um ein Urteil über wie auch immer zusammengefasste Gruppen, sondern jedes Individuum müsse einzeln kontrolliert werden, bleibt ein weiteres Problem: Wer führt kein eigenes Leben?

Wer oder was lebt wirklich und nicht nur metaphorisch das Leben eines anderen?

Falls ‚eigenes Leben' im Sinne von selbstständig gemeint wurde, wer lebt wirklich vollkommen unabhängig von allen anderen Lebewesen? Dasselbe liesse sich sagen, ginge es darum wer seine Entscheidungen vollkommen willentlich, bewusst und unbeeinflusst trifft.[22]

Doch für Singer scheint die Sache klar zu sein, da keine Klärungen folgen.

2.6 Denn was heute noch galt, das ist Morgen schon alt:

Im Zusammenhang mit der Euthanasie stellt Singer folgende Behauptung auf:

"Eine Person kann, während sie noch gesund ist, ein schriftliches Euthanasiegesuch verfassen, für den Fall, daß sie durch Unfall oder Krankheit unfähig wird, eine Entscheidung über ihren eigenen Tod zu fällen oder zu äußern (etwa wegen zu großer Schmerzen oder geistiger Lähmung); vorausgesetzt, es besteht keine vernünftige Hoffnung auf Genesung. Tötet man jemanden, der ein solches Gesuch verfaßt und von Zeit zu Zeit bestätigt hat und der sich in dem einen oder anderen wie oben beschriebenen Zustand befindet, dann bedeutet das wirklich, daß man im Einverständnis mit der betreffenden Person handelt."[23]

Diese Implikation scheint mir nicht gegeben zu sein. Diese Formulierung besagt, in diesem Fall eindeutig und zweifelsfrei, dass wenn ich etwas tue wozu mich eine Person zu einem früheren Zeitpunkt aufgefordert hat, ich dann in dem Moment in dem ich handle im Einklang mit der entsprechenden Person agiere. Rein logisch analysiert scheint dies ein korrekter und damit zwingender Schluss zu sein, doch auch in der Logik darf man nicht einfach nur auf die Zeichen schauen ohne zu bedenken wofür sie stehen, will man eine quaternio terminorum[24] vermeiden. Ob diese hier vorliegt, ist, spätestens seit sich Theseus bei seiner Schiffsreise so viel Zeit lies, eine heiss diskutierte Frage. Aber wie immer man auch zur Identität einer Person durch die Zeit steht, eines ist sicher: Eine Person besitzt geradezu per Definition die Möglichkeit, ihre Meinung zu ändern. Damit ist alles notwendige gesagt, um Singers Aussage als falsch zu erweisen. Denn nicht weniger zweifelsfrei dürfte feststehen, dass zumindest für uns, die wir selbst Wanderer durch die Zeit sind, immer nur die jeweils im Moment existierende Person real ist. Dadurch kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass, wenn ich tue was mir eine Person zu einem früheren Zeitpunkt aufgetragen hat, ich zum Zeitpunkt der Handlung noch im Einklang mit dem momentanen Willen der entsprechenden Person stehe.

Verschärft wird diese Problematik noch durch ein Zitat Singers: "Man meint fast nie, was man sagt."[25]Dadurch können wir noch weniger sicher sein, im Einverständnis mit der entsprechenden Person zu handeln. Die Aussage "ich möchte lieber Tod sein, als ein Krüppel zu werden" bedeutet vielleicht nicht mehr, als dass es sich diese Person nicht vorstellen kann, als ‚Behinderter' zu leben. Auch das "ich will nicht mehr leben" von ‚gesunden' Personen wird heute in der Psychologie zumeist als Schrei nach Zuwendung und nicht als wirklicher tiefer und ernstgemeinter Todeswunsch verstanden.

2.7 Vorläufige Zusammenfassung und neue Ausrichtung:

Selbst wenn mir diese hier behandelten Punkte nicht vollkommen aus der Luft gegriffen scheinen, treffen sie doch nicht wirklich den Kern der ´Singerschen Ethik´. Da dieser aber davon überzeugt ist, dass eine Ethik, welche für die Praxis nicht geeignet ist, auch in der Theorie nicht korrekt sein kann[26], versucht er daher mit grossem Aufwand alle möglichen slippery-slope Argumente, die gegen seine Auffassung sprechen könnten, von der Hand zu weisen. Für eine Widerlegung ist es aber gar nicht nötig zu behaupten, dass eine Gesellschaft, welche die Ehrfurcht vor dem Leben anderer verloren hat, mit der Zeit den Respekt vor jeder Art von Ethik verlieren wird, selbst vor dieser Utilitaristischen singerscher Prägung. Denn selbst wenn an dieser Ethik festgehalten würde, bedeutete dies kein Schutz vor apokalyptischen Zuständen. In diesem Zusammenhang sollen nun ‚mögliche Welten' vorgestellt werden, die mit dieser Ethik verträglich sind, deren Wirkungen auf den Leser mir aber durchaus geeignet scheinen, den angesprochenen Kern ganz zu knacken:



[6] S 13

[7] z.B.:"Nehmen wir uns zuerst die oft vertretenen Ansicht vor, Ethik sei bezogen auf die Gesellschaft, in der man zufällig lebt." S 13

"Das neue Wissen - und das ist nicht weiter überraschend - ließ manche zu der Ansicht gelangen, daß nicht nur der Moralkodex des 19. Jahrhundert keine objektive Gültigkeit besaß, sondern daß ein moralisches Urteil lediglich die Gewohnheit der Gesellschaft widerspiegelt, in der es abgegeben wird." S 14

[8] Singer verwendet die Wörter ‚Ethik' und ‚Moral' als Synonyme, wie auf Seite 9 gleich zu Anfang explizit formuliert. Obwohl mir dies im deutschen Sprachgebrauch als kein exakter Wortgebrauch erscheint, wird der Einfachheit wegen für diese Arbeit die angesprochene Gleichsetzung übernommen.

[9] S 15

[10] 'Zumindest in einem nichtformalen umgangssprachlichen Sinn

[11] S 18

[12] S 19

[13] S 20

[14] ex falso, quod libet

[15] "Angenommen aber, wir würden unsere Nahrung erjagen und dies wäre Bestandteil eines natürlichen Evolutionsprozesses: dann würde immer noch ein Denkfehler in der Annahme stecken, dieser Prozeß sei deshalb richtig, weil er natürlich ist. Es ist zweifellos ‚natürlich' für Frauen, von der Pubertät bis zur Menopause jedes Jahr ein oder zwei Kinder zu gebären, aber das bedeutet nicht, daß es falsch ist, in diesen Prozeß einzugreifen. Wir müssen die Naturgesetze kennen, von denen wir betroffen sind, um die Folgen dessen, was wir tun, abzuschätzen; aber wir müssen nicht davon ausgehen, daß die natürliche Art, etwas zu tun, sich nicht verbessern ließe." S 88

[16] S 146f

[17] S 200 Hervorhebung vom Verfasser der vorliegenden Arbeit

[18] S 172

[19] S107: "Platon und Aristoteles waren der Meinung, der Staat sollte die Tötung mißgestalteter Kinder durchsetzen."

Singers eigene Meinung dazu, z.B. auf Seite 173:

"Wir sollten Kindstötung sicherlich nur unter sehr strengen Bedingungen erlauben; aber diese Beschränkungen würden sich eher den Wirkungen der Kindstötung auf andere verdanken als der Verwerflichkeit an sich, Säuglinge zu töten."

[20] Siehe z.B. auf den Seiten 251-253. Auf Seite 252 findet sich unter anderem folgendes Zitat: " Die ‚innere Stimme' ist wahrscheinlich eher ein Produkt von Kinderstube und Erziehung als eine Quelle genuiner moralischer Einsicht."

[21] S 142

[22] Im ersten Fall würde die Totalansicht auf kein Lebewesen, also auf kein Element des Bereiches über den quantifiziert wird zutreffen, im anderen auf alle, damit wird die angestrebte Klassenbildung in bezug auf die Wertigkeit der Leben hinfällig. Selbst wenn es auf ontologischer Seite wirklich eine Trennung in Wesen mit einem Recht auf Leben und solche ohne geben würde, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass dieses Kriterium die richtige Zweiteilung auf keinen Fall leisten kann, da es eben überhaupt keine echten Teilmengen innerhalb der Ausgangsmenge erzeugt. Das Kriterium muss deshalb in jedem Fall als gescheitert betrachtet werden.

[23] S 176f

[24] Das heisst dass man, statt aus gleichen Begriffen lediglich aus gleichen Wörtern verschiedene Zusammenhänge auf inhaltlicher Ebene herstellt, bei denen mindestens ein Wort in verschiedenen Sätzen für verschiedenes steht, und die Konklusion damit natürlich ihren zwingenden Anspruch auf Wahrheit (die Korrektheit der Prämissen und Folgerung vorausgesetzt verliert)

[25] S 101

[26] z.B. S 10 "Zweitens ist Ethik nicht ein ideales System, das sehr edel in der Theorie, aber untauglich in der Praxis wäre. Das Gegenteil kommt der Wahrheit näher; ein Urteil, das für die Praxis nichts taugt, muß gleichermaßen an einem theoretischen Defekt leiden, denn der Zweck moralischer Urteile insgesamt ist es das Handeln zu leiten."

