Barrierefreie Digitalität

Themenbereiche: Recht, Lebensraum
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: In: FNMA Magazin 04/2018, Themenschwerpunkt: Barrierefreie Digitalität“, ISSN 2410-5244
Copyright: © Rauch, Edelmayer 2018

Barrierefreie Digitalität

„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Chinesisches Sprichwort

Unser Leben ist heute so gravierend vom Wandel geprägt, wie schon sehr lange nicht mehr in der Menschheitsgeschichte. Die Digitalisierung erobert nach und nach alle Lebensbereiche. Der Blick in volle Hörsäle und Seminarräume von Universitäten und Hochschulen, aber auch in so manches Klassenzimmer beweist ein neues Zeitalter in der Bildung. Laptops und Tablets dominieren das Bild anstatt Kollegeblöcken und Bleistiften. Die Digitalisierung im Bildungssektor eröffnet neue Möglichkeiten des Lernens und der Informationszugänglichkeit, stellt aber auch ein gewaltiges Gefahrenpotenzial für vollwertige Partizipation dar. Davon können neben Personengruppen mit bestimmten Beeinträchtigungen auch Menschen betroffen sein, deren Leben bisher von analogen Prozessabläufen geprägt war, die vor allem die Verwendung mobiler Geräte präferieren oder vorübergehend aufgrund einer Verletzung bzw. Krankheit in ihrem Handeln eingeschränkt sind. Wir sind aufgerufen, die Kraft des Veränderungswindes zu nutzen und damit die Basis einer barrierefreien Lebensgestaltung in einer digitalisierten Welt zu schaffen.

Barrierefreiheit definiert sich als Faktor, der das uneingeschränkte Erfassen, Verstehen, Erreichen und Nutzen von Gegenständen, Informationen, Orten und Interaktionsprozessen gewährleistet. Das im Jahr 2006 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz veranschaulicht diesen Begriff im § 6 Abs. (5) und sieht damit eine legistische Verpflichtung bei jeglichen Aktivitäten für die Öffentlichkeit, Unternehmen und die Gesellschaft vor. „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ (BGstG. 2005)

Während das Identifizieren und Beseitigen bereits bestehender Barrieren vor allem im baulichen Kontext ein gewisses Maß an Beachtung findet, ist das Bewusstsein für die Vermeidung von Barrieren bereits bei der Erstellung von Webseiten oder elektronischen Dokumenten noch wenig verbreitet. Gerade in Lernsettings, in denen vermehrt digitale Medien verwendet werden, können sich Unbedachtheiten schnell als Barrieren entpuppen. Beispielsweise hindert eine grafische Darstellung oder eine lange, komplexe mathematische Formel blinde bzw. hochgradig sehbehinderte Lernende an einer gleichberechtigten Teilhabe am Lernprozess. Der Einsatz eines Films ohne Untertitel stellt für gehörbeeinträchtigte Personen eine Barriere bei der umfassenden Informationsaufnahme dar. Um die Gesellschaft für die erforderlichen Vorkehrungen für gleichberechtigte und autonome Partizipation zu sensibilisieren, wurden Richtlinien für Barrierefreiheit in unterschiedlichen Anwendungsbereichen erstellt.

Für die Erstellung barrierefreier elektronischer Dokumente sind die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) in der aktuellen Version das grundlegende Regelwerk (WCAG 2008, WCAG 2018). Diese Richtlinien werden von der WAI (Web Accessibility Initiative) des W3C (World Wide Web Consortium) festgelegt und sind in Österreich, aber z. B. auch in den USA, gesetzliche Vorgabe. Für PDF-Dokumente definiert der internationale Standard PDF/UA (Universal Accessibility) Regeln, die eingehalten werden müssen, um den WCAG zu genügen.

Einen gesetzlichen Rahmen für die Anwendung dieser Regeln bilden u. a. die Österreichische Verfassung, das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) und das E-Government-Gesetz (E-Gov-G). Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK 2008) ist ebenso zu beachten wie die seit 2016 wirksame Richtlinie 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu den Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EUR-LEX 2016).

Auch wenn man mit dem umfangreichen Regelwerk der WCAG noch nicht vertraut ist, so lassen sich doch mit der Befolgung einiger grundlegender Regeln wesentliche Barrieren vermeiden. Als Beispiel wäre zu nennen: Formatvorlagen und semantisch korrekte Formate zu verwenden. D. h. , dass für Überschriften auch das Überschriften-Format angewandt und ein Text nicht einfach nur fett- und großgeschrieben wird. Bilder sind mit sinnvollen alternativen Texten zu versehen, um Menschen mit einer Sehbehinderung Information über das Bild zu vermitteln. Eine möglichst einfache Gestaltung sowie eine Inhaltsbeschreibung von Tabellen erleichtert die Orientierung und das Erfassen der Datenzusammenhänge. Bilder sollen im Text verankert sein, denn vor oder hinter den Text legen hindert Assistierende Technologien, sie im Textfluss an der richtigen Stelle anzuzeigen. Dekorative Elemente müssen als solche gekennzeichnet sein, damit sie von Assistierenden Technologien ignoriert werden können. Weiters ist auf gute Kontraste und die Wahl gut lesbarer Fonts wie z. B. Verdana oder Segovia zu achten, ein sinnvoller Dokumententitel zu vergeben, die natürliche Sprache des Dokuments anzugeben und Inhaltsverzeichnisse automatisch generieren zu lassen. Programme wie Microsoft Word oder Adobe Acrobat haben eine integrierte Testfunktion, die Fehler erkennt und somit verhindern hilft. Ein Test der letzten Ausgabe des fnma Magazins mit dieser Funktion ergab eine Liste einiger gravierender Barrieren. Barrierefreiheit ist bereits bei der Erstellung der Vorlagen für PDF-Dokumente zu bedenken. Ein Nachbearbeiten ist schwer und nur mit sehr großem Aufwand möglich.

Fazit

Das Wissen sowie die technischen Grundlagen, wie Barrierefreiheit gewährleistet werden kann, sind seit Langem vorhanden und in rechtsverbindlichen Texten verankert. Die Realisierung und Exekutierung erfolgt jedoch sehr langsam und immer noch unvollständig. Damit Barrierefreiheit als selbstverständliches Element der Informationsvermittlung und Informationsaufnahme Berücksichtigung findet, bedarf es einer effektiven Bewusstseinsbildung vor allem im tertiären Bildungsbereich. Insbesondere in den Curricula der Bachelorstudien Architektur und Informatik sollten Pflichtlehrveranstaltungen zu dieser Thematik inkludiert sein. Aber auch im Rahmen der Lehramtsstudien gilt es, die barrierefreie Unterrichtsgestaltung intensiv zu thematisieren.

Autor_innen

Inhaltsverzeichnis

Georg Edelmayer

Portraitfoto Georg Edelmayer

Dipl. Ing. Georg Edelmayer ist Mitarbeiter am Teaching Support Center der TU Wien. Er ist Koordinator für Planung und Umsetzung technischer Unterstützungsmaßnahmen für behinderte Studierende und hat Arbeitsschwerpunkte im Bereich barrierefreies Web, Dokumente und Applikationen.

Claudia Rauch

Portraitfoto Claudia Rauch

Dipl.Päd. Claudia Rauch MA ist Lehrende und Inklusionsbeauftragte an der PH NÖ Department 1 Diversität sowie 2. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Uniability.

Quelle

Claudia Rauch, Georg Edelmayer: Barrierefreie Digitalität. In: FNMA Magazin 04/2018, Themenschwerpunkt: Barrierefreie Digitalität“

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 01.10.2019

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation