Integration an (ober-)österreichischen Hauptschulen Eine Standortbestimmung für das Projekt Schulentwicklung durch Schulprofilierung

Autor:in - Ewald Feyerer
Themenbereiche: Schule, Recht
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Zeitschrift für Inklusion-online 01/2007 Zeitschrift für Inklusion (01/2007)
Copyright: © Ewald Feyerer 2007

1. Bildungspolitischer Hintergrund

1.1 Entwicklung der schulischen Integration in Österreich[1]

Erste Schulversuche zur Integration lernbehinderter Kinder in Volksschulen wurden bereits 1974 unter dem Titel "Integrierte Grundschule" vom Bundesministerium initiiert. Die Top-Down-Konstruktion führte aber zu keinen nachhaltigen Ergebnissen. Mitte der 80-iger Jahre wurde der Ruf nach Integration bottom-up laut. Eltern behinderter und nicht behinderter Kinder, die im Kindergarten positive Erfahrungen mit der integrativen Erziehung machten, waren Auslöser und Motor einer der umfassendsten Schulreformen in Österreich, machten Druck auf die Behörden, schlossen sich in Elterninitiativen bundesweit zusammen, organisierten alljährlich ein Integrationssymposium mit bedeutenden ExpertInnen aus ganz Europa, leisteten medienwirksame Öffentlichkeitsarbeit und erreichten die Einrichtung einer Arbeitsgruppe im Unterrichtsministerium, welche schließlich im Jahr 1988 ein Rahmenkonzept für integrative Schulversuche erarbeitete und die gesetzliche Grundlage für integrative Schulversuche mit dem § 131a der 11. SchOG-Novelle [2] vorbereitete.

In diesem Jahr wurde bereits der erste Schulversuch im Sekundarstufenbereich an der HS Oberwart im Burgenland eingerichtet, aufgrund der schwierigen Verhältnisse allerdings noch nach dem Modell einer kooperativen Klasse [3]. 1989 konnten in Kalsdorf, Steiermark und Reutte, Tirol die ersten Integrationsklassen [4] an Hauptschulen eröffnet werden, wobei besonders der Klasse in Reutte starke Vorbildwirkung für die weitere Entwicklung in Österreich hatte. (Vgl. Hug 1994).

Vor Ort mussten die Eltern in einem zumeist anstrengenden und heftig bekämpften Informationsprozess die SchulleiterInnen, LehrerInnen und Eltern nicht behinderter Kinder von der Möglichkeit und Sinnhaftigkeit schulischer Integration überzeugen und so die Tür für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder in der Grund- und dann in der Hauptschule bzw. AHS[5] überhaupt erst öffnen. Sie fanden dabei aber auch Unterstützung durch engagierte LehrerInnen, TherapeutInnen, DirektorInnen, wissenschaftliche BegleiterInnern, Bezirks- und LandesschulinspektorInnen. Bei der weiteren Entwicklung der Reform wurde auf allen Ebenen über parteipolitische Grenzen hinweg zusammengearbeitet.

Besonders wichtig erwies sich, dass die verantwortlichen Politiker prinzipiell für die Integration behinderter Kinder und eine Öffnung der Schule eingestellt waren. So sagte z. B. der zuständige Bundesminister Dr. Moritz bereits im Jahre 1986:

»Ich bin überzeugt, dass es eines Tages in Österreich neben den Sonderschulen auch integrative Schulformen gibt, nicht nur in der Volksschule, sondern auch in der Hauptschule, in denen behinderte Kinder ganz selbstverständlich mit gesunden Kindern unterrichtet werden. Ein solches Netz wird eines Tages das ganze Bundesgebiet überziehen« (zit. nach BMUK 1994, 5).

1992 gab Unterrichtsminister Dr. Scholten eine Grundsatzerklärung für eine integrative Schule ab:

»In Abkehr von der bisher verfolgten Zielsetzung, in gesonderten Bildungseinrichtungen die beste mögliche Schule für behinderte Kinder zu entwickeln, sieht das Unterrichtsministerium die Entwicklung einer Schule unter Einschluss aller Kinder als zentrale Notwendigkeit zur Wahrung des Wohles behinderter wie nicht behinderter Kinder ... « (zit. nach BMUK 1994, 10).

In diesem Jahr wurden die erste Integrationsklassen mit geistig behinderten Kindern an Gymnasien in Wien und Bruck/Mur errichtet.

1993 folgte mit der 15. SchOG-Novelle die gesetzliche Festschreibung die Integration behinderter Kinder als Aufgabe der Volksschule [6], aufsteigend ab der 1. Klasse. Das nach wie vor bestehende Sonderschulwesen und die Integration wurden gesetzlich als gleichwertige Systeme verankert, den Eltern behinderter Kinder das Wahlrecht eingeräumt, in welchem System sie ihr Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf (= KmSPF) unterrichten lassen wollen. Die Sonderschulen können laut §26, SchOG seither vom Landesschulrat zu sonderpädagogischen Zentren ernannt werden. Diese haben den Auftrag, die Integration in ihrem regionalen Zuständigkeitsbereich zu koordinieren und zu unterstützen.

1994 startete das von Werner Specht geleitete Projekt INTSEK zur bundesweiten Evaluation der integrativen Schulversuche im Sekundarstufenbereich mit dem Ziel, förderliche und hemmende Bedingungen der Integration im Sekundarstufenbereich festzustellen.[7] Die daraus abgeleiteten Empfehlungen werden bei der gesetzlichen Überführung Integration im Bereich der Sekundarstufe I mit der 17. SchOG-Novelle im Dezember 1996 nur teilweise berücksichtigt, aber immerhin wurde trotz heftigen Widerstands der Lehrergewerkschaft die Integration als Aufgabe der Hauptschule und der Unterstufe der Allgemeinbildenden Höheren Schulen beschlossen[8].

1997 erfolgte die Verabschiedung der Landesausführungsgesetze zur Integration auf der Sekundarstufe mit sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich KlassenschülerInnenzahl und LehrerInneneinsatz. Somit ist die gesetzliche Verankerung der Integration auf den Schulstufen 1 - 8 abgeschlossen, das Aufgabengebiet der wissenschaftlichen Begleitung verschiebt sich auf die Integration ab der 9. Schulstufe.

Mit Jänner 2000 kam es zu einem Regierungswechsel und seit 1990 ist zum ersten Mal in einem Koalitionsübereinkommen die Integration im Bereich Schule nicht verankert, obwohl eine gesetzliche Regelung für die Überführung der Integration ab der 9. Schulstufe anstand. Demgemäß scheiterte 2001 und auch 2002 die gesetzliche Überführung der Integration im 9. Schuljahr, dem letzten Pflichtschuljahr in Österreich, da die Regierung die Integration nur in den Polytechnischen Schulen, nicht aber in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen zulassen will.

Heute scheint die integrative Betreuung normal geworden zu sein. Der Anteil der integrierten Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf hat sich bei etwas mehr als 50% im österreichweiten Durchschnitt[9] eingependelt, wobei sich die Entwicklung in den Bundesländern sehr stark unterscheidet: in der Steiermark z. B. knapp 80%, in Oberösterreich über 60% und in Vorarlberg nur rund 35% im Schuljahr 2002/03 (vgl. Specht u.a. 2006, Ausgangspunkte S. 4). Mit diesen Zahlen liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld und hat Deutschland mit durchschnittlich 12% integrierten Kindern weit hinter sich gelassen.

Die flächendeckende Verbreitung der Integration hat allerdings auch eine Vernachlässigung der Frage nach der Qualität gebracht. Eltern akzeptieren die vorhandenen Rahmenbedingungen innerhalb ihres Wahlrechts von der 1. bis zur 8. Schulstufe, die Regierung ist an Evaluationsstudien nicht wirklich interessiert. Die Schulversuche zur Integration auf der 9. Schulstufe werden so wie viele andere Schulversuche einfach Jahr für Jahr verlängert, eine wissenschaftliche Betreuung gibt es schon lange nicht mehr. Die Hauptschulen sind angesichts fast jährlicher Kürzungen vor allem mit dem Kampf ums Überleben, der Autonomie genannten Mangelverwaltung, beschäftigt. Zusätzliche Stunden für die integrative Betreuung stehen von Jahr zu Jahr weniger zur Verfügung, da laut einer §15a Vereinbarung zwischen Bund und Ländern die sonderpädagogischen Ressourcen gedeckelt sind. So gibt es nun schon seit vielen Jahren nur für maximal 2,7% aller PflichtschülerInnen sonderpädagogische Ressourcen, obwohl bereits 1994/95 der Anteil von Kindern mit SPF 2,94 % aller PflichtschülerInnen betrug und bis 2002/03 stetig auf 3,43 % anstieg. Im sonderpädagogischen Bereich liegt also seit langen Jahren eine strukturell bedingte Unterversorgung vor, die Jahr für Jahr zunimmt. (Vgl. Specht u.a. 2006)

1.2. Meilensteine in Oberösterreich

Die Entwicklung der Integration zeigt in jedem Bundesland sehr spezifische Akzente. So wurde z.B. das Modell der Kooperationsklasse als Schulversuchsmodell in Oberösterreich nie in Betracht gezogen, weil der damalige LSI[10] für Sonderpädagogik richtigerweise meinte, dass es für eine solche Form der Kooperation keines Schulversuchs bedarf. Wichtig war weiters, dass der damals politisch zuständige Präsident des LSR offen für und interessiert an pädagogischen Entwicklungen war und die Integration aktiver unterstützte als Präsidenten gleicher politischer Couleur in anderen Bundesländern. Die Integration an Gymnasien war aber in Oberösterreich immer ein Tabuthema. Hier riskierte der Präsident des LSR politisch nichts und so kamen die oberösterreichischen Gymnasien, wie in allen Bundesländern außer in Wien und der Steiermark, nie in Gefahr, auch einmal eine Integrationsklasse eröffnen zu müssen.

Auch die ab den frühen 90igern zuständige Landesschulinspektorin, die die gesamte Entwicklung im Bereich der Integration bis 2004 ganz wesentlich mitbestimmte, konnte ihre ursprüngliche Ablehnung in gemäßigte Zustimmung umwandeln und unterstützte, so wie viele BezirksschulinspektorInnen auch, die wissenschaftliche Begleitung bei vielen Konferenzen und sonstigen Veranstaltungen, um die HauptschullehrerInnen und -direktorInnen in teilweise heftigen Diskussionen von der Sinnhaftigkeit der Integration auf der SEK I zu überzeugen. Die meisten Hauptschulen empfanden die Integration behinderter Kinder nämlich eher als zusätzliche Belastung und weitere Schwächung im Wettkampf mit den Gymnasien. Nur wenige Hauptschulen erkannten die Chance, die sich ihnen damit im Konkurrenzkampf bot (vgl. z.B. Feyerer 1998, Teil 2). Regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen zum Erfahrungsaustausch von SchulversuchslehrerInnen und -direktorInnen wurden in Kooperation mit dem PI[11] von der wissenschaftlichen Begleitung organisiert und ein umfassendes Fortbildungsprogramm zur inneren Differenzierung in den einzelnen Fachbereichen im Rahmen der landesweiten Kurse allen interessierten HS-LehrerInnen angeboten. Nach Einrichtung der Sonderpädagogischen Zentren übernahmen diese die Aufgabe von der wissenschaftlichen Begleitung, die IntegrationslehrerInnen zu unterstützen und bedarfsorientiert Fortbildung zu organisieren. Chronologisch geordnet möchte ich folgende Meilensteine bezüglich der Integrationsentwicklung an Hauptschulen in Oberösterreich aufzählen:

1987/88: Im Bezirk Urfahr-Umgebung werden die an Hauptschulen angeschlossenen Allgemeinen Sonderschulklassen[12] zu so genannten "Kleinklassen" bzw. "Förderklassen" [13] umgewandelt. Dieses Modell wird 1998 als eines von vier Schulversuchsmodellen in das Rahmenkonzept des Unterrichtsministeriums aufgenommen.

1989/90: Die wissenschaftliche Begleitung des Landesschulrates für OÖ wird eingerichtet, Hauptaufgaben: Betreuung der Schulversuchsklassen am Standort, Erfahrungsaustausch und Fortbildung, quantitative und qualitative Evaluation der Schulversuche, Mitwirkung bei gesetzlichen Maßnahmen.

1990/91: Umfassende Evaluation des Kleinklassenmodells mit der Konsequenz, dass die Modellbeschreibung umfassend verändert wird. In der Praxis setzt sich diese konzeptionelle Veränderung aber nicht durch.

1991/92: Das Modell Stützlehrerklasse [14] wird nun doch im Schulversuch erprobt, da in der vorwiegend ländlichen Struktur Oberösterreichs in vielen Fällen keine ausreichende Anzahl von Kindern mit SPF für die Finanzierung eines vollen zusätzlichen Dienstpostens pro Klasse vorhanden sind.

Die Pädagogische Akademie startet das Zusatzstudium "Integrationslehrer". LehrerInnen in Schulversuchsklassen können sich ab nun entsprechend weiterbilden.

1992/93: Die ersten Volksschulintegrationsklassen wechseln in die Hauptschule über. Die erste Integrationsklasse der HS Sattledt, die sich sehr aktiv auf diesen Wechsel vorbereitet hat, wird in der weiteren Entwicklung zu einem häufig besuchten Vorzeigemodell. An der HS Oberneukirchen wird nach umfassender Vorbereitung das Kleinklassenmodell in ein Integrationsklassenmodell umgewandelt. Auch diese Klasse entwickelt sich zu einem Vorzeigemodell in Oberösterreich.[15]

1993/94: Ein Rahmenkonzept für Integrationsklassen an Hauptschulen wird vom LSR in Kooperation mit der wissenschaftlichen Begleitung gemeinsam mit erfahrenen BezirksschulinspektorInnen, HauptschuldirektorInnen, Hauptschul- und SonderschullehrerInnen erarbeitet und evaluiert.

1994/95: Das Rahmenkonzept des LSR wird entsprechend der Evaluationsergebnisse umgearbeitet.

1996/97: Die Integration in der HS wird gesetzlich verankert. Das Landesausführungsgesetz legt keine konkreten Rahmenbedingungen fest, dafür werden vom LSR für OÖ die "Durchführungsrichtlinien zur sozialen Integration in der Hauptschule" erlassen (vgl. LSR f. OÖ 1997). Dieser Erlass basiert auf dem Rahmenkonzept aus dem Jahre 1994/95. Da sowohl das Bundesgesetz als auch das Landesgesetz für die Hauptschulintegration aber geringere Mindeststandards setzen als das Rahmenkonzept, müssen entsprechende Adaptierungen durchgeführt werden.

Zur Vorbereitung der Integration auf der 9. Schulstufe wird vom LSR ein Rahmenkonzept für Schulversuche an der Polytechnischen Schule und einjährigen Fachschulen entwickelt und in den folgenden Jahren erprobt und evaluiert.[16]

2001/02: Der LSR für OÖ redigiert seine Durchführungsrichtlinien unwesentlich in drei Aspekten: gendergerechte Formulierungen; Erweiterung des Spielraumes bezüglich der Möglichkeit, die Anzahl der Schularbeiten pro Jahr zu verringern; Anpassung an bundesweit geltende besoldungsrechtliche Bedingungen (Streichung der Abschlagsstunde sowie der Zulage für leistungsdifferenzierten Unterricht für die zusätzlich eingesetzten (Sonderschul-) LehrerInnen. (Vgl. LSR f. OÖ 2002a) Zusätzlich weist er in einem Extra-Erlass darauf hin, dass die Umsetzung an den Schulen nicht immer dem OÖ Schulrecht bzw. den Durchführungsrichtlinien (vgl. LSR f. OÖ 2002b) entspricht.

1.3. Zahlenmäßige Entwicklung in Oberösterreich

Die folgenden Eckdaten sollen einerseits den sprunghaften Anstieg an Integrationsklassen und andererseits einen detaillierten Blick auf die Situation in Oberösterreich anhand der Zahlen des Schuljahres 2005/06 ermöglichen.[17]

1988/89: 4 Integrationsklassen

1993/94: 92 Klassen

1998/99: 315 Integrationsklassen

2005/06: 493 Integrationsklassen

Im Schuljahr 2005/06 wurden 69,9% bzw. 3397 Kinder von insgesamt 4857 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (KmSPF) in Oberösterreich integriert, wobei in den letzten drei Jahren eine leichte Abflachung des anfangs steilen Anstieges festgestellt werden muss, wie Abbildung 1 zeigt.

Abb. 1: Entwicklung der Integration in Oberösterreich

Betrachtet man die Gruppe der integrierten Kinder nach den Modellen (Abbildung 2), in denen sie beschult werden, ergibt sich folgendes Bild:

  • 2334 SchülerInnen (rund zwei Drittel) besuchen 493 Integrationsklassen (über alle Schultypen hinweg somit durchschnittlich 4,7 KmSPF pro I-Klasse),

  • 820 SchülerInnen oder rund ein Viertel aller KmSPF sind in 486 Stützlehrerklassen (d.h. der/die zusätzliche LehrerIn kommt nur in wenigen Stunden in die Klasse, in der sich durchschnittlich 1,7 KmSPF befinden) und

  • 243 SchülerInnen (rund 7%) werden im Rahmen von 240 Einzelintegrationsklassen, also ohne zusätzliche LehrerIn in Volks- und Hauptschulen unterrichtet.

Abb. 2: Verteilung der integrierten KmSPF nach Modellen

2005/06 waren in Oberösterreich damit 1219 Klassen insgesamt und dementsprechend viele LehrerInnen sowie auch 21.891 Schüler/innen ohne SPF mit dem Thema Integration konfrontiert. Im Hauptschulbereich gab es 282 Integrations-, 191 Stützlehrer-, 83 Einzelintegrations- und 1 Kleinklasse. Abbildung 3 macht deutlich, dass in Oberösterreich im Hauptschulbereich mehr KmSPF integriert werden als im Volksschulbereich. Dieses Phänomen ist laut Specht (2005) übrigens in keinem anderen Bundesland zu beobachten.

Abb. 3: Verteilung der integrierten KmSPF nach Schultyp und Modellen

Abb. 3 zeigt auch ein weiteres Spezifikum Oberösterreichs: die umgekehrte Integration. Oberösterreich war das erste Bundesland, das auf Initiative der Landesschulinspektorin die Sonderschulen in die Integrationsentwicklung einband, indem Integrationsklassen an Sonderschulen errichtet und eher allgemeine Namen wie "Schule für alle" oder "Martin-Buber-Schule" verwendet wurden. Im Schuljahr 2005/06 wurden 185 KmSPF mit 677 nicht behinderten Kindern in 43 Integrationsklassen an Sonderschulen unterrichtet. Davon waren aber nur 4 Klassen im Hauptschulbereich angesiedelt (jeweils eine Klase in der 5., 6., 7. und 8. Schulstufe).

Betrachtet man die quantitative Entwicklung der Integration, so darf man als Oberösterreicher darauf wirklich stolz sein. In einer enorm kurzen Zeit von 17 Jahren ist es gelungen, für rund zwei Drittel aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen integrativen Schulplatz anzubieten. Vom engagierten Schulversuch entwickelte sich die Integration damit zu einem flächendeckenden Angebot, wobei bezüglich der konkreten Umsetzung starke regionale Unterschiede, von Bezirk zu Bezirk, von Schule zu Schule, von Klasse zu Klasse auszumachen sind.



[1] vgl. dazu Feyerer/ Prammer 2003, 26ff

[2] SchOG = Schulorganisationsgesetz

[3] Beim kooperativen Modell, oft auch KOOP-Klasse genannt, bleiben die Kinder mit SPF in einer Sonderschulklasse. Diese Klasse wird aber räumlich neben einer VS- oder HS-Klasse platziert und stundenweise nehmen die Kinder mit SpF (= sonderpädagogischer Förderbedarf) am Unterricht der Regelklasse teil, meist in "Nebenfächern" wie Leibeserziehung, Werken, etc. (Vgl. Feyerer/ Prammer 2003, 32f)

[4] In den Integrationsklassen sind die Kinder mit SpF fixer Bestandteil einer VS- oder HS-Klasse, ein/e zusätzliche/r Lehrer/in, zumeist ein Sonderschullehrer/in wird zur Verfügung gestellt. Weitere Bestimmungsmerkmale werden später noch dargestellt.

[5] AHS = Allgemeinbildende Höhere Schulen, Gymnasien (Realschulen gibt es in Österreich nicht)

[6] Mit Volksschule wird in Österreich die Grundschule mit den Schulstufen 1 - 4 bezeichnet

[7] vgl. dazu Specht 1995, 1997a, 1997b

[8] In Österreich können zwar per Gesetz Integrationsklassen an Gymnasien (Schulstufen 5 - 8) eingerichtet werden, tatsächlich geschieht dies aber nur in sehr geringem Ausmaß: insgesamt werden rund 10 Klassen pro Jahr (ausschließlich in den Bundesländern Wien und Steiermark) geführt.

[9] im Schuljahr 2003/03 genau 52,5 %, in der Volksschule bereits 58,6 %, auf der Sek I 51,5 % (vgl. Specht u.a. 2006, Ausgangspunkte S. 3)

[10] LSI = LandesschulinspektorIn; LSR = Landesschulrat

[11] PI = Pädagogisches Institut, zuständig für die Fortbildung der LehrerInnen

[12] also Klassen für lernbehinderte Kinder bzw. für Kinder mit Förderschwerpunkt Lernen

[13] Klein- bzw. Förderklassen sind kooperative Modelle einer zielgleichen Integration. 6 - 10 SchülerInnen mit Lern- und/oder Verhaltensschwierigkeiten werden zum überwiegenden Teil von einem/r Sonderschullehrer/in unterrichtet. Ziel ist die baldige Rückführung in die Regelklasse oder zumindest die teilweise Erreichung des Hauptschulabschlusses. (Vgl. Feyerer/ Prammer 2003, 34ff)

[14] In Stützlehrerklassen werden einzelne Kinder mit SPF von einem/r Sonderschullehrer/in mit unterschiedlichem Stundenausmaß zusätzlich unterstützt. In den restlichen Stunden sollen die Hauptschullehrer/innen die innere Differenzierung durchführen. (Vgl. Feyerer/ Prammer 2003, 31f)

[15] Beide Schulen werden im Band 2 von Specht 1997a ausführlich porträtiert.

[16] vgl. dazu Feyerer/ Schimpl/ Sturm/ Würleitner 2002

[17] Statistik des LSR f. OÖ, Stichtag 1.10.2005

2. Gesetzliche Grundlagen, staatliche Steuerung

Die wichtigsten und auch am heftigsten diskutierten Steuerungselemente auf gesetzlicher Ebene können anhand folgender Fragen dargestellt werden:

  • Wird der Integration eine Priorität gegenüber der Sonderschule eingeräumt?

  • Werden die im Schulversuch festgestellten förderlichen Rahmenbedingungen für Integrationsklassen (verminderte Klassenschülerzahl, max. 20 - 25% bzw. durchschnittlich 5 KmSPF pro Klasse, Zwei-PädagogInnen-System in den meisten Unterrichtsstunden, keine äußere Differenzierung nach Leistungsgruppen, fächerübergreifender, binnendifferenzierter Unterricht, kleines und gleichwertiges LehrerInnenteam pro Klasse, alternative Formen der Leistungsbeurteilung) gesetzlich verankert?

