Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen

Abschließender Projektbericht

Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Diese Publikation entstand im Jahr 2014 im Rahmen des EU-Daphne-Projekts „Zugang von Frauen mit Behinderung zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen“ (JUST/2011/DAP/AG/3293). Sie basiert auf Berichten, die im Rahmen des Projekts von folgenden Autorinnen erarbeitet wurden: Helena Mader; Janina Rosemeier; Monika Schröttle; Sonali Shah; Hrafnhildur Snæfríðar- og Gunnarsdóttir; Rannveig Traustadóttir; Kathrin Vogt; Sarah Woodin. Übersetzung: Katharina Aigner, Sabine Mandl, Janina Rosemeier, Kathrin Vogt, Monika Schröttle
Copyright: © Sabine Mandl, Julia Planitzer, Anna Schachner, Claudia Sprenger 2014

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Dieser abschließende Projektbericht präsentiert die zentralen Ergebnisse des EU-Projekts: „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen“. Das vergleichende EU-Projekt (Laufzeit 2013 bis 2015) wurde in vier europäischen Ländern durchgeführt: Österreich, Deutschland, Island und Großbritannien. In Österreich war das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (Projektkoordination) zusammen mit den Organisationen queraum (Kultur- und Sozialforschungsinstitut) und NINLIL (Verein für Empowerment und Beratung von Frauen mit Behinderungen) für die Durchführung verantwortlich. Die übrigen ProjektpartnerInnen waren in Deutschland die Universität Gießen, in Island die Universität Island und in Großbritannien die Universitäten Leeds und Glasgow.

Eine Analyse der Sekundärliteratur zur Wechselwirkung von Gewalt, Geschlecht und Behinderungen hat ergeben, dass ein klarer Mangel an Daten besteht, besonders in Hinblick darauf, wie Frauen mit Behinderungen Gewalt erfahren und inwieweit Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen[1] für sie zugänglich sind.

So zeigte eine der wenigen vorhandenen Studien von Schröttle et al.[2] aus dem Jahr 2012 – dabei handelt es sich um die einzige repräsentative Untersuchung zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen, – dass Frauen mit Behinderungen in Deutschland zwei- bis dreimal so häufig von Gewalt betroffen sind wie Frauen in der Durchschnittsbevölkerung. In Bezug auf den Zugang zu Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen hoben u.a. Swedlund / Nosek (2000)[3] hervor, dass nur wenige Frauenhäuser, Notrufe, Beratungsstellen, etc. Leistungen für Frauen mit Behinderungen explizit in ihren Leitbildern, Strategien, Planungen und Programmgestaltungen berücksichtigen.

Vor diesem Hintergrund zielte das Projekt darauf ab, die Bandbreite an Gewalterfahrungen von Frauen mit Behinderungen und deren Nutzung von Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen zu erforschen.

Das Projekt widmet sich drei Bereichen:

  1. Einschätzung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen,

  2. Erhebung von umfassenden empirischen Daten durch die Befragung von Frauen mit Behinderungen (Fokusgruppen, Tiefeninterviews) und Unterstützungseinrichtungen (Online-Befragung, Interviews mit Mitarbeiterinnen) und

  3. Identifizierung von Good-Practice-Beispielen sowie Ausarbeitung von Empfehlungen.

Zu jedem der drei Bereiche wurde für jedes teilnehmende Land ein nationaler Bericht sowie in weiterer Folge ein vergleichender Bericht erstellt, der die zentralen Themen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifizierte.

Die wichtigsten Projektergebnisse (einschließlich des abschließenden Projektberichts und einer Broschüre für Frauen mit Behinderungen) sind barrierefrei zugänglich, d.h. in Leichter Sprache, Gebärdensprache und Sprachausgabe auf der Projektwebsite:

Deutsche Versionen: http://women-disabilities-violence-humanrights.at/de/publikationen

Englische Versionen: http://women-disabilities-violence-humanrights.at/publications

Das gesamte Projektteam bedankt sich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Frauen, die bereit waren, durch Gespräche den Forschungsprozess zu unterstützen.

Insbesondere gilt der Dank jenen Frauen, die durch ihre beeindruckende Offenheit über ihre Gewalterfahrungen eine wissenschaftliche Erhebung zu diesem Thema überhaupt ermöglichten. Das Projektteam will mit den Studienergebnissen einen Beitrag zur Verbesserung der Situation der von Gewalt betroffenen Frauen mit Behinderungen leisten.



[1] Damit sind gemeint: Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Notrufe, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen gegen Gewalt, etc.

[2] Schröttle, M./Hornberg, C.: „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“, Universität Bielefeld im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2012. Online verfügbar: Kurzbericht, 62 Seiten http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Lebenssituation-und-Belastungen-von-Frauen-mit-Behinderungen-Kurzfassung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

[3] Swedlund, N. P./Nosek, M. A.: An exploratory study on the work of independent living centers to address abuse of women with disabilities, 2000, Journal of Rehabilitation 66(4):57-64. WHO 2013.

2. Kurzfassung

2.1 Rechtliche und politische Rahmenbedingungen

Die vorliegenden Forschungsergebnisse zeigen, dass in allen vier Ländern eine Vielzahl nationaler Gesetze existiert, die darauf abzielen, Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Personen mit Behinderungen vor Rechtsverletzungen und Diskriminierung zu schützen.

Wenn jedoch beide Merkmale – Geschlecht und Behinderung – zusammenfallen und Frauen mit Behinderungen Gewalt erleben, zeigen sich Lücken im System; häufig mangelt es an entsprechenden Unterstützungsleistungen, die die Betroffenen auch tatsächlich befähigen, ihre Rechte einzufordern.

Frauen mit Behinderungen erleben beim Zugang zur Justiz eine Reihe von Barrieren, die es ihnen bisweilen unmöglich machen, notwendige Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Häufig wachsen Frauen mit Behinderungen mit einem geringen Selbstwertgefühl auf, wodurch sie meist nur zögerlich oder gar nicht ihre Rechte vor Gerichten einfordern. Die Projektergebnisse verdeutlichen weiter, dass Menschen mit Behinderungen von den Behörden oft als weniger glaubwürdig und verlässlich angesehen werden, wenn sie Fälle von Gewalt berichten oder zur Anzeige bringen. Dies liegt darin begründet, dass das Verhalten der Mitarbeitenden der Polizei, von Gerichten und Sozialbehörden oftmals von Stereotypen über die Sexualität von Frauen mit Behinderungen geprägt ist, was bei der Strafverfolgung von Sexualdelikten zu schwerwiegenden Problemen führen kann. Auch haben Frauen mit Behinderungen während der Gerichtsverfahren häufig keinen Zugang zu notwendigen Informationen. Diese Faktoren erklären die erhebliche Diskrepanz zwischen der Zahl von Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen einerseits, und der Zahl von betroffenen Frauen, die tatsächlich Zugang zum Recht haben, andererseits.

2.2 Perspektiven von Frauen mit Behinderungen

Die folgenden Forschungsergebnisse basieren auf einer empirischen Erhebung, in welcher insgesamt 106 Frauen mit Behinderungen im Rahmen von Fokusgruppendiskussionen und 59 Frauen mit Behinderungen in Tiefeninterviews ihre individuellen Erfahrungen und Sichtweisen dargelegt haben.

Gewalterfahrungen

Die befragten Frauen berichteten von einer Vielzahl an unterschiedlichen Formen von Gewalt, die sie während ihrer Kindheit, Jugend und im Erwachsenenalter erlebten, darunter psychische, emotionale, physische, sexualisierte sowie institutionelle Gewalt. Eine Frau mit Behinderung hob im Interview hervor: „[...] es gibt keinen Ort, an dem Frauen mit Behinderungen nicht Gewalt erfahren könnten [...]“. Die Mehrheit der befragten Frauen erlebten häusliche Gewalt und für einige Frauen, die in Institutionen lebten oder noch immer leben, waren / sind Gewalt und Diskriminierung allgegenwärtig.

Frauen mit Behinderungen sind genauso wie nicht-behinderte Frauen – aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit – der Gefahr ausgesetzt, unterschiedliche Formen von Gewalt erfahren zu müssen. Aufgrund der spezifischen Situationen von Frauen mit Behinderungen sind deren Gewalterfahrungen jedoch häufig komplexer und vielschichtiger, vor allem dann, wenn sie von anderen Menschen oder Institutionen abhängig sind. Dies erhöht das Gewaltrisiko und hält die betroffenen Frauen meist davon ab, Unterstützung zu suchen.

Psychische Gewalt wurde von den Frauen sehr häufig angesprochen: In allen Ländern berichteten Frauen darüber, abwertend behandelt, bedroht, unterdrückt und eingeschüchtert worden zu sein. Insbesondere Frauen, die zu Hause lebten und sich von ihren PartnerInnen, die manchmal zugleich ihre Betreuungspersonen waren, abhängig fühlten, sprachen über Isolation, Manipulation und Kontrolle. Darüber hinaus stellte die Begegnung mit unterschiedlichen Vorurteilen einen häufigen Ausdruck von psychischer Gewalt dar. Beispielsweise berichteten Frauen, dass sie nicht ernst genommen wurden, und dass anstatt mit ihnen zu sprechen, über sie gesprochen wurde. Insbesondere Frauen mit Lernschwierigkeiten und Sinnesbeeinträchtigungen hoben hervor, dass sie in der Schule und in Pflegeheimen Mobbing ausgesetzt waren. Andere Formen psychischer Gewalt bestanden im Mobbing am Arbeitsplatz oder Stalking im Freundeskreis. Viele der befragten Frauen mit Behinderungen haben seit ihrer Kindheit und Jugend psychische Gewalt durch ihre Eltern erfahren, was sie anfälliger für Gewalt im Laufe ihres weiteren Lebens machte.

Physische Gewalt war ebenfalls eine Erfahrung, die die meisten Frauen teilten; die Bandbreite der erwähnten Gewalttaten reicht von Schlägen, Anspucken, Stößen oder Tritten bis hin zu Würgen oder versuchtem Mord durch Ersticken. Physische Gewalt, die Frauen im Zusammenhang mit ihren Behinderungen erlebten, umfasste auch das Vorenthalten von medizinischer Versorgung oder die Nötigung zur Sterilisation. Weil sich Frauen mit Behinderungen häufig weniger zur Wehr setzen können (nicht weglaufen, nichts hören, nichts sehen können, usw.), sind sie einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt.

Sexualisierte Gewalt war eines der am häufigsten genannten Gewaltdelikte. Vor allem in ihrer Kindheit und Jugend waren Frauen unterschiedlichsten Formen sexualisierter Gewalt ausgesetzt, von Berührung ihrer Genitalien und sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit bis hin zu schweren Formen wie wiederholter Vergewaltigung, manchmal über Jahre hinweg. Die in der Gesellschaft noch immer vorherrschende Sichtweise, Mädchen und Frauen mit Behinderungen seien ‚asexuell‘, begünstigt das Überschreiten von Grenzen und die unentdeckte Ausübung sexueller Gewalt. Des Weiteren kann das Fehlen von Sexualerziehung dazu führen, dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen oft ihre eigenen Grenzen nicht kennen und daher nie gelernt haben, ‚Nein‘ sagen zu dürfen.

Institutionelle Gewalt

Frauen, die in betreuten bzw. stationären Wohneinrichtungen lebten, berichteten von Missachtung und Verletzung der Privatsphäre, Vernachlässigung, Demütigungen und dass sie unter Druck gesetzt wurden, Dinge zu tun, die sie nicht wollten. Institutionelle Gewalt wurde in der Regel durch Mitarbeitende der Institutionen ausgeübt, wobei ungleiche Machtverhältnisse und kontrollierendes und dominierendes Verhalten dazu führten, das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung und Autonomie zu verletzen. Neben diesen Formen psychischer Gewalt war das Leben von Frauen in Institutionen oft auch durch sexualisierte Gewalt und Missbrauch bestimmt.

Insbesondere die befragten Frauen aus Großbritannien berichteten von Zwangsehen als einer weiteren Form von Gewalt. In Island wurden Probleme rund um die gesetzliche Fürsorge angesprochen, beispielsweise wenn die Frauen keine eigene Entscheidungsfreiheit mehr hinsichtlich der Wahl des Wohnortes oder anderer Belange in ihrem Leben haben. Davon abgesehen wurde die finanzielle Abhängigkeit von PartnerInnen und Institutionen, besonders in Zusammenhang mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus bei Frauen mit Migrationshintergrund, als möglicher Hintergrund für Gewalterfahrungen genannt.

TäterInnen

Frauen mit Behinderung, die Gewalt in der Kindheit und Jugend erlebten, nannten als TäterInnen[4] meist Väter und, wenngleich weniger häufig, Mütter oder/und andere Familienmitglieder, wie zum Beispiel Brüder, Onkel, Großeltern, Stiefeltern sowie Menschen im nahen sozialen Umfeld der Familie oder des Kindes (FreundInnen, LehrerInnen, NachbarInnen, Betreuungspersonen, FahrerInnen, TherapeutInnen, ÄrztInnen, etc.). Während sich in einigen Fällen der Missbrauch durch den Vater auch im Erwachsenenalter fortsetzte, wurden mit zunehmendem Alter der gewaltbetroffenen Frauen immer häufiger PartnerInnen und Ehepartner als TäterInnen genannt.

Auf institutioneller Ebene wurden häufig andere BewohnerInnen, MitarbeiterInnen, FahrerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen erwähnt.

Unterstützende Faktoren

Frauen mit Behinderungen identifizierten drei Bereiche von unterstützenden Faktoren, die sie in Gewaltsituationen als hilfreich erlebt hatten:

  1. Unterstützung durch einzelne Personen

  2. Unterstützung durch formelle und informelle Unterstützungssysteme

  3. Unterstützung durch persönliche Ressourcen und die eigene Stärke.

Die Unterstützung durch einzelne Personen in allen Lebensphasen wurde am häufigsten genannt.

Unterstützung durch einzelne Personen

Viele Frauen unterstrichen die wichtige Rolle, die Familienmitglieder bei der Bewältigung ihrer Gewalterfahrung spielten. Andere Personen, die häufig als besonders hilfreich angesehen wurden, waren Verwandte und FreundInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen, mobile Betreuungspersonen, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen.

In anderen Fällen berichteten die Frauen jedoch von mangelnder Unterstützung durch Familienmitglieder. Dies wurde als besonders schwerwiegend empfunden, vor allem in der Kindheit, da Unterstützung oder therapeutische Hilfe oft nicht ohne die Unterstützung durch Familienmitglieder erreicht werden können.

Unterstützung durch das formelle und informelle Unterstützungssystem

Unter das formelle Unterstützungssystem fallen Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen und Unterstützungseinrichtungen, wie Frauenhäuser, Notrufe, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen usw. Das informelle Unterstützungssystem bezieht sich auf weniger strukturierte Angebote, wie Selbstverteidigungskurse, Selbsthilfegruppen, etc., die teilweise auch von Privatpersonen oder Vereinen angeboten werden. Bei den Frauen, die formelle Einrichtungen aufgesucht haben, waren die Erfahrungen sehr unterschiedlich.

Einige Frauen waren sehr zufrieden, aber andere berichteten davon, dass sie von den MitarbeiterInnen nicht ernst genommen wurden und / oder keine adäquate Unterstützung erhielten. Mögliche Ursachen sahen sie darin, dass die Einrichtungen nicht über entsprechende Ressourcen und / oder über das notwendige Wissen verfügten. In allen Ländern wurden jedoch Peer-Beratung (auf formeller, aber auch informeller Ebene), Empowerment- Bewegungen, Selbstverteidigungskurse und Selbsthilfegruppen als sehr hilfreich und unterstützend bewertet. Wenngleich, wie bereits erwähnt, nur wenige Frauen Anzeige bei der Polizei erstatten und / oder sich von den Behörden ernst genommen fühlen, hoben einige Frauen als positiv hervor, dass sie von einzelnen PolizeibeamtInnen, RichterInnen und anderen BehördenmitarbeiterInnen positive Unterstützung erhalten hatten.

Persönliche Ressourcen und eigene Kraft

Oftmals gelingt es gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderungen erst mithilfe vieler kleiner Schritte, ein (teilweise) unabhängiges Leben ohne Gewalt zu bewerkstelligen. Die befragten Frauen hoben hervor, dass es häufig andere Menschen waren, die ihnen dabei geholfen haben, ihre persönlichen Ressourcen zu stärken, eigene Grenzen wahrzunehmen und Gewalt auch zu benennen.

Viele Frauen gingen unterschiedliche Wege, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, zum Beispiel durch das Aufschreiben ihrer Gedanken, durch die Teilnahme an Tanz- oder Yogakursen, autogenem Training oder Ausbildungsprogrammen, Haustiere, durch Berufstätigkeit, etc. In einigen Fällen gelang es betroffenen Frauen, eine persönliche Assistenz zu erhalten, wodurch sie der Gewalt durch Betreuungspersonen oder durch institutionelle Pflege entkamen. Das ermöglichte es ihnen, positive Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen zu machen und ihr Selbstvertrauen zu stärken.

Wissen der Frauen über ihre Rechte und die Nutzung von Unterstützungseinrichtungen

Das Wissen der befragten Frauen mit Behinderungen über ihre Rechte variierte stark in allen vier Ländern. Während eine kleine Zahl der Studienteilnehmerinnen gut informiert war, verfügten die meisten über ein geringes Verständnis der rechtlichen Grundlagen. Die meisten Frauen hatten jedoch Erfahrungen mit therapeutischen Unterstützungsmaßnahmen, sei es in Krankenhäusern oder durch private PsychologInnen und PsychotherapeutInnen. In allen Ländern berichteten Frauen, dass sie nur in geringem Ausmaß Unterstützungseinrichtungen, wie Frauenhäuser oder Fachberatungsstellen, aufgesucht hatten.

Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen und Mobilitätseinschränkungen gaben als Gründe an, dass diese nicht barrierefrei für sie waren. Nur eine Minderheit der Teilnehmerinnen sagte, dass es ausreichend Unterstützungseinrichtungen und -leistungen in ihrer Region gab. Viele Frauen fühlten sich unzureichend darüber informiert, an wen sie sich wenden können und ob die Einrichtungen für ihre individuellen Bedürfnisse ausgestattet sind.

Erfahrungen mit Barrieren

Frauen mit Behinderungen identifizierten eine Vielzahl von Barrieren in Bezug auf den Zugang zu Unterstützung und ein Leben ohne Gewalt. Viele Frauen befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den TäterInnen, auf die sie zur Bewerkstelligung ihres alltäglichen Lebens angewiesen sind – sowohl zu Hause als auch in institutionellen Einrichtungen – und zögern daher oft, die TäterInnen anzuzeigen. Ein wichtiger abschreckender Faktor ist die Angst, keine angemessene alternative Unterstützung zu erhalten. Weitere hervorgehobene Barrieren beinhalten den Mangel an barrierefrei zugänglichen Einrichtungen und Informationen, die Angst, von MitarbeiterInnen ignoriert oder nicht ernst genommen zu werden, sowie den Mangel an finanziellen Ressourcen.

Ungleiche Machtverhältnisse

Mittlerweile unbestritten ist die Tatsache, dass gewalttätige Beziehungen auf ungleichen Machtverhältnissen beruhen. Für einige der befragten Frauen waren diese über lange Zeiträume hinweg allgegenwärtig. Studienteilnehmerinnen begründeten die von ihnen erlebte Machtlosigkeit mit einer Reihe von Faktoren, zum Beispiel fehlenden Möglichkeiten sich zu verteidigen, der ständigen Kontrolle durch die TäterInnen ausgesetzt zu sein (zum Beispiel in Wohneinrichtungen) oder der Angst davor, notwendige Dinge wie Unterstützung oder barrierefreien Wohnraum zu verlieren.

2.3 Perspektiven von Einrichtungen

Die folgenden Ergebnisse der empirischen Forschung basieren auf einer Online-Befragung von 602 Einrichtungen[5] und auf 54 Interviews mit MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen. Bei den meisten Einrichtungen handelte es sich um Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen, wie Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen gegen Gewalt, und zu einem geringeren Anteil um Institutionen und Organisationen aus dem Behindertenbereich mit einem Fokus auf Gewalt.

Zugänglichkeit nach Beeinträchtigungen

Die Einrichtungen wurden gebeten, mittels Selbsteinschätzung die Zugänglichkeit ihrer Unterstützungsleistungen für Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zu beurteilen. Dies machte einen eklatanten Mangel an Unterstützung für blinde, sehbeeinträchtigte, gehörlose und hörbeeinträchtigte Frauen sichtbar. In Österreich, Deutschland, Island und Großbritannien gibt es entweder keine oder nur eine sehr kleine Anzahl an Unterstützungseinrichtungen (2 % bis 13 %), die für diese Zielgruppe uneingeschränkt zugänglich sind. Eine ebenfalls benachteiligte Gruppe sind Frauen mit Lernschwierigkeiten, auch wenn der Prozentsatz der als zugänglich beurteilten Einrichtungen etwas höher ist (9 % bis 13 %). Das Unterstützungsangebot erhöht sich für mobilitätsbeeinträchtigte Frauen, variiert jedoch stark: Die Prozentsätze in den Länderstudien reichen von 9 % (Deutschland) bis 46 % (Österreich, Großbritannien) und sogar 66 % (Island). In allen Ländern waren Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen die Klientinnengruppe, die die Angebote am meisten nutzen (27 % bis 70 %). Des Weiteren wurden die teilnehmenden Organisationen gefragt, in welchem Ausmaß sie Frauen unterstützen können, die in stationären oder teilstationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben bzw. Pflege oder Unterstützung brauchen. Hier wies Island (40 %) die höchste Rate auf, gefolgt von Großbritannien (29 %), Österreich (13 %) und Deutschland (6 %).

Maßnahmen zur Gewährleistung von Barrierefreiheit

Die Einrichtungen wurden dazu befragt, welche Maßnahmen getroffen wurden, um Barrierefreiheit zu gewährleisten. Die am häufigsten beschriebenen Maßnahmen umfassten Beratung für Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen und chronisch kranke Frauen sowie Informationen in Leichter Sprache für Frauen mit Lernschwierigkeiten. Die niedrigsten Prozentzahlen (zwischen 0 % und 4 %) wurden für bauliche Adaptierungen wie zum Beispiel das Anbringen von Schildern in Braille oder die Verwendung von Lichtglocken und Leitsystemen für blinde Frauen angegeben.

Zugang zu Informationen und Öffentlichkeitsarbeit

Mit Ausnahme einiger Organisationen, die bereits aktiv Frauen mit Behinderungen ansprechen und barrierefreie Informationen bereitstellen, führte die Mehrheit der teilnehmenden Organisationen keine solchen Aktivitäten durch. Einige Organisationen wussten nicht, wie sie Frauen mit Behinderungen erreichen können; viele berichteten, dass sie nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um das ‚Mehr‘ an Beratung und Unterbringung bewältigen zu können, wenn sie Frauen mit Behinderungen vermehrt ansprechen würden.

Kooperation und Vernetzung

Ein Großteil der Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen kooperierte mit anderen Organisationen im selben oder in einem ähnlichen Tätigkeitsbereich, wie Gesundheitseinrichtungen oder Beratungsstellen. Was jedoch die Vernetzung und Kooperation mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen[6] und Selbstvertretungsorganisationen[7] betrifft, lag der Prozentsatz nur zwischen 20 % und 33 %.[8]

Herausforderungen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit

In allen Ländern sprachen Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen davon, dass es noch viele Herausforderungen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit gebe. Als zentraler Punkt wurde der Mangel an fehlenden finanziellen Ressourcen genannt. Alle befragten Einrichtungen befanden, dass sie über zu wenig Kapazitäten, Ressourcen und Wissen über „Gewalt und Behinderungen“ verfügten, um Frauen adäquate Unterstützungsleistungen anbieten zu können. Das Thema Frauen mit Behinderungen und Gewalt sei aus ihrer Sicht nach wie vor gesellschaftlich tabuisiert und es bedürfe öffentlichkeitswirksamer und bewusstseinsbildender Aktivitäten vor allem auf gesellschaftspolitischer Ebene. Abschließend sahen viele Barrierefreiheit – im weitesten Sinn[9] – als etwas an, das zur Gänze ohnehin nicht zu erreichen sei, was einige davon abgehalten hat, das Thema überhaupt „anzupacken“.

2.4 Good-Practice-Beispiele und Empfehlungen

VertreterInnen von Unterstützungseinrichtungen und Organisationen für Menschen mit Behinderungen identifizierten bei nationalen Workshops „Good-Practice- Beispiele“. Aus all diesen nationalen Praxisbeispielen wurden pro Land bis zu fünf Beispiele auf der Basis von gemeinsam entwickelten Leitlinien und Kriterien ausgewählt. Diese Kriterien und Leitlinien sind das Ergebnis eines gemeinsamen Prozesses, an dem Frauen mit und ohne Behinderungen aus allen Ländern mitwirkten.

Die in der vorliegenden Studie erarbeiteten Empfehlungen sind ein gemeinsames Produkt vor allem von Frauen mit Behinderungen und MitarbeiterInnen unterschiedlichster Einrichtungen. Die Empfehlungen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen, insbesondere politische EntscheidungsträgerInnen auf EU- und nationaler Ebene, Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Organisationen für Menschen mit Behinderungen und Selbstvertretungsorganisationen bzw. Interessensvertretungen.



[4] zum überwiegenden Teil Männer

[5] Österreich: 77 Einrichtungen; Deutschland: 442 Einrichtungen; Großbritannien: 73 Einrichtungen; Island: 10 Einrichtungen (kleinere Stichprobe aufgrund geringer Gesamtbevölkerungsgröße)

[6] Unter Organisationen für Menschen mit Behinderungen sind beispielsweise Dachverbände, Interessensgruppen, Wohneinrichtungen, Werkstätten und sonstige Vereine der Behindertenhilfe, außer Selbstvertretungsorganisationen gemeint.

[7] Selbstvertretungsorganisationen sind Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen die nach den Kriterien der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung organisiert sind.

[8] Insbesondere Frauenhäuser und Notrufe gaben an, wenig mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen und Selbstvertretungseinrichtungen zu kooperieren.

[9] Hier ist barrierefreier Zugang zu Baulichkeiten, Infrastruktur und Informationen sowie Angebote und Serviceleistungen, die auf die Bedürfnisse von Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen zugeschnitten sind, gemeint.

3. Methoden und Datenüberblick

3.1 Definitionen der wichtigsten Begriffe

Die Grundlage für die Definition von Grundbegriffen im Rahmen dieser Untersuchung basiert auf der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Behinderungen werden im Rahmen dieses Forschungsprojekts im Sinne des sozialen Modells von Behinderung definiert. Im Kern besagt das soziale Modell, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen behindert sind, sondern durch das gesellschaftliche und soziale System – durch Barrieren und Ausgrenzungsmechanismen – ausgegrenzt und an einer gleichberechtigten Teilhabe gehindert werden.

Das im Rahmen dieser Untersuchung angewandte Verständnis von Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen basiert auf der Definition von Gewalt gegen Frauen, wie sie in der UN-Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen festgelegt ist. Der Begriff umfasst demnach jede Handlung geschlechtsspezifischer Gewalt, die der Frau physischen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben. Das Forschungsprojekt entwickelte daraus vier Kategorien von Gewalt: psychische, physische, sexualisierte sowie institutionelle Gewalt. Im Rahmen der empirischen Untersuchung jedoch war es für das Forschungsteam essentiell, die befragten Frauen selbst definieren zu lassen, welche Handlungen sie als Form der Gewalt betrachteten.

Zugänglichkeit und Barrierefreiheit wird insbesondere durch Art. 9 und Art. 2 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehr umfassend definiert und diente als Grundverständnis des Forschungsprojekts. Es müssen geeignete Maßnahmen getroffen werden, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen vollen Zugang zu beispielsweise Transportmitteln oder Information und Kommunikation sowie zu öffentlichen Einrichtungen und Diensten haben. Partizipation, also die aktive Teilhabe an allen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Lebensbereichen, wird im Rahmen der Untersuchung vom Verständnis der befragten Frauen geprägt. Kern des Verständnisses von Teilhabe ist das Prinzip „Nichts über uns ohne uns“.

3.2 Analyse der Sekundärliteratur – Rechtliche und politische Rahmenbedingungen

Zu Beginn des Projekts wurden die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie die vorhandene Unterstützungsstruktur in allen vier Ländern erhoben und analysiert. Der inhaltliche Schwerpunkt lag dabei auf der Untersuchung der bestehenden internationalen und nationalen Standards in Bezug auf den Schutz von Frauen vor Gewalt und das Ausmaß der Implementierung und Anwendbarkeit dieser Standards auf gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen. Diese Analyse stellte die notwendige Basis für die darauf folgende empirische Forschungsarbeit dar. Auf Basis der durch die jeweiligen nationalen Partnerinnen erarbeiteten nationalen Berichte erstellte das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte einen vergleichenden Bericht, der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Länderergebnisse herausarbeitete.

3.3 Empirische Forschung

Der empirische Teil der vorliegenden Studie verwendete einen gemischten methodologischen Ansatz – sowohl qualitative als auch quantitative Daten wurden im Rahmen des einjährigen Forschungsprozesses erhoben. Die empirische Untersuchung des Themas „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen“ konzentrierte sich auf zwei Zielgruppen: zum einen auf Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen[10], die Gewalt erfahren haben, zum anderen auf Unterstützungseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen und Organisationen bzw. Einrichtungen, die bei Gewalt spezialisierte Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen anbieten.

Das Forschungsprojekt ging von der Prämisse aus, dass Frauen mit Behinderungen selbst die besten Expertinnen für ihre eigenen Gewalterfahrungen und Bedürfnisse sind und legte daher einen Schwerpunkt auf die aktive Einbeziehung von Frauen mit Behinderungen. So nahmen in jedem Land zwischen 22 und 39 Frauen mit Behinderungen (Ausnahme Island: 16) im Alter von 18 bis 69 Jahren an Fokusgruppen (insgesamt 106 Frauen) und 16 Frauen mit Behinderungen (Ausnahme Island: 11) an individuellen Tiefeninterviews (insgesamt 59 Frauen) teil.

In Island war die Stichprobe aufgrund der geringen Gesamtbevölkerung kleiner. Darüber hinaus nahmen in allen vier Ländern insgesamt 602 Einrichtungen an einer Online- Befragung, sowie 54 VertreterInnen von Einrichtungen an individuellen Interviews teil. Es wurde jedoch keine systematische Befragung aller Organisationen und Einrichtungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen[11] durchgeführt, wenn bekannt war, dass sich deren Unterstützungsleistungen nicht auf Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen erstreckten.

Des Weiteren nahmen Frauen mit und ohne Behinderungen als Forscherinnen und Mitglieder der beratenden Beiräte am Projekt teil. Die Forscherinnen in den verschiedenen Ländern trafen sich auch während des Projekts mit den Mitgliedern der Beiräte: zu Beginn, zur Überprüfung der empirischen Forschungsarbeit, zur Entwicklung einer Strategie zur Öffentlichkeitsarbeit, etc.

Die vorliegende Studie ist nicht repräsentativ. Sie versucht jedoch, qualitative Tendenzen aufzuzeigen, wie die Biographien der einzelnen Frauen mit ihren Gewalterfahrungen zusammenhängen und Vorschläge zu entwickeln, inwieweit die Nutzung vor allem von formellen Unterstützungsstrukturen für Frauen mit Behinderungen verbessert werden kann.

Frauen mit Behinderungen

Fokusgruppendiskussionen mit Frauen mit Behinderungen

In allen vier Ländern haben die Projektpartnerinnen Frauen mit unterschiedlichen Formen von Behinderung als Teilnehmerinnen der Fokusgruppen identifiziert und versucht, eine diverse Stichprobe im Hinblick auf zum Beispiel Alter, Stadt / Land / Klein- oder Großstadt, geographische Region, Familienstand und Ethnie zu erreichen. Einige Fokusgruppendiskussionen wurden nach Beeinträchtigungen organisiert, um barrierefreie Zugangs- und Teilnahmevoraussetzungen zu schaffen (Leichte Sprache, Gebärdensprachdolmetschung, etc.). Der Interviewleitfaden enthielt Fragen zum Verständnis und zur Definition von Gewalt, zu Orten, an denen Gewalt ausgeübt wurde, zu Barrieren beim Zugang zu Unterstützungseinrichtungen, zu Verbesserungsvorschlägen und guten Praxisbeispielen sowie Fragen zum Wissen von Frauen mit Behinderungen über ihre Rechte. Der inhaltliche Schwerpunkt des Leitfadens lag somit auf den Unterstützungsstrukturen und nicht auf der Beschreibung individueller Gewalterfahrungen (obwohl die Mehrheit der Frauen darüber sprach). Die Frauen bekamen im Vorfeld keine Definitionen von Gewalt oder Barrierefreiheit; sie wurden stattdessen dazu aufgefordert, zu diskutieren, was sie unter diesen Begriffen verstanden. Einige der in den Fokusgruppen anwesenden Frauen erklärten sich bereit, auch an den Tiefeninterviews teilzunehmen.

Die folgende Tabelle zeigt eine Zusammenfassung der ForschungsteilnehmerInnen:

Tabelle 1 – TeilnehmerInnenübersicht nach Land

Österreich

Deutschland

Island *

Großbritannien

Gesamt

Fokusgruppendiskussionen mit Frauen mit Behinderungen

5 Gruppen gesamt: 22 Teilnehmerinnen

6 Gruppen gesamt: 39 Teilnehmerinnen

3 Gruppen gesamt: 16 Teilnehmerinnen

4 Gruppen gesamt: 29 Teilnehmerinnen

106 Frauen

Tiefeninterviews mit Frauen mit Behinderungen

16 Frauen

16 Frauen

11 Frauen

16 Frauen

59 Frauen

Online- Befragung der Einrichtungen

77 Einrichtungen (Rücklaufquote 54 %)

442 Einrichtungen (Rücklaufquote 54 %)

10 Einrichtungen (Rücklaufquote 100 %)

73 Einrichtungen (Rücklaufquote 39 %)

602 Einrichtungen

Interviews mit VertreterInnen der Einrichtungen

15 TeilnehmerInnen

15 TeilnehmerInnen

9 TeilnehmerInnen

15 TeilnehmerInnen

54 VertreterInnen

* In Island wurde aufgrund der kleineren Gesamtbevölkerungszahl eine kleinere Stichprobe ausgewählt.

Tiefeninterviews mit Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren haben

Bei den qualitativen biographischen Interviews wurden die Frauen zu Gewalt, die sie im Laufe ihres Lebens erfahren haben, befragt: Kindheit und Jugend sowie frühes und späteres Erwachsenenalter. Dadurch konnten Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen von Gewalt und deren Verlauf sichtbar gemacht werden. Das Ziel war es nicht, einzelne Gewalterfahrungen als solche zu analysieren, sondern die Komplexität der Gewaltdynamiken und die zugrundeliegenden Ursachen zu erforschen. Während der Interviews wurde sichergestellt, dass die interviewten Frauen bei Bedarf psychologische oder sonstige Unterstützung bekamen. Die Tiefeninterviews fanden anonym und mit voller Zustimmung der Teilnehmerinnen statt.

Einrichtungen

Online-Befragung der Einrichtungen

Im Rahmen einer quantitativen Online-Befragung wurden die teilnehmenden Einrichtungen zum derzeitigen Ist- Stand ihrer Unterstützungsstrukturen im Bereich Opferschutz- und Gewaltberatung sowie zu deren Zugänglichkeit für Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen umfassend befragt. Zusätzlich wurden mithilfe offen strukturierter Fragen Verbesserungspotenziale und Zukunftsperspektiven der Einrichtungen erhoben. An der Online-Befragung nahmen folgende Einrichtungen teil: Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen gegen Gewalt in der Familie, Beratungszentren, Notrufe, Beratungsstellen und spezifische Anlaufstellen für Frauen mit Behinderungen bei Gewalterfahrungen sowie Anlaufstellen oder Beratungsstellen für Frauen und Männer mit Behinderungen.

Interviews mit MitarbeiterInnen von Einrichtungen

In jedem Land wurden ergänzend zu der Online-Befragung qualitative Interviews mit MitarbeiterInnen der Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen durchgeführt, um die quantitativen Daten inhaltlich zu spezifizieren und zu vertiefen. Auch hier war eine Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen vertreten, darunter zum Beispiel Frauenhäuser, Notrufe, Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen gegen Gewalt in der Familie sowie einige Organisationen für Menschen mit Behinderungen, die Unterstützungsleistungen speziell für Frauen bei Gewalterfahrung anboten.

3.4 Ausarbeitung von Good-Practice- Beispielen und Empfehlungen

Auf der Basis der gewonnen empirischen Daten, die die Erfahrungen von gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderungen widerspiegeln und die Einschätzungen der Einrichtungen wiedergeben, wurden Empfehlungen ausgearbeitet, um die barrierefreie Zugänglichkeit zu Unterstützungsleistungen für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen zu verbessern. Zudem identifizierte jedes nationale Projektteam bis zu fünf „Good-Practice-Beispiele“, die aufzeigen, in welchen Bereichen die Betreuung und Beratung von Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren haben, bereits gut funktioniert und wo die einzelnen Länder voneinander lernen können. Die Auswahl der „Good-Practice- Beispiele“ basierte auf gemeinsam entwickelten Kriterien und Leitlinien.

Weitere Informationen über die gesammelten „Good- Practice-Beispiele“ einschließlich der Auswahlkriterien sind auf der Projektwebsite verfügbar: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/de/publikationen



[10] Die Arten der Behinderungen reichten von Mobilitäts- und Sinnesbeeinträchtigungen über psychische Beeinträchtigungen bis hin zu Frauen mit Lernschwierigkeiten oder mehrfachen Beeinträchtigungen.

[11] Damit sind beispielsweise Dachverbände, Interessensgruppen, Wohneinrichtungen, Werkstätten und sonstige Vereine der Behindertenhilfe, außer Selbstvertretungsorganisationen gemeint.

4. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen

In diesem Kapitel geht es um die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie die vorhandenen Unterstützungsstrukturen. Die Forschung belegt, dass Frauen mit Behinderungen deutlich häufiger Gewalt erleben als Frauen ohne Behinderungen.[12]Dennoch fehlen vielfach Unterstützungsstrukturen, besonders für Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erlebt haben. Wo solche Strukturen existieren, sind Frauen mit Behinderungen, die Unterstützung in Anspruch nehmen wollen, mit vielen Hindernissen und Barrieren konfrontiert. So sind allgemeine Unterstützungseinrichtungen für Betroffene häuslicher Gewalt für Frauen mit Behinderungen oft nicht barrierefrei zugänglich. Gleichzeitig sind spezifische Unterstützungseinrichtungen für Menschen mit Behinderungen oft nicht auf geschlechtsspezifische Gewalt vorbereitet oder dafür sensibilisiert. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der Zahl von gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderungen einerseits, und der Zahl jener, die tatsächlich Zugang zum Recht haben, andererseits. Nur wenige Frauen mit Behinderungen sind in der Lage, ihre Rechte vor den Gerichten einzufordern.

Gesetze gegen Gewalt gegen Frauen mit und ohne Behinderungen

Verschiedene internationale und nationale Menschenrechtsinstrumente befassen sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen, zum Beispiel das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ und die „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“.[13] Die Überwachungsorgane der UN-Menschenrechtsübereinkommen beziehen Frauen mit Behinderungen mittlerweile zwar verstärkt in ihre Arbeit ein, jedoch bedarf es noch zusätzlicher Anstrengungen, damit Frauen mit Behinderungen zu ihren vollen Rechten gelangen. Auf EU-Ebene müssen alle Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass auch Frauen mit Behinderungen vollen Zugang zu den Mindeststandards von Rechten, Unterstützungsleistungen und Schutzmaßnahmen für Opfer von Straftaten haben.[14]

Auf nationaler Ebene verfügen alle vier Länder über eine Vielzahl an Gesetzen. In Großbritannien etwa wurde die Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt reformiert und das Thema Diskriminierung aufgrund Behinderung wird im Gleichstellungs- und Menschenrechtsgesetz von 2010 behandelt. In Island gibt es ein Gesetz zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Jede Region Islands müsste eine Rechtsschutzbeauftragte bestellen, die sich mit dem Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen befasst, die Situation beobachtet und Menschen mit Behinderungen unterstützt. Österreich hat, ähnlich wie Deutschland, die relevanten Gesetze in einem Gewaltschutzgesetz zusammengefasst. Jedoch bestehen weiterhin signifikante Lücken beim Schutz von gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderungen, insbesondere wenn sie in Institutionen leben. Zum Beispiel ist in Deutschland die Möglichkeit von Wegweisungsmaßnahmen nicht für Frauen anwendbar, die in Einrichtungen leben, oder wenn der Täter/die Täterin für die Pflege des Opfers verantwortlich ist. Alle Länder haben gemeinsam, dass die Gesetze im Bereich Gewaltschutz zwar auch auf Frauen mit Behinderungen anwendbar, aber nur beschränkt an deren tatsächliche Bedürfnisse angepasst sind.

Umsetzung von Gesetzen

Zur Umsetzung internationaler und regionaler Standards sowie nationaler Gesetze wurden in allen vier Staaten nationale Aktionspläne (NAPs) in Verbindung mit Strategien oder Arbeitsgruppen beschlossen und implementiert. Mit Ausnahme Deutschlands wird Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen in den bestehenden nationalen Aktionsplänen oder Strategien nicht oder nur sehr oberflächlich behandelt. So definiert der kürzlich in Österreich verabschiedete nationale Aktionsplan zu Gewalt gegen Frauen (2014) zwar als Ziel, Unterstützung und Beratung für Frauen mit Behinderungen anzubieten, er enthält jedoch keine detaillierten Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Innerhalb Großbritanniens gibt es vier relevante Aktionspläne, aber keiner beinhaltet das Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen. In Deutschland wurde das Thema im Jahr 2007 im nationalen Aktionsplan zu Gewalt gegen Frauen aufgegriffen. In weiterer Folge wurden regionale Netzwerkmöglichkeiten und eine staatliche Arbeitsgruppe eingerichtet. Allerdings verfügen nicht alle deutschen Bundesländer über nationale Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Alle vier Länder verfügen über Unterstützungsstrukturen in Bezug auf Gewalt gegen Frauen, wie beispielsweise Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen gegen Gewalt, Frauenberatungsstellen und/oder 24-Stunden- Notrufe. Spezifische Initiativen für Frauen mit Behinderungen finden sich jedoch nur vereinzelt.

Während in Österreich und Großbritannien nur wenige Initiativen oder NGOs spezialisierte Unterstützung für von gewaltbetroffene Frauen anbieten, wurden in Deutschland bereits seit 2007 mehrere Frauennotrufe und -beratungseinrichtungen, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen befassen, eingerichtet. Positiv kann hervorgehoben werden, dass es in Deutschland und Österreich verbesserte Kooperationen zwischen Unterstützungsstrukturen für Gewalt gegen Frauen und Interessensgruppen von Frauen mit Behinderungen bereits gibt. So kooperiert in Österreich zum Beispiel der Verein NINLIL[15] bei Bedarf mit Fachberatungsstellenwie zum Beispiel mit dem Notfallberatungszentrum ‚notruf.beratung‘. In Großbritannien unterstützt ‚Deafhope‘ gehörlose Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erfahren haben. In Deutschland vertritt das Netzwerk ‚Weibernetz e.V.‘ die Interessen von Frauen mit Behinderungen und arbeitet seit vielen Jahren zum Thema Gewalt. Die Organisation ist mit dem nationalen Netzwerk der Frauennotrufe (bff) vernetzt, welches wichtige Arbeit für die bessere Unterstützung von Frauen mit Behinderung leistet.

Praktische Anwendbarkeit von Gesetzen auf Frauen mit Behinderungen

In Bezug auf die praktische Anwendung von Gesetzen auf Frauen mit Behinderungen hat das vorliegende Forschungsprojekt zwei Herausforderungen identifiziert: Erstens weisen die rechtlichen Strukturen und ihre Umsetzung für Frauen mit Behinderungen – wie bereits erwähnt – Lücken auf. Es fehlen spezifische Gesetze, um Frauen mit Behinderungen effektiv vor Gewalt schützen. Die Nicht-Erwähnung von Frauen mit Behinderungen in bestehenden Gesetzen gegen Gewalt führt dazu, dass ihre spezifischen Bedürfnisse und Realitäten in der Rechtsanwendung nicht berücksichtigt werden.

Bestehende Strukturen wie das österreichische System der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt in Strafprozessen sind nicht auf die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zugeschnitten. Nach der lange Zeit in Deutschland geltenden Rechtslage wurde zum Beispiel bei einer sexuell missbrauchten Frau, die grundsätzlich ihren Willen ausdrücken kann, aber sich aufgrund ihrer Beeinträchtigung / Behinderungen nicht zur Wehr setzen kann bzw. im Strafprozess nicht beschreiben kann, wie sie sich zur Wehr gesetzt hat, generell angenommen, dass sie grundsätzlich nicht in der Lage ist, sich zu wehren. Das führte zu einem geringeren Strafmaß für den/die TäterIn, da sexualisierte Gewalt gegenüber ‚widerstandsunfähigen‘ Personen mit einem stark reduzierten Strafausmaß einhergeht.

Zweitens zeigen die Forschungsergebnisse in allen vier Ländern, dass Frauen mit Behinderungen oft aufgrund früherer Erfahrungen Angst haben, dass die Behörden ihre Glaubwürdigkeit anzweifeln, und daher zögern, Gewaltvorfälle der Polizei oder den Gerichten zu melden. So stellt ein Hassverbrechen (ein Verbrechen, das durch ein Merkmal des Opfers, einschließlich Behinderung, motiviert ist) eine strafbare Handlung dar, das zunehmend angezeigt wird, dennoch werden weiterhin viele Vorfälle nicht gemeldet. Von den Frauen aus Großbritannien wurde darüber hinaus berichtet, dass sie sich von Behörden oft „übermäßig beschützt“ fühlten und dass der Großteil der TäterInnen nicht juristisch verfolgt werde.



[12] Siehe zum Beispiel Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2014): Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung, S. 186 sowie Schröttle / Hornberg et al. 2014.

[13] Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt trat am 1. August 2014 in Kraft. Es wurde bisher innerhalb der am Projekt teilnehmenden Länder ausschließlich von Österreich unterzeichnet und ratifiziert; von Deutschland, Island und Großbritannien wurde es bisher lediglich unterzeichnet. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde in der Gruppe dieser Länder mit der Ausnahme von Island bereits von Deutschland, Großbritannien und Österreich ratifiziert. Erst mit der Ratifikation wird ein Übereinkommen oder Vertrag für den Staat völkerrechtlich verbindlich.

[14] Siehe dazu Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JHA.

[15] Verein für Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderungen, www.ninlil.at

5. Erfahrungen von Frauen mit Behinderungen

5.1 Gewalterfahrungen im Lebensverlauf

Dieses Kapitel fasst die individuellen Gewalterfahrungen von Frauen mit Behinderungen zusammen, die an den Fokusgruppendiskussionen und den Tiefeninterviews teilgenommen haben. Ziel war es, ein umfassendes Bild über die unterschiedlichen Gewalterfahrungen in Zusammenhang mit den einzelnen Lebensbiographien zu erhalten und herauszufinden, welche Art der Unterstützung gewaltbetroffene Frauen in Anspruch nahmen. Insbesondere in den Tiefeninterviews wurden die Frauen zu ihren Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit, Jugend und im Erwachsenenalter befragt.

Alle Frauen erfuhren im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Formen von Gewalt, durch verschiedene TäterInnen und in verschiedenen Kontexten. Die meisten Frauen in dieser Studie jedoch erlebten Gewalt zu Hause durch ihre PartnerInnen oder Familienmitglieder und in manchen Fällen in Institutionen[16], in denen sie wohnten oder immer noch wohnen. Viele Frauen erzählten von vielfältigen Gewaltsituationen, die sie fortlaufend in allen Lebensphasen erlebten, was darauf hinweist, dass Gewalt im Leben von vielen Frauen mit Behinderungen allgegenwärtig ist.

Frauen mit Behinderungen – wie auch nicht-behinderte Frauen – sind der Gefahr ausgesetzt, unterschiedliche Formen von Gewalt zu erleben. Aufgrund ihrer spezifischen Lebenssituation sind ihre Gewalterfahrungen jedoch häufig komplexer, vor allem dann, wenn die Betroffenen von anderen Menschen oder Institutionen abhängig sind. Diese Abhängigkeit erhöht das Gewaltrisiko und hält Frauen oft davon ab, Unterstützung zu suchen.

5.1.1 Kindheit und Jugend

Die Frauen berichteten von unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Gewalt, vor allem im familiären und nahen sozialen Umfeld aber auch in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Schulen, besonders in Internaten und Wohnheimen, sowie in anderen institutionellen Kontexten (institutionelle Gewalt).

Fast alle Frauen hatten in ihrer Kindheit und Jugend psychische Gewalt erfahren. Sie beschrieben Drohungen, Demütigungen, Ängste, Vernachlässigung und Beleidigungen. Neben psychischer Gewalt berichteten sehr viele Frauen aber auch von physischen Gewalterfahrungen, die „häufig“, „immer“ und „wegen jeder Kleinigkeit“ vorkamen. Das Ausmaß von physischer Gewalt wurde oft als sehr schwerwiegend beschrieben, zum Beispiel schwere Prügel und Tritte, Schläge ins Gesicht, bespuckt oder gestoßen werden. Häufig stand die erlebte Gewalt in Verbindung zu den Beeinträchtigungen der Frauen, wie die folgenden Beispiele zeigen:

„[…] mein Papa der hatte mich auch geschlagen gehabt, also nur so beim Laufen, ich bin ja am Humpeln und mein Papa meinte, wenn ich mich anstrenge, könnte ich besser laufen. Und deswegen hat er einmal auch, als wir unterwegs zu meiner Halbschwester waren, die hat auch in der Gegend gewohnt und da hat er ‘nen Knüppel genommen und wollte meinen Fuß schlagen.“ (Beispiel aus Deutschland)

„Der Großvater wollte das einzige Enkelkind fördern, ich sollte hören können. Ich hab damals ein Hörgerät um den Hals getragen, mit den Kabeln ins Ohr. Da hat er mir manchmal draufgeschlagen auf das Ohrstück und dann habe ich geblutet. Es war so furchtbar. Und der Keller mit den Hörtests! Ich hatte solche Angst. Es war so unheimlich für mich als kleines Kind. Und der Großvater hat mich dort hineingezerrt.“ (Beispiel aus Österreich)

Zusätzlich spielte auch sexualisierte Gewalt eine wichtige Rolle in der Kindheit vieler Frauen, wobei die Schilderungen von Berührung der Genitalien und sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit bis hin zu jahrelanger schwerer sexualisierter Gewalt reichen, wie Massenvergewaltigungen mit erzwungenen Abtreibungen. Als Täter wurden meist Väter und andere enge – zumeist männliche – Familienmitglieder genannt. Einige Frauen waren auch sexueller Belästigung und Vergewaltigungen durch NachbarInnen und Fremde in der Öffentlichkeit ausgesetzt.

„[…] er hat mich einfach am Bett festgehalten. Ich hab einen Schuss von damals noch, ich glaub das ist mir geblieben. Achtarmige Tiere, Spinnen. Ich habe Furcht. Und mir ist einfach vorgekommen er hat acht Arme und hat mich niedergehalten und ich hab mich gewehrt und so und es ist mir nicht gelungen, weil er ebenso viele Hände gehabt hat. Und ist in mich eingedrungen. Und ich hab das, also echt schlimm, aber ich hab mich nicht schreien getraut, weil er mir den Mund zugehalten hat auch und außerdem, wenn ich kurz, wenn du was sagst dann, dann schlag ich dich. Ich hab mich nichts sagen getraut.“ (Beispiel aus Österreich)

Die noch immer vorherrschende Ansicht der Gesellschaft, dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen ‚asexuell‘ sind, begünstigt und fördert die Überschreitung von Grenzen und die unentdeckte Ausübung sexualisierter Gewalt. Des Weiteren könnte ein Mangel an Sexualerziehung, insbesondere bei Frauen mit kognitiven Beeinträchtigungen, dazu führen, dass Mädchen und Frauen ihre eigenen Grenzen nicht kennen und Probleme haben ‚Nein‘ zu sagen. Aus diesen Gründen ist für Frauen mit Behinderungen das Risiko besonders hoch, von TäterInnen missbraucht zu werden, die die besondere Situation von Frauen ausnutzen, um ihre Macht und Dominanz zu demonstrieren.

Frauen aus allen Ländern berichteten von Beispielen für verschiedene Formen von Gewalt im institutionellen Kontext, so etwa im Zusammenhang mit dem Besuch von Schulen, Ausbildungsstätten oder Internaten oder bei der Inanspruchnahme therapeutischer Leistungen. Beispiele beinhalteten: vor der ganzen Schule lächerlich gemacht werden, nicht spielen dürfen, eingesperrt werden oder festgehalten und zum Essen gezwungen werden. Eine Frau erinnerte sich daran, von einem Physiotherapeuten so gewalttätig behandelt worden zu sein, dass ihre Knochen gebrochen wurden. Eine andere Frau berichtete, dass ihnen die Bettdecke von männlichem Personal am Morgen abgedeckt wurde. Des Weiteren erzählten gehörlose Frauen häufig von sexualisierter Gewalt durch gehörlose Jungen in Schulen für gehörlose SchülerInnen. Mobbing in der Schule durch MitschülerInnen und SchülerInnen aus anderen Klassen wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls oft erwähnt.

„Als ich in der Oberstufe war gab es ein paar Jungen, die haben mich angeschaut und gesagt: „Da kommt die Behinderte“ und, naja, haben mich beschimpft: „Da kommt die komische Behinderte, gehen wir woanders hin.“ Eben, es war für mich immer irgendwie so.“ (Beispiel aus Island)

5.1.2 Erwachsenenalter

Gewalterfahrungen im Erwachsenenalter waren oft geprägt von bereits erlebter Gewalt in der Kindheit. Eine Frau aus Deutschland definierte es folgendermaßen: „[…] und dann hatte ich auch schon eine drauf gekriegt und konnte, und hab mich dann auch nicht mehr gewehrt, ich hab das dann einfach nur noch über mich ergehen lassen. Weil ich dann wieder dieses innerliche Kind hochkam, du bist dafür da.“ Für andere, die in der Kindheit keine Gewalt erfahren hatten, begann die Gewalt erst im Erwachsenenalter.

Die beschriebenen Formen von Gewalt umfassten psychische, physische, sexualisierte und strukturelle Gewalt sowie Diskriminierung. Frauen erlebten im Erwachsenenalter und in ihrer Rolle als Mütter zusätzlich neue Formen von Gewalt im nahen sozialen Umfeld.

Die Themen Kontrolle, Isolation und Manipulation durch (Ex-)PartnerInnen wurden von vielen an der Studie teilnehmenden Frauen angesprochen. Immer wieder kontrollierten PartnerInnen oder Ehemänner die Frauen, indem sie ihre Bewegungsfreiheit einschränkten oder ihnen verboten, sich mit FreundInnen zu treffen. Auch die Kontrolle ihrer Finanzen war häufig Thema. Viele Frauen berichteten, dass ihre Abhängigkeit von anderen Menschen, bedingt durch ihre unterschiedlichen Beeinträchtigungen, oft Ursache von zusätzlichen Formen von Gewalt war. Häufig werden diese Übergriffe und Verletzungen gesellschaftlich aber nicht als Gewalt erkannt, sondern als Teil eines „normalen“ Alltags von vielen Frauen mit Behinderungen verstanden. Eine Frau erzählte, dass ihr Partner, der gleichzeitig auch ihr Pfleger war, Gewalt ausübte. Er missbrauchte seine Position, um sie zu kontrollieren und zu isolieren. „Er hat mir absichtlich die stärksten Schmerzmittel gegeben, wenn meine FreundInnen zu Besuch kommen wollten, und dann konnten sie natürlich nicht kommen, weil ich geschlafen habe.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Eine interviewte Frau beschrieb ihre schwierige Beziehung, die sie zu ihrem ehemaligen Partner hatte. Er verwendete seine Machtposition gegen sie und zwang sie dazu, mit seinen Freunden Sex zu haben, die sie vergewaltigten. Regelmäßig versuchte er, sein Verhalten wiedergutzumachen, indem er ihr Geschenke kaufte: „[...] er war die meiste Zeit gut zu mir ... aber er hat Sachen gemacht, bei denen ich mich unwohl gefühlt habe.“ (Beispiel aus Island)

Eine andere Frau berichtete von finanziellem Missbrauch und der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Beeinträchtigung ein leichtes Ziel war: „[...] die Männer sehen eine Frau mit Behinderungen und glauben, dass sie leichte Beute ist. Ich habe meinem Freund immer wieder Geld gegeben, und meine Bankomatkarte. Ich habe total verrückte Sachen gemacht, weil ich ihn so sehr geliebt habe – oder zumindest habe ich das gedacht.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Die Gewaltsituation für Frauen verschlimmerte sich oft, wenn die Behinderungen erst im Laufe der Partnerschaft oder der Beziehung auftraten oder sich die Beeinträchtigungen verschlechterten. Aufgrund der Abhängigkeit der Frauen mit Behinderungen von ihren PartnerInnen war die Ausnutzung der Beeinträchtigungen Teil einer gewalttätigen Strategie. Solche Situationen machten es für Frauen mit Behinderungen schwer, Unterstützung zu suchen, sowohl informell (von Familienmitgliedern und FreundInnen) als auch formell (von Unterstützungseinrichtungen).

Die Studienteilnehmerinnen berichteten auch häufig von Gewalt im institutionellen Umfeld, wie zum Beispiel in stationären und teilstationären Wohnheimen, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und im Gesundheitssystem. Dies beinhaltete insbesondere psychische und physische Gewalt, Vernachlässigung, Nötigung und sexualisierte Gewalt. Einige Frauen unterstrichen das Machtungleichgewicht zwischen MitarbeiterInnen und BewohnerInnen, das die Position der Frauen mit Behinderungen schwächte, besonders in Hinblick auf ihr Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie.

Eine Frau berichtete, dass sie von einem Pfleger sexuell belästigt wurde:

Und so schnell hab ich gar nicht schauen können, liegt er bei mir im Bett herinnen .… War das der Pfleger. Und er hat‘s Piepserl mitgehabt und ja, er wollt halt eindeutig was von mir und dann sag ich, er soll sich schleichen und dann hat er halt immer meine Hand genommen: „Hast leicht noch nie ein Glied in der Hand gehabt? Hast leicht überhaupt noch nichts mit einem Mann gehabt und willst das nicht einmal wissen?“ (Beispiel aus Österreich)

Institutionelle Gewalt umfasste auch Vernachlässigung. Eine Frau im Rollstuhl erzählte, wie sie stundenlang in einem Krankenhaus festsaß:

„Sie haben meinen Rollstuhl genommen ... wenn Leute mir meinen Rollstuhl wegnehmen, sitze ich da wie eine Ente, weil ich nicht alleine aufrecht sitzen kann ... nach ungefähr drei Stunden, ich habe mich so gedemütigt und verlassen gefühlt – die ganzen Gefühle, die ich gar nicht fühlen wollte – habe ich entschieden, dass es genug ist und ich das nicht mehr mitmachen will. Ich habe einen Freund angerufen und gefragt, kannst du kommen und mir beim Anziehen helfen und mich hier rausholen.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Ein anderes wichtiges Thema, das jedoch kaum öffentlich thematisiert wird, ist die Verletzung der Privatsphäre in institutionellen Bereichen. Die Frauen beklagten, dass sie oft keine Wahl hatten: zum Beispiel wird ihnen nicht die Möglichkeit gegeben zu entscheiden, wer sie pflegt (ob die Person männlich oder weiblich ist) oder mit wem sie zusammen leben wollen. Manchmal konnten sie ihre Badezimmer nicht abschließen und wurden zur Teilnahme an Aktivitäten gezwungen bzw. durften nicht selbst über ihre Freizeit oder Schlafenszeit bestimmen.

Für Frauen aus Großbritannien waren Zwangsehen ein wichtiges Thema. So berichtete eine Studienteilnehmerin, die einer ethnischen Minderheit[17] angehörte, dass Frauen – oft nach geheimer Absprache zwischen Familienmitgliedern – zur Ehe gezwungen wurden, wobei die Grenze zu arrangierten Ehen fließend ist:

Alle drei Brüder ... sie haben meine Ehe arrangiert oder mich dazu gezwungen, weil mein Vater gestorben ist als ich sechzehn war ... Ich war eine Ewigkeit in Indien ... mein Ehemann wollte mich nicht zurück nach England lassen. Ich habe ein paar Mal versucht, Selbstmord zu begehen und sie (die Familie des Ehemanns) hatten dann die Nase voll und haben mich zurück nach England geschickt.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Davon abgesehen wurde die finanzielle Abhängigkeit von PartnerInnen und Institutionen, besonders in Zusammenhang mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus bei Frauen mit Migrationshintergrund, als möglicher Hintergrund für Gewalterfahrungen genannt.

In Island wurden Probleme rund um die gesetzliche Betreuung angesprochen, wenn zum Beispiel Frauen, die gesetzlich betreut werden, keine eigene Entscheidungsfreiheit mehr haben. Nach dem Verlust ihrer Geschäftsfähigkeit konnten die Frauen nicht einmal einfache Entscheidungen treffen, bis hin zur Frage des Wohnortes. Frauen in Island drückten den Wunsch aus, wieder mehr Kontrolle über ihr eigenes Leben haben zu wollen, aber bis vor kurzem erhielten sie nur wenig Unterstützung von ihrem Umfeld bzw. ihren Familien und standen vielen Barrieren gegenüber.

Also, weil ich die Regeln nicht kenne, konnte man nichts machen. Ich konnte nicht zum Rauchen rausgehen, weil sie gesagt haben: „Wenn du zum Rauchen rausgehst, werden dir alle deine Rechte weggenommen.“ Du musst den Text lesen. Ich konnte darauf nicht antworten. Ich konnte gar nichts machen. Sie waren alle gegen mich. Sie haben nur gesagt: „Es ist das Beste für dich.““ (Beispiel aus Island)

In wenigen Fällen in Island und Österreich berichteten Studienteilnehmerinnen von Zwangssterilisationen; in Island geschah dies unmittelbar nachdem die Frauen entmündigt wurden.

Die vorliegende Studie zeigt auf, dass „Mutter-Sein“ für Frauen mit Behinderungen oft problematisch ist, auch aufgrund der Tatsache, dass es immer noch Vorbehalte in der Gesellschaft gibt. Frauen mit Behinderungen hatten Angst davor, dass ihnen ihre Kinder weggenommen werden und duldeten deshalb die Gewalt von Seiten des Partners. In einigen Ländern gaben Frauen mit Behinderungen an, dass sie als inkompetent angesehen wurden (beispielsweise von ÄrztInnen, Behörden, etc.) und sie nicht die notwendige Unterstützung oder die Möglichkeit erhielten, zu zeigen, dass sie mit der Mutterrolle umgehen konnten. Einige der interviewten Frauen erklärten, dass die Gewalt während der Schwangerschaft und nach der Geburt ihrer Kinder zunahm, wenn mehr Unterstützung notwendig war. Einige Frauen mit Lernschwierigkeiten berichteten sogar, dass ihnen ihre Kinder direkt nach der Geburt weggenommen wurden.

Einige Studienteilnehmerinnen, vor allem aus Island, merkten an, dass das Risiko, Gewalt zu erfahren mit dem Alter steigen kann. Dieses Risiko steht ihrer Meinung nach in Zusammenhang damit, dass ältere Frauen öfter in Einrichtungen leben und / oder von pflegenden Familienangehörigen abhängig sind. Dieses Thema ist wissenschaftlich noch unterbelichtet und es bräuchte weiterführende Forschungen.

TäterInnen[18]

In der Kindheit und Jugend waren die TäterInnen meist die Väter und, weniger häufiger, die Mütter und andere Familienmitglieder (vor allem Brüder, aber auch Onkel, Großväter, Großmütter, Stiefväter, Stiefmütter, etc.) und Menschen im nahen sozialen Umfeld der Familie oder des Kindes (SchülerInnen, FreundInnen, LehrerInnen, NachbarInnen, Betreuungspersonen, etc.). Während sich in einigen Fällen der Missbrauch durch den Vater auch im Erwachsenenalter fortsetzte, wurden PartnerInnen und Ehepartner im Lebensverlauf immer häufiger TäterInnen. Auf institutioneller Ebene wurden zudem MitarbeiterInnen, FahrerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen häufig erwähnt.

Es zeigte sich, dass die TäterInnen in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wurden. Einige Frauen meldeten die Gewalterfahrungen der Polizei, aber die meisten Frauen taten dies aus verschiedenen Gründen nicht; diese Gründe reichten von „keine Unterstützung dafür“ und „Angst, dass mir niemand glaubt“ bis hin zu „Angst vor dem Verlust meiner Pflegeperson“, die oft die / der TäterIn war. Auch der Bereich „Zugang zum Recht“ für Frauen mit Behinderungen ist bislang kaum wissenschaftlich untersucht worden und bedarf einer verstärkten forschungsgeleiteten Aufbereitung.

5.2 Unterstützungserfahrungen im Lebensverlauf

In diesem Zusammenhang identifizierten die teilnehmenden Frauen mit Behinderungen drei Bereiche:

  1. Unterstützung durch einzelne Personen

  2. Formelle und informelle Unterstützungsstrukturen (einschließlich Erfahrungen mit Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen und dem Rechtssystem)

  3. Persönliche Ressourcen, Kraft und Stärke.

5.2.1 Unterstützung durch einzelne Personen

Am hilfreichsten empfanden die Studienteilnehmerinnen die Unterstützung durch einzelne Personen in allen Phasen ihres Lebens. Sie schätzten vor allem jene Menschen, die ihnen zuhörten, ihnen dabei halfen, zu verstehen was passierte und die sie ermutigten, Unterstützung zu suchen. Frauen erlebten diese Unterstützung häufig als Wendepunkte in ihrem von Gewalt geprägten Leben. Einige Frauen erwähnten die besondere Rolle von Familienmitgliedern; für andere waren es Verwandte, FreundInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen, mobile Betreuungspersonen, PsychologInnen oder PsychotherapeutInnen, die ihnen unterstützend zur Seite standen. Im Erwachsenenalter wurden zusätzlich persönliche AssistentInnen, mobiles Pflegepersonal, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen und Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern sowie Frauenberatungsstellen genannt. Wichtig ist, dass für die Frauen die Personen im Mittelpunkt standen und nicht die Berufsgruppen, die sie repräsentierten, wie zwei Beispiele zeigten:

Eine Frau berichtete, dass sie als Jugendliche positiv überrascht wurde, als sie einen neuen Physiotherapeuten bekam, der seine Rolle ganz anders wahrnahm als sein Vorgänger. Er sagte ihr – und das war neu für sie – dass nur sie über ihr Leben bestimme:

„Ich habe gefragt „was soll ich machen?“ Und dann hat er mich gefragt „was willst du machen? Es ist dein Körper, du kontrollierst ihn.“ Noch niemand hat das vorher zu mir gesagt. Ich habe nicht daran gedacht, dass es mein Körper ist und ich ihn kontrolliere, ich habe einfach nie daran gedacht. Deshalb war das eine Art Schock für mich. Ich habe es natürlich verstanden wie er es gesagt hat, und natürlich war es so. Aber selbst da war es noch immer eine neue Information für mich.“ (Beispiel aus Island)

Eine andere Frau berichtete von einer sehr positiven Erfahrung mit einem Arzt:

„[...] ich habe einen tollen Arzt gefunden auf Weiterempfehlung, der hat mich damals wirklich zusammengeklopft. Ich war in seiner Praxis und bin dagesessen wie ein Häufchen Elend und der hat mich aufgeklopft und hat gesagt, hey, das machen wir jetzt, da kommen wir durch. Ich bin ein erfahrener Arzt und Sie sind eine starke Frau, da kommen wir durch.“ (Beispiel aus Österreich)

Es gab aber auch Bespiele, wo Frauen sich nicht oder unzureichend von anderen Personen innerhalb der Familie oder von Einrichtungen und Institutionen (im Opferschutz- und Justizbereich) unterstützt fühlten. Die Situation, als Kind keine Unterstützung von der Familie zu erhalten, wurde als besonders belastend empfunden, da sie sich völlig allein und ausgeliefert fühlten. Die Frauen erzählten auch davon, dass sie während ihrer Schulzeit keine guten FreundInnen hatten, was sie oft auf ihre Beeinträchtigungen zurückführten. Die Unterstützung durch LehrerInnen wurde als ambivalent angesehen, je nach Persönlichkeit und Engagement waren sie hilfreich oder auch nicht.

5.2.2 Formelle und informelle Unterstützungseinrichtungen

Formelle und informelle Unterstützungseinrichtungen waren ebenfalls wichtige Quellen der Unterstützung für Frauen mit Behinderungen. Auf der formellen Ebene sind beispielsweise Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen, wie Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren, Notrufe und Beratungsstellen, auf der informellen Selbsthilfegruppen, Selbstverteidigungskurse, etc. gemeint. Der österreichische Bericht hebt hervor, dass ca. die Hälfte der teilnehmenden Frauen verschiedene formelle Unterstützungseinrichtungen für Frauen, darunter Frauenhäuser, Notrufe und Frauenberatungsstellen, in Anspruch genommen hatten. Die dort erhaltene Unterstützung wurde weitgehend als positiv beurteilt. In allen Ländern berichteten Frauen in Einzelfällen jedoch auch, dass sie von den MitarbeiterInnen nicht ernst genommen wurden und / oder keine adäquate Unterstützungsleistung erhielten.

Darüber hinaus empfanden Frauen auf der formellen Ebene unterschiedliche Therapien (zum Beispiel Psychotherapie) als besonders wertvoll. In manchen Ländern allerdings, wie etwa in Deutschland, stellte die Suche nach einem/r geeigneten TherapeutIn mit Gebärdensprachkenntnissen eine große Herausforderung dar.

Im Hinblick auf den Zugang zu Recht und Justiz gab es ambivalente Einschätzungen. Wie erwähnt, erstatteten nur wenige Frauen Anzeigen bei der Polizei, dennoch hoben einige die positive Unterstützung durch PolizeibeamtInnen, RichterInnen und andere BeamtInnen hervor. Es gab jedoch auch Frauen, die berichteten, dass ihnen nicht geglaubt wurde oder dass die Untersuchung ihrer Fälle aufgrund von Mangel an Beweisen eingestellt wurde.

In allen Ländern wurden spezialisierte informelle Angebote als besonders hilfreich beschrieben, so etwa die Teilnahme an Empowerment-Angeboten, Selbstverteidigungskursen, Selbsthilfegruppen und die Betreuung durch Peer-Beratung. Allerdings divergierten hier die Wahrnehmungen: so empfand eine Studienteilnehmerin den Kontakt zu anderen Frauen mit Behinderungen, die auch Gewalt erlebt hatten, als eher belastend. Nichtsdestotrotz schätzte die große Mehrheit der Frauen die Unterstützung, die sie von Peer-Beraterinnen sowie von Organisationen für Menschen mit Behinderungen und der Selbstbestimmt- Leben-Bewegung erhielten. In allen Ländern beschrieben die Frauen, wie wertvoll es für sie selbst war, anderen Frauen in ähnlichen Situationen zu helfen. Einige Frauen mit Behinderungen absolvierten eine Ausbildung als Beraterin oder organisierten Selbsthilfegruppen. Eine Frau führte in diesem Kontext zum Beispiel aus:

„Ich denke, dass man sich besser fühlt, wenn man anderen Menschen hilft, mir geht es so. Ich fühle mich immer besser, wenn ich helfe, und das dürfen wir mit dieser Frauengruppe machen. Wir helfen jetzt anderen Menschen. Das gibt einem das beste Gefühl, anstatt nur zu sagen oh, das ist ja schlimm, sogar wenn man das noch selbst durchmacht, jemandem helfen, dann fühlt man sich ein bisschen besser. Und das dürfen wir mit dieser Frauengruppe machen.“ (Beispiel aus Großbritannien)

5.2.3 Eigenständigkeit und Selbstbestimmung

Der Weg zu einem gewaltfreien und (zumindest teilweise) unabhängigen Leben war für alle Frauen sehr schwierig und geprägt von vielen Hindernissen und Rückschlägen. Viele kleine Schritte waren notwendig, um aus der Gewaltdynamik auszubrechen. Oft brauchte es andere Menschen, die ihnen dabei halfen, das Überschreiten ihrer Grenzen zu erkennen und Gewalt als solche beim Namen zu nennen. Häufig entwickelten die Frauen auch eigene Strategien, um ihre Kraft und ihr Selbstvertrauen zu stärken. So betonten einige Frauen, dass das Aufschreiben ihrer Gedanken, Ängste und Gefühle als Teil einer Art „Selbsterfahrung“ für sie hilfreich war. Andere führten Yoga, tantrische Übungen, Tanzkurse und autogenes Training als Wege an, die dabei halfen, inneres Gleichgewicht und Kraft zu entwickeln (Beispiele aus Deutschland). Eine Frau beispielsweise betrieb Leistungssport, um den Mangel an Anerkennung seitens ihrer Familie zu kompensieren und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Eine weitere fand Unterstützung und Halt in einer religiösen Gemeinschaft. Auch Tiere waren für einige Frauen Kraftquellen und trugen zum Wohlbefinden bei. Nicht zuletzt nannten einige Frauen Bildung und Ausbildung sowie Berufstätigkeit als gute Möglichkeiten, Distanz zum gewalttätigen Umfeld zu gewinnen. Sie konnten mithilfe neuer Perspektiven ihre Situation anders einschätzen und bewerten, was für die Entwicklung ihrer Handlungsoptionen oft hilfreich war.

Häufig erhielten Frauen wieder mehr Kontrolle über ihr eigenes Leben, wenn sie sich von gewalttätigen Betreuungspersonen befreiten oder Wohneinrichtungen verlassen konnten, in denen sie Gewalt erfahren haben. Diese „Befreiung“ machte die Frauen auch im Umgang mit anderen Menschen selbstbewusster und half ihnen, wieder Vertrauen aufzubauen und ihr Wohlbefinden zu stärken. Darüber hinaus entwickelten sie auch ein besseres Verständnis und Gefühl dafür, was ihnen gut und was ihnen nicht gut tut bzw. was sie wollen und was sie nicht wollen.

5.3 Wissen der Frauen über ihre Rechte

Das Wissen der befragten Frauen mit Behinderungen über ihre Rechte variierte stark. Während eine kleine Zahl gut informiert war, verfügten die meisten über ein geringes Verständnis der rechtlichen Grundlagen in Bezug auf Gewaltschutz und Rechte von Menschen mit Behinderungen. Es zeigte sich, dass jene Frauen, die Erfahrungen mit gerichtlichen Verfahren hatten, besser informiert waren. Darüber hinaus berichteten Frauen, dass sie rechtliche Informationen beispielsweise von Peer-Beraterinnen, Organisationen für Menschen mit Behinderungen, Menschenrechtsorganisationen, Bildungsinstitutionen aber auch aus dem beruflichen Umfeld erhielten.

Die Wissensstände waren sehr unterschiedlich. Einige Frauen hatten zum Beispiel von der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gehört, aber vielen Frauen waren die genauen Bestimmungen nicht bekannt. Die Studienteilnehmerinnen hoben besonders hervor, dass rechtliche Informationen für sie oft nicht barrierefrei zugänglich seien, da diese zum Beispiel in Leichter Sprache, Gebärdensprache oder als Audiodateien nicht verfügbar wären. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass selbst wenn barrierefreie Informationen zugänglich sind, es für sie oft nicht klar ist, wie sie ihre Rechte einfordern können.

Manche Frauen erörterten die Problematik, dass die von ihnen erlebten Gewaltsituationen oft von komplexer Natur waren und viele Dimensionen miteinschlossen, unter anderem die Rolle von Geschlecht, Behinderung, nationaler Herkunft und sexueller Orientierung. Vor dem Recht spielt aber oft nur ein Aspekt eine Rolle, wie beispielsweise Behinderung oder Geschlecht. Daher werden in den Gesetzen und von den sie anwendenden Behörden andere Dimensionen oft nicht mitgedacht, was jedoch der Realität nicht gerecht wird. Für einige Frauen war es oft nicht nachvollziehbar, welche Rechte nun auf ihre Situation zutrafen, wie eine Frau aus Großbritannien schilderte:

„Wenn der einzige Grund, aus dem diskriminiert werden kann, das Geschlecht ist, dann kann man schnell wissen, was man braucht. Aber es wenn es viele Dinge sind, dann ist es schwer zu wissen, wie man die einzelnen Teile koordinieren soll. Wenn es also ein Problem gibt, kann es wegen meiner Behinderungen sein, meines Geschlechts, meiner Sexualität oder wegen aller drei auf einmal. Bestenfalls ist es schwierig, alle Teile zusammenzufügen, und manchmal ist es einfach unmöglich! Ich glaube nicht, dass Frauen genug geschützt werden.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Viele Frauen identifizierten den Mangel an politischem Willen, Ressourcen zur Umsetzung ihrer Rechte bereitzustellen, sowie vorherrschende Vorurteile und Diskriminierung als Faktoren, die Gesetze oft wirkungslos machen. Rechte allein sind unzureichend – erforderlich ist Inklusion auf allen Ebenen durch eine Politik und Gesellschaft, die dazu bereit sind.

5.4 Wissen über und Nutzung von Unterstützungseinrichtungen

Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren haben, verfügten in allen vier Ländern häufig über wenig Wissen über Fachberatungsstellen und andere Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen. Frauen, die hingegen stark in die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung oder andere Empowerment-Strukturen eingebunden oder die selbst als Peer-Beraterin in dem Bereich tätig sind, waren tendenziell besser informiert. Die interviewten Frauen erwähnten zumeist nur zwei separate Arten von Einrichtungen: Einrichtungen zur Unterstützung von Frauen nach Gewalterfahrungen und Einrichtungen zur Unterstützung von und für Menschen mit Behinderungen. Spezialisierte Fachberatungsstellen für Frauen mit Behinderungen wurden hingegen kaum genannt.

Alle Frauen verdeutlichten die Notwendigkeit von adäquaten Unterstützungsstrukturen im Fall von Gewalterfahrungen. Wurden Unterstützungsleistungen genutzt, so waren es vor allem Leistungen der Therapiezentren, Krankenhäuser oder auch privater PsychologInnen.

In allen vier Ländern nutzten aber auch einige Frauen Beratungsstellen und / oder suchten Frauenhäuser auf. Als Gründe für die geringe Nutzung wurden verschiedene Formen von Barrieren genannt. Häufig befürchteten die Frauen, dass eine Fachberatungsstelle nicht barrierefrei zugänglich sein könnte und Frauen mit Behinderung eventuell keine Zielgruppe darstellten. Häufig war bereits der Eingangsbereich einer Unterstützungseinrichtung eine Barriere für viele Frauen mit Behinderungen.

Viele der befragten Frauen mit Behinderung wussten auch nicht, an wen / welche Organisation sie sich zuerst wenden könnten. Nur wenige Frauen empfanden die bestehenden Unterstützungsstrukturen in ihrer Region als ausreichend – auch wenn von einigen Frauen eine leichte Verbesserung der Situation festgestellt wurde und sie meinten, dass sich das Unterstützungsnetzwerk Schritt für Schritt verbessen würde. Als Grund dafür wurde die verstärkte Wahrnehmung des Themas „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ angegeben.

Für Frauen in Island wurde insbesondere das Problem genannt, dass sie im Falle institutioneller Gewalt (beispielsweise durch SozialarbeiterInnen oder PflegerInnen) keine externe Anlaufstelle kannten, um Unterstützung zu erhalten. Die einzige Möglichkeit der Unterstützung waren meist interne Beratungen durch SozialarbeiterInnen und PsychologInnen in der Institution selbst, was die Hemmschwelle, Hilfe bei institutioneller Gewalt zu suchen, verständlicherweise erhöhte.

5.5 Erfahrungen mit Barrieren

Frauen mit Behinderungen identifizierten eine große Bandbreite an unterschiedlichsten Barrieren, welchen sie bei der Suche nach Unterstützung bei Gewalterfahrungen gegenüber stehen. Die unterschiedlichen Formen und Arten der Barrieren werden im Folgenden beschrieben.

5.5.1 Zugang zu Informationen

Probleme beim Zugang zu barrierefreier Information wurden bereits erwähnt. Der Mangel an barrierefrei zugänglicher Information betraf Fachberatungsstellen, andere Unterstützungseinrichtungen sowie das Rechtssystem. Einige Frauen mit Behinderungen hatten keinen Zugang zum Internet, was in allen Ländern jedoch die geläufigste Art der Informationsbeschaffung darstellte. Viele Frauen verdeutlichten, dass sie zu wenige Informationen über Einrichtungen haben und unsicher sind, ob diese für ihre Bedürfnisse barrierefrei zugänglich seien sowie angemessene Unterstützung bieten würden. Dadurch kontaktierten einige Frauen mögliche Unterstützungseinrichtungen erst gar nicht.

Oft waren auch Beratungsunterlagen, Informationsbroschüren und die Beratung selbst nicht auf die individuellen Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zugeschnitten, zum Beispiel gibt es kaum Informationen in Leichter Sprache, Gebärdensprache oder Sprachausgabe. Besonders Frauen mit Lernschwierigkeiten und gehörlose Frauen sprachen dieses Problem an. Auch wenn Informationen in Gebärdensprache verfügbar waren, beispielsweise auf den Websites der Organisationen, bedeutete das nicht, dass die Organisation über gebärdensprachkompetente MitarbeiterInnen verfügte.

5.5.2 Zugang zu Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen

Frauen mit Behinderungen berichteten häufig, dass sie Unterstützungseinrichtungen aufgrund materieller bzw. baulicher Barrieren nicht betreten konnten. Zum Beispiel konnte eine Frau in ihrer Region keine barrierefrei zugängliche Gynäkologin finden und musste einen männlichen Arzt aufsuchen; eine andere Frau konnte keine/n barrierefrei zugängliche/n TraumatherapeutIn finden. In einem anderen Fall wurde einer Frau gesagt, dass eine Einrichtung barrierefrei wäre, es aber dann doch nicht war. Obwohl in einigen Fällen die Einrichtungen externe alternative Unterbringung und Leistungen organisierten, berichteten einige Frauen, dass sie sich als ‚unbequeme Klientinnen‘ wahrgenommen fühlten. Auch wenn Barrierefreiheit garantiert war, zum Beispiel im Fall von speziellen Einrichtungen für gehörlose / hörbeeinträchtigte Frauen, wiesen die Frauen auf die Schwierigkeit hin, dass Verschwiegenheit nicht immer sichergestellt sei. Die Tatsache, dass es in allen Ländern nur einen kleinen Pool an DolmetscherInnen gibt, erhöht das Risiko, dass mit persönlichen Informationen nicht immer vertrauensvoll umgegangen wird. Einige gehörlose Frauen berichteten, dass sie aufgrund dieses Problems gar keine Hilfe suchten. Zusätzlich diskutierten die Teilnehmerinnen die Angebote und erbrachten Leistungen der Fachberatungsstellen. Sie hoben hervor, dass die meisten Einrichtungen sich auf sexualisierte Gewalt konzentrieren, und zweifelten daran, ob die Einrichtungen Beratung und Unterstützung speziell für Frauen mit Behinderungen anbieten können, die zusätzlichen Gewaltformen ausgesetzt sind, wie z.B. Beratung bei institutioneller oder einrichtungsbezogener Gewalt, psychischer und finanzieller Gewalt sowie Mobbing, die in Zusammenhang mit ihren Behinderungen auftreten. Tatsächlich betonten einige Teilnehmerinnen, dass Frauen mit Behinderungen, die diesen Arten von Gewalt ausgesetzt waren, wenig Unterstützung erhielten. Eine Frau formulierte es folgendermaßen: „Es wäre ein bisschen schwierig, gute Hilfe zu bekommen, wenn die Person, die Unterstützung gibt, nichts über Menschen mit Behinderungen weiß.“ (Beispiel aus Island)

Der Mangel an Fachberatungsstellen und anderen Unterstützungsleistungen in ländlichen Regionen wurde von Frauen mit Behinderungen als weiteres Problem angeführt – vor allem in Island und in Österreich. In einigen Regionen gab es keine Einrichtungen und es fehlte eine adäquate barrierefreie Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel, um Unterstützungseinrichtungen in der Umgebung erreichen zu können.

Hinsichtlich des Zugangs zum Rechtssystem berichteten einige Frauen, dass ihnen in manchen Fällen von der Polizei nicht geglaubt wurde; einige verlangten spezifische Beweise für Gewalt, die manchmal nicht erbracht werden konnten. Einige Frauen merkten an, dass innerhalb des Rechtssystems Informationen über die Entwicklung ihres Falls nicht zugänglich waren und dass das Verfahren und dessen Verlauf für sie unklar waren.

5.5.3 Leben in Institutionen

Frauen mit Behinderungen stehen vor allem innerhalb des Leistungssystems für Menschen mit Behinderungen verschiedenen Arten von Barrieren gegenüber. In allen Ländern gaben die Frauen an, dass Frauen, die in Institutionen leb(t)en, Machtungleichheiten ausgesetzt waren und das Personal ihr tägliches Leben fast vollständig kontrollieren konnte.

Frauen merkten an, dass das Personal in Institutionen häufig schlecht ausgebildet war und Gewalt nicht erkannte bzw. auch nicht wusste, wie es damit umgehen sollte. Einige Frauen berichteten, dass das Personal hilflos war, wenn sie von männlichen Bewohnern missbraucht wurden und verwiesen die Frauen oft an andere Unterstützungseinrichtungen anstatt ihnen direkt zu helfen. Dies konnte zu zusätzlicher Verwirrung und Stress für die betroffenen Frauen führen.

Stark ausgeprägt war die Tendenz von Institutionen, Gewaltvorfälle intern lösen zu wollen, ohne externe Hilfe zu suchen bzw. die Polizei einzuschalten. Zudem wurde den betroffenen Frauen innerhalb der Institution oft nicht geglaubt, besonders wenn die TäterInnen ArbeitskollegInnen der Ansprechperson waren. Die Situation wurde noch zusätzlich verschärft, wenn die Frau die/den TäterIn jeden Tag in der Institution sehen musste.

5.5.4 Nicht geglaubt und ignoriert werden

In allen vier Ländern gab es viele Beispiele, in denen Frauen abgewiesen wurden, weil ihnen von Familienmitgliedern, Personal in den Institutionen oder der Öffentlichkeit nicht geglaubt wurde oder sie ignoriert wurden. Dies war insbesondere der Fall, wenn es keine ZeugInnen für die Gewalthandlungen gab. Manchmal führte dies dazu, dass Frauen mit Behinderungen keine Hilfe mehr suchten, in dem Glauben, dass ihnen wahrscheinlich nicht geholfen werden würde.

Vielleicht schließt man sich selber aus. Ne, dass man denkt: „Oh Gott, naja, da bin ich selber schuld. Jetzt bin ich auch noch behindert und ne, dann ruf ich am besten gar nicht an“, was weiß ich. Weil da krieg ich womöglich noch eins. „Ja, du bist ja auch behindert. Hättest du mal ein bisschen besser aufgepasst“ oder was weiß ich, „Musst du denn abends noch ausgehen?!“ Was weiß ich. Vor so was hätte ich z.B. Angst. Auch heute noch.“ (Beispiel aus Deutschland)

Wenn Frauen Unterstützung suchten, dann waren Familienmitglieder manchmal die ersten Personen, an die sich die Frauen wandten. Jedoch wurde häufig auch hier die Erfahrung gemacht, dass die Familienmitglieder uninteressiert oder ablehnend reagierten. Ebenso gaben die Teilnehmerinnen an, dass häufig versucht wurde, das Problem ‚innerhalb der Familie‘ zu belassen und dies als Hindernis für den Zugang zu externer Unterstützung wahrgenommen wurde. Eine Frau beschrieb es folgendermaßen:

„Ich glaube, was mich am meisten verletzt hat, ist die Reaktion meiner Eltern ... sie müssen gedacht haben, wenn sie die Polizei rufen, naja, das wäre ein großer Skandal; es würde in der Zeitung stehen – diese Art von Dingen. Eine beschämende Situation und ich erinnere mich daran, dass meine Mutter gesagt hat „sie ist jung, sie wird das schon vergessen, wenn wir nicht darüber sprechen“. Und es wurde einfach unter den Teppich gekehrt.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Einige Frauen mit Lernschwierigkeiten erwähnten, dass sie von den TäterInnen als „gestört“ und „selbst daran schuld“ dargestellt wurden, was sie dazu brachte, die TäterInnen nicht anzuzeigen. Zudem wurden die Aussagen der Frauen mit Lernschwierigkeiten (aufgrund ihrer Beeinträchtigung) teilweise auch vor Gericht nicht ernst genommen.

Zudem sagten auch Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen, dass sie als ‚gestört‘, ‚weniger intelligent‘ oder ‚nicht zurechnungsfähig‘ angesehen wurden. Oft wird die Glaubwürdigkeit der Frauen angezweifelt, manchmal in Verbindung mit spöttischen Reaktionen, was dazu führen kann, dass gewalttätige Handlungen entschuldigt und TäterInnen freigesprochen werden.

5.5.5 Öffentlicher Diskurs über Gewalt und Behinderung

Die Teilnehmerinnen merkten an, dass sie „Barrieren“ im öffentlichen Diskurs rund um Gewalt und Behinderung feststellten. Die öffentliche Diskussion über Gewalt spiegelt ihrer Meinung nach unreflektiert Vorurteile gegenüber Frauen mit Behinderungen wider. Frauen werden als nicht „gleichwertig“ empfunden, werden so dargestellt, als seien sie selbst Schuld bzw. „hilfsbedürftig“ und nicht ernst zu nehmen. Diese Art von Diskurs verstärke oft die Scham und Selbstzweifel bei Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erlebten.

Zusätzlich waren die Frauen der Meinung, dass es kein öffentliches Bewusstsein darüber gibt, dass Frauen mit Behinderungen oft Gewalt ausgesetzt sind. Zudem gebe es nur wenige Diskussionen über die soziale Isolation von Menschen mit Behinderungen und ihre Unterordnung und Ausgrenzung auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

Darüber hinaus hätten Frauen mit Behinderungen nur wenige Möglichkeiten, an öffentlichen Debatten teilzunehmen. Menschen ohne Behinderungen sind oft unsicher und zögerlich, wenn sie mit Menschen mit Behinderungen interagieren und beziehen diese unter anderem dadurch häufig nicht mit ein. Außerdem wird die Berichterstattung in den Medien Menschen mit unterschiedlichen Kommunikationsbedürfnissen oft nicht zugänglich gemacht. Gleichzeitig sind aber gerade diese Informationsquellen sehr wichtig, da die Informationsmöglichkeiten über Themen wie Gewalt gegen Kinder und Frauen mit Behinderungen häufig sehr beschränkt sind.

5.5.6 Innere Hemmschwellen

Wie oben dargelegt, ist das öffentliche Bewusstsein über Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen oft von Vorurteilen geprägt und dies scheint nicht hilfreich zu sein, wenn es um die Förderung einer positiven Selbstwahrnehmung der Frauen geht. Abgesehen davon war generell das Selbstbewusstsein der Frauen oft gering, da ihnen meist nicht zugehört wurde und sie oft keine Möglichkeit hatten, ihre Erfahrungen mit Frauen mit oder ohne Behinderungen zu teilen. Viele Frauen, die Gewalt erlebten, wurden von Unsicherheit, Ängsten, Schuldgefühlen und Scham begleitet. In der Folge hatten Frauen mit Behinderungen oft ein geringes Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen, was es für sie schwer machte, sich zu behaupten. Einige Frauen sagten, dass sie niemandem zur Last fallen wollten, wenn es darum ging, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Besonders Frauen mit Lernschwierigkeiten hoben hervor, dass sie manchmal auch nicht wussten, ob es sich bei der Gewalterfahrung auch wirklich um Gewalt handelte. Laut der interviewten Frauen hat dies oft damit zu tun, dass Frauen, insbesondere Frauen mit Lernschwierigkeiten, nie gelernt hätten, ‚Nein‘ sagen zu dürfen. Wenn dies mit den zielgerichteten Strategien der TäterInnen, die Frauen zu isolieren, zusammenfiel, entstand eine große Hemmschwelle für die Frauen, bei Gewalterfahrungen Hilfe zu suchen.

5.5.7 Finanzielle Aspekte

Der Zugang zu Geld war ein weiteres großes Hindernis für Frauen mit Behinderungen. Einige Frauen waren finanziell von den TäterInnen abhängig, wodurch es für sie zusätzlich erschwert war, der Gewaltdynamik, in der sie gefangen waren, zu entkommen. Abgesehen von der häufig bestehenden Abhängigkeit fehlten den Frauen manchmal auch die finanziellen Mittel, um Unterstützung von Fachberatungsstellen oder anderen Unterstützungseinrichtungen bei Gewalt zu erhalten. Beispielsweise berichtete eine gehörlose Frau, dass sie unsicher war, wer für die Bezahlung des / der DolmetscherIn zuständig war. In einem anderen Fall führten die zusätzlichen Kosten für den Unterstützungsbedarf dazu, dass eine Frau nicht in einem Zentrum für Traumatherapie bleiben konnte.

Was die Berufstätigkeit betrifft, fühlten sich viele Frauen benachteiligt. Sowohl die generelle Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt als auch die vorherrschend Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen waren Gründe dafür, warum Frauen mit Behinderungen fast nie gut bezahlten Tätigkeiten nachgingen. Aus Angst, finanziell nicht alleine überleben zu können, zeigten einige Frauen die TäterInnen nicht bei der Polizei an.

5.5.8 Machtungleichgewichte und weitere Faktoren

Die Einschätzung, dass Frauen mit Behinderungen häufiger Gewalt ausgesetzt sind als nicht-behinderte Frauen, wurde von allen teilnehmenden Frauen bestätigt. Vor allem Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen, mit Lernschwierigkeiten oder Frauen mit Behinderungen, die einer ethnischen Minderheit angehören, wurden als besonders gefährdet angesehen. Zweifellos können ungleiche Machtverhältnisse gewalttätige Beziehungen befördern und dies prägte auch das Leben einiger befragter Frauen über lange Zeiträume hinweg. Machtlosigkeit gegenüber TäterInnen entstand nach Meinung der Frauen aufgrund einer Reihe von Faktoren: beispielsweise aufgrund der Auffassung, dass sich die Frauen aufgrund der Beeinträchtigungen nicht verteidigen können, des Grads an Kontrolle, der über Frauen ausgeübt wird (zum Beispiel durch Wohneinrichtungen) oder / und der Einschränkungen, die sich die Frauen selbst aufgrund unterschiedlicher Ängste auferlegten. In allen Ländern wurden die Beeinträchtigungen der Frauen genutzt, um Gewalt gezielt anzuwenden. Zum Beispiel wurden Mobilitätshilfen weggenommen oder unwirksam gemacht oder den Frauen wurden starke Medikamente verabreicht.

Es wurde berichtet, dass Gewalt häufig dann von TäterInnen angewendet wurde, wenn das Machtungleichgewicht zunahm, jedoch war in einem Fall die Situation umgekehrt. Aufgrund der verringerten Abhängigkeit einer Frau von ihrem Ehemann durch Persönliche Assistenz wurde dieser gewalttätig, um seine Machtposition nicht zu verlieren.

Einige befragte Frauen mit Behinderungen verdeutlichten, dass die Gewalt vor und nach der Geburt eines Kindes zunahm. Sie erzählten, dass sie aufgrund des Kindes das Gefühl hatten, keine Wahl zu haben und in gewalttätigen Haushalten bleiben müssten, weil sie auf zusätzliche Unterstützung bei alltäglichen Pflichten und bei der zusätzlichen Verantwortung für kleine Kinder angewiesen waren. Viele Frauen hatten zudem Angst, dass ihnen ihre Kinder aufgrund der Beeinträchtigungen weggenommen werden. Eine Mutter mit Lernschwierigkeiten beschrieb die Situation, als sie ihren gewalttätigen Partner verließ:

„Es ist oft so, dass dem Elternteil mit Lernschwierigkeiten die Kinder sofort weggenommen werden. Und ich war in einer Situation, in der das passiert ist. Sie haben ihm gesagt, dass er die gemeinsame Wohnung verlassen soll, haben mir aber keine Unterstützung gegeben, um auf die Kinder achten zu können. Und da haben sie ihn wieder einziehen lassen, weil er meine einzige Unterstützung bei der Versorgung und Betreuung der Kinder war.“ (Beispiel aus Großbritannien)

Bei Frauen mit Behinderungen mit Migrationshintergrund war auch die Unsicherheit in Bezug auf ihren Aufenthaltsstatus ein Grund, warum Frauen TäterInnen nicht bei der Polizei anzeigten und keine Unterstützungsleistungen in Anspruch nahmen.

Gehörlose Frauen berichteten von dem Problem, den ebenfalls gehörlosen TäterInnen oft nicht ganz entkommen zu können, da die sozialen Umfelder, in denen sie sich bewegten, so klein sind.



[16] Der Großteil der befragten Frauen wohnte nicht in stationären Einrichtungen.

[17] Anmerkung: die Problematik der Zwangsehen ist natürlich nicht nur auf Frauen mit Migrationshintergrund beschränkt.

[18] zum überwiegenden Teil männlichen Geschlechts

6. Sichtweisen von Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen

Dieser Abschnitt stellt die Ergebnisse des zweiten großen Arbeitsschritts der Studie vor: die Befragung der MitarbeiterInnen von Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen. Dargestellt werden die wichtigsten Ergebnisse der Online-Befragung und der Einzelinterviews mit den EinrichtungsmitarbeiterInnen: die Selbsteinschätzung in Bezug auf die Barrierefreiheit der Einrichtungen für Frauen mit Behinderungen, Maßnahmen, die getroffen wurden, um Barrierefreiheit zu gewährleisten, Öffentlichkeitsarbeit sowie Vernetzung und Kooperation zwischen Einrichtungen, um von Gewalt betroffene Frauen mit Behinderungen so gut wie möglich zu unterstützen. Insgesamt nahmen 602 Einrichtungen aus vier Ländern an der Online-Befragung teil und 54 EinrichtungsmitarbeiterInnen wurden in Einzelinterviews vertiefend befragt.

Die folgende Abbildung 1 zeigt die Art der in der Online- Befragung einbezogenen Unterstützungseinrichtungen nach deren Selbstzuordnung.

Österreich

Deutschland

Island

Großbritannien

N

%

N

%

N

%

N

%

Ein Frauenhaus

17

21%

189

27%

1

10%

38

23%

Eine Frauenberatungsstelle

32

40%

141

20%

1

10%

22

13%

Ein Frauennotruf

5

6%

96

14%

1

10%

35

21%

Eine Interventionsstelle oder ein Gewaltschutzzentrum für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen

6

7%

190

27%

4

40%

19

12%

Eine spezifische Anlaufstelle für Frauen mit Behinderungen bei Gewalterfahrungen

3

4%

8

1%

-

-

11

7%

Eine Anlauf- oder Beratungsstelle für Frauen mit Behinderungen

3

4%

10

1%

-

-

5

3%

Eine Anlauf- oder Beratungsstelle für Frauen und Männer mit Behinderungen

5

6%

4

1%

-

-

4

2%

Anderes

10

12%

67

9%

3

30%

31

19%

Gesamt

81

100%

705

100%

10

100%

165

100%

Folgende Unterstützungseinrichtungen, die an der Umfrage teilnahmen, wurden in den meisten Ländern am häufigsten genannt:

  • Frauenhäuser (21 % in Österreich, 27 % in Deutschland, 23 % in Großbritannien und 10 % in Island),

  • Frauenberatungsstellen (40 % in Österreich, 20 % in Deutschland, 13 % in Großbritannien und 10 % in Island),

  • Frauennotrufe (21 % in Großbritannien, 14 % in Deutschland, 10 % in Island und 6 % in Österreich),

  • Interventionsstellen für von Gewalt betroffene Frauen (20 % in Deutschland, 40 % in Island, 12 % in Großbritannien und 7 % in Österreich).

Spezifische Anlaufstellen für Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren haben, sind in allen befragten Ländern selten. Dies liegt jedoch nicht daran, dass diese Einrichtungen weniger zur Teilnahme an der Umfrage bereit gewesen wären, sondern weil es nur sehr wenige Anlauf- und Beratungsstellen gibt, die sich auf die Unterstützung und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen spezialisiert haben.

Die Mehrheit der Einrichtungen befindet sich im städtischen Raum: insgesamt sind 44 % in Großstädten angesiedelt, 43 % in mittelgroßen/kleinen Städten und nur 13 % in ländlichen Gebieten.

Österreich (N=60)

Deutschland (N=363)

Island (N=10)

Großbritannien (N=41)

Vollständig barrierefrei zugänglich

Teilweise barrierefrei zugänglich

Nicht barrierefrei zugänglich

Vollständig barrierefrei zugänglich

Teilweise barrierefrei zugänglich

Nicht barrierefrei zugänglich

Vollständig barrierefrei zugänglich

Teilweise barrierefrei zugänglich

Nicht barrierefrei zugänglich

Vollständig barrierefrei zugänglich

Teilweise barrierefrei zugänglich

Nicht barrierefrei zugänglich

Rollstuhlfahrerinnen

44 %

32%

25%

9%

34%

58%

40%

50%

10%

46%

42%

12%

Frauen mit anderen Mobilitätseinschränkungen

46%

36%

18%

10,6%

44%

48%

67%

33%

0%

46%

49%

55%

Blinde oder sehbeeinträchtigte Frauen

0%

53%

48%

0,3%

8%

92%

10%

70%

20%

2%

39%

49%

Gehörlose oder hörbeeinträchtigte Frauen

14%

73%

14%

2%

66%

32%

10%

80%

10%

12%

66%

22%

Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen

48%

50%

2%

27%

69%

44%

50%

50%

0%

71%

29%

0%

Frauen mit Lernschwierigkeiten

14%

67%

19%

9%

68%

23%

40%

60%

0%

34%

54%

12%

Frauen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben

14%

35%

51%

6%

43%

51%

40%

50%

10%

29%

24%

46%

6.1 Zugänglichkeit und Barrierefreiheit nach Art der Beeinträchtigung

Die teilnehmenden Unterstützungseinrichtungen wurden gebeten, einzuschätzen in welchem Maße diese in Bezug auf unterschiedliche Zielgruppen von Frauen mit Beeinträchtigungen zugänglich und barrierefrei sind. Die folgende Abbildung stellt die Selbsteinschätzung der Barrierefreiheit durch die befragten MitarbeiterInnen im Rahmen der Online-Befragung dar, aufgegliedert nach sieben Zielgruppen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. In der Tabelle werden lediglich die nach Ländern unterteilten Ergebnisse der Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe und Interventionsstellen für Frauen mit Gewalterfahrungen dargestellt.

Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen

Die Tabelle zeigt, dass nach Angaben der befragten MitarbeiterInnen die Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten vor allem für sinnesbeeinträchtigte Frauen mit Barrieren verknüpft ist. Dieses Ergebnis zeigt sich in allen Ländern. Besonders blinde und sehbeeinträchtigte Frauen sind von Barrieren betroffen: In Österreich, Deutschland, Island und Großbritannien gibt es keine bzw. nur eine geringe Anzahl an Organisationen oder Einrichtungen, die für diese Zielgruppe vollständig barrierefrei zugänglich sind. Weiterhin gaben nur 2 % (der deutschen) bis hin zu 14 % (der österreichischen) Unterstützungseinrichtungen an, für gehörlose und hörbeeinträchtigte Frauen vollständig barrierefrei zu sein.

Frauen mit Lernschwierigkeiten

Eine weitere besonders benachteiligte Gruppe sind Frauen mit Lernschwierigkeiten. In Deutschland schätzten sich nur 9 % der Unterstützungseinrichtungen, die den Fragebogen ausgefüllt haben, als für diese Zielgruppe vollständig barrierefrei ein. In Großbritannien traf dies auf ein Drittel der Einrichtungen (34 %), in Island auf vier der zehn Einrichtungen und in Österreich auf 14 % der Einrichtungen zu. Jedoch gaben ca. zwei Drittel der Einrichtungen an, für diese Zielgruppe teilweise barrierefrei zugänglich zu sein. Einige Unterstützungseinrichtungen ergreifen spezifische Maßnahmen, beispielsweise die Zusammenarbeit mit für diese Zielgruppe relevanten Einrichtungen oder das Anbieten von Informationsmaterialien und Beratung in Leichter Sprache.

Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen

Bezüglich der Zugänglichkeit der Einrichtungen für Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen fällt die Bewertung etwas positiver aus. Jedoch zeigt die Abbildung deutlich, dass die Barrierefreiheit auch für diese Frauen noch immer gering ist. Weniger als die Hälfte der befragten Einrichtungen in Österreich, Island und Großbritannien gaben an, dass sie für Rollstuhlfahrerinnen sowie für andere körperlich oder mobilitätsbeeinträchtigte Frauen vollständig barrierefrei zugänglich seien. Im Vergleich zu diesen Zahlen fällt die sehr geringe Zugänglichkeit von Einrichtungen für Frauen mit körperlichen Behinderungen in Deutschland auf: nur etwa 9 % der Unterstützungseinrichtungen sind für Rollstuhlfahrerinnen und Frauen mit anderen körperlichen Einschränkungen vollständig barrierefrei zugänglich. Dieser signifikante Unterschied könnte zum einen damit zusammenhängen, dass das Thema „Barrierefreiheit“ in Deutschland derzeit sehr stark diskutiert wird, was möglicherweise zu höheren Erwartungen oder höheren Standards in Bezug auf die Einschätzung der eigenen Barrierefreiheit von Einrichtungen beiträgt. Zum anderen könnte es darauf zurückzuführen sein, dass die Einrichtungen aufgrund von akutem Ressourcenmangel mit der Berücksichtigung einer weiteren „Zielgruppe“ überlastet sind und die Aussage der unzureichenden Barrierefreiheit auf den zusätzlichen, subjektiv als nicht bewältigbar wahrgenommenen Arbeitsaufwand anspielt, der durch das aktuelle Personal nicht gedeckt wird.

Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen

Den Einzelinterviews und den Einschätzungen der Online- Befragung nach waren Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen die Zielgruppe, die am häufigsten erreicht wurde und für die es die wenigsten Barrieren gab. In vielerlei Hinsicht ist die hohe Präsenz dieser Zielgruppe in den Einrichtungen aufgrund der Auswirkungen von Gewalt auf die psychische Gesundheit der Frauen nicht überraschend. Dennoch gab die Hälfte der befragten Einrichtungen für diese Zielgruppe in Österreich, Deutschland und Island an, nur teilweise barrierefrei zugänglich zu sein – in Großbritannien waren es ein Drittel der Einrichtungen.

Frauen, die in stationären oder teilstationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben und / oder Pflege und Unterstützung benötigen

Des Weiteren wurden die teilnehmenden Einrichtungen gefragt, in welchem Ausmaß sie Frauen unterstützen können, die in stationären oder teilstationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben bzw. auf Pflege oder Unterstützung angewiesen sind. Vollständig erreichbar für diese zu sein gaben vier der zehn befragten isländischen Einrichtungen an, in Großbritannien traf dies auf immerhin 29 % der befragten Einrichtungen zu. In Österreich (14 %) und Deutschland (6 %) wurde wiederum eine sehr geringe Zugänglichkeit sichtbar. Fast die Hälfte der Unterstützungseinrichtungen in Österreich, Deutschland und Großbritannien gaben an, Frauen mit Behinderungen, die in Wohneinrichtungen leben, nicht adäquat unterstützen zu können. Vorhandene Unterstützungsangebote für diese Zielgruppen waren vor allem die ambulante und aufsuchende Beratung, die Möglichkeit des telefonischen Kontakts und die Weitervermittlungsmöglichkeit der Frauen an andere professionelle Einrichtungen.

6.2 Maßnahmen zur Gewährleistung von Barrierefreiheit

Eine weitere Frage der Studie beschäftigte sich mit den bislang ergriffenen Maßnahmen, um das eigene Angebot barrierefreier zu gestalten. Die am häufigsten beschriebenen Maßnahmen umfassten Beratung für Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen, chronischen Erkrankungen und Beratung in Leichter Sprache für Frauen mit Lernschwierigkeiten. Andere Maßnahmen, die ebenfalls häufig erwähnt wurden, waren barrierefreie Räume für Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen, die Bereitstellung von Rechtsberatung (ohne eine genauere Angabe, wie dies für Frauen mit Behinderungen angepasst wurde oder ob es regelmäßig angeboten wurde) und die Unterstützung und Beratung per E-Mail. Wenig überrascht das Ergebnis, dass für Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen kaum Anpassungen in der Angebotsstruktur gemacht wurden. Umbauten, wie zum Beispiel das Anbringen von Schildern in Braille, die Verwendung von Lichtglocken und Leitsystemen für blinde Frauen, wurden nur sehr selten (0 % bis 4 %) angegeben.

Die Einrichtungen wurden darüber hinaus nach künftig geplanten Veränderungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit befragt. Die am häufigsten genannten Vorhaben waren dabei die Erstellung einer besser zugänglichen Website sowie von barrierefreien Informationsmaterialien (Österreich 13 %, Deutschland 11 %, Island 29 % und Großbritannien 15 %) sowie eine verbesserte Beratung für körperlich beeinträchtigte und chronisch kranke Frauen. Veränderungen zur Verbesserungen für Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen waren kaum vorgesehen. In Großbritannien, Deutschland und Österreich lag der Wert nur bei 16 % und in Island gab es überhaupt keine Vorhaben (0 %).

6.3 Öffentlichkeitsarbeit und Zugang zu Informationen

Mit Ausnahme einiger Einrichtungen, die Frauen mit Behinderungen aktiv ansprechen und barrierefreie Informationen bereitstellen, bietet die Mehrheit der teilnehmenden Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen keine entsprechenden Aktivitäten an.

Einige Einrichtungen sind sich nicht bewusst, dass sie ihre Angebote auch durch ihre Öffentlichkeitsarbeit bekannt machen müssen. Vielen fehlt es außerdem an ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen, um den Mehraufwand zu bewältigen, der notwendig ist, um Frauen mit Behinderungen adäquat zu erreichen und tatsächlich unterstützen zu können. Im Rahmen der Interviews wurde deutlich, dass bei einigen Einrichtungen aufgrund von Zeit- und Personalmangel und unzureichender Finanzierung die Sorge bestand, diesen zusätzlichen Arbeitsbereich nicht bewältigen zu können. Der Großteil der Einrichtungen betonte jedoch die Wichtigkeit von barrierefrei zugänglichen Informationen und es gab hierfür auch einige Beispiele guter Praxis. Andererseits wurde ebenfalls berichtet, dass viele Internetseiten veraltete Informationen enthielten und anstatt Ressourcen für deren Aktualisierung aufzuwenden, wurde eher daran gearbeitet, das direkte Beratungsangebot auszubauen. Manche Einrichtungen gaben auch zu bedenken, dass sie nur über unzureichende Expertise im Bereich „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ verfügen und kaum mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen vernetzt sind, was für sie auch ein Grund war, warum sie wenig über Gewaltvorfälle in stationären oder teilstationären Wohneinrichtungen wussten.

6.4 Kooperationen und Vernetzung

Ein Großteil der Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen hatte Kontakt mit anderen Einrichtungen (Gesundheitseinrichtungen und anderen Einrichtungen, die auf demselben oder einem ähnlichen Gebiet tätig sind) und arbeitete auf verschiedene Arten mit ihnen zusammen. Die Intensität und das Engagement bezüglich der Kooperation zum Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen variierten jedoch stark.

Einige Unterstützungseinrichtungen hielten einen eher unverbindlichen, stark auf den Einzelfall bezogenen Kontakt, andere gaben an, sich regelmäßig für Meetings, Workshops oder Fortbildungen zu treffen und gemeinsam an der Entwicklung von barrierefrei zugänglichen Materialien zum Thema zu arbeiten. An den Vernetzungen wurde geschätzt, dass über das Thema „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ offen gesprochen wurde und es bereits ein erhöhtes Problembewusstsein gibt. In einigen Fällen wurden gute individuelle Lösungen für Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erlebten, entwickelt. Einige Vernetzungsaktivitäten waren aber weniger effektiv, zum Beispiel wenn sie keinen konkreten Nutzen für die gewaltbetroffenen Frauen hatten. Hier wurden Beispiele genannt, die sich vor allem auf Frauen mit schweren / mehrfachen Beeinträchtigungen und umfassender Unterstützung durch persönliche Assistenz bezogen. Den teilnehmenden Organisationen und Einrichtungen nach hat der Wettbewerb um finanzielle Mittel und Ressourcen zunehmend negativen Einfluss auf die Beziehungen zwischen den Einrichtungen. Aufgrund der immer knapper werdenden verfügbaren öffentlichen Mittel waren und sind staatliche Einrichtungen oft nicht bereit, umfassende Unterstützungsleistungen in unterschiedlichen Bereichen zu finanzieren (z.B. persönliche Assistenz, mehr finanzielle Ressourcen für die Umsetzung von Barrierefreiheit in Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen). Insgesamt ist die Kooperation mit Organisationen aus dem Behindertenbereich relativ gering. Nur ein Drittel der Frauenhäuser und Notrufe gab an, mit Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen zu kooperieren und nur ein Fünftel mit Selbstvertretungsorganisationen.

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Selbstvertretungsorganisationen wurden von den befragten Einrichtungen allgemein als von Männern dominiert und wenig sensibilisiert für die geschlechtsspezifischen Aspekte von Gewalt beschrieben. Nichtsdestotrotz existieren in einigen Ländern wie zum Beispiel in Deutschland sehr aktive Interessensvertretungen von und für Frauen mit Behinderungen, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema Gewalt gegen Frauen befassen und mit dem Opferschutz- und Unterstützungssystem vernetzt sind.

Viele Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen jedoch verorteten spezifische Formen von Gewalt an Frauen mit Behinderungen, wie beispielsweise „Hassverbrechen“ und institutionelle Gewalt größtenteils, in den Verantwortungsbereich von Organisationen für Menschen mit Behinderungen und häusliche Gewalt dagegen eher in den Tätigkeitsbereich von „klassischen“ Frauenunterstützungseinrichtungen.

6.5 Herausforderungen bei der Umsetzung der Barrierefreiheit

In allen Ländern zeigten sich verschiedene Aspekte, die als Herausforderungen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit thematisiert wurden. Unterschiede konnten hinsichtlich des Ausmaßes der wahrgenommenen Schwierigkeiten und den berichteten Möglichkeiten, diese zu überwinden, festgestellt werden. Die folgenden Barrieren wurden von den befragten Einrichtungen am häufigsten genannt.[19]

Finanzielle Barrieren und Ressourcenmangel

In allen vier Ländern wurden Einschränkungen aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen thematisiert. Ein Mangel an Ressourcen stellte für Einrichtungen der meisten Länder ein anhaltendes Problem dar, das dazu führt, dass nicht alle Zielgruppen gleichermaßen unterstützt werden konnten. Die meisten Einrichtungen arbeiteten nach dem Prinzip der Gleichbehandlung von Frauen; dennoch konnten aufgrund der Kapazitätsgrenzen zum Teil Frauen mit Behinderungen im Beratungsangebot nicht berücksichtigt werden. Insbesondere bei den Einrichtungen in Deutschland zeigte sich auch Skepsis gegenüber der Möglichkeit, alle Frauen mit Behinderungen vollständig einzubeziehen. Umfangreiche und kostspielige Anpassungen sowie zusätzliches Personal wurden als notwendig erachtet – jedoch von staatlichen Institutionen nicht bereitgestellt, sodass es zum Teil als „unmöglich“ beschrieben wurde, eine vollständig barrierefreie Beratung und Unterstützung für Frauen mit Behinderungen zu erreichen. Dennoch wurden in allen Ländern der Wille und das Verständnis für die Notwendigkeit, die Zugänglichkeit zur eigenen Einrichtung zu verbessern, deutlich. Einige der befragten Einrichtungen schätzen es jedoch als schwierig ein, der Forderung nach Barrierefreiheit in einem umfassenden Sinne nachzukommen. Um vollständige Barrierefreiheit[20] erreichen zu können, bräuchten diese nach eigenen Angaben sehr viel mehr personelle, finanzielle sowie zeitliche Ressourcen, welche derzeit nicht zur Verfügung stünden.

Barrierefreiheit wurde von vielen als unerreichbar angesehen, wodurch sich wiederum die Motivation zur Entwicklung von Verbesserungen verringerte.

Tabuisierung des Themas „Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen“ und Mangel an Verständnis in der Gesellschaft

Eine weitere Herausforderung stellte die tiefgreifende Tabuisierung des Themas „Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen“ dar. Deshalb wird es als notwendig angesehen, sich auf öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der Sensibilisierung für das Thema auf politischer und sozialer Ebene zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang betonten vor allem die isländischen Einrichtungen, dass ein Mangel an Verständnis für die Situation von Frauen mit Behinderungen in der Gesellschaft sowie Vorurteile vorhanden seien. Sie sprachen auch von einer allgemeinen Zurückhaltung von Frauen mit Behinderungen, eigene Gewalterfahrungen anzusprechen.

Das folgende Kapitel basiert auf dem ländervergleichenden Bericht zu „Good-Practice-Beispielen und Empfehlungen“. Die Empfehlungen wurden wortgetreu wiedergegeben.[21]



[19] Eine detaillierte Beschreibung weiterer in den einzelnen Ländern beschriebener Herausforderungen findet sich in den nationalen empirischen Berichten. http://women-disabilities-violence.humanrights.at/de/publikationen

[20] Anmerkung: umfassende Barrierefreiheit inkludiert bauliche und infrastrukturelle Barrierefreiheit, aber auch vollen barrierefreien Zugang zu Informationen und zu Serviceleistungen bzw. Angeboten, die an alle unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen angepasst sind.

[21] Good-Practice-Beispiele und Empfehlungen. Vergleichender Bericht. Universität Island. The Centre for Disabilities Studies. Oktober, 2014; Download auf der Projektwebseite: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/publications

7. Good-Practice-Beispiele

Alle Befragungsteilnehmerinnen sowie die Mitglieder der nationalen Beiratstreffen wurden nach ihnen bekannten hilfreichen Good-Practice-Beispielen gefragt. Aus allen genannten Beispielen wählten die nationalen Forschungsteams jeweils bis zu fünf aus, basierend auf gemeinsam entwickelten Leitlinien und Kriterien. Hierbei ist es wichtig festzuhalten, dass die Good-Practice-Beispiele nicht umfassend auf ihre Wirksamkeit, Wirkung und Nachhaltigkeit hin evaluiert wurden. Die Beispiele sind demnach das Ergebnis eines gemeinsamen Diskussionsprozesses darüber, was gute Praxis ausmacht.

Die Forschungsteams teilen die Einschätzung, dass es schwierig sei, bestimmte Praktiken, Aktivitäten, Programme oder Modelle – ohne sie umfassend evaluiert zu haben – als erfolgreich einzustufen. Der Begriff ‚Good Practice‘ wird im Rahmen dieses Berichtes verwendet, um eine Form der Unterstützung zu beschreiben, die sich in bestimmten Kontexten nach Einschätzung der Praktikerinnen als erfolgreich erwiesen hat und den gemeinsam entwickelten Kriterien und Leitlinien entspricht. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass in Bezug auf die Übertragbarkeit von ‚Good-Practice-Beispielen‘ die meisten Aktivitäten kontextspezifisch sind und – an nationale Kontexte[22] und unterschiedliche Zielgruppen von Frauen mit Behinderungen – angepasst werden müssen.

7.1 Beschreibung der Leitlinien und Kriterien für Good-Practice-Beispiele[23]

Die Leitlinien und Kriterien wurden gemeinsam mit den teilnehmenden Forschungsteams in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen unterschiedlicher Einrichtungen und Interessensgruppen und des Beirates erarbeitet.

7.2 Leitlinien

Die Leitlinien gelten als grundsätzliche Prinzipien, die dabei helfen sollen, Good-Practice-Beispiele im Bereich der Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen für Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen zu identifizieren und zu entwickeln.

Es ist von höchster Bedeutung, dass die Unterstützung der Einrichtungen auf den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und anderen Menschenrechtsnormen basiert und allen Frauen, einschließlich der Frauen mit Behinderungen, zur Verfügung steht. Dabei ist es wichtig, dass Unterstützungseinrichtungen mit dem „sozialen Modell von Behinderung“ vertraut sind und über Informationen zu Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen verfügen. Ein weiteres grundlegendes Prinzip ist, dass in den Einrichtungen umfassende Barrierefreiheit gewährleistet sein muss. Darüber hinaus braucht es einen sicheren Ort, wo Vertraulichkeit und Privatsphäre für Frauen mit Behinderungen sichergestellt sind. Die Anerkennung von Vielfalt innerhalb der Gruppe der Frauen mit Behinderungen ist eine weitere wesentliche Leitlinie. Es muss anerkannt werden, dass die Gruppe der Frauen mit Behinderungen heterogen ist und, abhängig von der individuellen Situation, auch Überschneidungen mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit wie zum Beispiel Alter, Sexualität, und Nationalität, eine Rolle spielen. Dies bedeutet, dass ein individueller Ansatz verfolgt sowie zielgerichtete Maßnahmen für alle Frauen zur Verfügung gestellt werden sollten, wenn Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen adäquat unterstützt werden sollen. Vertreterinnen von Einrichtungen sollten dafür Sorge tragen, dass den Frauen zugehört und geglaubt wird, zudem müssen sie das Recht auf Selbstbestimmung sowie die Wünsche der Frauen respektieren. Selbstermächtigung sollte eine wesentliche Rolle bei der Stärkung und der Unterstützung von Frauen mit Behinderungen spielen. Die Beschäftigung und Einbeziehung von Frauen mit Behinderungen auf allen Organisationsebenen und deren volle substantielle Teilhabe sind entscheidende Rahmenbedingungen.

7.3 Kriterien

Für Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen:

Die Kriterien zur Identifizierung von‚ Good-Practice- Beispielen‘ in Bezug auf Fachberatungsstellen und Unterstützungsleistungen für Frauen mit Behinderungen wurden auf Basis der zuvor genannten Leitlinien erarbeitet.

Ein zentrales Kriterium ist die Barrierefreiheit: das Angebot sollte für ein möglichst breites Spektrum von Frauen mit Behinderungen erreichbar sein und es sollten entsprechend zugängliche Informationen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollten die angebotenen Leistungen flexibel und anpassungsfähig sein, um Frauen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt zu unterstützen und stärken zu können.

Ein weiteres wesentliches Kriterium stellt das Wissen um und ein Bewusstsein für die verschiedenen Arten von Gewalt – die speziell Frauen mit Behinderungen betreffen – dar. Dies beinhaltet die Sensibilisierung durch kontinuierliche Fortbildungen zu verschiedenen Formen von Behinderungen und Beeinträchtigungen und den Abbau von sozialen Strukturen und Bedingungen, die Frauen mit Behinderungen diskriminieren und ausschließen.

Die Teilhabe von Frauen mit Behinderungen als Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen, als Kooperationspartnerinnen von Selbstvertretungsorganisationen, Interessensgruppen, etc. und ihre aktive Beteiligung an der Entwicklung und Implementierung von neuen Angeboten werden als zusätzliches Kriterium verstanden. Selbstermächtigung und -bestimmung sowie die Anerkennung von Vielfalt – wie in den Leitlinien beschrieben – werden als weitere relevante Kriterien angeführt.

Zugang zum Recht, insbesondere durch Unterstützung der Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen:

Ein generelles Kriterium beim „Zugang zum Recht“ bezieht sich darauf, dass formale Beschwerdemechanismen und das Recht auf kostenlose Rechtsberatung vor und während eines Strafprozesses für Frauen mit Behinderungen vorhanden sind. Dafür müssen PolizeibeamtInnen, AnwältInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen adäquat ausgebildet werden. Des Weiteren braucht es eine institutionalisierte Kommunikation zwischen Polizei und Unterstützungseinrichtungen. Die Akzeptanz alternativer Kommunikationsmethoden und -wege wird als weiteres wesentliches Kriterium angesehen.

Für Beratungsstellen und Unterstützungseinrichtungen ist es wichtig, dass Informationen über Rechte und Formen der Gewalt für Frauen mit Behinderungen zugänglich sind. Dazu gehört, dass Frauen zusätzliche Rechtsberatung erhalten, wenn sie Verbrechen bei Polizei, Gericht oder anderen formalen Beschwerdemechanismen melden. Weiterer Bestandteil dieser Kriterien sind Fortbildungen für MitarbeiterInnen der Unterstützungseinrichtungen zu rechtlichen Aspekten, die bei der Beratung von Frauen mit Behinderungen relevant sind.

7.4 Good-Practice-Beispiele

In diesem Kapitel werden einige Beispiele guter Praxis aufgeführt, die in allen Ländern als sehr positiv hervorgehoben werden. Eine detailliertere Beschreibung der identifizierten Good-Practice-Beispiele findet sich im vergleichenden Bericht „Good-Practice-Beispiele und Empfehlungen“ sowie in den vier nationalen empirischen Berichten (siehe Projektwebseite: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/publications ).

Peer-Beratung [24] zu Gewalt, aber auch zu vielen anderen relevanten Themen, wie zum Beispiel selbstbestimmtem Leben, Bildung, PartnerInnenschaft, Wohnsituation, etc. wurde von Frauen mit Behinderungen als sehr hilfreich empfunden. Als weiteres Good-Practice-Beispiel wurde das Modell der „Frauenbeauftragten in Einrichtungen“ (zum Beispiel in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Tagespflegezentren, etc.), die als Ansprechpersonen bei Gewaltvorfällen, aber auch bei anderen genderspezifischen Themen fungieren können, angeführt. Unterstützungseinrichtungen, die Flexibilität, Unvoreingenommenheit, Empathie, Anonymität, Verständnis und eine positive Einstellung zeigen und sich proaktiv für die Rechte von Frauen mit Behinderungen einsetzen, wurden ebenfalls als positive Beispiele genannt. Auch wurden Angebote wie Selbstverteidigungskurse oder Selbsthilfegruppen als Good-Practice-Beispiele benannt.



[22] in kultureller, historischer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht

[23] Die vollständige Liste der „Leitlinien und Kriterien für Good-Practice-Beispiele“ können auf der Projektwebsite heruntergeladen werden: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/de/publikationen

[24] entweder als eigenständiges Angebot oder im Rahmen von allgemeinen Unterstützungsleistungen

8. Empfehlungen

Inhaltsverzeichnis

Im Laufe des Projekts wurden verschiedene Empfehlungen entwickelt, wie Unterstützungsangebote und der Zugang zu Unterstützung für Frauen mit Behinderungen verbessert und gefördert werden können. Diese Empfehlungen stützen sich auf die Aussagen der an den Fokusgruppen und den Interviews befragten Frauen mit Behinderungen, der interviewten MitarbeiterInnen der Unterstützungseinrichtungen, der Beiratsmitglieder und der Interessensvertreterinnen, die sich mit den Forscherinnen berieten. Jedes Forschungsteam beschrieb in ihrem jeweiligen nationalen Bericht bis zu fünf Empfehlungen, die in diesem Kapitel zusammengefasst wurden. In allen Ländern wurden dieselben oder sehr ähnliche Probleme sichtbar. Dies deutet darauf hin, dass es bestimmte Einflussfaktoren gibt, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

8.1 Empfehlungen für die EU-Politik

Gewährleistung von barrierefreiem Zugang zu Informationen

Die Ergebnisse des Projekts heben deutlich einen Mangel an barrierefrei zugänglichen Informationen über Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und über barrierefrei zugängliche Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene von Gewalt hervor. Es ist wichtig, dass diese Informationen für Frauen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich gemacht werden. Die EU sollte das Thema barrierefrei zugänglicher Informationen für Frauen mit Behinderungen explizit berücksichtigen und Projekte fördern und finanzieren, die die Erstellung und Verbreitung von barrierefrei zugänglichen Informationen zu Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und zugänglichen Unterstützungsmöglichkeiten umfassen.

Verbesserung des Zugangs zum Recht für Frauen mit Behinderungen

Die Projektteilnehmerinnen forderten einen verbesserten Zugang zu Informationen über bestehende Rechte sowie zur Rechtsberatung für Frauen mit Behinderungen. Informationen, insbesondere über Gerichtsverfahren, müssten für Frauen mit Behinderungen einfacher zugänglich sein. Die EU sollte zudem Maßnahmen für einen verbesserten Zugang zu Rechtsberatung entwickeln und die Bereitstellung barrierefreier Informationen fördern.

Sensibilisierung für Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen

Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen mit Behinderungen, die über ihre Gewalterfahrungen sprechen, oft nicht geglaubt wird. Die EU sollte Kampagnen zur Sensibilisierung fördern und finanzieren, in denen die Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen, die von Diskriminierung, Vorurteilen und Gewalt geprägt ist, thematisiert wird.

Gesellschaftliche Inklusion von Frauen mit Behinderungen

Gewalt, die an Frauen mit Behinderungen verübt wird, ist stark mit deren Ausgrenzung aus der Gesellschaft verbunden. Zur Prävention von Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen ist es wichtig, ihren sozialen Status in der Gesellschaft allgemein zu verändern und zu verbessern. Die EU sollte sich stärker für die Teilhabe und Inklusion von Frauen mit Behinderungen engagieren und Projekte finanzieren, die ihre Position am Rande der Gesellschaft und die damit verbundene Ausgrenzung thematisieren, um ihre Wertschätzung zu steigern.

8.2 Empfehlungen für die nationale Politik

Verpflichtung zur Verbesserung des Zugangs zu Unterstützung für Frauen mit Behinderungen

Es erfordert politischen Willen, um den Zugang zu Unterstützung für Frauen mit Behinderungen zu verbessern. Wie in Artikel 16 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen betont wird, sollten Länder angemessene Maßnahmen planen, um die Stärkung von Menschen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind, zu fördern. Es ist wichtig, dass Staaten dieser Verpflichtung nachkommen, indem sie diesem Thema Priorität einräumen und Maßnahmen finanzieren, die notwendig sind, um den Zugang zu Unterstützung zu erleichtern. Hierzu sollten rechtliche Veränderungen eingeleitet oder Gesetze erlassen werden, die rechtliche, psychosoziale und emotionale Unterstützung für Frauen mit Behinderungen mit Gewalterfahrungen gewährleisten.

Mehr finanzielle Mittel für Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen für einen barrierefreien Zugang

Viele Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen bieten keine barrierefrei zugängliche Unterstützung für Frauen mit Behinderungen an. Viele Projekteilnehmerinnen benannten eine nicht ausreichende Finanzierung und finanzielle Schwierigkeiten als Hauptgründe für die eingeschränkte Zugänglichkeit. Die Finanzierung von Beratungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollte erhöht werden und mehr Ressourcen sollten Projekten zukommen, die sich mit der Unterstützung von Frauen mit Behinderungen befassen. Einrichtungen, die Veränderungen vornehmen wollen, um den Zugang zu ihren Angeboten für Frauen mit Behinderungen zu erleichtern, sollten spezielle Finanzierungen erhalten.

Mehr finanzielle Mittel für Unterstützungsangebote von Selbstvertretungsorganisationen und betroffenen Frauen

Die Ergebnisse der empirischen Berichte zeigen, dass viele Frauen mit Behinderungen Selbsthilfegruppen und Peer-Beratung schätzen. Es ist wichtig, solche Unterstützungsangebote zu fördern, diese Organisationen aktiv weiterzuentwickeln und ihnen finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

Förderung von Unterstützung im ländlichen Raum

Frauen mit Behinderungen, die im ländlichen Raum leben, haben generell weniger Zugang zu Ressourcen und Unterstützung. Politisch Verantwortliche der Länder sollten den Zugang zu Beratung und Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen im ländlichen Raum verbessern.

Verbesserung des Zugangs zu Informationen

Es ist wichtig, dass Informationen über Gewalt und Unterstützung besser zugänglich gemacht werden. Staaten sollten sicherstellen, dass Frauen mit Behinderungen Zugang zu Informationen über das frühzeitige Erkennen und über unterschiedliche Formen von Gewalt bzw. auch zu zugänglichen Unterstützungsangeboten erhalten. Diese Informationen sollten barrierefrei zugänglich sein (zum Beispiel in Leichter Sprache, Braille, Gebärdensprachvideos und Audiodateien). Diese Informationen sollten über verschiedene Medien verfügbar gemacht werden, um ein größeres Spektrum an Frauen mit Behinderungen zu erreichen (zum Beispiel durch Radio, Fernsehen und Printmedien). Zudem sollten Projekte organisiert und finanziert werden, in denen Frauen mit Behinderungen Schlüsselfunktionen bei der Planung, Erstellung und Verbreitung von Informationen über das Thema Behinderungen und Gewalt innehaben.

Hier ist es wichtig, Frauen mit Behinderungen in allen Planungsschritten als Expertinnen ihrer eigenen Situation mit einzubeziehen.

Förderung von sexueller Aufklärung

Die Qualität der sexuellen Aufklärung in Schulen und Institutionen, in denen Frauen mit Behinderungen leben und arbeiten, müsste durch die Länder gesichert werden. Es ist wichtig, dass Informationen über sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen mit Behinderungen in Schulen und in andere Lehrpläne integriert werden. Eine entsprechende Sexualerziehung sollte auch die Selbstermächtigung und die Selbstbestimmung fördern und Frauen dabei helfen, zwischen angemessenem, unangemessenem und missbräuchlichem Verhalten zu unterscheiden.

Sensibilisierung für Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen

Das Thema Gewalt sollte in einen öffentlichen Diskurs eingebettet werden, in welchem die Notwendigkeit der Inklusion und Gleichberechtigung von Frauen mit Behinderungen betont wird. In Übereinstimmung mit Artikel 8 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollten Staaten Maßnahmen ergreifen, um das gesellschaftliche Bewusstsein dahingehend zu fördern, dass Menschen mit Behinderungen nach wie vor innerhalb der Gesellschaft benachteiligt werden und sie einem höheren Risiko ausgesetzt sind, Gewalt zu erfahren.

Schulung von Fachpersonal

Es ist wichtig, dass das Fachpersonal, das mit Frauen mit Behinderungen oder im Unterstützungssektor arbeitet, zum Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und ihren verschiedenen Bedürfnissen geschult wird.

Solche Weiterbildungen sollten in die Berufsausbildung in unterschiedlichen Bereichen integriert werden (wie zum Beispiel Behindertenhilfe, Unterstützungseinrichtungen, Rechtssystem und Polizei). Schulungen sollten darauf abzielen, Vorurteile anzusprechen und einen tieferen Einblick in die Lebensbedingungen und Erfahrungen von Frauen mit Behinderungen zu geben. Sie sollten außerdem von oder in Zusammenarbeit mit Frauen mit Behinderungen durchgeführt werden.

Beteiligung von Frauen mit Behinderungen

Die Studienteilnehmerinnen forderten Maßnahmen zur Förderung der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Stärkung von Frauen mit Behinderungen.

Politisch Verantwortliche auf allen Ebenen (Länder / Bundesländer / Gemeinden) sollten Maßnahmen ergreifen, um weit verbreitete Vorurteile und falsche Wahrnehmungen über Frauen mit Behinderungen zu bekämpfen, indem Projekte und Initiativen gefördert werden, bei denen Frauen mit Behinderungen aktiv beteiligt sind (zum Beispiel bei der Öffentlichkeitsarbeit oder in den Medien). Außerdem sollten Projekte organisiert und unterstützt werden, die Schulungen zum Thema Behinderungen für MedienvertreterInnen anbieten, möglichst durch oder in Zusammenarbeit mit Frauen mit Behinderungen.

Unterstützung von selbstbestimmtem Leben und Gewährleistung eines gewaltfreien Lebens in Wohneinrichtungen

Frauen mit Behinderungen, die auf Unterstützungseinrichtungen angewiesen sind, sind meist verletzlicher, und daher sollten Angebote, die eine erhöhte Selbstbestimmung fokussieren, gefördert werden. Politisch Verantwortliche auf allen Ebenen (Länder / Bundesländer / Gemeinden) sollten Projekte fördern, finanzieren und durchführen, die ein selbstbestimmtes Leben für Frauen mit Behinderungen möglich machen. Jedoch müsste für Frauen, die noch immer in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, ein sicheres und gewaltfreies Leben durch umfassende Mechanismen und Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor Gewalt bzw. zur Unterstützung von Frauen, die Gewalt erlebt haben, gewährleistet werden.

Verbesserung des Zugangs zum Recht

Viele Teilnehmerinnen, sowohl Frauen mit Behinderungen als auch MitarbeiterInnen von Einrichtungen, betonten die Bedeutung der Verbesserung des barrierefreien Zugangs zu kostenloser Rechtsberatung für Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erlebt haben. Die Länder müssten zugängliche Informationen über die Rechte von Frauen mit Behinderungen erarbeiten, die betroffenen Frauen den Zugang zu Rechtshilfe erleichtern. Darüber hinaus sollten Länder ihre Gesetzgebung überprüfen und gegebenenfalls reformieren, um den Zugang zu Recht und damit die Beteiligung von Frauen mit Behinderungen an Gerichtsverfahren zu erleichtern. Nationale Gewaltschutzgesetze sollten die Möglichkeit der Wegweisung des / der TäterIn vorsehen. Sofern es diese Möglichkeit gibt, sollte untersucht werden, ob dieses Instrument auch dann anwendbar ist, wenn Frauen mit Behinderungen in Einrichtungen wohnen. Eine Herausforderung stellt die Anwendung der Wegweisung dar, wenn der / die TäterIn auch in der Einrichtung wohnt oder die Gewalt vom Pflegepersonal ausgeht, von dem die Frau in gewisser Weise abhängig ist. Ein Ausweichen der von Gewalt betroffenen Frau in ein Frauenhaus ist nicht immer möglich, da nicht alle Frauenhäuser barrierefrei sind. Das Rechtssystem müsste Frauen mit Behinderungen hierbei besser unterstützen. Daher sollten Staaten gewährleisten, dass Schulungen für AnwältInnen, RichterInnen und Polizei zum Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und ihren Rechten durchgeführt werden. Zusätzlich sollten Antidiskriminierungsgesetze besser an die Situation von Frauen mit Behinderungen angepasst werden.

8.3 Empfehlungen für Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen

Aktives Engagement im Kampf gegen Gewalt

Die Projekteilnehmerinnen forderten ein stärkeres Engagement von Einrichtungen der Behindertenhilfe beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen. Es ist wichtig, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen das Bewusstsein für das erhöhte Risiko ihrer Bewohnerinnen, Gewalt zu erleben, zu stärken – vor allem in Bezug auf sexualisierte Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung. Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten Leitlinien, Konzepte bzw. Mechanismen gegen Gewalt in ihren Organisationen entwickeln und implementieren, falls dies noch nicht geschehen ist.

Außerdem sollten sie Maßnahmen treffen, die dabei helfen, der Diskriminierung von Frauen entgegenzuwirken und die das Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung fördern.

Verbesserung des Zugangs zu Informationen

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen nehmen einen wichtigen Stellenwert hinsichtlich der Weitergabe von Informationen über zugängliche Unterstützung für Frauen mit Behinderungen ein. Aus diesem Grund ist es für Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen empfehlenswert, gemeinsam mit Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen und Selbstvertretungsorganisationen Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ zu betreiben und diesbezügliche Informationen zu verbreiten. Außerdem sollten Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen Maßnahmen ergreifen, damit Frauen mit Behinderungen Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten zur Rechtsberatung erhalten.

Förderung von Sensibilisierungsmaßnahmen

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Diskriminierung und Gewalt aufmerksam machen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren. Sie sollten an Projekten teilnehmen, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit sowie auch spezifischer Berufsgruppen, die mit Frauen mit Behinderungen arbeiten, fördern. Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten mit Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sowie Selbstvertretungsorganisationen und Interessensvertretungen zusammenarbeiten. Außerdem ist es wichtig, dass alle Maßnahmen zur Sensibilisierung in Zusammenarbeit mit Frauen mit Behinderungen und dem Unterstützungssystem für Gewalt gegen Frauen entwickelt werden.

Förderung von Unabhängigkeit

Die Projektteilnehmerinnen berichteten davon, wie ihre Position durch die Abhängigkeit von Einrichtungen geschwächt wird und sie in ihren Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten Frauen mit Behinderungen stärken und Strukturen schaffen, die mehr Unabhängigkeit ermöglichen und das Recht auf Selbstbestimmung umsetzen. Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten Projekte oder Workshops unterstützen, finanzieren und durchführen, die sich auf das Konzept „selbstbestimmt Leben“ und auf Strategien zur Selbstermächtigung konzentrieren. Es ist wichtig, dass die Inhalte dieser Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit Frauen mit Behinderungen entwickelt werden.

Entwicklung klarer Strategien zur Gewaltprävention

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen müssten anerkennen, dass Gewalt auch innerhalb des Systems passiert. Allen voran müssten Strategien zur Prävention von Gewalt entwickelt und implementiert werden.

Darüber hinaus sollten Einrichtungen Maßnahmen oder´verpflichtende Richtlinien festlegen, um zu gewährleisten, dass Gewaltvorfälle oder ‚Verdachtsfälle‘ identifiziert und untersucht werden. Diese Richtlinien sollten MitarbeiterInnen von Einrichtungen unterstützen und klare Vorgaben beinhalten, wie sie reagieren sollten bzw. welche Schritte einzuleiten sind. Frauen mit Behinderungen, die Gewalt erleben, müssen wissen, an wen sie sich wenden bzw. welche Art von Intervention und Unterstützung sie erwarten können. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Verwaltungsebene die Umsetzung solcher Richtlinien aktiv unterstützt. Bei der Entwicklung konkreter Interventionsstrategien sollten die betroffenen Frauen miteinbezogen werden.

Förderung des Wissens der MitarbeiterInnen und anderem Fachpersonal

Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sollten die MitarbeiterInnen für das Thema „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ sensibilisieren. Dies sollte durch Schulungen in Form von Lehrgängen oder einzelnen Workshops für alle MitarbeiterInnen, die mit Frauen mit Behinderungen arbeiten, erfolgen. Es ist unerlässlich, dass MitarbeiterInnen auch Weiterbildungen zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen, dem „sozialen Modell von Behinderung“ und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten.

Diese Schulungen sollten gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung der TeilnehmerInnen mit Gewalt und Macht ermöglichen und darüber aufklären, inwiefern Abhängigkeiten gewalttätige Handlungen begünstigen können. Alle Schulungen sollten von oder in Zusammenarbeit mit Frauen mit Behinderungen und dem Unterstützungssystem durchgeführt werden.

8.4 Empfehlungen für Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen

Bereitschaft zur Unterstützung von Frauen mit Behinderungen

Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen müssten Frauen mit Behinderungen als eine für ihre Einrichtung relevante Zielgruppe ansehen und ihre Einrichtungen dementsprechend ausrichten und organisieren. Unterstützungseinrichtungen müssten die Bereitschaft zeigen, notwendige Veränderungen und Adaptierungen durchzuführen, um erfolgreiche und barrierefreie Unterstützung für Frauen mit Behinderungen anzubieten. Einrichtungen sollten alle Frauen mit und ohne Behinderung miteinbeziehen und so gestaltet werden, dass die Zugänglichkeit für Frauen mit Behinderungen gewährleistet ist.

Überwindung von inneren Barrieren und Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten

Viele Forschungsteilnehmerinnen, Frauen mit Behinderungen und MitarbeiterInnen von Einrichtungen gleichermaßen, sind der Meinung, dass ein allgemeiner Mangel an Bewusstsein und Wissen über „Gewalt und Behinderungen“ unter nicht-behinderten BeraterInnen des Unterstützungssystems vorherrscht. Die BeraterInnen müssten über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um ihre Unterstützungsangebote an die Bedürfnisse von Frauen mit verschiedenen Behinderungen anzupassen. Außerdem müssten sie dahingehend sensibilisiert werden, dass das Leben von Frauen mit Behinderungen von vielfältigen Abhängigkeitsverhältnissen geprägt ist, was zu Machtungleichheiten führt. Es ist davon auszugehen, dass ein höheres Bewusstsein der BeraterInnen dazu beitragen kann, mögliche eigene innere Hemmschwellen abzubauen, was für viele Frauen mit Behinderungen als Barriere beim Zugang zu Unterstützungseinrichtungen beschrieben wurde. Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen müssten regelmäßig Schulungen zum Thema „Gewalt und Behinderungen“ für BeraterInnen anbieten, möglichst gemeinsam mit Frauen mit Behinderungen. Weiterbildungen sollten auf die spezifische Situation von Frauen mit Behinderungen, die unterschiedlichen Ausprägungen der gegen sie verübten Gewalt und auf das soziale Modell von Behinderung eingehen.

Angebote von zugänglicher Unterstützung

Die empirischen Berichte zeigen die schlechte Zugänglichkeit der meisten Unterstützungseinrichtungen für Frauen mit Behinderungen auf. Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollten ihre Serviceleistungen und Angebote dahingehend überprüfen, inwiefern sie für Frauen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich sind und daran arbeiten, noch bestehende Barrieren abzubauen. Die Räumlichkeiten der Organisationen sollten barrierefrei zugänglich sein und für gehörlose Frauen sowie Frauen mit Lernschwierigkeiten sollte die adäquate Kommunikation gewährleistet werden. Des Weiteren sollte die proaktive Unterstützung über die Beratungsräume hinausgehen. Die Angebote der Organisationen sollten flexibel sein und die BeraterInnen müssten verschiedene Möglichkeiten kennen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen mit Behinderungen gerecht zu werden. Außerdem müssten Beratungsstellen und Unterstützungseinrichtungen besonders den Zugang für gehörlose Frauen sicherstellen und gewährleisten, indem sie über gebärdensprachkompetente MitarbeiterInnen verfügen.

Beschäftigung von Frauen mit Behinderungen

Es ist wichtig, dass Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen über eine klare Beschäftigungsstrategie für die stärkere Einbeziehung von Frauen mit Behinderungen verfügen. Unterstützungseinrichtungen sollten darauf achten, dass Frauen mit Behinderungen auf allen Ebenen – inklusive der Führungs- und Managementebene – inkludiert sind und gewährleistet ist, dass sie in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Dies stellt einen wichtigen Schritt dar, um sicherzustellen, dass die Unterstützung von Frauen mit Behinderungen auf ihren Erfahrungen beruht.

Bereitstellung von Angeboten, die aus der Sicht von Frauen mit Behinderungen besonders hilfreich sind

Viele der an der Studie teilnehmenden Frauen forderten mehr Unterstützung durch Peers und Peer-Beratung. Unterstützungseinrichtungen sollten Frauen mit Behinderungen als Expertinnen ihrer eigenen Lebenssituation anerkennen und Unterstützungsangebote, die von ihnen geschätzt werden, fördern. Neben Peer-Beratung wurde von den Frauen auch die Einrichtung von Diskussionsforen gefordert. Frauen mit Behinderungen wünschten sich Orte, an denen sie sich treffen können und über ihre Erfahrungen und die Hindernisse, denen sie im täglichen Leben gegenüberstehen, gemeinsam diskutieren können. Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollten sicherstellen, dass die Unterstützung von Frauen mit Behinderungen immer auf deren Bedürfnissen basiert, und nicht ausschließlich auf Grundlage der Sichtweisen und Erfahrungen von BeraterInnen und Fachpersonal ohne Behinderungen.

Bereitstellung barrierefrei zugänglicher Informationen über die Angebote

Die Frauen mit Behinderungen in der Studie betonten einen Mangel an Informationen über barrierefrei zugängliche Unterstützungsangebote. Beratungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollten sicherstellen, dass Informationen über Beratung und Unterstützung barrierefrei bereitgestellt werden, zum Beispiel in Leichter Sprache, Videoclips in Gebärdensprache und Audiodateien. Es ist wichtig, dass Organisationen klar und deutlich angeben, wie ihre Angebote zugänglich sind.

Aktives Engagement in der öffentlichen Diskussion über Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen

Die Teilnehmerinnen wiesen darauf hin, dass die öffentliche Diskussion über Gewalt gegen Frauen normalerweise nicht die Erfahrungen von Frauen mit Behinderungen widerspiegelt und Abhängigkeitsverhältnisse sowie das Ungleichgewicht an Macht, das sie erfahren, nicht berücksichtigt werden.

Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollten erkennen, dass Frauen mit Behinderungen gesellschaftlich marginalisiert, benachteiligt und diskriminiert werden. Sie sollten öffentlich zur Situation von Frauen mit Behinderungen Stellung beziehen und daran mitarbeiten, dass Frauen mit Behinderungen innerhalb des öffentlichen Diskurses wahrgenommen und aktiv beteiligt werden.

Wege finden, um Frauen mit Behinderungen zu erreichen

Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen mit Behinderungen bisher nur wenige Angebote von Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen nutzten.

Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sollten proaktive Maßnahmen ergreifen, die darauf abzielen, Frauen auch tatsächlich zu erreichen – möglichst in Zusammenarbeit mit Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Selbstvertretungsorganisationen.

Zusammenarbeit mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen und Selbstvertretungsorganisationen

Unterstützungseinrichtungen sollten regelmäßig mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen und Interessensvertretungen bzw. Selbstvertretungsorganisationen zusammenarbeiten und ein Netzwerk etablieren, in dem Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsam Projekte und Aktivitäten entwickelt und implementiert werden können.

8.5 Empfehlungen für Selbstvertretungsorganisationen

Beteiligung am Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt

Einige der am Projekt teilnehmenden Frauen mit Behinderungen waren der Meinung, dass auch Selbstvertretungsorganisationen das Thema geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen nicht angemessen behandeln.

Es ist wichtig, dass Selbstvertretungsorganisationen das Recht von Frauen mit Behinderungen auf ein Leben ohne Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch – wie in Artikel 16 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgehalten – anerkennen und auch umsetzen. Darüber hinaus sollten sie Projekte zum Thema „Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen“ entwickeln.

Zusammenarbeit mit Organisationen, die Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen (mit Behinderungen) anbieten

Selbstvertretungsorganisationen sollten aktiv mit Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen sowie mit Organisationen, die Frauen mit Behinderungen unterstützen, wenn sie Gewalt erlebt haben, zusammenarbeiten. Sie könnten unter anderem Schulungen zum Thema „Behinderung und Gleichstellung“ für Unterstützungseinrichtungen anbieten und den Organisationen dabei helfen, barrierefrei zu werden. Gemeinsam könnten Anstrengungen unternommen werden, um für das Thema „Gewalt und Behinderungen“ Lobbyarbeit zu betreiben und geeignete finanzielle Mittel zur Umsetzung verschiedener Aktivitäten zu generieren.

Bereitstellung von Informationen über barrierefrei zugängliche Einrichtungen und Angebote für Frauen, die Gewalt erfahren haben

Selbstvertretungsorganisationen können eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Informationen über verschiedene Formen von Gewalt und barrierefrei zugängliche Unterstützungseinrichtungen und Angebote für Frauen mit Behinderungen spielen. Die Projektteilnehmerinnen wiesen darauf hin, wie wichtig eine gut funktionierende Kooperation zwischen den Selbstvertretungsorganisationen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und den im Bereich Opferschutz tätigen Einrichtungen ist.

9. Schlussfolgerungen

Alle Befragten in den teilnehmenden Ländern bestätigten, dass sie in hohem Ausmaß Gewalt erfahren mussten. Die erlebte Gewalt nahm viele unterschiedliche Formen an und wurde im Laufe des Lebens häufig an unterschiedlichen Orten und von verschiedenen TäterInnen ausgeübt. In den meisten Fällen waren es Menschen[25], die den Frauen nahe standen oder engen Kontakt mit ihnen hatten: (Ex-) PartnerInnen, Ehepartner und Familienmitglieder sowie FreundInnen, LehrerInnen und Personen aus dem nahen sozialen Umfeld. Gewalt stand ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem Leben in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und mit Pflegepersonen, sowohl in Form von bezahlter Assistenz als auch in Form von informellen Pflegepersonen aus der Familie. In Wohneinrichtungen kam es häufig auch zur Gewaltausübung durch andere BewohnerInnen. Laut den meisten Frauen mit Behinderungen gab es keinen Ort, an dem nicht Gewalt ausgeübt wurde. Gewalt wurde als etwas erlebt, das überall und allgegenwärtig ist. Vor allem Frauen mit Sinnesbeeinträchtigungen (gehörlose und blinde Frauen), Frauen mit Lernschwierigkeiten und Migrantinnen mit Behinderungen (insbesondere in Großbritannien) waren besonders gefährdet. Aufgrund der starken Abhängigkeit von anderen Menschen und Institutionen sind Frauen mit Behinderungen einem höheren Risiko ausgesetzt, Gewalt zu erfahren, als nicht-behinderte Frauen.

Gewaltbeziehungen beruhten meist auf ungleichen Machtverhältnissen, die das Leben vieler Frauen über lange Zeiträume hinweg bestimmten. Die relative Machtlosigkeit der betroffenen Frauen resultierte aus einer Vielzahl von Faktoren, die sich oft aus den Beeinträchtigungen ergaben, wie beispielsweise sich nicht oder nur kaum gegen die TäterInnen wehren zu können oder der ständigen Kontrolle – zum Beispiel in Wohneinrichtungen – ausgesetzt zu sein. In allen Ländern standen die Beeinträchtigungen der Frauen in engem Zusammenhang mit der erlebten Gewalt. Zum Beispiel wurden Mobilitätshilfen weggenommen oder unwirksam gemacht oder den Frauen wurden zu starke Medikamente verabreicht.

Frauen mit Behinderungen berichteten besonders häufig über sexualisierte Gewalt in ihrer Kindheit sowie im Erwachsenenalter, was Anlass zur Besorgnis geben sollte. Mögliche Ursachen liegen in der noch immer vorherrschenden Annahme der Gesellschaft, dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen – insbesondere Frauen mit Lernschwierigkeiten – ‚asexuell‘ sind, was das Überschreiten von Grenzen und die Ausübung von unentdeckt bleibender sexualisierter Gewalt begünstigen kann. In allen Ländern berichteten einige Frauen mit Behinderungen über mangelnde sexuelle Aufklärung in der Kindheit. Einige Frauen sagten, dass sie deshalb Schwierigkeiten hatten, ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse zu artikulieren, Grenzen zu setzen und sexuellen Missbrauch zu erkennen bzw. sich zu wehren. Dieser Mangel an sexueller Aufgeklärtheit wurde von den Tätern oft ausgenutzt und einigen Frauen wurde ihr Missbrauch erst zu einem viel späteren Zeitpunkt in ihrem Leben bewusst.

Gewalterfahrungen verursachten bei vielen Frauen psychische Belastungen und Beeinträchtigungen. Gewalt war aber auch die Ursache von kognitiven Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten. In Hinblick auf Gewalt in Zusammenhang mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen macht die Studie deutlich, dass sich die Gewaltsituation für Frauen oft verschlimmerte, wenn die Behinderungen erst im Laufe der PartnerInnenschaft oder Beziehung auftrat oder sich die Beeinträchtigungen verschlechterten. Frauen mit Behinderungen waren häufig von ihren PartnerInnen abhängig und diese nutzten die Beeinträchtigungen der Frauen oft als Teil einer gewalttätigen Strategie, indem sie zum Beispiel Frauen isolierten und jeglichen Kontakt nach außen verboten bzw. verunmöglichten, was wiederholt berichtet wurde. Solche Situationen machten es für Frauen mit Behinderungen sehr schwer, Unterstützung zu suchen – sowohl von Familienmitgliedern und FreundInnen als auch bei Unterstützungseinrichtungen. Sie hatten häufig Angst davor, die notwendige Unterstützung zu verlieren, die sie brauchten, um ihr tägliches Leben zu meistern.

Fast alle Frauen mit Behinderungen betonten die Notwendigkeit von „sicheren Orten“, an denen sie die Möglichkeit erhalten, über ihre Erfahrungen zu sprechen, wo ihnen geglaubt wird und wo sie praktische sowie emotionale Unterstützung erhalten. In diesem Kontext war auch häufig von persönlichen Vertrauenspersonen die Rede, die oft in Krisensituationen für sie eine zentrale Rolle spielten. Die Art der Unterstützung reichte von „Zuhören“, „Bestärken“ bis hin zur Bereitstellung von Information über entsprechende Unterstützungseinrichtungen und Angebote. Einige Frauen beschrieben den Moment, in dem sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatten, ernst genommen zu werden bzw. dass man ihnen glaubte, als extrem positiv.

Frauen mit Behinderungen hatten kaum Zugang zu angemessener Unterstützung: Oft hatten sie keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben baulichen Barrieren und unzureichenden Angeboten und Leistungen gab es in den Einrichtungen vor allem zu wenig Wissen über die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen sowie fehlende finanzielle und personelle Ressourcen, um umfassende Barrierefreiheit gewährleisten zu können. Vorhandene Angebote von Unterstützungseinrichtungen waren primär an die Situation von nicht-behinderten Frauen, die Gewalt erfahren haben, angepasst. Meist wurden spezifische Formen von Gewalt, denen Frauen mit Behinderungen ausgesetzt sind – beispielsweise Gewalterfahrungen durch PflegerInnen oder MitbewohnerInnen in Wohnrichtungen – in ihren Angeboten nicht mitberücksichtigt.

Ein weiteres Ergebnis der Forschungsstudie ist, dass die Netzwerkarbeit und Kooperation zwischen relevanten Einrichtungen, allen voran zwischen Unterstützungseinrichtungen und Organisationen aus dem Behindertenbereich, intensiviert werden müssen. In vielen Ländern mangelt es an geeigneten Anlaufstellen im Opferschutzbereich für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen und in Organisationen für Menschen mit Behinderungen (insbesondere in Wohneinrichtungen und Werkstätten) fehlt es an Wissen über geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt. Jedoch gibt es in jedem Land einige wenige Organisationen, die sich speziell für die Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen bei Gewalterfahrungen engagieren. Diese müssten unterstützt und gefördert werden.

Im Laufe des Forschungsprojekts wurden Empfehlungen erarbeitet, die darauf abzielen, die Unterstützungsangebote für Frauen mit Behinderungen zu verbessern. Die Empfehlungen richten sich an unterschiedliche AkteurInnen, wie politische EntscheidungsträgerInnen (EU und Länder) und VertreterInnen von unterschiedlichen Einrichtungen aus dem Opferschutz- sowie Behindertenbereich. Interessanterweise gab es bei den Empfehlungen, die in den einzelnen Ländern entwickelt wurden, Überschneidungen und Gemeinsamkeiten. Dies weist darauf hin, dass sich die Situation von gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderungen in den einzelnen Ländern nicht sehr voneinander unterscheidet und dass es gemeinsame Kernanliegen gibt, die überall von besonderer Relevanz sind. Eine wesentliche Forderung daraus ist die aktive und substantielle Beteiligung von Frauen mit Behinderungen an der Planung, Erarbeitung, Umsetzung und Evaluierung von Initiativen und Aktivitäten zum Thema Gewalt auf allen Ebenen und in allen Bereichen.

In Bezug auf die rechtliche Situation von Frauen mit Behinderungen gibt es zwar in allen Ländern Gesetze, die darauf abzielen, Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Personen mit Behinderungen vor Rechtsverletzungen und Diskriminierung zu schützen. Jedoch gibt es Lücken beim Schutz von Frauen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind. Alle Länder – außer Island – haben die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert; das bedeutet, dass die Länder eine politische Verantwortung haben, Maßnahmen auf rechtlicher sowie politischer Ebene zur Umsetzung des Übereinkommens zu setzen. Dies umfasst auch die Verbesserung der Unterstützung für von Gewalt betroffene Frauen mit Behinderungen.

Den Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen müsste daher eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihre Einrichtungen und Angebote barrierefrei zugänglich machen können.

Ein zentrales Ergebnis der Studie besagt, dass Gewaltprävention und die Verbesserung der Situation von Frauen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind, nur dann erfolgreich sein können, wenn in Zukunft Mädchen und Frauen mit Behinderungen auf allen gesellschaftlichen Ebene gleichberechtigt behandelt und inkludiert werden – in der Familie, in den Schulen, in der Freizeit, am Arbeitsplatz, in der Politik sowie in der gesamten Öffentlichkeit. Alle interviewten Frauen äußerten den starken Wunsch, in einer inklusiven Gesellschaft leben zu wollen, in der Kategorien wie ‚Behinderungen‘ oder ‚Frau-Sein‘ kein Thema mehr sind. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es die Aufgabe und die Pflicht von politischen EntscheidungsträgerInnen, adäquate Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Frauen mit Behinderungen umfassend durchzusetzen, insbesondere das Recht auf ein gewaltfreies Leben.

Darüber hinaus konnten im Laufe des Forschungsprozesses zwei Problembereiche identifiziert werden, die im Rahmen des Projektes nicht weiter untersucht werden konnten, bei denen es aber einen dringenden Bedarf an wissenschaftlicher Forschung gibt: In allen Ländern gab es Hinweise darauf, dass zum einen Frauen mit Behinderungen, die in Institutionen leben, massiv von Gewalt betroffen sind und zum anderen, dass Frauen mit Behinderung kaum Zugang zum Recht haben. In diesen Bereichen mangelt es generell an Informationen und Daten, mit Ausnahme Deutschlands, wo vor kurzem eine Studie zu Gewalt gegen Frauen[26], die in Einrichtungen leben, veröffentlicht wurde.

Abschließend konnte durch das Projekt aufgezeigt werden, dass die interviewten Frauen der Gewalt nicht nur (hilflos) ausgesetzt waren, sondern dass sie über besondere Stärken und Kräfte verfügten, die sie in die Lage versetzten, sich selbst aus eigener Kraft heraus zu befreien – manchmal sogar aus scheinbar ausweglosen Situationen. Genau hier sollten Maßnahmen ansetzen: bei den Stärken und Fähigkeiten sowie den selbstbestimmten Entscheidungen von Frauen mit Behinderungen. Letztendlich sollte ein starkes gemeinsames Netzwerk von Frauen mit Behinderungen und nicht-behinderten Frauen landesweit und über alle Grenzen hinweg etabliert werden, das von Gleichheit, Selbstbestimmung und Solidarität getragen ist.



[25] zum überwiegenden Teil Männer

[26] Schröttle, M. / Hornberg, C.: Gewalterfahrungen von in Einrichtungen lebenden Frauen mit Behinderungen, 2014. Online: http://www.gwi-boell.de/de/2014/10/27/studie-zu-gewalterfahrungen-voneinrichtungen-lebenden-frauen-mit-behinderungen (20. November 2014)

10. Literatur

Alle für die Erstellung des „Abschließenden Projektberichts” verwendeten Daten stammen aus den (nationalen sowie vergleichenden) Berichten, die im Rahmen des Projekts von allen ProjektpartnerInnen erarbeitet wurden. Eine Vielzahl der Berichte ist online auf der Projektwebsite verfügbar.

Deutsch: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/de/publikationen

Englisch: http://women-disabilities-violence.humanrights.at/publications

Berichte zu den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen

Planitzer, Julia; Sprenger, Claudia: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Legal and Policy Framework. National Report Austria. May, 2013

Schröttle, Monika; Vogt, Kathrin: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Legal and Policy Framework. National Report Germany. May, 2013

Traustadóttir, Rannveig; Snæfríðar- og Gunnarsdóttir, Hrafnhildur: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Legal and Policy Framework. National Report Iceland. May, 2013

Woodin, Sarah; Shah, Sonali: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Legal and Policy Framework. National Report UK. May, 2013

Planitzer, Julia: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Legal and Policy Framework. National Report. Comparative Report Legal and Policy Framework. July, 2013

Nationale interne Berichte (nicht veröffentlicht) zu den Ergebnissen der Fokusgruppendiskussionen mit Frauen mit Behinderungen, der Online-Befragungen von und Interviews mit Vertreterinnen von Fachberatungsstellen und Unterstützungseinrichtungen

Schachner, Anna; Sprenger Claudia: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Internal Working Paper Austria (Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen mit Frauen mit Behinderungen, der Onlinebefragungen von und Interviews mit Vertreterinnen von Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen). April, 2014 (unpublished)

Schröttle, Monika; Vogt, Kathrin: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Internal Working Paper Germany (Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen mit Frauen mit Behinderungen, der Onlinebefragungen von und Interviews mit Vertreterinnen von Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen). April, 2014 (unpublished)

Traustadóttir, Rannveig; Snæfríðar- og Gunnarsdóttir, Hrafnhildur: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence: Ofbeldi gegn fötluðum konum og aðgengi að stuðningi. April, 2014 (unpublished)

Woodin, Sarah; Shah, Sonali: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Internal Working Paper UK (Results of Focus Group Discussions with Women with Disabilities, Online Questionnaire for and Interviews with Representatives of Victim Support Services). April, 2014 (unpublished)

Berichte zu den empirischen Forschungsergebnissen

Schachner, Anna; Sprenger, Claudia; Mandl, Sabine; Mader, Helena: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence: National Empirical Report Austria. June, 2014 (Englisch und Deutsch)

Schröttle, Monika; Vogt, Kathrin; Rosemeier, Janina: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. National Empirical Report Germany. June, 2014 (Englisch und Deutsch)

Traustadóttir, Rannveig; Snæfríðar- og Gunnarsdóttir, Hrafnhildur: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. National Empirical Report Iceland. June, 2014 (Englisch und Isländisch)

Woodin, Sarah; Shah, Sonali: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. National Empirical Report UK. June, 2014

Woodin, Sarah; Shah, Sonali: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Comparative Empirical Report. October, 2014

Berichte zu den Good-Practice-Beispielen und Empfehlungen

Planitzer, Julia: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence: Good Practice Examples and Recommendations Austria. August, 2014

Schröttle, Monika; Vogt, Kathrin; Rosemeier, Janina: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Good Practice Examples and Recommendations Germany. August, 2014

Traustadóttir, Rannveig; Snæfríðar- og Gunnarsdóttir, Hrafnhildur: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Good Practice Examples and Recommendations Iceland. August, 2014 (unpublished)

Woodin, Sarah; Shah, Sonali: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Good Practice Examples and Recommendations UK. August, 2014

Traustadóttir, Rannveig; Snæfríðar- og Gunnarsdóttir, Hrafnhildur: Access to Specialised Victim Support Services for Women with Disabilities who have experienced Violence. Comparative Report. Good Practice Examples and Recommendations. October, 2014

Quelle

Sabine Mandl, Julia Planitzer, Anna Schachner, Claudia Sprenger: Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen - Abschließender Projektbericht des EU-Daphne-Projekts „Zugang von Frauen mit Behinderungen zu Opferschutz- und Unterstützungseinrichtungen bei Gewalterfahrungen“, 2014. http://women-disabilities-violence.humanrights.at/de

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.08.2015

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation