Partizipation oder Delegation von Unsicherheit?

Partizipationschancen in entgrenzten Arbeitsfeldern – IT-Dienstleistungen und mobile Pflege

Themenbereiche: Arbeitswelt
Schlagwörter: Beruf, Mobilität, Partizipation
Textsorte: Vortrag
Releaseinfo: Vortrag auf der Konferenz „Demokratie in Arbeit? Chancen demokratischer Teilhabe in einer flexibilisierten Arbeitswelt“ im Rahmen der Wiener Wissenschaftstage 2005, Museumsquartier Wien, 4. 10. 2005,http://forba.at/de/veranstaltungen/konferenz_05/index.html.
Copyright: Ulrike Papouschek, Manfred Krenn 2005

Einleitung

Der Titel unseres Vortags lautet „Partizipation oder Delegation von Unsicherheit? Partizipationschancen in entgrenzten Arbeitsfeldern – IT-Dienstleistungen und mobile Pflege.“

Grundlage dieses Vortrags ist das Forschungsprojekt „Entgrenzung von Arbeit und Chancen zur Partizipation“, das von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Kooperation mit dem Non-Profit Institut an der Wirtschaftsuniversität Wien und dem Zentrum für soziale Innovation im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Demokratieentwicklung im europäischen Integrationsprozess“ des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur von 2003 bis 2005 durchgeführt wurde.

Ziel dieses Forschungsprojekts war, zu erheben, wie sich die Bedingungen „entgrenzter“ Arbeit auf die Partizipationschancen verschiedener Gruppen von Beschäftigten auswirken.

Unsere Erhebung konzentrierte sich auf Dienstleistungsarbeit. Innerhalb des Dienstleistungssektors wurden expandierende Branchen mit ausgeprägten Tendenzen zur Flexibilisierung und Entstandardisierung von Arbeit ausgewählt: mobile Pflege als Beispiel sozialer Dienste einerseits und Software-Entwicklung und IT-Dienstleistungen, andererseits.

Diese Branchen und Berufe spielen in der Diskussion über die „Zukunft der Arbeit“ – nicht zuletzt aufgrund des prognostizierten Beschäftigungswachstums – eine prominente Rolle, weisen aber hinsichtlich der Arbeitsinhalte und -gegenstände, nach Geschlecht, Wissensformen sowie Organisationsstrukturen große Unterschiede auf und ermöglichen daher einen interessanten Vergleich.

Für die Untersuchung wurden 9 Betriebsratsfallstudien durchgeführt: fünf in mittelgroße Unternehmen der IT-Dienstleistungen. Die Betriebsgrößen reichten von 40 bis 50 Beschäftigte. In der mobilen Pflege wurden vier Organisationen untersucht, davon zwei Großorganisationen, eine mittelgroße Organisation und ein Kleinbetrieb. Insgesamt ergab das 70 Interviews – mit GeschäftsführerInnen, BetriebsrätInnen und Beschäftigten.

Charakteristik der Arbeit in der mobilen Pflege und in IT-Dienstleistungen im Vergleich

In der Mobilen Pflege ist im Unterschied zu den IT-Dienstleistungen der Betrieb als kompaktes Gebilde aufgelöst. Er stellt sich vielmehr als Archipel von Außenstellen, die gegenüber der Zentrale, eine hohe Eigenständigkeit aufweisen, dar. Die Anbindung an den Betrieb erfolgt in der mobilen Pflege über regelmäßige Treffen der AußenstellenleiterInnen. In den IT-Dienstleistungen dominieren projektförmige Aufbau- und Ablaufmuster (siehe Tabelle 1).

Der Charakter der Arbeit ist bei der mobilen Pflege als aufsuchende, personenbezogene Dienstleistung, bei den IT-Dienstleistungen als technik- und wissensintensive Entwicklungs- bzw. Problemlösungsarbeit zu beschreiben.

Was schließlich die Arbeitsorganisation betrifft, finden wir in der mobilen Pflege Einzelarbeit im Außendienst. Arbeitsort ist dabei die Privatwohnung der KlientInnen. Eine wichtige Rolle, um diese Vereinzelung der Pflegekräfte zu durchbrechen, spielen hierbei die Pflegeteams bzw. eine Anbindung ans Pflegeteam. In den IT-Dienstleistungen findet sich hingegen Projektarbeit in temporären Teams gepaart mit Einzelarbeit vor allem in der Softwareentwicklung.

Tabelle 1: Charakteristik der Arbeit in der mobilen Pflege und in IT-Dienstleistungen

Charakteristik der Arbeit

mobile Pflege

IT-Dienstleistungen

Betriebsorganisation

Betrieb als Archipel von Außenstellen (hohe Eigenständigkeit) mit Zentrale – Anbindung über rglm. Treffen der AußenstellenleiterInnen)

Betrieb als kompaktes (zentraler Ort) Gebilde – Dominanz projektförmiger Aufbau- und Ablaufmuster

Charakter der Arbeit

Aufsuchende, personenbezogene Dienstleistung

Wissensintensive Entwicklungs- bzw. Problemlösungsarbeit

Arbeitsorganisation

Einzelarbeit im Außendienst (Arbeitsort: Privatwohnung der KlientInnen) – Anbindung ans Pflegeteam (wichtige Funktion)

Projektarbeit in (temporären) Teams gepaart mit Einzelarbeit (SWE)

Entgrenzung und Partizipation – kurze Klärungen

Kommen wir zurück zu unserer Frage nach den Partizipationschancen in den entgrenzten Arbeitsfeldern – IT-Dienstleistungen und mobile Pflege.

Mit Entgrenzung ist gemeint, dass sich die industriegesellschaftlich etablierten Grenzen von Erwerbsarbeit infolge neuer, unternehmensseitiger Strategien zur Verwertung bzw. Nutzung von Arbeitskraft verflüssigen oder auflösen. Diese Entwicklung, so die Annahme, führe für die Arbeitenden zu neuartigen Anforderungen, die sowohl mit Chancen als auch mit Risiken verbunden seien.

Wir möchten uns auf drei Dimension dieser Entwicklung in den beiden Untersuchungsfeldern näher konzentrieren:

  • Arbeitszeit: Flexibilisierung und Ausdehnung der Arbeitszeit, variable Arbeitszeiten, zeitliche Verfügbarkeit der Arbeitskräfte;

  • Arbeitsort: also mobile Arbeit bzw. Arbeit bei KundInnen, hohe Mobilitätsanforderungen, Kooperation über Distanzen, „virtuelle Teams“;

  • Arbeitskraft und Subjekt: Nutzung der ganzen Person, also der körperlichen, kognitiven, psychischen und emotionalen Potenziale im Arbeitsprozess, Verschwimmen der Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben.

Mit diesem Trend zur Entstandardisierung der Erwerbsarbeit verändern sich aber auch die Voraussetzungen für die Teilhabe an Entscheidungen über die Bedingungen der eigenen Arbeit.

Der Begriff der Partizipation ist sehr vielschichtig, deshalb ist es notwendig, darzulegen, was wir unter Partizipation verstehen. Wir unterschieden und definieren Partizipation im Hinblick auf die Form und auf den Gehalt an Demokratisierung:

Da ist zunächst die direkte oder individuelle Partizipation. Sie wird unterschieden in Selbstorganisation bei der unmittelbaren Arbeitsausführung – wobei aus der Demokratieperspektive zu fragen ist, welche Funktion diese im Betrieb erfüllt. Soll sie etwa „Lücken der technisch-organisatorischen Vorlaufplanung“ füllen, die als Freiräume konzipiert worden sind oder aus Planungsdefiziten resultieren? Dabei werden jene Interessen der ArbeitnehmerInnen mobilisiert, „die sich für das Unternehmen funktional einsetzen lassen“ – mit Demokratisierung hat eine solche Form nichts zu tun. Andererseits enthält direkte Partizipation auch den Aspekt der Mitwirkung an der Gestaltung der Rahmenbedingungen der Arbeit in Form einer „Selbstvertretung“ – diese Form der Partizipation bezieht sich auf die Mitwirkung an der Planung und an weiter reichenden Unternehmensentscheidungen.

Den Demokratiegehalt direkter bzw. individueller Partizipation beziehen wir auf die Mikropolitik der Regelung gemeinsamer Angelegenheiten im Team, in der Abteilung etc. einerseits und auf die Betriebspolitik der Geschäftsstrategien, der Reorganisation und deren personelle Konsequenzen andererseits.

Der direkten oder individuellen Partizipation gegenüber – um wieder zur Unterscheidung von Partizipationsformen zurückzukommen – steht die repräsentative Partizipation, die als Vertretung etwa durch einen Betriebsrat verstanden wird.

Entgrenzte Arbeit und direkte Partizipation

Unterschiedliche Partizipationschancen bei der Arbeitszeitgestaltung

Wir kommen jetzt zu den Auswirkungen entgrenzter Arbeitsbedingungen auf direkte oder individuelle Partizipation. Eine Nagelprobe für Partizipation ist die Möglichkeit, sich an der Gestaltung der Arbeitszeit zu beteiligen, da dies ein zentraler Punkt für die Lebensführung von Beschäftigten darstellt. Ein erster Blick zeigt, dass die Partizipationschancen zur Arbeitszeitgestaltung in den beiden Branchen sehr unterschiedlich sind.

In der mobilen Pflege können die Beschäftigten nach eigener Aussage in hohem Maße das Ausmaß der vereinbarten Arbeitszeit – also in der Regel ihrer Teilzeit-Beschäftigung - verändern, also von 20 auf 30 Stunden ausweiten oder umgekehrt verkürzen.

Im Unterschied dazu stellt die Bereitschaft zur Vollzeitbeschäftigung eine wichtige Voraussetzung für den Eintritt in die IT- Unternehmen dar. Hier gibt es in punkto Festlegung der vereinbarten Arbeitszeit kaum Verhandlungsspielräume. Diese 40-Stunden- Norm fungiert in den Unternehmen als Ausschlusskriterium für all jene mit anderen Arbeitszeitwünschen, bspw. für Personen mit Versorgungspflichten, was sich in der geringen Anzahl von Frauen mit Kindern in der Branche niederschlägt.

Ein völlig gegensätzliches Bild ergibt sich hingegen beim Einfluss auf die Lage der Arbeitszeit. Die Situation in den mobilen Pflegeorganisationen ist von einer hohen sich aus den Einsatzanforderungen ergebenden Flexibilisierung der Lage der Arbeitszeit geprägt. Die Pflegekräfte können auf ihre Einsatzzeiten nur sehr beschränkt Einfluss nehmen, wobei Unterschiede nach Berufsgruppen bestehen. Die Lage ihrer täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten ist variabel und unterliegt zudem ständig kurzfristigen Änderungen – zusätzlich verstärkt durch die Personalunterausstattung. Somit sind die Pflegekräfte eher zeitlich Getriebene ihrer Arbeit, denn aktiv ihre Arbeitszeit Gestaltende. Die überwiegende Mehrzahl der interviewten Pflegekräfte berichtet denn auch von Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit und dass sie ihr Privatleben nach den Erfordernissen des Berufs ausrichten müssen. Das daraus entstehende Vereinbarkeitsproblem wird insofern verschärft als die weiblichen Pflegekräfte nach wie vor die Hauptlast der Versorgungs- und Reproduktionsarbeit in den Privathaushalten tragen.

In den IT-Unternehmen gehören hingegen kernzeitlose Gleitzeitregelungen, die den Beschäftigten bei ihrer Arbeitszeitgestaltung hohe individuelle Spielräume einräumen, solange die Abgabetermine eingehalten werden, zum Standard betrieblicher (De-) Regulierung.

In beiden Branchen liegt die tatsächliche Arbeitszeit über der vereinbarten Arbeitszeit. In der mobilen Pflege ist es v.a. die knappe Personalbemessung in den Organisationen, die dazu führt, dass häufig Mehrarbeit für die Beschäftigten anfällt. In den Unternehmen der IT-Dienstleistungen richtet sich die Dauer der Arbeitszeit stark nach den Erfordernissen in den einzelnen Projekten. Dabei kristallisiert sich eine Tendenz heraus, nach der regelmäßig Überstunden geleistet werden müssen. Allerdings halten sich diese im Vergleich zu den überbordenden Arbeitszeiten während des Booms der Branche in Grenzen.

Im Hinblick auf die Frage, wie diese Entwicklungen durch Partizipation der Beschäftigten beeinflusst werden können, kann gesagt werden: In der Pflege haben die Beschäftigten kaum Möglichkeiten, dieser Flexibilisierung Einhalt zu gebieten. In den ITUnternehmen geht die Normalisierung der Arbeitszeiten zum Teil auf die Ansprüche der älter werdenden Beschäftigten, zum Teil aber schlicht auf die schlechte Auftragslage zurück.

Räumliche Aspekte der Arbeit: Mobile Arbeit bzw. Arbeit beim Kunden und direkte Partizipation

Wir wenden uns nun dem zweiten Aspekt, der Frage des Arbeitsortes zu. Die räumliche Trennung von Arbeitsort und Betrieb, spielt in beiden Branchen eine wichtige Rolle für die Chancen direkter Partizipation. Allerdings sind die Formen der räumlichen Trennung unterschiedlich. Ist es in der mobilen Pflege die Einzelarbeit im Außendienst in den Wohnungen der KlientInnen, so bezieht sich das in den IT-Unternehmen v.a. auf hoch qualifizierte Leiharbeit im Kundenunternehmen. Die IT-Beschäftigten arbeiten also trotz „Entgrenzung“ von ihrem Stammunternehmen in einem Betrieb, während das bei den Pflegekräften nicht der Fall ist. Dieser Unterschied bleibt nicht ohne Folgen für die Chancen auf direkte Partizipation im Hinblick auf Selbstorganisation.

In der mobilen Pflegearbeit ist es gerade der Umstand, dass die Arbeit in den Wohnungen der KlientInnen stattfindet, der einen für Vorgesetzte schwer kontrollierbaren Raum öffnet. Die hoch qualifizierten LeiharbeiterInnen im IT-Sektor hingegen bleiben den unmittelbaren, aus der betriebsförmigen Organisation entspringenden Kontrollmöglichkeiten unterworfen, die je nach Kundenunternehmen mitunter sogar bürokratischer und strikter sein können als im Stammbetrieb. Insofern kann konstatiert werden, dass die räumliche Entgrenzung im Fall der mobilen Pflege die Chancen zur Selbstorganisation im Vergleich zu den Möglichkeiten in der stationären Pflege deutlich ausweitet, während in den IT-Unternehmen die räumlich entgrenzten LeiharbeiterInnen im Vergleich zu den im „eigenen“ Betrieb Arbeitenden ungünstigere Partizipationschancen haben.

Die individualisierte Arbeitsstruktur, also die Einzelarbeit im Außendienst, befreit – so ein Ergebnis – die Pflegearbeit ein Stück weit von ihrer untergeordneten Position, die ihr im institutionellen System der stationären Einrichtungen nicht zuletzt aufgrund ärztlich dominierter Definitionsmacht und -kontrolle zugewiesen wird. Die von außen nur schwer kontrollierbare Arbeitssituation im Außendienst erhöht für die weiblichen Pflegekräfte die eigenen Kontrollmöglichkeiten über ihre Arbeit. In diesem Sinne könnte man daher als positiven Effekt räumlich entgrenzter Arbeitsbedingungen in der mobilen Pflege den Zugewinn an Verfügung über die eigenen Arbeitspraktiken bezeichnen. Weitab vom Schuss zu sein, bedeutet in diesem Fall auch weitab von den hierarchischen Strukturen, wie sie zum Beispiel im stationären Betrieb vorherrschen. Allerdings muss dieses Stück „Freiheit“ immer wieder gegen von Ökonomisierungs- und Effektivierungsmotiven angetriebene Versuche, über enge zeitliche und inhaltliche Vorgaben und geringe Ressourcenausstattung diese Selbstständigkeit einzuschränken, behauptet werden.

Wenig überraschend ist hingegen, dass in Hinblick auf die Selbstvertretung die räumliche Trennung in beiden Fällen als Barriere für direkte Partizipation wirkt. Durch die räumliche Distanz ist der Zugang zu Informationen erschwert, insbesondere zu den vielfältigen informellen Informationskanälen, die innerhalb einer sich an einem Ort befindlichen Organisation bestehen. Die fehlende Anbindung an die Organisation bedeutet auch, dass die Beschäftigten nicht dort sind, wo die für die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit wesentlichen Entscheidungen fallen. Einer möglichen Selbstvertretung fehlen dadurch sowohl die Gelegenheiten als auch die unmittelbaren Ansprechpartner.

Diese Barrieren können offensichtlich durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, die insbesondere in den IT-Unternehmen weit ausgebaut sind, nicht abgebaut werden. In den IT-Unternehmen mit ihren individualisierten Aushandlungsstrukturen sind die Unterschiede in den Partizipationschancen zwischen den LeiharbeiterInnen und den räumlich integrierten Beschäftigten besonders groß.

Zur Subjektivität der Arbeitenden: Zum Zusammenhang von Ressourcenausstattung, inhaltlichen Ansprüchen an die Arbeit und direkte Partizipation

Ein weiterer wichtiger Zusammenhang für unsere Fragestellung ist jener von Ressourcenausstattung, inhaltlichen Ansprüchen an die Arbeit und Partizipation. Trotz der großen Unterschiede zwischen der mobilen Pflege und den IT-Dienstleistungen im Hinblick auf das Bildungs- und Qualifikationsniveau war in beiden Branchen ein großes inhaltliches Interesse der Beschäftigten an ihrer Arbeit festzustellen.

In den Arbeitsorientierungen überwiegen hohe Ansprüche an die Qualität der Dienstleistung, die die Beschäftigten auch bei einer Beschränkung der Ressourcen aufrechtzuerhalten versuchen. Dabei haben sie jedoch zunehmend mit Widersprüchen zwischen professionellen Standards und eigenen Ansprüchen an die Arbeit einerseits und den ökonomischen Bedingungen andererseits zu kämpfen. In beiden Branchen haben die Beschäftigten großes Interesse daran, den inhaltlichen Kern ihrer Arbeit gegenüber den Zwängen, die von einer Kürzung der personellen und zeitlichen Ressourcenausstattung ausgehen, zu verteidigen. In der Frage, welche Ansprüche die Beschäftigten im Lichte dieser Widersprüche an Partizipation stellen, zeigen sich interessante Unterschiede zwischen den Branchen.

In der mobilen Pflege entwickeln sich Partizipationsansprüche, so unser Eindruck, entlang von subjektiven Partizipationskompetenzen, d.h. Ansprüche werden dort erhoben, wo sich die Pflegekräfte kompetent fühlen und sich deshalb eine Mitsprache auch zutrauen. Damit bleiben allerdings die Partizipationsansprüche in den meisten Fällen auf die unmittelbare Arbeit mit den KlientInnen beschränkt. Fragen, die die ökonomische Sphäre und damit den zentralen Bereich der Ressourcenzuteilung betreffen, bleiben als Gegenstand der Mitwirkung bei der Mehrzahl der Interviewten – bis auf wenige Ausnahmen – weitgehend ausgeblendet. Das hat eine Beschränkung auf Beteiligung zur bestmöglichen Bewältigung der Arbeit trotz mangelhafter Ressourcenausstattung zur Folge und zwar unter hohem persönlichen Einsatz und großen Belastungen.

Auch bei den hoch qualifizierten, vorwiegend männlichen IT-Fachkräften stehen die inhaltlichen Ansprüche an die Arbeit im Vordergrund, was dazu führt, dass sie hohe Ansprüche an Selbstorganisation und Selbstvertretung in Bezug auf alle fachlichen Fragen entwickeln. Allerdings gehen ihre Ansprüche an Partizipation durchaus über die unmittelbare Arbeitstätigkeit hinaus und schließen auch Fragen der Arbeitsbedingungen mit ein. Diese werden allerdings begrenzt durch ökonomistische Grundeinstellungen, die das Gesamtwohl des Unternehmens immer in die Beurteilung der Situation mit einschließen. Insofern beschränken sich diese Ansprüche häufig auf die individuelle Aushandlung des Gehalts bzw. auf die Absicherung der eigenen Position im Unternehmen oder die Mitsprache bei der Zuteilung zu Projekten.

Die Beschränkung der Partizipationsansprüche bei den Pflegekräften hat unseres Erachtens auch mit tief verwurzelten, gesellschaftlichen Geschlechtszuschreibungen zu tun. Ist Pflege- und Sorgearbeit ein auch gesellschaftlich anerkanntes und damit legitimes Feld weiblicher Aktivität, so trifft das auf Fragen betrieblicher Regulierung weit weniger zu. Pierre Bourdieu hat darauf aufmerksam gemacht, dass die einem/r Akteur/in von der Gesellschaft zuerkannte Kompetenz ausschlaggebend ist für die subjektive Neigung, sich diese Kompetenz auch anzueignen bzw. deren Aneignung als legitim zu betrachten. Das trifft unseres Erachtens auch auf die reduzierten Partizipationsansprüche der weiblichen Pflegekräfte v.a. auch im Vergleich zu den männlichen ITBeschäftigten zu. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden durch Unterschiede im Qualifikationsniveau noch verstärkt.

Wir beobachten in beiden Branchen eine Entwicklung, wo durch eine kontinuierliche Reduzierung der für die Arbeit notwendigen Ressourcen ein Punkt erreicht werden kann, an dem die in beiden Branchen bestehenden Spielräume zur Selbstorganisation nur dazu genutzt werden können, um die Probleme zu bewältigen, die von der Organisation auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Sie weiten aber nicht die Gestaltungsspielräume für die Beschäftigten aus, um eigene Interessen in der Arbeit verwirklichen zu können. Es überwiegt vielfach also die „Delegation von Unsicherheit“ die tatsächlichen Partizipationsmöglichkeiten.

Entgrenzte Arbeit und repräsentative Partizipation

Repräsentative Partizipation und räumliche Distanz

Wenn wir uns nun dem Zusammenhang von entgrenzter Arbeit und repräsentativer Partizipation zuwenden, so ist festzuhalten, dass der Betrieb als räumliche und soziale Einheit eine entscheidende Voraussetzung für Partizipation und kollektive betriebliche Interessenvertretung darstellt. Dieser Zusammenhang und die Bedrohungen für die Betriebsratsarbeit, die von der Auflösung von Betrieben ausgehen, wurden auch in unseren Erhebungen bestätigt.

Am Beispiel der mobilen Arbeit in den sozialen Diensten zeigt sich, dass der Kontakt zwischen Beschäftigten und Betriebsrat aufgrund der räumlichen Zersplitterung durch die mobile Arbeit extrem erschwert wird. Ohne räumliche Nähe und persönliche Treffen sind die Verständigung und der Zusammenhalt unter den Arbeitskräften und die Kommunikation mit dem Betriebsrat kaum zu erreichen. Das Modell des Kontakts zwischen Betriebsrat und Belegschaft in der Industrie, nämlich der tägliche Gang durch die Werkshalle, ist auf Betriebe mit mobiler Arbeit aus nahe liegenden Gründen nicht übertragbar.

Allerdings bestehen aus unserer Sicht neben der Dezentralisierung und geografischen Verteilung in der mobilen Pflege auch noch andere Barrieren: Zum einen existiert in Großorganisationen eine große soziale Distanz zwischen den mobilen Pflegekräften und anderen Berufsgruppen, und in der Regel sind erstere kaum oder nur schwach im Betriebsrat vertreten. Eine Vertrauensbeziehung zwischen mobilen Pflegekräften und Betriebsrat wäre also nur durch eine Überwindung der Distanz zwischen den Berufsgruppen erreichbar. Hinzu kommt zweitens, dass häufig Männer die Position des Betriebsratsvorsitzenden einnehmen, aber die überwiegende Mehrheit der Pflegekräfte Frauen sind. Auch daran scheitert offensichtlich häufig Verständnis, Kommunikation und wirksame Vertretung der spezifischen Interessen. Drittens hat sich gezeigt, dass die dezentrale Organisation und die mobile Arbeit zu einem starken Zusammenhalt in den räumlich verteilten Stationen bzw. Teams führen. Dieser für die Beschäftigten wichtige Rückhalt im Team hat die Schattenseite, dass es häufig mit einem Tabu belegt ist, Angelegenheiten nach außen zu tragen. D.h. in der mobilen Pflege verschärfen sich entgrenzte Arbeitsbedingungen (in diesem Fall mobile Arbeit) und strukturelle Faktoren gegenseitig.

Die Möglichkeiten für repräsentative Partizipation sind in den IT-Dienstleistungen wider Erwarten günstiger einzuschätzen als in der mobilen Pflege: Zwar erschweren die ständigen Umstrukturierungen und die damit einhergehende Unsicherheit die Arbeit eines Betriebsrates ebenso wie die auch in dieser Branche nicht seltene räumliche Trennung der Beschäftigten durch Außendiensttätigkeit und die Arbeit bei den Kundenunternehmen. Gleichzeitig fehlen aber die Barrieren zwischen den Berufsgruppen, wodurch im Prinzip von einer guten Gesprächsbasis zwischen den InteressenvertreterInnen und den Beschäftigten ausgegangen werden kann. Das hat wohl damit zu tun, dass in unserem Sample überwiegend reine IT-Betriebe enthalten sind und deren Belegschaften im Hinblick auf das Qualifikationsniveau homogener sind als jene in den sozialen Diensten.

Nun wäre zu erwarten, dass es in den IT-Dienstleistungen leichter fällt, räumliche Distanz durch Intranet und e-mail zu überbrücken. Die Fallstudien zeigten jedoch, dass die neue Kommunikationstechnik nur dann tatsächlich genutzt wird, wenn schon ein hohes Maß an sozialer Integration erreicht ist. Die verfügbaren technischen Möglichkeiten reichen damit für die Einbindung der Beschäftigten bei dezentraler Organisation oder bei der Arbeit bei Kunden nicht aus.

Grenzen der Betriebspolitik

Unsere Ergebnisse machen aber auch die Grenzen von Betriebspolitik sichtbar. So ist die begrenzte Wirksamkeit der Interessenvertretung in den sozialen Diensten auch auf die ökonomischen Rahmenbedingungen zurückzuführen, wodurch etwaigen Initiativen von Seiten der ArbeitnehmerInnen mit dem Hinweis auf die Unfinanzierbarkeit leicht der Wind aus den Segeln genommen werden kann. Für die Pflegekräfte wie auch für die Betriebsräte ist es daher schwierig zu entscheiden, über welchen Gestaltungsspielraum das Management tatsächlich verfügt und wo es an die Grenzen der allgemeinen Kostenreduzierung durch die öffentliche Hand stößt. Jedenfalls werden viele Initiativen vom Management mit dem Argument der Unfinanzierbarkeit abgeblockt. Das führt zu Frustrationen und zu einem Rückzug auf die unmittelbare Pflegearbeit, wo die Pflegekräfte positive Rückmeldungen und Bestätigung durch ihre KlientInnen bekommen.

Insofern kann sich eine erfolgreiche Strategie der repräsentativen Interessenvertretung in der mobilen Pflege nicht auf die betriebliche Arena beschränken. Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit kommt ohne eine überbetriebliche Orientierung nicht aus, die Politik in umfassenderem Sinne als Gestaltung der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für eine hochwertige Pflege beinhaltet und damit auch das Management nicht aus seiner Verantwortung entlässt. Die Gewerkschaften können sich gerade in der Pflege nicht auf ihre Domäne der kollektivvertraglichen Regulierung beschränken, da in diesem Rahmen der maßgebliche dritte Akteur, nämlich die öffentliche Hand als Hauptfinanzier, gar nicht mit am Tisch sitzt. Eine stärker politisch ausgerichtete Auseinandersetzung erhöht auch die Attraktivität der Gewerkschaft bei den vertretenen Pflegekräften. Eine latente Politisierung ist in dieser Branche nämlich durchaus festzustellen: so betonen die Befragten die Notwendigkeit, auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene einzugreifen, sollen die Qualität der Pflege gesichert und die Arbeitsbedingungen verbessert werden, auch wenn diese Einsicht als Beleg ihrer eigenen Ohnmachtsgefühle vorgebracht wird.

In den IT-Dienstleistungen ist eine solche Wahrnehmung eng begrenzter Gestaltungsspielräume des Managements und folglich auch der ArbeitnehmerInnen weniger deutlich erkennbar. Zwar haben Krise und durch sie verursachter Personalabbau Spuren hinterlassen und in Einzelfällen liegt das Gesetz des Handelns bei übermächtigen Großkunden, doch in den IT-Dienstleistungsunternehmen sind es eher die häufigen Umstrukturierungen auf Unternehmensebene, also die Übernahmen, Fusionen, Ausgliederungen etc., die zu Gefühlen der Machtlosigkeit der Interessenvertretung führen können.

Sie können aber auch der Anlass dafür sein, dass ein Betriebsrat gegründet wird, wie das in einem untersuchten Betrieb der Fall war, oder dass neue, aktivere KollegInnen in den Betriebsrat gewählt werden. Ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen blockieren einerseits, dass Interessen formuliert und durchgesetzt werden, sie können andererseits aber auch zu einer Politisierung der Arbeitsbeziehungen und zu einer Stärkung der kollektiven Interessenvertretung führen.

Schlussbemerkungen

Delegation von Unsicherheit statt Demokratisierung

Insgesamt bleiben die Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten – und zwar keineswegs nur wegen der Bedingungen „entgrenzter“ Arbeit – meist auf die Ausführung der Tätigkeit, also die Pflege und Betreuung von KlientInnen oder die Entwicklung von Software nach Kundenvorgaben, beschränkt. Die Rahmenbedingungen der Arbeit und insbesondere die zur Verfügung stehenden zeitlichen und ökonomischen Ressourcen zu ihrer Bewältigung können kaum beeinflusst werden. Die im Rahmen einer Konsultation von den Beschäftigten erarbeiteten Vorschläge werden häufig als unfinanzierbar zurückgewiesen. Offizielle Partizipationsformen führen so eher zu Resignation als zu stärkerem demokratischem Engagement. Damit bleibt von der erhofften Demokratisierung der Arbeit durch Selbstorganisation häufig nur eine „Delegation von Unsicherheit“ (Lehndorff/Voss-Dahm 2005) übrig. Die direkte Partizipation durch Delegation von Verantwortung kann also leicht in „Selbstorganisation von Überlastung“ (Kratzer et al. 2004) umschlagen. Die Spielräume zur Bewältigung der Unsicherheit erlauben es zwar noch, das zentrale Interesse am Inhalt der Arbeit zu befriedigen und so die Bindung an die Arbeit aufrecht zu erhalten. Es nehmen jedoch nicht nur die Überlastungserfahrungen zu, auch von den subjektiven Ansprüchen an die Arbeit müssen die Pflegekräfte und die IT-Fachkräfte angesichts ungünstiger Rahmenbedingungen immer mehr Abstriche machen.

Zur Zukunft von Betriebsratsarbeit

Im Hinblick auf die Zukunft der Betriebsratsarbeit zeigten die Untersuchungsergebnisse, dass eine wirksame betriebliche Interessenvertretung die Anpassung der Strukturen an die organisatorische Realität voraussetzt: Dies betrifft die Verankerung des Betriebsrates in räumlich getrennten Außenstellen ebenso wie die Notwendigkeit der Freistellung von BetriebsrätInnen auch in kleineren Betrieben. Und nicht zuletzt gilt es, den doppelt belasteten Frauen Spielräume und Rahmenbedingungen für politisches Engagement zu verschaffen. Zudem gilt es Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sowie zwischen Frauen und Männern: Die Trennlinien innerhalb der Belegschaften sind häufig auch Barrieren zwischen dem Betriebsrat und einem Teil der von ihm Vertretenen. Ohne Gesprächsbasis und Vertrauensverhältnis ist Interessenvertretung nicht wirksam.

Wenn eine Interessenvertretungspolitik die Überwindung dieser Barrieren gezielt in Angriff nimmt, dann sind unseres Erachtens durchaus Chancen gegeben die existierenden Ansprüche der Beschäftigten und die latent vorhandene Politisierung produktiv zu wenden – d.h. die vorhandenen Ohnmachtgefühle zu überwinden und sie für eine stärkere Aktivierung und Demokratisierung zu nutzen.

Quelle

Ulrike Papouschek, Manfred Krenn: Partizipation oder Delegation von Unsicherheit? Partizipationschancen in entgrenzten Arbeitsfeldern – IT-Dienstleistungen und mobile Pflege; Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt - FORBA. Vortrag auf der Konferenz „Demokratie in Arbeit? Chancen demokratischer Teilhabe in einer flexibilisierten Arbeitswelt“ im Rahmen der Wiener Wissenschaftstage 2005, Museumsquartier Wien, 4. 10. 2005, http://forba.at/de/veranstaltungen/konferenz_05/index.html

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 12. 2. 2016

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