Ich möchte gerne arbeiten

Autor:in - Christina Ziegler
Themenbereiche: Kultur, Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 16, Juli 2000, S.41 impulse (16/2000)
Copyright: © Christina Ziegler 2000

Inhaltsverzeichnis

Ich möchte gerne arbeiten

Ich bin Christina Ziegler, 31 Jahre alt. Den Artikel habe ich selber mit dem Kopfstab geschrieben.

Von Geburt an bin ich körperbehindert. Bei meiner Geburt habe ich einen Sauerstoffmangel erlitten. Das hat leider zur Folge, dass ich meine Arme und Beine nur unkontrolliert bewegen kann und meine Sprache sehr eingeschränkt ist. Nur Leute, die mich kennen, verstehen mich. Beim An- und Ausziehen, bei den Mahlzeiten und beim Toilettengang bin ich ständig auf Hilfe angewiesen. Deswegen habe ich 14 Stunden pro Tag eine Helferin, die mir auch meinen Haushalt in Ordnung hält. Ich empfinde das als Glück, dass ich von klein auf körperbehindert war, da ich so mit Hilfestellungen im Alltag aufwuchs.

Mit anderen Leuten treffe ich mich gerne. Vor allem bei nichtbehinderten jungen Leuten ist es sehr schön mitzubekommen, wie sie sich zum ersten Mal verlieben, heiraten und schwanger werden. Das macht mich jedoch sehr traurig, weil ich mich selber aufgrund meiner schweren Körperbehinderung kaum weiterentwickeln kann. Ich kenne zu wenige Leute, mit denen ich abends und am Wochenende etwas unternehmen könnte. Viele nichbehinderte Männer wollen auch keine Freundin oder Frau, die behindert ist. Das hat mir meine Mutter schon früh und oft eingeredet.

Aufgrund meiner Behinderung und meiner Sprachbehinderung ist es eigentlich utopisch, eine sinnvolle, gut bezahlte Arbeit zu finden, zumal ich nur einen relativ schwachen Hauptschulabschluss erhielt. Seit knapp vier Jahren lebe ich hier in Marburg und ohne Arbeit ist mein Leben oft eintönig. Ich gehe in die Stadt zum Einkaufen, mache Krankengymnastik und nehme an Veranstaltungen des fibs teil. Der fib (Verein zur Förderung der Integration Behinderter) ist eine Organisation, die meine Helferinnen vermittelt, mit den Helferinnen abrechnet, für neues Personal oder die Krankenvertretung sorgt, also eigentlich für die Verwaltung der Helferinnen zuständig ist.

Ich möchte arbeiten, damit mein Leben sinnvoller ausgefüllt ist und da ich Geld verdienen möchte. Es sollte unbedingt eine sinnvolle und anspruchsvolle Arbeit sein, damit ich ein Ziel habe, weswegen ich arbeite. Um eine anspruchsvolle Arbeit zu finden, muss man erst einen gescheiten Schulabschluss besitzen. Bisher habe ich nur ein Jahr in Bad Kreuznach in einer Werkstatt für Behinderte gearbeitet. Dort versuchte man mir das Herstellen von Pinnwänden beizubringen. Aber am Holz riss ich mir mit meiner Spastik die rechte Hand auf. Daraufhin hat mich mein Gruppenleiter an den Computer geschickt, um etwas Privates zu schreiben, weil man für mich nichts zu schreiben und zu arbeiten hatte. So habe ich mich mit 26 Jahren an der Schule in Arolsen beworben, um wenigstens meinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Meine Schulzeit wurde natürlich auf zwei Jahre begrenzt, da meine Schulpflicht schon längst abgelaufen war und natürlich hat man mich wieder in eine Klasse für Lernbehinderte gesteckt. Im letzten halben Jahr ließ man mich in der Schule kaum noch mitmachen, denn ich sollte begreifen, dass die Schulzeit zu Ende ging. Jetzt mit 31 Jahren kann man nur noch in der VHS einen Abschluss nachholen, aber dazu bin ich zu schwach, denn ich müsste ja einer Helferin sagen, was sie im Unterricht aufschreiben soll. Das benötigt viel Zeit.

Aber ich möchte mich gerne weiterentwickeln. Deswegen brauche ich eine Arbeit. Geistig möchte ich auf jeden Fall etwas dazu lernen.

Aufgrund meines schwachen Hauptschulabschlusses bleibt mir nur die Arbeit in einer Werkstatt oder in einer Tagesförderstätte, aber dort bin ich oft mit Geistigbehinderten zusammen, was mir gar nicht gefällt, weil ich mit ihnen nur ganz einfache Sachen bereden kann oder sie gar nicht sprechen können. Vielleicht könnte ich mit einem Computer umgehen lernen. Dies schlägt mir eine Freundin schon seit Jahren vor. Vielleicht könnte ich für eine Firma Schreibarbeiten erledigen. Ich möchte gerne außer Haus einer Arbeit nachgehen, damit ich unter Menschen bin. Der menschliche Kontakt ist mir sehr wichtig. Jeder geht morgens zur Arbeit und kommt abends heim.

Ich hörte, dass für Behinderte Arbeitsassistenz beantragt werden kann, vielleicht kann mir eine solche Person auch behilflich sein. Jemand muss mir behilflich sein, eine Arbeit zu finden und mich auf dem Weg dorthin begleiten. Die ganze Sache muss, glaube ich, über das Arbeisamt laufen.

Mein Traumberuf wäre es, in einem Labor und im Krankenhaus etwas für Menschen zu erforschen, denn mich interessiert der menschliche Körper sehr. In diesem Bereich möchte ich am liebsten arbeiten. Aber das wird wohl immer ein Traum bleiben.

Quelle:

Christina Ziegler: Ich möchte gerne arbeiten

Erschienen in: impulse Nr. 16 / Juli 2000, S.41

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 21.06.2005

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