Auf dem Wege zur Arbeitsplatzassistenz - Dokumentation des Antragverfahrens

Autor:in - Stefan Doose
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 12, Juni 1999 impulse (12/1999)
Copyright: © Stefan Doose 1999

Auf dem Wege zur Arbeitsplatzassistenz - Dokumentation des Antragverfahrens

Im Rahmen des Projektes Unterstützte Beschäftigung 2000 arbeiten in der BAG UB zwei Mitarbeiter, die aufgrund Ihrer Behinderung auf Arbeitsplatzassistenz angewiesen sind. Die Bemühungen, die notwendige Arbeitsassistenz abzusichern, geriet zu einem für Arbeitgeber unzumutbaren Verfahren, das wir im folgenden stark verkürzt dokumentieren wollen:

Herr Schulz arbeitet seit dem 1.1.99, Frau Neu-Schrader seit dem 1.4.98 in unserem Projekt "Unterstützte Beschäftigung 2000" mit je 30 Stunden pro Woche. Beide Stellen werden im Rahmen einer ABM bezuschußt, die Förderung wurde bis zum 31.12.99 von der ZAV im Dezember 1998 verlängert. Eine weitere Beschäftigung bei der BAG UB im Rahmen dieses und neuer Projekte ist beabsichtigt. Beide sind aufgrund ihrer Behinderung auf persönliche Assistenz am Arbeitsplatz angewiesen. Die Arbeitsassistenz ist bei beiden auf Teilzeitkräfte aufgeteilt, um die notwendige Flexibilität und die Vertretung im Krankheitsfall zu gewährleisten. Die Arbeitszeiten von beiden sind aufgrund der Erfordernisse unseres bundesweiten Projektes je nach Bedarf verschieden. So nehmen sie für die BAG UB an bundesweiten Tagungen, Seminaren und Arbeitsgruppen teil, die teilweise auch am Wochenende stattfinden.

Beide pendeln von außerhalb zur Arbeit und arbeiten je nach Arbeitsaufgabe und Gesundheitssituation nicht nur bei uns im Büro, sondern auch in ihren Wohnungen in Jesteburg bzw. Lüneburg.

Die Arbeitsassistenz beträgt jeweils 30 Stunden, die zusätzlichen Stunden Assistenz für den Arbeitsweg werden vom Sozialamt übernommen. Die Arbeitsassistenz muß in hohem Maße flexibel und zuverlässig sein und ist in ein Gesamtkonzept von Assistenz der Mitarbeiter eingebunden. Dies hat im vergangenen Jahr ausgezeichnet funktioniert.

Keiner mußte einen Tag zuhause bleiben oder konnte einen Termin nicht wahrnehmen, weil das Assistenzsystem in der Vergangenheit jeder Zeit eine Vertretung gewährleistete.

Beide haben nach teilweise schwieriger Suche für sich passende Arbeitsassistenten gefunden. Dies ist besonders wichtig, da persönliche Assistenz am Arbeitsplatz immer auch eine funktionierende dichte und persönliche Zusammenarbeit erfordert, die teilweise sehr intime Bereiche umfaßt. Die Kosten der Arbeitsassistenz lagen mit ca. 2700 DM Arbeitgeberkosten pro Monat vergleichsweise niedrig.

Die Hauptfürsorgestelle Hamburg hatte 1998 die Kosten der notwendigen Arbeitsplatzassistenz übernommen, uns aber im April 1998 mitgeteilt, daß sie die Kosten 1999 nicht mehr tragen würde und wir uns an die vorrangigen Kostenträger wenden sollten bzw. eine Strukturanpassungsmaßnahme (SAM) oder ABM beim Arbeitsamt für die Assistenten beantragen sollten.

Es ist aus unserer Sicht als Arbeitgeber unsinnig, dieses funktionierende System aufgrund von Zuständigkeitsstreitigkeiten unter Kostenträgern zu gefährden und die eingearbeiteten Arbeitsassistenten zu entlassen.

Wir haben seit September 1998 versucht, eine sinnvolle Lösung dieser Problematik in Gesprächen mit allen beteiligten Kostenträgern zu erreichen. So hat Frau Neu-Schrader am 2. Oktober 1998 ein Gespräch mit dem Arbeitsamt in Lüneburg geführt, um die von Ihnen angeregten Möglichkeiten der Absicherung der Arbeitsassistenz über Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) zu klären. Das Arbeitsamt in Lüneburg sah in diesem Gespräch in SAM mit den damit verbundenen Restriktionen (z.B. bezüglich der Zielgruppe und der abgesenkten Entlohnung) keine geeignete Möglichkeit, die im speziellen Fall von Frau Neu-Schrader passende Arbeitsassistenten zu finden. Dies hat sich im Januar 1999 nach unserem Versuch mit einem SAM-Antrag dann auch so bewahrheitet.

Die Kosten für die berufsbegleitende Assistenz können über die Maßgaben der Strukturanpassungsmaßnahme (SAM) SGB III §272 nicht entsprechend des Bedarfs abgedeckt werden, so daß auch damit die Kosten für uns als Arbeitgeber nicht gedeckt wären. Wir sind als kleiner Arbeitgeber darauf angewiesen, die zusätzlichen Kosten für die Arbeitsassistenz vollständig erstattet zu bekommen, zumal wir bei der Beantragung des Projektes nicht davon ausgehen konnten, zwei Arbeitnehmer zu beschäftigen, die auf persönliche Assistenz angewiesen sind. Aus unserer Sicht als Arbeitgeber halten wir SAM aufgrund der von uns beschriebenen besonderen Arbeits- und Lebenssituation der beiden Mitarbeiter und der Förderbedingungen als schwer praktikabel.

Wir haben bereits im Oktober mit dem Arbeitsamt Hamburg, der ZAV und einer Vertreterin der Hauptfürsorgestelle Hamburg Kontakt aufgenommen und versucht eine sinnvolle Lösung zu erreichen. Leider war die Vertreterin der Hauptfürsorgestelle nicht bereit, an einem gemeinsamen Gespräch teilzunehmen, um mit allen Beteiligten nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Auf unsere Schilderungen der Probleme der von der Hauptfürsorgestelle vorgeschlagenen Lösungen zeigte sie zwar persönlich Verständnis, verwies aber auf interne Weisungen.

Die von der ZAV vorgeschlagene Lösung, daß die Hauptfürsorgestelle in bisherigem Umfang vorleiste und sich dann im Rahmen der Kostenerstattung die angefallenen Kosten von der Bundesanstalt für Arbeit zurückholt, erschien eine ganze Zeit lang als eine mögliche Konsenzlösung, bis auch dies von der Hauptfürsorgestelle für uns überraschend abgelehnt wurde.

In einem langen Telefongespräch mit dem Leiter der Hauptfürsorgestelle trugen wir den ganzen Sachverhalt und die damit verbundene Problematik noch einmal vor. Er zeigte Verständnis für die insgesamt für Arbeitgeber und behinderte Arbeitnehmer unbefriedigende Situation der Regelung der Kostenträgerschaft bei der Übernahme von Arbeitsassistenzkosten, verwies uns aber an den seiner Ansicht nach vorrangigen Rehaträger und den Behindertenbeauftragten, um dieses Problem politisch zu lösen. Der von uns als Arbeitgeber gestellte Antrag auf Übernahme der Assistenzkosten wurde dann auch Anfang Dezember abgelehnt. Wir legten Widerspruch ein.

Wir haben auch zum Behindertenbeauftragten der Bundesregierung Herrn MdB Haack und zur Behindertenbeauftragten der Freien und Hansestadt Hamburg Frau Fank Kontakt aufgenommen, um auf die unzureichend geklärte Kostenträgerschaft bei der Übernahme von Assistenzkosten aufmerksam zu machen und eine unbürokratische Hilfe zu erhalten. Sowohl vom Behindertenbeauftragten Herrn MdB Haack und seinem Büro als auch von der Behindertenbeauftragten in Hamburg Frau Fank erhielten wir sehr große Unterstützung. Doch auch Ihre Interventionen bei der Hauptfürsorgestelle und der BfA führten für Frau Neu-Schrader zu keinem Ergebnis.

Kurz vor Weihnachten gab es jedoch wenigstens für Herrn Schulz eine Lösung. Rehaträger bei Herrn Schulz ist die Bundesanstalt für Arbeit. Nach intensiven Gesprächen von uns und dem Behindertenbeauftragten mit der Bundesanstalt für Arbeit wurden Herrn Schulz im Rahmen einer Einzelfallentscheidung der Hauptstelle die Übernahme der Arbeitsplatzassistenzkosten bewilligt.

Für Frau Neu-Schrader ist, da sie bereits insgesamt über 15 Jahre gearbeitet hat, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und nicht die Bundesanstalt für Arbeit zuständiger Rehaträger. Frau Neu-Schrader hat bei der BfA einen Antrag auf Übernahme der Assistenzkosten gestellt, der Ende Dezember 1998 mit der Begründung abgelehnt wurde, daß es sich bei ABM nicht um eine dauerhafte, berufliche Eingliederung gemäß §9 SGB VI handele. Frau Neu-Schrader legte Widerspruch ein.

Wir beantragten bei der Hauptfürsorgestelle die notwendigen Assistenzkosten ab dem 1.1.1999 zumindest als vorläufige Leistungen zu gewähren, bis ein anderer Kostenträger tatsächlich leistet oder das Verfahren entschieden ist, da Frau Neu-Schrader ohne Assistenz nicht bei uns arbeiten kann und wir nicht vorleisten können. Die Hauptfürsorgestelle kann bei gegebenen Ansprüchen ihren Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem zur Zahlung verpflichtetem Leistungsträger geltend machen (§31 Abs. 5 SchwG). Doch auch dies wurde von der Hauptfürsorgestelle abgelehnt.

Die Widerspruchsverfahren zogen sich hin. Wir wußten nicht, wie wir die Arbeitsassistenz im Januar weiter finanzieren sollten, aber ohne Arbeitsassistenz kann Frau Neu-Schrader nicht arbeiten. Das Arbeitsverhältnis war so insgesamt gefährdet.

Frau Neu-Schrader wandte sich in Ihrer Not an das Sozialamt Lüneburg, das die Kosten der Assistenz bis zum 31.3.99 aufgrund der Aktenlage im Rahmen einer Einzelentscheidung vorleistete, obwohl sie in diesen Fällen eigentlich nicht vorleistungspflichtig sein sollten. Das Sozialamt Lüneburg hat aber auch deutlich gemacht, daß es auf keinen Fall über den 31.3.99 hinaus vorleisten werde.

Herr Ernst von der AG der deutschen Hauptfürsorgestellen wurde in dieser Zeit auch von uns angeschrieben. Er hat dieses Thema leider auch nicht im Rahmen der Gespräche um Abgrenzung der Aufgabenteilung zwischen Hauptfürsorgestellen und der BfA klären können.

Der Behindertenbeauftrage der Bundesregierung Herr MdB Haack hat an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung geschrieben und eine klare gesetzliche Regelung bei der Absicherung von Arbeitsplatzassistenz gefordert. Eine Dokumentation des Falles von Frau Neu-Schrader wurde beigelegt. Eine politische Lösung ist jedoch nur mittelfristig zu erwarten, so daß es für Frau Neu- Schrader in diesem Falle zu spät kommt.

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat Anfang Februar den Widerspruch von Frau Neu-Schrader mit der Begründung, daß es sich nur um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, abgelehnt.

Frau Neu-Schrader hat dagegen mit Hilfe des Reichsbundes Lüneburg Klage und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eingereicht.

Das ZDF hat sich der Problematik angenommen und einen kurzen Beitrag über die grundsätzlichen Probleme der Absicherung von Arbeitsplatzassistenz an diesem Beispiel gedreht, der Samstag, den 6. März 1999, am frühen Abend im Rahmen der Sendung "Mach mit" zum Thema Arbeit gezeigt wurde.

Am 27.März 1999 lehnt der Widerspruchsausschuß der Hauptfürsorgestelle den Widerspruch ab.

Am 31. März 1999 erreicht uns dann die Entscheidung des Sozialgerichtes Lüneburg, daß die BfA per einstweiliger Anordnung verpflichtet wird, die Assistenzkosten zu übernehmen. Am 28.4.1999 legt die BfA gegen diese Anordnung Beschwerde ein. Die Geschichte geht weiter...

Zwischenbilanz aus Sicht der ArbeitnehmerIn

Stefanie Neu-Schrader, Mitarbeiterin BAG UB - Hamburg

Die glückliche Wende kam am Nachmittag des 31.3.1999, also knapp einen Tag vor meinem ansonsten beruflichen "Aus", kam dann doch völlig überraschend und unerwartet. Per einstweiliger Verfügung verpflichtete das Lüneburger Sozialgericht die BfA, meine Assistenzkosten zu übernehmen!

Wäre jedoch nicht Mitte Januar glücklicherweise und unverhofft das Lüneburger Sozialamt gleich für drei Monate in Vorleistung getreten, hätte ich meine derzeitige Arbeit schon am 01.01.1999 endgültig verloren und damit natürlich auch (m)eine weitere berufliche Zukunft.

Nebenbei bemerkt: wir alle - mein Boß, meine KollegInnen, Assistenten und ich - mußten zusätzlich zu o.a. natürlich auch noch unserer eigentlichen Arbeit bei der BAG UB nachkommen. Und die ist nun nicht gerade knapp!

Laut Reha-Angleichungsgesetz sollten aber genau solche Mißstände, wie oben beschrieben, verhindert werden. Laut Gesetz soll nämlich sichergestellt werden daß sich Streitigkeiten über die Zuständigkeiten nicht zu Lasten des Antragstellers auswirken, dieser vielmehr so schnell wie möglich die notwendigen Leistungen zur Rehabilitation - auch über Zuständigkeiten hinweg - bekommen soll. Über die Kostentragung müssen sich dann die Reha-Träger einig werden (vgl. §§4-6 RehaAngl.), d.h., den Betroffenen soll schnelle und unbürokratische Hilfe gewährt werden, um ihre Stellung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben zu sichern.

Nichts desto trotz.......WIR HATTEN ES GESCHAFFT!

Aber dann....wie sollte es auch anders sein.....die BfA legte in letzter Minute (28.04.1999) Beschwerde gegen das Lüneburger Sozialgerichtsurteil ein. Somit wird es doch noch zu einer Klageerhebung kommen. Wenn alles gut läuft, könnte damit ein Präzedenzfall geschaffen werden, der vielen anderen behinderten Menschen einen leichteren Weg zur Arbeitsassistenz verschaffen kann. Läuft es aber schlecht, dann muß ich mich noch in diesem Jahr von der Arbeitswelt auf unabsehbare Zeit, ich will nicht sagen für immer, verabschieden. Wie dem auch sei......FORTSETZUNG FOLGT!

Zwischenbilanz aus Sicht des Arbeitgebers

Stefan Doose, Geschäftsführer BAG UB - Hamburg

Unsere Erfahrungen sind kein Einzelfall. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung auf Assistenz am Arbeitsplatz angewiesen sind, haben häufig Schwierigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes, wo es teilweise Sonderregelungen gibt, die notwendige Arbeitsplatzassistenz abzusichern. Dies gilt insbesondere für befristete Arbeitsverhältnisse. Befristete Arbeitsverhältnisse werden in bestimmten Bereichen immer mehr zum Regelfall der Beschäftigung und sind in vielen Fällen auch der einzige Einstieg in eine längerfristige Beschäftigung. Die jetzige Situation ist sowohl für den behinderten Arbeitnehmer als auch den Arbeitgeber unzumutbar. Schwerbehinderte, die aufgrund ihrer Behinderung auf persönliche Assistenz angewiesen sind, sind eine besonders vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personengruppe. Man kann derzeit keinem Arbeitgeber ruhigen Gewissens raten, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer mit Assistenzbedarf einzustellen. Die Streitigkeiten zwischen Kostenträgern dürfen nicht auf dem Rücken von einstellungsbereiten Arbeitgebern und behinderten Arbeitnehmerinnen ausgetragen werden. Die Absicherung der notwendigen Arbeitsplatzassistenz wird für Arbeitgeber und behinderte Arbeitnehmerin durch fehlende klare Rechtsvorschriften zum unzumutbaren Verschiebespiel zwischen den verschiedenen Kostenträgern. Erforderlich ist ein klarer, individueller Rechtsanspruch auf die behinderungsbedingt notwendige Arbeitsassistenz.

Darüber hinaus sollte in einem Modellprojekt einmal bundesweit die Situation von Menschen mit Behinderung, die auf Assistenz am Arbeitsplatz angewiesen sind, dokumentiert werden sowie Modelle zur Verbesserung der Assistenzsituation und Beschäftigung, vor allem in Unternehmen der Privatwirtschaft, entwickelt werden. Aufgrund unserer leidvollen Erfahrungen würden wir sofort die Trägerschaft für ein derartiges Modellprojekt übernehmen. Hier gibt es noch viel zu tun.

von Stefan Doose, Geschäftsführer BAG UB - Hamburg

Quelle:

Stefan Doose: Auf dem Wege zur Arbeitsplatzassistenz - Dokumentation des Antragverfahrens

Erschienen in: impulse Nr. 12 / Juni 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.01.2005

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