Erziehung als Technik

Versuch der Analyse eines pädagogischen Problems

Autor:in - Jakob Meier
Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Arbeit zur Magisterprüfung an der Martin-Luther Universität, Halle-Wittenberg, Halle a. d. Saale, 2006.
Copyright: © Jakob Meier 2006

Einleitung

Das Konzept der Technik oder Technologie ist innerhalb der pädagogischen Theoriegeschichte immer wieder diskutiert worden, ohne dass dieses theoretische Problem einer Lösung zugeführt werden konnte.[1] Hierbei kann beobachtet werden, so Niklas Luhmann und Karl E. Schorr, dass nicht die Entwicklung einer pädagogischen Technologie, sondern vielmehr die Fragestellung, ob eine solche überhaupt denkbar ist, im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.[2]

Wenn eine der Aufgaben dieser Arbeit auch darin besteht, einen Einblick in diese Auseinandersetzung zu vermitteln, und eine Analyse der betreffenden theoretischen Erwägungen versucht werden soll, wird damit doch durchaus ein für die aktuelle rehabilitationspädagogische Theoriebildung wichtiges Interesse verfolgt. So ist nämlich festzustellen, dass der wesentliche Diskurs der gegenwärtigen Sonderpädagogik in der Auseinandersetzung um das Für und Wider einer integrativen bzw. inklusiven Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung besteht. Insofern man unterstellen möchte, dass eine dahingehende Entscheidung eigentlich eine bestimmte Beschulungswirklichkeit hervorrufen sollte, kann dieser Disput bis heute nicht als entschieden gelten. Obwohl es mittlerweile zahlreiche Beispiele für integrative Beschulung in Deutschland gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass sich ein wie auch immer geartetes Konzept einer "Schule für Alle" in Deutschland durchgesetzt hätte. Aber auch eine grundsätzliche Ablehnung des integrativen Konzeptes ist nicht erfolgt. So habe einer aktuellen Einschätzung Alfreds Sanders zufolge die "Integrationsphase [...] inzwischen in fast allen Bundesländern begonnen, wenn auch sehr unterschiedlich nach Quantität und Qualität"[3]. Es würden aber immer noch etwa 86% aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Sonderschulen separiert.[4] De facto findet also eine allgemeine integrative Beschulung aller Kinder in Deutschland nicht statt. Dies ist zum Einen verwunderlich, weil die wissenschaftliche Diskussion um die Integrationspädagogik seit nunmehr zwei Jahrzehnten geführt wird, und zum Andern, weil mittlerweile das Konzept der ‚inklusiven Schule' thematisiert wird. Auch wenn Sander darin gefolgt werden kann, dass eine vollständige Integration, also eine einhundertprozentige Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der allgemeinen Schule noch keine inklusive Schule zur Folge hat, dieser Übergang von einer Pädagogik der Integration zu einer der Inklusion[5] vielmehr konzeptioneller Veränderungen bedarf, kann wohl unterstellt werden, dass eine inklusive Schule ohne vorhergehende integrative Bestrebungen und Entwicklungen wohl kaum entstehen könnte, auch wenn die Phasen von Integration und Inklusion in der Realität nicht trennscharf zu unterscheiden wären.[6] Dieses vermeintliche Scheitern der Integrationspädagogik in Deutschland gibt, insofern man keinen generellen politischen Reformunwillen unterstellen möchte[7], zu der Frage Anlass, inwiefern eine integrative Pädagogik einer separierenden überhaupt vorzuziehen sei.

Diese Arbeit will, um die Bedeutung des hier vorgestellten theoretischen Problems zu veranschaulichen, auch dieser Frage nachgehen und dabei den Versuch der Entwicklung eines Kriteriums unternehmen, anhand dessen möglicherweise eine dahingehende Antwort entwickelt werden kann, auch wenn eine mögliche Entscheidung nicht programmatisch für diese Arbeit sein soll. Das Hauptinteresse besteht an dem erwähnten theoretischen Problem.

Angesichts der Tatsache, dass auch Sonder- und Integrationspädagogik letztlich Pädagogiken sind, soll die hiesige Auseinandersetzung an einem allgemeinen pädagogischen Moment ihren Ausgang finden und nicht mit dem wie auch immer gedeuteten Phänomen der Behinderung anheben. Wie Vera Moser aufzeigt, besteht das zentrale Differenzmerkmal der Sonderpädagogik zu anderen erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen in ihrer anthropologischen Orientierung.[8] Daher kann die Sonderpädagogik, auch wenn sie "im Pflegesektor, wie auch im Bereich Sozialer Arbeit operiert"[9] und "durchaus mit eignen Begriffen und Theoriesystemen"[10] aufwartet, erziehungswissenschaftlich verortet werden.[11] Wenn also das Phänomen der Behinderung als Merkmal der Unterscheidung von anderen erziehungswissenschaftlichen Disziplinen aufgefasst werden kann, darf vermutet werden, dass ein grundlegendes allgemeines pädagogisches Moment auch für die Sonderpädagogik gelten muss.

Daher soll exemplarisch aufgezeigt werden, dass dieses zentrale Moment in dem der "erzieherischen Handlung" zu finden ist, und es soll näher untersucht werden, welche Probleme sich mit dem Konzept der erzieherischen Handelns verbinden, um dann anhand ausgewählter Autoren zu diskutieren, ob die Möglichkeit besteht, derartiges Handeln als technisches zu begreifen. Unter Handlung wird hierbei schlicht eine zielgerichtete, das heißt intentionale, menschliche Verhaltensweise oder Bewegung verstanden.[12] Die Besonderheit technischen Handelns kann vorab darin gesehen werden, dass die betreffenden Handlungen lehr- und lernbar sind.[13] Hierzu bemerkt Wolfgang Wieland, dass "technisches Wissen [...] eine Art des Gebrauchswissens [ist]. Sein Inhaber weiß innerhalb seines Kompetenzbereiches, wie man Mittel und Zwecke aufeinander abstimmt. Aus diesem Grunde kann er sowohl Zwecke mit Erfolg intendieren, er kann aber denselben Zwecken auch ebenso wirkungsvoll entgegenarbeiten[14]". Ganz ähnlich wird dieses Handeln von Friedrich Rapp in einem "weitere[n] Wortverständnis" [15] gekennzeichnet. "So stellen alle zielgerichteten Aktionen, die nach systematischen und effizienten Verfahrensregeln ausgeführt werden, technische Handlungen dar."[16] Ein wesentlicher Aspekt technischen Handelns besteht also in dem Bedarf eines ganz bestimmten Wissens, welches im Folgenden als ‚technologisches Wissen' oder als ‚Technologie' bezeichnet werden soll. Während also Handlungen als Zwecke intendierte Verhaltenweisen aufgefasst werden können, tritt, insofern von technischem Handeln die Rede ist, das Moment des Wissens um bestimmte Verfahrensregeln hinzu. Damit wird nun klar, dass sich diese Arbeit nicht mit dem Thema des Einsatzes von technischen Geräten innerhalb pädagogischer Sachverhalte befasst[17], sondern vielmehr mit dem pädagogische Handeln, welches hier der Einheitlichkeit halber ‚Erziehung'[18] genannt werden soll. Insofern wird auch unter Technik eher technisches Handeln, also verfahrensregelgeleitetes Handeln verstanden, und nicht die Artefakte, welche durch eine Ingenieurskunst hervorgebracht werden. Während diese Arbeit sich mit der Frage befasst ob pädagogisches, also erzieherisches Handeln technisches Handeln sein kann, sei noch darauf verwiesen, dass die Möglichkeit regelgeleiteten Handelns im Bereich des Sozialen generell diskutiert wird.[19] Da also technisches Handeln sich vor allem durch das dazu notwendige Wissen auszeichnet, werden die hiesigen Betrachtungen vor allem die er-kenntnistheoretischen Schwierigkeiten des Verhältnisses von Erziehung und Technik zum Inhalt haben.

Als Ergebnis dieser Erörterungen wird sich, soviel sei vorweggenommen, Pädagogik in einem auf den ersten Blick unauflösbaren Spannungsfeld von "rien ne va plus und anything goes"[20] wiederfinden. Zum Behufe eben dieses Dilemma aufzulösen, und damit Erziehung als rationalisierbares und in gewisser Weise als lehrbares Handeln verstehen zu können, soll eine Analyse technischen Handelns folgen. Die dann entwickelten Auffassungen sollen die zuvor aufgeworfenen Problemstellungen einer Lösung zuführen, so dass aus der so zur Verfügung stehenden Betrachtungsweise von Technologie handlungsorientierende Implikationen für Erziehung gewonnen werden können. Es sei noch angemerkt, dass aufgrund der Umfänglichkeit der Thematik und der Kürze der Arbeit, diese lediglich als ein Versuch gelten kann, eine Argumentation vorzuzeichnen, so dass die für die hiesigen Überlegungen wesentlichen Problemlagen nur verknappt und exemplarisch dargestellt werden können.



[1] Vgl. Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr, Das Technologiedefizit der Erziehung und die Pädagogik, in: dieselben (Hrsg.), Zwischen Technologie und Selbstreferenz, 1982, S. 51-86, hier S. 11ff.

[2] Vgl. ebd. S. 12f.

[3] Zit. Alfred Sander, Inklusive Pädagogik verwirklichen - Zur Begründung des Themas, in: Irmtraud Schnell/ Alfred Sander (Hrsg.), Inklusive Pädagogik, 2004, S. 11-22, hier S. 14.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. dazu Andreas Hinz, Vom sonderpädagogischen Verständnis der Integration zum integrationspädagogischen Verständnis der Inklusion?, in: Schnell/ Sander (Hrsg.), 2004, S. 41-74.

[6] Vgl. Sander, in: Schnell/ Sander (Hrsg.), 2004, S. 14f., sowie Alois Bürli, Sonderpädagogik international, 1997, S. 63ff.

[7] Auch die durchaus berechtigte Frage ob eine integrative Beschulung für unsere heutige Gesellschaft überhaupt von Interesse sein kann, bzw. funktional als sinnvoll erachtet werden könnte, soll dahingestellt bleiben.

[8] Vgl. Vera Moser, Konstruktion und Kritik, 2003, zusammenfassend Kap. 7, S. 157ff.

[9] Zit. Moser, 2003, S. 157.

[10] Zit. ebd.

[11] Vgl. ebd.

[12] Vgl. hierzu Joachim Ritter (Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3 G-H, 1974, unter "Handeln, Handlung, Tat, Tätigkeit", S. 992-994.

[13] Hier kann also durchaus der klassische platonische Begriff der ‚techne' (altgriechisch für Kunst oder Gewerk) zugrundegelegt werden. Vgl. dazu Wolfgang Wieland, Platon und die Formen des Wissens, 21999, S. 252ff.

[14] Zit. ebd. S. 255.

[15] Zit. Friedrich Rapp, Technische Handlungen und ihre Realisierungsmöglichkeiten, in: Hans Lenk, Handlungs-theorien - interdisziplinär, Bd. 4, 1977, S. 367-386, hier S. 367.

[16] Zit. ebd.

[17] Die Bedeutung von technischen Artefakten bei der Steuerung und Kontrolle von sozialem Geschehen hebt Jürgen Diederich besonders heraus. Vgl. dazu ders., Bemessene Zeit als Bedingung pädagogischen Handelns, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 51-86.

[18] Das diese Begriffswahl durchaus nahe liegend ist, werden die folgenden Ausführungen zeigen, vgl. insbesondere 1. Erziehung als Handeln.

[19] Vgl. dazu etwa, Hans Albert, Wissenschaft als methodisches Prinzip, in: Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, 21965, S. 181- 210, hier S. 191ff.

[20] Zit. Michael Wimmer, Machbarkeitsphantasien und Zukunftsvorstellungen in der Pädagogik, in: Alfred Schäfer/ Michael Wimmer (Hrsg.), Machbarkeitsphantasien, 2003, S. 185-203, hier S. 198.

1. Erziehung als Handeln

In durchaus treffender Weise hat John Dewey die Aufgabe von Erziehung herausgestellt. So fasst er Erziehung als einen sozialen "Vorgang der Pflege, der Nahrungszufuhr, der Aufzucht."[21] Dieser Vorgang erfüllt die Funktion der Erhaltung einer Gemeinschaft oder Gruppe durch beständige Selbsterneuerung, welche durch die Weitergabe von "Gewohnheiten des Handelns, Denkens und Fühlens von den Älteren auf die Jungen"[22] gewährleistet werden soll. Wesentlich ist hierbei, dass Erziehung als für das Bestehen einer sozialen Gruppe notwendig erachtet wird. Mit Dewey kann letztlich behauptet werden, dass "ohne diese Übertragung der Ideale, Erwartungen, Normen und Meinungen - von denjenigen Gliedern der Gesellschaft, die aus dem Gruppenleben ausscheiden, auf diejenigen, die hinzukommen, [...] soziales Leben nicht fortdauern"[23] könnte.

Auf jene Notwendigkeit für das soziale Leben braucht an dieser Stelle nicht weiter eingegangen zu werden. Ein für diese Arbeit wesentlicher Gesichtspunkt besteht vielmehr darin, dass Erziehung von Dewey als ein allgemeines soziales Phänomen aufgefasst wird, und als solches nicht unbedingt "systematische Erziehung"[24] sein muss, wie sie für moderne Gesellschaften als notwendig erachtet wird[25], so dass dieses funktionelle Phänomen als Veränderung der Jungen durch die Älteren charakterisiert werden kann. In ähnlicher Weise fasst auch Wolfgang Brezinka Erziehung auf. So ist ihm zufolge Erziehung damit beauftragt, das "Gefüge der psychischen Dispositionen des Educanden [zu] beeinflussen"[26]. Hierbei werden unter dem Begriff der ‚psychischen Disposition' bestimmte "Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Einstellungen, Haltungen, Gesinnungen oder Überzeugungen"[27] verstanden, welche als "relativ dauerhafte Bereitschaft zum Vollzug bestimmter Erlebnisse oder Verhaltensweisen [...] dem flüchtigen Erleben und Verhalten zugrundliegend gedacht"[28] werden.

In dieser ersten Näherung muss Erziehung also als etwas begriffen werden, wodurch oder wobei Veränderungen an Personen erzeugt oder bedingt werden. Das heißt, dass mit Erziehung offensichtlich eine noch genauer zu spezifizierende Einwirkung auf eine Person gemeint sein muss. Damit ist aber bereits gesetzt, dass die Veränderung von Personen, also im weitesten Sinne deren Entwicklung, äußerlich beeinflussbar ist. Die der Person externen Bedingungen ihrer Entwicklung, welche von Dewey als "natürliche und soziale Umwelt"[29] beschrieben werden, können nunmehr selbst wieder dem Einfluss anderer Personen unterliegen, wodurch verständlich wird, dass Erziehung als Phänomen eng mit dem der Handlung in Zusammenhang gesehen werden kann. So wird Erziehung von Brezinka und Theodor Litt grundsätzlich als eine besondere Form soziales Handelns begriffen.[30] Insofern erscheint auf den ersten Blick die Unterscheidung Brezinkas von direktem und indirektem Erziehungshandeln durchaus sinnvoll.[31] So sei Ersteres unmittelbar auf den Educanden bezogen, während Zweiteres eine Einwirkung auf die Umgebung des Educanden versucht, um diese dahingehend zu verändern, "dass sie [die Umgebung] gerade das zu lernen begünstigt, was er [der Educand] gemäß dem für ihn gesetzten Erziehungsziel lernen soll".[32] Erziehung als eine Form des Handelns zu verstehen, erscheint eben schon deshalb plausibel, weil der Begriff der Erziehung "zur vollendeten Sinnlosigkeit"[33] würde, um Litt zu zitieren, wollte man darunter ein Wachenslassen als Geschehenlassen, welches einem Versicht auf jeglichen Eingriff gleichkäme, verstehen.[34]

Allerdings, so bemerkt Dewey, wirkt auch die soziale Umgebung durchaus erziehend[35], ohne dass diese unbedingt der Willkür menschlichen Handelns bewusst zugänglich sein muss. Dieses möglicherweise als Sozialisation zu begreifende Phänomen soll hier aber nicht als Erziehung aufgefasst werden, auch wenn es Einfluss auf die Entwicklung von Personen haben mag.[36] Wenn also gesetzt sei, dass die Entwicklung, das heißt die Veränderung von Personen durch ihnen externe Bedingungen beeinflussbar ist, und diese Bedingungen wiederum dem Einfluss handelnder Personen unterliegen können, ist man durchaus berechtigt Handlung als zentrales Moment des Phänomens Erziehung anzunehmen.

Bevor nun der Versuch unternommen werden kann, erzieherisches Handeln als Handeln näher zu untersuchen, soll zuvörderst am Beispiel der Integrationspädagogik geklärt werden, welche Ansprüche an pädagogisches Handeln gestellt werden, um so die wesentlichen Gesichtspunkte für die dann folgende Analyse gewinnen zu können.

Wenn man Paul Walter folgen will, ergibt sich die Aufgabe dieser Pädagogik, "die gesellschaftliche Integration von Behinderten vorzubereiten und sie gegebenenfalls über die schulische Integration zu verwirklichen"[37], aus der politischen bzw. verfassungsrechtlichen Maßgabe des dritten Paragraphen des Grundgesetztes, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe.[38] Unter der Voraussetzung, wie Walter zugeben muss, dass schulische Integration behinderter Menschen tatsächlich eine gesellschaftliche zur Folge hat, erscheint es ihm "als legitim und als unabdingbar [diese] zu fordern"[39]. Hierbei unterstreicht Walter, dass der Zweck einer derartigen Beschulung hinsichtlich eines politischen oder rechtlichen Rahmens festgelegt ist, und somit keinen Selbstzweck darstellt. Damit wäre der oben angedeuteten sozialen und gesellschaftlichen Funktion von Erziehung Rechnung getragen, welche dem konkreten erzieherischen Handeln gewissermaßen übergeordnet zu sein scheint. Allerdings ließe sich etwa mit Franz Schönberger argumentieren, dass Integration eine moralische Maxime darstellt, und insofern doch Zweck an sich ist.[40] Ohne diese Fragestellung hier aber entscheiden zu wollen, kann doch festgestellt werden, dass der hier zugrundliegende Problemkreis nur peripher als ein pädagogischer aufzufassen ist. Dieser scheint doch eher Fragen der Normbegründung und der Funktionsweise von Gesellschaften aufzuwerfen, und kann somit getrost in die Aufgabenbereiche von Moralphilosophie und Soziologie verwiesen werden. Dennoch, und dies ist festzuhalten, ist pädagogisches Handeln wohl immer abhängig von einem gesellschaftlich und ethisch normierten Rahmen zu sehen.

Als ein mögliches Mittel die Forderung nach gesellschaftlicher Integration von Menschen mit Behinderung zu erfüllen, wird im Allgemeinen eine Form des gemeinsamen Unterrichtes von Kindern mit und ohne Behinderung erachtet. Aufgrund dieser, ihrerseits wieder zum Zweck erhobenen Unterrichtsform, wurden Wege ersonnen, einen solchen gemeinsamen Unterricht zu ermöglichen. Annedore Prengels ‚Pädagogik der Vielfalt'[41] kann als ein solcher Versuch verstanden werden, gemeinsamen Unterricht von Kindern, auch vor dem Hintergrund inter-kultureller und emanzipatorischer Überlegungen, mit und ohne Behinderung zu ermöglichen. Hierbei kristallisiert sich ein zentraler Begriff, d.i. derjenige der Heterogenität, als Schlüsselbegriff integrationspädagogischer Beschulung heraus. Um Lernen unter der Maßgabe großer Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten, Leistungen, sozialer Herkunft und Sprache zu ermöglichen, bedient sich die Integrationspädagogik Methoden der älteren und jüngeren Reformpädagogik[42], wie etwa Freiarbeit, Teamteaching und Lernen am gemeinsamen Gegenstand. Hierbei ist zu unterstellen, dass eine integrative Didaktik wohl deswegen derartige Methoden erwählt, weil sie mit herkömmlichen Verfahren der Regelpädagogik, wie beispielsweise dem Frontalunterricht, der Differenzierung nach Fächern und traditioneller Leistungsbewertung, erfolgreiches Lernen aller Kinder in einer integrativen Klasse nicht garantieren zu können glaubt. Prengel geht letztlich soweit, dass sie behauptet, dass die "sehr guten Schulleistungsentwicklungen aller Schülerinnen und Schüler"[43] ihren Hauptgrund in der integrativen Didaktik haben.

Somit kann zusammenfassend festgestellt werden, dass integrative Pädagogik aufgrund bestimmter Umstände (Heterogenität), mit bestimmten Mitteln (integrative Didaktik) bestimmte Ziele (erfolgreiches Lernen) verfolgt. Damit wird deutlich, dass bei Erziehung mindestens zwischen einer funktionalen Bedeutung für Gesellschaft und einer handlungstheoretischen Bedeutung für das Erziehungsgeschehen unterschieden werden muss. Insofern kann mit Dewey behauptet werden, dass Erziehung als gesellschaftliche Funktion keine konkreten Ziele oder Zwecke hat, weil diese lediglich tatsächlich Handelnden, wie Lehrern, Eltern und Erziehern, unterstellt werden können.[44] Als wesentlicher Grundgedanke, auch einer integrativen Pädagogik, kann aber festgehalten werden, dass man sich in der Lage glaubt, mittels bestimmter Methoden, hinsichtlich gegebener Umstände, gesetzte Ziele erreichen zu können. Auch eine kontroverse Diskussion der Mittel, wie dies etwa am Beispiel des ‚Gemeinsamen Gegenstandes' Georg Feusers zu beobachten ist[45], kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Walter meint nun sogar, die von ihm vorstellig gemachten Methoden der Integrationspädagogik als "hochgradig technologisch"[46] bezeichnen zu können. Sollte diese Einschätzung zutreffen, so stellt sich die Frage, warum Luhmann dem Erziehungssystem dann ein strukturelles Technologiedefizit unterstellt. So definiert Luhmann das Technologische als "einen Zusammenhang von Verfahren, die dazu benutzt werden, um Materialien mit vorhersehbaren Wirkungen und erkennbaren Fehlerquellen von einem Zustand in einen anderen umzuformen"[47], und behauptet dann weiter, dass die "Variable Technologie"[48] bei "Organisationen, deren Funktion die Veränderung von Personen ist [...] nicht besetzt werden"[49] konnte. Auch Walter gibt "durchaus bekannt[e]"[50] Unzulänglichkeiten von "Unterrichttechniken"[51] zu bedenken, ohne diese aber weiter auszuführen. Wenngleich also die Verfahrensweisen einer Pädagogik letztlich als Handlungen sich auffassen lassen, weil sie durch Mittel und Zwecke beschrieben werden können, wird ein technologisches Verständnis dieser Handlungen abgelehnt.[52] Um diese Ablehnung verstehen zu können, sollen im folgenden Kapitel die Schwierigkeiten ausführlicher betrachtet werden, welche entstehen, wollte man erzieherischen Handeln als technisches Handeln auffassen.



[21] Zit. John Dewey, Demokratie und Erziehung, erstmals erschienen 1916, zitiert nach 2000, S. 26.

[22] Zit. ebd. S. 17.

[23] Zit. ebd. S. 17f.

[24] Zit. Dewey, 2000, S. 23. Systematische Erziehung ist Dewey zufolge eine Erziehung, welche für die Jungen komplexitätsreduziert, geschützt und planmäßig stattfindet. Vgl. dazu ebd. S. 39f.

[25] Vgl. ebd. S. 21ff.

[26] Zit. Wolfgang Brezinka, Metatheorie der Erziehung, 41978, S. 43. Im weiteren soll der Ausdruck ‚Educand' für die zu Erziehenden gebraucht werden, so dass mit diesem Begriff Schüler und Kinder, aber möglicherweise auch Auszubildende oder Studenten gemeint sein sollen. Brezinka führt diesen Begriff in Anlehnung an den des ‚Zöglings' der traditionellen Pädagogik ein. Vgl. ebd. S. 43.

[27] Zit. ebd.

[28] Zit. ebd.

[29] Vgl. Dewey, 2000, S. 15ff.

[30] Vgl. Brezinka, 1978, S. 41ff, sowie Theodor Litt, Die Bedeutung der pädagogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 51952, S. 110-126, hier S. 111. Vgl. zum sozialen Handeln, Ritter (Hrsg.), 1974, unter ‚Soziales Handeln', S. 994-996.

[31] Vgl. Brezinka, 1978, S. 53.

[32] Zit. ebd.

[33] Zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 18.

[34] Vgl. ebd. S 17ff.

[35] Vgl. Dewey, 2000, S. 21. Der Effekt der Erziehung wird von Dewey, insofern sie unsystematisch ist, das heißt nicht institutionalisiert geschieht, als ein ‚Nebeneffekt' sozialer Beziehungen verstanden. Durch die bloße Teil-habe der Jungen an den sozialen Praktiken der Alten würden Ideale, Handlungsmuster und Denkweisen übertra-gen. Vgl. dazu auch Litt durchaus polemisch: "Jede Wohnstube, jede Werkstatt kann so die Stätte von Erziehungsvorgängen werden, die manchen zünftigen Erzieher beschämen" (zit. Litt, Die Bedeutung der päda-gogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 115).

[36] Zur Sozialisation bzw. Sozialisierung etwa Helmut Fend, Entwicklungspsychologie des Jugendalters, 2003, S. 129ff. Hierbei ist die Sozialisationswirkung als eine wechselseitige zu begreifen (vgl. Rainer K. Silbereisen/ Leo Montada, Entwicklungspsychologie, 1993, S. 137), "und zum Unterschied von Prägung und Erziehungsstilen nie ein einseitiger Einfluss der Umwelt auf das Kind" (zit. Walter J. Schraml, Einführung in die moderne Entwick-lungspsychologie für Pädagogen und Sozialpädagogen, 1972, S.121).

[37] Paul Walter, Schulische Integration Behinderter, 2004, S. 9.

[38] Vgl. ebd.

[39] Zit. ebd.

[40] Vgl. Franz Schönberger, Die Integration Behinderter als moralische Maxime, in: Hans Eberwein (Hrsg.), In-tegrationspädagogik, 51999, S. 80-87. Schönberger weist darauf hin, dass die Begründung der Geltung einer integrativen Pädagogik aufgrund ökonomischer und erziehungswissenschaftlicher Erwägungen nicht geleistet werden kann. Erst durch den Verweis auf die "Leitidee der Freiheit aller Menschen und der Gleichheit aller Bürger" (zit. ebd., S. 83) kann diese Geltung bewiesen werden. Die Frage nach integrativer oder separierender Erziehung gelte somit als empirisch nicht entscheidbar, so Dieter Katzenbach, sondern ist Gegenstand politischer Willensbildung. Vgl. dazu Dieter Katzenbach et al., Die integrative Grundschule im sozialen Brennpunkt, in: Zeitschrift für Pädagogik, 45, 1999, S. S. 567-590, hier S. 570.

[41] Vgl. Annedore Prengel, Pädagogik der Vielfalt, 1993.

[42] Vgl. etwa Walter, 2004, S. 161ff, Prengel, 1993, S. 159 ff.

[43] Zit. Prengel, 1993, S. 159.

[44] Vgl. Dewey, 2000, S. 147.

[45] Die Konzeption des ‚Lernens am Gemeinsamen Gegenstand' kann durchaus als ein Mittel des integrativen Unterrichts verstanden werden. Zur Diskussion dieser Konzeption vgl. Georg Feuser, Gemeinsames Lernen am gemeinsamen Gegenstand. Didaktisches Fundamentum einer Allgemeinen (integrativen) Pädagogik, in: Anne Hildeschmidt, Irmtraud Schnell (Hrsg.), Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, 1998 S. S. 19-35, sowie Hans Wocken, Gemeinsame Lernsituationen. Eine Skizze zur Theorie des gemeinsamen Unter-richts, ebd., S. 37-52.

[46] Zit. Walter, 2004, S. 170.

[47] Zit. Luhmann/ Schorr, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 14.

[48] Zit. ebd. S. 15.

[49] Zit. ebd.

[50] Zit. Walter, 2004, S. 170.

[51] Zit. ebd.

[52] Luhmann/ Schorr behaupten gar, dass ein Technologiedefizit, also nicht lediglich ein Technologieverbot, für das Erziehungssystem wesentlich ist. Vgl. Luhmann/ Schorr, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 12ff.

2. Erziehung als Technik

Die Möglichkeit erzieherisches Handeln als ein technisches zu verstehen, das heißt es eben so zu begreifen, wie es der luhmannsche Definitionsversuch nahe legt, wird im pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Schrifttum zum größten Teil nicht eingeräumt. Dies geschieht allerdings aus durchaus unterschiedlichen Gründen, welche insofern man diese akzeptieren will, durchaus unterschiedliche Implikationen für ein Verständnis von Pädagogik bedeuten können. Im Weiteren sollen beispielhaft solche Argumentationsversuche dargelegt werden, um zumindest die Tragweite des hier angesprochenen Problemfeldes verdeutlichen zu können. Aus den obigen Ausführungen lassen sich nun diejenigen vier Aspekte erkennen, bezüglich derer eine Kritik, samt damit einhergehender Ablehnung eines technologischen Verständnisses von erzieherischem Handeln, geübt werden kann. Hierbei sind drei Hinweise aus der luhmannschen Definition zu gewinnen. So bezieht sich Technik, hier im Weitern als technisches Handeln im oben genannten Sinne verstanden, auf Materialien, welche im Falle der Pädagogik die Educanden sind, um den brezinkaschen Ausdruck zu verwenden. Des Weiteren werden Verfahren bemüht um gewisse Wirkungen zu erzielen, welche Zustandsänderungen hervorrufen sollen. Insofern können diese Zustandsänderungen als Zwecke oder Ziele der erzieherischen Handlungen und die Verfahren als Mittel zu deren Hervorbringung bezeichnet werden. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, nämlich der des Umstandes, lässt sich aus den Betrachtungen zur Integrationspädagogik gewinnen. So hatten diese Erläuterungen ergeben, dass die Zielsetzungen der Handlungen, also die gesellschaftliche Integration behinderter Menschen, wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der zur Verfügung stehenden Verfahren haben. Diese Zielsetzungen setzen Handlungen in einen ganz bestimmten sozialen Kontext, etwa den der Heterogenität der Schulklassen, was hier mit Umstand benannt werden soll. Um Missverständnissen vorzubeugen, werden die Begriffe von ‚Zweck' und ‚Ziel' nicht gleichbedeutend verwandt. Unter Zielen von Erziehung sollen nunmehr diejenigen übergeordneten Vorstellungen begriffen werden, um deren Willen erzieherische Handlungen überhaupt unternommen werden, während unter Zweck dasjenige Korrelat gemeint sein soll, ohne das Mittel nicht gedacht werden können.[53]

Insofern ergeben sich nun die zu behandelnden vier Themen. Zum Ersten sind also die Verfasstheit des Educanden als Person und Gegenstand erzieherischen Handelns, zum Zweiten die Möglichkeit Ziele von Erziehung zu formulieren, zum Dritten die Bedingungen zweck-mittel-rationalen Handelns und Viertens und Letztens das Wissen um die Umstände zu untersuchen. Hierbei handelt es sich um einen im Grunde klassischen Fragekomplex. So unterstrich Friedrich Eduard Beneke bereits 1835, dass "alles, was überhaupt für die Erziehungswissenschaft zum Problem werden kann, [...] sich auf die Hauptfragen zurückführen [lässt]:

1. Was haben wir als Zweck oder Ziel der Erziehung zu betrachten? 2. Was findet der Erzieher vor bei dem Beginnen seines Werkes? 3. Durch welche Mittel können wir dieses vorgefundene zu jenem Ziel hinführen?"[54] Lediglich durch eine Spezifizierung der zweiten benekeschen Frage in jene nach den ‚inneren' und jene nach den ‚äußeren' Bedingungen, ist dieser Fragenkatalog hier erweitert worden. So werden mit der Verfasstheit des Educanden als Person die inneren und mit den Umständen die äußeren Bedingungen untersucht, welche der Erzieher vor dem Beginnen seines Werkes vorfindet. Dies findet sich etwa 1852 bei Theodor Waitz zumindest angedeutet, wenn dieser den zweiten Faktor erzieherischer Tätigkeit den "individuell eigentümlichen Komplex von inneren und äußeren Bedingungen [nennt], die auf Seiten des zu Erziehenden [der erzieherischen Tätigkeit] entgegentreten"[55]. Im Weiteren sollen also die diesbezüglichen Argumentationen vorstellig gemacht werden, welche in Bezug auf jeweils eines der zu betrachtenden Themen gegen ein technologisches Verständnis von Erziehung sprechen.

2.1 Der Educand als Person

In Hinblick auf den Gegenstand erzieherischen Handelns lassen sich zweierlei Aspekte auffinden, welche eine Auffassung dieses Handelns als technisches zumindest als fragwürdig erscheinen lassen. Hierbei sind ein psychologischer und ein ethischer[56] Aspekt zu unterscheiden, wobei diese zwei Aspekte bei Litt noch in Gemeinschaft angeführt zu sein scheinen. Erst aus der Kombination dieser beiden Aspekte wird sich aber ein Zurechnungsproblem ergeben, welches für die Ablehnung eines technologischen Verständnisses von Erziehung als maßgeblich erachtet werden kann.

Litt behauptet in Bezug auf eine zu unterstellende "Eigengesetzlichkeit"[57] der menschlichen Entwicklung, dass eben dieser durch einen erzieherischen "Führer-Wille[n]"[58] keine "Gewalt angetan"[59] werden darf. Dieses pädagogische Gebot bzw. Verbot lässt allerdings die hiesige, als wesentlich erachtete Unterscheidung unausgesprochen, zumal Litt nicht gänzlich aufklären kann, aus welchem Grunde aus der Annahme einer eigengesetzlichen Entwicklung ein derartiges Gebot oder Verbot folgen sollte. Letztlich führt er das Argument an, dass durch einen den Idealen[60] der Gegenwart und Vergangenheit sich verpflichtet fühlenden "Führerwille[n] des Erziehers"[61] die Möglichkeiten einer eigenständigen Herausbildung der zukünftigen Generation in illegitimer Weise beschränkt werden.[62] Nach Litt verbietet sich eine Technologie in Bezug auf Objekte mit "eigenen Zweckrichtungen"[63], wie dies bei den Adressaten von Erziehung der Fall ist, da diese "nur da möglich ist, wo das Material an sich noch nicht auf Zwecke hin gerichtet [...] ist."[64] Durchaus vergleichbar argumentiert auch Michael Wimmer. Insofern nämlich die Erwartungen an erzieherische Geschehnisse abhängig von den "Erfahrungen und Regelmäßigkeiten bekannter Abläufe"[65] gedacht werden, und intentionale Handlungsmodelle sich nur daran orientieren, wird diese Eigengesetzlichkeit schlicht übersehen. Daher kann Wimmer unterstellen, dass durch eine sich nur auf das Wissen und die Ideale der Vergangenheit stützende Erziehung, die "Zukunft an die Vergangenheit gebunden wird"[66], und es dadurch "etwas wirklich Neues"[67] nicht geben könnte. Im Hervorbringen von etwas Neuem besteht aber gerade die Besonderheit, welche menschliche Existenzen von deterministisch beschriebenen Sachverhalten unterscheidet. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen plädiert Wimmer für ein wie auch immer zu verstehendes "Offenhalten [...] der Zukunft".[68]

Diese Argumentationen beziehen sich auf eine zu unterstellende Eigengesetzlichkeit der Entwicklung der Educanden, welche aber eine psychologische und eine ethische Betrachtungsweise zulässt. Zum Einen kann mit der Eigengesetzlichkeit eine selbstorganisierende Verfasstheit[69] gemeint sein, wie dies etwa von der modernen Entwicklungspsychologie beschrieben wird. Zum Anderen wird durch den Gebotscharakter der littschen Forderung auch die damit in engem Zusammenhang stehende ethische Relevanz dieser Eigengesetzlichkeit deutlich.

2.1.1 Zum psychologischen Einwand

Mit der modernen Entwicklungspsychologie kann offenbar unterstellt werden, dass nicht nur Einflüsse der Umwelt des zu Erziehenden für Veränderungen seiner psychischen Dispositionen ursächlich sind, sondern eben auch bestimmte ‚innere' Verfasstheiten als ursächlich betrachtet werden müssen.[70] Dies bedeutet nun aber, dass möglicherweise durch bestimmte als erzieherisch erachtete Handlungen gar keine Veränderungen dieser Art hervorgebracht werden können, wenn diese Veränderungen innen verursacht werden. So unterstreicht schon Eduard Spranger, dass "der Vergleich der Erziehung mit einer technischen Einwirkung auf seelische Prozesse [...] schon mit dem Aufkommen der Entwicklungspsychologie hinfällig werden"[71] musste. Somit bleibt es durchaus unverständlich, wie solche Handlungen einer Entwicklung Gewalt antun sollten, insofern sie dem Educanden etwa Lerngegenstände präsentieren wollen, welche von diesem nicht sinnhaft erlebt werden können.[72]

Dieser Standpunkt wird vor dem Hintergrund einer "strukturalistisch-systemtheoretisch-konstruktivistischen Erziehungswissenschaft"[73] dahingehend radikalisiert, als dass damit, so Dieter Lenzen, von der Vorstellung Abschied genommen wird, "Erziehung und Unterricht könnten zielgeleitete [...] Vorgänge sein, mit deren Hilfe man Menschen erziehen oder gar manipulieren kann."[74] Hierbei soll die "Einnahme des konstruktivistischen Standpunkts", so Lenzen, "keine Frage irgendeiner Entscheidung sein, die auch anders verlaufen könnte, sondern es ist die Entscheidung für eine realitätsangemessene und deshalb komplexe Analyse, zu der es keine Alternative gibt."[75] Diese Auffassung ist im Besonderen von Jörg Ruhloff kritisiert worden.[76] So stelle die Annahme Lenzens eine "schroffe Antithese gegen einen praxeologischen Ansatz"[77] von Erziehung dar. Diese "fatalistische Antithese"[78] unterlaufe damit die gesamte Problemstellung einer handlungsleitenden Theorie der Erziehung, weil "bereits das freie Handeln eine bestreitbare Tatsache sei"[79], da sie Handeln als eine determinierte Resultante von diesem Handeln zugrundeliegenden Geschehnissen auffasst.[80] Das littsche Gebot setzt aber gerade eine unumschränkte Einflussnahme auf die Entwicklung der Educanden voraus, und müsste somit, vor dem Hintergrund dieser entwicklungspsychologischen und er-kenntnistheoretischen Auffassungen als gegenstandslos verworfen werden, da nicht verboten werden kann, wozu man zu tun in der Lage gar nicht ist.

Eine Psychologie des zu Erziehenden wirft also die Frage auf, welche äußeren oder inneren Faktoren für die Ausbildung bestimmter Merkmale als ursächlich bestimmt werden können[81] und muss, sobald die Existenz solch ‚innerer' Bedingungen unterstellt wird, diese der Willkür des Erziehenden als unzugänglich anerkennen.

2.1.2 Zum ethischen Einwand

Die ethische Problemstellung ergibt sich aus einer Betrachtungsweise des Educanden als Person. Wenn ein zu Erziehender als ein freies Wesen anzuerkennen ist, heißt dies, dass ihm auch ein eigenes Wollen hinsichtlich seiner Zukunft, das heißt seiner Entwicklung zuerkannt werden muss. So ist Litt zufolge die Grundlage von Erziehung ein Verhältnis "zweier Wesen, die einander in grundsätzlicher Gleichberechtigung gegenüberstehen und von denen keines es verträgt, der Gegenseite als ‚Objekt' der erkennenden Analyse und der zweckgeleiteten Bearbeitung unterworfen zu werden."[82] Diese Konfrontation kann umgangen werden, insofern ein "rigides Erziehungssystem"[83] Bildungsverläufe dergestalt vorschreibt, dass die individuellen Entscheidungen des einzelnen Educanden auf diese keinen Einfluss mehr haben können, und die Idealität einer so kreierten erziehenden Institution "Konflikte mit den in sie eingebundenen Individuen gar nicht erst entstehen lässt."[84] Ein solches, selbstverständlich kontrafaktisches[85] Verhältnis ist nur dann als unproblematisch zu erachten, insofern die Erziehenden eben dazu erzögen, das heißt die Inhalte lehrten, welche die Educanden immer schon selbst wollten. Diese Vorstellung wird schon von Litt als unhaltbar abgelehnt. Weil nämlich berechtigterweise zu fragen bliebe, "warum denn nun gerade der Erzieher begnadet sein soll, das Geheimnis des Werdenden zu erspüren"[86], so dass er "der Natur, der Entwicklung, der Vernunft maieutisch vorwärtshelfe[n]"[87] kann, und "das in die Realität überleite, was schon an sich ‚wachsen wolle'"[88]

2.1.3 Zum Zurechnungsproblem

Durch das zur Eigengesetzlichkeit der Entwicklung hinzutretende Postulat der Freiheit der menschlichen Person drängt sich aber ein Zurechnungsproblem auf. Es bleibt nämlich fraglich, inwiefern beobachtete Verhaltensweisen von Personen überhaupt als Ergebnisse der Erziehung dieser Personen aufgefasst werden können. Auch wenn sich weder theoretisch noch empirisch beweisen lässt, dass Menschen frei sind, was bedeutet, dass sie sich selbst zur Ursache ihrer Handlungen machen können, muss dieses Postulat der Freiheit wohl anerkannt werden.[89] Wenn Menschen sich selbst zur Ursache ihrer Handlungen machen können, heißt das, dass sie eigene Ziele verfolgen, welche aus der Beobachtung ihrer Handlungen und Verhaltensweisen aber nicht unbedingt erkennbar sein müssen. So verweist Reinhard Uhle auf die Problematik innerhalb des Unterrichtsgeschehens, Verhaltensweisen von Schülern überhaupt als bestimmte Handlungen, also auf eine bestimmte Intention gerichtet, identifizieren zu können.[90] Uhle führt diesbezüglich an, dass das Melden eines Schülers eben nicht unbedingt als Wortmeldung zu verstehen sein muss, sondern auch eine Strategie darstellen kann, vom Lehrer gerade nicht aufgerufen zu werden, da dieser Schüler weiß, dass der Lehrer vorwiegend die Schüler anspricht, welche sich nicht melden.[91] Es ist hierbei sicherlich anzunehmen, dass dieser Schüler bezüglich der sozialen Situation in seiner Klasse durchaus etwas gelernt hat, aber ob diese Strategie auch vom Lehrer gelehrt wurde, also Erziehung stattfand, bleibt durchaus fraglich. Denn insofern für die Bereitschaft einer Verhaltensweise eine psychische Disposition vonnöten ist[92], aber nicht klar entschieden werden kann, welche Verhaltensweise im Einzelfall beobachtet wurde, kann auch nicht genau bestimmt werden, welche Disposition dem "Verhalten [als] zugrundeliegend gedacht"[93] werden soll. Unter diesen Umständen ist es nicht möglich festzustellen, ob die Dispositionen für Verhaltensweisen, welche vielleicht fälschlicherweise als eine bestimmte Handlung identifiziert wurden, nun aufgrund von Lehre, oder vielmehr durch den Educanden selbst entwickelt wurden.

Eine technologische Auffassung von Erziehung erscheint also als unmöglich, weil die Bedingungen der Entwicklung des Einzelnen möglicherweise der Willkür Anderer nicht vollständig zugänglich sind, aber vor Allem, weil die Entwicklung von Verhaltensweisen der Educanden nicht eindeutig der Einwirkung der Erziehenden zugeschrieben werden dürften. Wenn aber weder Ergebnisse noch Bedingungen einer Veränderung des Educanden eindeutig mit dem Handeln des Erziehers in Zusammenhang gebracht werden können, ist der zugrundegelegten Definition nach Luhmann eben nicht genüge getan. Somit wäre erzieherisches Handeln als technisches nicht denkbar. Des Weiteren dürfte sich aus dem Postulat der Freiheit, und nicht wie bei Litt aus der Eigengesetzlichkeit der Entwicklung, eine Vorschrift von diversen Erziehungszielen als ethisch problematisch erweisen, wodurch ein Verweis auf das Problemfeld der Ziele von Erziehung offensichtlich wird.

2.2 Das Ziel von Erziehung

Dass ein Eingriff in die Entwicklung von Educanden als ethisch problematisch erscheinen kann, hat in radikaler Weise Max Stirner zum Ausdruck gebracht. Dieser lehnte eine äußere Einflussnahme auf den Educanden ab, da Erziehung den Menschen unfrei mache. Denn Erziehung wäre dann erfolgreich, die Jungen dann als "mündig [...] erklärt"[94], so die Auffassung Stirners, "wenn sie zwitschern wie die Alten"[95] und die "alte Leier [...] inne"[96] haben. Erziehung sorge dafür, "dass meine Seele oder mein Geist gestimmt sei, wie Andere es recht finden, nicht wie Ich selbst es möchte."[97] Während unter 2.1. darauf verwiesen wurde, dass Aufgrund einer Eigengesetzlichkeit der Educanden eine kontrollierte Einflussnahme unter Umständen gar nicht möglich sein könnte, muss die stirnersche Auffassung die Möglichkeit einer solche Einflussnahme unterstellen. Es ist insofern Brezinka Recht zu geben, dass derjenige sich selbst widerspricht, der "solche Ansichten äußert und dennoch das Zweck-Mittel-Denken in seiner Anwendung auf die Erziehung zurückweist."[98] Wie oben deutlich wurde, stellt sich nur aufgrund der fatalistischen Annahme der Unmöglichkeit der Einwirkung[99], wie sie etwa von Lenzen vertreten wird, gar kein ethisches Problem. Wenn aber angenommen wird, dass Einwirkungen auf Educanden statt haben, ergibt sich unweigerlich die Frage, nach welchen Maßgaben derartige Beeinflussungen überhaupt erlaubt sind, unabhängig davon, inwiefern diese kontrolliert stattfinden können. Der Erzieher muss sich dann der Frage nach dem ‚Was soll ich tun?' notwendigerweise stellen. Heinrich Gomperz illustriert diesen Sachverhalt am Beispiel des Arztes, welcher angesichts des Patienten, "der da vor ihm liegt und leidet"[100] nicht darauf warten kann, dass ihn die Wissenschaft vollständig über die Situation aufklärt, auf dass er dann seine Handlungen daran ausrichte. "Er muss handeln ¬- und wo er nicht behandelt, da handelt er erst recht."[101] Einer durchaus vergleichbaren Situation sieht sich auch ein Erziehender ausgesetzt, angesichts des Educanden, der da ist und werden soll. Dies hat auch Wieland im Blick, wenn er bemerkt, dass der Handelnde "niemals die Möglichkeit [hat], sich gleichsam neben den Lebenszusammenhang zu stellen, der in jedem Augenblick zum Handeln zwingt."[102]

Für eine Entscheidung pro oder contra eine bestimmte, vermeintlich erzieherische Handlung ist also eine Normorientierung wesentlich, anhand derer eine mögliche Handlung bewertet werden kann. Denn Handeln kann, wie Wieland äußerst treffend bemerkt "schwerlich den Anspruch einlösen, vernünftiges Handeln zu sein, wenn es nicht durch seine Unterwerfung unter eine Norm an der Sphäre des Allgemeinen teilhat."[103] Eine Bewertung als gut oder schlecht, nützlich oder gefahrvoll, kann als Motivation einer Durchführung oder Unterlassung einer bestimmten Handlung erachtet werden.

Brezinka weist nun darauf hin, dass die Setzung und Anerkennung von Normen, deren Inhalt sowie die Motivation sie anzuerkennen, zwar wesentlich von "sehr ausgedehnte[n] empirische[n] Erkenntnisse[n] und Urteile[n]"[104] mitbestimmt werden, die Setzung von Normen aber dennoch immer auch in einem Willensakt besteht. So muss konkretes pädagogisches Handeln "notwendig weltanschaulich bestimmt"[105] sein. Unter Weltanschauung wird hierbei die Summe der Glaubenssätze verstanden, welche "eine in sich zusammenhängende Wertorientierung in der Welt"[106] ausdrücken. Nach Brezinka kommt diese notwendige Bestimmung sogenannten pädagogische Kunstlehren zu, welche von einer wissenschaftlichen Pädagogik zu unterscheiden seien.[107] Diese Kunstlehren beziehen sich auf die konkreten pädagogischen Situationen, während eine wissenschaftliche Pädagogik, das heißt eine Erziehungswissenschaft, die dafür notwendigen Wissensbestände zu Verfügung zu stellen habe.[108] Selbst wenn man unterstellen wollte, dass aus den deskriptiven Sätzen einer Erziehungswissenschaft die handlungsorientierenden Normen vollständig ableitbar wären, muss vor dem Hintergrund, dass eine solche Wissenschaft nur hypothetisches Wissen liefern kann, gerade dann wenn sie eine empirische Wissenschaft sein soll[109], zugestanden werden, dass diese Wissensbestände noch als gültig geglaubt und als für die Praxis wertvoll bewertet werden müssen. Brezinka lehnt eine solche vollständige Ableitbarkeit im Übrigen ab, wie aus den obigen Anmerkungen bereits deutlich geworden sein müsste.[110]

Ohne an dieser Stelle bestimmte Vorstellungen von Erziehungszielen oder Bildungsidealen, welche als übergeordnete Wertmaßstäbe erzieherischer Handlungen aufgefasst werden können, zu diskutieren, soll auf ein prinzipielles Problem aufmerksam gemacht werden, welches sich stellt, insofern die Normbildung bereits erfolgreich abgeschlossen wäre. Derartige Ideale oder übergeordnete Ziele sind, wie gesagt, als allgemeine Vorschriften zu verstehen, da diese Normen Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen müssen.[111] Allerdings sollen diese Vorstellungen dazu dienen "konkretes Handeln im Einzelfall zu regulieren"[112], woraus sich die nach Wieland unumgängliche Schwierigkeit ergibt, welche er ‚Applikationsaporie' nennt.[113] Grundlegend für das Verständnis dieser Aporie ist die Einsicht, dass moralische oder juridische Normen, als Allgemeines, sich durch eine endliche Anzahl von Merkmalen charakterisieren lassen[114], während "Singuläres von der Art sinnenfälliger Einzeldinge, konkreter Situationen oder individueller Handlungen [...] sich jedoch an Hand einer endlichen Anzahl von Merklmalen niemals abschließend bestimmen"[115] lässt. Will man nun eine konkrete Handlung durch eine Norm regulieren, ist zu prüfen, ob sich "jedem der endlich vielen, von der jeweiligen Norm berücksichtigten Merkmale ein Merkmal des zu regulierenden Sachverhaltes zuordnen lässt."[116] Kann eine solche Entsprechung aufgefunden werden, so Wieland weiter, "scheint die Applikation der Norm gerechtfertigt"[117] zu sein. Ließe man es aber dabei bewenden, so wäre ein wesentliches "Zwischenglied übersprungen, das niemals vernachlässigt werden darf"[118]. Die eigentliche Schwierigkeit, welche sich in der wielandschen Applikationsaporie ausdrückt, besteht nämlich darin, dass der konkrete Sachverhalt Eigenschaften aufweisen kann, welche von der Norm unbeachtet, die Anwendung dieser verböte. Man kann demnach nie "ganz sicher sein, ob es erlaubt ist, die Norm anzuwenden."[119]

Selbst wenn die Pädagogik über technologisches Wissen zur Dispositionsveränderung verfügte, wüsste sie also nie ganz sicher, auf welches Kind oder welche soziale Situation diese Techniken anzuwenden wären, woraus folgt, dass sie auch nie den Erfolg dieser Techniken garantieren kann. Hierbei ist zu vermuten, dass umso allgemeiner Bildungsideale oder Erziehungsziele formuliert werden, desto schwieriger die Applikation dieser auf den Einzelfall wird. Insofern kann es kaum verwundern wenn Dewey fordert, dass "ein Erziehungsziel in den wesentlichen Betätigungen und Bedürfnissen [...] des zu erziehenden Menschen begründet sein"[120] muss, und "die Erzieher auf der Hut sein [müssen,] gegenüber allen Zielen die sich als ‚allgemeine' und ‚höchste' ausgeben."[121]

Weil erzieherisches Handeln im Bereich des Zwischenmenschlichen niemals die korrekte Anwendung auch ihrer vermeintlich technologischen Normen garantieren kann, wird es immer einem im Grunde unkontrollierbaren Risiko des Fehlschlages ausgesetzt sein. Eine Anforderung Luhmann und Schorrs an Technologie bestand jedoch darin, dass die Verfahren mit "erkennbaren Fehlerquellen"[122] durchgeführt werden. Mit Wieland konnte aber gezeigt werden, dass diese Fehlerquellen prinzipiell unerkennbar bleiben müssen, weil sie in den Merkmalen des Singulären zu suchen sind, welche aber unendlich viele sind. Deshalb sind die Risiken unkontrollierbar, und eine technologische Auffassung von Erziehung bliebe somit undenkbar. Da aber zuzugestehen ist, dass die Forderung nach normativer Orientierung erzieherischen Handelns zugleich auch die Möglichkeit einer zweck-mittel-rationalen Betrachtung von Erziehung impliziert, muss eine solche Betrachtung, um der Problematik der Applikation auf Einzelfälle zu entgehen, von diesen Einzelfällen in gewisser Weise abstrahieren. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten des Zweck-Mittel-Denkens sollen im Folgenden erläutert werden.

2.3 Die Zweck-Mittel-Rationalität

Mit dem oben angeführten Zitat Sprangers[123] wendet dieser sich gegen die Auffassung, dass unter der Voraussetzung eines Erziehungszweckes, es darauf ankomme "diejenigen seelischen Konstellationen herbeizuführen, bei denen es nur noch eines Anstoßes in der gewünschten Richtung bedürfe, wie etwa beim Billardspiel."[124] Hiermit wird offenbar eine Analogie zwischen den Erkenntnismöglichkeiten der Vorgänge in der Natur und der des Sozialen unterstellt. Die Bewegungen der Kugeln beim Billard lassen sich etwa durch die Gesetze[125] der newtonschen Mechanik beschreiben und vorhersagen. Gelte ähnliches auch für den Educanden, müsste man sich also nur an die "Entwicklungsgesetze der Seele"[126] halten, um erzieherisch erfolgreich handeln zu können. Hiermit hätte man, so Spranger, "die pädagogischen Einwirkungen nach dem Modell einer Psychotechnik"[127] konstruiert. Eben diese Psychotechnik würde um so funktionssicherer sein,[128]"wenn die Psychologie die zu erwartenden Fortschritte mache."[129] Während Spranger seine Ablehnung dieser Analogie nun auf eine "Eigenart des Geistigen gegenüber dem Physischen und Psychischen"[130] stützt, ist für diese Arbeit vor allem der Aspekt des Wissens um Gesetze für zweck-mittel-rationales Handeln, und damit auch das Problem der Kausalität von entscheidender Bedeutung.

Den Zusammenhang zwischen Gesetzeswissen und zweckrationalem Handeln, wie ihn die bei Spranger aufgefundene Analogie nahe legt, deutet auch Litt an, wenn er behauptet, dass Handeln dann die Gestalt einer Technik annimmt, wenn durch Gesetzeserkenntnis "die sichere Vorausberechnung des Effektes, der durch ein bestimmtes Handeln am Objekt herbeigeführt wird"[131], möglich wird. So gelänge Litt zufolge die Durchführung von Handlungen, gerichtet auf bestimmte gesetzte Zwecke, "immer dann am vollkommensten, wenn die Erkenntnis es fertig bringt, die Beschaffenheit und das Verhalten des Objektes in Form von ‚Gesetzen' zu bestimmen."[132] Da Gesetze allgemeingültige und universelle Aussagen sind, sehen sie von den jeweiligen individuellen Merkmalen einer Situation ab, und entgehen somit eventuell den unter 2.2. beschriebenen Applikationsschwierigkeiten.

Die Ausführungen Carl G. Hempels verdeutlichen die von Litt unterstellte Relation von Vorausberechnung und Gesetzen durch das Konzept der wissenschaftlichen Erklärungen, insofern eine Erklärung ausdrückt, dass das Auftreten des erklärten Phänomens "zu erwarten war"[133]. Ausschlaggebend für die Akzeptanz einer wissenschaftlichen Erklärung ist nun keineswegs der Umstand, dass sich ein Fragender mit irgendeiner Antwort befriedigt sieht, sondern vielmehr, dass durch eben diese Erklärung eine Auffassung der Welt formuliert wird, die mit unseren Erfahrungen in einem "klaren, logischen Zusammenhang"[134] steht. Insofern müssten die Anforderungen Hempels an wissenschaftliche Erklärungen, nämlich die der erklärenden Relevanz und die der Überprüfbarkeit[135], auch als Maßgabe für Erklärungen erzieherischen Geschehens angesehen werden, insofern man dieses als wissenschaftlich im hempelschen Sinne zu begreifen gewillt ist.

Im Allgemeinen besteht eine derartige Erklärung aus einer gesetzesartigen Aussage, welche nomologischen oder statistischen Charakters sein kann, der Behauptung eines Sachverhaltes und einer deduktiv oder induktiv erschließbaren Konklusion, welche eine Aussage über den zu erklärenden Sachverhalt darstellt.[136] Als Kern einer solchen Erklärung erscheint somit eine gesetzesartige Aussage, welche ein bestimmtes Bedingungsgefüge der beiden genannten Sachverhalte ausdrücken muss, und nicht in der bloßen Aufzählung bereits gemachter gleich-artiger Erfahrungen bestehen kann.[137] Interessanterweise kann einer solchen Erklärung ein prognostischer Charakter unterstellt werden. Ist also eine gesetzesartige Aussage, etwa in der Form ‚Immer wenn A sich ereignet, ereignet sich auch B', bekannt, scheint es erlaubt zu sein, insofern A beobachtet wird, vorherzusagen, dass auch B sich ereignen wird.[138] Eine derartige Vorhersage ist aber nur dann möglich, wenn die eingehende gesetzesartige Aussage nomologisch ist, da statistische oder probabilistische Aussagen den jeweiligen Einzelfall nicht zu beschreiben in der Lage sind. Dieser bleibt in Hinblick auf eine in Anschlag gebrachte probabilistische Erklärung letztlich immer zufällig, und somit unberechenbar.[139]

2.3.1 Zur Vorhersage sozialer Entwicklungen

Solche für die Naturwissenschaft gängigen Erklärungsvarianten müssen aber keinesfalls als Vorlage für Erklärungen der Sozialwissenschaft dienen.[140] Vielmehr gibt es einige ernstzunehmende Einwände gegen die Möglichkeit, prognostische Erklärungen für soziale Vorgänge formulieren zu können. So verweist Karl R. Popper auf den Umstand, dass soziale Situationen letztlich immer neu sind und sich im Grunde nicht wiederholen.[141] Daraus folgt, dass man eben nicht in der Lage ist, aus der isolierten Beobachtung eines Jetzt-Zustandes einer sozialen Situation Vergangenheit oder Zukunft dieser Situation berechnen zu können. Dies ergibt sich, weil durch die Unwiederholbarkeit sozialer Ereignisse die Formulierung von allgemeingültigen gesetzesartigen Aussagen unmöglich wird. Eine notwendige Bedingung solcher allgemeingültiger Aussagen besteht doch letztlich darin, dass eine Menge mehrerer gleichartiger Ereignisse, oder besser Ereignisfolgen, beobachtet wird, von welchen dann ein gesetzesartiger Zusammenhang ausgesagt werden kann. Aufgrund der Unwiederholbarkeit sind aber alle sozialen Ereignisse als individuelle aufzufassen, allgemeine Aussagen also im Grunde unzulässig.[142] Die Erklärung eines Jetzt-Zustandes kann, so Popper, nur durch Betrachtung seiner Geschichte erfolgen, während ein zukünftiger Zustand nur dadurch erkannt werden kann, insofern die Zeit bis zu dieser Zukunft abgewartet, die Veränderung nicht vorausberechnet, sondern vielmehr durchlebt wird.[143]

Des Weitern erscheint eine Erklärung erzieherischen Handelns nur dann gerechtfertigt, insofern man in die Lage versetzt ist, die notwendige Folge der unterstellten Wirkungen überprüfen zu können. Um also der zweiten hempelschen Anforderung an wissenschaftliche Erklärungen Rechnung zu tragen, müsste von Erklärungen erzieherischer Geschehnisse die Möglichkeit ihrer Überprüfung, das heißt eigentlich ein experimenteller Nachweis gefordert werden. Nach der popperschen Auffassung der Unwiederholbarkeit sozialer Situationen ist ein dahingehendes Experiment aber nicht denkbar. Sollte man allerdings eine Wiederholbarkeit bei genügender Abstraktion annehmen wollen, sei darauf hingewiesen, dass ein Experiment eine hypothetische Erklärung wohl falsifizieren aber nie verifizieren kann.[144] Eine solche Abstraktion muss zudem von den konkreten Sachverhalten einer sozialen Situation derart absehen, dass die für das pädagogische Handeln ausschlaggebenden kontingenten Umstände, also etwa der Geschichte der sozialen Situation oder die Biographien der beteiligten Personen, keine Beachtung mehr finden können. Insofern wäre wohl kaum handlungsleitendes, erfolgsgarantierendes Wissen zu erwarten. Die Möglichkeit einer Sozialtechnologie[145] kann nach popperschem Verständnis also nicht eingeräumt werden.[146] Damit wäre den pädagogischen Konzepten ein Absage zu erteilen, welche behaupten wollen, durch eine wie auch immer geartete Beeinflussung der sozialen Umwelt in gezielter Weise, kontrolliert Veränderungen bei den davon betroffenen Personen hervorrufen zu können[147], weil "jede Sozialwissenschaft, die nicht die Unmöglichkeit rationaler Sozialkonstruktionen lehrt, [...] den wichtigsten Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens blind gegenüber"[148] steht. Das heißt nun aber nicht, dass soziale Vorgänge nicht beschrieben und erklärt[149] werden können, wie dies etwa eine ‚Theorie integrativer Prozesse' nach Helmut Reiser[150] versucht. Nur können aus derartigen Erkenntnissen eben keine Vorhersagen für zukünftige soziale Situationen, also auch nicht für die Entwicklung der Educanden, abgeleitet werden.

2.3.2 Zur Vorhersage psychischer Entwicklungen

Während bezüglich der sozialen Ebene die Bemühungen, gesetzesartige Aussagen zu bilden, scheitern müssen, wie oben ausgeführt, können bezüglich psychologischer Phänomene durchaus funktionale, das heißt gesetzesartige Zusammenhänge, erkannt werden. Das bedeutet im eigentlichen Sinne nur, dass Erklärungen der Psychologie möglicherweise den Anforderungen wissenschaftlicher Erklärungen genügen könnten, wenn dies auch kaum auf eine jede psycho-logische Theorie zutrifft. So erscheint es nur schwer vorstellbar, wie etwa die freudsche Tiefenpsychologie experimenteller Überprüfung zu unterziehen wäre, während die entwicklungstheoretischen Überlegungen nach Piaget dahingehend vielleicht Möglichkeiten zuließen, da diese auf empirischen Beobachtungen[151] beruhen. Ohne auf diese wissenschafts-theoretischen Fragen der Psychologie näher eingehen zu müssen, kann darauf verwiesen werden, dass insofern es überhaupt gesetzesartige Aussagen gäbe, welche für Erziehung maßgeblich erscheinen können, diese wohl in dieser Richtung zu suchen sind. Brezinka behauptet diesbezüglich, in Anlehnung an Hans Albert, dass "je stärker eine wissenschaftliche Theorie über einen Objektbereich informiert, desto strengere Prognosen [...] sich prinzipiell aus ihr ableiten"[152] lassen. Aber auch wenn Brezinka meint, dass eine solche Auffassung auf die Erziehungswissenschaft angewandt, "keineswegs der Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Person"[153] widerspräche und eine "empirisch gehaltvolle Theorie der Erziehung [...] sich [...] ohne Schwierigkeit in ein technologisches Aussagensystem umformen"[154] ließe, werden die Problemstellungen, welche unter 2.1. diskutiert wurden, mitnichten obsolet.

2.3.3 Die Unvorhersehbarkeit der Wirkungen

Hieraus wird nun deutlich, dass es zweckrationales Handeln in der Erziehung, wenn überhaupt, nur auf einer individuellen Ebene geben kann, also nur bezüglich eines direkten Verhältnisses von Erzieher und zu Erziehendem. Zudem muss festgehalten werden, dass aus den eben dargelegten Gründen eine Formulierung von übergeordneten Erziehungszielen schlichtweg nicht sinnvoll erscheint, da nicht anzugeben ist, wie von einer beliebigen sozialen Situation ausgehend eine andere, den gesetzten Zielen der Erziehung entsprechende, erreicht werden kann. Um mit Dewey zu sprechen, kann es also keine sinnvollen Erziehungsziele geben, außer man meinte damit gänzlich konkrete wie "dieses Mädchen das Nähen zu lehren; Fritz das Aufschneiden abzugewöhnen"[155] oder dergleichen. Diese müssten, nach der obigen Unterscheidung zwischen Zwecken und Zielen, dann aber eigentlich Zwecke von Erziehung genannt werden.

Stellte man nun aber, ganz abgesehen von den Problemen der Freiheit und der Eigengesetzlichkeit in Rechnung, dass die Verfasstheit des Educanden als Individuum auch von dessen sozialer Geschichte abhängig ist, das heißt nur vor dem Hintergrund der jeweils persönlichen Biographie verstanden werden kann, wie etwa moderne Auffassungen der Lernbehindertenpädagogik nahe legen[156], muss auch diese individuelle Verfasstheit als soziale Situation im oben gemeinten Sinne verstanden werden. Dadurch verböte sich auch eine Prognostizierbarkeit bezüglich der Entwicklung des Einzelwesens. Lediglich im nachhinein könnte dann möglicherweise erklärt werden, warum die in Anschlag gebrachten Mittel in Bezug auf die gesetzten Zwecke erfolgreich waren oder nicht. Von vornherein aber lässt sich keine Garantie auf einen Erfolg der Handlungen, aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Wirkungen, geben. Mit der Feststellung einer zeitlich lediglich rückwärtigen Möglichkeit der Erklärung erzieherischen Geschehens wird aber ein wesentlicher Unterschied zu Erklärungen von Naturgechehnissen offenbar, welche in aller Regel sowohl Vergangenheit als auch Zukunft des gemeinten Objektbereiches determinieren können.[157]

Damit wird nun auch klar, dass die Annahme, gewisse Mittel seien kausal ursächlich für das Zustandekommen gewisser Zwecke, abwegig ist. Vielmehr kann bei der Betrachtung sozialer Ereignisfolgen, gewissen Ereignissen Ursächlichkeit lediglich zugeschrieben werden, ohne dass sichergestellt ist, ob diese Ereignisse die unterstellten Wirkungen tatsächlich hervorriefen, oder ob diese vielmehr durch andere Ereignisse, welche in der Betrachtung unbeachtet blieben aber begleitend stattfanden, verursacht worden sind[158]. So konnte beispielsweise durch statistische Erhebungen festgestellt werden, dass das Auftreten einer starken Storchenpopulation von hohen menschlichen Geburtenraten begleitet wird. Wenn diesbezüglich auch kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis unterstellt werden kann, so zeigt sich damit doch, dass bezüglich statistischer Korrelationen, welche als kausale Verhältnisse interpretiert werden, immer die Möglichkeit des Irrtums besteht[159].

Demnach ist also zu schließen, dass die als Mittel erachteten Handlungen eben keine Ursachen für die gesetzten Zwecke sein müssen. Das heißt, wie Brezinka richtig bemerkt, dass "der Ausdruck ‚Mittel' vorwiegend in subjektiver Bedeutung verwendet"[160] werden muss. Mit dem Begriff ‚Mittel' wird demnach etwas gemeint, "was von Menschen für geeignet gehalten wird, um einem bestimmten Zweck zu erreichen."[161] Bemerkenswert bleibt, dass die den Mittelerwägungen vorhergehenden Ursachenzuschreibungen innerhalb sozialer Gefüge selbst wieder Wirkungen haben können, worauf Luhmann hinweist.[162]

Insofern kann, unter Vernachlässigung der systemtheoretischen Terminologie, mit Luhmann geschlossen werden, dass "bestimmte Systeme [...] so komplex [sind], dass man ihre Kausalabläufe nicht beobachten, nicht durchschauen, nicht einmal simulieren könne, und dass daher ihr Verhalten, obwohl determiniert, nicht vorherzusagen sei."[163] Da diese Komplexität nach dem bisher Gesagten offensichtlich dem Erziehungsgeschehen eigen ist, muss die Möglichkeit zweck-mittel-rationalen erzieherischen Handelns ausgeschlossen werden, da kein gesetzesartiges Wissen vorhanden sein kann, durch welches, aufgrund von Prognosen, eine Mittelwahl ermöglicht werden könnte. Des Weiteren muss auch eine Methode von Versuch und Irrtum, durch die Unmöglichkeit experimenteller Überprüfungen, abgelehnt werden. Erschwerend dürfte sich der Umstand auswirken, dass die Unterstellung von Kausalverhältnissen ihrerseits Bedingung der Entwicklung und Veränderung sozialer Verhältnisse sein kann. Damit scheinen weder direkte noch indirekte Erziehungshandlungen durch ein Erfolg garantierendes Zweck-Mittel-Schema rationalisiert werden zu können. Eine technologische Auffassung von Erziehung wäre damit nicht tragbar, weil schlichtweg keine Verfahren explizierbar sind, wie dies von Luhmann und Schorr gefordert wird. Somit bleibt noch der vierte und letzte Aspekt der erzieherischen Handlungen, nämlich derjenige der Umstände, zu betrachten.

2.4 Die Umstände

Für die Integrations- bzw. Inklusionspädagogik, so wurde oben festgestellt, sollte das Phänomen heterogener Lerngruppen als wesentlicher Umstand ihrer spezifischen pädagogischen Handlungen gelten. Interessanterweise gilt hierbei das Gebot, dass die heterogenen Lerngruppen keine selektivseparierenden Behandlungen erfahren dürfen.[164] Ganz offensichtlich sind also bestimmte Handlungserwägungen von vornherein indiskutabel, und dies nicht ausschließlich Aufgrund von Nutzerwägungen, sondern auch aus ethischen und moralischen Motiven.[165]

Dies erscheint zumindest auf den ersten Blick unverständlich, da in den obigen Abschnitten zwar darauf verwiesen wurde, dass weltanschauliche, also ethische Erwägungen, gerade in den pädagogischen Kunstlehren unumgänglich sind, aber nur auf Zwecke und Ziele und nicht auf Mittel zu beziehen sind. Die, wenn auch nicht unproblematische, Relation von Mitteln und Zwecken erschien doch als eine funktionale, mithin kausale. Das heißt, dass die Beurteilung von Mitteln hinsichtlich bestimmter gesetzter Zwecke nutzenorientiert und nicht moralisch sein kann. Denn, wenn ein Zweck gewollt ist, und die notwendigen Mittel zu dessen Realisierung bekannt sind, so müssen doch auch diese Mittel gewollt sein.[166]

Im pädagogischen Schrifttum wird die Zulässigkeit von Mitteln der Erziehung aber auch moralisch diskutiert. Beispielhaft seien etwa die Prügelstrafe, die Koedukation von Mädchen und Jungen oder eben die integrative Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Schülern genannt. Wenn die dahingehenden Argumentationen auch mit dem Versprechen aufwarten, dass die ‚neuen' Mittel wenigstens ebenso erfolgreich, wenn nicht erfolgreicher sein werden, als die zu verwerfenden ‚alten'[167], kann nicht unterschlagen werden, dass eine Entscheidung, das heißt eine Mittelwahl, auch von moralischen oder juridischen Normsetzungen abhängig ist.[168] So wird beispielsweise die Entwicklung von sonderpädagogischen Didaktiken für als geistig behindert geltende Schüler erst dann obligat, wenn dieser Klientel ein unbedingtes Bildungsrecht eingeräumt wird. Diesem Gesichtspunkt trägt Brezinka Rechnung, wenn er in Anlehnung an Waitz unterstreicht, dass die Suche nach bestimmten Mitteln "die Anknüpfungspunkte und Bedingungen berücksichtigt, die zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft vorhanden sind."[169] Damit kann "eine als Zweck-Mittel-Lehre verstandene Pädagogik [...] nie in dem Sinne allgemeingültig sein, dass ihre Sätze für alle Zeiten und alle Gesellschaften Gültigkeit haben"[170], weil zu bestimmten Zeiten und in bestimmten sozialen Strukturen die Wahl und Ergreifung bestimmter Mittel verboten sein kann.

Ganz abgesehen von den jeweiligen kontingenten Merkmalen einer erzieherischen Situation, wie den psychischen Verfasstheiten von Erzieher und zu Erziehendem sowie den sozialen, biographischen und historischen Eigenheiten, welche, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, eine technologische Auffassung von Erziehung höchst fragwürdig erscheinen lassen, sind die ethisch-normativen Umstände von entscheidender Bedeutung dafür, in welcher Weise eine solche Technologie überhaupt entwickelt werden kann. Dieser Sachverhalt darf hierbei nicht unterschätzt werden. So wurde in 2.1. gezeigt, dass aus dem Postulat der menschlichen Freiheit ein Zurechnungsproblem von Dispositionsveränderungen der Educanden bezüglich vermeintlich erzieherischer Handlungen folgt. Durch diese Kollision von zweck-mittel-rationalem Denken und kategorischem Imperativ konnte, so Luhmann und Schorr, Erziehung nicht als Technik aufgefasst werden, also aufgrund einer Normsetzung, einer weltanschaulichen Entscheidung.[171] Durch die Anerkennung der menschlichen Freiheit, welche, ob ihrer empirischen und theoretischen Unbeweisbarkeit, eine weltanschauliche Anerkennung darstellt, sind also nicht nur bestimmte Mittel verboten, wie etwa die Inklusionspädagogik eine separierende Beschulung ausschließt, sondern zweckrationale Wahl erzieherischer Mittel erscheint schlichtweg unmöglich. Weil, wie oben bemerkt, eben nicht kontrolliert werden kann und darf, ob der Erzieher oder der Educand Ursache einer Dispositionsveränderung war. Somit zeigt sich, dass auch lediglich aufgrund ethisch-normativer Vorgaben Erziehung als Technik undenkbar sein kann. So verstößt in Anbetracht einer philosophischen Anthropologie selbstreferentieller Subjekte, so Luhmann und Schorr, ein technisches Zweck-Mittel-Denken sowohl "gegen kausal aber auch gegen moralisch relevante Gesichtspunkte."[172] Das heißt, selbst wenn über erfolgsgarantierendes Wissen von Zwecken und Mitteln verfügt würde, kann deren Anwendung aufgrund weltanschaulicher Annahmen, welche sich in ethischen, moralischen oder juridischen Normen ausdrücken, verboten sein.

Das mit den hier diskutierten Umständen keine materialen gemeint sein können, wie etwa, "wenn in alten Schulen auf den Geländern Knöpfe angebracht waren, die Schüler daran hindern sollten, das Geländer herunterzurutschen"[173] ist insofern klar, als dass damit lediglich ein "Verbot vergegenständlicht"[174] ist. Jürgen Diederich nennt dieses Phänomen "technologische Verhaltenssteuerung"[175], dessen Prototyp wohl moderne Verkehrsanlagen sind.[176] Weil Erziehung aber als ein soziales Phänomen aufgefasst wird, muss das Bestehen ihrer materialen Bedingungen als von juridischen und ethischen Normierungen abhängig erachtet werden. Die Umstände erzieherischer Handlungen bestehen also primär in normativen Bedingungen, weil die materialen immer erst in Hinblick auf diese entworfen werden, etwa zum Zwecke der Zeitersparnis.



[53] Möglicherweise ist diese Unterscheidung durch einen Verweis auf die von Alfred Schütz erarbeitete Differenz von ‚Weil' und ‚Um-zu' Motiven zu verdeutlichen. Vgl. Alfred Schütz, Das Wählen zwischen Handlungsent-würfen, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, 1971, S. S. 77-110. So motiviert "das Weil-Motiv eines Handelns [...] den Entwurf des Handelns selbst" (zit. ebd. S. 80), während das ‚Um-zu' Motiv auf den "während des Ent-werfens [der Handlung] verfügbaren Wissensvorrat des Handelnden verweist" (zit. ebd. S. 83). Das heißt also, dass in der hiesigen Arbeit mit Zielen erwünschte Zustände in der Zukunft gemeint werden, während Zwecke als die wieder zu erwartenden Resultate bereits erfahrener und vergangener Handlungen verstanden sein sollen. Denn mit dem ‚Um-zu' Motiv ist die Annahme des Handlenden verknüpft, "seine entworfene Handlung werde den Handlungen typisch ähnlich verlaufen, die ihm als vergangene, typisch ähnliche Handlungen zur Zeit des Entwurfes bekannt sind." (zit. ebd.). Eine Zuordnung von ‚Weil'-Motiven lässt sich Schütz zufolge nur nach Abschluss einer Handlung erkennen (vgl. ebd. S. 80ff.)

[54] Zit. Friedrich Eduard Beneke, Erziehungslehre, 1835, S. 30.

[55] Zit. Theodor Waitz, Allgemeine Pädagogik, 1852, § 1, S. 8.

[56] Brezinka unterscheidet ontologische und normative Einwände gegen ein Technikkonzept der Erziehung, auch wenn seine Auffassung von Technik umfangreicher als die hiesige ist. Die hier unternommene Unterscheidung dürfte sich zumindest in Bezug auf die Verfasstheit des Educanden aber mit der Brezinkas decken. Vgl. dazu Brezinka, Gesammelte Schriften, Band 5, Erziehungsziele, Erziehungsmittel, Erziehungserfolg, 31995, S. 249ff.

[57] Zit. Eduard Spranger, Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen, in: Geist der Erziehung, 1969, S. 348-405, hier S. 354. Bei Litt findet sich im Übrigen der Terminus ‚Eigengesetzlichkeit' meines Erachtens nicht, doch können seine Formulierungen wie etwa das "Eigenrecht des zu Erziehenden" (zit. Litt, Das Wessen des pädagogischen Denkens, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 83-109, hier S. 93), "angeborene Wer-detriebe" (zit. ebd. S. 97) oder "Gesetze der eigenen Wesensentfaltung" (zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 22) gleichbedeutend verstanden werden. Wesentlich erscheint hierbei, dass unter Eigengesetzlichkeit die besondere Eigenheit der Entwicklung menschlicher Psychen, selbst die Ursache ihrer Entwicklungen zu sein, verstanden werden soll.

[58] Zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 26.

[59] Vgl. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 93.

[60] Vgl. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 19ff.

[61] Zit. ebd. S. 26.

[62] Vgl. ebd. S. 24ff. "Es werden gerade diejenigen Werdemöglichkeiten unterbunden, diejenigen Wege versperrt, diejenigen Ziele unsichtbar gemacht, für welche die Jugend nicht vor der Zeit innerlich festgelegt, sich dermal-einst entscheiden würde!" (zit. ebd. S. 26).

[63] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 94.

[64] Zit. ebd.

[65] Zit. Wimmer, 2003, S. 193.

[66] Zit. ebd. S. 192.

[67] Zit. ebd. S. 192.

[68] Zit. Wimmer, 2003, S. 198.

[69] Vgl. Dazu etwa Jean Piaget, Biologie und Erkenntnis. Über die Beziehungen zwischen organischen Regulatio-nen und kognitiven Prozessen, 1983, § 3, S. 27ff.

[70] Vgl. dazu Piaget, 1983, S. 29

[71] Zit. Spranger, 1969, S. 359.

[72] Zur Bedeutung des ‚sinnhaften' Erleben für die Didaktik vgl. etwa Feuser, 1998, S. 28ff. Das bedeutet nicht dass die präsentierten Lerngegenstände überhaupt nicht ‚sinnhaft' erlebt werden (vgl. ebd. S. 31), nur besteht die Möglichkeit, dass sie nicht in dem Sinne vom Educanden verstanden und erlebt werden, wie der Erzieher dieses erwartet.

[73] Zit. Dieter Lenzen, Orientierung Erziehungswissenschaft, 1999, S. 157.

[74] Zit. Lenzen, 1999, S. 157.

[75] Zit. ebd.

[76] gl. Jörg Ruhloff, Fatalismus und pädagogische Praxeologie, in: Stephanie Hellekamps, Olaf Klos, Horst Sladek (Hrsg.), Bildung Wissenschaft Kritik, 2001, S. 21-32.

[77] Zit. ebd. S. 22

[78] Zit. ebd. S. 23.

[79] Zit. ebd.

[80] Vgl. ebd. S. 22.

[81] Zum Zusammenhang von Anlage und Umwelt als Bedingungen der menschlichen Entwicklung vgl. Rolf Oerter/ Leo Montada, Entwicklungspsychologie, 41999, S. 34-50.

[82] Zit. Litt, Die Bedeutung der pädagogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 112.

[83] Zit. Wolfgang Wieland, Aporien der praktischen Vernunft, 1989, S. 47.

[84] Zit. ebd.

[85] Vgl. ebd. Der Argumentation Wielands zufolge ist es nicht möglich soziale Institutionen und Praktiken so zu gestalten, dass ethische und normative Probleme einer ‚praktischen Vernunft' nicht mehr bestünden, welche in den faktischen und normativen Risiken konkreten Handelns bestehen.

[86] Zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 27.

[87] Zit. ebd.

[88] Zit. ebd.

[89] Vgl. Ernst Amadeus Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, Heidelberg, 1965, S. 57.

[90] Vgl. Reinhard Uhle, Unterricht als komplementäre Interaktion selbstreferentieller Subjekte, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 116-138, hier S. 117ff.

[91] Vgl. Uhle, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 117.

[92] Vgl. Brezinka, 1978, S. 43.

[93] Zit. ebd.

[94] Zit. Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 1845, zitiert nach der Reclamausgabe, 2000, S. 71.

[95] Zit. ebd.

[96] Zit. ebd.

[97] Zit. Stirner, 2000, S. 71. Durchaus ähnlich argumentiert Dewey. Vgl. dazu Dewey, 2000, Kap. 8, Die Ziele der Erziehung

[98] Zit. Brezinka, 1995, S. 255.

[99] Vgl. Lenzen, 1999, S. 157ff.

[100] Heinrich Gomperz, Die Wissenschaft und die Tat, in: Hans Albert/ Ernst Topitsch (Hrsg.), Werturteilsstreit, 1979, S. 383-414, hier S. 391.

[101] Zit. ebd. Einführend zum Thema von Unterlassenshandlungen, vgl. Dieter Birnbacher, Tun und Unterlassen, 1995.

[102] Zit. Wieland, 1989, S. 10.

[103] Zit. ebd. S. 11.

[104] Zit. Brezinka, 1978, S. 228. Vgl. dazu ebd., die Auflistung der Anteile, die Erkenntnisse und Entscheidungen an der Normbegründung haben.

[105] Zit. ebd. S. 243.

[106] Zit. ebd. S. 21.

[107] Vgl. ebd. S. 243ff. Brezinka (ebd. S. 242) verweist in diesem Zusammenhang auf Lochner, welcher ihm zufolge eine Analyse von ‚Erziehungslehren' vorgelegt hat, welche sowohl deren nicht-wissenschaftlichem Charakter als auch deren Beziehung zur Wissenschaft Rechnung trägt. Vgl. dazu Rudolf Lochner, Zur Grundlegung einer selbständigen Erziehungswissenschaft, in: Friedhelm Nicolin, Pädagogik als Wissenschaft, 1969, S. 404-426.

[108] Vgl. Brezinka, 1978. S. 244: "Den Hauptteil der Praktischen Pädagogik [das sind ‚Erziehungslehren' oder ‚pädagogische Kunstlehren' Anm. J.M.] machen die erziehungstechnischen Normen aus, die auf die jeweils angenommenen Zwecke und auf die erziehungstechnologischen Hypothesen gegründet werden. [...] Was in der Erziehungswissenschaft an erziehungspraktisch brauchbarem Wissen über Zwecke und Mittel erarbeitet worden ist, wird in der Praktischen Pädagogik auf einen bestimmten erzieherischen Handlungsbereich [...] bezogen".

[109] Vgl. Karl R. Popper, Logik der Forschung, 91989, erstmals 1935, S. 14-21.

[110] Vgl. dazu Brezinka, 1978, S. 220ff.

[111] Vgl. Wieland, 1989, S. 12.

[112] Zit. Wieland, 1989, S. 12.

[113] Vgl. ebd. S. 13ff.

[114] Vgl. ebd. S. 14.

[115] Zit. ebd. S. 14f.

[116] Zit. ebd. S. 15f.

[117] Zit. ebd. S. 16.

[118] Zit. ebd.

[119] Zit. ebd. S.17. Das bedeutet für die Sonderpädagogik, dass selbst wenn es gerechtfertig sei, bestimmte Kinder in Sonderschulen zu unterrichten, man niemals sicher gehen kann, ob ein davon betroffener Schüler tatsächlich ein solches bestimmtes Kind ist. Ein Umstand der sich die sonderpädagogische Diagnostik durchaus bewusst zu sein scheint Vgl. dazu Konrad Bundschuh, Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik, 62005, S. 341ff.

[120] Zit. Dewey, 2000, S.147.

[121] Zit. ebd. S. 149. In aller Konsequenz bedeutete dies aber, dass ohne Kenntnis der, das erzieherische Handeln bestimmen sollenden, Bedürfnisse keine Zielsetzungen vorgenommen werden könnten. Unterstellt man nun weiter, dass die Bedürfnisse von Schüler zu Schüler unterschiedlich sind, können keine technologischen Regeln

bestimmt werden, weil auch keine allgemeinen, bei zumindest vielen Educanden gleichermaßen bestehenden Bedürfnisse erkannt werden können. Erzieherisches Handeln wird dann als vernünftiges Handeln unmöglich.

[122] Zit. Luhmann/ Schorr, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 14.

[123] Siehe oben S. 13: "Der Vergleich der Erziehung mit einer technischen Einwirkung auf seelische Prozesse [...musste...] schon mit dem Aufkommen der Entwicklungspsychologie hinfällig werden." Siehe, oben Fn. 71.

[124] Zit. Spranger, 1969, S. 359.

[125] Vgl. zur Bedeutung von ‚Gesetz' im wissenschaftstheoretischen Sinne, Ritter, 1974, unter "Gesetz, III. Der Gesetzes-Begriff in der Philosophie und Wissenschaftstheorie der Neuzeit", S. 501-514.

[126] Zit. Spranger, 1969, S. 359. Ganz ähnlich auch Beneke: "Die Sicherheit des Erfolges aller Erziehungseinwirkungen beruht ihrem tiefsten Grunde nach darauf, dass wir von der Natur des Kindes zu der Zeit, wo es sich zuerst für die Erziehung darbietet, die klarste und genaueste Kenntnis erwerben." Zit. Beneke, 1835, S. 31.

[127] Zit. Spranger, 1969, S. 359. Der Terminus der "Psychotechnik" ist im übrigen gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus gängig und wird, darüber klärt Brezinka auf, als ‚Technik für die Pädagogik', ‚pädagogischer Technik', ‚didaktischer Technik' oder ‚technischem Verfahren bei der Erziehung' gehandelt. Vgl. Brezinka, 1995, S. 235, Fn. 62.

[128] Vgl. Spranger, 1969, S. 359

[129] Zit. ebd.

[130] Zit. ebd.

[131] Zit. Litt, Die Bedeutung der pädagogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers, in: Führen oder Wach-senlassen, 1952, S. 111f.

[132] Zit. ebd. S. 111.

[133] Zit. Carl. G. Hempel, Aspekte wissenschaftlicher Erklärungen, 1977, S. 6.

[134] Zit. Hempel, Philosophie der Naturwissenschaften, 1974, S. 69.

[135] Vgl. ebd. S. 70.

[136] Vgl. Hempel, 1977, S. 5ff. sowie S. 55ff.

[137] Vgl. ebd. S. 56.

[138] Vgl. ebd. S. 40ff.

[139] Vgl. etwa Richard v. Mises, Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit, 1928, S. 11f.

[140] Einen frühen Versuch mechanistische Überlegungen auf die Bewegungen des Sozialen anzuwenden stellt Ad. Qutelets Buch, Abhandlung über die Entwicklungen der Fähigkeiten des Menschen, 1869 dar. In diesem nimmt er den von ihm entwickelten ‚homme moyen' als Schwerpunkt einer Mechanik der Gesellschaft an: "Der Mensch [...] den ich betrachtet habe, ist in der Gesellschaft das, was der Schwerpunkt in den Körpern ist; er ist ein fiktives Wesen, für das alle Dinge gemäß den für die ganze Gesellschaft gefundenen mittleren Resultaten gelten. [...] Wenn er nach der Gesamtheit der Menschen aufgestellt werden könnte, würde er den Typus des Menschengeschlechts überhaupt darstellen." Zit. nach Ad. Quetelet, Soziale Physik, Bd. 2, 1921, S. 140f., Fn. 1.

[141] Vgl. Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, 61987, S. 8ff.

[142] Vgl. zur Bedeutung nicht-allgemeiner Sachverhalte, also kontingenter Bedingungen für soziale Verhältnisse etwa Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, 1993.

[143] Vgl. Popper, 1987, S. 10f.

[144] Vgl. Popper, 1989, S. 16.

[145] Nach Popper ist unter Sozialtechnologie ein Verfahren zu verstehen, mit welchem es möglich sein soll, aufgrund vermeintlicher Gesetze der Sozialentwicklung einer Gesellschaft, einen detaillierten Plan für eine zukünftig Epoche zu verwirklichen. Vgl. dazu Popper, 1987, S. 36ff.

[146] Vgl. ebd. S. 39.

[147] Eine solche Beeinflussung ist etwa dann zu unterstellen, wenn eine ganz bestimmte soziale Umwelt als für erwünschte Lernerfolge erfolgsgarantierend erachtet wird. So kann etwa das deutsche mehrgliedrige Schulsystem als eine solche Beeinflussung der Umwelt der Schüler verstanden werden. Denn hier wird ja offenbar angenommen, dass durch bestimmte organisatorische und curriculare Vorgaben ganz bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt werden, die etwa im Falle des Gymnasiums als ‚Hochschulreife' bezeichnet werden.

[148] Zit. Popper, 1987, S. 39. Diese wichtigen Tatsachen bestehen zum Einen darin, dass sich soziale Situationen nicht wiederholen und zum Anderen darin, dass die Resultate sozialer Entwicklungen aus den Verhältnissen rivalisierender Kräfte hervorgehen, und nicht aus einer rationalen Konstruktion. Vgl. dazu ebd. S. 37f.

[149] Diese Erklärungen können etwa systemtheoretischen Charakters sein, sind aber von naturwissenschaftlichen Erklärungen gerade hinsichtlich der Prognostizierbarkeit als verschieden zu erachten.

[150] Vgl. etwa Helmut Reiser et al., Integration als Prozeß, in: Sonderpädagogik, 16, 1986, S. 114-122 und S. 154-160.

[151] Vgl. dazu Piaget, Biologie und Erkenntnis, 1983.

[152] Zit. Brezinka, Lage der wissenschaftlichen Pädagogik, in: Friedhelm Nicolin (Hrsg.), Pädagogik als Wissenschaft, 1969, S. 444-454, hier S. 454.

[153] Zit. ebd.

[154] Zit. Brezinka, in: Nicolin (Hrsg.), 1969, S. 454. Mit ‚Aussagensystemen' meint Brezinka, beeinflusst vom empirischen Rationalismus, eine Menge von Sätzen, welche sich ausschließlich auf einen klar definierten Ob-jektbereich beziehen. So scheidet Brezinka innerhalb der Pädagogik drei Klassen von Erziehungstheorien, wel-chen unterschiedliche Satzsysteme entsprechen, nämlich Erziehungswissenschaft, Philosophie der Erziehung und Praktischen Pädagogik. Vgl. dazu Brezinka, 1978, S. 25ff

[155] Zit. Dewey, 2000, S. 147.

[156] Vgl. dazu etwa Rolf Werning/ Birgit Lütje-Klose, Einführung in die Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen, 22006, S. 50ff.

[157] Vgl. dazu Luhmann, Die Voraussetzung der Kausalität, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 41-50. Die Differenz der Erkenntnismöglichkeiten natürlicher und sozialer Geschehnisse beruht Luhmann zufolge vor Al-lem auf dem Umstand, dass an den sozialen Vorgängen selbstreferentielle Systeme beteiligt sind. Dieser durch-aus treffenden Einschätzung wird in dieser Arbeit durch die von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik inspirierten Terminologie der ‚Eigengesetzlichkeit der Person' Rechnung getragen. Des Weiteren muss zugege-ben werden, dass die hier angeführten Bemerkungen zu naturwissenschaftlichen Erklärungen mittels Naturgeset-zen selbstverständlich stark verkürzt sind, und daher der diesbezüglichen Problemlage kaum gerecht werden können. Man vgl. dazu einführend Katrin Hartbecke/ Christian Schütte, Naturgesetze, 2005

[158] Die Ähnlichkeit dieses Argumentes zu dem unter 2.2. von Wieland übernommenen Normenapplikationsproblem ist keineswegs zufällig, da auch Naturgesetze, wie moralische oder juridische Normen, aus einem Abstrakti-onsprozess hervorgehen (vgl. Wieland, 1989, S. 10). Letztlich verweisen wohl beide Argumentationen auf das Universalienproblem, das heißt, auf die Schwierigkeiten der allgemeinen, also begrifflichen Prädikatikon von Singulärem. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Erkennende sich einem Urteil enthalten kann, während der Handelnde zur Handlung sich gezwungen sehen muss.

[159] Vgl. dazu Peter Atteslander, Methoden der empirischen Sozialforschung, 1995, S. 38ff. Ein solcher möglicher Irrtum kann durchaus nicht ausgeschlossen werden, wenn in der öffentlichen Diskussion um die Entwicklung des deutschen Schulsystems eine kausale Relation von Gesamtschulsystem und guten Schulleistungen, wie sie von der PISA-Studie beschrieben werden, unterstellt wird.

[160] Zit. Brezinka, 1995, S. 223.

[161] Zit. ebd.

[162] Vgl. Luhmann, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 43f.

[163] Zit. Luhmann, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), S. 44.

[164] Vgl. dazu etwa Sander, Bildungsstandards und Bildungsbarrieren: Thesen aus Perspektive einer inklusiven Pädagogik, in: Ute Geiling/ Andreas Hinz (Hrsg.), Integrationspädagogik im Diskurs, 2005, S. 110-116.

[165] Vgl. etwa Georg Feuser, Geistigbehinderte gibt es nicht!, in: Sonderpädagogik, 1996, S. 18-25, hier S. 22: [Die Geistigbehindertenpädagogik] entbehrt [...] einer ‚Gerechtigkeit' ihrer Klientel gegenüber".

[166] Vgl. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, B 44-45: "Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluss hat) auch das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist."

[167] Vgl. Prengel, 1993, S. 157ff.

[168] gl. dazu etwa Bernd Becker-Gebhard et al. (Hrsg.), Handbuch der integrativen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder, 1990, Kap. 2. Dort wird die Forderung nach gesellschaftlicher Integration behinderter Menschen damit begründet, dass separierende Behandlungsweisen zu Stigmatisierung, Diskriminierung und erschwerter Entwicklung führen (ebd. S. 23). Das sind letztlich ethische Argumente.

[169] Zit. Brezinka, 1995, S. 245.

[170] Zit. ebd. S. 244f.

[171] Vgl. Luhmann/ Schorr, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 12.

[172] Zit. ebd.

[173] Zit. Diederich, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 58

[174] Zit. ebd.

[175] Zit. ebd.

[176] Vgl. ebd. S. 58ff.

3. ‚Rien ne va plus' oder ‚anything goes'

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass sich Pädagogik letztlich zwei grundlegenden Schwierigkeiten gegenüber sieht, welche in den oben unterschiedenen vier Problemfeldern in unterschiedlicher Qualität zu Tage treten. Auf der einen Seite muss sie sich mit ethischen Setzungen, auf der anderen Seite mit dem Erkenntnisstand einer deskriptiven Erziehungswissenschaft auseinandersetzen. Der praktisch tätige Pädagoge scheint somit nichts anderes zu sein, als der Anwender wissenschaftlichen Wissens und der Erfüllungsgehilfe juridisch-ethischer Vorgaben. Vor dem Hintergrund der inhaltlichen Variabilität dieser deskriptiven und normativen Urteile, welche handlungsorientierend sein sollen, können die Pädagogen unterschiedlicher Epochen allerdings kaum dahingehend verglichen werden, dass die Einen ‚gute' oder ‚schlechte', die Anderen ‚erfolgreiche' oder ‚unerfolgreiche' Pädagogen genannt werden könnten. Diese Annahme drängt sich auf, weil es zweifelhaft erscheinen muss, dass die Lehrmeister vergangener Tage überhaupt Pädagogen oder Erzieher in einem heutigen Sinne waren, weil sie unter Umständen gänzlich anderen Maßgaben folgten. Insofern kann auch wohl kaum entschieden werden, ob eine inklusive oder integrative Pädagogik einer selektiven Sonderpädagogik vorzuziehen sei oder nicht.

Was aber allen Erziehenden eigen zu sein scheint, ist ihr Wollen, irgendwie auf die Veränderungen von Menschen Einfluss zu nehmen. Das heißt, allen vermeintlich erzieherischen Handlungen ist ihr Bezug auf den Educanden gemeinsam. In Bezug auf dieses Objekt ihrer Handlungen kulminieren die Schwierigkeiten das Erziehungsgeschehen betreffender deskriptiver und normativer Urteile in ganz besonderer Weise. Während die Überlegungen zur Zweck-Mittel-Rationalität auch Probleme anderer erfahrungswissenschaftlicher Objektbereiche betreffen, muss im pädagogischen Feld die hinzutretende ethische Komponente unbedingt Beachtung erfahren. Der Pädagoge muss sich demnach notwendigerweise den zwei entscheidenden Fragen nach dem ‚Was kann ich tun?' und dem ‚Was darf ich tun?' stellen. Abhängig vom jeweiligen Stand des Wissens um Normen und Gesetzmäßigkeiten erzieherischen Geschehens fallen die Antworten aber sehr unterschiedlich aus. Konnte man mit dem klassischen Behaviorismus behaupten, aus jedem Kind jeden gewünschten Erwachsenen förmlich erzeugen zu können, sehen fatalistische Konzeptionen gar keine Einflussmöglichkeiten mehr vor, so dass man sich wohl überraschen lassen müsste, welche Ergebnisse etwa ein Schulbesuch zeitigen würde. Offensichtlich wird die Entscheidung darüber, ob eine angewandte Methode, also eine bestimmte Mittelwahl, pädagogisch ‚richtig' oder ‚falsch', ‚angemessen' oder ‚unsinnig' war, vom jeweiligen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Standpunkt abhängig sein. Bemerkenswerterweise ist die in Rede zu stellende Wissenschaft aber keine Erziehungswissenschaft sondern eher Psychologie, Soziologie oder gar Philosophie.[177] Auch die sich ergebenen Schwierigkeiten bei der Formulierung höchster Bildungsideale, wie ‚Humanismus', ‚Freiheit' oder dergleichen, erlauben es im Grunde nicht ein Kriterium für gute Pädagogik hinsichtlich dieser Ideale zu entwerfen, weil geplantes pädagogisches Handeln auf diese Ideale nicht ausgerichtet werden kann. Diesbezüglich konstatiert Wimmer zu Recht, dass weder "ein vom individuellen Wollen unabhängiger höchster Zweck als Idee oder die Natur des Menschen erkennbar [ist], der als allgemeines Telos die verschiedenen Zwecke zu hierarchisieren sowie die Mittel rational zu bestimmen erlaubte, um als Willensziel auch des empirischen Einzelwillens fungieren zu können, noch gibt es eine Idee des guten Lebens, der alle zustimmen würden und die als universell gültig behauptet werden könnte."[178]

Damit wird alles und zugleich nichts möglich. Jedwede Behandlung von Educanden könnte als moralisch gerechtfertigt, und keine Lehrmethode als angemessen erscheinen, da nie ein Ergebnis vorhergesehen oder gar garantiert werden könnte. Hieraus ist aber zu schließen, dass für die Ergebnisse von Erziehung letztlich kein Erzieher verantwortlich gemacht werden könnte, weil erzieherisches Handeln vor dem Hintergrund der oben erörterten Schwierigkeiten, nicht als technisches, das heißt nicht als erlernbares, kontrollierbares, planendes und Wirkungen vorhersehendes zu denken ist. Diese Verantwortung muss dem Erziehenden aber Pflicht sein, welche gegenüber jedem einzelnen Educanden besteht. Denn der Erziehende kann sich genauso wenig wie der Arzt des gomperzschen Beispieles einer Behandlung des Gegenübers enthalten, gleichgültig über welches Wissen er verfügt. Ungleich schwieriger muss diese Situation erscheinen, wenn in Betracht gezogen wird, dass erzieherische Handlungen immer auch Nebenwirkungen erzeugen[179], und mit Litt behauptet werden darf, dass es "wahrhaftig nicht die Schlechtesten [sind], deren Werdegang alle psychologischen Prognosen und pädagogischen Prophylaxen über den Haufen"[180] werfen.

Insofern muss mit Wimmer gefragt werden, wie es der Pädagogik also möglich sein soll, "eine Zukunftsvorstellung zu erlangen, die den Kriterien einer kritischen erziehungswissenschaftlichen Reflexion genügt und gleichermaßen für die pädagogische Praxis bedeutsam werden kann"[181]. Von einer dahingehenden Lösung muss dabei zweierlei verlangt werden. Zum Ersten darf sie weder "in normative Denkformen zurückfallen, noch den Anspruch [aufgeben], sich [...] die Aufgaben von außen [nicht] vorschreiben zu lassen".[182] Zum Zweiten, und dies ist gerade in Hinblick auf eine Professionalisierung pädagogischen Handelns unumgänglich, ist ein genuin pädagogisches Kriterium für gutes Handeln zu entwickeln, welches einen Vergleich verschiedener pädagogischer Auffassungen erst möglich machen kann. Wimmer deutet die Richtung in der eine solche Lösung liegen könnte an, welche dann aus der "Sackgasse eines ‚anything goes' und ‚rien ne va plus'"[183] herausführen soll[184]. Diese Lösung kann, selbstverständlich verkürzt, mit dem Schlagwort der "Offenhaltung der Zukünftigkeit der Zukunft"[185] charakterisiert werden. Denn die Krux von Zukunftsvorstellungen, seien sie nun durch Normvorstellungen oder Prognosen erzeugt, "liegt darin", so Wimmer, "dass sie sich vor die Zukunft stellen und sie damit zustellen"[186]. Wenn auch dieser Auffassung Wimmers zu folgen ist, so stellt sich doch die Frage, und diese beantwortet Wimmer nicht, wie dieses Offenhalten der Zukunft pädagogisch zu verwirklichen sei. Was also muss ein Erziehender konkret tun, um dieses Offenhalten zu gewährleisten?

Es soll hier versucht werden über Wimmer insoweit hinauszugehen, als dass ein Vorschlag unterbreitet wird, der pädagogisches Handeln sowohl als rationalisierbar, und somit als verantwortungsvoll denkbar werden lässt, und gleichermaßen den Besonderheiten des Objektes dieser Handlungen Rechnung tragen kann.



[177] So ist beispielsweise der Behaviorismus eine psychologische Theorie, der Konstruktivismus eine philosophische und die Systemtheorie eine soziologische zu nennen.

[178] Zit. Wimmer, 2003, S. 189.

[179] Vgl. Spranger, 1969.

[180] Zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 79.

[181] Zit. Wimmer, 2003, S. 188.

[182] Zit. ebd.

[183] Zit. Wimmer, 2003, S. 198.

[184] Vgl. ebd. S. 188.

[185] Zit. ebd.

[186] Zit. ebd. S. 196.

4. Technisches Handeln ist Verhinderung

Wie die Ausführungen unter 2. gezeigt haben, besteht das wesentliche Problem des Verhältnisses allgemeingültiger Aussagen und davon vermeintlich betroffener singulärer Einzelfälle in dem der Applikation, also der Anwendung ersterer auf zweitere. Da der Unauflösbarkeit der Applikationsaporie, wie sie Wieland in Bezug auf die praktische Vernunft behauptet, hier nichts hinzugefügt werden kann, und diese damit als anerkannt gelte, soll in erster Linie den Applikationsschwierigkeiten, welche aus theoretischem, also gesetzesartigem Wissen folgen, Aufmerksamkeit zukommen.[187] Nach Litt besteht die Aufgabe der Technologie nun darin, "zu untersuchen, welche unter den ermittelten Zusammenhängen anzuwenden sind und in welcher Weise sie anzuwenden sind, damit der gewünschte Effekt herausspringe, [...wobei...] das technische Handeln der Natur [niemals] Eigenschaften und Verhaltensweisen aufnötigen"[188] kann. Ausgangspunkt einer jeden technischen Handlung ist also letztlich ein Wissen um einen gesetzesartigen Zusammenhang. Während oben unter 2.3. die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten solcher Aussagen im Blickfeld standen, soll hier erläutert werden, inwiefern derartige Aussagen jemanden darüber aufklären, was er tun kann. Dieses Können scheint doch, wie Litt bemerkt, abhängig zu sein von den tatsächlichen "Kausalzusammenhängen"[189] in der Welt. Das heißt, es gilt als grundsätzlich anzuerkennen, dass jedwede Technik niemals als eine Beherrschung der Natur verstanden werden kann, sondern als "Anpassung an die Natur"[190]. Diese Vorraussetzung muss dann auch für eine vermeintliche Technologie des Erziehens gelten, so dass festzuhalten ist, dass die Bedingungen der Entwicklung eines Educanden, ganz abgesehen von der Möglichkeit diese als solche auch zu erkennen, immer schon unabhängig vom erzieherischen Handeln bestehen müssen. Die geisteswissenschaftliche Pädagogik vertritt mit dem Konzept eines "objektiven Geistes"[191] offenbar eine solche Auffassung, aus welcher prinzipiell folge müsste, dass auch ohne erzieherisch gewollte Einflussnahme zumindest die Möglichkeit besteht, dass ein junger Mensch all die Sachen erlerne, welche es zu erlernen gäbe.[192]

Es wurde mit Brezinka bereits darauf verwiesen, dass das Wissen um Ursache-Wirkungs-Beziehungen mit dem um Zweck-Mittel-Relationen in einem engen Zusammenhang steht. Dem eben Gesagten zufolge kann ohne einen angenommenen Kausalnexus keine Zweck-Mittel-Relation, welche im Weiteren ‚technologische Regel' genannt werden soll, entwickelt werden. Popper weißt nun darauf hin, dass ein Gesetz uns lediglich darüber aufklärt, was wir zu tun nicht in der Lage sind. So ließe sich etwa das Gesetz von der Erhaltung der Energie mit der Aussage "Man kann kein Perpetuum mobile bauen"[193] ausdrücken[194]. Diese Formulierung eines Naturgesetzes nennt Popper dessen ‚technologische Form'[195] und charakterisiert die Aufgabe jeder Technologie als "zu zeigen, was nicht erreicht werden kann."[196] In der Form solcher Sätze liegt eine "wirklich fundamentale Ähnlichkeit zwischen den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften"[197] begründet, so Popper. Weil es auch im Bereich des Sozialen derartige Sätze gibt, wie etwa: "Man kann einem Menschen nicht Macht über andere Menschen geben, ohne ihn in Versuchung zu führen, diese Macht zu missbrauchen"[198] meint Popper von der Existenz soziologischer Gesetze oder Hypothesen ausgehen zu dürfen, welche denen der Naturwissenschaften analog seien.[199] Solche Aussagen technologischer Form lassen sich mit Sicherheit auch für das pädagogische Feld entwickeln.

Wesentlich ist hier nun, dass diese Auffassung von Technik von der unter 2.3. erörterten verschieden ist. Dort wurde behauptet, dass in Bezug auf soziale Prozesse kein gesetzesartiges Wissen vorhanden sein kann, welches Vorhersagen erlaubt, und damit Mittelauswahl ermöglicht. Diese Schlussfolgerung, welche voraussetzt, dass erst durch die Möglichkeit der Vorhersage zukünftiger Ereignisse eine Mittelwahl stattfinden kann, übersieht aber eine durchaus treffende Unterscheidung. So kann eine Vorhersage zukünftiger Ereignisse aufgrund von Gesetzeswissen nach Popper "Prophezeiung"[200] genannt werden, welche im Falle sozialer Ereignisse nun nicht möglich ist. Des Weiteren ist man aber in der Lage, so Popper, "technologische Prognosen"[201] zu formulieren, welche uns aber lediglich mitteilen, "welche Maßnahmen wir ergreifen können, wenn wir bestimmte Resultate erzielen wollen."[202] Wurde oben eine auf Gesetzeswissen basierende Mittelwahl aufgrund hinzutretender kontingenter Merkmale des jeweiligen konkreten Erziehungsgeschehens abgelehnt, zeigen die Betrachtungen Poppers, dass schon die Ableitung einer Zweck-Mittel-Relation aus einem gesetzesartigen Zusammenhang ohne weiteres nicht möglich erscheint. Denn, insofern ein Gesetz behauptet, dass auf ein Ereignis A immer ein Ereignis B folgt, kann daraus nicht gefolgert werden, dass notwendigerweise A zu erzeugen sei, um B hervorzurufen, da uns technologische Prognosen lediglich sagen, was wir tun können, und nicht was wir notwendigerweise tun müssen, um etwas hervorzubringen.

In eindrücklicher Weise hat Klaus Kornwachs das Verhältnis von Gesetzeswissen und techno-logischen Regeln untersucht.[203] Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist das sogenannte pragmatische Statement: "Wenn B gewünscht wird (sein soll), und A produces B, dann versuche A".[204] Während Popper lediglich behauptet, dass Gesetzeswissen, Wissen darüber ist, was man nicht tun kann, zeigt Kornwachs, wie dieses pragmatische Statement zu interpretieren ist, wenn "die Begründung technischen Handelns durch Wissen auf rationale Art geschehen soll"[205]. Eine solche Begründungsleistung ist mittels der technologischen Form von Gesetzen allein selbstverständlich nicht zu leisten. Die formallogischen Untersuchungen, welche hier übergangen werden sollen[206] zeigen, dass aus einem Wissen um einen Zusammenhang der Form: ‚A produces B' das obige Statement nicht folgt, sondern lediglich dessen negative Form: ‚Wenn B unerwünscht ist und A produces B, dann versuche nicht-B durch nicht-A'.[207] Es bliebe hierbei jedoch zu klären, welche Bedeutung ‚nicht-A' haben kann. So kann damit sowohl gemeint sein, einen tatsächlichen Vorgang A nicht stattfinden zu lassen, als auch einen mit A nicht identischen Vorgang C durchzuführen.[208] Es ist somit festzuhalten, dass die Anwendung einer bestimmten Technik nicht als Erzeugung "künstlicher Prozesse"[209], sondern als "ein Filter von natürlichen Prozessen"[210] angesehen werden kann.

Insofern gelangt Kornwachs zu zwei Hypothesen über die Natur des technischen Handelns. So wird mit der ersten Hypothese behauptet, dass "wir [...] nicht in der Lage [sind], technische Bewirkungen im Sinne des Gebrauchs oder der Beeinflussung von Artefakten und vorhandenen Dingen direkt durchzuführen, sondern nur dadurch, indem wir nicht erwünschte Zustände zu verhindern versuchen."[211] Die zweite Hypothese ist mit der obigen popperschen Auffassung durchaus ähnlich. So unterstellt Kornwachs, "wenn Natur in Form von Ausdrücken wie A ? B [d.i. ein funktionaler Zusammenhang der Art ‚Immer wenn A dann auch B'; Anm. J.M.] beschrieben werden kann, können wir dieses Wissen nicht direkt anwenden, sondern immer nur durch das Mittel, wie man unerwünschte Prozesse und Zustände verhindert. Genau dies ist aber auch der wesentliche Zug von Steuerung und Kontrolle, nämlich das mehr oder weniger zu verhindern, was nicht erwünscht ist."[212] Neben einer noch zu diskutierenden ethischen Konsequenz folgt daraus, dass "wir lediglich dazu in der Lage [sind], unsere Welt durch Prävention und Negation zu kontrollieren, nicht indem wir den gewünschten Zustand unmittelbar ins Werk setzen."[213] Dies bedeutet, dass insofern ein bestimmter Zustand A erwünscht sei, versucht werden muss, diejenigen Bedingungen, welche ein Zustandekommen von A, nach Maßgabe des zuhandenen Wissens, verhindern, wiederum verhindert werden müssen.[214] Damit ist aber nicht ausgesagt, dass die Hervorbringung dieses Zustandes A auch notwendigerweise statt haben müsste. Es ist somit anzuerkennen, dass die durch Wissen rational begründeten Regeln technischen Handelns die Eigenschaft besitzen, keine Erfolgsgarantien liefern zu können. Des Weiteren ist anzumerken, dass eine Mittelwahl nicht nur aufgrund eines funktionalen Zusammenhangs mit einer unerwünschten Wirkung erfolgen kann. Wenn nämlich gefordert wird, ein A zu verhindern, damit B nicht geschehe, ist damit noch nicht gesetzt wie dieses A konkret, das heißt mit welcher Handlung, zu verhindern ist.

Demzufolge muss den unter 2. angeführten Argumentationen gegen eine technologische Auffassung von Erziehung eine Absage erteilt werden, weil letztlich der Definitionsversuch Luhmanns verworfen werden muss.[215] Der Grundgedanke dieser Definition war, dass bestimmte Verfahren mit vorhersehbaren Wirkungen angewandt würden. Mit Kornwachs ist aber festzuhalten, dass Aufgrund des Umstandes, dass "die Ziele und Zwecke, die wir nicht wünschen, im allgemeinen viel zahlreicher sind als diejenigen, die wir definitiv im Auge haben, [...] unser technologisches Handeln notwendigerweise unvollständig [ist,] und immer in Gefahr, in eine Richtung zu laufen, die wir nicht wollen."[216] Durch die Erkenntnis, dass technisches Handeln per se niemals erfolgsgarantierend ist, und weiterhin mit Popper die Möglichkeit eingeräumt werden kann, dass es durchaus erkennbare, das Soziale beschreibende und erklärende Gesetzmäßigkeiten[217] gibt, kann nun aber das Dilemma der Pädagogik, zwischen All- und Ohnmacht keinen Ausweg zu sehen, aufgelöst werden. Denn nun scheint praxisleitendes Wissen über soziale Vorgänge zugänglich zu sein, welches aber keine Vorbestimmung zukünftiger Geschehnisse oder Zustände impliziert. Der Pädagogik kann somit sinnvollerweise weder Ohmacht noch Allmacht unterstellt werden.

Die relativ umfänglichen Ausführungen unter 2. werden vor dieser Kritik des technischen Handlungsbegriffes aber keineswegs überflüssig. Die angeführten Positionen müssten vielmehr vor dem Hintergrund der Auffassungen Poppers und Kornwachs' neu beurteilt werden.



[187] Zu den Besonderheiten der Applikation von sozial validierten Normierungen und Typisierungen im Bereich des Lebenspraktischen vgl. etwa Ulrich Oevermann, Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns, in: Arno Combe/ Werner Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität, 1996, S. 70-182, hier, S. 71ff.

[188] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 90f.

[189] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 90f. Weiter oben wurde bemerkt, dass kausale Relationen möglicherweise lediglich Zusammenhangszuschreibungen sind, welche auf Erfahrungsdaten beruhen. So hatte bereits David Hume nachgewiesen, dass solche Relationen durch empirisches Wissen nicht beweisbar sind. David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Vierter Abschnitt, Zweiter Teil, Leipzig, 1920. Selbst wenn die kausalen Verhältnisse als hypothetische Gesetzmäßigkeiten gelten sollen, ist doch der Behauptung Litts im Prinzip zufolgen.

[190] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 91.

[191] Zit. Litt, Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 51.

[192] Vgl. ebd., S. 48ff.

[193] Zit. Popper, 1987, S. 49.

[194] Vgl. ebd., S. 49f., sowie Popper, 1989, S. 39ff.

[195] Vgl. Popper, 1987, S. 49.

[196] Zit. ebd.

[197] Zit. ebd. S. 50.

[198] Zit. ebd. Ob es eine solche Ähnlichkeit zwischen Sozial- und Naturwissenschaften tatsächlich gibt und worin diese dann bestehe, kann hier kaum geklärt werden. Es kann mit Popper aber festgestellt werden, dass die dahingehende Diskussion sich im Wesentlichen um die Frage dreht, ob soziale Vorgänge in einer den Naturwissenschaften analogen Form durch empirisch zu ermittelnde gesetzesartige Zusammenhänge erklärt werden können. Es soll hier dem von Popper in Anschlag gebrachten Indiz insofern gefolgt werden, dass aufgrund der Möglichkeit Aussagen über das Soziale in technologischer Form zu formulieren, auch die Möglichkeit der Erkenntnis sozialer oder soziologischer Gesetzmäßigkeiten eingeräumt wird. Es wird hier mit Popper aber auch keine Annahme über die Beweiskraft des Tatsachenmaterials für solche Hypothesen gemacht (vgl. ebd. S. 50f.).

[199] Vgl. ebd.

[200] Zit. ebd. S. 35.

[201] Zit. ebd.

[202] Zit. ebd. Diese Unterscheidung muss allerdings nicht als vollständig oder als erschöpfend gelten, so Popper.

[203] Vgl. Klaus Kornwachs, Pragmatischer Syllogismus und pluralistische Ethik, PT - 04/2002, Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Dieses Papier ist zu Teilen in abgeänderter Fassung als ‚Analytische Probleme des Pragmatischen Syllogismus', in: Abel, G. et al. (Hrsg.) Neuzeitliches Denken, Berlin 2002, erschienen. Ich werde mich hier zitierend auf das erwähnte Papier beziehen.

[204] Zit. Kornwachs, 2002, S. 13. Das ‚produces' bedeutet soviel wie ‚bringt hervor', ‚erzeugt', ‚verursacht', ‚operiert auf'. Vgl. ebd.

[205] Zit. Kornwachs, 2002, S. 19.

[206] Dies aus zweierlei Gründen. Zum Ersten lässt die Kürze dieser Arbeit eine ausführliche Diskussion der formalen Argumentation aus Platzgründen nicht zu, und zum Zweiten müsste eine solche auch die formal-logischen Schwierigkeiten der Untersuchung Kornwachs' beleuchten, was zu sehr vom eigentlichen Thema ablenken würde.

[207] Vgl. Kornwachs, 2002, S. 20.

[208] Die logische Besonderheit dieses Schlusses besteht darin, dass er nicht mit wahrheitsdefiniten Aussagen, sondern mit effektivdefiniten Durchführungen operiert. Vgl. dazu Mario Harz/ Klaus Kornwachs, Zur Logik der technologischen Effektivität, in: Forum der Forschung, 18, 2005, S. 179-184.

[209] Zit. Kornwachs, 2002, S. 22

[210] Zit. ebd.

[211] Zit. ebd.

[212] Zit. ebd.

[213] Zit. ebd. S. 21.

[214] Vgl. Kornwachs, 2002, S. 21.

[215] Vgl. dazu auch die Argumentation nach Diederich, in: Luhmann/ Schorr (Hrsg.), 1982, S. 80.

[216] Zit. Kornwachs, 2002, S. 21.

[217] Eine Möglichkeit der Prophezeiung von zukünftigen Ereignissen ist mit diesem Handlungsmodell nicht mehr notwendig. Jetzt können aufgrund der empirischen Erfahrung, dass diverse Ereignisse A mit anderen Ereignissen B gemeinsam auftreten, aus welchen hinzutretenden Gründen auch immer, die Ereignisse B als die Ursachen der Ereignisse A anerkannt werden, ohne das behauptet werden muss, dass immer wenn B dann auch A. Dies ist insofern vorteilhaft, weil die Ergebnisse empirischer Sozialforschung im Grunde nur probabilistische, das heißt statistische Gesetzmäßigkeiten feststellen, welche eine sichere Vorhersage per se nicht erlauben, aber Annahmen darüber zulassen, was versucht werden kann, damit bestimmte Ereignisse stattfinden, ohne das diese notwendi-ger Weise stattfinden müssen. Vgl. zu probabilistischen Erklärungen, Hempel, 1977, S. 61ff.

5. Zur Auflösung des Dilemmas

Ohne diese Bewertung hier jedoch abschließend oder vollständig durchführen zu können, soll zumindest an einigen Eckpunkten verdeutlicht werden, wie eine Technologie der Erziehung, das heißt eine Pädagogik, aussehen könnte. Diese Darstellung wird auch die noch ausstehenden ethischen Implikationen dieser Technik-Auffassung erläutern, und damit eine theoretische Entscheidung der gestellten Frage zwischen Sonderpädagogik und Integrations- bzw. Inklusionspädagogik ermöglichen.

5.1 Pädagogik als Stückwerk-Technologie

Der Lösungsvorschlag Wimmers das Dilemma der Pädagogik aufzulösen sah vor, nicht in eine normative Denkweise zurückzufallen, was bedeutet, dass übergeordnete Zielvorgaben als Bildungsideale auch weiterhin abzulehnen sind. Mit Verweis auf Popper muss auch die Möglichkeit einer Sozialtechnologie weiterhin ausgeschlossen bleiben, so dass lediglich Erziehungshandlungen mit kurzfristigen Zwecken in Betracht kommen, als technologische begriffen zu werden. In Bezug auf diese wurde bereits festgehalten, dass empirische Theorien der Psychologie durchaus praxisrelevantes Wissen für pädagogisches Handeln liefern könn-ten. Aus dem Wissen um einen Gesetzeszusammenhang kann logisch nun aber lediglich die Unmöglichkeit gewisser Vorhaben deduziert werden. Insofern könnte in Bezug auf die Ent-wicklungstheorie Piagets gefolgert werden, dass es kein Kind gibt, welches Rechnen lernen kann, ohne zuvor bestimmte Schemata der Mengenbildung zu beherrschen. Hiermit wäre auch ein Beispiel für einen in technologischer Form ausgesagten pädagogisch relevanten ge-setzesartigen Zusammenhang geliefert. Daraus die Vorstellung entwickeln zu wollen, dass um einem Kind Rechnen zu lehren, ihm zuvor Mengenbildungsschemata beizubringen seien, er-schient durchaus einsichtig. Dann aber zu glauben, dass dieses Kind, weil Mengenbildung als notwendige Bedingung des Rechnenkönnens gilt, auch Rechnen erlernen wird, ist fehlschlüs-sig. Auch dann, wenn alle von einer einschlägigen Theorie genannten hinreichenden Bedin-gungen des Rechen-Lernens erfüllt seien. Zum Ersten ist ein derartiger Schluss formal unzulässig, und zum Zweiten kann dieses Kind, unter der Voraussetzung, dass es eben ein freies Wesen ist, sich schlicht weigern zu rechen, oder aber den Lehrer darüber täuschen, dass es bereits rechnen kann. Kornwachs hatte darauf verwiesen, dass unsere Technik "immer in Gefahr [ist], in eine Richtung zu laufen, die wir nicht wollen."[218] Das heißt, in Bezug auf die-ses Beispiel, selbst wenn versucht wurde die Verhinderung der Entwicklung von Mengenbil-dungsschemata beim Kind zu verhindern, muss es auch diese nicht unbedingt erlernen. Inso-fern sind sowohl die Gesetze einer Wissenschaft als auch die technologischen Regeln hypothetisch. Weder die Gesetzesaussagen noch die technologischen Regeln können durch Erfahrung verifiziert werden. Lediglich eine gute Bestätigung dieser Gesetze und Regeln ist denkbar, so dass diese nicht als universell gültig gelten können.[219] Weil weiterhin klar ist, dass pädagogisches Handeln auch Nebenwirkungen erzeugen muss, welche nie immer auch erwünscht sein werden, erscheint es ratsam, insofern technologisch gehandelt werden soll, sich auf naheliegende Ziele zu konzentrieren, wie Dewey dies vorschlägt. Popper nennt derar-tiges Vorgehen ‚Stückwerktechnologie' und definiert den Stückwerk-Ingenieur wie folgt: "Wie Sokrates weiß der Stückwerk-Ingenieur, wie wenig er weiß. Er weiß, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen können. Daher wird er nur Schritt für Schritt vorgehen und die erwar-teten Resultate stets sorgfältig mit den tatsächlich erreichten vergleichen, immer auf der Hut vor den [...] unweigerlich auftretenden Nebenwirkungen."[220]

5.2 Pädagogik durch beiderseitige Verantwortung

In Anschluss daran kann nun auch geklärt werden, in welchem Ausmaße eine Verantwortungszuschreibung an den Erzieher erfolgen kann. Verantwortung kann nur dann attestiert werden, insofern die in Anrede gestellte Handlung als ursächlich für eine Veränderung zugeschrieben werden kann. Um eben dies zu ermöglichen, ist es notwendig den Zusammenhang zwischen erzieherischer Handlung und sich ergebener Veränderung zu erklären, wodurch die Anführung eines Gesetzes nötig wird. Ursache können aber nur die Aspekte des so beschriebenen Zusammenhanges genannt werden, welche auch der Willkür menschlichen Handelns zugänglich sind, und es im speziellen Einzelfall auch waren.[221] Daraus folgt nun die Einsicht, dass unter der weiterhin bestehender Annahme der Freiheit und der Annerkennung einer Eigengesetzlichkeit der Entwicklung des Educanden, die Verantwortung für ein Erziehungsgeschehen eben nicht in vollem Umfange dem Erzieher übertragen werden kann. Auch aufgrund des bereits oben diskutierten Zurechnungsproblems muss die Verantwortung für die Ergebnisse von Erziehung, wie immer diese definiert und gemessen werden mögen, allen an diesem Phänomen beteiligten Personen zugeschrieben werden. So kann etwa auffälliges Verhalten mit bestimmten sozialen Randbedingungen in Zusammenhang stehen, und diese Verhaltensweisen als Reaktion auf diese Bedingungen dem Educanden zur Verantwortung zugeschrieben werden. Der Educand kann jedoch für sein auffälliges Verhalten nicht unbedingt verantwortlich gemacht werden, insofern diese Randbedingungen etwa gewisse Zwänge auferlegen, so dass letztlich unentscheidbar bleibt, wer verantwortlich ist.[222] Im Grunde folgt diese allseitige Verantwortungszuschreibung schon aus der Forderung Litts, dass im Erziehungsgeschehen sich gleichberechtigte Wesen gegenüberstehen sollen.

5.3 Die Aufgabe der Pädagogik als Wissenschaft

Interessanterweise können die technologischen Regeln nicht als deskriptive Sätze aufgefasst werden, weil sie aus den deskriptiven Gesetzesaussagen logisch nicht zu deduzieren sind. Das heißt, dass diese Regeln normativen Charakter haben und "sich nicht nur an wissenschaftlichem Wissen, sondern auch an Wissen, das sich an institutionellen Tatsachen orientiert"[223] ausrichten müssen. So kann technologisch rationales Verhalten zwar "erklärt, aber nicht deduziert werden".[224] Der poppersche Stückwerk-Technologe betrachtet Endziele, wie etwa zu erreichende Bildungsstandards, als außerhalb seines Gebietes liegend[225], weil darauf ausgerichtete Unternehmen, ob ihrer "Komplexität und Tragweite [...] es ihm unmöglich [machen], Ursachen und Wirkungen zu entwirren und zu wissen was er eigentlich tut."[226] Pädagogen benötigen also ein normatives Wissen darüber, welche psychischen Zustände sie bei ihren Educanden nicht entstehen sehen wollen. Des Weiteren benötigen sie ein deskriptives Wissen darüber, wie diese Zustände entstehen, also welche Bedingungen eine einschlägige Theorie dafür nennt, und müssen dann eben diese Bedingungen zu verhindern suchen. Wenn ein Pädagoge also beispielsweise will, dass ein Kind keinen frühkindlichen Hospitalismus entwickelt, muss er versuchen, und mehr kann er nicht tun, das Auftreten von Bedingungen, welche eben dieses Phänomen begünstigen zu verhindern.[227] Das heißt im konkreten Einzelfall, muss der Erziehende verhindern, dass das Kind keine menschliche Wärme, wenig Kommunikation, geringste äußerliche Reize erfährt. Welche Handlungen dieser Verhinderung im hier skizzierten Fall entsprechen, ist damit noch nicht festgelegt. Durch die unter 2.4 erwähnten Umstände werden die Handlungsmöglichkeiten aber begrenzt werden, weil diverse Mittel als unzulässig gelten können.[228]

Es zeigt sich also, dass eine Erziehungswissenschaft, folgte man den hiesigen Überlegungen, keine positiven Imperative noch Verbote an die Hand geben kann. Sie ist lediglich dazu in der Lage den Praktiker über seiner Willkür zugängliche Zusammenhänge aufzuklären, damit dieser dann nach Maßgabe seiner Ziele und Zwecke eben die Bedingungen zu verhindern suchen soll, die Entwicklungen zur Folge haben können, welche er für unerwünscht halten möge. Der Konjunktiv ist an dieser Stelle angebracht, weil das Gegenüber des Erziehers auch ein Mensch ist, welcher in der Lage sein wird, sich den Bemühungen des Erziehers zu entziehen, oder aber unempfänglich bleiben kann. Damit scheint eines der wesentlichen Merkmale einer so verstandenen erzieherischen Technologie Bescheidenheit zu sein. Dadurch wird pädagogisches Handeln aber nicht, wie Litt meint, auf ein "bloßes Pflegen und Fördern [dem Educanden] immanenter Zweckrichtungen"[229] beschränkt, weil die pädagogischen Handlungen immer auch an äußerliche soziale und institutionelle Normsetzungen gebunden sind.

5.4 Erziehung als freies Handeln

Nun können auch pädagogische Forderungen wie etwa die Folgende verstanden werden. So heißt es bei Sander: "Lehr- und Lernbedingungen sollen so gestaltet werden, dass alle Kinder in der inklusiven Klasse nach ihren individuellen Möglichkeiten lernen und arbeiten und Freude haben können."[230] Die vermeintliche inhaltliche Armut dieser Aussage lässt sich in Hinblick auf die hier entwickelten Überlegungen als eben das deuten, was theoretische Pädagogik überhaupt in der Lage sein kann, auszusagen. Durch einen Verweis auf eine beschreibende Theorie des Lernens, der Arbeit und des Freudehabens kann sie aber noch dahingehend spezifiziert werden, welche konkreten Bedingungen innerhalb des Klassenraumes zu verhindern seien. Im Sinne der Stückwerk-Technologie sind die Wirkungen dieser Verhinderungen ständig mit den Erwartungen zu vergleichen, ohne dass dabei die Schüler in der so arrangierten Umgebung sich selbst überlassen bleiben. Wie aber konkret, auch in Bezug auf jeden einzelnen Schüler, zu verfahren ist, kann aus theoretischem Wissen allein nicht mehr abgeleitet werden. Dieser Umstand muss aber nicht als Unsicherheit sondern kann als Freiheit des Pädagogen interpretiert werden.[231]

5.5 Pädagogik als Garant freier Entwicklung

Aufgrund der beiderseitigen Verantwortungszuschreibung für Ergebnisse von erzieherischem Geschehen für Veränderungen der Dispositionen der Educanden[232] lässt sich nun die Forderung ableiten, dass durch den Erzieher oder die erziehende Institution keine Bedingungen geschaffen werden dürfen, welche Entwicklungen der Educanden nach sich ziehen, für die diese prinzipiell nicht mehr verantwortlich sein können. Das bedeutet nicht, dass der Educand die Veränderungen seiner psychischen Dispositionen immer willentlich verursacht haben muss, da diese als Ergebnis komplexer Prozesse aufgefasst werden müssen. Es soll lediglich gefordert werden, dass ein Educand auch die Wahlfreiheit besitzt, sich solchen Prozessen entziehen und aussetzen zu können, so dass ihm insofern mittelbar Verantwortung für seine Entwicklungen zugeschrieben werden kann.[233] Wenn man also nur dafür verantwortlich gemacht werden kann, wofür man sich frei entschieden hat, muss eine grundsätzliche Maxime erzieherischen Handelns sowohl die Garantie der Wahlmöglichkeit als auch der Freiheit, diese Wahl treffen zu können, sein. Andernfalls handelt es sich dieser Auffassung nach mitnichten um Erziehung sondern um Zwang oder Training oder dergleichen. Die Bürde, diese Wahlfreiheit zu garantieren, hat nun der Erziehende und die erziehende Institution zu tragen, auch weil technisches Wissen eben und vor allem "machtschlüssig"[234] ist, das heißt in weitaus umfänglicherem Rahmen von sozialen und institutionellen Gegebenheiten abhängig ist als von empirischem Wissen. Die von Uhle aufgeworfene Schwierigkeit der Interpretation von Verhaltensweisen der Educanden wird nun nur dann wesentlich, insofern derartige Verhaltensweisen auftreten, die eigentlich unerwünscht waren, man also über Entwicklungen negativ überrascht ist.[235] In diesen Fällen ist zu untersuchen, ob die diesbezüglich als präventiv wirkend erachteten Mittel von den Erziehenden angewandt wurden. Diese Reflexion müsste dann entweder zu Veränderungen des sogenannten erzieherischen Handelns führen, oder aber zu einer Erforschung der gegebenen sozialen Situation Anlass geben, welche neues Wissen um die Bedingungsgefüge bereitstellen kann, woraus sich bis dato unbekannte präventive Handlungsweisen entwickeln lassen sollten. Die Ergebnisse einer so verstandenen Erziehung werden aber immer überraschend bleiben, und die Entwicklungen der Educanden somit frei.[236]



[218] Zit. Kornwachs, 2002, S. 21.

[219] Vgl. Popper, 1989, X. Kapitel Bewährung, S. 198ff. Der Terminus ‚Bewährung' wird von Popper eingeführt um einen neutralen Terminus zur Hand zu haben, mit welchem sich ausdrücken lässt, in welchem Maße eine Hypothese strengen Prüfungen standgehalten hat. Vgl. ebd. S. 198, Fn. 1.

[220] Zit. Popper, 1987, S. 54.

[221] Vgl. Edgar Zilsel, Über die Asymmetrie der Kausalität und die Einsinnigkeit der Zeit, in: Die Naturwissen-schaften, Heft 12, 1927, S. 280-286.

[222] Vgl. dazu etwa Georg Theunissen, Pädagogik bei geistiger Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten, 42005, S. 54ff. Auffälliges Verhalten kann wohl als Ausdruck einer ‚gestörten sozialen Situation' (ebd., S. 58f.) aufgefasst werden, so dass eine beiderseitige Verantwortungszuschreibung für dieses in Anschlag zu bringen ist.

[223] Zit. Kornwachs, 2002, S. 33.

[224] Zit. ebd.

[225] Vgl. Popper, 1987, S. 52.

[226] Zit. ebd. S. 54.

[227] Vgl. Diederich, in: Luhmann/ Schorr, 1982, S. 81f.

[228] Dass diese institutionelle Begrenzung durchaus von Vorteil oder gar notwendig ist, um Handlungsmöglichkeiten überhaupt erst zur Wahl zu stellen, zeigt Wieland: "Institutionen, die eine konkrete Lebenswelt prägen, nehmen nicht nur auf die einzelnen Handlungsentscheidungen Einfluss, sondern sie schaffen häufig erst die Alternativen, zwischen denen eine Entscheidung getroffen werden muss." Zit. Wieland, 1989, S. 37.

[229] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: ders. Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 99.

[230] Zit. Sander, in: Schnell/ Sander (Hrsg.), 2004, S.17.

[231] Vgl. Urs Haeberlin, Ernst Suter, Ist Erziehung planbar. Ein Briefwechsel über die Wiedersprüche des Päda-gogischen, in: VHN, 74, Heft 2, 2005, S. 156-162.

[232] Möglicherweise kann somit die zugegebenermaßen bescheidene Handlungsmenge der Erziehenden als Erzie-hung und die dem Educanden prinzipiell zur Verantwortung zugeschriebenen Veränderungen seiner Selbst als Bildung bezeichnet werden.

[233] Hier wird die ‚technologische Verfaltenssteuerung' nach Diederich zum Problem, weil durch gesetzte materiale Bedingungen bestimmte Prozesse von vornherein nicht stattfinden können

[234] Kornwachs, 2002, S. 33.

[235] Insofern die erwünschten und letztlich auch erwarteten Ergebnisse der erzieherischen Handlungen in großem Umfange, das heißt bei einer großen Zahl der Educanden sich einstellen, kann von einer ‚erfolgreichen' Konzep-tion der Erziehung gesprochen werden. Weil aber die Verantwortungszuschreibung notwendiger Weise beider-seitig erfolgen muss, ist es schlicht unerheblich ob die Dispositionsveränderungen tatsächlich auf Handlungen der Erziehenden zurückzuführen sind, oder nur als ‚Nebenwirkungen' der eigentlich verhinderten Entwicklungs-prozesse auftreten. In Fällen in denen Entwicklungen von Verhaltensweisen oder Handlungsdispositionen statt-finden, die als akzeptabel gelten können, aber nicht erwartet worden sind, wären Änderungen der erzieherischen Handlungen im Grunde nicht notwendig. Erst wenn auf diese Entwicklungen im Allgemeinen Wert gelegt würde sind Untersuchen über die entsprechenden Bedingungsgefüge angezeigt. Wenn sich dann herausstellte, dass Bedingungen der unterstellten funktionalen Zusammenhänge auch der Willkür der Erziehenden zugänglich sind, erscheinen dahingehende Veränderungen aber auch sinnvoll.

[236] Sowohl frei von Zwängen als auch frei um irgendetwas, nicht von Außen bestimmtes, zu werden.

6. Die ethische Konsequenz

In Anschluss an diesen Gedankengang, schlägt Kornwachs ein Prinzip der Bedingungserhaltung vor: "Handle so, dass die Bedingungen der Möglichkeit des verantwortlichen Handeln für alle Beteiligten erhalten bleiben."[237] Dieses durchaus ethisch zu nennende Prinzip kann nun zu einem allgemeinen pädagogischen erhoben werden, weil es sich eben nicht aus einem bestimmten Anthropologismus oder einer Theologie oder einem sonstigen höchsten Ideal herleitet, sondern aus einer technologischen, handlungstheoretischen Betrachtung dessen was Pädagogik sein könnte. Dabei dient es keineswegs der Handlungsorientierung, kann aber als Prüfstein unternommener und zu unternehmender pädagogischer Handlungen gelten.[238]

Kornwachs führt drei Gefährdungen der Bedingung der Möglichkeit verantwortlichen Handelns an. So werden von ihm Formen des Diskursentzuges, des Wissensentzuges und des Optionsentzuges genannt. Der Diskursentzug verletzt dabei die zwei von Kornwachs in Anschluss an seine technologischen Untersuchungen als "invarianten Kern"[239] dieser Ethik bezeichneten Prinzipien der Mehrwertigkeit und der Interkontextualität. Diese werden notwendig, weil Entscheidungen hinsichtlich bestimmter technologischer Mittel zur "Installation von soziotechnischen und organisatorischen Systemen"[240] führen, welche über die "zeitlichen Grenzen legislativer Institutionen und auch über Diskursgrenzen hinweg sich entwickeln und Folgen zeitigen."[241] Diese Prinzipien werden auch für die Institutionen der Erziehung notwendig, weil gezeigt wurde, dass es keine zeitlich unbegrenzt gültige Pädagogik geben kann. Das Prinzip der Mehrwertigkeit bestimmt hierbei keinen Wert als primär und unterstellt zeitlich veränderliche Präferenzrelationen der Werte, während das Prinzip der Interkontextualität Transformationsregeln als Bedingung der Möglichkeit des ethischen Diskurses zwischen den Kommunikationsgemeinschaften für deren Werte, Präferenzrelationen und Diskursregeln fordert.[242] Der Wissensentzug wird von Kornwachs knapp als Verlust von eigentlich zuhandenem Wissen charakterisiert, und unter Optionsentzug ist die wohl eingrenzende "Veränderung der Randbedingungen des menschlichen Handelns durch Existenz und Wachstum großer technisch-organisatorischer Systeme"[243] zu verstehen. Feuser hat in seinem Aufsatz ‚Geistig Behinderte gibt es nicht!'[244] der Sonderpädagogik nun sowohl Diskurs-, Wissens- als auch Optionsentzug attestiert. Er wirft der Sonderpädagogik damit vor, "Herrschaftspädagogik"[245] zu sein. Daher kann nach den hier geleisteten Überlegungen nun begründeter Maßen gesagt werden, dass die Verfahrensweisen der von Feuser angeprangerten Pädagogik für Behinderte aus pädagogischen Erwägungen als negativ zu bewerten sind, weil diese den ethischen Anforderungen einer so technisch aufgefassten Erziehung nur unzureichend genügen. Es muss mit Feuser also klar für eine allgemeine, also inklusive Pädagogik votiert werden.



[237] Zit. Kornwachs, 2002, S. 36.

[238] Hierbei bliebe zu untersuchen, ob dieses Kriterium tatsächlich von jeder politischen oder moralischen Ideologie unabhängig ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. So könnte man annehmen, dass man mittels dieser quasi-technologischen Erziehung zu beliebigen Verhaltensweisen und Moralauffassungen erziehen könnte. Der hohe Anspruch der Garantie der Freiheit des Educanden, und der Verzicht auf die Gabe einer Erfolgsgarantie lässt aber vermuten, dass vornehmlich demokratische Ideale, also Gewaltverzicht, Diskursbereitschaft und Toleranz verwirklicht werden. Eine Erziehung zu Gefolgsleuten totalitärer politischer Systeme ist im eigentlichen Sinne nicht möglich. Das heißt nicht, dass durch gewisse repressive Methoden solche Gefolgsleute nicht geschaffen werden könnten, nur ist dieses Erschaffen keine Erziehung im hier entwickelten Sinne, sondern letztlich Zwang. Insofern kann vermutet werden, dass ‚Erziehung' auch ein demokratisch-freiheitliches Ideal darstellt. Vgl. dazu Axel Honneth, Demokratie als reflexive Kooperation. John Dewey und die Demokratietheorie der Gegenwart, in: ders., Das Andere der Gerechtigkeit, 2000, S. 282-309.

[239] Zit. Kornwachs, 2002, S. 35.

[240] Zit. Kornwachs, 2002, S. 35.

[241] Zit. ebd.

[242] Vgl. ebd.

[243] Zit. ebd. S. 36.

[244] Vgl. Feuser, in: Geistige Behinderung, 1996, S. 18-25.

[245] Zit. ebd. S. 24.

7. Schluss

Dieses Votum kann nun aber nicht nur als eine ethisch-moralische Entscheidung verstanden werden, es ist auch ein technisches und insofern erfolgs- oder nutzenorientiertes. Da die ethischen Überlegungen in Anschluss und somit engem Zusammenhang mit dem hier entwickelten Handlungsmodell zu sehen sind, kann behauptet werden, dass eine Verringerung einschränkender Umstände für die Educanden eher zu erwünschten und positiv zu bewertenden Ergebnissen führen kann. Je stärker die verändernden Prozesse, denen ein Educand ausgesetzt sein kann, begrenzt sind, desto geringer werden auch seine Entwicklungsmöglichkeiten sein. Bestimmte Entwicklungen werden sogar schlichtweg nicht eintreten können, weil notwendige Bedingungen für diese, etwa durch Beschränkungen der Curricula, verhindert, und somit unwirksam werden. Nicht zu halten ist dagegen die These, dass durch ein ‚least restrictive environment'[246] alle zu erwartenden Entwicklungen auch wirklich gemacht werden, nur sind die Chancen auf diese wohl als höher zu bewerten. Die Gefahr, dass unerwünschte Veränderungen der Dispositionsgefüge der Educanden geschehen, muss aber realistischerweise ebenso als erhöht erachtet werden, worauf flexible, das heißt diskursbereite Institutionen wohl eher angemessen werden reagieren können. Vor dem Hintergrund der deweyschen These der Funktion von Erziehung für den Fortbestand einer sozialen Gruppe, ist eine größtmögliche Optionserhaltung zu favorisieren, weil eine dahingehende Begrenzung eine Einschränkung dieser Funktion bedeutete.[247]

Ob eine Pädagogik, welche diesem hier vorstellig gemachten Handlungsmodell folgte, auch eine Technologie sei, bleibt aber dennoch weiterhin schwierig zu beantworten. Gerade die Besonderheiten des Objektes erzieherischer Handlungen lassen eine Erwartbarkeit von Erfolgen in viel geringerem Maße zu, als bei technischen Handlungen, die auf Objekte ohne eigne Zwecksetzungen sich beziehen. Selbst wenn man diese Frage auch negativ beantworten wollte, so ist doch zuzugestehen, dass erzieherisches Handeln als rationalisierbares, planbares und verantwortungsvolles Handeln anerkannt werden kann. So kann mit Litt geschlossen werden, dass "der Erzieher [...] weniger Freiheit der Gestaltung als der Künstler, weniger Willkür als der Techniker [hat] -- aber er hat mehr Spielraum der ‚Bildung' als der Züchter"[248]. Das wimmersche Dilemma kann damit als aufgelöst erachtet werden.

Letztlich ist noch anzumerken, dass auch eine inklusive Pädagogik, welcher hier eher als Beispiel, denn als programmatische Aufgabe, der Vorzug vor einer separierenden Sonderpädagogik gegeben wurde, weder garantieren kann, dass die nach ihren Methoden erzogenen Schüler eher wünschenswerte Entwicklungen machen, noch davor gefeit ist, organisatorische Systeme zu schaffen, welche für einige der betroffenen Personen restriktive Umwelten bedeuten. Aus konzeptioneller Sicht sind aber die Chancen einer ‚inklusiven Pädagogik' Erziehung im hier vertretenen, wenngleich radikalen und möglicherweise auch idealen Sinne zu sein, ungleich größer.



[246] Vgl. Reiser, in: Sonderpädagogik, 1986, S. 118.

[247] Dies birgt, nach Dewey nicht zu unterschätzende Risiken. Die Begrenzung von Optionen für Teile einer Gesellschaft, führt dazu, dass es keine große Zahl gesamtgesellschaftlich gemeinsamer Interessen gibt. "Der Mangel an [...] freie[m] und gleichberechtigte[m] Wechselverkehr, der aus einer Mannigfaltigkeit gemeinsamer Interessen entspringt, stört das Gleichgewicht der intellektuellen Anregung [,und] je mehr die Betätigungen auf wenige bestimmte Richtungen beschränkt sind, [...] um so mehr werden sie bei der benachteiligten Klasse zu bloßer Routine, bei der materiell besser gestellten unberechenbar, planlos und explosiv." Zit. Dewey, 2000, S. 117f.

[248] Zit. Litt, Das Wesen des pädagogischen Denkens, in: ders., Führen oder Wachsenlassen, 1952, S. 99.

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Stand: 29.01.2007

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