Barrierefreie Informationstechnologie nützt uns allen

Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Erschienen in OCG Journal (das IT-Magazin der Österreichischen Computer Gesellschaft) Ausgabe 01/2013; Jg. 38, S. 12-13. ISSN: 1728-743X.
Copyright: © Klaus Miesenberger 2013

Abbildungsverzeichnis

    Barrierefreie Informationstechnologie nützt uns allen

    Auch die wachsende Zahl von älteren Menschen, die mit einer oder mehreren Behinderungen zu kämpfen haben, wächst. Doch dazu später.

    Die Zahlen über die Lage von Menschen mit Behinderungen in Österreich sprechen eine deutliche Sprache: Laut Erhebung aus dem Jahr 2008[1] haben ca. 630.000 Personen eine starke Beeinträchtigung, die mindestens schon 6 Monate andauert (behinderte Menschen im engeren Sinn), bei der Verrichtung alltäglicher Arbeiten.

    Die mit Abstand häufigsten dauerhaften Beeinträchtigungen sind Probleme mit der Beweglichkeit. Ca. 1 Million Personen, das sind 13 % der österreichischen Bevölkerung in Privathaushalten, sind davon betroffen. Rund 3,9 % der Bevölkerung haben Probleme mit dem Sehen, 2,5 % mit dem Hören. Ebenfalls 2,5 % der Bevölkerung haben psychische Probleme. Geistige Probleme oder Lernprobleme betreffen ca. 1 %.

    Dazu kommt die Entwicklung der Bevölkerung. Laut einer anderen Erhebung sind vor allem ältere Menschen von Behinderungen betroffen: Über die Hälfte (52%) der schwerbehinderten Menschen ist älter als 65 Jahre; 23% sind zwischen 55 und 65 Jahre alt.[2]

    Nach der aktuellen Prognose der Statistik Austria[3] wird die Bevölkerung Österreichs weiterhin wachsen und zwar von 8,4 Mio. (2010) auf 9,0 Mio. (2030) und 9,4 Mio. im Jahr 2050. Die Altersstruktur verschiebt sich deutlich hin zu den älteren Menschen. Derzeit sind 23% der Bevölkerung über 60 Jahre alt, 2020 werden es rund 26% sein, ca. ab 2030 sogar mehr als 30%.

    In den westlichen Ländern bilden ältere Leute die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. Damit öffnet sich ein bedeutender potenzieller Markt. Senioren sind – ebenso wie Menschen mit Sprachproblemen, Behinderungen oder sonstigen Einschränkungen – angewiesen auf einfach gestaltete, gut zugängliche Technologien.

    Abbildung 1. Abbildung 1:

    Abbildung 1:

    © Hilfsgemeinschaft



    [1] Bericht der Bundesregierung zur Lage von Menschen mit Behinderungen in Österreich 2008

    [2] Projektgruppe E-Government im BSI: Barrierefreies E-Government. Leitfaden für Entscheidungsträger, Grafiker und Programmierer. www.bsi.bund.de/DE/Themen/EGovernment/EGovernmentHandbuch/egovernmenthandbuch_node.html

    Accessibility kostet Geld?

    Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die Umsetzung von barrierefreien Webangeboten teuer ist und nur Kosten verursacht. Dem ist zu entgegnen, dass die Kosten für die Berücksichtigung von Barrierefreiheit bei der Umsetzung eines Webauftrittes zu vernachlässigen sind, sofern diese im Entwicklungsprozess von Anfang an mitgedacht werden.

    Bestehende Webauftritte zu überarbeiten ist ungleich kostenintensiver. Hier empfiehlt es sich, bei einem Relaunch – so wie meist alle 3–5 Jahre vorgesehen – Barrierefreiheit miteinzubeziehen, damit die Kosten auf ein Minimum reduziert werden.

    Abgesehen von der Kostenseite sollte aber auch die zweite Seite der Bilanz in die Betrachtung miteinbezogen werden.

    Was bringt ein barrierefreier Webauftritt:

    • Maximierung von Kundenschichten und damit eine Erschließung neuer Kundenschichten. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden nach dem barrierefreien Relaunch eines Onlineshops 6% mehr Besucher, 22% mehr wiederkehrende Besucher und 43% mehr Seitenzugriffe je Besuch verzeichnet.[4]

    • Kostenreduzierung: Barrierefreie Websites sind standardkonform programmiert. Dies resultiert in schlanken Seiten, die rasch laden und weniger Speicher-und Transfervolumen in Anspruch nehmen.

    • Höhere Auffindbarkeit in Suchmaschinen: Stichwort SEO – „Google ist blind“[5] – meint den Umstand, dass Suchmaschinen wie blinde Benutzer von Websiten agieren.

    • Höherer Return on Investment (ROI): Mehr Besucher, höherer Umsatz und verminderte Betriebskosten stehen den nur unwesentlich höheren Anfangsinvestitionen einer barrierefreien Website gegenüber.

    • Umsatzsteigerung: Zum Beispiel Webshops mit vereinfachter Produktsuche und optimiertem Bestellablauf.

    • Corporate Social Responsibility: Gesellschaftlich verantwortliches Handeln von Unternehmen rückt in die Mitte der Gesellschaft und führt zu nachhaltigerem Wirtschaften.

    Die Reichweite des Internets als Marketing-, Verkaufs- und Vertriebskanal wächst sprunghaft und mit ihr die Zahl der Nutzer. Es kann deshalb nur im Sinne der Wirtschaft sein, wenn möglichst viele Menschen während möglichst langer Zeit ihres Lebens uneingeschränkt die angebotenen Dienstleistungen beanspruchen können.



    [4] Fachschriften der German UPA: Band II Barrierefreiheit – Universelles Design

    Gesetzliche Grundlagen

    In Österreich sind barrierefreie Websites anhand von unterschiedlichen Bestimmungen zu gestalten:

    • Österreichische Bundesverfassung (1997)

    • Artikel 7: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.

    • Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz § 6 (5):

    • Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.

    • E-Government-Gesetz §1 (3):

    • Bei der Umsetzung der Ziele dieses Bundesgesetzes ist Vorsorge dafür zu treffen, dass behördliche Internetauftritte, die Informationen anbieten oder Verfahren elektronisch unterstützen, so gestaltet sind, dass internationale Standards über die Web-Zugänglichkeit auch hinsichtlich des barrierefreien Zugangs für behinderte Menschen eingehalten werden.

    Abbildung 2. Abbildung 2:

    Abbildung 2:

    Braillezeile/ © Woche des Sehens/DBSV

    Internationale Standards

    Als internationale Standards für die Web-Zugänglichkeit können ohne Zweifel die WCAG 2.0 (=Web Content Accessibility Guidelines) der WAI (=Web Accessibility Initiative) gelten. Diese „Richtlinien für barrierefreie Webinhalte“ geben Empfehlungen darüber ab, wie Websites zu gestalten sind, damit sie für Menschen mit Behinderung zugänglich sind. Darüber hinaus werden Websites damit für alle Menschen, die diese besuchen, bedienbarer und durch die Einhaltung der Standards auch leichter wartbar und auffindbar sein. Internetseiten sollen unter allen Umständen wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sein und sie sollen technisch so robust sein, dass sie auch mit älteren Geräten oder mit technischen Hilfen für Behinderte benutzbar sind.[6]

    Weitere internationale Regelwerke (auszugsweise):

    • UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities

    • EU Mandat 376: „Standardisation mandate to CEN, CENELEC and ETSI in support of European accessibility requirements for public procurement of products and services in the ICT domain“.

    Abbildung 3. Abbildung 3:

    Abbildung 3:

    Internetseiten sollen unter allen Umständen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.

    Autoren:

    Mag. Klaus Höckner ist Leiter der IT und Projektkoordinator der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs (www.hilfsgemeinschaft.at ).

    a.Univ.Prof. Dr. Klaus Miesenberger ist stellvertretender Institutsvorstand am Institut Integriert Studieren der Johannes Kepler Universität Linz und Leiter des des Arbeitskreises Barrierefreiheit durch IKT (AK:BF-IKT).

    OStR Prof. Mag. Erich Schmid unterrichtet am Bundes-Blindenerziehungsinstitut in Wien.

    Arbeitskreis „Barrierefreiheit durch IKT“ (AK:BF-IKT) Kontakt: www.ocg.at/node/347

    Quelle

    Klaus Höckner, Klaus Miesenberger, Erich Schmid: Barrierefreie Informationstechnologie nützt uns allen. Erschienen in: OCG Journal (das IT-Magazin der Österreichischen Computer Gesellschaft) Ausgabe 01/2013; Jg. 38, S. 12-13. ISSN: 1728-743X.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 09.05.2017



    [6] Fachschriften der German UPA: Band II Barrierefreiheit – Universelles Design

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