Persönliches Budget: Chance für ein selbstbestimmtes Leben?

Trägerübergreifendes Budget bei hohem Assistenzbedarf

Themenbereiche: Recht, Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: standpunkt: sozial 3/2007, Seite 81 - 89.
Copyright: © Änne-Dörte Jahncke-Latteck, Martin Rösner, Petra Weber 2007

Persönliches Budget

Ausgangslage

Das Persönliche Budget wurde zum 1.7.2004 im SGB 9 als Leistung verankert, um die Möglichkeiten der "individuellen Selbstbestimmung"[1] und der Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu verbessern. In den letzten Jahren hat in Projekten, Veröffentlichungen und Fachtagungen eine intensive fachliche Auseinandersetzung um die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Umsetzung des Persönlichen Budgets begonnen.

Dass ein Bedarf an einer derartigen Umstrukturierung derzeitig vorherrschender stationärer Angebote besteht, zeigt eine Studie zu den Wohnwünschen von jungen Menschen mit Behinderung[2]: Diese kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen mit Behinderung ihr eigenes Leben gestalten und eingebunden sein wollen in das soziale Netzwerk mit Menschen ohne Behinderung. Den Wunsch nach einem Leben im Heim haben nur 13% der Befragten.

Auch die Erfahrungen von Nutzern des Persönlichen Budgets wurden in verschiedenen Modellversuchen insgesamt positiv bewertet[3]. Es zeigt sich eine individuelle Zufriedenheit der Nutzer bei ihrer Bedarfsdeckung[4]. Ebenso zeigt sich, dass die Budgetnehmer flexibel die Unterstützungsleistungen an ihre Bedürfnisse anpassen können. Im Detail werden eine hohe Autonomie und die Verbesserung der Wohnsituation im Rahmen des Persönlichen Budgets angeführt[5].

Unter dem Label Ambulantisierung hat die BSG (Behörde für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz Hamburg) 2005 in Zielvereinbarungen mit Leistungserbringern der Eingliederungshilfe für Hamburg vereinbart, 700 stationäre Wohnplätze zugunsten ambulanter Leistungen abzubauen. Mit Blick auf Einsparungen in der Eingliederungshilfe[6] sollten insbesondere Menschen mit geringem Hilfebedarf in ambulante Unterstützungsformen wechseln.

In Hamburg gingen vom Persönlichen Budget trotz vielfältiger Bemühungen noch keine relevanten Impulse für die Weiterentwicklung des Hilfesystems aus, so dass es Anfang 2007 nur insgesamt 24 Budgetnehmer gab[7].Obwohl Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf bei den Bemühungen ambulant betreute Unterstützungsformen zu entwickeln zunächst nicht im Fokus der Betrachtung der Aktivitäten in Hamburg standen[8], wurde in einem Projekt in Hamburg- Rahlstedt von fünf Menschen mit großem Unterstützungsbedarf das trägerübergreifende Persönliche Budget genutzt, um jenseits stationärer Versorgung ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung zu realisieren. Gegenstand dieses Artikels ist die Beschreibung des Projektes und seiner Evaluation aus der Perspektive der Nutzer, der Angehörigen und der Mitarbeiter.

Das Projekt

Für fünf junge Hamburger mit einem hohem Unterstützungsbedarf war klar, mit dem Auszug aus dem Elternhaus sollte nicht der Einzug in eine Wohngruppe oder ein Heim verbunden sein. Ihr Ziel war ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung. Gemeinsam mit ihren Eltern wurde nach Möglichkeiten und Wegen für ein Leben in der eigenen Wohnung gesucht. Ein Elternpaar kaufte ein Haus, in dem sechs barrierefreie Wohnungen geschaffen wurden.

In Zusammenarbeit mit "Leben mit Behinderung Hamburg" und "Die Club 68 Helfer e.V." wurde die Idee entwickelt, selbstbestimmtes Leben nicht im Rahmen von Sachleistungen zu fördern, sondern mit einem Persönlichen Budget auch formale Voraussetzungen für Selbstbestimmung zu schaffen. Das Persönliche Budget wurde in der ersten Jahreshälfte 2006 beantragt. Seit Juli 2006 leben in Hamburg- Rahlstedt insgesamt sechs Menschen mit Behinderung in fünf Wohnungen. Vier Bewohner verfügen über ein trägerübergreifendes Persönliches Budget, für einen weiteren Bewohner wird die Unterstützungsleistung von einer Versicherung getragen. Die sechste Bewohnerin erhält geringfügige Leistungen der Eingliederungshilfe.

Alle Nutzer des Persönlichen Budgets des Projektes in Hamburg-Rahlstedt wohnten zuvor bei ihren Eltern, von denen sie überwiegend unterstützt wurden. Darin liegt eine wesentliche Besonderheit des Projektes: Die Nutzer sind junge Menschen mit ausgeprägten Behinderungen. Die Nutzer verfügen über wenig Betreuungserfahrung außerhalb des familiären Umfeldes und leben erstmalig in einer eigenen Wohnung. Sie erhalten in verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens Unterstützungsleistungen von Mitarbeitern. z.B. bei der Körperpflege, Nahrungsbesorgung, -zubereitung und -darreichung, der Freizeitgestaltung und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Unterstützungsleistungen werden von der "Leben mit Behinderung Hamburg Pflegedienst gGmbH" und vom "Die Club 68 Helfer e.V" erbracht.

Befragungen zur Projektbewertung

Um die Effekte des trägerübergreifenden Budgets im Zusammenhang mit der Veränderung der Wohnbedingungen und der Unterstützungsleistungen des Projektes in Hamburg Rahlstedt zu ermitteln und auch Hinweise für die Bewertung und Weiterentwicklung dieses Ansatzes zu erhalten, fand eine Befragung der Nutzer, ihrer Angehörigen und der Mitarbeiter statt.

Die Nutzer des trägerübergreifenden Budgets[9] und deren unmittelbare Angehörige wurden nach ihrer subjektiven Einschätzung zur Lebensqualität und Zufriedenheit mit dem Persönlichen Budget und ihren Erfahrungen befragt. Darüber hinaus sollte die Befragung erfassen, ob die Budgetnehmer heute ein höheres Maß an Selbstbestimmung erleben, das auf das Konzept des Persönlichen Budgets zurückzuführen ist.

Insgesamt wurden alle fünf der von den Trägern betreuten Nutzern (zwei Frauen und drei Männer im Alter von 20 - 24 Jahren) face to face befragt. Um die Sicht der Nutzer zu erweitern und damit einen umfassenderen Blick auf die Gesamtsituation zu erhalten, wurden die Angehörigen schriftlich befragt. 13 Mitarbeiter der beiden Dienstleister (Leben mit Behinderung Hamburg Pflegedienst gGmbH und Die Club 68 Helfer e.V) wurden im Rahmen einer strukturierten Gruppendiskussion zu ihrer Sicht der Ergebnisse und zu ihrer Arbeitssituation befragt.

Im Folgenden werden wesentliche Ergebnisse vorgestellt.

Bewertung der eigenen Lebensqualität und Zufriedenheit aus der Nutzerperspektive

Mit dem Persönlichen Budget ist ein Zuwachs an Selbstbestimmung intendiert. Ein Merkmal von Selbstbestimmung besteht in der Möglichkeit, über Unterstützungsleistungen und die Auswahl der Mitarbeiter selbst und unbeeinflusst entscheiden zu können. Dazu wurden die Nutzer nach dem Prozedere bei veränderten Leistungswünschen gefragt. Auf die Frage, wie sie eine Leistung kündigen können, antworteten zwei der Befragten:

"Ich gehe zur Leitung oder rufe an und sag, dass ich kündige. Ich brauche keine Begründung. Vor einer Kündigung oder wenn etwas ist, spreche ich mit dem Mitarbeiter.""Zuerst rede ich mit dem Mitarbeiter, dann sage ich dem Träger Bescheid, wenn es nicht besser wird. Ich mache das zur Sicherheit mit meiner Mutter zusammen. Entlassungen regelt meine Mutter."

Die Nutzer kennen überwiegend ihr Recht auf Kündigung der Unterstützungsleistungen und setzen dieses auf unterschiedliche Weise um. Die Befragten assoziieren mit der Kündigung einer Leistung die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses und nicht einzelne Leistungsbestandteile. Leistung und Leistungserbringer erscheinen als eine untrennbare Einheit, so dass eine Leistungsänderung immer die Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter notwendig macht. Die Veränderung einer Leistung ist für alle Befragten denkbar und z.T. bereits auch vollzogen worden. Die Strategien der Veränderung gehen dabei von Gesprächen mit den Mitarbeitern bis hin zur Kündigung. Die Möglichkeit der selbstständigen Anpassung der Leistungen an die eigenen Bedürfnisse ist für die Nutzer demzufolge gegeben.

Seit einem Jahr kleiden die Empfänger des Persönlichen Budgets eine für sie neue Rolle als ‚Assistenzgeber' aus. Die konkrete Ausgestaltung der neuen Rolle mit ihren neuen Aufgaben sollte im Rahmen der Befragungen von den Nutzern eingeschätzt werden. Alle Klienten geben an, die Auswahl der Mitarbeiter selbstständig zu entscheiden. Das Antwortspektrum auf die Frage nach den Kriterien für die Auswahl der Mitarbeiter belegt, dass die auf Sympathie beruhende Beziehung zwischen Nutzer und Mitarbeiter das wesentliche Kriterium darstellt und Kompetenzen, die für die konkrete Unterstüzungsleistung benötigt werden, nachrangig genannt werden. Nachstehende Aussagen trafen drei der Befragten:

"Der Mitarbeiter muss sympathisch sein. Man muss gut mit ihm reden können, z.B. über die Arbeitssituation. Der Mitarbeiter muss kochen und Auto fahren können. Er muss gut beim Unterstützen sein. Ich nehme lieber Männer. Der Beruf ist ganz egal." "Da hilft mir meine Mutter. Ich nehme nur Frauen."

"Der Mitarbeiter muss sympathisch sein. Ich erzähle aus meinem Alltag und das muss dann für den Mitarbeiter passen. Für die P?ege müssen es alles Frauen sein. Eine Voraussetzung ist ein Führerschein zum Bus Fahren. Ob FSJ oder Erzieherin, das ist egal."

Offensichtlich wählen die Nutzer ihre Mitarbeiter nicht in erster Linie nach pädagogischfachlichen Quali?kationen (wie z.B. beruflicher Quali?kation, Berufserfahrung) aus, vielmehr sind neben der gegenseitigen Sympathie individuelle Eigenschaften und kommunikative Kompetenzen entscheidend.

