Unterstützung - was ist das für mich?

Rückblick auf ein Wochenendseminar mit unterstützten Arbeitnehmern

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 11, Jän. 1999 impulse (11/1999)
Copyright: © Carolin Emrich, Marie-Theres Löring 1999

Unterstützung - was ist das für mich?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung (BAG UB) veranstaltete erstmalig in diesem Jahr ein Seminar für unterstützte ArbeitnehmerInnen. Vom 13. bis 15. November 1998 trafen sich 16 unterstützte Arbeitnehmer und solche, die es werden wollen, im Elsa-Brändström-Haus in Hamburg, um gemeinsam am Thema "Unterstützung - was ist das für mich?" zu arbeiten. Schon bei der diesjährigen BAG UB - Jahrestagung in Mannheim war deutlich geworden, daß es für unterstützte ArbeitnehmerInnen keinen Raum und keine Gelegenheiten gibt, um sich austauschen und fortbilden zu können. Auf Anregung von Interessierten, die an der Jahrestagung teilgenommen hatten, wurde nun dieses Wochenendseminar organisiert. Die vielen Anmeldungen spiegeln das große Interesse wider.

Das Wochenende sollte die Möglichkeit bieten, darüber nachzudenken und sich auszutauschen, was Unterstützung für einzelne Teilnehmer bedeutet. Dabei standen u.a. folgende Fragen im Vordergrund:

  • Welche Erfahrungen haben wir bislang mit Unterstützung gemacht?

  • Was macht gute Unterstützung wirklich gut?

  • Kann ich selbst entscheiden, von wem, wann, wo und bei was ich unterstützt werde?

  • Wie werden andere unterstützt?

  • Wie ist mein Verhältnis zu der Person, die mich unterstützt?

Sehr schnell wurde deutlich, daß innerhalb der Gruppe (die übrigens von Seiten der Teilnehmer eine reine Männergruppe war! Frauen - wo wart Ihr???) ein großes Bedürfnis bestand, sich auszutauschen und Erfahrungen zu besprechen. Wir veränderten das ursprünglich geplante Programm daraufhin insofern, als wir Gesprächen und Diskussionen viel Zeit und Platz einräumten.

Einige der in diesen Gesprächsrunden gemeinsam erarbeiteten Gedanken, "Ergebnisse" und Ideen drucken wir im Anschluß an diesen Artikel mit ab. Sie sind sicherlich auch für Menschen, die nicht am Seminar teilgenommen haben, interessant und diskussionswürdig.

Aufgrund des großen Bedürfnisses nach (Erfahrungs-)Austausch innerhalb eines nur sehr begrenzten Zeitrahmens, ist sicherlich ein elementarer Punkt an diesem Wochenende zu kurz gekommen: Die Entwicklung von Ideen / Veränderungsvorschlägen für jeden einzelnen Teilnehmer.

Uns erschien es wünschenswert, mit und für jeden zu hinterfragen, wie seine Unterstützung konkret aussieht, was an dieser Unterstützung gut und was eher schlecht ist. Es wäre schön gewesen, zur Ideenentwicklung zu kommen, was individuell noch verändert werden könnte und wie diese Veränderung geschehen könnte.

Anregungen gab es jedoch immer wieder viele und die Teilnehmer bestätigten alle, daß sie für sich von diesem Seminar viel profitiert hätten und eine Menge "mit nach Hause nehmen würden".

Die Anregung eines Teilnehmers, das Seminar auch als Möglichkeit zu nutzen, einen Brief an Politiker zu verfassen, in dem den eigenen Bedürfnissen und der Wut über bestehende Mißstände Ausdruck verliehen werden sollte, stieß auch bei anderen Teilnehmern auf großes Interesse. Der Brief, der allein von unterstützten Arbeitnehmern in einer Arbeitsgruppe entstanden ist, ist ebenfalls im Anschluß abgedruckt.

Rückblickend läßt sich aus unserer Perspektive sagen, daß es ein spannendes, arbeitsintensives, ergebnisreiches, fröhliches und rundherum gelungenes und nettes Seminar war. Die Zusammenarbeit in der Gruppe hat auch uns als Moderatorinnen des Wochenendes viel Spaß gemacht!

Einstimmig befand die Gruppe bei der Endauswertung, daß es Seminarangebote dieser Art öfter geben müßte und noch mehr Zeit dafür zur Verfügung stehen sollte.

Wie haben wir während des Seminars am Thema gearbeitet?

  • Diskussionen und Austausch im Plenum

  • in Arbeitsgruppen

  • spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema

  • Video "Ich bestimme selbst" mit anschließender Diskussion

  • viele Einzelgespräche außerhalb der eigentlichen "Seminarzeiten"

  • Diskussion über das "Plädoyer für Unterstützung"

Sammlung der wichtigsten Gedanken, "Ergebnisse" und Ideen des Seminars:

Unterstützung- Was ist damit gemeint? Welche anderen Begriffe fallen uns dazu ein?

  • Hilfe

  • gegenseitige Hilfestellung

  • Betreuung

  • Eingliederung

  • Assistenz

  • Unterstützung, indem man nicht unterstützt, sondern Selbständigkeit fördert

  • angedeutete Hilfestellung

  • Anerkennung

  • Einführung / Hinführung

  • Begleitung (am Arbeitsplatz und anderswo)

  • Hintergrundsleitfaden

  • einem anderen Menschen sein Ohr leihen

  • Motivation

  • Akzeptanz

  • Toleranz

  • gerechte Aufteilung

  • Aufmerksamkeit

  • Bevormundung

  • Bemutterung

  • Überbetreuung

Gesammelte Grundgedanken und Erfahrungen

  • Unterstützung muß nicht immer durch "Profis" gemacht werden (denn diese "stören" manchmal); es können z.B. auch Kollegen im Betrieb sein, die die Unterstützung gewähren.

  • Unterstützung muß verbindlich sein, ich muß mich darauf verlassen können (z.B. Einhaltung von Terminen etc.).

  • Unterstützung muß Zeit haben ? soviel wie gebraucht wird.

  • Unterstützung muß prinzipiell unabhängig von der Behinderungsart gewährt werden.

  • Oft besteht der Wunsch nach mehr Unterstützung oder aber der Wunsch, in bestimmten Bereichen intensiver unterstützt zu werden (z.B. bei Fortbildungen) ? keiner da, der die Unterstützung übernimmt.

  • Wenn Unterstützung angeboten wird, muß sie auch eingehalten und gewährt werden - nicht selten machen Menschen gegenteilige Erfahrungen.

  • (ideelle) Unterstützung durch Menschen aus dem sozialen Umfeld (z.B. Familie) ist enorm hilfreich.

Ideensammlung & Forderungen

  • Bislang gibt es nirgendwo eine "Assistenzkontrolle" - sie wäre dringend notwendig (denkbar z.B.: ein "Gütesiegel" für Fachdienste).

  • Notwendig wäre auch eine neutrale und unabhängige Beschwerdestelle; sie könnte Anlaufstelle sein, wenn man sich über den Fachdienst bzw. Assistenten beschweren will.

  • Hilfreich ist die Beratung durch andere "Betroffene"/ durch Menschen mit Behinderung (Peer counceling).

  • Finanzielle Unterstützung ist eine grundlegende Notwendigkeit - sie darf im Arbeitsleben nicht nur für die ersten 3 Jahre abgesichert sein, sondern muß dauerhaft möglich werden.

Brief an die Politiker

Hier ein Abdruck des von unterstützen Arbeitnehmern während des Seminars entworfenen Briefes an Politiker:

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus einem Seminar der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung (BAG UB) ist dieser Brief mit mehreren Teilnehmern entstanden.

Trotz knapper Kassen kann es nicht angehen, daß bei den sozial Schwächsten immer weiter gekürzt wird. Jedes Jahr steigen die Lebenshaltungskosten im Durchschnitt um 2-3% und unsere Einrichtungen kommen in den Genuß, jedes zweite Jahr nur ein paar Mark mehr zu bekommen.

Während Sie beliebig Ihre Diäten erhöhen, krebsen wir am Existenzminimum herum. Hinzu kommt, daß sich mancher um die notwendige Betreuung Sorgen machen muß.

Es ist ein Skandal, daß Mitarbeiter einer sozialen Einrichtung sich überlegen müssen, ob sie sich für wichtige Gespräche noch die Zeit nehmen können, nur weil die Behörden meinen, daß für Gespräche sozialer Probleme kein Geld gezahlt werden kann.

Letztendlich machen sich die Einrichtungen auch zum Ziel, daß wir so selbständig wie möglich werden. Wie soll das aber funktionieren, wenn wir immer wieder Auflagen bekommen, was wir alles nicht tun dürfen - es könnte ja etwas passieren. Z. B. alleine in den Urlaub fahren, selbständiges Wohnen etc. Jeder andere wird auch irgendwann losgelassen. Warum erlaubt man uns dies nicht, soweit es geht?

Wir sind der Meinung, daß wir genau dieselben Rechte besitzen wie ein Gesunder auch.

In Eurer Regierung (Opposition) sitzt ein Behinderter, und dem gibt man keine Einschränkungen. Und er kann sich auch alle Hilfe kaufen, weil er das genügende Kleingeld besitzt und vom Steuerzahler profitiert.

Wir fordern von Ihnen mehr Solidarität und mehr Mitspracherecht für unsere Rechte.

Schließlich haben wir unsere Behinderung uns nicht ausgesucht.

Mit freundlichen Grüßen,

Dieser Brief, so haben die Seminarteilnehmer beschlossen, soll unter Angabe eines Ansprechpartners aus der Seminargruppe an die Bundesregierung, verschiedene Landesregierungen und Behindertenbeauftragte geschickt werden. Ferner bemühen sich einige Teilnehmer darum, daß er in Regionalzeitungen Ihres Umfeldes abgedruckt und in Werkstätten (WfB) ausgehängt wird.

von Carolin Emrich -Bremen und Marie-Theres Löring - Hamburg (Seminarmoderation)

Quelle:

Carolin Emrich u. Marie-Theres Löring: Unterstützung - was ist das für mich?

Rückblick auf ein Wochenendseminar mit unterstützten Arbeitnehmern

Erschienen in: impulse Nr. 11 / Jän. 1999

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Stand: 07.02.2005

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