3. Die schiefe Bahn:

Da aus der Sicht Singers ein Kind, bevor es ein Selbstbewusstsein entwickelt, nur ein Gefäss für Glück ist, kann es ohne weiteres getötet werden, wenn dies ‚die Gesamtsumme des Glücks' verbessert[27], diese Tat stellt sogar eine moralische Handlung dar. Dies gilt auch für den Fall, dass "das Leben eindeutig lebenswert"[28] wäre, um das ein Wesen beraubt wird. Entscheidend ist nur, dass es durch ein weiteres Wesen ersetzt wird, dessen Chancen auf ein glückliches Leben mindestens gleich gross sind.

Ein möglicher Fall wäre nun folgender:

Eine Frau bekommt ein gesundes Kind. Sie entdeckt, dass es blaue Augen hat. Der Einfachheit und kürze der Argumentation halber soll gelten, dass keine weitere Person eine engere Beziehung zu diesem Kind habe. Angenommen diese Person hätte nun eine Vorliebe für grüne Augen und wäre deshalb überzeugt, dass ihr persönliches Glück grösser sein würde, wenn sie ein Kind mit grünen Augen hätte. Weiters sei angenommen, dass keine andere Person dieses Kind adoptieren möchte (z.B. weil: blauäugige Kinder im Moment nicht modern sind; die Frau aus einem Land mit starkem Geburtenüberschuss kommt und ihrer Hautfarbe wegen kein Bedarf nach diesen Kindern in anderen Ländern herrscht; ...). Diese Frau soll nun berechtigte Chancen haben, bei einer weiteren Geburt tatsächlich ein Kind mit der gewünschten Augenfarbe zu bekommen und im Falle einer Tötung ihres jetzigen Kindes auch dazu bereit sein, es noch einmal zu versuchen ein Kind zu bekommen. Hätte sich der zuständige Arzt in seiner Freizeit nun mit der `Singerschen Ethik` beschäftigt und wäre diese zur staatlichen Gesetzesgrundlage geworden, wüsste er, dass ihm aus moralischer Sicht zweifelsfrei nur die Kindestötung übrigbleibt. Bliebe bei der Mutter und dem Arzt, trotz ihres Wissens um die nicht Existenz einer relevanten 'inneren Stimme' irgendwie ein ungutes Gefühl bei dieser Sache, sollten sie sich genauer an Singer erinnern: "In diesem Zusammenhang sollten wir Gefühle beiseite lassen, deren Grundlage die kleine, hilflose und - zuweilen- niedliche Erscheinung menschlicher Säuglinge ist."[29]

"Wenn wir diese emotional bewegenden, aber völlig unerheblichen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Töten eines Babys zurückstellen, erkennen wir, daß sich die Gründe gegen das Töten von Personen nicht auf neugeborene Säuglinge anwenden lassen."[30] Das indirekte Argument der klassischen Utilitaristen, dass diese Handlung auch das Glück der Überlebenden vermindere, weil sie z.B. ein dem Glück abträgliches Angstgefühl entwickeln könnten, lässt Singer nicht gelten: "In dieser Hinsicht hatte Bentham recht, der den Kindsmord als etwas beschrieb, was seiner Natur nach selbst der ängstlichsten Phantasie nicht die geringste Beunruhigung verschaffen kann. "[31]

Da nichts mehr sein kann als ein Superlativ, ist es nicht möglich, dass irgend jemand durch solche Praktiken geängstigt werden könnte, und damit in seinem Glück beeinträchtigt würde, was ja höchst negative Folgen für die wichtige Gesamtsumme des kollektiven Glückes hätte. Dem ist nun aber ganz entscheiden nicht so.[32]

Dies ist noch ein relativ ‚harmloser' Fall im Vergleich zu anderen ‚möglichen Welten', die sich mit der selben Argumentation herleiten lassen.

Obwohl immer wieder darauf hingewiesen wird, dass dies eine Form der Ethik ist, die für vollkommene Gleichheit hinsichtlich Rasse[33] und Spezies sorgt, könnte die Realität dennoch anders ausschauen. Singer weist selber darauf hin, dass es ohne weiteres möglich ist, dass genetische Unterschiede zwischen den Rassen bestehen, nur lehnt er es ab, dass zum Beispiel ein höherer durchschnittlicher Intelligenzquozient einer Rasse Privilegien für diese bedeutet. Aber falls sich herausstellen würde, dass eine Volksgruppe eine höhere Chance auf Glück hat[34], bzw. eine Rasse einen deutlich höheren Anteil an schwermütigen Grüblern(vielleicht als Folge einer zu starken philosophischen Kultur dieses Menschenstammes, was sich schliesslich auf die Gene auswirkte) besitzt ,als der Durchschnitt der Menschheit, ergibt sich eine bedenkliche Situation:

Wenn es sich bei diesem Stamm um würdige Vertreter der Gattung des ‚denkenden Menschen' handelt, werden sie hoffentlich selbst einsehen, dass sie der Gesamtsumme des kollektiven Glückes wegen aus moralischen Gründen und letztlich sogar Eigeninteresse daran interessiert sein sollten, selbst keine Kinder zu zeugen. Oder genauer gesagt aufzuziehen, denn zeugen und gebären könnten sie schon, nur sollten dann diese Kinder gegen Kinder einer anderen Volksgruppe ‚ersetzt' werden, falls diese mehr Chancen auf ein fröhliches Leben hätten. Dies folgt zwingend aus der Singerschen Ethik. Kinder vor dem Stadium des Selbstbewusstsein sind nach Singer zweifelsfrei ersetzbar (d.h. können ermordet und durch andere mit der gleichen Summe an Glück ersetzt werden), Kriterium ist hier alleine das kollektive Glück.

Probleme könnte es geben, wenn eine Volksgruppe nicht sehr aufgeklärt ist und kein Interesse an der eigenen Auslöschung hätte. Ein Wesen mit Selbstbewusstsein zu töten, ist nicht so ohne weiteres möglich, es besteht ein gewisser Unterschied zu Wesen, die lediglich über ein Bewusstsein verfügen. Aber auch hier lehnt Singer jede Redeweise von der Heiligkeit des Lebens ab, es sind lediglich vier Umstände, die es zusätzlich zu beachten gilt:

"(1)Die klassisch-utilitaristische Behauptung, daß das Töten ihrer selbst bewußter Wesen, weil sie fähig sind, ihren eigenen Tod zu fürchten, schlimmere Wirkungen auf andere hat.

(2)Die präferenz-utilitaristische Erwägung, die es als wichtigen Grund gegen das Töten erachtet, daß der Wunsch des Opfers weiterzuleben durchkreuzt wird.

(3)Eine Theorie von den Rechten, nach der man, um ein Recht auf Leben zu haben, fähig sein muß, das zu wünschen, worauf man ein Recht hat, so daß man, um ein Recht auf Leben zu haben, fähig sein muß, die Fortsetzung seiner eigenen Existenz zu wünschen.

(4)Respekt vor den autonomen Entscheidungen rational handelnder Wesen." [35]

Dies scheint auf den ersten Blick doch ein ziemlicher Schutz für das Leben von denen zu sein, die Singer unter Personen zusammenfasst und für die diese vier Punkte gelten. Bei genauerer Betrachtung bleibt davon aber nicht mehr viel übrig:

ad 1.)

Dieser Punkt besagt eben, dass Töten schlecht ist, nicht weil der getöteten Person irgend ein Leid oder Unrecht zugefügt wird, sondern weil die Überlebenden Angst bekommen könnten, wenn sie bemerken, dass Wesen wie sie einfach getötet werden. Töten von Personen ist also aus utilitaristischer Sicht deshalb schlecht, weil es das kollektive Glücksgefühl vermindert. Stellt man sich aber eine Situation vor, bei der alle Überlebenden der Meinung wären (absolute Sicherheit welche Handlungen zu Glücksgefühlen führen haben wir selten, es wären deshalb immer nur Vermutungen aufgrund derer wir entscheiden müssten, wessen Leben unserem Glück im Wege steht), dass ihr Glück grösser würde, wenn sie von einem bestimmten Menschengeschlecht befreit wären, so gälte es nur zu beachten, dass diese Menschen bei ihrem Tod möglichst wenig zu leiden hätten. Wahrscheinlich könnten nicht alle getäuscht werden, einige würden erkennen, dass ihre Vernichtung geplant ist und dadurch in ihrem Glücksempfinden beeinträchtigt werden, was aber dadurch ausgeglichen wird, dass wesentlich mehr Menschen ein Glücksgefühl empfinden würden(oder dies eben glauben würden), wenn diese Menschen beseitigt werden. Womit die Gesamtsumme des Glücks nach der singerschen Algebra in die gewünschte Richtung verändert würde. Das dies kein vollkommen theoretisches Szenario ist, wurde nicht nur in diesem Jahrhundert und nicht nur in unserer Kultur bewiesen. Zu allen Zeiten und in fast allen Kulturen hat es immer wieder Fälle gegeben, wo eine Mehrheit davon überzeugt war, glücklicher zu werden, wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen ausgelöscht wird. Nur wurde dabei nicht immer das utilitaristische Diktum befolgt, dass dies auf möglichst schmerzfreie Art zu geschehen hat. Ob dies aber wirklich einen so grundsätzlichen Unterschied gemacht hätte, wenn die Nazis in ihren Vernichtungslager auf ihren Sadismus verzichtet und dafür streng utilitaristisch getötet hätten, scheint mir fraglich. Besonders Handlungen wie z.B. Experimente die an Menschen durchgeführt wurden, mit dem Ziel dadurch Informationen zu erhalten, um so viel mehr und ‚wertvollerere' Menschen retten zu können, stellen keinen wirklichen Widerspruch zu einem Denken in Kategorien wie ‚die Gesamtsumme des Glücks muss maximal sein' dar.

ad 2.)

Singer hat den klassischen Utilitarismus dadurch ergänzt, dass er neben dem Grad des empfundenen Glückes auch noch die Wünsche, bzw. die Fähigkeit zu wünschen, als einen wichtigen Punkt hinzu nimmt. Er argumentiert nicht wirklich klar, warum den Wünschen ein so starkes Gewicht gegeben werden muss, vom Standpunkt eines reinen Utilitaristen ist dies nicht gerade einsichtig.

Aber wie auch immer, um die Aussagekraft dieses Punktes hinsichtlich eines wirklichen Schutzes des Lebens von Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen zu widerlegen, muss nicht argumentiert werden, reines zitieren ist ausreichend:

"Auch für den Präferenz-Utilitarismus ist das dem getöteten Wesen zugefügte Übel nur ein zu beachtender Faktor, und die Präferenz des Opfers könnte manchmal durch die Präferenz von anderen aufgewogen werden."[36]

Damit ist klar und vom Autor dieser Ethik selbst bestätigt, dass dieser Punkt keinen wirksamen Schutz gegen die Tötung von Menschen darstellt, falls eine grössere Menge anderer Personen den starken Wunsch verspürt, dies zu tun.

ad 3.)

Singer gibt am Ende seiner Argumentation für diese Auffassung des "Recht auf Leben" selbst zu: "Dieses Argument ist unvollständig."[37] Behauptet aber dennoch anschliessend:

"Auf jeden Fall kenne ich kein besseres Argument zur Verteidigung dieses angeblichen Rechts [auf Leben] als Tooleys Argument."[38]

Wie sieht diese beste Verteidigung des doch nicht ganz unwichtigen Rechtes auf Leben aus?

Singer zitiert dazu Michael Tooley:

"Es ist eine grundlegende Empfindung, daß ein Recht auf Leben etwas ist, das verletzt werden kann, und daß die Verletzung des Rechts auf etwas bei einem Individuum gleichbedeutend ist mit der Enttäuschung des entsprechenden Wunsches." [39]

und fasst dies auch in eigenen Worten zusammen:

"wenn das Recht auf Leben das Recht ist, weiterhin als eine distinkte Entität zu existieren, dann ist der für den Besitz des Rechts auf Leben relevante Wunsch der Wunsch, weiterhin als eine distinkte Entität zu existieren." [40]

Da man die Prämissen nicht stärker machen sollte, als dies für die Konklusion nötig ist, soll es hier dahingestellt bleiben, ob die Möglichkeit etwas wünschen zu können wirklich eine notwendige Bedingung für ein Recht ist und was unter ‚wünschen' genau zu verstehen ist. Mit Sicherheit steht fest, dass der Wunsch nach etwas nicht gleichbedeutend ist mit dem Recht nach demselben. Es handelt sich hier also auf keinem Fall um ein hinreichendes Kriterium.

Ich mag mir wünschen, morgen der Präsident der USA zu sein, trotzdem ist es nicht sinnvoll zu sagen, dass meine Rechte verletzt werden, wenn ich am nächsten Tag nicht von allen mit ‚Mr. President' angesprochen werde.

Ich mag mir wünschen morgen noch am Leben zu sein, wenn es für die rechtliche Legitimation dieses Wunsches wie Singer meint kein besseres Argument gibt, als das angesprochene, kann ich nur hoffen, dass keiner der mir nicht wohlgesonenen Mitbürger eine Ahnung von Logik hat.

Mit diesem Argument mag man in der Lage sein, bestimmten Wesen das Recht auf Leben abzusprechen, aber sicher nicht wie Singer das meint, Menschenleben zu schützen.

ad 4.)

Dieser Punkt läuft auf dasselbe hinaus, wie die Punkte zwei und drei, der Grund für ihre Aufsplitterung dürfte mehr am optischen Eindruck liegen, denn in sachlichen Überlegungen.

Dies wird deutlich, wenn Singer erklärt, was mit ‚Autonomie' gemeint ist:

"Mit ‚Autonomie' ist die Fähigkeit gemeint, eine Wahl zu treffen, eine Handlung nach eigener Entscheidung zu vollziehen."[41]

Trotzdem soll auch dagegen eine eigene Argumentation angeführt werden:

Abgesehen davon, dass die verschiedensten Arten von Deterministen dem Menschen diese Fähigkeit letztlich absprechen würden, seien es Vertreter des ‚neuen Naturalismus' oder Anhänger einer Theorie, nach welcher der göttliche Wille alle Entscheidungen schon getroffen hat und wir letztlich mehr Erscheinung denn selbsttätige Wesen sind, bietet dies auch unter der Voraussetzung, dass wir Menschen diese Autonomie besitzen, keine Sicherheit für unser Leben.

Man könnte es als eines der Grundprinzipien unserer ‚westlichen' Form der Demokratie ansehen, dass sie die Autonomie jedes einzelnen nach Möglichkeit respektiert. Trotzdem muss auch die liberalste Staatsform diesem Respekt vor der Autonomie des Individuums Grenzen setzen. Dies gilt nicht nur für die Fälle, bei denen jemand gegen aufgestellte Gesetze verstösst und anderen mehr oder weniger direkt Leid zufügt bzw. deren Autonomie verletzt.

Auch scheinbar klare Rechte einzelner müssen beim Zusammenleben grösserer Gruppen manchmal Notwendigerweise dem Ganzen geopfert werden, da sonst kein organisiertes gemeinsames Leben möglich wäre.

Man mag Bürgern zugestehen, dass sie ein Recht haben, in ihrem auf ehrliche Weise erworbenem Haus zu leben. Trotzdem gibt es eine Vielzahl von Gründen, bei denen Enteignungen, bei aller persönlichen Tragik, von praktisch allen Menschen als richtig und notwendig angesehen werden. Dies gilt auch für Situationen, bei denen das Interesse jedes einzelnen, der für diese Enteignung ist, wesentlich geringer ist, als das Einzelinteresse der enteigneten Person. Es scheint irgendeine Art von Addition der Wünsche zu geben, wie viel Vorsicht bei solchem Sprechen auch immer geboten sein muss.

Strassen sind ein notwendiges Übel unserer Gesellschaftsform. Die Person, deren Haus für den Bau einer Autobahn abgerissen werden muss, hat sicher einen sehr starken Wunsch, dass diese Strasse nicht genau durch ihr Grundstück führt. Der Planer dieser Verkehrsverbindung wird sicher nicht mit gleicher Intensität wünschen, dass diese genau durch jenes Haus läuft, kaum ein Benützer dieses Verkehrsweges wird sich genau so stark wünschen, exakt an dieser Stelle zu fahren, wie der arme Hausbesitzer dies zu verhindern hoffen wird, der dadurch vielleicht das seit Generationen im Familienbesitz befindliche Gebäude verliert. Trotzdem kommen solche Situationen oft vor und werden als zwar bedauerlich aber dem Wesen der Demokratie entsprechend betrachtet.

Geht es aber nicht einfach nur um den Besitz einer Person, sondern um ihr Leben, schaut die Sache nach herkömmlicher ‚nicht - Singerschen' Ethik vollkommen anders aus, und dies wahrscheinlich nicht nur, weil hier keine wirkliche Form der Wiedergutmachung möglich ist. Das ist es nämlich, was darunter verstanden wird, wenn von der ‚Heiligkeit des Lebens' gesprochen wird, über die sich Singer so oft lustig macht. Leben wird als ein Wert an sich betrachtet, der weit über jenem von gewöhnlichen materiellen Gütern liegt[42] und nicht von irgendwelchen Gefühlen abhängt, welche die entsprechende Person vielleicht hat oder einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach haben wird.

Bei genauer Betrachtung hat sich dieser Schutz des seiner selbst bewussten Lebens, den Singer mit seiner Ethik bieten konnte(wobei der Punkt zwei, sowie vor allem die Punkte drei und vier ad hoc hinzugenommene Argumente sind, die nicht wirklich mit der sonst vertretenen ‚Philosophie' harmonieren), als sehr schwach erwiesen. Obwohl Singer diese Ethik sicher nicht entworfen hat, um damit politische Morde zu rechtfertigen, scheint mir ein Völkermord oder zumindest die Tötung bestimmter unbeliebter Gruppen mit dieser Ethik sehr gut vereinbar. Er schreibt zwar:

"Wir mögen es zwar für unwahrscheinlich halten, daß eine Politik des Völkermordes jemals von der wählenden Mehrheit gebilligt werden könnte, aber wenn es doch geschähe ... sind wir praktisch zur Anwendung jedes Mittels berechtigt, das Wirkung verspricht [diesem Verbrechen Einhalt zu gebieten][43]."

Das Mittel, das mir wirklich geeignet scheint, solchen Praktiken jeder moralische Legitimation zu berauben, ist die Handlung des über Bord werfens dieser kurzsichtigen Formen des Utilitarismus Singerscher Prägung.



[27] z.B. S 99-125, S 174-190

[28] S 182

[29] S 170

[30] ebd.

[31] ebd.

[32] Möglicher Einwand Singers: Er wolle nur auf das klassische indirekte Argument des Utilitarismus verweisen, welches gegen das Töten von Personen spricht: Sehe ich wie Wesen getötet werden, die so sind wie ich, sinkt mein Glückspegel aus Sorge, dass auch ich getötet werden könnte. Da ich, wenn ich mir der Säuglingmorde bewusst werde, selbst kein Säugling mehr sein kann, muss ich auch keine Angst mehr haben, als Säugling zu gelten und selbst von dieser Praktik betroffen zu werden. Mein Gegeneinwand: Dem klassischen Utilitaristen geht es nur um Glück und das Vermeiden von Hindernissen dieses Gefühls, wie eben Angst. Es ist unwichtig warum ich Angst habe oder mich schlecht fühle, ob aus Angst vor der Möglichkeit selbst getötet zu werden oder der Furcht vor einer Gesellschaft, die solche Praktiken gut heisst.

[33] Man verzeihe mir bitte die Verwendung von Wörtern wie ‚Rasse', ‚ Menschenstamm', oder ‚Volksgruppe', vor allem im Zusammenhang der Thematik lebenswertes Leben. Aber ich sehe mich gezwungen auszusprechen was schon ausgesprochen wurde, in der Hoffnung damit in eine Richtung zu wirken, die solche Art zu denken und damit zwangsläufig irgendwann auch zu handeln, ad absurdum führt.

[34] Ein berechtigter Einwand wäre, wie man überhaupt feststellen kann, wie hoch die Chance von jemandem auf das so subjektive Glücksgefühl ist. Aber die ‚Singersche Ethik' als Ganzes ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass dies festgestellt werden kann, wie er auch selbst zugibt( siehe Fussnote 22).

Weiters könnte Singer einwenden, dass er Wert darauf legt, eben nicht wie hier über ein Kollektiv zu urteilen, sondern immer jeden Einzelfall für sich zu betrachten. Dies kann eindeutig widerlegt werden. Singer plädiert für die Abtreibung geistig Behinderter, mit dem Hinweis, dass sie weniger Chancen auf Glück hätten. Dabei schliesst er aber nicht aus , dass es Fälle gibt, in denen ein konkreter geistig Behinderter ein glücklicheres Leben führt als ein ‚normaler Mensch'. Sowie es auch nicht von vornherein gesagt werden kann, ob Eltern in einem tatsächlichen Fall längerfristig mehr Glück durch ein behindertes oder ein gesundes Kind erfahren werden. So wird also auch hier von einer Art Durchschnittwert auf Einzelfälle geschlossen: "man möge sich erinnern, daß es geistesgestörte Menschen gibt, die weniger Anspruch als viele nicht menschliche Lebewesen haben, als selbstbewußt oder autonom zu gelten. Benutzen wir diese Eigenschaften dazu, eine Kluft zwischen Menschen und andere Lebewesen aufzureißen, dann siedeln wir diese unglücklichen Menschen auf der anderen Seite der Kluft an;"(S 92 Hervorhebungen durch den Verfasser dieser Arbeit). Es wird also ohne jede Spezifizierung die gleiche Gruppe von Menschen einmal als ‚geistesgestört' und anschliessend als ‚unglücklich' bezeichnet. Logisch scheint mir hier eine Subjunktion angedeutet:

Für alle die gilt: geistig behindert, gilt auch : Unglücklich

Also wird, wie schon gesagt, auch hier von einem, nicht einmal statistisch ermittelten sondern vollkommen willkürlich gesetztem ‚Durchschnittswert' auf den konkreten Einzelfall geschlossen. Analog dem Schluss von einem ‚Rassendurchschnitt' auf eine wirkliche und damit zwangsläufig konkrete Person, auch wenn dieser von Singer kategorisch abgelehnt wird:

"Zweitens gestattet das Faktum, daß der durchschnittliche IQ von Weißen 15 Punkte höher ist als der von Schwarzen, nicht die Behauptung, alle Weißen hätten höhere IQs als Schwarze - das ist sicher falsch - oder irgendein besonderes weißes Individuum habe einen höheren IQ als ein besonderes schwarzes Individuum - das dürfte falsch sein. Es geht darum, daß diese Tabellen den Durchschnitt betreffen und nichts über Individuen aussagen." S 43

[35] S 192

[36] S 113 Diese Hervorhebung wurde aus dem Original übernommen!

[37] S 115

[38] ebd.

[39] S 114 Singer nennt als Quelle des Zitates: Michael Tooley, in The Problem of Abortion.J. Feinberg (Hrsg.), Belmont 1973, S 60. Hervorhebungen durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit

[40] S 114f

[41] S 115

[42] Bei allen berechtigten Relativierungen dieser Aussage, wie: Inkaufnahme von Verkehrstoten wegen der Weigerung die Geschwindigkeitslimits und damit die Mobilität zu verringern; die Gesundheit schädigende Arbeitsbedingungen die mit Rentabilitätsargumenten begründet werden; Minimale BIP- Ausgaben für Entwicklungshilfe; militärische Konfliktbereitschaft wegen Erdölvorkommen;...

[43] S 264

4. Was wurde bis jetzt bewiesen und welche Arbeit muss noch getan werden?

Wollte man das Singersche Diktum, dass Gefühle in der Ethik nichts verloren haben und unser natürliches Gewissen nur eine Ablagerung von Ammenmärchen ist, auf die Spitze treiben, besagt die Tatsache, dass ein ethisches Konstrukt den Völkermord als moralische Handlung darzustellen erlaubt, noch nicht dessen Falschheit. Wie Eingangs erwähnt, kann ja die Auffassung vertreten werden, man könne nicht so einfach ohne theoretische Argumentation behaupten, was sein soll und was nicht. Wird der Völkermord als etwas schlechtes betrachtet, so muss dies aus einer anderen Theorie bewiesen werden, deren Grundprinzipien noch einleuchtender sind, als die der zu widerlegenden und aus der mit Notwendigkeit folgt, dass Völkermord nicht mit dieser Ethik vereinbar ist. Der einzig andere Weg wäre ein Aufzeigen von Fehlschlüssen, die zur Ableitung dieses Szenarios führten, bzw. die begründete Kritik an einem der Axiome.

Falls es nur darum geht, Singer einen Widerspruch nachzuweisen, ist dies nicht nötig. Er nimmt in fast jedem Kapitel auf den Nationalsozialismus bezug, um die Unverträglichkeit seiner Ideen mit dieser Ideologie zu demonstrieren und stellt einen ganzen Abschnitt unter die Überschrift: "Die schiefe Bahn: von der Euthanasie zum Völkermord"[44] bei der er die prinzipielle Unmöglichkeit einer Verbindung zwischen seiner Ethik und beschriebenen Praktiken beweisen will[45].

Nun könnte man aber an den Zauberlehrling denken, der die Geister die er rief, nicht mehr so einfach hinfort bannen konnte, wie er sie bestellt hatte.

Singer könnte sich hinsichtlich der Unverträglichkeit seiner Theorie mit bestimmten daraus folgenden Konsequenzen geirrt haben, aber wer A sagt muss auch B sagen, ist seine Theorie korrekt, müssen auch ihre Ergebnisse stimmen. Es handelt sich ja nicht um Antinomien, sondern eher um so etwas wie ‚ethische Paradoxien' und so manches das uns paradox schien, also unserer gewöhnlichen Meinung entgegengesetzt war, haben wir mit der Zeit als passend akzeptiert. Diese Wandlungsfähigkeit der Doxa kann beinahe zu einem ihrer Wesensmerkmale gemacht werden.

Und ist es nicht eine Art von Recht, auf das sich Philosophen berufen, das da besagt, dass nichts von vornherein abgelehnt werden darf, kein Bereich prinzipiell und ohne Begründung dem Zugriff der philosophischen Argumentation entzogen werden darf. Mit welchem Recht darf man eine Theorie ablehnen, die zu Konsequenzen führt, die wir ablehnen, aber gegen die wir keine sachlichen Argumente vorbringen können und die wir nicht wirklich zu widerlegen imstande sind?