Mit dem Umzug in eine eigene Wohnung ist verbunden, die neue Aufgabe als ‚Auftraggeber/Assistenzgeber' zu übernehmen. Drei Nutzer machen folgende Ausführungen zu ihrer Rolle, die mit der neuen Aufgabe verbundenen ist:

"Wenn ich ein ernstes Wort reden muss, dann bin ich der Chef. Ich sage, was die Mitarbeiter machen sollen. Bei neuen Mitarbeitern muss ich mehr darauf achten. Für mich war das einfach mit der Rolle, weil ich gemerkt habe, dass die Leute alles tun, was ich ihnen sage." "Ich entscheide alles alleine, d.h. ich gebe den Assistenten Anordnungen und Aufträge. Noch ist das neu, noch machen die Assistenten das von sich aus. Das ?nde ich gut, ich kann doch nicht alles alleine entscheiden. Ich wohne fast ein Jahr hier und mach auch Fehler."

"Das ist anders als früher. Ich kann sagen, was ich will, das finde ich gut. Am Anfang war das schwer, jetzt ist es besser."

Überwiegend bewerten die Nutzer ihre neue Rolle positiv. Sie bewerten sie vor dem Hintergrund ihrer Entscheidungsmöglichkeiten und der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern. Darüber hinaus wird in den Antworten die Bandbreite der möglichen Ausfüllung der Rolle vom kollegialen bis zum autoritären Führungsverständnis deutlich. Die Befragten beschreiben überwiegend eine prozesshafte Veränderung ihres eigenen Verhaltens im Umgang mit ihrer neuen Rolle als Assistenzgeber, d.h. sie mussten in ihre neue Rolle hineinwachsen. Die hier befragten Menschen wurden demnach nicht automatisch zu Assistenzgebern, indem ihnen Budgetmittel in die Hand gegeben wurden. Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele und Vorstellungen zu formulieren und zu verfolgen, erfordert Kompetenzen über die Menschen nicht per se verfügen (vgl. auch Windisch 2006, 78), vielmehr müssen sie im Prozess der situativen Anforderungen erlernt werden. Diesen Lern und Erfahrungsprozess haben die Nutzer bisher unterschiedlich bewältigt.

Bei der Frage nach persönlichen Entwicklungen durch die persönliche Assistenz gibt die überwiegende Anzahl der Befragten an, in dem letzten Jahr Lerneffekte erzielt zu haben. Das Antwortspektrum deutet darauf hin, dass die Nutzer Entwicklungen für sich beschreiben, die durch ihre Rolle als Assistenzgeber ausgelöst wurden. Sie beschreiben ein Mehr an Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme für sich selbst. Zwei Nutzeraussagen sollen diese Interpretation unterstützen:

"Ich muss vielmehr auf mich selber achten, das hatte ich zu Hause früher nicht. Ich muss ans Essen denken, im Büro anrufen und sagen, wann man wen braucht. Wenn ich das nicht mache, dann macht es keiner."

"Ich habe gelernt, meine Interessen zu beirücksichtigen. Das fällt mir schwer, aber ich lerne immer mehr. Ich lerne mich durchzusetzen, z.B. zu sagen ‚Das machst Du jetzt'."

Die Fragen zur Leistungskündigung und Rollenauskleidung sind vor dem Hintergrund der Diskussion um den Selbstständigkeitsbegriff besonders bedeutsam. Selbstständigkeit im Sinne der Unabhängigkeit von fremder Hilfestellung kann laut Haisch[10] nicht das erklärte Ziel bei Menschen mit Behinderungen sein. Selbstständigkeit in dem hier gemeinten Sinn beinhaltet vielmehr die Freiheit, Bedarfe zu formulieren und erfüllt zu bekommen, und setzt voraus, die Rolle des Assistenzgebers mit all seinen Aufgaben und Konsequenzen anzunehmen. Dies gelingt den Befragten überwiegend. Entscheidungsfreiheit drückt sich auch darin aus, dass die Befragten eine Kündigung gegenüber Dritten aussprechen können und diese nicht begründen müssen.

Bis vor einem Jahr lebten die Nutzer des Persönlichen Budgets in der Häuslichkeit ihrer Eltern und wurden überwiegend von ihnen betreut. Oftmals hat sich zwischen Eltern und Nutzern eine auf den Nutzer abgestimmte Bedürfnisbefriedigung etabliert, die durch den Umzug aufgebrochen wurde. An Stelle der elterlichen Fürsorgeleistungen steht mit dem neuen Lebensmodell die Stärkung der Selbsthilfepotentiale, mit der zugleich eine höhere Lebensqualität intendiert ist. Vor diesem Hintergrund wurden die Nutzer um die Bewertung ihrer Lebensqualität im Vergleich vor einem Jahr gebeten. Die Ergebnisse skizzieren ein Bild des Zuwachses an Lebensqualität und der Zufriedenheit mit der neuen Lebenssituation. Alle fünf Befragten gaben an, dass sich im Vergleich zu früher ihre Lebenssituation spürbar verbessert hat und sie ihre Lebenssituation jetzt besser als früher bewerten. Eine Aussage soll stellvertretend sowohl die Zufriedenheit, als auch die neu hinzu gewonnene Entscheidungsfreiheit belegen:

"Die Wohnung ist anders. Die Wohngegend ist schöner. Ich übernehme mehr Verantwortung für mich selbst. Ich bin für Mitarbeiter zuständig. Die Eltern sehen mich weniger, das ist gut so. Auf eine Art ist es besser selbst die Verantwortung zu tragen. Die Leute tun alles für mich, was ich sage. Das ist ein anderes Gefühl als bei Mutter. Zum Beispiel achtet sie immer auf gesunde Ernährung. Das will ich aber nicht und die Mitarbeiter beeinflussen mich da gar nicht. Ich habe mehr Kontakt zu den anderen Bewohnern."

Als positiv erleben die Nutzer, dass das Verhältnis zu den Eltern von mehr emotionaler und örtlicher Distanz geprägt ist, die Eltern auf diese Weise ihren Alltag weniger beeinflussen und sie mehr Selbstbestimmung umsetzen. Die neue Distanz zu den Eltern ist jedoch ambivalent und wird dann negativ bewertet, wenn die gewohnte Unterstützung und emotionale Nähe bei einer Problembewältigung als fehlend erlebt wird. Die Datenauswertung belegt die Bedeutung der Eltern - insbesondere der Mutter - als soziales Netzwerk zur Problemlösung und für die emotionale Nähe. Zugleich geht eine Distanz zu den Eltern mit einem Mehr an Selbstbestimmung für die Nutzer einher, die als positiv und auch Entwicklung fördernd angesehen wird.

Die in anderen Untersuchungen explizierte hohe persönliche Autonomie der Nutzer des Persönlichen Budgets ist auch für die Nutzergruppe in Hamburg Rahlstedt Alltagsrealität. Dass die Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung für Außenstehende ambivalent interpretiert werden kann, belegt die Äußerung eines Nutzers, der gesagt hat: "Wer nicht springt, den schmeiß ich raus." Die hinter dieser Aussage stehende Haltung gegenüber den Mitarbeitern wird sicherlich nicht uneingeschränkt Zustimmung finden. Die Nutzer wurden um eine Gesamtbewertung ihrer Zufriedenheit mit dem persönlichen Budget aus ihrer Perspektive gebeten: Auf einer 4er-Skala antworteten vier Nutzer, sehr zufrieden zu sein, ein Nutzer gab an, zufrieden zu sein und kein Nutzer ist unzufrieden oder sehr unzufrieden. Die Antworten belegen die Zufriedenheit der Nutzer. Kastl und Metzler[11] stellen auf der Grundlage ihrer Untersuchungen fest: "Persönliche Budgets sind nicht gleichbedeutend mit Selbstbestimmung, sie bezeichnen zunächst ein bestimmtes Finanzierungsprinzip, das im besten Fall mehr Spielräume ermöglicht." Mit dem Persönlichen Budget ist es im Projekt in Hamburg- Rahlstedt gelungen, dass Nutzer ihre Unterstützungsleistungen individuell und bedarfsgerecht gestalten und ein weitgehend selbstbestimmtes Leben bezüglich der Gestaltung ihrer Unterstützungsbedarfe führen.

Zusammengefasst zeigt die Datenauswertung der Nutzerbefragung:

  • eine hohe Zufriedenheit mit dem Persönlichen Budget,

  • gegenüber den Bedingungen bei den Eltern:

  • ein Mehr an Selbstständigkeit und Selbstbestimmung,

  • ein Mehr an Entscheidungsfreiheit und Verantwortungsübernahme,

  • ein Zuwachs an Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten,

  • Hinweise darauf, dass einige Nutzer sich von ihren Eltern lösen wollen und diese zugleich als Ressource zur Problemlösung benötigen.

Lebensqualität und Zufriedenheit der Nutzer aus Angehörigenperspektive

Zur besseren Vergleichbarkeit der Daten wurden den Angehörigen teilweise die gleichen Fragen gestellt wie den Nutzern. Insgesamt konnten zu fünf Nutzern deren Angehörige, d.h. Mütter oder Eltern gemeinsam schriftlich befragt werden. Es ist davon auszugehen, dass sie eine enge familiäre Bindung zu ihren ‚Kindern' haben, da diese lange zusammen gelebt haben und sie die heutige Situation vor dem Hintergrund des damaligen gemeinsamen Lebens in einer Wohnung aus ihrer Perspektive bewerten.

Die Angehörigen wurden zur präzisen Ermittlung der Unterstützung, die sie in der neuen Form des Wohnens und der Leistungserbringung ihrer behinderten Kinder leisten, gefragt. Drei Antworten sind stellvertretend aufgeführt:

"Bei Problemen im Team, bei Unzufriedenheit mit sich selbst und bei ?nanziellen Angelegenheiten."

"Bei der Verwaltung, den Finanzen, der Büroarbeit und bei Arztbesuchen."

"Bei allen Entscheidungen und Problemen, die aufgetreten sind."

Die Angehörigen unterstützen die Nutzer weniger bei alltäglichen hauswirtschaftlichen oder p?egerischen Bedürfnissen, sondern sehen sich selbst eher in der Rolle als Vermittler und emotionale Unterstützer bei Problemen oder Entscheidungen sowie bei der Koordination von Leistungen.

Foto: Katharina Dzierzak

Für die Angehörigen wird die Bewertung des neuen Lebensarrangements ihrer Kinder wesentlich davon beein?usst, ob ihrer Meinung nach ihr Angehöriger auch die Hilfe und Unterstützung erhält, die er benötigt. Während alle Nutzer davon überzeugt waren, die notwendigen Hilfeleistungen zu erhalten, schätzen die Eltern dies deutlich anders ein. Vier befragte Angehörige sehen Versorgungslücken. Zwei Angehörige sollen hier stellvertretend zu Wort kommen:

"Es ist nicht immer gewährleistet. Es gilt Wege zu ?nden, damit N. seine Behinderung akzeptiert. Es geht keiner mit N. zum Sanitätshaus, um neue Schuhe zu besorgen. Neue Termine beim Zahnarzt, Augenarzt, auch Hautarzt sind nötig."

"N. braucht mehr Hilfe bei der Lebensplanung. N. braucht Leute mit Überblick, die für ihn mitdenken und an wichtige Dinge erinnern und Entscheidungshilfen bieten. Was dann letztlich gemacht wird, soll natürlich bei N. liegen."

Eltern sprechen die Bereiche der Koordination und Organisation von Leistungen und die individuelle Lebensplanung an und sehen dort Hilfebedarfe, die z. Zt. nicht abgedeckt werden. Die Eltern sehen Bedarfe für ihre ‚Kinder', die diese nicht für sich formulieren, z.B. bessere Gesundheitsfürsorge, umfassendes medizin-orientiertes Fachwissen der Mitarbeiter sowie Aufrechterhalten und Fördern sozialer Kontakte. Die Eltern nehmen derzeit diese Aufgaben wahr, z.B. individuell abgestimmte Leistungen zu koordinieren, die Lebensplanung der Nutzer zu formen und die Gesundheitsförderung zu gewährleisten. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Eltern bis vor einem Jahr diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den Nutzern erfüllten und nun davon ausgehen, diese Aufgaben abgeben zu können. Aus der Elternperspektive gelingt es den Betreuern noch nicht, diese Aufgabe wunschgemäß auszufüllen.

Die Eltern waren gebeten, auf einer 4er-Skala ("sehr gut", "gut", "weiniger gut", "schlecht") die aktuelle Lebenssituation ihres Angehörigen zu bewerten. Vier Eltern bewerteten die Situation mit "gut" und für einen Nutzer wird die Lebenssituation als "weniger gut" eingeschätzt. Die Antwortmöglichkeiten "sehr gut" und "schlecht" wurden nicht genutzt.

"Im Großen und Ganzen ist N. so, wie es läuft, zufrieden, bis auf einige Kleinigkeiten, so wie das Leben nun mal ist. Man kann es nicht jedem recht machen."

"Er fühlt sich wohl, so weit wir es erkennen können."

Tab.: Antwortverhalten zu der Frage "Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit dem Modell der persönlichen Assistenz?" (n=5)

 

Nutzer

Angehörige

sehr zufrieden

4

2

zufrieden

1

2

unzufrieden

0

1

sehr unzufrieden

0

0

"Es besteht eine Tendenz zur Vereinsamung."

Die hier mit der letzten Aussage angeführte Angehörige sieht die Gefahr mangelnder sozialer Teilhabe. Diese Einschätzung steht allerdings im deutlichen Widerspruch zu dem Nutzer, der auf dieselbe Frage äußert:

"Ich kann viele Aus?üge machen, es gibt mehr Vielfalt, was zu machen, im Vergleich zu früher. Und dann gibt es mehr Mitbewohner, die sind alle sehr nett und ich gehe auch mal zu denen."

Es zeigt sich, dass die Lebenssituation von den Nutzern und Angehörigen deutlich verschieden interpretiert werden kann und, wie zu erwarten, die Angehörigen die eher kritische Einschätzung haben.

Bei die Einschätzung der derzeitigen Lebenssituation der jeweiligen Angehörigen im Wohnprojekt gegenüber der vorherigen Situation erachten drei Angehörige auf einer 4er Skala ("sehr verbessert", "verbessert", "verschlechtert", "sehr verschlechtert") als "verbessert" und zwei als "verschlechtert".

Die Antwortmöglichkeiten "sehr verbessert" und "sehr verschlechtert" wurden nicht ausgeschöpft. Die Angehörigen, die die Lebenssituation als verbessert bewerten, beziehen sich in den Begründungen für ihre Einschätzung auf die Bereiche Selbstständigkeit, Rollenauskleidung und Haushaltsführung. Verschlechterungen werden im gesundheitlichen Bereich der Nutzer gesehen.

Im Vergleich dazu äußerten alle Nutzer auf die gleiche Frage, dass sie eine spürbare Verbesserung dieser Situation erleben, die sich in einem Mehr an Selbstständigkeit, Entscheidungsfreiheit und Verantwortungsübernahme zeigt. Möglicherweise sind diese Bereiche für die Eltern Normalität oder werden nicht in Bezug zur Lebenssituation wahrgenommen.

In einer Gesamtbetrachtung der Zufriedenheit zum Persönlichen Budget und zum Wohnprojekt wurden abschließend die Angehörigen um ihre Zufriedenheitsbewertungen gebeten. Im Vergleich zu den Nutzern zeigt sich, dass Eltern das Wohnprojekt mit der persönlichen Assistenz deutlich kritischer beurteilen.

Zusammengefasst belegt die Datenauswertung der Angehörigenbefragung, dass sie

  • die derzeitige Lebenssituation der Nutzer insgesamt als gut bewerten,

  • die Nutzer bei der Bewältigung von Problemen unterstützen,

  • sich in der Rolle der Vermittler zwischen Mitarbeitern und Trägern sehen und Leistungen koordinieren,

  • mit dem Modell des Persönlichen Budgets zufrieden sind.

Aus ihrer Perspektive besteht allerdings bei der derzeit erbrachten Art der Leistungen keine ausreichende Passgenauigkeit zwischen Nutzerbedarfen und Leistungen. Sie sehen Unterstützungsbedarfe für ihre Angehörigen bei der Verantwortungsübernahme, Leistungskoordination, Gesundheitsfürsorge und der individuellen Lebensplanung. Sie formulieren einen Mangel an pädagogischem und medizin-orientiertem Fachwissen. Überwiegend sehen die Nutzer diese Veränderungsbedarfe für sich nicht.

Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung

Die Mitarbeiter unterstützen die Nutzer in ihrem alltäglichen Assistenzbedarf. Sie haben - wie die obigen Befragungsergebnisse zeigen - gemeinsam mit Nutzern und Angehörigen die Aufgabe, Entwicklung fördernde Bedingungen zu gestalten.

Die Mitarbeiter werden von den Nutzern in verschiedenen Funktionen genutzt. Eine Fokussierung auf die Rolle des Assistenten, der qua Auftrag Tätigkeiten übernimmt, die der Nutzer nicht selbst durchführen kann, ist zur Zeit noch nicht gegeben. Mitarbeiter werden von den Nutzern auch in anderen Rollen wie die des Beraters oder des Freundes gefragt. Schwierig aus Sicht der Mitarbeiter ist es, wenn Nutzer Verantwortung für Aufgaben nicht übernehmen und deren Erledigungen wie selbstverständlich ohne expliziten Auftrag erwarten. Die Balance zwischen verschiedenen Wünschen der Nutzer und die Stärkung der Assistentenrolle werden in Einzelgesprächen und in Dienstbesprechungen regelmäßig bearbeitet.

Insbesondere bei Fragen der Nutzer zu Lebensperspektiven, Sexualität und Persönlichkeitsentwicklung sind Mitarbeiter eher zurückhaltend und würden zusätzliche (pädagogische) Hilfen begrüßen.

Mitarbeiter sind mit divergierenden Erwartungen von Nutzern und Angehörigen konfrontiert. Die divergierenden Erwartungen werden von ihnen besonders bei kon?iktgeladenen Themen als belastend wahrgenommen und teilweise mit großem Aufwand bearbeitet. Zur weiteren Stärkung der Selbstbestimmung der Nutzer ist es deshalb aus Sicht der Mitarbeiter erforderlich, eine strukturierte Unterstützungsplanung einzuführen, die gemeinsam mit Nutzern und Angehörigen abgesprochen und durchgeführt wird und die insbesondere Aufgaben und Erwartungen, die nicht eindeutig einer Assistenzaufgabe zuzuordnen sind, ausbalanciert.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Befragungen

Insgesamt beurteilen alle Beteiligte das Projekt mit einem persönlichen Budget positiv, allerdings sehen die Eltern die Lebenssituation der Nutzer kritischer als diese selbst. Darüber hinaus erkennen die Eltern den Zuwachs an Lebenszufriedenheit und an Selbstbestimmung und bewerten dies positiv. Mit Blick auf die Nutzer-Angehörigeninteraktion entsteht der Eindruck, dass ein Zugewinn an Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit der Nutzer für eine Verringerung der gezielten, elterlichen Förderung eingetauscht werden muss.

Mitarbeiter unterstützen Selbstbestimmung, indem sie gegenüber Nutzern die Assistenzgeberrolle fokussieren und die Übernahme anderer Erwartungen aktiv kommunizieren. Vor dem Hintergrund, dass junge Menschen mit verschiedenen Behinderungen erst seit einem Jahr erstmalig ihre Wohnform veränderten und Empfänger des Persönlichen Budgets sind, sind die hohe Zufriedenheit und der Zuwachs an Selbstständigkeit maßgebliche Indikatoren für eine überwiegend gelungene Umsetzung eines aus Sicht der Nutzer sinnvollen Konzeptes.

Selbstbestimmung im Persönlichen Budget in der Zusammenarbeit mit Dienstleistern

Vor der Einführung des Persönlichen Budgets wurden Geldleistungen in P?ege und Eingliederungshilfe von Menschen mit Behinderung erkämpft, die mit Hilfe selbst eingestellter Unterstützer ein selbstbestimmtes Leben führen wollten. Der Assistenzbegriff wurde auf dem Hintergrund eines Arbeitgebermodells ausformuliert[12]. Der Assistenznehmer nimmt als Arbeitgeber die mit dieser Funktion einhergehenden Aufgaben (Organisations-, Personal-, Anleitungs- und Finanzkompetenz) selbst wahr.

Im Projekt haben sich die Nutzer und ihre Angehörigen gegen ein Arbeitgebermodell und für die Zusammenarbeit mit Dienstleistern entschieden. Damit geht eine andere Verteilung der oben genannten Aufgaben zwischen den Assistenznehmern und den Dienstleistern einher. Bei der Zusammenarbeit mit Dienstleistern ist deshalb in Bezug auf die Frage der Selbstbestimmung zu prüfen, wie Verantwortung und Kompetenzen zwischen Nutzern und Dienstleistern ausgehandelt und geteilt werden und welche Rahmenbedingungen Selbstbestimmung unter stützen bzw. behindern. Im Projekt waren und sind in Bezug auf die Frage der Selbstbestimmung folgende Rahmenbedingungen wichtig:

Vorbereitung der Antragstellung

Im Gegensatz zur Sachleistung, bei der Leistungen zwischen Kostenträger und Leistungserbringer ausgehandelt wurden, verhandelt der Mensch mit Behinderung - wenn es um Ziel und Höhe des Persönlichen Budget geht- direkt mit dem Kostenträger über einen Geldbetrag, mit dem er bestimmte Ziele verfolgen und erreichen will. Die Entscheidung für ein Persönliches Budget erfolgt mit dem Interesse, mehr Ein?uss auf die Art, den Umfang und die Organisation der Leistungserbringung zu erhalten und diese individueller gestalten zu können. Die Entscheidung setzt die Bereitschaft voraus, sich mit ?nanziellen und rechtlichen Fragestellung auseinanderzusetzen. Die Vorbereitung einer Antragstellung ist an folgenden Stellen im hohen Maße werden. für Selbstbestimmung bedeutsam:

  • Entscheidung für Arbeitgebermodell oder Zusammenarbeit mit Dienstleistern Im Arbeitgebermodell sind schon vor der Antragstellung umfassende rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse erforderlich, um einen angemessenen Budgetrahmen kalkulieren zu können. Im Projekt haben sich die Nutzer und ihre Angehörigen für die Zusammenarbeit mit einem Dienstleister entschieden, weil sie über die notwendigen Kenntnisse zu diesem Zeitpunkt nicht verfügten.

  • Auswahl des Dienstleisters Vor der Antragstellung haben die Nutzer und Angehörigen die Angebote mehrerer Dienstleister geprüft und sich für die Zusammenarbeit zwei Dienstleistern entschieden.

  • Antragstellung Auf der Grundlage des erforderlichen Unterstützungsumfangs wurde ein Leistungspaket für die Beantragung bei der Behörde geschnürt. Die Verhandlungen mit der Behörde wurden gemeinsam von Nutzern, Eltern und Dienstleistern vorbereitet und zum Teil auch gemeinsam -durchgeführt.

Leistungsorganisation und -erbringung

Bei der Leistungsorganisation sind folgende Punkte von besonderer Bedeutung:

Auswahl der Mitarbeiter Für Nutzer ist es -von besonderer Bedeutung, ob sie die bei ihnen eingesetzten Mitarbeiter auswählen können und ob es einen weiteren Einsatz -der betreffenden Mitarbeiter bei Unzufriedenheit oder einem Scheitern der Arbeitsbeziehung gibt. Da ein Mitarbeiter im Projekt fast aus schließlich bei je einem Klienten eingesetzt -wird, wird der Klient bei der Auswahl des Mitarbeiters immer beteiligt. Das Scheitern einer Arbeitsbeziehung mit der Folge der Nichteinsetzbarkeit beim Klienten stellt die Dienstleister mit Blick auf arbeitsrechtliche Fragen vor besondere Herausforderungen, da der Arbeitsvertrag nicht an die Leistungserbringung bei einem Klienten gebunden ist. Um problematische Situationen zu reduzieren, ist es - wie auch im Arbeitsgebermodell - notwendig, dass Unzufriedenheiten frühzeitig angesprochen werden. Nur so kann ein Scheitern -der Arbeitsbeziehung aufgrund von aufgestauter Unzufriedenheit abgewendet

  • Planung der Leistungserbringung Die Planung der Leistungserbringung folgt den individuellen Wünschen und Bedarfen der -Nutzer entsprechend. Aufgrund von Organisationsnotwendigkeiten hat die Planung immer einen zeitlichen Vorlauf zur tatsächlichen Leistungserbringung. Bei der Leistungserbringung stehen Nutzerwünsche nach (kurzfristiger) Flexibilität -im Gegensatz zu den organisatorischen -Bedingungen einer geplanten Leistungsorganisation. Im Projekt wird der monatliche Dienstplan auf der Grundlage der Anforderungen und Wünsche der Menschen -mit Behinderung erstellt. Veränderungen der Planung sind im gegenseitigen Einvernehmen immer möglich. Für einseitige mit Veränderungen wurden im Vertrag Rahmenbedingungen formuliert.

  • Inhaltliche Ausgestaltung der Leistungserbringung Die Klärung der inhaltlichen Ausgestaltung der Leistungserbringung erfolgt im Alltag im persönlichen Gespräch und bei grundsätzlichen Fragen in der monatlichen Dienstbesprechung. Klienten und z. T. ihre Angehörigen bzw. rechtlichen Betreuer sind hierbei als Auftraggeber regelhaft beteiligt. Ein Teil der Dienstbesprechung ?ndet ohne Klienten und Angehörige statt. Hier werden fachliche, organisatorische und mitarbeiterbezogene Fragen behandelt.

  • Zusammenarbeit mit Nutzern und Angehörigen Eltern haben im Leben von Menschen mit Behinderung eine besondere Bedeutung. Die in der Befragung deutlich gewordenen unterschiedlichen Wahrnehmungen sind biographisch (Erfahrungsvorsprung, erster Auszug des Kindes aus dem Elternhaus) und durch die Elternrolle begründet. Schon die teilweise Übertragung elterlicher Aufgaben und Verantwortung an Mitarbeiter fordert Eltern in ihrer biographischen und persönlichen Situation. Eine Übergabe von Verantwortung an ihr schwerbehindertes ‚Kind' selbst fordert ungleich mehr. Insbesondere im Zusammenhang mit einer Schwerstbhinderung des Kindes entwickeln sich leicht Beziehungsstrukturen, die eine Übernahme von Eigenverantwortung während und nach der Pubertät wenig befördern können. Die Verteilung von Verantwortung zwischen den verschiedenen Beteiligten (Nutzer, Angehörige, Dienstleister) ist immer wieder auszuhandeln und strukturell und individuell den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Unter den Bedingungen eines Persönlichen Budgets liegen die Ein?ussmöglichkeiten allerdings stärker als in institutionellen Settings in der Hand der Nutzer.

Ausblick

Die Realisierungsmöglichkeiten und das Potential des elternunabhängigen Wohnens mit einem persönlichen Budget für die selbstbestimmte Gestaltung des Lebens von Menschen mit großem Unterstützungsbedarf sind im Projekt deutlich geworden. Inwieweit das persönliche Budget geeignet ist eine relevante Alternative zur Sachleistung auch für Menschen mit Behinderung zu werden, hängt davon ab, ob es den beteiligten Akteuren (Nutzer, Angehörige, Dienstleister und Kostenträger) gelingt, inhaltliche, organisatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu gestalten, die auch für Menschen tragfähig sind, die Organisations-, Personal-, Anleitungs- und Finanzkompetenz nur in Teilbereichen wahrnehmen können.

Änne-Dörte Jahncke-Latteck

Änne-Dörte Jahncke-Latteck, Jg. 1970, Fachkrankenschwester f. Anästhesie u. Intensivp?ege, Dipl.-P?egewirtin; seit 2002 Wiss. Mitarbeiterin mit dem Schwerpunkt P?egewissenschaft im Department P?ege der Fakultät Wirtschaft & Soziales der HAW Hamburg; Doktorandin an der Universität Bremen. jahncke-latteck@sp.haw-hamburg.de

Martin Rösner

Martin Rösner, Jg. 1955; M.A. der Erziehungswissenschaften, Soziologie und Politische Wissenschaften; langjähriger Mitarbeiter von LEBEN MIT BEHINDERRUNG HAMBURG, Bereichsleiter Unterstütztes Wohnen.

roesner@lmbhh.de

Petra Weber

Petra Weber, Prof., Dipl.-Päd.; seit 1997 Prof. für Pflegewissenschaften im Studiendepartment P?ege & Management an der Fakultät Wirtschaft & Soziales der HAW Hamburg. petra.weber@sp.haw-hamburg.de

Quelle:

Persönliches Budget: Chance für ein selbstbestimmtes Leben?

Änne-Dörte Jahncke-Latteck, Martin Rösner, Petra Weber: Trägerübergreifendes Budget bei hohem Assistenzbedarf

erschienen in: standpunkt: sozial 3/2007, Seite 81 - 89.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 27.01.2009



[1] Fuchs, H.: Praxiskommentar von Harry Fuchs zu §17 SGB IX Ausführung von Leistungen zur Teilhabe. In: D. Bihr, H. Fuchs, Krauskopf, H. G. Ritz (Hg)(204): SGB IX− Kommentar und Praxishandbuch. Asgard Verlag,1.Aufl., http://www.sgb-ix-umsetzen.de/index.php/nav/tpc/nid/1/aid/518

[2] Metzler, H.; Rauscher; C.(2004): Wohnen inklusiv. Wohn- und Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen in Zukunft. Projektbericht. Hrsg. Vom Diakonischen Werk Württemberg. Stuttgart

[3] Loeken in: Windisch, M.(Hrsg.), AHA e.V.(2006): Persönliches Budget. Neue Formsozialer Leistungen in der Behindertenhilfe und Pflege-Nutzerorientierung oder Sparzwang?. Neu Ulm: AG SPAKBücher,S.31

[4] Windisch, M. (Hrsg.), AHA e.V. 206),a.O.,S.12

[5] Kastl, J. M.; Metzler, H.: Modelprojekt Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung in Baden Württemberg. Sachstandsbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum 31.03.204,S.39

[6] Die BSG kürzte die Eingliederungshilfe im Haushaltsentwurf 205/206 um12Mio.Euro http://fh.hamburg.de/stadt/Aktuell/pressemeldungen/204/juni/23/20406-23-bsf-haushalt.html

[7] Vgl. Bericht der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschut zur Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Hamburg,S.18, http://fh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/bsg/soziales/behinderung/bericht-behinderung-pdf,property=source.pdf

[8] http://www.gal-fraktion.de/cms/default/dokbin/162/162174.185431_haushaltsplanentwurf_20072008_ein.pdf

[9] Der Klient, dessen Leistungen von der Versicherung bezahlt werden, wurde mitbefragt, da die Vereinbarungen zur Leistungserbringung und -abrechnung identisch mit denen im Persönlichen Budget sind.

[10] Haisch, W.: Persönliches Budget. Referat zum10.internationalen GBM - Anwendertreffen. München 05/2006,S.1-5

[11] Kastl , J. M.; Metzler, H.: Modelprojekt Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung in Baden Württemberg. Sachstandsbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum 31.03.2004,S.4

[12] Frevert, U.(1996): Anstellung von Pflegekräften im Privathaushalt oder DIEMISACHTUNG JEDERINDIVIÛ DUALITÄT,1996, http://behinderte.de/AD/PFLEGPRIVH.HTM

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation