Adolf Lambeck - ein strammer Nazi und verdienter Leiter einer Hamburger Sprachheilschule bis 1950?

Autor:in - Inge Krämer-Kilic
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Artikel
Copyright: © Inge Krämer-Kilic 2000

Einleitung

Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht die Auseinandersetzung mit der Person Adolf LAMBECKs. Er gehörte zu den Lehrern, die sich während des Nationalsozialismus politisch profilierten. Als Mitglied des "Nationalsozialistischen Lehrerbundes" (NSLB) und Fachschaftsleiter der Gaufachschaft V (Sonderschulen) in Hamburg organisierte er Fortbildungsveranstaltungen, trat in seinen umfangreichen Veröffentlichungen beispielsweise für die "Aussonderung von minderwertigem Menschenmaterial aus der Sonderschule" ein und redete der Sterilisation von "Erbkranken" das Wort. Die Zeit des deutschen Faschismus überstand er wie viele andere, ohne in beruflicher Hinsicht für seine Aktivitäten während dieser Zeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vielmehr wurde er nach Kriegsende als einer der ersten Schulleiter von der englischen Besatzungsmacht wieder in sein Amt eingesetzt.

Der Titel dieser Arbeit ist bewusst provokativ formuliert. Erst beim zweiten Lesen mag deutlich werden, dass wir die angesprochene Konnotation, ein "strammer Nazi" und "verdienter Schulleiter" gewesen zu sein, tatsächlich für möglich halten.

Grundlagen für den folgenden Text bilden ausführliche Recherchen zur Person LAMBECKs, die Hendrik HAUSCHILD[1] in Hamburger Archiven, Sprachheilschulen und Bibliotheken durchgeführt hat, sowie ein narratives Interview der Autorin mit einer Enkelin von Adolf LAMBECK, das im Juli 1999 durchgeführt wurde.

Im Gespräch mit seiner Enkelin wurde deutlich, dass LAMBECK ein verschlossener, zynischer und ernster Mann war, dessen Leben z.T. erheblich durch seine Lungenerkrankung bestimmt war. Sie kann sich an Sprachheilschüler erinnern, die ins Haus nach Hamburg-Fuhlsbüttel kamen und von ihm therapiert wurden. Nach ihrer Einschätzung war er weniger am Geld interessiert, da die Familie sehr wohlhabend war, sondern er wollte diesen Kindern helfen. Ehrlich erschüttert war sie, als sie vom Inhalt der Veröffentlichungen ihres Großvaters im Nationalsozialismus erfuhr, zumal sie von seinem politischen Engagement während dieser Zeit bisher nichts wusste. Nachdem sie Einblick in seine Schriften genommen hatte, sagte sie fast wörtlich: "Ich hätte nie gedacht, dass mein Opa vielleicht am Tod von Kindern mitschuldig war!" Heute existieren in der Familie keine Texte des Autors. Seine Enkelin erinnerte sich dunkel, dass ihre Mutter (LAMBECKs Tochter) irgendwann nach dem Krieg viele Bücher und Papiere weggeworfen habe.

Unsere ausführlichen Recherchen wurden mit dem Ziel durchgeführt, möglichst viele quellenmäßig erreichbaren Einzelheiten zu erschließen. Die genannten methodischen Zugänge werden durch die inhaltsanalytische Bearbeitung ausgewählter Schriften ergänzt. Dieser mehrdimensionale Problemzugang hat bei uns die Erkenntnis wachsen lassen, dass man zumindest aus einer subjektiven Perspektive scheinbar nicht entweder nur ein "strammer Nazi" oder ein "verdienter Schulleiter" sein konnte, sondern beides miteinander vereinbar war.

Ein anderer Blick mit anderen Schlussfolgerungen eröffnet sich möglicherweise dem, der aus professionsorientierter Perspektive eine Rekonstruktion des Wirkens und Lebenswerkes von Adolf LAMBECK vornimmt. Erst die Verbindung beider Perspektiven, der eher subjektiven auf den Menschen LAMBECK und der professionellen auf den publizierenden Sprachheillehrer, Schulleiter und Fachschaftsleiter der Gaufachschaft V (Sonderschulen) im NSLB in Hamburg ermöglichen die Annäherung eines Verständnisses für die Motive der Person und mögliche Lehren, die aktuell aus der Beschäftigung mit dieser Person zu ziehen sind.

Interessant und wichtig ist die historische Aufarbeitung des Wirkens einer einzelnen Person hauptsächlich im Hinblick auf die Frage, unter welchen Bedingungen professionelle Hilfe geschah und immer wieder geschieht. Professionelle Helfer, die im sonderpädagogischen Bereich tätig sind, bieten ihre Dienste nahezu zwangsläufig in Verbundenheit mit Leid, Versagen und dem Nichterfüllen gesellschaftlicher Normen an. Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zwischen damals und heute sind nicht vergleichbar. Jedoch besteht heute eine Pflicht zum Besuch von Sonderschulen, die Sprachbehindertenpädagogen und Sonderschullehrer als professionelle Helfer in eine problematische Lage bringen kann. Eltern von Kindern mit Abweichungen und Behinderungen sind nicht wie andere Eltern frei in der Schulwahl für ihre Kinder, und alleine durch diese Tatsache wird in den betroffenen Familien Erschütterung, Verunsicherung und Leid durch professionelle Helfer ausgelöst.

Somit steht auch die Arbeit von heutigen Sonderpädagogen im Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, fachwissenschaftlichen Trends und der Wahrnehmung der Interessen der ihnen anvertrauten Kinder. Sonderschullehrer müssen auch heute noch qua professionellem Auftrag maßgeblich an der Aussonderung von Kindern mit Entwicklungsproblemen aus der Regelschule mitwirken. Sie sind teilweise aus vermeintlichen Kostengründen gezwungen, gegen ihre eigene pädagogische Überzeugung zu handeln, die möglicherweise besagt, dass der günstigere Lernort für ein Kind mit einer Sprachbehinderung die Regelschule sei. Aus solchen Diskrepanzen, die sich aus dem gesellschaftlichen Auftrag der Schule zur Selektion, einem fachwissenschaftlichen "Mainstream" und eigenen pädagogischen Überzeugungen ergeben, können weitgehende professionsbezogene Konfliktlagen für den einzelnen Pädagogen resultieren. Ein Ziel des Aufsatzes besteht darin, zu diskutieren, ob sich Adolf LAMBECK möglicherweise in einer vergleichsweisen Konfliktsituation befand.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Befassung mit der Person Adolf LAMBECKs eine Berechtigung. Ebenso aus einem von DOEHLEMANN formulierten Grund:

"Professionalität bedarf der vergegenwärtigenden Erinnerung, der Aufarbeitung und Einarbeitung einer fachlichen Vergangenheit samt ihrer dunklen Seiten. Gerade diese zu vergessen oder zu verdrängen macht anfällig für unkritisches, verblendetes oder im bloß Gegenwärtigen eingefrorenes Denken und Handeln." (DOEHLEMANN 1988, 5)

Die biographisch orientierte Beschäftigung mit der Person Adolf LAMBECKs wirft eine Anzahl von Fragen auf. Beispielsweise besteht ein Widerspruch darin, dass er einerseits Gründungsmitglied, Vorstandsmitglied und Schriftführer der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland" war (vgl. DOHSE 1978, 5, 13) und nach deren Gleichschaltung zu einem profilierten Vertreter und Funktionsträger im NSLB wurde. Welche persönlichen oder professionsbezogenen Motive standen also im Hintergrund seines verbands- und berufspolitischen Wirkens? Hätte für ihn vor dem Hintergrund der Existenz des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (GzVeN) einschätzbar sein müssen, dass er mit einer konsequent eugenisch ausgerichteten Argumentation in seinen Veröffentlichungen (nach 1933) eventuell daran mitwirkte, einen Teil der als "bildungsunfähig" ausgeschulten Kinder der Sterilisation und Vernichtung zuzuführen? Schließlich konstruiert er für Kinder mit Sprachbehinderungen u.a. eine Kategorie der "Bildungsfähigen mit minderwertigem Erbgut" und zieht für diese Personengruppe folgende Schlussfolgerung:

"Erbkrank ist kein Makel und noch viel weniger eine Schuld des Betroffenen; er soll keineswegs dafür bestraft oder auch nur zurückgesetzt werden, daß er Träger eines Erbleidens ist. Er hat Anspruch auf Entwicklung seiner geistigen und sittlichen Kräfte, die für die Allgemeinheit von erheblichem Wert sein können, man denke nur an manche geistig hochstehende Blinde und Gehörlose! Er hat der Allgemeinheit das Opfer des Verzichtes auf Nachkommen zu bringen; sie anerkannt dieses Opfer und dankt es ihm." (LAMBECK 1939, 6)

Ebenso überrascht die Tatsache, dass LAMBECK trotz seiner herausragenden Funktionen im NSLB und dem Inhalt seiner Publikationen als einer der ersten Lehrer von der englischen Besatzungsmacht bereits ab August 1945 wieder als Leiter der Sprachheilschule Karolinenstraße in Hamburg eingesetzt wurde. Somit konnte er seinen Dienst vermutlich von jeglicher Entnazifizierung unbehelligt nahtlos wieder aufnehmen.

Im folgenden Diskurs geht es uns nicht um die Bestätigung einer vorgefassten Schuldannahme bezogen auf LAMBECKs Person. Der Versuch, eindeutig klären zu wollen, "wie es wirklich war", müsste fehlschlagen, da dies retrospektiv kaum möglich ist. Vielmehr sind wir daran interessiert, Deutungen und Erkenntnisse über professionelles Wirken während des deutschen Faschismus aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und weiter auszudifferenzieren.

Der folgende Text gliedert sich in vier inhaltliche Schwerpunktbereiche. Zuerst wird LAMBECKs beruflicher Werdegang knapp skizziert. Zur besseren Einordnung und zu einem vertieften Verständnis seiner publizierten Aussagen folgt ein knapper Überblick über die bildungspolitische Situation, insbesondere bezogen auf die Lage der Sonderschulen im Nationalsozialismus. Anschließend folgt die inhaltsanalytische Interpretation dreier Schriften, in denen LAMBECK zu sprachheilpädagogischen Fragen Stellung bezieht. Ihre Auswahl wurde im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung vorgenommen. Im letzten Teil werden Schlussfolgerungen resümierend diskutiert.



[1] Hendrik HAUSCHILD ist Student der Sonderpädagogik an der Universität Hamburg, er wird sein Studium voraussichtlich im Juni 2000 abschließen.

Zur Person, beruflichem Werdegang und berufspolitischem Engagement

Adolf LAMBECK wurde 1887 geboren. Nach Abschluss der Volksschullehrerausbildung trat er 1922 im Alter von fünfunddreißig Jahren seinen Vorbereitungsdienst an der Sprachheilschule an (vgl. WENDPAP 1962, 4). Zusammen mit Heinrich MöHRING, der durch die von ihm entwickelte "MöHRINGsche Lauttreppe" bekannt wurde, legte LAMBECK 1924 die Sprachheillehrerprüfung ab und nahm seine Lehrtätigkeit an der Sprachheilschule "links der Alster" auf.

Kurz nach dem Beginn seiner Berufstätigkeit als Sprachheillehrer im Jahr 1925 begann er nach einer relativ kurzen Zeit praktischer Tätigkeit zu publizieren und veröffentlichte bis 1927 jährlich ein bis zwei Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften, die sich anfangs ausschließlich fachwissenschaftlichen Fragestellungen widmeten. LAMBECK profilierte sich in fachwissenschaftlicher Hinsicht, indem er sich nach Angaben von WENDPAP (1962, 10) ab 1940 auf die Behandlung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten spezialisierte. Zu diesem Themenkreis liegt eine Publikation aus dem Jahr 1936 vor. Zunehmend widmete er sich in seinen Publikationen schulorganisatorischen Fragen und dem Verhältnis der Sonderschule zum nationalsozialistischen Staat.

Das berufspolitische Engagement LAMBECKs bezog sich auf seine Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit in der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland" und ab 1933 im NSLB. Die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland", zu deren Mitbegründern LAMBECK gehört, erfolgte im Jahr 1927. Inhaltliche Positionen dieses vergleichsweise fortschrittlichen Berufsverbandes sind in einem Tagungsband mit dem Titel: "Das sprachkranke Kind. Bericht über die Verhandlungen auf der Tagung in Halle a.S. 23.-25.Mai 1929" aus dem Jahr 1930 eindrucksvoll dokumentiert (vgl. HASENKAMP 1930). Dem fachwissenschaftlichen Diskurs der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sind erste Ansätze einer fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit pädagogischer Schwerpunktsetzung innerhalb der Sprachheilpädagogik zuzuschreiben. LAMBECK ist namentlich im Teilnehmerverzeichnis der Veranstaltung aufgeführt, er leistet jedoch keinen inhaltlichen Diskussionsbeitrag, wie der ausführlichen Dokumentation über die Tagung zu entnehmen ist.

Im Zuge der sog. "Gleichschaltung" wurde die Arbeitsgemeinschaft 1933 aufgelöst und in den NSLB eingegliedert. LAMBECK beschreibt diesen Vorgang wie folgt:

"Die Krisenzeit drängte die "Arbeitsgemeinschaft" bald in die Verteidigung, und nach der nationalsozialistischen Erhebung hat sie 1933 ihren Arbeits- und Wirkungskreis dem NS-Lehrerbund anvertraut, der nun nach den Jahren der Besinnung einen neuen Zeitabschnitt für die Sprachheilarbeit einleiten will." (LAMBECK 1936b, 679).

LAMBECKs Aussage, dass die "Arbeitsgemeinschaft" ihren Arbeits- und Wirkungskreis freiwillig dem NS-Lehrerbund "anvertraut" habe, stellt sicherlich eine Verzerrung der Realität dar. Ihr Vorsitzender Wilhelm SCHLEUß gehörte den Freimaurern an und war deshalb eine den nationalsozialistischen Machthabern missliebige Person, außerdem zählte die "Arbeitsgemeinschaft" eine Anzahl von Juden zu ihren Mitgliedern, wie z.B. FRIEDLäNDER und FLATAU.

Adolf LAMBECK wurde Mitglied des NSLB und ist im Hamburgischen Lehrerverzeichnis des Schuljahres 1935/36 als Fachschaftsleiter der Gaufachschaft V (Sonderschulen) genannt (vgl. DE LORENT 1986, 208). Nach elfjähriger Tätigkeit als Sprachheillehrer wurde er 1935 von der Oberschulbehörde als Leiter der Sprachheilschule "rechts der Alster" eingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits die Funktion eines Gaufachschaftsleiters inne und trat sein Amt als Schulleiter in Nachfolge von Henry FRüCHTNICHT an, der aus Altersgründen seinen Dienst beendete.

Die Sprachheilschule "rechts der Alter" leitete LAMBECK ohne Unterbrechung bis zum Jahr 1950. Von der englischen Besatzungsmacht wurde er als einer der ersten Schulleiter - vermutlich ohne eine politische Überprüfung - wieder eingesetzt. Er behandelte auch nach seiner Pensionierung Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und starb 1952 in Hamburg-Fuhlsbüttel.

Zeitgeschichtliche Hintergründe bezogen auf den "Umbau des Schulwesens"

Die folgende Darstellung orientiert sich weitgehend an der Dokumentation von LEHRBERGER (1986) über die schulpolitische Situation in Hamburg während des Nationalsozialismus. Im Jahr 1933 wurden - hauptsächlich bezogen auf das allgemeine Volksschulwesen - in schneller Reihenfolge eine große Anzahl einschneidender Maßnahmen auf Erlassebene angeordnet und auf deren Durchführung gedrungen. Sie erfolgten in personalpolitischer Hinsicht, im Hinblick auf die Schul- und Unterrichtorganisation sowie auf die Verankerung neuer Unterrichtsinhalte. Im Jahr 1933 hatten die einzelnen Länder im Reich noch weitgehend autonome Bestimmungsrechte, während ab 1934 die Einführung reichseinheitlicher Regelungen angestrebt wurden. Dies wurde symbolisiert durch die Gründung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im selben Jahr.

Aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933 war es möglich, im gesamten Reich politisch missliebige und jüdischstämmige Lehrer entweder aus dem Schuldienst zu entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. So wurden beispielsweise bis 1935 55% der im Schuljahr 1932/33 amtierenden Schulleiter der Hamburger Schulen ausgetauscht (vgl. LEHBERGER 1986, 16). Im Juli desselben Jahres wurde diesem Gesetz in Form eines Fragebogens Nachdruck verliehen. Diesen mussten die Lehrer ausfüllen und beispielsweise Angaben über ihre frühere Parteizugehörigkeit machen sowie Papiere über die Teilnahme an Kämpfen im 1. Weltkrieg beifügen.

Hinsichtlich der Schul- und Unterrichtsorganisation stand die Einführung von Ritualen zur Gestaltung von Unterricht und Schulleben im großen Stil auf dem Programm. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise das "Flaggenhissen am Montagmorgen" und das Antreten aller Schüler auf dem Schulhof, die Begrüßung mit dem Hitlergruß und die Einführung von Schulfeiern, z.B. anlässlich Hitlers Geburtstages und die Gewährung eines schulfreien Tages im Zusammenhang damit.

Unterrichtsinhalte wurden im großen Stil verändert. Im Zusammenhang mit dem "Erlaß zur Instrumentalisierung der Leibesübungen" vom 18.4.1933 wurde hauptsächlich eine Erziehung zur Wehrfähigkeit angestrebt. Wandertage wurden zu Marschübungen, in den höheren Klassen der Knabenschulen wurde das "Wehrturnen" eingeführt und in diesem Zusammenhang die Ausbildung im Kleinkaliberschießen erwogen (vgl. ebd. 18). Der Geschichts- und staatspolitische Unterricht erfuhr ab Juli 1933 eine vollständig neue Prägung. Im Dezember desselben Jahres erfolgte die Verfügung zur "Erb- und Rassenkunde", mit der schwerpunktmäßigen inhaltlichen Ausrichtung auf "Artreinheit, Erblehre und Volksgesundheit" (vgl. ebd. 27ff.).

Diese schlaglichtartig angeführten Veränderungen bezogen auf das allgemeine Schulsystem vermitteln einen Eindruck darüber, mit welcher Geschwindigkeit und Grundsätzlichkeit der Zugriff der nationalsozialistischen Machthaber auf das Schulsystem erfolgte. GUDJONS/LEHBERGER (1998) weisen jedoch darauf hin, dass trotz dieses vehementen Vorgehens der neuen Machthaber an verschiedenen Stellen Schwierigkeiten auftraten:

"Der politische Zugriff auf das Schulwesen, die Durchdringung von Schule und Unterricht mit der NS-Ideologie wurden von den neuen Machthabern von Beginn an vehement eingefordert, allen Gegnern des Nationalsozialismus Unnachgiebigkeit und Bestrafung angedroht. Das forsche Auftreten der neuen Machthaber, ihre wiederholten Willensbekundungen zur totalen Umgestaltung des Schul- und Erziehungswesens lassen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß kein klares Konzept für eine Schulreform vorlag und daß es in den folgenden Jahren zu erheblichen Reibereien zwischen den verschiedenen Ebenen der an der Schule beteiligten staatlichen und parteilichen Instanzen kommen sollte" (GUDJONS/LEHBERGER 1998, 119).

Die nationalsozialistische Schulpolitik bezogen auf die Sonderschulen ist für den Bereich der Hilfsschulen am umfassendsten dokumentiert (vgl. z.B. ELLGER-RüTTGARDT 1989; HöCK 1979, SYNWOLDT 1979). Innerhalb der Sprachbehindertenpädagogik stehen diesbezügliche umfangreiche Recherchen noch aus. Bisher liegen Arbeiten von HAUSCHILD (1999), GATTERMANN (1989) und KOLONKO/KRäMER (1992) vor.

Festzustellen ist, dass ab Mitte der zwanziger Jahre utilitaristische Sichtweisen über den Wert eines Menschen scheinbar zunehmend gesellschaftlich akzeptiert wurden (vgl. JOOST 1986, 214; KOLONKO/KRäMER 1992, 48). Als wertvoll unter Nützlichkeitsgesichtpunkten galten arbeitsfähige und (erb)gesunde Gesellschaftsmitglieder. JOOST (1986) vermutet eine zunehmende Akzeptanz erbbiologischer Ansätze schon vor 1933 unter den Hilfsschullehrern, ebenso stellt sie einen gehäuften Gebrauch von Begriffen aus dem sozialdarwinistischen Wortschatz in Veröffentlichungen fest und erwähnt, dass schon vor 1933 in der Hamburger Lehrerzeitung ein Artikel veröffentlicht wurde, der "offen über die Vorzüge von Sterilisation spekulierte" (vgl. JOOST 1986, 215). Vor diesem ideologischen Hintergrund fanden lange vor dem Jahr 1933 Diskussionen darüber statt, ob die Existenz von Hilfsschulen überhaupt sinnvoll sei.

Der Zeitabschnitt zwischen 1933 und 1935 war, vermutlich im Zusammenhang damit, durch die Schließung von Hilfsschulen im größeren Stil und durch einen drastischen Abbau von Lehrerstellen gekennzeichnet. SYNWOLDT (1979, 204) geht davon aus, dass die NSDAP unmittelbar nach der Etablierung des nationalsozialistischen Systems kein Konzept zur Umgestaltung des Sonderschulwesens hatte. Vergleichsweise spät, im Jahr 1938, trat das "Reichsschulpflichtgesetz" in Kraft, das reichseinheitliche Regelungen und die Pflicht zum Besuch von Sonderschulen - auch gegen den Elternwillen - festlegte[2].

Auch in der Zeit zwischen 1935 und 1937 stand weiterhin die Diskussion um die Rentabilität und den Nutzen der Hilfsschule für den nationalsozialistischen Staat im Vordergrund. Verschiedene Sonderschullehrer bezogen im Rahmen von Aufsätzen in Verbandszeitschriften Stellung zu dieser öffentlichen Debatte und lieferten Argumente für die Notwendigkeit der Existenz von Sonderschulen (vgl. z.B. LAMBECK 1935b). Drei wiederkehrende Argumentationsschwerpunkte sind in diesen Arbeiten zu finden:

  1. Sonderschulen entlasten die Volksschulen.

  2. Sonderschulen wirken maßgeblich an der Durchführung erb- und rassenpflegerischer Maßnahmen mit.

  3. Sonderschulen sind für die völkische Brauchbarmachung der schwächsten Gesellschaftsmitglieder zuständig.

Eine deutliche Statusverbesserung und einen Platz im nationalsozialistischen Schulsystem erhielten die Hilfsschulen durch die "Allgemeine Anordnung über Hilfsschulen in Preußen" vom 27.4.1938. Diese Verordnung legte die bereits genannten drei Aufgaben der Hilfsschulen fest. In Anbetracht eines zunehmenden Arbeitskräftemangels im Reich ab 1937, der hauptsächlich auf die Vorkriegswirtschaft mit verstärkter Rüstungsproduktion zurückzuführen ist, kam dem Argument der Brauchbarmachung auch der schwächsten Gesellschaftsmitglieder besondere Bedeutung zu.

Trotz starker Abgrenzungsbemühungen von Vertreten der Sprachheilpädagogik gegenüber der Hilfsschulpädagogik erscheint es uns legitim, Entwicklungen innerhalb dieser beiden Disziplinen in einen engen Zusammenhang zu stellen. Sprachheilschulen waren in der Zeit zwischen 1933 und 1937 ebenfalls von Schulschließungen betroffen (vgl. KOLONKO/KRäMER 1992, 62; RöSLER 1935, 297). In den Publikationen verschiedener Vertreter der Sprachheilpädagogik spielt eine utilitaristische und sozialdarwinistische Argumentation für den Erhalt von Sprachheilschulen eine herausragende Rolle[3]. Schließlich ist auch das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" auf einen Teil der Sprachheilschüler - nämlich solche mit großen Spaltbildungen im Gesichtsbereich (LKG-Spalten) - eindeutig anwendbar. Die folgende inhaltsanalytische Auswertung ausgewählter Schriften LAMBECKs verdeutlicht und vertieft die bisher entwickelten Gedanken.



[2] Bezogen auf die Bedeutung des "Reichsschulpflichtgesetzes" für die Sprachheilschule ist eine ausführliche Darstellung bei GATTERMANN (1989, 59-63) zu finden.

[3] Vgl. dazu ausführlich KOLONKO/KRÄMER (1992, 59-69).

Auswertung ausgewählter Schriften von Adolf Lambeck unter inhaltsanalytischen Gesichtspunkten.

Ausgehend von der Tatsache, dass LAMBECK praktizierender Sprachheillehrer ohne Aufgaben im Bereich der Lehrerausbildung und ohne Lehrauftrag an einer Hochschule war, überrascht seine umfangreiche Publikationstätigkeit. Bereits ein Jahr nach dem Beginn seiner Berufstätigkeit als Sprachheillehrer erschienen zwei von ihm verfasste Zeitschriftenaufsätze. Uns sind zwölf verschiedene Schriften zugänglich, die sich inhaltlich entweder auf explizit sprachheilpädagogische Themen beziehen (1925a, 1925b, 1926, 1927a, 1929, 1936a) oder zu allgemeinen sonderpädagogischen Fragen, vorwiegend bezogen auf die Organisation der Sonderschulwesens im nationalsozialistischen Staat Stellung nehmen (1935b, 1936b, 1936c, 1939). Betrachtet man die Liste der Veröffentlichungen im Hinblick auf das Erscheinungsdatum der Aufsätze, so fällt auf, dass zwischen 1929 und 1935 eine sechsjährige Lücke besteht, in denen der Autor vermutlich nicht publiziert hat. Nach den Mutmaßungen seiner Enkelin war er während dieser Zeit an TBC erkrankt und hielt sich möglicherweise über längere Zeiträume in einer Lungenheilanstalt auf.

Unsere Auswertung bezieht sich auf drei Aufsätze, die im Hinblick auf ihren Bezug zur Sprachheilpädagogik und den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ausgewählt wurden. Es handelt sich dabei um eine Arbeit vom Beginn seiner Veröffentlichungstätigkeit aus dem Jahr 1925 mit dem Titel "Frühbehandlung sprachkranker Kinder" sowie den Aufsatz zum Thema "Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule" (1935). Stellvertretend für die letzte Periode wurde ein Arbeit aus dem Jahr 1939 mit dem Titel "Neuaufbau des Sonderschulwesens" für die Analyse ausgewählt.

Die drei Texte wurden an Hand folgender Kategorien bearbeitet:

  • Fachwissenschaftliche Aussagen (allgemeiner Art ohne direkten politischen Bezug, Menschenbild);

  • allgemeine Aussagen (Gesetze, strukturelle Maßnahmen, Prognosen), die das gesamte Bildungssystem (inklusive Sonderschulen) betreffen;

  • Eugenik/ Rassenhygiene (Aussagen über Erbkrankheiten, deren Verhütung, Volksgesundheit etc.)

  • Utilitarismus (Aussagen über Kosten, die Schüler verursachen, Abwägen zwischen dem Einsatz von Mitteln für Leistungsstarke und -schwache);

  • Sonderschule und NS-Staat (Aussagen zu Funktion, Verhältnis und Aufgaben der Sonderschulen im NS-Staat, daraus ableitbare organsatorische Notwendigkeiten).

Die paraphrasierenden Inhaltsbeschreibungen zu den drei Texten befinden sich im Anhang. Die im folgenden Text in Klammern gesetzten Ziffern nehmen Bezug auf Textstellen in diesem Anhang.

"Frühbehandlung sprachkranker Kinder" (1925)

Bereits ein Jahr, nachdem der Autor seine Prüfung als Sprachheillehrer absolviert hatte und in dieser Funktion an der Sprachheilschule "links der Alster" tätig war, wurde dieser Text in der Hamburger Lehrerzeitung veröffentlicht. Es handelt sich um eine fachwissenschaftliche Publikation mit hohem Bezug zur Schulpraxis, die keine eugenischen, rassenhygienischen oder utilitaristischen Gedanken beinhaltet und der vermutlich ein humanistisch orientiertes Menschenbild zugrunde liegt (3, 5, 8, 13).

Im Zentrum von LAMBECKs Überlegungen steht die Situation des einzelnen Kindes mit seinen sprachlichen Problemen. Er stellt einen Zusammenhang her zwischen gestörter Sprache und seelischen Problemen und fordert Mitleid und Nachsicht im Umgang mit den Betroffenen (5). Sprachkrank sind nach Auffassung des Verfassers Kinder, die jenseits des vierten Lebensjahres "gröbere Lautverstümmelungen und Lautverwechslungen zeigen" (6). Das offensichtliche Ziel der Arbeit besteht darin, die Bedeutung einer sprachheilpädagogischen Frühbehandlung, insbesondere für stammelnde und stotternde Kinder sowie solche mit Spaltbildungen im Gesichtsbereich, zu begründen (8). Die Ausführungen über die Auswirkungen eines "Sprachleidens" für das Individuum sind ein inhaltlicher Schwerpunkt.

Eine Vielzahl fachwissenschaftlicher Aspekte werden im Zusammenhang mit der Frühbehandlung angesprochen; sie beziehen sich immer wieder darauf, die besondere Notwendigkeit derselben für die drei genannten Symptomkreise zu begründen.

Argumentationslinien werden bezogen auf die drei Störungsbereiche ähnlich geführt, indem die Rolle der Eltern und Lehrer angesprochen wird (4). Auswirkungen "des Leidens" reflektiert LAMBECK sowohl für die aktuelle Lebenssituation wie für die zukünftige Entwicklung des einzelnen Kindes und behandelt damit originär pädagogische Fragen.

Lösungswege zur Beseitigung von Sprachstörungen werden in einer "energischen" Anwendung sprachheilpädagogischer Maßnahmen im Vorschulalter und in der Durchführung einer "Sonderbehandlung" während des Schulalters gesehen (10,11). Nach welchen Maßgaben eine solche "Sonderbehandlung" in inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht durchgeführt werden soll, erwähnt LAMBECK allerdings nicht.

Bildlich gesprochen beinhaltet dieser Text Dissonanzen, welche nicht ganz mit dem angenommenen humanistischen Menschenbild in Einklang zu bringen sind, das den Ausführungen scheinbar zugrunde liegt. Es werden Argumente ins Feld geführt, die in späteren Arbeiten einen zentraleren Stellenwert einnehmen und unter dem Begriff der "Gemeinschaftsschädlichkeit Sprachkranker" zu fassen sind. Der Verfasser erwähnt, dass "sprachkranke Kinder einen unbequemen Klotz für die Arbeit in der Klasse" darstellen können und der Umgang mit Stotternden das Risiko der Ansteckung mit sich bringen könnte.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich um eine Arbeit mit sprachheilpädagogischer Schwerpunktsetzung handelt, der ein humanistisches Menschenbild zugrunde zu liegen scheint. Standespolitische, bzw. staatspolitische Überlegungen und Argumente spielen in dieser Publikation keine Rolle.

"Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule" (1935)

Mit diesem Aufsatz versucht Lambeck nachzuweisen, dass Volksschulen und Sprachheilschulen nahezu identische Schulformen sind. Seine Hauptargumente zielen darauf ab, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Sprachheilschule in größter Nähe zur Volksschule arbeitet. Sie ist quasi eine Volksschule, die zusätzlich Sprachheilbehandlung und -erziehung anwendet. Der Versuch dieser Beweisführung wird auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen erbracht.

Der Schwerpunkt der Argumentation liegt nicht mehr wie in der Arbeit aus dem Jahr 1925 auf einer subjektbezogenen - den einzelnen Menschen berücksichtigenden - sondern einer allgemeineren anthropologischen, die Kategorie "Sprachgestörter" betreffenden Ebene. LAMBECKs zentrale Aussage lautet, dass Sprachgestörte eigentlich "normal" seien, ihre "geschädigte sprachliche Konstitution" jedoch eine "Sprachbehandlung" und "Sprachheilerziehung" erfordere. Diese Maßnahmen machten aus ihnen wieder "normale" Volksschüler (3-5).

Auf der didaktisch-methodischen Ebene wird eine Nähe zur Volksschularbeit hergestellt, indem auf die ähnlichen Lehrziele und "Unterrichtswege" beider Schulformen Bezug genommen wird (1, 12). Schließlich wird eine Gleichheit auf organisatorisch-inhaltlicher Ebene hergeleitet. Dies begründet der Autor damit, dass die Sprachheilschüler in verschiedenen nationalsozialistischen Verbänden ebenso wie Volksschüler aktiv sind (7).

Grundpfeiler nationalsozialistischer Erziehung, wie z.B. körperliche Ertüchtigung oder rassenhygienische und erbgenetische Unterweisung der Schüler, benennt LAMBECK als zentrale Arbeitsbereiche der Sprachheilschule (14,15). Eine aus heutiger Sicht geradezu absurde Argumentationsebene beschreitet er im Zusammenhang mit den Ausführungen darüber, dass der "frische frohe Geist" des Nationalsozialismus dem Aufkommen von Sprachstörungen entgegenwirke (9). Der Autor geht davon aus, dass die Sprachbehandlung die "neuen (nationalsozialistischen, I.K.-K.) Erziehungsmittel" vertiefe. Bei der Nennung der Erziehungsaufgaben der Sprachheilschule, steht die "volkliche" Erziehung in der Aufzählung vor der Sprachheilerziehung. An verschiedenen Textstellen ist eine eindeutig sozialdarwinistische Terminologie festzustellen. So ist beispielsweise die Rede davon, dass die Sprachheilschule "körperlich und geistig vollwertige Menschen vor dem Hinabgleiten in die Schicht der Unterwertigen" bewahre (2) und die "straffere nationalsozialistische Lebensführung (...) die Entwicklung manches Sprachleidenden zu einem Schwächling" unterbinde (9).

Ausführungen, welche die Bemühungen in der Sprachheilschule auf eine Verbesserung der persönlichen Lebenslage des einzelnen Individuums beziehen, sind in diesem Aufsatz nicht (mehr) zu finden. Die gesamte Argumentation erfolgt auf der Grundlage der Maxime nationalsozialistischer Erziehung und dem Bemühen, der Sprachheilschule einen Platz im nationalsozialistischen Schulsystem zuzuweisen. Dies wird versucht über das Konstrukt der Herleitung einer vermeintlichen Wesensgleichheit zwischen Volksschule und Sprachheilschule und deren Schülerpopulation. Diese Grundannahme stellt übrigens heute noch eine maßgebliche Grundlage für schulorganisatorische Regelungen dar. Auch durch die Weiterverbreitung sozialdarwinistischen Gedankengutes wird LAMBECKs Affinität zu verschiedenen Facetten nationalsozialistischen Denkens deutlich.

Neuaufbau der Sonderschule (1939)

Diese Arbeit trägt die Handschrift eines Pädagogen, der vom nationalsozialistischen Geist völlig durchdrungen ist. Individuelle, humanistische Belange des einzelnen Kindes werden an keiner Stelle des Textes erwähnt, geschweige denn abgewogen oder gar diskutiert. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von am nationalsozialistischen Gedankengut orientierten Parolen und Festlegungen, die in wenig strukturierter Form dargestellt werden und scheinbar keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben.

Im Vergleich zu früheren Arbeiten springt der veränderte Sprachduktus förmlich ins Auge, der die "rassenhygienischen", utilitaristischen und sozialdarwinistischen Gedanken, die den inhaltlichen Schwerpunkt des Textes darstellen, transportiert. Da ist die Rede von "Menschenmaterial", "Schülerreserven", "negativer Auslese", "Ballast" und "hochwertigen Menschen". Wie bereits erwähnt, fehlen Aussagen, die den einzelnen Menschen und seine Lebenssituation mit einer Behinderung in den Blick nehmen, in diesem Text vollständig. LAMBECK scheint 1939, im Jahr des Kriegsbeginns, beseelt zu sein von der Idee, dass die Sonderschulen ein Instrument des Staates sind, mit deren Hilfe quasi die letzten Reserven für die Umsetzung der nationalsozialistischen Idee aus dem deutschen Volk gepresst werden können.

Im einem ersten Textteil wird die Existenz von Sonderschulen durch zwei Hauptaufgaben legitimiert: der rassenpolitischen und der der Mitwirkung an der Leistungssteigerung des gesamten Volkes. Sonderschulen sind demnach "Instrumente des Staates", die dadurch eine Zuständigkeit für das Wohlergehen der Menschen mit Behinderungen aufgeben. Ihr gesamtes Wirken stellen sie in den Dienst von Zielen wie "negativer Auslese" (3), der "Aufartung des gesamten Volkes" und der Bereitstellung einer "Arbeitsarmee" (7) zur Unterstützung des Ausbaues der Rüstungsindustrie und der Kriegsvorbereitung.

In einem zweiten Textteil wird einerseits für eine "schärfere Erfassung" von Kindern mit Behinderungen und eine strengere Selektion der "Nichtbildungsfähigen" aus allen Sonderschulen plädiert. Aufgrund der Erhebung solcher Forderungen und der Mitwirkung an ihrer Umsetzung lieferten LAMBECK und andere Sonderschullehrer den nationalsozialistischen Machthabern die Kinder und Jugendlichen, die z.B. im Rahmen der Aktion T4 1942 getötet wurden.

Eine Textstelle, die sich mit den Ansprüchen und Rechten sog. "Erbkranker" auseinandersetzt, soll abschließend einer vertiefenden Betrachtung unterzogen werden. LAMBECK führt aus, dass "Erbkrankheit kein Makel" sei und der "Träger eines Erbleidens" nicht dafür bestraft werden dürfe. Da seine Fähigkeiten möglicherweise von Nutzen für die Allgemeinheit sein könnten, hat er "Anspruch auf Entwicklung seiner geistigen und sittlichen Kräfte". Gleichzeitig fordert der Autor:

"Er hat der Allgemeinheit das Opfer des Verzichtes auf Nachkommen zu bringen; sie anerkannt dieses Opfer und dankt es ihm" (LAMBECK 1939, 6).

Inwieweit diese Aussage eine indirekte Sterilisationsforderung beinhaltet, ist aus heutiger Sicht interpretativ schwer zu erschließen. Durch Gespräche mit anderen Zeitzeugen des Nationalsozialismus konnte Klärung über die Bedeutung der Aussage herbeigeführt werden. Wenn die Rede vom "Opfer des Verzichtes auf Nachkommen" war, so war dies gleichzusetzen mit einer verdeckten Forderung nach Sterilisation.

Schlussfolgerungen

Aufgrund ihrer Kenntnis von Persönlichkeitsmerkmalen Adolf LAMBECKs sieht seine Enkelin das Streben nach persönlicher Karriere und die Durchsetzung von standespolitischen Interessen als die wahrscheinlichsten Beweggründe für sein Engagement während des Nationalsozialismus an. Dass sein Handeln durch irgendeine Form von Zwang, z.B. finanzieller Art, geprägt gewesen sein könnte, schließt sie aus.

Die Ergebnisse unserer Recherchen stützen ebenso die Annahme, dass ein intensiver persönlicher Karrierewunsch, der Versuch die Sprachheilschulen als Institutionen hoffähig zu machen bzw. zu retten sowie eine mögliche Faszination an der nationalsozialistischen (Erziehungs-)Ideologie, die wahrscheinlichsten Triebfedern für sein Engagement waren.

Ein persönliches Karrierestreben kann daraus abgeleitet werden, dass er in zwei Verbänden, die inhaltlich konträre Positionen vertraten, herausragende Funktionen inne hatte, nämlich in der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland" und im NSLB. Die rasche Folge und vergleichsweise große Anzahl seiner Veröffentlichungen belegen ein starkes Streben nach fachlicher Anerkennung. Schließlich wurde er vermutlich ziemlich unmittelbar nach seinem Eintritt in die NSDAP mit einer Schulleiterstelle "belohnt".

LAMBECK verfügte zweifellos über umfangreiche fachliche Kenntnisse im Bereich der Sprachheilpädagogik. Sein ursprünglich vorhandenes starkes fachwissenschaftliches und praktisch-therapeutisches Engagement für die Belange von Kindern mit Sprachstörungen scheint unumstritten und wurde an Hand seines Aufsatzes "Zur Frühbehandlung sprachkranker Kinder" belegt. Dieses Engagement wurde vermutlich ganz besonders durch die Schließung von Sonderschulen Mitte der Dreißiger Jahre angestachelt. Mit seiner Arbeit über "Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule" hebt er die Sprachheilschule als besondere Schulform unter den Sonderschulen hervor, welche die nationalsozialistische Erziehungsideologie umsetzt und für die sich staatliche Investitionen mehr als für andere Sonderschulen lohnen. In dieser Publikation aus dem Jahr 1935 wird die nationalsozialistische Erziehungsideologie vergleichsweise umfassend rezipiert und auf die Sprachheilschule übertragen. LAMBECK schließt sich damit dem seinerzeit als modern geltenden "Mainstream" einer nationalsozialistischen (Un)Pädagogik an, die das Individuum völlig negiert und Staat und Volksgemeinschaft über alles stellt. Vergleicht man den Inhalt dieser Arbeit mit dem seiner Publikation aus dem Jahr 1925, so ist ein grundsätzlich verändertes Menschen- und Gesellschaftsbild des Autors festzustellen. Inwieweit er sich aus opportunistischen Gründen dem pädagogischen Mainstream anschließt und diesen auf die Sprachheilschule übertragen will, um damit seiner Karriere und der Institution zu dienen, oder ob der Haltungsänderung eine tiefe Überzeugung zugrunde liegt, ist aus der heutigen Perspektive nicht mehr zu rekonstruieren.

Festzustellen ist, dass in der Arbeit aus dem Jahr 1939 eine endgültige Abkehr von humanistischen Werten stattgefunden hat. Rassenpolitische und sozialdarwinistische Gedanken sind die Grundlagen für LAMBECKs Plädoyer zu einer verschärften Aussonderung aller Kinder, die unter utilitaristischen Gesichtspunkten nicht mehr für staatliche Interessen verwertbar sind. Ein Vergleich der drei vorgestellten Arbeiten verdeutlicht LAMBECKs Haltungswandel bezüglich der Sichtweise von Kindern mit Sprachstörungen. Zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn plädiert er dafür, individuelles Leid des einzelnen sprachgestörten Kindes schon zu einem frühen Entwicklungszeitpunkt zu mindern und damit gegebenenfalls zu verhindern, um dem Individuum einen erfüllten Lebensweg zu eröffnen. Der zweite der vorgestellten Texte verfolgt schwerpunktmäßig das Ziel, die Sprachheilschule als Institution vor dem Untergang zu bewahren, LAMBECK stützt sich dabei auf sozialdarwinistische und erbgenetische Argumente. Die 1939 publizierte Arbeit ist ausschließlich ideologisch geprägt. Rassenhygiene, Utilitarismus und Sozialdarwinismus bestimmen die gesamte Abhandlung.

Trotz unserer Beweisführung an Hand von LAMBECKs Schriften, deren Inhalt vermuten lassen, dass er ein "strammer Nazi" war, bleiben Widersprüche und Zweifel über die eigentliche Motivation seines Handelns. Vermutlich steht Adolf LAMBECKs Wirken während des Nationalsozialismus stellvertretend für viele Menschen, die - getrieben von dem Wunsch Gutes zu tun - die politischen Zeichen der Zeit nicht erkannten und korrumpiert durch persönliches Machtstreben zu willfährigen Handlangern des Systems wurden. Sie trugen damit zu dessen Stabilisierung bei und entfernten sich immer mehr von dem eigentlichen Auftrag professioneller Helfer. Am Ende dieser Untersuchung bleibt uns nicht mehr, als die mit der Person Adolf LAMBECKs verbundenen offenen Fragen dem Leser zu überlassen - als Anregung zu weiterem Nachdenken und vielleicht auch als Mahnung.

Literatur

Primärliteratur

LAMBECK, A. (1925a):

Objektive Untersuchungen an Stotterern zur Feststellung der Beziehungen der Mitbewegung zur Sprechatmung. Vox, H. 6

LAMBECK, A. (1925b):

Frühbehandlung sprachkranker Kinder. Hamburger Lehrerzeitung 4/1925, 929-931

LAMBECK, A. (1926):

Das Schülermaterial der Sprachheilschulen in sprachlicher, konstitutioneller und intellektueller Hinsicht. Der Aufbau. Hamburg, Nr. 9

LAMBECK, A. (1927a):

Die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland. In: Blätter für Taubstummenbildung, 341

LAMBECK, A. (1927b):

Zur Geschichte des Sprachheilwesens in Hamburg. In: Festgabe zur Samuel-Heinicke-Jubiläumstagung des Bundes deutscher Taubstummenlehrer. Hamburg 49-93

LAMBECK, A. (1929):

Die Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland. In: Vox, 35-36

LAMBECK, A. (1935a):

Die Auswahl der Kinder für die Sonderschulen. In: Hamburger Lehrerzeitung 14/1935, 98-100

LAMBECK, A. (1935b):

Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule. In: Die deutsche Sonderschule 2/1935, 184-189

LAMBECK, A. (1936 a):

Die Betreuung der Kinder mit Lippen- und Gaumenspalten. In: Die deutsche Sonderschule 3/1936, 124-131

LAMBECK, A. (1936 b):

Erster "Rassenpolitischer Schulungskursus" der Fachschaft V. In: Hamburger Lehrerzeitung 15/1936, 426-427

LAMBECK, A. (1936c):

Über den heutigen Stand der Schuleinrichtungen für Sprachgestörte in Deutschland. In: Die deutsche Sonderschule 3/1936, 675-687

LAMBECK, A. (1939):

Neuaufbau des Sonderschulwesens. In: Gehörgeschädigte und sprachgestörte Kinder. Beiträge der Lehrer. Im Auftrage der Gauverwaltung des NS-Lehrerbundes. Hamburg 5-11

Sekundärliteratur

BERG, C. / ELLGER-RüTTGARDT, S. (Hg.) (1991):

"Du bist nichts, Dein Volk ist alles". Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim

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Methodologische Probleme einer Geschichte der Behindertenpädagogik. In: Die Sonderschule 38/1993, 2-16

DOHSE, W. (1978):

Werdegang der deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e.V. In: Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik (Hg.): 1927-1977 - 50 Jahre DGS. Hamburg

DOEHLEMANN, M. (1988):

Vorwort. In: GROHALL, K.-H. / JUNGBLUTH, J. / KüHN, D. / SAUERWALD, G.: Erinnerungsarbeit für Sozialberufe: Soziale Arbeit zwischen Wohlfahrts- und Rassenpflege. Münster 5-7

ELLGER-RüTTGARDT, S. (1985):

Historiographie in der Behindertenpädagogik. In: BLEIDICK, U. (Hg.): Theorien der Behindertenpädagogik. Handbuch der Sonderpädagogik Bd. 1. Berlin 87-125

ELLGER-RüTTGARDT, S. (1986):

Zur Funktion historischen Denkens für das Selbstverständnis der Behindertenpädagogik. In: Sonderpädagogik 16, 49-61

ELLGER-RüTTGARDT, S. (1989):

Hilfsschulpädagogik und Nationalsozialismus - Traditionen, Kontinuitäten, Einbrüche. Zur Berufsideologie der Hilfsschullehrerschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: HERRMANN, U. / OELKERS, J. (Hg.): Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim 147-165

GATTERMANN, B. (1989):

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GUDJONS, H. / LEHBERGER, R. (1998):

In Hamburg zur Schule gehen. Ein Führer durch Aufbau und Geschichte des Hamburger Schulwesens. Hamburg

HASENKAMP, E. (1930):

"Das sprachkranke Kind". Bericht über die Verhandlungen auf der Tagung in Halle a.S. 23.-25. Mai 1929. Halle (Saale)

HAUSCHILD, H. (1999):

Das Sprachheilwesen in Hamburg zur Zeit des Nationalsozialismus. Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit Universität Hamburg, Institut für Behindertenpädagogik

HöCK, M. (1979):

Die Hilfsschule im 3. Reich. Berlin

JOOST, H. (1986):

Die Grundlagen der NS-Schulpolitik in Bezug auf die Sonderschulen. In: LEHBERGER, R. / DE LORENT, H.-P. (Hg.): "Die Fahne hoch". Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 214-219

KOLONKO, B. / KRäMER, I. (1992):

Heilen, separieren, brauchbar machen. Aspekte zur Geschichte der Sprachbehindertenpädagogik. Pfaffenweiler

LEHBERGER, R. / DE LORENT, H.-P. (Hg.) (1986):

"Die Fahne hoch". Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg

LEHBERGER, R. (1986):

Der Umbau der Hamburger Volksschule. In: LEHBERGER, R. / DE LORENT, H.-P. (Hg.): "Die Fahne hoch". Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 15-24

RöSLER, A. (1935):

Zum 25. Jubiläum der Halleschen Sprachheilschule. In: Die deutsche Sonderschule 2/1935, 294-305

SYNWOLDT, J. (1979):

Von der Hilfsschule zur Schule für Lernbehinderte. Berlin

WENDPAP, H. (1962):

40 Jahre Dienst an sprachkranken Hamburger Kindern. Chronik der Schule für Sprachkranke am rechten Alsterufer Karolinenstraße 35. Hamburg

Anhang

"Frühbehandlung sprachkranker Kinder" (1925) - Paraphrasierende Inhaltsbeschreibung

  1. Der Text beginnt mit der Aussage, dass ein Kranker nicht sich selbst überlassen werden darf. Dies wird damit begründet, dass ein Leiden durch geeignete Behandlung gelindert und Verschlimmerung vermieden wird. Außerdem seien verschleppte Krankheiten besonders schwer zu behandeln.

  2. Im zweiten Abschnitt kritisiert er die Begatellisierung von Sprachfehlern und weist darauf hin, dass Stammeln z.T. einer Spontanremission unterliegt, während sich die Stottersymptom mit zunehmendem Alter eines Kindes häufig verschlimmert.

  3. Mitleid und Verständnis für Kind und Eltern sollen das Handeln der Sprachheilpädagogen bestimmen

  4. Bezüglich der Haltung der Eltern stellte er fest, dass diese es nur zögernd gelten lassen, dass ihr Kind als "sprachkrank" bezeichnet wird; während sie die Feststellung eines Sprachfehlers eher bereit sind zu akzeptieren.

  5. "(...) daß das Kind unter seinem Mangel leidet, und daß die Eltern selbst unter den mißglückenden Versuchen ihrer Kinder, sich verständlich zu machen leiden; da muß man Mitleid haben und das Leid durch Nachsicht erträglich zu machen versuchen" (929).

  6. In einem weiteren Abschnitt wird über die Bedeutung von Sprache und gestörter Sprache für den Einzelnen nachgedacht. Sprache trägt mehr als jede andere Funktion seelisches nach außen und "gestörte Sprache bedeutet behindertes Gemeinschaftsleben".

  7. Als sprachkrank definiert er Kinder, die jenseits des 4. Lebensjahres "gröbere Lautverstümmelungen und Lautverwechslungen zeigen" (929). Ausführungen über die Bedeutung von gründlicher Sprecherziehung zum Beginn der Schulzeit. Bezug nehmend auf Schüler, die sprachlich trotzdem "gänzlich zurückbleiben", beschreibt er, dass diese einerseits "Objekte des Spottes" sind und "nicht selten einen unbequemen Klotz für die Arbeit in der Klasse" darstellen.

  8. Im Zusammenhang mit der Frage nach möglichen Ursachen für Sprachkrankheiten benennt er als vorrangiges Ziel, das Kind unterrichtsfähig zu machen.

  9. "Das Kind muß durch Schulung der mechanischen Sprechtätigkeit möglichst schnell unterrichtsfähig gemacht werden. Die verschleppte Krankheit kann Hänseleien mit ihren seelischen Auswirkungen und Sitzenbleiben und dadurch verminderte Ausbildungsmöglichkeiten zur Folge haben" (929).

  10. Schwer stammelnde Kinder sollen einer "Sonderbehandlung" zugeführt werden und nicht in den Normalklassen bleiben. Er beschreibt sie als häufig schwächliche oder "einzige" Kinder, deren Widerstandskraft und Konzentrationsfähigkeit geweckt und gestärkt werden muss. Es bestehe auch bei allgemein günstigen Anlagen die Gefahr, dass sie geistig zurückbleiben und seelisch verkümmern.

  11. Kinder sollen mittels Sonderbehandlung unterrichtsfähig gemacht werden. Dies gilt besonders für Kinder mit organischen Mängeln oder Fehlbildungen. "Es ist also nicht nötig, daß derjenige, der durch solche körperlichen Fehler entstellt ist, sein lebenlang durch einen begleitenden Sprachfehler die Aufmerksamkeit der Mitwelt noch besonders auf sein Leiden hinlenkt und weiter gesellschaftlich und wirtschaftlich geschädigt wird" (930).

  12. Bei "Gaumenspalten (Wolfsrachen)" plädiert er für "energische Sprechübungen", welche nach den Beobachtungen der Hamburger Sprachheilschulen "die Aussprache wesentlich verbessern" können. Aufgrund der besseren Bildungsfähigkeit der Organe gerade bei jüngeren Kindern hält er hier Frühbehandlung für besonders wichtig.

  13. Für "Stotterer" wird Frühbehandlung ebenfalls eindringlich gefordert. Diese Kinder sollen von aufregendem Spiel und lauter Umgebung ferngehalten werden, Redeverbot und die Gewöhnung an ruhiges Zuhören werden ebenso angeraten, wie deren Beeinflussung durch "ruhiges, gleichmäßig fließendes Vorsprechen" der Erzieher. Eltern verharmlosen anfängliche Stottersymptome, Stottern entsteht bei vielen Kindern zu Beginn der Schulzeit. Auch bei leichten fällen ist Sonderbehandlung erforderlich. Eine frühe Behandlung des "Leidens" erhöht die Erfolgsaussichten. "Hilfe verlangt der Kranke und gewiß auch Verständnis für sein Leiden; augenblickliche Hilfe zur Vermeidung oder Lösung des Anfalles, dauernde Hilfe zur Überwindung des Leidens. "Das Stotterübel muß im Keime erstickt werden, denn ein Stotterer bringt seine jugendliche, zur Nachahmung geneigte sprachgesunde Umgebung in Ansteckungsgefahr".

  14. Am Schluss des Textes erfolgt ein Plädoyer, auch den übrigen Sprachkranken Frühbehandlung angedeihen zu lassen, denn: "Immer handelt es sich um Krankheiten, deren Auswirkungen den Leidenden in ernste Gefahren bringen".

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Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule (1935) - Paraphrasierende Inhaltsbeschreibung

  1. Zwischen Volksschule und Sprachheilschule besteht ein enges Verhältnis, das sich auf ähnliche Lehrziele, Schulleben und Unterrichtswege begründet. Nachdem die Sprachstörung behoben ist, sind ehemalige Sprachheilschüler den Volksschülern als gleichwertig zu betrachten.

  2. "Die Sprachheilschule bewahrt durch ihre besonderen Mittel körperlich und geistig vollwertige Menschen vor dem Hinabgleiten in die Schicht der Unterwertigen; sie gliedert gefährdete junge Menschen durch die Sonderbehandlung als voll leistungsfähig in die Volksgemeinschaft ein" (184).

  3. Sprachgestörte sind "Normale" mit "geschädigter sprachlicher Konstitution", die auf Schwächen in der gesamten geistigen und seelischen Konstitution hindeuten. Diese Schwächen werden im Schul- und Gemeinschaftsleben aufgedeckt, dadurch wird die Leistungsfähigkeit herabgesetzt, das Verhältnis zu den Mitschülern gestört und das Selbstvertrauen wird untergraben.

  4. "Der Sprachgestörte entwickelt Eigenschaften, die zwar angelegt sind, die aber das Wesen des Schülers nicht entscheidend zu bestimmen brauchen, und die auf dem Erziehungswege angreifbar sind" (184).

  5. Sprachleiden haben charakterliche Störungen und geistigen Rückstand zur Folge, deshalb benötigen Sprachgestörte Sprachbehandlung und Erziehung zu gleicher Zeit.

  6. "Die Erziehungsaufgabe der Sprachheilschule ist von zwei Seiten aus bestimmt, von der allgemeinen, volklichen, und von der besonderen, sprachlichen (Sprachheilerziehung)" (185).

  7. Die Sprachheilschule ist in vielen Bereichen der Volksschule gleichgestellt, deshalb bleibt der Sprachheilschüler "unter dem vollen erziehlichen Einfluß, der von der nationalsozialistischen Bewegung ausstrahlt" (185). Spracheilschüler nehmen am Dienst der nationalen Jugendverbände in ihren Wohnbezirken teil, die Sprachheilschule erreicht das Lehrziel der Volksschule, sie gestaltet wie diese ihre Feiern und erteilt nationalpolitischen Unterricht. Außerdem beteiligt sie sich wie die Volksschule an nationalpolitischen Aufgaben, wie z.B. dem Winterhilfswerk.

  8. Die nationalsozialistische Erziehung ist auf dem Wege, die vom Führer als Hauptmängel der bisherigen deutschen Erziehung bezeichnete Vernachlässigung der körperlichen Ertüchtigung und Charakterformung, sowie die Erziehung zu verantwortungsfreudigem Handeln zu beseitigen. Sprachgestörte Schüler zeigen die vom Führer aufgezeigten Mängel in besonders hohem Maße.

  9. "Die sich durchsetzende straffere Lebensführung und der frische frohe Geist, der nicht nur das Schulleben beherrscht, sondern der auch aus der Haltung des Elternhauses auf die Schulkinder einwirkt, mag nicht nur dem Aufkommen von Sprachstörungen entgegenwirken, sondern auch die Entwicklung manches Sprachleidenden zu einem Schwächling unterbinden" (186).

  10. Trotz dieser "neuen Erziehungsmittel" ist aufgrund der Natur sprachgestörter Kinder eine spezielle "Sprachbehandlung und Sprachheilerziehung" notwendig. Sprachbehandlung vertieft die "neuen Erziehungsmittel" durch Hinwendung auf die Hauptmängel sprachgestörter Schüler.

  11. Hinweis darauf, dass alle Sprachgestörten unter ihrem "Sprachgebrechen" leiden, die Sprachheilschule hat den Freiraum und die Möglichkeit, die von der gestörten Sprache bestimmten Erziehungsaufgaben zu erfüllen.

  12. Bei der Umgestaltung des Schullebens, "die durch das Eindringen des nationalsozialistischen Erziehungsgedankens nötig geworden ist", berücksichtigt die Sprachheilschule z.B. folgende Prinzipien: Lebensnähe, Kameradschaftsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern, Bevorzugung des Gegenständlichen, Reduzierung des Unterrichtsstoffes, Bewegung statt Ruhe. Beispiel für die Anwendung dieser Prinzipien im Unterricht der Sprachheilschule (186/187).

  13. Der Sprachheilschule bleibt in der Fächerung und in der Themenwahl genügend Freiheit für die Lösung ihrer Sonderaufgaben, sie baut vorzugsweise Fächer aus, die der körperlichen Ertüchtigung und der Gestaltung der Ausdruckskraft dienen.

  14. "Der Unterricht in Biologie bekommt eine besondere Note dadurch, daß ein Teil der Sprachheilschüler unter § 1 Ziff. 8 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fällt. Es sind die Kinder mit großen Spaltbildungen an Lippen und Gaumen. Und ein anderer Teil gehört mindestens nicht zu den erbbiologisch Höchstwertigen des Volkes, unbeschadet ihrer körperlich-geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit." (187).

  15. Der Sprachheilschule sind im Bereich der Rassenhygiene durch ihre Schülerpopulation besondere Aufgaben gestellt. Zitat der Worte des Führers, nachdem die Krönung der Erziehungsarbeit darin besteht, der Jugend Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn einzubrennen.

  16. Miterleben des "nationalen Geschehens und Ringens", sowie die Begeisterung zu Führerpersönlichkeiten sollen die Sprachheilschüler zur Anteilnahme und zum Mittun führen. Deshalb wird eine vertiefte Darstellung der Personen im Unterricht vorgenommen: "Wir wählen sie aus den heroischen Gestalten der ferneren und neuesten deutschen Geschichte: Kämpfer und Überwinder".

  17. Sprachheilschule hat die Bedeutung eines gesunden und leistungsfähigen Körpers seit langem erkannt und deshalb der körperlichen Ertüchtigung erhöhte Beachtung geschenkt. Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Gymnastik und Freiübungen und deren positive Auswirkungen auf das Sprechen.

  18. Verschiedene sportliche Betätigungen werden im Hinblick auf ihre Charakterbildende Funktion für sprachgestörte Kinder beschrieben. Die tägliche Sportstunde in der Sprachheilschule wird für unabdingbar gehalten.

  19. Die Sprachheilschule hat das nationalsozialistische Erziehungsgut für ihre Aufgabe ausgewählt und wendet es bewusst für ihre Ziele. Diese Erziehungsmittel werden jedoch erst lebendig durch einen Erzieher, in dem die nationalsozialistische Bewegung und der neue deutsche Mensch Gestalt gewonnen haben. Die allgemeine volkische Erziehung wird in der Sprachheilschule so durchgeführt, wie in jeder Volksschule. Durch die "Kraft der Lehrerpersönlichkeit" wird Sprachheilbehandlung, Sprachheilerziehung und die allgemeine Erziehung zu einem "einheitlichen Akt". In den Schlussworten des Aufsatzes wird die Bedeutung der Kooperation von Lehrer und Arzt hervorgehoben und betont, dass die gesunde Sprache den Weg in die Volksgemeinschaft öffne und so Sprachheilarbeit selbst zu einem wichtigen Stück nationalsozialistischer Erziehung werde.

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Neuaufbau der Sonderschule (1939) - Paraphrasierende Inhaltsbeschreibung

  1. Deutsche Sonderschulen haben zwei Hauptaufgaben wahrzunehmen, eine rassenpolitische und die, an der Leistungssteigerung des gesamten Volkes mitzuwirken. Sonderschulen sind "Sammelbecken der Erbkranken", sie betreuen "Schülermaterial, deren Vermehrung unerwünscht oder für das Volksganze schädlich ist". Jedoch gehören nicht alle Sonderschüler der "Gruppe der Minderwertigen in rassischer Beziehung" an. Solche Kinder sind auch in anderen Schulformen (z.B. Volksschule, Gymnasium) zu finden.

  2. Aufgrund der erhöhten Anzahl "rassisch Minderwertiger" in Sonderschulen "sind diese zu erhöhter Mitarbeit bei der Durchführung der zur Aufartung des Volkes nötigen Maßnahmen verpflichtet".

  3. "Die negative Auslese steht voran"(5). Sonderschulen liefern in diesem Zusammenhang wertvolles, aus der pädagogischen Arbeit gewonnenes Material.

  4. Bedingt durch diese rassepolitische Aufgabe wird die Sonderschule als ein Instrument des Staates angesehen, dem sie einzig und allein verbunden ist. Eine Loslösung einzelner Sonderschulen von Bindungen konfessioneller Art wird befürwortet.

  5. Gleichzeitig gibt Lambeck zu bedenken, dass auch an Sonderschulen Kinder ohne "Erbmängel" zu finden sind. Erbkrankheit wird nicht als Makel oder Schuld der Betroffenen angesehen, sie haben Anspruch auf Entwicklung, allerdings wird von ihnen erwartet, dass "sie der Allgemeinheit das Opfer des Verzichtes auf Nachkommen erbringen" (6).

  6. Durch ihre rassepolitische Aufgabe arbeitet die Sonderschule eng mit den Gesundheitsämtern des Staates und dem rassenpolitischen Amt der Partei zusammen. Diese rassenpolitische Aufgabe muss die Neugestaltung der Sonderschullehrerausbildung und die Auswahl der Lehrkräfte "weitgehend bestimmen".

  7. Bezug nehmend auf den Arbeitskräftemangel sieht Lambeck "Leistungssteigerung als den Ruf des Tages an" und spricht sich dafür aus, auf die Arbeiterreserven des Volkes zurück zu greifen. Die Anzahl der Sonderschüler gibt er mit 5% an (7) und bezeichnet sie als "Arbeitsarmee" , auf deren wirtschaftlichen Einsatz niemand verzichten will.

  8. Der Auftrag an die Volksschulen bezieht sich darauf, eine "Leistungssteigerung des ganzen Volkes" herbeizuführen. Sie muss "abstoßen und ausscheiden, was auf dem Marsch zurückbleibt, was den Anforderungen nicht gewachsen ist". Die Notwendigkeit zur Ausbreitung des Sonderschulwesens wird unter anderem damit begründet, dass diese Entlastungsfunktion für die Volksschulen auf dem flachen Land und in den Kleinstädten noch nicht greife.

  9. Dadurch, dass die "Bildungsunfähigen (Idioten)" aus den Hilfsschulen entfernt wurden, hat diese Schulform ein anderes Gesicht bekommen. Der Mangel an Hilfsschullehrern wird in Anbetracht steigender Schülerzahlen als Problem benannt.

  10. Lambeck konstatiert, dass bei der Organisation des Sprachheil- und Gehörlosenschulwesens alles im Fluss sei. In diesem Zusammenhang benennt er verschiedene Personengruppen, die aus diesen Schulformen bereits ausgeschult worden sind, wie z.B. "Nichtbildungsfähige", Kinder mit "starker Herabsetzung der Hörfähigkeit und mangelnder geistiger Begabung und gehörlose Schüler mit mangelnder sprachlicher Begabung".

  11. Im Zusammenhang mit der Neugliederung der beiden Schulformen erhebt der Autor die Forderung nach einer "schärferen Erfassung der Gehörgeschädigten und Sprachleidenden". Obwohl sich die Anzahl der gehörlosen Kinder verringert, sind die Aufgaben der Gehörlosenschulen nach seiner Aussage nicht geringer geworden. Der Erfassung von Kindern aus ländlichen Gebieten ist noch nicht zufriedenstellend geregelt. Zukünftig sollen Schulen für Hörgeschädigte, Gehörlose und Sprachkranke nebeneinander existieren. Seine Vorschläge zur Umgestaltung des Sonderschulwesens sieht der Autor als Maßnahmen zur Leistungssteigerung bezogen auf die Entlastung der Volksschule. Für den Bereich der Blindenpädagogik wird eine ähnliche Entwicklung wie im Bereich der Gehörlosenpädagogik beschrieben, welche die Gründung von Sehschwachenschulen in großstädtischen Räumen zur Folge hat.

  12. Abschließend wird die Einführung der Sonderschulpflicht durch das Reichspflichtschulgesetz gelobt und die Einrichtung eines reichseinheitlichen Referates für das gesamte Sonderschulwesen im "Unterrichtsministerium" für notwendig erachtet. Als deutlich erkennbare Linien für den "Neubau" des deutschen Sonderschulwesens nennt Lambeck am Ende seiner Arbeit fünf Schwerpunkte:

  • Die rassenpolitische Aufgabe steht im Vordergrund.

  • Ausscheiden nicht bildungsfähiger Kinder.

  • Stärkere Betonung der Handarbeit als Bildungsmittel.

  • Aufgliederung der Arbeitsgebiete nach neuen sachlichen Gesichtspunkten

  • Auflockerung erstarrter Systeme

Quelle:

Inge Krämer-Kilic: Adolf Lambeck - ein strammer Nazi und verdienter Leiter einer Hamburger Sprachheilschule bis 1950?

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 21.06.2011

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