Agenda der Fraport AG für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Kunden und Mitarbeiter

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 26, Juni 2003, Seite 44 - 46, von Lothar Bertrand (Vertrauensmann der Schwerbehinderten, Fraport AG) und Jörg Bungart (BAG UB) impulse (26/2003)
Copyright: © Lother Bertrand, Jörg Bungart 2003

Einleitung

Am Beispiel der Fraport AG (Flughafen Frankfurt) soll dargestellt werden, wie Unternehmenspolitik für behinderte Kunden und Mitarbeiter innovativ gestaltet und in konkretes Handeln eingebunden werden kann. Ausgehend von einem Vertrag zwischen Fraport und der BAG UB wurde das Projekt "Umsetzung der Agenda für behinderte Kunden und Mitarbeiter" zwischen Herbst 2001 und Frühjahr 2002 in enger Kooperation mit der Schwerbehindertenvertretung durchgeführt. Die Agenda formuliert Soll-Kriterien zur Verbesserung der Situation behinderter Kunden und Mitarbeiter. Hintergrund ist ein Fraport Vorstandsbeschluss, mit dem die Agenda Bestandteil der Unternehmenspolitik wurde. Seit Inkrafttreten der Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX im Oktober 2001 ist die Agenda eingebunden in die strategischen Ansätze zur Umsetzung der Vereinbarung. Ziel des Projektes "Umsetzung der Agenda für behinderte Kunden und Mitarbeiter" war:

  • Ein Vergleich der in den Leitlinien der Agenda formulierten Soll-Anforderungen mit dem aktuellen Ist-Stand und die Bestimmung von Maßnahmen zur Verbesserung der Zielerreichung.

  • Zur Erreichung des Ziels wurde folgendes Vorgehen gewählt:

  • Ausgewählte Gespräche zur Standortbestimmung mit verantwortlichen Mitarbeitern der Fraport AG für die in der Agenda benannten Unternehmensbereiche

  • Auswertung schriftlicher Unterlagen, wie z.B. Integrationsvereinbarung, Personal- und Sozialbericht, Managementsystem-Handbuch und Materialien aus dem Bereich "behinderte Kunden"

  • Terminalbesichtigung zur Beurteilung der Barrierefreiheit

Die Agenda besteht aus zehn bzw. neun Soll-Kriterien zum einen für behinderte Mitarbeiter und zum anderen für behinderte Kunden. Sie sind im Folgenden aufgeführt:

Agenda für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Mitarbeiter

1. Chancengleichheit und Gleichberechtigung behinderter Menschen sind integraler Bestandteil der Unternehmensphilosophie und -praxis

Der Abbau und Ausgleich von Behinderungen wird explizit in die Zielsetzung des Unternehmens einbezogen, um Zugänglichkeit, Chancengleichheit und Gleichberechtigung für alle Kunden und Mitarbeiter zu erreichen.

2. Mitarbeiterschulung und Sensibilisierung

Es werden gezielte Maßnahmen unternommen, um die Mitarbeiter für das Thema Behinderung zu sensibilisieren.

3. Arbeitsumgebung

Es werden gezielte Maßnahmen unternommen, um sicherzustellen, dass die Arbeitsumgebung so gestaltet ist, dass behinderte Menschen, die Arbeit ausführen können, für die sie qualifiziert sind und wie jeder andere Mitarbeiter sich im Unternehmen bewegen und an betrieblichen Aktivitäten teilnehmen können.

4. Einstellungspraktiken, Bewerbungsverfahren

Die Einstellungsverfahren werden überprüft und so gestaltet, dass sie für Menschen mit Behinderungen leicht zugänglich sind und die Beschäftigung von behinderten Bewerbern gefördert wird.

5. Mitarbeiterförderung, Weiterbildung

Es werden gezielte Maßnahmen unternommen, damit Arbeitnehmer mit Behinderungen dieselben Chancen wie andere Mitarbeiter haben, ihre Fähigkeiten im Unternehmen voll zu entfalten und in entsprechende Positionen befördert zu werden.

6. Weiterbeschäftigung, Umschulung und Wiedereinstellung behinderter Arbeitnehmer

Jeder Mitarbeiter, der eine Behinderung erwirbt, erhält die volle Unterstützung des Unternehmens gemäß seiner Fähigkeiten und Erfahrungen weiterhin oder wieder im Unternehmen zu arbeiten.

7. Ausbildung, Qualifizierung, Praktika

Menschen mit Behinderungen werden gezielt Ausbildung, Qualifizierung und Praktika im Unternehmen angeboten.

8. Menschen mit Behinderungen als normaler Teil der Gesellschaft

Das Unternehmen nimmt Menschen mit Behinderung als selbstverständlichen Teil ihrer Kunden, Mitarbeiter, Zulieferer, Aktionäre und Mitbürger wahr und stellt sich entsprechend auf sie ein.

9. Einbeziehung behinderter Mitarbeiter

Behinderte Mitarbeiter werden in die Umsetzung dieser Agenda mit einbezogen, um sicherzustellen, dass wo immer es möglich ist, die Personalpolitik ihre Bedürfnisse erkennt und berücksichtigt.

10. Überprüfung der Entwicklung

Das Unternehmen wird regelmäßig die Entwicklung der Situation behinderter Mitarbeiter und die Umsetzung der Kernpunkte überprüfen. Es findet jährlich ein Audit auf Vorstandsebene zu diesem Thema statt. Ziele und Erreichtes werden für die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit jährlich veröffentlicht.

Agenda für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Kunden

1. Bekenntnis der Unternehmensleitung und der Unternehmenspolitik

Service für behinderte Kunden wird integraler Bestandteil der Produkt- und Dienstleistungsstandards des Unternehmens. Eine entsprechende unternehmensweite Politik wird von der Unternehmensleitung beschlossen und mit dem Rest des Unternehmens kommuniziert.

2. Marktforschung

Es werden Schritte unternommen, um die Präferenzen und Bedürfnisse behinderter Kunden zu erkunden. Beschwerde- und Kundenrückmeldesysteme werden für behinderte Kunden zugänglich gemacht.

3. Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen für alle

Regelmäßige Überprüfungen der Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen für behinderte Kunden werden durchgeführt. Wann immer möglich wird das Unternehmen behinderte Menschen als Experten und Kunden bei der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen zu Rate ziehen.

4. Zugänglichkeit

Es werden alle vernünftigen Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass die Gestaltung der Räume und Umgebung behinderte Menschen es leicht macht und nicht verhindert, Geschäfte mit dem Unternehmen zu tätigen.

5. Mitarbeiterfortbildung und Sensibilisierung

Es werden spezifische Schritte unternommen, um Mitarbeiter, die mit der Entwicklung, dem Marketing und dem Angebot von Produkten und Dienstleistungen befaßt sind, bezüglich Behinderungen zu sensibilisieren. Es werden Schulungen angeboten, um Mitarbeiter mit den Dienstleistungsstandards vertraut zu machen und guten Service für behinderte Kunden zu gewährleisten.

6. Kommunikation mit Kunden

Behinderten Kunden wird das Vorhandensein für sie zugänglicher Produkte und Dienstleistungen bekannt gemacht. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass die Werbung und andere Bilder des Unternehmens die Vielfalt der Kunden widerspiegelt. In der Kommunikation mit den Kunden werden immer eine Vielfalt von unterschiedlichen Wegen und Formaten genutzt, um für alle Kunden zugänglich zu sein.

7. Einflußnahme auf andere Unternehmen

Die größeren Lieferanten, Vertragspartner und Franchisenehmer werden ermutigt, diese Agenda zu übernehmen.

8. Menschen mit Behinderungen als normaler Teil der Gesellschaft

Das Unternehmen nimmt Menschen mit Behinderung als selbstverständlichen Teil ihrer Kunden, Mitarbeiter, Zulieferer, Aktionäre und Mitbürger wahr und stellt sich entsprechend auf sie ein.

9. Überprüfung der Entwicklung

Das Unternehmen wird regelmäßig die Verbesserung der Situation behinderter Kunden und die Umsetzung der Kernpunkte auf Vorstandsebene überprüfen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Inhaltsverzeichnis

In der Zusammenfassung der Ergebnisse des Soll-Ist-Vergleichs zur "Agenda für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Kunden und Mitarbeiter" der Fraport AG sind die Bereiche "Kunden" und "Mitarbeiter" nicht getrennt dargestellt. Ausgehend von den Leitlinien der Agenda stehen im Folgenden zum einen bereits erfüllte Soll-Vorgaben und zum anderen zentrale Verbesserungserfordernisse, die noch umzusetzen sind, im Mittelpunkt der Darstellung.

Ist-Stand:

  • Die Verabschiedung der "Agenda für behinderte Kunden und Mitarbeiter" durch den Fraport Vorstand ist als wichtiger Schritt in der Unternehmenspolitik zu bewerten. Durch den Einbezug der Agenda in die Integrationsvereinbarung ist auch die Voraussetzung zur Umsetzung der Agenda in die betriebliche Praxis geschaffen.

  • Die Schwerbehindertenvertretung gibt das Informationsblatt "Info-Brief" heraus und führt Einzelgespräche mit Kollegen und Vorgesetzten. Es existieren Schulungsangebote für Servicemitarbeiter zum Umgang mit behinderten Kunden.

  • Relevante Informationen, Produkte und Dienstleistungen sind i.d.R. barrierefrei gestaltet. Dazu gehören u.a. der "Arrival Service", die Broschüre "Informationen für Fluggäste mit eingeschränkter Mobilität", der Faxabruf für gehörlose Fluggäste, der Treppenlift im Regionalbahnhof mit Gegensprechanlage und die für Rollstuhlfahrer erreichbaren Schalter an Aufzügen.

  • Der Rechenschaftsbericht der Schwerbehindertenvertretung sowie der Personal- und Sozialbericht von Fraport enthalten die Beschäftigungsstatistik Schwerbehinderter, die Erfüllung der Quote, die Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen, die erhaltene finanzielle Unterstützung durch Integrationsamt und Arbeitsamt sowie die Zahlung der Ausgleichsabgabe.

  • Durch die im Mai 2000 eingerichtete Stelle zur Serviceverbesserung mobilitätseingeschränkter Passagiere erfolgte ein wichtiger Schritt zur fortlaufenden Dokumentation und Verbesserung der Situation behinderter Kunden. Im Rahmen des Projekts "Barrierefreie Fluggastanlagen" wurde die behindertengerechte Gestaltung der Anlagen geprüft und Verbesserungsmaßnahmen festgehalten. Es wurden Standards für mobilitätseingeschränkte Passagiere im Lastenheft für das geplante Terminal 3 verankert.

  • Fraport unterhält ein Beschwerdemanagement, welches mit verschiedenen Rückmeldeverfahren arbeitet. Daneben ist ein Beirat aus Fluggästen bei Fraport eingerichtet. Hier werden unterschiedlichste Inhalte zum Themenbereich "Passagierservice" angesprochen und Anregungen für Verbesserungen gegeben.

  • Das Unternehmen unterstützt Mitarbeiter, die eine Behinderung erwerben, dabei, weiterhin im Unternehmen zu arbeiten. Bewährt hat sich der sog. "Runde Tisch", d.h. Schwerbehindertenvertretung und die übrigen Beteiligten suchen gemeinsam nach Lösungen. Zur Vorbeugung körperlicher Erkrankungen, z.B. im Bereich Flugzeugbe- und Flugzeugentladung, werden in Kooperation mit einer Krankenkasse Rückenschulungen bereits mit Einstellungsbeginn angeboten.

  • Die Schwerbehindertenvertretung wird i.d.R. in Einstellungsverfahren einbezogen. Die Schwerbehindertenquote konnte in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert werden und lag 2001 bei 4,7%.

  • Organisiert durch die Schwerbehindertenvertretung und in Kooperation mit der Personalentwicklung bietet das Unternehmen Praktika für behinderte Schüler und Studierende an.

Verbesserungen:

  • Aufgrund ihrer Entscheidungs- und Vorbildfunktion sollten Zielsetzung und Inhalte der Agenda den Führungskräften in Schulungen explizit vermittelt werden, wie dies die Integrationsvereinbarung vorsieht. Die Schulungsmodule könnten in Kooperation mit behinderten Experten entwickelt werden. Die bestehenden Schulungen sind fortlaufend auszuwerten und ggf. zu verbessern. Ein Schulungsvideo könnte die Anschaulichkeit zum Umgang mit behinderten Kunden erhöhen.

  • Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit ist eine Veröffentlichung der Agenda als Faltblatt, ähnlich wie Leitbilder und Führungsgrundsätze, sowohl zur internen als auch externen Verbreitung (Marketing) zu empfehlen. Darüber hinaus sollten behinderte Menschen selbstverständlich als Kunden in der Außendarstellung des Flughafens (Plakate, Fotos etc.) erscheinen. Hier könnte Fraport eine Vorbildfunktion für andere Unternehmen einnehmen.

  • Zur Weiterentwicklung eines barrierefreien Services sind die entsprechenden Schnittstellen zu anderen Unternehmen gezielt zu verbessern (z.B. Deutsche Bahn, Fluggesellschaften und Reisebüros). Entsprechend sollte die Kooperation mit relevanten Unternehmen angebahnt bzw. verstärkt werden. Denkbar wären z.B. gemeinsame Schulungen der Servicemitarbeiter von Fraport, Deutsche Bahn, Deutsche Lufthansa und Reisebüros.

  • Die Bezeichnung "Behindertenwartezone" sollte geändert werden, z.B. in Fluggastservice oder Fluggastassistenz. Die Kennzeichnung von Sitzgelegenheiten in Terminal 2 ist zu ändern: Dort sind als behindertengerecht gekennzeichnete Bänke außerhalb des üblichen Wartebereichs aufgestellt und grenzen die Benutzer deshalb eher aus. Ein nahtloser Service für behinderte Kunden zwischen Ankunft und Abfahrt bzw. Abflug ist zu konzipieren.

  • Es wird vorgeschlagen, die Bedürfnisse behinderter Mitarbeiter bei der Gestaltung der Unternehmensräume und -abläufe bereits bei der Planung und Auftragsvergabe zu bedenken und zu berücksichtigen sowie bestehende Barrieren abzubauen und Unternehmensprozesse entsprechend anzupassen. Zu empfehlen sind eine Schulung, der für die Gelände- und Gebäudeinstandhaltung zuständigen Mitarbeiter, eine regelmäßige gemeinsame Begehung mit behinderten Experten und eine verpflichtende Verankerung entsprechender Hinweise und Verfahrensweisen in den Planungen und Ausschreibungen.

  • Personalentscheider sollten im Hinblick auf das Erkennen von Fähigkeiten und Stärken behinderter Bewerber geschult werden. Entsprechend ist die Abstimmung zwischen den Personalentscheidern und der Schwerbehindertenvertretung weiter zu optimieren und die Kooperation mit Ausbildungseinrichtungen, vor allem den (Fach-) Hochschulen, zu intensivieren.

  • Das Bewerbungsverfahren sollte auf seine Zugänglichkeit für behinderte Bewerber überprüft werden. Materialien, die im Rahmen des Assessment eingesetzt werden, sollten auch in alternativen Formaten (z.B. Diskette mit Textdatei, Braille, Großschrift) erhältlich sein. Die Fort- und Weiterbildung von behinderten Mitarbeitern sollte gezielt gefördert werden.

  • Es wird vorgeschlagen, in den Ausschreibungen darauf hinzuweisen, dass Bewerbungen von behinderten Auszubildenden erwünscht sind. Praktika sind eine gute Möglichkeit für das Unternehmen Bewerber mit Behinderung kennenzulernen und sollten mit Einstellungsprogrammen verzahnt werden.

Schließlich ist zur Überprüfung der Entwicklungen im Bereich "behinderte Mitarbeiter / Kunden" die Agenda in das Qualitätsmanagementsystem (QMS) von Fraport einzubinden. Dazu wurde zum Abschluss des Projektes in Zusammenarbeit mit dem Qualitätsmanagementbeauftragten ein konkreter Vorschlag erarbeitet und ein Zeitplan für 2003 vereinbart. Zur Umsetzung der Agenda wird es entscheidend sein alle Verantwortlichen auch tatsächlich einzubinden. Die strukturellen und inhaltlichen Voraussetzungen dazu wurden geschaffen.

Kontakt:

Lothar Bertrand

Vertrauensmann der Schwerbehinderten

Flughafen Frankfurt Main AG

Schwerbehindertenvertretung

Tor 3 Gebäude 162/4152

60547 Frankfurt

Tel: 069/690-66939

Fax: 069/690-59066

eMail: l.bertran@frankfurt-airport.de

Quelle:

Lother Bertrand: Agenda der Fraport AG für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Kunden und Mitarbeiter

Erschienen in: impulse Nr. 26, Juni 2003, Seite 44 - 46, von Lothar Bertrand (Vertrauensmann der Schwerbehinderten, Fraport AG) und Jörg Bungart (BAG UB)

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Stand: 10.05.2010

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