Der Bundesgesetzgeber entschloss sich, keinerlei Priorität zwischen segregierender und integrativer Förderung zu setzen. Bildungspolitisch werden beide Systeme prinzipiell als gleichwertig behandelt. Die Länder bekommen ihre sonderpädagogischen Ressourcen rein nach der Anzahl der KmSPF, egal wo diese beschult werden. Wie die Länder diese Ressourcen zwischen den beiden Systemen verteilen, bleibt diesen überlassen.

Der Landesschulrat für Oberösterreich führte ein System ein, dass allen Bezirken entsprechend ihrer PflichtschülerInnenzahl den gleichen prozentualen Anteil an den vorhandenen Ressourcen zukommen lässt. Unterschieden wird nur mehr nach Stadt- oder Landbezirken. Dies hat zur Folge, dass ländliche Bezirke, die vorher einen sehr geringen Anteil an SonderschülerInnen hatten (z.B. Schärding mit weniger als 1%), nun bedeutend mehr Ressourcen erhalten, während speziell die städtischen Bezirke schmerzlich weniger LehrerInnenstunden im sonderpädagogischen Bereich zur Verfügung haben. Innerhalb der Bezirke können die Ressourcen autonom, flexibel und bedarfsgerecht verteilt werden. Dazu sollen die Schulen ihren Bedarf bis Mai ans Sonderpädagogische Zentrum (SPZ) melden. Im Rahmen einer Konferenz soll dann für alle transparent ein eventuell notwendiger Ausgleich zwischen den vorhandenen und den gewünschten Ressourcen erfolgen. In der Regel geschieht die Ressourcenzuweisung an die Schulen aber lediglich in Absprache zwischen BSI [18] und SPZ-LeiterIn. Abhängig von den persönlichen Einstellungen und dem Engagement der SPZ-LeiterIn und der BezirksschulinspektorIn werden entweder bedarfsgerechte Lösungen gefunden oder die Ressourcen einfach nach fixen Quoten entsprechend der Behinderungsart (z.B.: 3 Wochenstunden für ein KmSPF mit ASO-Lehrplan) verteilt.

Auch bezüglich der förderlichen Rahmenbedingungen verfolgte der Bundesgesetzgeber die Politik, möglichst keine Standards gesetzlich festzuschreiben. Daher gibt es in der 17. SchOG-Novelle nur die Erlaubnis, dass die Länder in ihren Ausführungsgesetzen verminderte Klassenschülerzahlen und Kriterien für den Einsatz zusätzlich ausgebildeter LehrerInnen in Integrationsklassen beschließen können:

"Die Ausführungsgesetzgebung hat zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß die Klassenschülerhöchstzahl für Klassen, in denen sich Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf befinden, niedriger als 30 ist. Dabei ist auf die Anzahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die Art und das Ausmaß der Behinderung sowie das Ausmaß des zusätzlichen Lehrereinsatzes Rücksicht zu nehmen." (§ 21, SchOG).

Der Verzicht auf eine äußere Differenzierung nach Leistungsgruppen wurde als Kann-Bestimmung ermöglicht, aber nicht als Mindeststandard festgelegt, wie das im Rahmenkonzept des LSR f. OÖ 1994 und 1995 festgeschrieben war. Zur Unterrichtsgestaltung und Leistungsbeurteilung legte der Gesetzgeber überhaupt nichts fest. Nur das Kooperationsmodell wurde ausdrücklich verankert:

"...Die Zusammenfassung in Schülergruppen kann bei einem gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf entfallen. Zur Ermöglichung eines zeitweisen gemeinsamen Unterrichts von nicht behinderten Schülern und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf können zeitweise Hauptschulklassen und Sonderschulklassen gemeinsam geführt werden." (§18, SchOG )

Die Rolle der SonderschullehrerIn als gleichwertige PartnerIin in Integrationsklassen wurde ebenfalls nicht definiert, um keinerlei zusätzliche Kosten zu begründen (z.B. für zusätzliche Abgeltungen der Klassenvorstandsleistungen, der Koordinationsstunden, der Zuschläge für leistungsdifferenzierten Unterricht). Grundsätzlich kann gesagt werden, dass damit die dienstrechtliche Stellung der SonderschullehrerIn in einer Integrationsklasse gegenüber einer klassenführenden LehrerIn in einer Sonderschulklasse deutlich verschlechtert wurde.

Der oberösterreichische Landesgesetzgeber entschloss sich mit der 2. OÖ POG [19] -Novelle 1997 (vgl. Landesgesetzblatt für Oberösterreich), die vom Bund vorgegebene Politik der Unbestimmtheit zu übernehmen und legte ebenfalls keine Zahlen fest, ab wie vielen und bis zu wie vielen SchülerInnen mit SPF eine zusätzliche LehrerIn einzusetzen ist, sondern übernahm die im Bundesgesetz verankerten Bestimmungen teilweise wörtlich:

"Der Unterricht in den Hauptschulklassen ist durch Fachlehrer zu erteilen. Für den Unterricht von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind im Rahmen des genehmigten Stellenplanes entsprechend ausgebildete Lehrer zusätzlich einzusetzen; für einzelne Unterrichtsgegenstände dürfen mit ihrer Zustimmung auch Lehrer eingesetzt werden, die keine besondere Ausbildung zur sonderpädagogischen Förderung besitzen." (§ 14 (1), OÖ POG und § 20 (1), SchOG).

Die Verminderung der Klassenschülerzahlen wurde durch eine Doppelzählung der KmSPF zwar grundsätzlich ermöglicht, aber nur, wenn ausreichend personelle Ressourcen und Raumkapazitäten vorhanden sind (vgl. §15, (2) OÖ POG). Damit wurde still und heimlich ein Finanzierungsvorbehalt eingeführt und unter den heutigen Bedingungen kann davon ausgegangen werden, dass in Integrationsklassen keine Doppelzählung der KmSPF mehr stattfindet.[20] Integration ist somit zwar als gesetzliches Wahlrecht verankert, die Qualität der Durchführung vom Gesetzgeber her aber vollkommen offen gelassen.

Das durchgängige Prinzip der gesetzlichen Steuerung der Integration kann am besten mit dem Satz "Alles ist möglich, aber nicht ist fix" ausgedrückt werden. Um die notwendigen Bedingungen muss nach wie vor gekämpft werden. Um diesem Verteilungskampf zumindest eine gewisse pädagogische Orientierung zu geben, entschloss sich der Landesschulrat für Oberösterreich, den Erlass B1-35/2-97 vom 24.9.1997 herauszugeben. Diese "Durchführungsrichtlinien zur sozialen Integration in der Hauptschule" (LSR f. OÖ 1997) formulieren gemäß den Erfahrungen im Schulversuch Rahmenbedingung bzgl. Schülerzahl, Lehrereinsatz, Unterrichtsgestaltung, Leistungsbeurteilung und Rolle der SonderschullehrerIn. Im Jahr 2002 adaptierte der LSR f. OÖ diese Durchführungsbestimmungen ein klein wenig (siehe oben unter Meilensteine) und gab einen zusätzlichen Erlass heraus (vgl. LSR f. OÖ 2002b), in dem er nochmals die wichtigsten Durchführungsrichtlinien herausstrich. Die Gründe dafür veranschaulichen die folgende Situationseinschätzung seitens der zuständigen Landesschulinspektorin:

"An vielen Schulen wird die Betreuung der Kinder mit SpF in vorbildlicher Weise durchgeführt.

Die Umsetzung entspricht allerdings nicht immer dem OÖ Schulrecht bzw. den Durchführungsrichtlinien (...).

Der Landesschulrat für OÖ ersucht daher, in Kooperation mit den BezirksschulinspektorInnen, dem SPZ-Team sowie den DirektorInnen Maßnahmen zu setzen, die sowohl den Bestimmungen des OÖ POG als auch den Durchführungsrichtlinien entsprechen. (...)

Bei den Bezirksbesuchen wurde u.a. festgestellt, dass an manchen Standorten für zehn Stützstunden drei und mehr LehrerInnen eingesetzt werden. Im Schuljahr 2002/03 ist bei der Lehrfächerverteilung darauf zu achten, dass die Funktion des/r zusätzlich eingesetzten LehrersIn in Stützklassen von nur einer Person ausgeübt wird. In I-Klassen muss eine/e LehrerIn mit voller Lehrverpflichtung eingesetzt werden. Eventuell verbleibende Stützstunden dürfen auf max. 2 - 3 LehrerInnen aufgeteilt werden." (LSR f. OÖ 2002b, 1f.)

Meijer (2005, 31ff) weist darauf hin, dass für das Gelingen der Integration eine klare nationale politische Strategie notwendig ist.

" Die Regierungen sollten eine nachdrückliche Politik der Förderung von Integration/Inklusion zum Ausdruck bringen und im Hinblick auf deren Umsetzung allen am Bildungssystem Beteiligten klar und deutlich vermitteln, welche Ziele sie mit dieser Bildungspolitik verfolgt. " ( European Agency 2003, 6)

Bezüglich der Finanzierung werden flexible Regelungen vorgeschlagen, bei denen die Budgets an die regionalen und lokalen Einrichtungen weitergeleitet werden sollen. Zentrale Finanzierungsmodelle führen ...

" ... zu weniger Integration/Inklusion, mehr Etikettierung und steigenden Kosten (...) Das Finanzierungssystem mit schülergebundenen Budgets (bei dem die einzelnen Lernenden Mittel erhalten, um ihren speziellen Förderbedarf zu decken) scheint ebenfalls Nachteile zu haben. (...) Systeme, in denen die Gemeinde anhand der Informationen aus den schulischen Förderdiensten oder den Förder- bzw. Sonderpädagogischen Zentren über die Mittelzuweisung entscheiden und die finanziellen Ressourcen für getrennte Einrichtungen die Höhe der Mittel für die Regelschule direkt beeinflussen, scheinen für die Durchsetzung einer integrativen/inklusiven Bildung sehr effektiv zu sein. " ( European Agency 2003, 14f)



[18] BSI = BezirksschulinspektorIn

[19] POG = Pflichtschulorganisationsgesetz

[20] Diese Doppelzählung stellte zu Beginn der Schulversuche doch einen Anreiz für Hauptschulen dar, da oft Schülerzahlen von rund 55, 56 SchülerInnen pro Jahrgang vorhanden waren, die bei einer regulären Teilungszahl von 31 im Normalfall nur zwei, beim Führen einer Integrationsklasse aber drei Klassen ergaben. Damit verbunden war ein weiterer Anreiz: aus einer 8-klassigen Hauptschule wurde eine 9-klassige, der Direktor/die Direktorin wurde damit vom Unterricht vollkommen freigestellt.

3. Standards zur Umsetzung der Integration auf Ebene der Schulaufsicht

Mit dem oben erwähnten Erlass gibt die Schulaufsicht in Oberösterreich Standards zur Durchführung der Integration in Hauptschulen als Kann-Bestimmungen vor. Die Schulaufsicht kann sich daran halten oder auch nicht, Lehrerinnen und Eltern haben aber immerhin eine gute Argumentationsgrundlage. Wie auf allen anderen Ebenen auch werden damit vor allem die jeweiligen persönlichen Einstellungen, Meinungen und Erfahrungen handlungsleitend. Dementsprechend unterschiedlich ist die konkrete Umsetzung der Integration in den verschiedenen Bezirken.

Erfahrungen im Schulversuch zeigten, dass den Personen der Schulaufsicht ein sehr bedeutender Lenkungsfaktor zukommt. Überall dort und immer dann, wenn vom Ministerium, vom Landesschulrat oder Bezirksschulrat zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Integration eine wichtige Angelegenheit sei und gewisse Standards notwendig seien, wurde auch seitens der Schulen und LehrerInnen versucht, diese Standards zu erreichen.

Meijer (2005, 32f) weist ebenfalls darauf in, dass eine regionale Koordination sowie die Entwicklung einer visionären Führung auf kommunaler Ebene hilfreiche Bedingungen sind.

" Führungskräfte spielen bei der Umsetzung von politischen Strategien eine entscheidende Rolle. Dies betrifft Entscheidungsträger/innen auf der Ebene der Länder, Gemeinden, Schulbezirke und Schulverbände sowie Schulleiter/innen. Sie sollten durch eindeutig vermittelte bildungspolitische Vorgaben und konkrete Hilfe in ihrer Führungsrolle unterstützt werden. " ( European Agency 2003, 7)

Den BSI und den SPZ-LeiterInnen haben mit der Ressourcenverteilung die entscheidende Steuerungsrolle inne. Der Erlass meint dazu:

" In Oberösterreich werden die vom Bund zur Verfügung gestellten Ressourcen an die Bezirke weiter gegeben. Auf diese Weise bekommen die einzelnen Regionen die Möglichkeit, die pädagogischen Maßnahmen so zu organisieren, dass die Bedürfnisse der Kinder sowie die Wünsche der Lehrer/innen und Eltern berücksichtigt werden können. Mit dem zugewiesenen Stundenkontingent wird in einer pädagogischen Konferenz im Wirkungsbereich des jeweiligen Sonderpädagogischen Zentrums in Zusammenarbeit mit dem BSR jene Modellvariante ausgewählt, die zum einen den Bedürfnissen der Kinder am besten entspricht und zum anderen auch von den Lehrerressourcen her gesehen durchführbar ist. Das Modell Integrationsklasse ist pädagogisch dem Modell Stützlehrerklasse vorzuziehen. " (LSR f. OÖ 2002a, 1)

Um die Umsetzung der Integration in der HS positiv zu beeinflussen, sollte die Schulaufsicht, speziell die BSIs in Kooperation mit ihren SPZ-LeiterInnen, weiters dafür Sorge tragen, dass

  • neue Integrationsschulen ausreichend und rechtzeitig über Ziele und Möglichkeiten der Integration informiert werden und Schulbesuche in bereits bestehenden und gut funktionierenden Klassen ermöglicht werden,

  • neue Integrationsklassenteams an Hauptschulen etwas mehr Ressourcen zur leichteren Bewältigung des schwierigen Einstiegs bekommen,

  • sich LehrerInnenteams rechtzeitig und freiwillig zusammen finden können,

  • den LehrerInnen in Integrationsklassen ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch organisiert wird,

  • möglichst erfahrene SonderschullehrerInnen in Integrationsklassen eingesetzt werden,

  • die zusätzlichen Stunden für die sonderpädagogische Betreuung in einer Klasse nicht einfach aus stundenplantechnischen Gründen auf mehrere Personen aufgeteilt werden,

  • die LehrerInnen an Integrationsschulen nicht rein nach dem Kriterium Dienstalter versetzt werden und

  • die Schulen zu selbstevaluativen Maßnahmen ermuntert und dabei auch unterstützt werden.

4. Standards für die Umsetzung der Integration auf Schulebene

Zur Umsetzung der Integration auf der Schulebene gibt der Erlass knapp die wesentlichsten Standards wieder, die sich im Schulversuch durchaus bewährt haben:

" 1. Zielsetzung

Die Ergebnisse der Schulversuche begründen die Weiterführung der sozialen Integration in der Hauptschule. Zur Verwirklichung muss in allen Organisationsmodellen ein Unterricht durchgeführt werden, der ein gemeinsames Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder in heterogenen Stammklassen ermöglicht.

Dem unterschiedlichen Entwicklungs- und Leistungsniveau der Schüler/innen soll durch innere und äußere Differenzierung sowie Individualisierung entsprochen werden, damit alle Kinder eine optimale Förderung erhalten. Weiters sollen jene sozialen Lernprozesse angebahnt bzw. vertieft werden, die für ein späteres gemeinsames Leben und Arbeiten behinderter und nicht behinderter Menschen in der Gesellschaft förderlich sind.

Diese Zielsetzungen sind im Modell Integrationsklasse leichter umzusetzen. Stützlehrerklassen sollten daher nur in Ausnahmefällen an jenen Standorten eingerichtet werden, wo die Errichtung einer Integrationsklasse nicht möglich ist bzw. zur starken Benachteiligung eines Kindes (z. B.: sehr weiter Schulweg; Ausschluss aus der dörflichen Gemeinschaft) führen würde.

2. Äußere Organisation und Schülerzahl

Die Klassenschülerhöchstzahl in einer Integrations- oder Stützlehrerklasse soll sich an der durchschnittlichen Klassenschülerzahl an oberösterreichischen Hauptschulen orientieren. Ein Höchstwert von 25 Schüler/innen sollte nicht überschritten werden. Zur Ermittlung der Klassenschülerhöchstzahl dürfen die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf doppelt gezählt werden, die Klassenschülerhöchstzahl der Parallelklassen (30) bleibt aufrecht. Sollte mit der Doppelzählung die Klassenschülerhöchstzahl 30 überschritten werden, ist nach Maßgabe der vorhandenen Lehrerstunden (Abstimmung mit dem/der BSI) die Klasse zu teilen.

Bei der Klassenbildung ist vor allem auf die Ausgewogenheit nach dem Kriterium der Leistung und des Verhaltens zu achten. Eltern nicht behinderter Kinder haben prinzipiell keine Wahlfreiheit. Vorrangig sollen jene Schüler/innen aufgenommen werden, die bereits in der Volksschule in einer Integrationsklasse unterricht wurden. Die Zusammensetzung der Klasse wird maßgeblich vom Lehrer/innenteam mitbestimmt. Der erhöhte pädagogische Aufwand, in Stützlehrerklassen, ist bei der Aufteilung der Schüler/innen auf die Parallelklassen zu berücksichtigen.

Die Anzahl der behinderten Schüler/innen richtet sich nach Art und Schweregrad der Behinderungen. Als Richtwert für eine Integrationsklasse, in welcher in der Regel zwei Lehrer/innen im Teamteaching unterrichten, werden mindestens vier bis maximal sieben behinderte Kinder angenommen. Die konkrete Zahl ist im Rahmen einer Konferenz im Wirkungsbereich des jeweiligen Sonderpädagogischen Zentrums abzuklären. Im Konfliktfall entscheidet der/die Bezirksschulinspektor/in.

(...)

6. Lehrer/inneneinsatz

In einer Integrations- oder Stützlehrerklasse sollen möglichst wenige Lehrpersonen unterrichten. Als zusätzliche Lehrer/innen sollen vor allem Sonderschullehrer/innen eingesetzt werden. Falls dies nicht möglich ist, können auch Hauptschullehre/innen unterrichten, die sich freiwillig melden, zur Fortbildung bereit sind und nach Möglichkeit sonderpädagogische Erfahrung mitbringen. Erfahrungen zeigen, dass es für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besser ist, wenn die Funktion des/der zusätzlich eingesetzten Lehrers/in von nur einer Person ausgeübt wird.

Der/Die zusätzlich eingesetzte Lehrer/in und der/die jeweilige Fachlehrer/in arbeiten gleichberechtigt im Team. Bei der Planung des Unterrichts bringt jede/r Lehrer/in sein spezifisches Wissen ein (Kompetenztransfer), der Unterricht erfolgt im Teamteaching. Bei der Stundenplangestaltung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass fächerübergreifender Unterricht, Projektunterricht sowie Wochenplan- bzw. Freiarbeit gut realisiert werden können und die Lehrer/innen einmal pro Woche ausreichend Zeit zur Koordination haben.

In Integrationsklassen soll das Prinzip der Doppelbesetzung in all jenen Stunden gelten, in denen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf anwesend sind. Da die Unterrichtsverpflichtung eines/einer Sonderschullehrers/in an HS 21 bzw. 20 beträgt, können die darüber hinaus erforderlichen Unterrichtsstunden von anderen Lehrer/innen übernommen werden. (...) Es ist sehr genau zu überlegen, in welchen Stunden die Doppelbesetzung pädagogisch am sinnvollsten ist. Dies ist durch ein standortbezogenes pädagogisches Konzept zu dokumentieren.

Um am Standort flexibel auf die Bedürfnisse eingehen zu können, bekommt jede Integrationsklasse ein Stundenkontingent zur Verfügung gestellt. Dieses orientiert sich an der Klassenzusammensetzung und -größe sowie an Art und Ausmaß der Behinderung und der Anzahl der behinderten Kinder und wird in einer Konferenz im Wirkungsbereich des Sonderpädagogischen Zentrums festgelegt.

Der/Die Sonderschullehrer/in kann auch als Klassenvorstand eingesetzt werden.

Falls es die Situation an der Schule zulässt, können neben dem sonderpädagogischen Stundenkontingent auch Stunden aus der Schulautonomie und dem Bereich des Förderunterrichts verwendet werden. Alle der Schule zugewiesenen sonderpädagogischen Stunden müssen am Standort bedarfsorientiert den Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zugute kommen.

Der Unterricht in einer Integrationsklasse soll zu keiner dienst- und besoldungsrechtlichen Schlechterstellung führen. Die Zulage für leistungsdifferenzierten Unterricht ist daher für jene Erstlehrer/innen, die D, M, E gemäß Stundentafel unterrichten, in voller Höhe auszuzahlen. (Trotz der inneren Differenzierung kann von drei Schülergruppen ausgegangen werden.) Der Unterricht in einer Integrations- oder Stützlehrerklasse zählt dabei genauso wie der Unterricht in einer Leistungsgruppe.

Den in den Fächern D, E und M eingesetzten Zweit- und Drittlehrer/innen in Integrationsklassen gebührt keine LDU-Zulage. Für die UÜ Englisch (Lehrplan für ASO-Kinder) besteht kein Anspruch auf die LDU-Zulage, weil gemäß & 59b Abs. 1 GG für diese Vergütung der Lehrplan der HS oder PTS Voraussetzung ist.

Zusätzlich eingesetzte Lehrer/innen haben - in Kooperation mit den Fachlehrer/innen - umfangreiche Aufgaben zu erfüllen:

- Individuelle Förderung im integrativen Unterricht

- Erstellung und regelmäßige Überprüfung eines Förderplanes für jedes gestützte Kind

- Besprechen der Differenzierungsmaßnahmen, gemeinsame Vor- und Nachbereitung

- Interdisziplinäre Zusammenarbeit

- Klassenlehrern/innen und Eltern zusätzliche Hilfen zur Bewältigung allfälliger Schwierigkeiten anbieten

- Mitwirkung bei notwendigen Bildungswegentscheidungen

- Maßnahmen setzen, welche die Akzeptanz eines behinderten Kindes sicherstellen

- Regelmäßiger Erfahrungsaustausch und Fortbildung mit dem SPZ-Team

Die Betreuung der Integrations- und Stützlehrerklassen erfolgt durch die Sonderpädagogischen Zentren. Die Bezirksarbeitsgemeinschaften haben die Integration in der Hauptschule mit entsprechenden Fortbildungsmöglichkeiten zu fördern. Es wird erwartet, dass die Lehrer/innen, die in einer Integrations- oder Stützlehrerklasse unterrichten, diese Angebote auch nützen." (LSR f. OÖ 2002a, 2ff.)

Einem wichtigen Standard für das Gelingen der Integration widmet der Erlass zu wenig Platz, da die Einbeziehung der Eltern und SchülerInnen im Sinne der Partizipation damals auch theoretisch nicht entsprechend thematisiert wurde. Da sich eine integrative Pädagogik aber auch als eine demokratische und solidarische Pädagogik definiert, wäre es von großer Bedeutung, alle SchulpartnerInnen an der Umsetzung teilhaben und mitwirken zu lassen.

Damit könnte auf Schulebene auch einer großen Gefahr der Integration in Hauptschulen entgegengewirkt werden: Der Lagerbildung von BefürworterInnen und GegnerInnen. Um dies zu verhindern ist großes Einfühlungsvermögen und ein ausgewogener Umgang mit den VertreterInnen aller Richtungen seitens der Schulleitung notwendig.

Beim Auftauchen von größeren Problemen bzw. einfach dann, wenn LehrerInnen sich das wünschen, sollte eine Supervision organisiert werden können.

Ein weiterer Standard auf Schulebene ist die Integration der Integrationsklassen. Dazu ist es hilfreich, dass sich die Integrationsklassen auch an den Aktivitäten der Parallelklassen beteiligen und umgekehrt, dass LehrerInnen aus den Parallelklassen selbstverständlich auch in Integrationsklassen supplieren und umgekehrt, dass klassenübergreifende Projekte und gemeinschaftliche Aktivitäten aller LehrerInnen und Schüler/innen initiiert werden.

Um eine möglichst heterogene SchülerInnenpopulation und speziell auch gut begabte SchülerInnen zu bekommen, hat es sich als hilfreich erwiesen, den Eltern der Zulieferschulen bereits in der 3. Klasse Volksschule, spätestens aber zu Beginn der 4. Klasse, das neue KlassenlehrerInnenteam und das pädagogische Konzept vorzustellen. Gezielte Elternarbeit kann daher ebenfalls als wichtiger Standard festgehalten werden.

Meijer (vgl. 2005, 30f) führt drei schulinterne Bedingungen an: Die Schule als Einheit, eine flexible und autonome Unterstützungsstruktur und die Förderung von Führungsqualitäten innerhalb der Schule. Als " personelle Bedingungen " ( Meijer 2005, 28) führt er die Entwicklung positiver Einstellungen bei den Lehrkräften, die Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls und die Einführung angemessener pädagogischer Kompetenzen sowie die Zeit zur Reflexion an.

Die European Agency weist weiters auf Bedeutung der Fähigkeit zur Zusammenarbeit von Schulen und die Rolle der Eltern als Partner im Bildungsprozess:

"In Zusammenarbeit mit der Schule, externen Einrichtungen und anderen Fachkräften sollten auch die Eltern ein explizites Mitspracherecht haben und in die Planung, Durchführung, Evaluierung und den Aufbau und Inhalt der Bildung ihres Kindes, einschließlich der Entwicklung seines individuellen Förderplanes, einbezogen werden." ( European Agency 2003, 18)

5. Standards für die Umsetzung integrativen Unterrichts

Integrativer Unterricht kann nur dann erfolgreich sein, wenn er versucht, der Heterogenität durch umfassende Maßnahmen gerecht zu werden. In Oberösterreich hat sich das Konzept des Offenen Unterrichts zur inneren Differenzierung durch Individualisierung sehr bewährt. Es besteht im Wesentlichen aus den folgenden 4 Organisationsformen (vgl. dazu Feyerer/Prammer 2003, Kapitel 4):

  • Differenzierte Förderung im Fachunterricht - Gebundener Unterricht

  • Wochenplan (WP) und Freiarbeit (FA)

  • Gemeinsames Lernen am gemeinsamen Gegenstand - Projektunterricht

  • Individuelle Fachbereichsarbeiten

Niedermair (2004, 113ff), die Integrationsklassen in Vorarlberg untersucht hat, führt zusätzlich noch folgende Formen an:

  • Stationen/ Werkstatt-Unterricht

  • Themenzentriertes Arbeiten

  • Klassenrat - Arbeiten im Sitzkreis

Der Erlass des LSR f. OÖ definiert guten Unterricht in I-Klassen folgendermaßen:

"3. Lehrplan und Unterricht

Die unterstützenden Maßnahmen sollen möglichst im Klassenverband stattfinden. Es ist ein Unterricht anzustreben, bei dem alle Kinder auf unterschiedlichem Niveau am gleichen Thema arbeiten. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen aller Schüler/innen erfordern einen Unterricht mit inneren Differenzierung. Äußere Differenzierung soll nicht nach Leistungsniveaus erfolgen. Es können jedoch bedarfsbezogen Lerngruppen gebildet werden. Gebundene Unterrichtsformen zur Vermittlung eines Grundwissens sollen sich mit offenen Lernformen in einem ausgewogenen Verhältnis abwechseln.

Jede/r Schüler/in soll an möglichst hohe Lehrplanziele herangeführt werden. Grundlage für den Unterricht ist der Lehrplan der Hauptschule und die den Erfordernissen und Bedürfnissen der Schüler/innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf entsprechenden Teile der Sonderschullehrpläne. [21] Unterschiede in den Stundentafeln werden gemäß den Bedürfnissen und Fähigkeiten der behinderten Schüler/innen ausgeglichen, so dass es zu keiner Überlastung kommt. Als Untergrenze für die behinderten Kinder gilt die Stundenanzahl des jeweiligen Spartenlehrplanes, es besteht aber auch kein Einwand, wenn die Stundentafel des HS-Lehrplanes voll ausgeschöpft wird.

4. Unterricht in heterogenen Stammklassen

In den Integrations- und Stützlehrerklassen kann heterogen unterrichtet werden. Will man die Leistungsgruppen auch im Zeugnis nicht ausweisen, ist um einen Schulversuch gemäß § 131 b SchOG anzusuchen. Für den Übertritt in eine weiterführende Schule gelten dann die Bestimmungen des Erlasses des Landesschulrates für OÖ 'Aufnahme von Schüler/innen aus der 8. Schulstufe in weiterführende Schulen mit einem Hauptschulzeugnis ohne ausgewiesene Leistungsgruppe (§ 131b SchOG)' mit der Zahl B1 - 43/1 - 97 vom 13.3.1997, ergänzt durch den Erlass A3-42/2-1997 vom 5.6.1997." (LSR f. OÖ 2002a, 2f.)

Bezüglich der Leistungsbeurteilung erlaubt der Erlass weiters die Verwendung der drei Alternativen Verbale Beschreibung, Ziffernbeurteilung mit verbalen Zusätzen und Kombination Ziffernbeurteilung und verbale Beschreibung. Die Auswahl der alternativen Form soll mit dem pädagogischem Konzept in Einklang stehen und wird im Klassenforum mit einer 2/3-Mehrheit beschlossen. Es wird weiters darauf hingewiesen, dass auch in Integrationsklassen grundsätzlich die Richtlinien der Leistungsbeurteilungsverordnung gelten, die Anzahl der Schularbeiten in M, D, E zwischen vier und sechs liegen kann, und die Beurteilung der Schüler/innen im Teamteaching durch beide Lehrer/innen gemeinsam erfolgt. Sollten sich diese nicht einigen können, entschiede der/die Schulleiter/in. (vgl. LSR f. OÖ 2002a, 4f.).

Der gemeinsame Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder soll demnach ein offener und schülerzentrierter Unterricht sein, was auch ein neues Verständnis der LehrerInnenrolle bedingt. So ist die IntegrationslehrerIn nicht hauptsächlich WissensvermittlerIn, sondern vor allem HelferIn ihrer SchülerInnen bei deren persönlichen und individuellen Entwicklung innerhalb der sozialen Gemeinschaft. Ihre Aufgabe besteht nicht hauptsächlich darin, den Kindern vorgefertigte Antworten auf nicht gestellte Fragen zu servieren. Vielmehr geht es darum, Freiräume zu schaffen, in denen die Kinder Antworten auf eigene Fragen durch kritische Auseinandersetzung mit der Welt finden können. Probleme wie unterschiedliche Aufmerksamkeit, unterschiedliches Arbeitstempo, Bewegungs- und Kommunikationsbedürfnis der Kinder werden nicht als störende Faktoren zu eliminieren versucht sondern als individuelle Lernbedingungen betrachtet und so in die Unterrichtsarbeit miteinbezogen, dass jede SchülerIn sich möglichst erfolgreich auf ihrem Niveau weiterentwickeln kann. Die wichtigsten Unterrichtsprinzipien in integrativen Klassen - schlagwortartig zusammengefasst - lauten:

  • mehr Heterogenität, weniger Homogenität

  • mehr Kooperation, weniger Konkurrenz

  • mehr Team- und Gruppenarbeit, weniger Einzelarbeit

  • mehr Förderung, weniger Selektion

  • mehr Rückmeldung, weniger Bewertung

  • mehr innere Differenzierung, weniger äußere Differenzierung

  • mehr Schülerzentriertheit, weniger Stofforientiertheit

  • mehr Projektunterricht, weniger parzellierter Fächerunterricht

Meijer (vgl. 2005, 5f) fand in seinen Untersuchungen sieben Faktoren, die er als entscheidend für die Effektivität integrativen/inklusiven Unterrichts bezeichnet:

  • Kooperativer Unterricht (bei uns meist mit Teamteaching bezeichnet)

  • Kooperatives Lernen (Peer Tutoring)

  • Kooperative Problembewältigung (systemischer Ansatz im Umgang mit unerwünschtem Verhalten, klare Regeln)

  • Heterogene Gruppen (binnendifferenzierte Unterrichtsgestaltung)

  • Wirksamer Unterricht (verbesserte Schulleistungen durch systematische Beobachtung, Planung und Evaluierung mit Hilfe individueller Förderpläne)

  • Stammklassen (der gesamte Unterricht von zwei oder drei Klassen eines Jahrganges findet in eng beieinander liegenden Klassenräumen mit gemeinsamen Bereich statt; ein kleines, überschaubares LehrerInnenteam ist für den gesamten Jahrgang zuständig)

  • Alternative Lernmethoden (den SchülerInnen wird mehr Verantwortung für ihr Lernen übertragen, Lern- und Problemlösungsstrategien werden gezielt vermittelt)



[21] Das Schulorganisationsgesetz, § 15 Abs. 3, sieht vor: "Unter Beachtung des Prinzips der Sozialintegration ist Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine der Aufgabe der Sonderschule (§22) entsprechende Bildung zu vermitteln, wobei entsprechend den Lernvoraussetzungen des Schülers die Unterrichtsziele der Hauptschule anzustreben sind."

6. Zusammenfassung und Ausblick

Integrativer Unterricht kann nur gelingen, wenn auf die Heterogenität der SchülerInnen Rücksicht genommen wird. Integration wurde daher an vielen Hauptschulen zum Motor einer inneren Schulreform. Besonders an jenen Schulen, an denen sich kleinere LehrerInnenteams bewusst und aktiv auf die Aufgabe der Integration vorbereiteten, fort- und weiterbildeten kam es zu umfangreichen und nachhaltigen Umgestaltungen. Während der heißen Phase des Schulversuchs anfangs bis Mitte der 90iger Jahre gab es für die Entwicklung integrativer Unterrichtsformen sehr gute Rahmenbedingungen auf allen Systemebenen: Die Schulaufsicht vom Ministerium über den LSR bis zu den BSI machte mit Erlässen und anderen Aktivitäten deutlich, dass eine gut funktionierende Integration gewünscht sei. Schulen bekamen mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt (30 Stunden pro Integrationsklasse zusätzlich, bereits bei 56 SchülerInnen statt 61 eine dritte Klasse), wurden von der wissenschaftlichen Begleitung unterstützt und konnten an manchen Standorten SchülerInnen gewinnen, die sonst ins Gymnasium gegangen wären. Der Unterricht wurde durch das Teamteaching zwar planungsintensiver, aber insgesamt für die LehrerInnen zufriedenstellender. Der Einsatz von zwei, manchmal sogar drei LehrerInnen garantierte eine gute Förderung sowohl der behinderten als auch der hochbegabten SchülerInnen. Offene Unterrichtsformen wurden von den SchülerInnen gerne angenommen, es konnte eine hohe Zufriedenheit mit der Schule und ein hohes Wohlbefinden der SchülerInnen empirisch nachgewiesen werden (vgl. Feyerer 1998).

Mit der gesetzlichen Verankerung der Integration kam es zu einer flächendeckenden Ausbreitung der Integration in Hauptschulen und zu einem langsamen, aber stetigen Abbau der bisherigen Rahmenbedingungen und der Umsetzungsqualität. LehrerInnen, die nun - oft nicht mehr freiwillig - in Integrationsklassen unterrichten, bekommen keinerlei Gratifikationen vom System zugestanden. Hohe Anforderungen werden mit geringen Unterstützungsmaßnahmen gepaart. Die Bereitschaft zu entsprechender, prinzipiell freiwilliger Fortbildung wird dadurch sicher nicht gefördert. Durch die Einsparungen auf Bundesebene bekommen die Schulaufsichtsbeamten immer weniger Spielraum zur gezielten Unterstützung integrativer Maßnahmen. Der Ruf nach Flexibilität führt letztlich zur Beliebigkeit in der Umsetzung. Weder vom Landesschulrat noch von der Ministerin sind integrationsfördernde Aussagen zu hören.

Inwieweit sich diese negative Entwicklung mit der Einführung des Konzeptes der Inklusion wieder verändern lassen kann, ist wohl eine der spannendsten Fragen der nächsten Jahre. Solange die Bildungspolitik und Schul verwaltung keine klaren Richtlinien formuliert und damit den weiteren Eben des Schulsystems deutlich erkennbar die Richtung vorgibt und die Schulen nicht ausreichend unterstützt (z.B.: durch Anpassung der Ressourcen an den tatsächlichen Bedarf, Unterstützung bei der internen Schulentwicklung), besteht eher die Gefahr, dass auch in Oberösterreich noch bewiesen wird, dass Integration nicht gut funktionieren kann, obwohl im Schulversuch eine sehr hohe Qualität des gemeinsamen Unterrichts an vielen Standorten erreicht werden konnte.

7. Literatur

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Specht , Werner (Hrsg.) (1997a): Fallstudien zur Integration behinderter Schüler in der Sekundarstufe I. 4 Bände. Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Graz: Zentrum für Schulentwicklung, Abteilung II, ZSE-Report Nummer 23-26

Band 1: Hauptschulklassen ohne Leistungsgruppen im großstädtischen Bereich

Band 2: Hauptschulklassen ohne Leistungsgruppen im kleinstädtisch-ländlichen Bereich

Band 3: Hauptschulklassen mit Leistungsgruppensystem

Band 4: Integrationsklassen an Allgemeinbildenden Höheren Schulen

Specht , Werner (1997b): Jedes Kind ist Mittelpunkt. Ergebnisse und Gedanken aus der Evaluation der Schulversuche zur Integration behinderter Schüler in der Sekundarstufe I. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 20, 1997/4, 9-30.

Specht , Werner (2005). Qualität in der Sonderpädagogik. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der ÖFEB-Tagung, August 2005, Linz

Specht , Werner u.a. (2006). Qualität in der Sonderpädagogik. Ausgangspunkte und Fokusthemen. Graz. http://qsp.or.at (12.8.2006)

Zum Autor :

Prof. Dr. Ewald Feyerer

Institut für Inklusive Pädagogik, interkultruelle Pädagogik, innovative Lehr- und Lernformen

Pädagogische Hochschule OÖ

Kaplanhofstrasse 40

A-4020 Linz

Email: ewfe@aon.at

Tel.: +43 732 7470 3106

Fax.: +43 732 771170

Ewald Feyerer

Quelle:

Ewald Feyerer: Integration an (ober-)österreichischen Hauptschulen Eine Standortbestimmung für das Projekt Schulentwicklung durch Schulprofilierung

erschienen in: Zeitschrift für Inklusion-online 01/2007, http://www.inklusion-online.net/, ISSN 1862-5088

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 15.10.2008

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