Aber: Selbst wenn es stimmen mag, dass ein Philosoph prinzipiell alles behaupten darf, so gehört zu diesem Recht auch die Pflicht, für jede aufgestellte Behauptung gute Gründe anzugeben. Nur dann darf dieser grosse Name eines Freundes der Weisheit mit wirklichem Recht getragen werden. Um dem regressus ad infinitum zu entgehen, muss und darf dies in der Praxis zwar nicht für jede Aussage gelten, aber dieser Argumentationsstop darf nur dort geschehen, wo man mit einiger Sicherheit von einer evidenten, oder zumindest von fast allen akzeptierten, Tatsache ausgehen kann.

Nachdem nun im ersten Teil der Arbeit Fehler in der Argumentation und Ableitung aufgezeigt wurden, sollte der zweite Abschnitt dazu gedient haben, auf mögliche Konsequenzen die aus dieser Ethik folgen hinzuweisen und die in gewisser Hinsicht ‚für sich selbst sprechen'. Im letzten Abschnitt sollen nun die Grundprinzipien direkt behandelt werden, hinsichtlich ihrer Behauptung, damit implizit verbundene Voraussetzungen und der dafür geleisteten Begründung. Denn wenn das im zweiten Teil beschriebene Horrorszenario wirklich, wie hier behauptet, mit dieser Ethik vereinbar ist und unter der wohl kaum bestrittenen Voraussetzung, dass diese Situation unter den Bereich dessen fällt, was im höchsten Grade als nicht moralisch zu betrachten ist, muss zwangsläufig ein Fehler in den Grundannahmen liegen.[46]



[44] S 209-214

[45] Siehe z.B. das obige Zitat mit der Fussnote 39

[46] Um eine Systematik vorzutäuschen, die weder im behandelten Text, noch in der vorliegenden Arbeit wirklich gegeben ist, könnte der Anschaulichkeit wegen, so man mit entsprechender Denk-und Sprechweiseweise vertraut ist, dies folgendermassen dargestellt werden:

Im ersten Teil wurde gezeigt, dass Sätze abgeleitet wurden, die nicht aus den selbstgewählten Axiomen hervorgehen, bzw. zum Teil gar nicht mit diesen verträglich sind.

Im zweiten Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass Singer Theoreme die aus seinen Grundsätzen folgen, nicht als korrekte Ableitungen erkannt hat.

Im folgenden dritten Punkt sollen nun die Axiome selbst angegriffen werden und gezeigt werden, dass sie nicht den für philosophische Grundsätze erforderliche Kriterien entsprechen.

5.Was behauptet Singer wirklich?

5.1 Die Argumentation für die Richtigkeit des Tötens Unschuldiger:[47]

  • Es ist nicht falsch, ein unschuldiges menschliches Wesen zu töten.[48]

Warum ist es nicht falsch?

  • Weil Menschen ohne Selbstbewusstsein nur Gefässe für Glück und Leid sind, entscheidend ist die Gesamtsumme des Glücks, Wesen ohne Selbstbewusstsein sind unter Beachtung dieses Aspektes beliebig ersetzbar.

Warum sind menschliche Bewusstsein, die über kein Selbstbewusstsein verfügen, beliebig ersetzbar?

Hier erfolgt bereits ein Abbruch der Argumentation. Wesen ohne Selbstbewusstsein definiert Singer als Wesen, die nicht über die Fähigkeit verfügen, sich selbst als distinkte Entitäten zu erkennen. Damit ergibt sich durch sprachliche Festlegung mit Notwendigkeit, dass ein Wesen ohne Selbstbewusstsein nicht die Möglichkeit eines in irgendeiner Form konkreten Wunsches hinsichtlich der eigenen Zukunft haben kann. Aber daraus folgt natürlich nicht, dass ich ein Recht habe diese Wesen zu zerstören, unabhängig davon, ob es solche Wesen gibt oder nicht.

Wenn ich auf der Strasse einen Nylonsack sehe, der augenscheinlich irgendeinen Inhalt hat, aber von dem ich nicht genau weiss, was es ist, habe ich natürlich keine Legitimation, diesen Inhalt zu zerstören, unwissend was es ist, dass ich da vernichte.

Um zu behaupten, dass ein Bewusstsein ohne eine höhere Form des Selbstbewusstseins beliebig ‚ersetzbar' ist, das heisst getötet werden darf, reicht es nicht aus darauf zu verweisen, dass dieses Bewusstsein bestimmte Fähigkeiten[49] nicht hat. Auch wenn ich weiss, dass in der Plastiktasche mit Sicherheit kein Auto ist, erlaubt mir dies noch keinen Schluss, wie ich damit umgehen darf.

Für die Konklusion, dass Leben ohne höher entwickeltes Selbstbewusstsein[50] bei Beachtung der Glückmaximierungsmaxime beliebig zerstört werden darf, ist die entscheidende Frage die geklärt werden muss, was es eigentlich ist, dass da vernichtet werden darf.

Darauf wird in den mehr als 300 Seiten dieses Buches nur ein einziges Mal in einer Nebenbemerkung eingegangen:

"Das Leben begann, wie uns die besten verfügbaren Theorien erzählen, mit einer zufälligen Kombination von Gasen; es entwickelte sich durch willkürliche Mutationen und natürliche Selektion."[51]

Damit wird zwar immer noch nicht wirklich geklärt, was das Leben bzw. Bewusstsein eigentlich ist, aber zumindest erklärt, woher es stammt, was die Ursache ist aus der es hervorging, wer gleichsam der Zeuger war. Hier muss nun an das oben erwähnte Kriterium erinnert werden, dass zwar alles behauptet werden darf, die Begründung dieser Aussagen aber erst bei klar erscheinenden Sachverhalten beendet werden darf.

Analysiert man, was die Wesenseigenschaften von Gasen oder Materie allgemein sind, so darf es keinesfalls als evident vorausgesetzt werden, dass sie die eigentliche Ursache von Bewusstsein darstellen. Glück und Leid sind im wesentlichen das einzige, was einen Utili-taristen am Bewusstsein interessieren und die einzigen Kriterien nach denen sie über Leben und Tod eines nicht selbstbewussten Wesens entscheiden. Bei noch so genauer Untersuchung unserer unbelebten Natur, wird man in ihr keine Fälle von Glück oder Leid entdecken, diese Phänomene sind von Grund auf von denjenigen Erscheinungen verschieden, die wir oft unter der Bezeichnung "Anorganische Welt" zusammenfassen.

Was eine Präferenz, Selbstbewusstsein, Rationalität auf molekularer und damit, nach Singers einziger Aussage über das Leben, der eigentlich relevanten Ebene sind, wäre interessant zu wissen. Wie kann man sinnvoll davon sprechen, dass ein molekularer Zustand sein soll, bzw. nicht sein soll und zwar "an sich", also eben nicht in Bezug auf ein handelndes Wesen, da ja gerade dieses eben im wesentlichen aus diesen chemischen Verbindungen besteht. Da es für jeden denkenden Menschen einsichtig sein müsste, dass es auf der Ebene der Moleküle keine Ethik geben kann muss dieser Weg auf jeden Fall verlassen werden.

Selbst unter der keinesfalls als evident zu betrachtenden Annahme, dass Quanten und Elektronen in einer bestimmten Anordnung plötzlich ein Bewusstsein hervorbringen, muss doch beachtet werden, dass sich weder aus chemischen noch aus physikalischen 'Naturgesetzen' je eine Ethik ableiten lassen wird. Damit ist die Aussage, dass das Leben aus Molekülen entstand ohne jede Relevanz für die Frage, was wir mit diesem Leben tun dürfen, bzw. der eben damit zusammenhängenden Frage, was das Leben/der menschliche Geist seiner eigentlichen Natur nach ist.

Wie sich die Sache auch immer verhält, ein klarer für alle eindeutiger Sachverhalt liegt sicher nicht vor. Es wurde viele Seiten lang für und gegen alles Mögliche argumentiert, aber eine sinnvolle Begründung für die Voraussetzungen dieser Sichtweise wurde gar nicht erst versucht.

Das einzige was versucht wurde, war eine Art Tabelle für die Wertigkeit der verschiedenen Leben zu erstellen. Aber selbst wenn diese Vorgehensweise korrekt wäre, es grösseres Unrecht ist einen Erwachsenen Menschen zu töten als ein Kleinkind mit nur sehr schwach entwickeltem Selbstbewusstsein, folgt daraus nicht, dass es überhaupt kein Unrecht ist, ein Wesen ‚vor der Entwicklung des Selbstbewusstseins'[52] zu töten! Dies ist ein schwerer und auf keine Art zu verteidigende, Fehlschluss!

Aber ist der Grad der Rationalität wirklich ein geeignetes Kriterium für diese wichtige Entscheidung, welches Leben als wertvoll zu betrachten ist und welches nicht? Hier kann man Singer nicht vorwerfen, dass er nur behauptet ohne zu argumentieren:

5.2 Davon wie es ist ein Ei zu legen oder von der Exaktheit der Ethik:

Das Problem der verschiedenen Wertigkeit der Leben ist gar nicht so kompliziert, wie es auf den ersten Blick scheint, Singer erklärt eine einfache Methode diese festzustellen:[53]

  1. Man stelle sich vor, ein Mensch zu sein, mit allen menschlichen Empfindungen

  2. Man stelle sich vor, ein Pferd zu sein, mit allen Empfindungen eines Pferdes

  3. Man stelle sich vor, ein Wesen zu sein, das weder Mensch noch Pferd ist, das aber Ratio-nalität und Selbstbewusstsein besitzt

Nun hat man in diesem 3.Stadium die Fähigkeit sich an die vorhergehenden Existenzformen zu erinnern. Nun müssen wir uns nur noch überlegen, welche Existenzform angenehmer war und welche wir wählen würden, wenn wir uns zwischen den ersten beiden entscheiden müssten. Da uns klar sein muss, dass wir jetzt keine Menschen mehr sind, kann uns niemand mehr vorwerfen, "eine anthropozentrische oder gar ein speziesistische Auffassung"[54] zu vertreten.

Ein wahrhaft genialer Schachzug Singers.

Führen wir dies nun oft genug aus und schaffen wir es unsere geistige Gesundheit dabei zu erhalten, werden wir nach Singer mit der Zeit ein Kriterium erkennen, nach dem sich unsere Entscheidungen richten. Dies hilft uns, nicht zu viel Heu, Maden und Blätter essen zu müssen, und sei es nur in unserer Vorstellung, denn nun genügt es jedes Leben nach diesem Kriterium zu beurteilen um seinen objektiven Wert zu kennen.

Dieses entdeckte Kriterium wird nun nach Singer so ausschauen:

"Je höher entwickelt das bewußte Leben eines Wesens, je größer der Grad von Selbstbewußtsein und Rationalität, um so mehr würde man dieses Lebewesen vorziehen, wenn man zwischen ihm und einem Wesen auf einer niedrigeren Bewußtseinsstufe zu wählen hätte."[55]

Es entspricht nun nur dem Beibehalten des Singerschen Grundsatzes, dass wir keine Rassisten in welchem Sinn auch immer sein dürfen und dieses Kriterium nicht dazu missbrauchen dürfen, so etwas wie bestimmte typische Eigenschaften einer Spezies aufzustellen und dann alle Mitglieder dieser Gruppe über den gleichen Kamm zu scheren, sprich nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln. Jedes Wesen muss indiviuell untersucht werden und in seiner momentanen Verfassung[56] dieser Prüfung standhalten. Deshalb kommt Singer konsequent zu dem Schluss, dass auch Gorillas und Schimpansen ein Recht auf Leben besitzen, Föten, Säuglinge, geistig Behinderte, Koma Patienten, usw., die diesem Kriterium nicht entsprechen, aber nicht und deshalb als beliebig ersetzbar zu betrachten sind[57], ihr Menschsein tut hier nichts zur Sache. Daher ist es nur konsequent, wenn auch innerhalb derjenigen Menschengruppe, die über ein gewisses Mass an Rationalität verfügt, nach diesem Kriterium weiterspezifiziert wird; da es sich ja um einen Massstab handelt, kann auch hier eine schöne Ordnung erreicht werden. Künstler mögen zwar etwas neidvoll auf Logik Professoren schielen, auch Psychopathen müssten aus dieser Sicht oft als sehr wertvolle Menschen betrachtet werden, aber das hilft nichts. Damit wird das antiquierte ‚Frauen und Kinder zuerst' bei Schiffsunglücken und ähnlichem schon bald durch ein zeitgemässes: ‚Bitte der Rationalität nach aufstellen!' ersetzt werden.

Bösse Zungen mögen behaupten, dass es für einen Philosophieprofessor gelten mag, dass er seine bevorzugten Existenzweisen in direkter Verbindung zum jeweiligen Grad der Rationalität wählt, aber dass sie selber ganz andere Kriterien hätten. Manche Ignoranten mögen gar den Einwand erheben, dass es zwar für Puck im Sommernachtstraum, denn Singer als Beispiel erwähnt, möglich ist, sich nach belieben in andere Wesen zu verwandeln und dass dieser vielleicht befugt wäre, über die Wertigkeit der Leben zu urteilen, nicht aber jemand der sich dies nur vorstellt. Bei diesem Fall bleibe die Subjektivität in noch viel stärkerem Masse erhalten, als dies selbst in diesem Phantasiebespiel bei Puck noch der Fall ist.

Darauf erhalten diese Unwissenden im Nachwort die passende Antwort:

"Wenn sich jemand nicht vorstellen kann, wie es ist (was es für ein Gefühl ist), als Huhn ein Ei zu legen, so leidet er vielleicht an einem Mangel an Phantasie;"[58]

Um anschliessend treffend das Wesen der Ethik zu erklären:

"In der Ethik geht es nicht um vage Empathie, sondern um einen von allen einigermaßen phantasiebegabten Menschen vollständig nachvollziehbaren Rollentausch mit den Adressaten unserer Handlungen."[59]

Damit sind nun alle Rätsel geklärt. Kann man verschiedene Sichten dieser Ethik nicht beipflichten oder sieht verschiedene eindeutig als moralisch ‚bewiesene'[60] Handlungen gar als ethisch falsch an, hat man sich die eine, alles entscheidende, Frage zu stellen:

Kann ich mich wirklich vollständig in die Rolle eines Eier legenden Huhnes versetzen?

Wenn man diese Frage nicht mit einem eindeutigen ja beantworten kann, ist der Fall klar. Man gehört einfach nicht zum Kreis derjenigen Personen, die für die Lösung ethischer Probleme geeignet sind, da man nicht über die für diese Tätigkeit notwendigen Fähigkeiten verfügt.

Nur aus dieser Sicht der Unwissenden kann man glauben, so gegen Singer argumentieren zu können:

Singers Konklusion lautet:

Er habe bewiesen, dass es einen Unterschied zwischen dem Wert verschiedener Lebewesen zwischen und innerhalb der Gattungen gibt.

Begründung:

Ich habe für mich entschieden, dass ich ein Leben dem anderen vorziehen würde.

Notwendige Voraussetzung für diesen Schluss:

Wenn ich etwas für wertvoller halte, ist es das auch.

Das bedeutet für den Alltag: Halte ich das Leben der Person A für wertvoller als dasjenige der Person B, folgt daraus, dass das Leben der Person A wertvoller ist als das der Person B

Eines von vielen daraus resultierenden Problemen: Was passiert, wenn zwei Personen unterschiedlicher Auffassung über den Wert eines bestimmten Lebens sind?

Erinnert man sich an die zu Beginn geäusserte radikale Abneigung Singers gegen jede Form des Relativismus und Subjektivismus in der Ethik, könnte sich ein gewisses geistiges Unbehagen einstellen, als Folge der vielen Fragezeichen, welche sich zwischen den eigenen Ohren vergnügen.

Aber wer so argumentiert, hat eben überhaupt nichts verstanden. Er wird zwar wahrscheinlich nie fähig sein, selbst Ethik zu betreiben, aber zumindest der Grund für seine Unfähigkeit kann ihm klar gemacht werden:

Wir haben eben nicht aus der Sicht eines einzelnen Subjektes geurteilt und schon gar nicht aus der eigenen:

"Wenn es stimmt[61], daß wir sinnvollerweise zwischen der Existenz als Maus und der Existenz als Mensch unterscheiden können, dann können wir, wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, sinnvollerweise die Vorstellung haben, daß das Leben der einen Art von Lebewesen[62] mehr Wert hat als das einer anderen; dann aber stünde die Behauptung, das Leben eines jeden Wesens habe den gleichen Wert, auf tönernen Füßen. Wir können diese Behauptung nicht mit dem Hinweis verteidigen, daß jedem Wesen sein Leben am wichtigsten sei; denn wir haben nunmehr einen Vergleich von einem objektiveren - oder zumindest intersubjektiven - Standpunkt aus akzeptiert und sind damit über eine Betrachtung des Lebenswertes, die ausschließlich aus der Perspektive des betreffenden Lebewesens vorgenommen wurde, hinausgegangen."[63]

Den Vorwurf, dass meine Sicht der Dinge immer meine Sicht sein muss und dass es eine einzelne Person, auch wenn sie, wie sehr oft betont, Philosophieprofessor ist, nicht einfach behaupten kann, nun nicht mehr als Individuum zu denken, sondern von der erhabenen Warte des Objektiven und Intersubjektiven, kann eben nur erheben wer nicht versteht.

Diese Behauptung, dass der Lebenswert eines Lebewesens abhängig vom Grad seiner Rationalität ist, aus der die ganze ‚Singersche Ethik' dann mit Notwendigkeit folgt, wurde eben nicht Kraft der Autorität seines Universitätstitels aufgestellt, sondern aufgrund seiner Befähigung für das Gebiet der Ethik:

Er besitzt die Fähigkeit einen vollständigen Rollentausch mit allen Wesen zu machen.

Wer also an der Objektivität, Allgemeingültigkeit und Evidenz dieses Kriteriums zweifelt, muss eben tief in sich gehen und schauen, ob er diesen Rollentausch mit einem Eier legenden Huhn wirklich vollkommen vollständig bewerkstelligen kann. Dies wird nun wahrscheinlich nicht der Fall sein, damit ist eindeutig bewiesen, dass man nicht zum Kreis der zur Ethik Befähigten gehört.

Womit nun vollkommene Klarheit hergestellt ist: Mögen die sprechen, die etwas zu sagen haben und diejenigen schweigen, welche nicht wissen, wie es ist ein Ei zu legen.

Ein möglicher Einwand könnte lauten: Ist es wirklich evident, dass Eier legen und Ethik in diesem Verhältnis zueinander stehen?

Oder zeugt es wirklich von einer Neurose, wenn man Zweifel an der Befähigung Singers anmeldet, diesen Wechsel zwischen den verschiedenen Existenzformen und sei es ‚nur' in der Vorstellung, tatsächlich mit dieser Perfektion zu beherrschen?

Verfügt man selbst nicht über diese Fähigkeiten und möchte man sich die Gunst Singers erhalten, steht man vor einem Dilemma. Einerseits will man ihm nicht widersprechen, andererseits bleibt nur der blinde Glaube an die Korrektheit dieser Aussage und der Glaube ist ja eine der von Singer am meisten abgelehnten Geisteshaltungen.

Ein Ausweg wäre vielleicht, dass es Singer bei der Ablehnung des Glaubens nur um den an überholte Mythen und den an die Fähigkeit des eigenen Gewissens gegangen ist, bei einem Glauben an seine eigene Person macht er möglicherweise eine Ausnahme.

Dieser zynisch-überhebliche, ins lächerliche ziehende Stil mag mit Recht als der Sache nicht angemessen gelten und auch Peter Singer gegenüber Ungerecht sein. Aber in diesem Fall scheinen mir gute Gründe für diese Vorgehensweise zu sprechen:

5.3 Schützt das Schild der Logik gegen Eierdiebe?

Das hier erörterte Werk ist überhäuft mit Wörtern wie ‚Prämisse' und ‚Schlussfolgerung' und erweckt den Eindruck, dass hier mit äusserster Präzision und Objektivität vorgegangen wird, streng nach logischen Gesetzen. Aus persönlichen Gesprächen mit Lesern dieses Buches weiss ich, das viele den Eindruck haben, dass diese Ethik direkt aus dem Wesen der Logik entstammt, woraus normalerweise der Schluss gezogen wird[64], dass es mit der Logik eben doch nicht weit her sei, sie ausschlieslich in den Bereich der Mathematik gehöre und keinerlei Berechtigung im Zusammenhang mit den tatsächlichen Handlungen der Menschen habe, schon gar nicht im Feld der Ethik. Auf eine Verteidigungsrede der Logik muss hier verzichtet werden, es soll lediglich darauf verwiesen werden, dass unser Sprechen bei konsequenter Ablehnung jeder Theorie der wahrheitserhaltenden Übergänge nicht mehr viel Sinn machen würde.[65]

Leicht wird die absolute Trivialität übersehen, dass keine Einzelaussage[66] ‚an sich' logisch ist.

‚A' ist nicht logisch.

Immer wenn A, dann auch B. Jetzt A. Also jetzt auch B. Dieser letzte Satz folgt logisch aus den vorhergehenden. Dies wäre ein korrektes Beispiel für die Einführung des Wortes ‚logisch'.

Die Logik behauptet nicht, dass etwas ist, sondern was der Fall sein muss, wenn anderes der Fall wäre.

Die Realität von B ist immer abhängig von der Realität von A und dem tatsächlichen Bestehen des behaupteten Zusammenhanges, und dafür ist die Logik nie zuständig, sie hat mit Sicherheit keine Fenster.

Auch die Einhaltung strengster logischer Masstsäbe garantiert uns keine korrekte Aussage über das was ausserhalb der Logik der Fall ist. Im 'besten Fall' eines tautologischen schliessen[67] bleibt wird der gesamte Informationsgehalt beim (scheinbaren) übergehen von einer Aussage zur nächsten erhalten, wirklich neue Erkenntnis kommt nicht hinzu. Es gibt keine ‚Logik des wahrheissteigernden Schliessens'. Was am Ende herauskommt, wie die moralische Korrektheit des Tötens unschuldiger Menschen, wurde am Anfang hineingesteckt.

Wenn mit den ausserhalb der Logik gewonnenen Aussagen noch so vorsichtig umgegangen wird, das Ergebnis der ganzen Arbeit bleibt doch abhängig von der Korrektheit der Anfangsannahmen.

Mögen noch so viele Termini der Logik in Singers Buch stehen und mag ihre Verwendung noch so berechtigt sein, das Ergebnis seiner Ethik kann sich nicht auf die Autorität der Logik berufen, wie dies implizit von manchen verstanden wird, ob vom Autor beabsichtigt oder nicht. Die Korrektheit der Begründung dieser Ethik ist abhängig von der Möglichkeit eines vollkommenen Rollentausches mit Eier legenden Tieren und ähnlichem und der Voraussetzung, dass Singer diese Fähigkeit besitzt. Sonst ist die Behauptung, dass der Wert eines Lebewesens vom Grad seiner Rationalität abhängt, reinste Willkür.



[47] 'Richtig' wird hier der Einfachheit und Polemik halber als gleichbedeutend mit `nicht falsch'(Siehe nächste Fussnote) verwendet, was zugegeben einer eigenen Begründung bedürfte, mir aber in diesem Kontext als völlig legitime Äquivalentsetzung erscheint.

[48] "Erste Prämisse: Es ist falsch, ein unschuldiges menschliches Wesen zu töten. ...

Kein Einwand hat bisher diese erste Prämisse in Frage gestellt. ... aber unsere Kritik ... weist darauf hin, daß diese Prämisse in Frage gestellt werden müßte." S 160-161

Was auf Seite 162 auf den Punkt gebracht wird: " dann beendet eine Abtreibung bis zu diesem Datum[18. Woche der Schwangerschaft] eine Existenz, die überhaupt keinen Wert an sich hat."

Um später dann noch weiter ausgedehnt zu werden:

"Die Totalansicht behandelt Säuglinge als ersetzbar, genauso wie in Kapitel 5 nicht- selbstbewußte Tiere behandelt wurden." S 184

[49] Wie etwa die wichtige Fähigkeit sich einen Kinobesuch wünschen zu können. Dies stellt für Singer tatsächlich ein entscheidendes Merkmal dar, mit der Relevanz zwischen Leben und Tod zu entscheiden. Siehe z.B. S109ff

[50] Dass es sich nur um graduelle Unterschiede handeln kann und nicht wie Singer dies behauptet, um ein komplettes Fehlen der Fähigkeit, sich als eigenständiges Wesen, das in der Zeit existiert, zu sehen, scheint mir offensichtlich. Wäre es so wie Singer dies behauptet, könnte sich kein Selbstbewusstsein ‚entwickeln'. Entwicklung setzt immer etwas voraus, dass schon vorhanden ist. Wären Säuglinge wirklich ohne jeden Grad von Bewusstsein und würden wirklich nur wahrnehmen, ohne jedes Bewusstsein von sich selbst und der zeitlichen Abfolge der Geschehnisse, könnten sie keinerlei Art von System in diese Empfindungen bringen. Jedes noch so primitive lernen, also ordnen von Erfahrungen, wäre unmöglich, keine wie auch immer geartete Entwicklung des Bewusstseins wäre so denkbar. Dies lässt sich sogar auf Tiere anwenden. Besässen sie in radikaler Weise nur ein Empfinden, ohne jede noch so dunkle Vorstellungen von sich selbst als eigenständige Einheit und der Natur des zeitlichen vor- und nacheinander, würden ihre Bewegungen und ihr Verhalten zu einem unerklärlichen Rätsel. Es müssten abenteurliche Hypothesen über die 'Supercomputer-Tier' getroffen werden, mit gigantischen genetischen Informationen, die in keiner Relation zu der tatsächlichen Anzahl der vorhandenen Basensequenzen in deren DNA steht.

Es wird hier bewusst darauf verzichtet mit Ergebnissen von Kinderärzten, Psychologen und Psychiatern zu argumentieren, die eindeutig darauf hinweisen, dass Neugeborene und Menschen in frühen pränatalen Stadien bereits über eine Vielzahl von Fähigkeiten verfügen, welche die Behauptung des rein passiv perzipierenden Fötus oder Babys ins Reich der Märchen verbannt, da auf empirisches vorgehen aus erklärten Günden weitestgehend verzichtet werden soll.

[51] S 294

[52] Warum diese Sprechweise der totalen Verneinung von Selbstbewusstsein, wenn damit wie hier die Fähigkeit gemeint wird, sich selbst als eigenständiges in der Zeit existentes Wesen zu erkennen, für falsch gehalten wird, wurde in der Fussnote 48 kurz zu begründen versucht.

[53] Dieses Beispiel stammt von Singer, siehe S123-125

[54] S 122

[55] S124

[56] Bei Schlaf oder kurzen Krankheiten mit Bewusstseinstrübungen sind Ausnahmen erlaubt.

[57] Zumindest ‚an sich', sollte ihr Tod Leiden anderer selbstbewusster Wesen nach sich ziehen, ist es alleine und einzig dieser Grund, der sie unter Berücksichtigung der Glückmaximierung nicht beliebig ersetzbar macht.

[58] S327

[59] ebd. . Hervorhebungen durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit

[60] Im Sinne von: Aus dieser Singerschen Ethik Konzeption korrekt ‚abgeleitete' Handlungsvorschriften

[61] Diese hypothetische Form wird später ohne zusätzliche Begründung aufgegeben. Auf dem tatsächlichen Bestehen eines unterschiedlichen Wertes der einzelnen Lebewesen und der tatsächlichen Feststellung dieses Wertes basiert ja eben die gesamte hier behandelte Ethik

[62] Diese Ansicht ist nicht verträglich und widersprüchlich zu allen davor gemachten und anschliessend folgenden Aussagen, die eben der reinen Zugehörigkeit zu einer Spezies keinerlei Bedeutung zumessen. Der Wert eines Fisches z.B. steht über dem mancher Angehöriger der Gattung Mensch, zumindest nach Singer.

[63] S 124 Hervorhebungen durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit

[64] Was für ein Schluss und womit? Ein logischer kann es ja wohl kaum sein? Leider wird der humoristische Wert dieser Behauptung auch bei entsprechenden Erklärungsversuchen normal nicht erkannt!

[65] Dass jede Argumentation für die Logik von ihr schon Gebrauch machen muss und deshalb zirkulär und unsinnig ist, erscheint mir nicht korrekt(Dasselbe würde natürlich in noch viel stärkerem Masse für ihre versuchte Widerlegung gelten). Unser Handeln scheint mir ein möglicher Weg ihrer Verteidigung zu sein.

[66] Gemeint ist ein Satz bei dessen weiterer Zergliederung keine anderen Sätze sondern nur Satzteile übrigbleiben

[67] Zum Beispiel bei einer conversio simplex in der aristotelischen Sylogistik

6. Was bleibt ohne Eier legende Hühner?

Damit wäre und wie mir sehr stark scheint ist, nicht mehr viel übrig von dieser ‚Singerschen Ethik'. Analog zu obiger Argumentation könnten noch viele weitere Voraussetzungen betrachtet werden:

Z.B.: Auch die Möglichkeit der Vorhersagbarkeit des zu erwartenden Glücks eines Lebewesens stellt, wie schon angesprochen, eine absolute Notwendigkeit für diese Ethik dar:

  • Eine Ethik, die nicht für die Praxis taugt, ist schon in der Theorie falsch[68]

  • Damit ich weiss, welche Leben ich gegen welche ersetzen darf, muss ich wissen, wie gross ihr zu erwartendes Glück im Leben ist.[69]

Auf diesen Punkt wird nirgends eingegangen. Es erfolgt die schon erwähnte Subjunktion aller mit der Eigenschaft ‚geistig behindert' Bezeichenbaren, unter die Gruppe der Unglücklichen, was für ihre Chancen auf Abtreibung und ‚Euthanasie'[70] natürlich eindeutige Konsequenzen hat. Gründe für diesen Zusammenhang werden keine genannt, selbst das widerlegte Kriterium der Rationalität hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen, da es hier um Glück und nicht um Wert geht und Singer selbst nicht an diese Verbindung glaubt.[71]

Bleibt vielleicht wieder die Anwendung des Gedankenexperimentes eines tauschen seiner selbst mit anderen. Aus eigener mehrjähriger Erfahrung als sogenannter ‚Behindertenbetreuer' und im Austausch mit anderen Personen die persönliche Bekanntschaften mit Menschen, die im allgemeinen mit diesem Wort ‚behindert' bezeichnet werden haben, scheint mir nichts für einen solchen Zusammenhang zwischen Unglücklichsein und Behinderung zu sprechen. Wenn es überhaupt eine Verbindung geben sollte, besteht diese eigentlich in sprachlichen Konzeptionen, mit den bestimmte Menschen konfrontiert werden und die sie in die Rolle von Leidenden pressen.

Überhaupt wird hier keinerlei Weg gezeigt, an dem man sich orientieren könnte um zu entscheiden, wieviel Glück jemand erwarten kann. Durch die angeführten Beispiele wird aber deutlich, dass Singer an einen Zusammenhang zwischen körperliche und geistige ‚Unversehrtheit' einerseits und Glück andererseits denkt. Andererseits behauptet er aber auch, dass dies nicht das Gebiet der Philosophen ist und wälzt die Bürde, Ursachen und Zusammenhänge für Glück zu finden, auf die Soziologen und Psychologen ab.[72]

Da es Soziologen in erster Linie um äusseres Verhalten geht, eventuell ergänzt durch zwangsläufig subjektive Selbsteinschätzungen von den Betroffenen selbst, scheint mir ihre Kompetenz nicht wirklich geeignet um so wichtige Entscheidungen wie die ob Leben oder Tod zu fällen. Das Gebiet der Soziologen ist zudem die Statistik, sie beschäftigt sich nicht in dem Masse mit dem einzelnen, dass notwendig wäre, um im Einzelfall Urteile dieser Wichtigkeit fällen zu dürfen.

In der Psychologie hat sich gezeigt, dass alle Reiz-Reaktionsmodelle nicht geeignet sind, die Verbindung zwischen körperlichem Reiz und Empfinden zu erklären. Als was etwas empfunden wird, hängt im Bereich der Schmerzpsychologie in noch viel stärkerem Masse als bei anderen erkenntnistheoretischen Fragen vom Betroffenen ab. Scheinbar minimale Reize können von einer Person als absolut unerträglich empfunden werden, andererseits haben als unerträglich prognostizierte Schmerzursachen manchmal fast keine Auswirkungen auf das subjektive Wohlbefinden der untersuchten Person. Entscheidend für Leid und Glück ist nach diesen Erkenntnissen vielmehr so etwas wie eine innere Einstellung, die sogar ohne jeden körperlichen Reiz und Wohlbehagen auslösen kann.

Damit ist, alleine aus der Kenntnis der zu erwartenden körperlichen Beschaffenheit der jeweiligen Person, keine wirklich sichere Vorhersage des zu erwartenden Glücks eines Lebewesens möglich, also ist die, für die praktische Anwendung dieser Ethik notwendige, Voraussetzung nicht gegeben, daher krankt diese Ethik nach eigenem Zugeständnis an einem theoretischen Defekt.

Da der Rahmen dieser Arbeit bereits gesprengt wurde, soll hier ein willkürlicher Abruch in der Widerlegung stattfinden.



[68] z.B. S 10 "Zweitens ist Ethik nicht ein ideales System, das sehr edel in der Theorie, aber untauglich in der Praxis wäre. Das Gegenteil kommt der Wahrheit näher; ein Urteil, das für die Praxis nichts taugt, muß gleichermaßen an einem theoretischen Defekt leiden, denn der Zweck moralischer Urteile insgesamt ist es das Handeln zu leiten."

[69] Nachdem dies, auch nach der Singerschen Modifikation des klassischen Utilitarismus, dennoch ein entscheidendes Merkmal für die Entscheidung ist welches Leben lebenswert ist und welches nicht.

[70] Dass dieser Tod niemandem Glück bringen wird, steht für mich ausser Frage, deshalb widerstrebt mir alleine schon die Andeutung eines begrifflichen Zusammenhanges.

[71] S 283

[72] S 289

7. Nachwort: Über Logik und Wahnsinn

Auch wenn es korrekt wäre, dass wer alles beweisen will nichts beweist, so muss doch gelten, dass, vor allem wer jedes intuitive Empfinden als Massstab für die Richtigkeit in Bezug auf Ethik rigoros ablehnt, auch wirklich gute Gründe für das was er/sie behauptet anführt. Es nützt nichts, bei einmal willkürlich getroffenen Annahmen, anschliessend eine scheinbare oder tatsächliche strenge in der Argumentation einzuhalten oder vorzutäuschen.

Weiters: Ist die Fehlerhaftigkeit der Begründung auch kein Beweiss für die Falschheit der Aussage, gibt sie uns doch einen guten Grund an der Glaubhaftigkeit des Autors zu zweifeln.

Obigem scheinbar teilweise widersprechend führe ich ohne Herleitung und grössere Begründung folgendes persönliche Ergebnis aus dieser Arbeit an:

Ethik kann aus trivialen Gründen nicht ohne jedes Gefühl für richtig und falsch betrieben werden. Der Nutzen der Logik ist ein sekundärer[73], indem sie hilft aus wahren Annahmen wahre Konsequenzen zu gewinnen.

Logik alleine ist kein Schutz vor Wahnsinn. Wahnsinn zeichnet sich nicht unbedingt durch innere Unstimmigkeit als solcher aus, sondern meist durch die fehlende Übereinstimmung der einzelnen Aussagen mit der Wirklichkeit, und dies erkennt man nur durch wahrnehmen und nicht durch denken.

Begriffe ohne Anschauung sind leer, und diese mit Inhalt zu füllen vermag die Logik nicht.

Quelle:

Harald Rüdisser: Denkfehler in der Philosophie: Peter Singer, "Praktische Ethik". Eine kritische Analyse

Proseminararbeit, eingereicht bei Prof. R. Kleinknecht

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 16.08.2005



[73] Was keinesfalls mit Unwichtig gleichzusetzen ist.

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