Jeder Tag ein Kampf ums Überleben

Autor:in - Susanne Schäfer
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 11, Jän. 1999 impulse (11/1999)
Copyright: © Susanne Schäfer 1999

Jeder Tag ein Kampf ums Überleben

Ich bin 31 Jahre alt und arbeite in der Linsen-Zentrierei in einem feinoptischen Betrieb mit 300 - 400 Mitarbeitern. Ich leide an einer stark ausgeprägten Narkolepsie-Kataplexie, wegen der ich lt. fachärztlichem Gutachten (der endgültige Bescheid nach Verschlechterungsantrag steht noch aus) 100 GdB und Merkzeichen G und B habe.

Diese bislang eher selten diagnostizierte chronische, nicht heilbare, nur symptomatisch und unzureichend behandelbare Krankheit wird in meinem Falle noch von einer circadianen Schlaf-Wach-Rhythmusstörung (bi-circadianer Rhythmus, d.h. ich müßte eigentlich statt einer 8-stündigen Nacht nur einen 4-stündigen Nachtschlaf und einen ebenso langen "Mittagsschlaf" nehmen), sowie von Bewegungs- und Koordinationsstörungen überlagert, die große Ähnlichkeit mit einem Parkinson-Syndrom oder einer L-Dopa-responsiven progressiven Dystonie im Kindesalter haben[1][2] und auch auf Antiparkinson-Medikamente besser ansprechen als auf die in der Narkolepsie-Behandlung üblichen Stimulantien, von denen ich, sofern sie überhaupt für kurze Zeit wirken, immer sehr hohe und ständig gesteigerte Dosen benötige.

Infolge der durch die Gangstörung bedingte Fehlbelastung habe ich eine beidseitige Hüftdysplasie (Schmerzen beim Stehen oder beim Gehen längerer Strecken), wegen des Rigors der Nacken- und Schultermuskulatur öfters z.T. erhebliche Spannungskopfschmerzen. Die von der extremen Tagesschläfrigkeit (lt. Erkenntnissen der Schlafmediziner "ständig wie ein Gesunder, der 48 Stunden lang nicht schlafen durfte" [3][4] verursachten Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen und Mängel in der sozialen Kompetenz führten sogar vor einigen Jahren zu der separaten Diagnose "Autismus", die wir aber heute nicht mehr akzeptieren können [5].[6][7]

Während der kurzen Stunden der durch Medikamente erzielten Wachheit zeigte es sich, daß bei verbessertem "Sortieren" der Wahrnehmungen, Konzentration und Zurückgehen der vegetativen Störungen (=> allgemein besseres körperliches Befinden) auch das Verständnis sozialer Vorgänge in meiner Umgebung, das sprachliche Verstehen über das Wortwörtliche hinaus sowie die Toleranz gegenüber Störungen aller Art deutlich verbessert wurde, so daß man heute sagen kann, daß ich im Grunde genommen sogar ein sehr soziales Wesen bin, Einfühlungsvermögen (Empathie) und sogar Humor habe. Ich bin durchaus spontan, aufnahmefähig und flexibel - doch das alles mußte erst "erweckt" werden, und leider kann man diesen Zustand nie lange aufrecht erhalten.

Zur Symptomatik der Narkolepsie zählen vor allem die imperativen Schlafattacken (in meinem Falle bis zu fünfmal à 10 - 30 Minuten allein während der Arbeitszeit), kataplektische Anfälle (Muskeltonusverluste bis hin zum kompletten Hinstürzen - in seltenen Fällen Lähmung bis 2 Stunden Dauer - bei Emotionen wie Lachen, Freude, Angst, Ärger, Erschrecken), ein zerstörter Nachtschlaf, hypnagoge Halluzinationen und Schlaflähmungen sowie "automatisches Verhalten" am Tage (im Halbschlaf ausgeführte Handlungen, sehr gefährlich im Straßenverkehr und beim Bedienen von Maschinen).

Es würde den Rahmen dieses Artikels hier sprengen, würde ich beschreiben, was man alles für "abenteuerliche" oder unglaubliche Geschichten mit einer solchen Krankheit erleben kann, die relativ selten bzw. unbekannt ist (zumindest über das sichtbare Symptom der Schlafattacken und evtl. der Kataplexien, die oft als Epilepsie fehlgedeutet werden, hinausgehend), daß nicht einmal die meisten Ärzte etwas mit einem anfangen können und zusätzlich Probleme beim Ausstellen von den nötigen Btm-Rezepten schaffen o.ä.

[Wer mehr über all dies erfahren möchte, dem sei mein 2. Buch [siehe Referenzen,[8]] empfohlen, dessen Erlös der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft zugute kommt.]



[1] Deonna, T. (1986): DOPA-sensitive progressive dystonia of childhood with fluctuations of symptoms - Segawa's syndrome and possible variants. Neuropedriatics17: 81-85.

[2] Segawa, M. et al. (1976): Heriditary progressive dystonia with marked diurnal variation. Adv. Neurol. 14: 215-233.

[3] Deonna, T. (1986): DOPA-sensitive progressive dystonia of childhood with fluctuations of symptoms - Segawa's syndrome and possible variants. Neuropedriatics17: 81-85.

[4] Meier-Ewert, K. (1989): Tagesschläfrigkeit. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim: 57-123.

[5] Guilleminault, C. et al. (1998): Narcolepsy in prebutertal children. Ann. Neurol. 43(1): 135-142.

[6] Kotagal S (1996): Narcolepsy in children. Semin. Pediatr. Neurol. 3 (1): 36-43.

[7] MS (1998): Childhood narcolepsy. Neurology 50 (Suppl 1): 37-42.

Wise

[8] Schäfer, S. (1998a): Die "Schlafkrankheit" NARKOLEPSIE - ein Erfahrungsbericht über Lachschlag, Schrecklähmung und Pennen in Pappkartons. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

Lehrzeit, fester Arbeitsplatz und Kündigungsversuch

Daß ich trotz allem eine Ganztags-Arbeitsstelle auf dem offenen Markt habe, ist einer Reihe glücklicher Umstände und der Tatsache zu verdanken, daß die Krankheit 1984, als ich anfing, nach einer Lehrstelle zu suchen, noch nicht so weit fortgeschritten und damit nicht, wie heute, auf Anhieb erkennbar war. Zudem konnte ich mich erfolgreich um die üblichen Einstellungstests herumdrücken, da meine Familie ca. 300 km von dem feinoptischen Betrieb, bei dem ich mich beworben hatte, entfernt wohnt, und die Firma wertete meine Schulzeugnisse, vor allem mein Interesse an Fotografie/Astronomie u.a. Naturwissenschaften, als positiv.

Obwohl bereits in den ersten Wochen der Lehrzeit offensichtlich wurde, daß ich den Großteil der Zeit am Schraubstock, später an der Schleif- und Polierbank, im Halbschlaf verbrachte, auffallend oft und lange (zum Schlafen) auf dem WC verschwand, in verdrehter Körperhaltung an der Maschine lehnte und auch sonst in vielerlei Hinsicht ein "komischer Vogel" und damit auch Ziel von Spott und Schimpferei war, registrierte man auch meine guten Eigenschaften und Fähigkeiten - und daß ich, obwohl ich die Augen mehr geschlossen als offen hatte, meine Werkstücke immer irgendwie fertig bekam. Wer mich kannte, der wußte, daß ich zwar langsam aussah, doch dieses mit Ausdauer kompensierte. Andere machten ihre Zigarretten-, Eß-, Kioskgang- und BILD-lesen - Pausen während der Arbeitszeit, und ich eben meine Nickerchen.

Damals waren Feinoptiker noch Mangelware, so daß alle Lehrlinge übernommen wurden; wieder hatte ich Glück. Ich glaube, dabei zählte auch, daß ich immer auch eine große Motivation zu arbeiten und die Sache auch gut zu machen - was gerade bei der Arbeit mit Glaslinsen für hochwertige Objektive wichtig ist - gezeigt habe.

[Das ist ein großer Vorteil bei meiner Arbeit: Es kommt zwar auch auf Schnelligkeit an, doch mehr noch auf Qualität; umgekehrt wäre es nicht zu schaffen für mich.]

Ich hatte, egal wie schlecht es mir oft ging, keinen einzigen Krankmeldetag, ausgenommen ich war auf der Arbeit regelrecht "umgefallen" und nach Hause/zum Arzt gebracht worden, und dann während der Aufenthalte in diversen neurologischen Kliniken.

Ein permanent schlechtes Gewissen hatte ich dennoch - wegen des Schlafes und weil mir alles so schwer fiel, was für andere ein Kinderspiel zu sein schien.

Meine größte Angst war, den Arbeitsplatz zu verlieren, weshalb ich mich sehr unter Druck setzte und sogar, wenn ich das Gefühl hatte, mit dem Pensum nicht nachgekommen zu sein, nach Feierabend noch etwas weiter arbeitete. Manchmal funktionierte ich meine diversen Arbeitsplätze so um, daß sie meinen Defiziten besser gerecht wurden, machte reine "Steh-Plätze" zu "Hoher-Stuhl-Sitz-Plätzen", verlängerte und verdickte die Griffe von Pinseln und Feilen, so daß ich sie besser halten konnte - und bestand hartnäckig auf einer Entfernung einer großen Asbest-Platte auf meinem Ofen. Natürlich gab es dann immer erstmal Spott und Widerstand gegen den "neumodischen Quatsch", doch dann gewöhnten sich Kollegen und Vorarbeiter bzw. fanden sogar selbst Gefallen daran.

Mit der Zeit ließen sich die Symptome meiner Krankheit immer weniger verheimlichen; ich war körperlich und auch nervlich immer mehr am Ende. Inzwischen hatten sich auch die kataplektischen Anfälle eingestellt, damals noch vielfach fehldiagnostiziert, so daß es auch von medizinischer Seite her keine Hilfe gab. (Diese gab es erst 1996 nach zweimaligem Aufenthalt im Schlaflabor.)

Ausgerechnet zu jener Zeit (1993) standen wegen schlechter wirtschaftlicher Lage mehrfach Entlassungen an, und da ich gerade in meiner damaligen Abteilung starkem Mobbing ausgesetzt war, sah ich mich gezwungen, nun doch den Schwerbehinderten-Ausweis zu beantragen - ein Schritt, den zu gehen ich mich bis dahin geschämt gehabt hatte.

Mein damaliger Vorgesetzter wollte mich daraufhin erst recht loswerden und meinte, keiner könne mehr die "Verantwortung übernehmen" und versuchte, nachdem das Argument, es sei "keine Arbeit mehr für mich da", welches von der HFS nicht akzeptiert wurde, meine Behinderung als den Kündigungsgrund darzustellen.

Hätten sich nicht liebe Kollegen/innen aus anderen Abteilungen und der Betriebsrat für mich ausgesprochen, hätte ich freiwilig aufgegeben.

Die entsprechenden Verhandlungen zogen sich über viele Wochen hinweg hin, in deren Verlauf jeder Tag zum Spießrutenlauf und ich noch mehr zum nervlichen Wrack wurde. Auch wenn meine Krankheit erwiesenermaßen rein-körperliche (organische, mit großer Wahrscheinlichkeit auch genetische) Ursachen hat, so ist es wie bei vielen anderen neurologischen Krankheiten, daß jeder zusätzliche äußere Streß und psychische Belastungen den Zustand und evtl. auch den Verlauf verschlechtern.

Daß ich nach dem gescheiterten Kündigungsversuch dann von einem Arbeitsplatz zum nächsten geschubst wurde, verschlimmerte meinen Gesundheitszustand noch weiter.

Auch wenn ich mich überall bemühe, den Anforderungen gerecht zu werden und nicht viel Rücksichtnahme von den Kollegen zu fordern, so bin ich halt doch in meinen Möglichkeiten begrenzt:

Arbeitsplätze, bei denen man viel stehen muß, scheiden ebenso aus wie solche, bei denen sich das geforderte Arbeitstempo nicht mit meiner Motorik vereinbaren läßt, oder solche, bei denen ich von der Konzentration her nicht mitkomme (besonders bei schnell wechselnden Aufgaben; extreme Monotonie ist aber auch ungünstig). Direkte Hand-in-Hand-Arbeit mit einem Kollegen funktioniert wegen meines eigenen inneren Taktes und wechselhafter Leistungsfähigkeit nur schlecht; andererseits brauche ich Menschen um mich herum, und vor allem auch einen guten Chef, der mir klar und deutlich sagt, was ich machen soll (mich dann aber mit meinen Linsen weitgehend nach meiner eigenen Technik in Ruhe arbeiten läßt), und an den ich mich jederzeit wenden kann, wenn es Fragen und Unklarheiten gibt.

Wichtig ist, daß ich mich auch im sozialen Umfeld wohl fühlen kann

Was ich unbedingt brauche, das ist, abgesehen von einer bewältigbaren Arbeit, ein harmonisches Umfeld. Gerade am Arbeitsplatz, an dem man seine meisten wachen Stunden zubringt (und ich wirklich all meine Kräfte lasse, so daß nichts mehr für "Hobbys und Privatleben" übrig bleibt), da könnte ich keinen Dauer-Kriegszustand ertragen.

Das heißt nun nicht, daß man mich wie ein rohes Ei behandeln muß; bitte bloß das nicht! Ich wünsche mir im Prinzip keinerlei Sonderbehandlungen oder Privilegien, höchstens die absolut wichtigsten Rücksichtnahmen auf direkt behinderungsbedingte Schwachpunkte - entsprechend wie man von einem Rollstuhlfahrer nicht erwartet, daß er auf eine Leiter klettert, oder von einem Blinden, daß er die Farben der Kabel in einem elektronischen Gerät benennt.

Wenn ich also einen Fehler gemacht habe, dann soll man mir das ruhig sagen. Wenn ich wiederholt (oder gar vorsätzlich) denselben Mist gebaut habe, dann darf der Chef auch schimpfen; ich stehe zu meinen Fehlern. Was ich weniger gut vertrage, ist Kritik oder Unverständnis für Dinge, für die ich nichts kann, z.B. wenn ich mittendrin irgendwo an den unmöglichsten Orten einschlafe oder eine Kataplexie habe, wenn ich dann nicht mitkriege, was man zu mir sagt, oder wenn ich mich krank oder in Phasen schlechter Medikation zur Arbeit schleppe und dann vielleicht nur die Hälfte meiner üblichen Leistung bringe.

Selbst bei "guter" Medikation benötige ich immer noch mehrere Schlafpausen am Tag, davon mindestens zwei in der Firma, und es ist sehr wichtig, daß ich diese auch ungestört nehmen kann. Ich bemühe mich, dies in den regulären Pausen zu machen, doch wer sich mit Narkolepsie etwas auskennt, weiß, daß dies nicht immer zu schaffen ist.

Die Zeit jeweils vor dem erlösenden Schlaf ist die kritischste: Hier ist das Risiko für automatisches Verhalten und kataplektische Anfälle besonders groß: bei kleinsten Problemen mit der Arbeit oder im zwischenmenschlichen Bereich geht für mich dann jedesmal "eine Welt unter", und manchmal bin ich dann so aufnahmefähig oder ansprechbar wie jemand mit einer geistigen Behinderung.

Daher ist es wichtig, daß die Menschen in meiner Umgebung Bescheid wissen, wie das alles zusammenhängt und wie wichtig es ist, daß ich den Schlaf nicht zu lange unterdrücke bzw. zu früh daraus geweckt werde, und wie sie mit meinen Kataplexien umgehen können.

In meiner Abteilung, dem Zentrierraum, in dem ich seit inzwischen 4 1/2 Jahren bin (früher nur ab und zu, aber alle kennen mich dort seit Lehrzeitbeginn), sind fast die Idealbedingungen erfüllt, um mich trotz der zu Anfang beschriebenen Behinderungen eine sinnvolle Tätigkeit ausführen zu lassen, die nicht bloß eine "Beschäftigungstherapie", sondern eine wirtschaftlich verwertbare Produktion optischer Linsen von hoher Qualität darstellt und, was mindestens genauso wichtig ist, daß ich mich dort sehr wohl und ein Stück "zu Hause" fühlen kann.

Klar, es gibt immer mal Probleme mit den Maschinen oder auch Gebrüll oder derbe Scherze seitens meiner sieben (allesamt männlichen) Kollegen, doch Hauptsache, man hält letztendlich zusammen, dann kann man fast alles bewältigen!

Ein Arbeitsplatz mit "vorsintflutlicher" Technik: Qualität geht vor Quantität

Mein Arbeitsplatz wird von der HFS gefördert, und mein Chef (Vorarbeiter) ist offiziell als mein Betreuer eingesetzt. Manchmal hat er seine arge Last mit mir, doch ich versuche alles gut zu machen, wenn ich mal viel Kraft habe, dann gute und zahlreiche Linsen zu zentrieren und Lebensfreude um mich zu strahlen.

Mein Chef richtet mir die fünf alten Kitt-Loh-Maschinen ein, den Rest schaffe ich alleine, wenn nichts dazwischen kommt.

Eigentlich habe ich sogar einen Arbeitsplatz, der früher, als noch mehr Linsen mit dieser vorsintflutlichen Technik zentriert wurden, von zwei Personen besetzt war:

Den größeren Anteil (ca. 90%) der Zeit sitze ich an der Ausricht-Bank und kitte die Linsen auf die Messingröhre der Zentrierspindeln auf, wobei ich sie über eine spezielle Seh-Vorrichtung und ein Lichtkreuz an der Decke sehr präzise so ausrichte, daß die optische und die mechanische Achse übereinstimmen. Dies erfordert ein sehr gutes Auge und viel manuelles Geschick.

Wer mich den Großteil des Tages mit hängenden bis geschlossenen Augenlidern oder glasig-müden Blickes herumtaumeln sieht, wird mir keine großen Sehfähigkeiten zutrauen, doch ich habe lt. Augenarzt auf beiden Augen "über 100% Sehschärfe" und eine besondere Fähigkeit, mich auf kleine Details zu konzentrieren, die mir hier zugute kommt.

Wer mich je nach Medikation entweder mit Ruhe- und Halte-Tremor oder mit Hyperkinesien an der Kitt-Loh herumzappeln sieht, wird es nicht für möglich halten, wie genau ich Linsen ausrichten kann, doch meine Kollegen wissen, daß das Tattern verschwindet, sobald ich eine gezielte Bewegung ausführe.

Manchmal ist es allerdings doch schwierig, vor allem wenn jemand neben oder hinter mir steht und auf die Finger guckt, oder wenn ich Zeitdruck habe - dann bekomme ich selbst Linsen der einfacheren Sorte nicht hin.

Ich habe meistens fünf verschiedene Posten Linsen aufzukitten, also wird es nie zu monoton.

Ab und zu stehe ich dann auf und gehe in den Maschinenraum, wo ich die inzwischen abgekühlten Spindeln in die Maschinen einlege. Wenn die Linsen fertig abgelaufen sind, hole ich sie heraus, wärme sie von dem Rohr ab (messe sie ggf. auf verschiedene Parameter nach, korrigiere ggf. die Maschine) und kitte die nächste Linse auf.

Dieser Wechsel von vorwiegend sitzender Tätigkeit und etwas Bewegung kommt meiner gesamten Symptomatik von Schlaf über Hüftschaden bis zur Bewegungsstörung sehr entgegen. Ebenfalls vorteilhaft ist es, daß mein Platz etwas abseits und umrandet von Arbeitstischen und Wänden liegt und dennoch in Ruf- und Sichtweise meiner Kollegen.

Ich habe ein kleines Radio am Platz, auf dem den ganzen Tag Pop- und Rock- Musik läuft; das brauche ich als Stimulation und lenkt mich keinesfalls ab.

Mein Leben ist nicht immer zum Lachen

Mit meinen Zentrier-Kumpeln (oder auch welchen aus anderen Abteilungen) gibt es zwischendurch immer mal etwas zum Erzählen oder zum Lachen, wobei ich bei letzterem aufpassen muß, daß ich nicht hinfalle ("Lachschlag"-Kataplexie) oder Linsen und Werkzeug fallen lasse.

Leider ist es in meinem Leben nicht immer zum Lachen; die Krankheit und die unzureichende Medikation verschließen mir oft genug die "chemische Tür" zur Welt der Wachen ... und wenn jemand aus nächster Nähe mitbekommt, wie sich das auswirkt, dann sind das meine Kollegen und meine Familie (wo ich im Urlaub immer bin), besonders meine Mutter.

Da ich hier vor Ort überhaupt keine Hilfe habe, obwohl ich oft welche bräuchte, bin ich froh, mich wenigstens in der Firma sicher fühlen zu können.

Ich bekomme auch kein Wasser mehr über den Kopf geschüttet wie früher, und am dankbarsten bin ich dafür, daß mich die Kumpel nun wenigstens in der Mittagspause 1/2 Stunde am Stück in meinem Pappkarton (= mein "Bett" im Maschinenraum, weil eine Liege mit Stoffpolstern schon bald voll Öl gesogen wäre) schlafen lassen. [Klar, ein Extraraum mit weicher Matratze ohne Lärm und Licht, das wäre herrlich, doch praktisch nicht durchführbar.]

Ich bin froh, daß ich mit den Kollegen über alles reden, daß ich ungeniert meine Medikamente nehmen oder mal zwischendurch den Blutdruck messen kann.

Daß zumindest einige verstanden haben, daß es solch eine merkwürdige Krankheit tatsächlich gibt, daß ich mich nicht bloß "blöd anstelle" oder "nur nicht genug will", und wie es kommt, daß ich zwischen derart verschiedenen Zuständen hin- und herschwanken kann.

Wenn ich neue Medikamente teste (was man normalerweise in der Klinik macht, doch dann müßte ich ja mehrmals im Jahr dorthin), dann sind meine Kollegen die besten Beobachter, um zu beurteilen, ob ich wacher/beweglicher/stabiler wirke - und wenn es schief geht, sind sie meine "Lebensversicherung".

Sie haben mir gesagt, ich gehöre dazu, zur Mannschaft vom Zentrierraum, und die Arbeit gibt mir das Gefühl, ich werde noch irgendwo gebraucht, ich habe einen Nutzen für diese Gesellschaft, statt dem Staat auf der Tasche zu liegen.

Wenn ich daran denke, daß ich 1993 (als man mich entlassen wollte) angeblich nur noch für die Lebenshilfe-Werkstätten taugte und ein Fall fürs Pflegeheim sei - und vergleiche, was ich heute mache - dann hoffe ich, daß mein Beispiel zeigt, wie man auch bei 100 Grad (Mehrfach-Schwerbehinderung) bei im Prinzip wenig Aufwand/Zugeständnis seitens des Arbeitgebers und etwas Verständnis/Toleranz seitens der Kollegen fast volle Leistung auf einem ganz normalen Arbeitsplatz auf dem freien Markt erbringen kann.

Voraussetzung ist, man findet einen Platz, an dem die Fähigkeiten des Behinderten genutzt werden können, an dem aber die Behinderung am wenigsten behindernd wirkt und an dem das soziale Umfeld in Ordnung ist!

Ich weiß von vielen Behinderten, daß sie besonders motiviert sind, gute Arbeit zu leisten und zu zeigen, daß sie das auch können - wenn man sie nur läßt.

Leider erhält nicht jeder die Chance und findet seinen Platz so wie ich.

Daß es mir heute trotz fortgeschrittener Krankheit und z.T. schlechter Medikation so relativ gut geht, habe ich allein der freiwilligen Hilfe und dem Verständnis meiner Mutter, engagierter Einzelpersonen der Narkolepsie-Selbsthilfe und meiner Kollegen zu verdanken, außerdem den großzügigen Zugeständnissen meines Personalchefs, der mir mehr Freiheit im Rahmen der neu eingeführten Gleitzeit und 1/2 Stunde Extra-Pause, die ich abends wieder einarbeite, eingeräumt und auch sonst ein offenes Ohr für meine Schwierigkeiten gezeigt hat.

Ich darf notfalls erst um 11 Uhr (statt um 7) zur Arbeit kommen, Hauptsache, die Stundenzahl stimmt nachher insgesamt. Das Problem "Weg zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause" ist nur teilweise gelöst: Ich lege eine immerhin je 3-4 km Strecke mit einem Tricycle zurück, das von der AOK geliehen ist, das kann zwar nicht umkippen, schützt aber nicht vor Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr.

Wenn ich unterwegs irgendwo (meist auf dem Rückweg beim Einkaufen) einschlafe oder eine Kataplexie habe, kann es passieren, daß ich im Krankenwagen oder auf der Polizeiwache lande, trotz aller mitgeführten Bescheinigungen.

Es gibt eigentlich kaum einen Ort in dieser Stadt, an dem ich nicht schon Ärger deshalb hatte, sei es in Geschäften, im Schwimmbad, in meinem Wohnhaus usw.

Was mir eben völlig fehlt, ist Hilfe hier vor Ort, jemand, der, wenn es nötig ist, schneller erreichbar ist oder ein Ansprechpartner für Leute sein kann, die mich irgendwo

"aufgesammelt" haben.

Mein Chefarzt von der neurologischen Spezialklinik betreut mich telefonisch, wenn es mal Krisensituationen wegen der medikamentösen Einstellung o.ä. gibt.

Meine Mutter unternimmt, was sie kann, um mir zu helfen, aber sie wohnt ebenso weit weg wie o.g. Arzt oder die lieben Menschen von der Selbsthilfe (von der es in dem Bundesland, in dem ich wohne, keine Regionalgruppe gibt).

Ich sage immer, okay, die Krankheit, die hat man nun mal, das ist "höhere Gewalt" und erstmal nicht zu ändern. Man kann nur versuchen, so gut wie möglich zu bewältigen, damit zurecht zu kommen, und sich an den vielen kleinen Dingen zu freuen, die einem noch geblieben sind. Wirklich schlimm wird alles erst oft gemacht - und zwar, wenn die Umwelt einen erst noch zusätzlich be-hindert und soviel wirklich vermeidbares Leid zufügt!

Die öffentlichen Stellen, die normalerweise helfen sollten

Die öffentlichen Stellen, die normalerweise dazu da sind, Behinderten zu helfen, haben sich bislang nicht für solche komplizierten und seltenen Fälle wie mich zuständig gefühlt bzw. noch zusätzliche Knüppel zwischen die Beine geworfen.

Eine Ärztin des Versorgungsamtes z.B. hat das von ihr selbst angeforderte fachärztliche Gutachten einfach ignoriert und behauptet, weil ich ja arbeiten ginge, könnte ich nicht so schlimm dran sein - ohne zu prüfen, wie hierbei die näheren Umstände liegen - und da ich ja während eines kataplektischen Anfalls bei Bewußtsein sei, wäre das auch "nicht so schlimm" [9] dabei ließ sie völlig außer acht, daß diese Kataplexien mit völliger Sprech- und Bewegungsunfähigkeit einhergehen und länger als manche epileptischen Anfälle dauern können, und daß auch generell "die Auswirkungen der Narkolepsie-Kataplexie auf das tägliche Leben und die Lebensqualität beeinträchtigender sind als bei Epilepsie" [10].

Die HFS unterstützt zwar die Firma mit einem monatlichen Zuschuß für meinen Arbeitsplatz, doch als ich mich einmal in großer Verzweiflung wiederholt mit Bitte um Information über meine Rechte am Arbeitsplatz/Schlafplatz dorthin wandte, bekam ich nie eine Antwort, so daß meine Mutter und ich wieder einmal alles selbst erledigen mußten.

Die Tagesklinik des DRK sagte mir Hilfe bei meiner damals problematischen Wohnsituation zu - und ließ nie wieder von sich hören.

Zwar hatte man mir "betreutes Wohnen" in der Form angeboten, daß einmal pro Woche zu fest vereinbarter Zeit eine Frau zu mir kommen sollte, um mit mir "gemeinsam einkaufen zu gehen"; außerdem sollte ich einen "Gesprächskreis für psychisch Kranke" besuchen. Ich sagte danke-nein und war froh, als ich wieder abhauen konnte.

Da ich abends meistens vor 18 Uhr kaum aus der Firma und vor 19 Uhr nicht in meine Wohnung komme, ist es das letzte, was ich brauchen kann, eine Sozialarbeiterin, die mir in den Kochtopf guckt und mich am wohlverdienten Nickerchen hindert.

Andererseits, wenn ich wirklich Hilfe benötige, dann ist das meist akut und nicht vorher planbar.

[Meine Mutter prüft gerade, ob das mit einem sog. "Hausnotruf" für mich in Frage kommt, damit ich abends/nachts und am Wochenende etwas sicherer bin, zumal ich dann keinen Schutz durch die Medikamente habe.]

Beim Psycho-Sozialen-Dienst war es genau so demotivierend: Ich war mehrmals dort, als ich noch nicht im Zentrierraum arbeitete und in der Firma vor lauter Terror täglich auf der Nase lag.

Nur zu offensichtlich zeigte sich, daß man dort auch nichts mit mir anzufangen wußte: In der Regel mußte ich dauernd von meinen Behinderungen erzählen, während die Damen dort (immer eine andere) stumm wie die Stockfische saßen und mich wie ein besonders seltenes Tier betrachteten.

Wie beim DRK waren die mehr an der Tatsache interessiert, daß ich bereits ein Buch über meine Krankheit geschrieben hatte, als daran, wie mein knallharter Alltag aussah und vor allem: wie man mir helfen könnte!

Insofern sind meine Publikationen eher ein "Hemmschuh": Jeder ist erstmal "beeindruckt", "bewundert", wie "toll" ich das Leben so "bewältigt" habe und versteht nicht, daß man trotzdem vor Ort, in seinem kleinen bescheidenen Leben als Arbeiter, oft allein und hilflos sein kann! [In schlechten Phasen kann ich gar nichts mehr, dann brauche ich im wahrsten Sinne des Wortes jemanden, der mich "an die Hand nimmt" und hochzieht bzw. mit mir die Schritte macht, bis ich wieder alleine Schritte machen kann.]

Daß ich zwar für Spezial-Neurologen ein "interessanter Fall" sein mag, aber beim Hausarzt bzw. dessen Sprechstundenhilfe um jede Schachtel Tabletten betteln muß, so daß ich mich gar nicht mehr getraue, auch noch nach dringend nötiger Kranken- und Wassergymnastik oder Massagen für die verkrampften Muskeln zu fragen.

Immerhin diente das doch alles zum Erhalt meiner Arbeitsfähigkeit; es heißt doch immer so schön: "Rehabilitation geht vor Rente"!

Man hat mich schon bei verschiedener Gelegenheit gefragt, "warum ich nicht längst meine Rente beantragt hätte", statt mich immer noch täglich herumzuquälen, den Verlust sämtlicher Freizeitaktivitäten zugunsten der Arbeit in Kauf zu nehmen und sogar selbst viel eigenes Budget und eigene Forschungsarbeit (sozusagen mein einziges "Hobby" z.Zt.) in die Anstrengungen zu investieren, doch noch eine zufriedenstellende Therapiemöglichkeit für mich (und evtl. andere Betroffene) zu entwickeln [11]; die Krankheit sei ja doch stärker



[9] Versorgungsamt Mainz (1993-1998): Schriftverkehr und Akten betr. GdB der Verfasserin.

[10] Broughton et al. (1984): Comparison of the psychosocial effects of epilepsy and narcolepsy cataplexy: a controlled study. Epilepsia25: 423-433.

[11] Schäfer, S. (1998b): Parkinson-Medikamente in der Behandlung der Narkolepsie - vom "vergessenen" L-Dopa bis zum neuartigen COMT-Hemmer. Eigenverlag

Ich brauche Hilfe vor Ort

Manchmal weiß ich selbst nicht mehr warum, immer wenn es Rückschläge gibt, wenn man bitter über all die Ungerechtigkeit wird, wenn man lernt, daß man eigentlich "dumm" ist, wenn man sich tapfer zur Arbeit schleppt, egal wie.

Wenn ich sehe, wie junge gesunde Leute, die oft "blau" machen, sich dadurch die Indikation für eine Kur verschaffen, während ein schwerbehinderter älterer Kollege, der sein Leben lang nur geschafft hat, selbst wenn er Schmerzen hatte, jahrelang vergebens auf den bereits rezeptierten Spezialstuhl vom Versorgungsamt wartete, bis er schließlich mit Bandscheibenvorfall im Krankenhaus lag, dann könnte ich brüllen, kann nicht jemand mal Schluß mit diesem Wahnsinn machen?

Und wenn ich schon nicht mal Hilfe erhalte, obwohl ich danach frage, wie mag es da solchen armen Betroffenen gehen, die gerade aufgrund ihrer Krankheit (oder Unkenntnis unseres Systems) gar nicht fähig sind, zu fragen?

Bräuchten nicht gerade solche Menschen die Hilfe umso nötiger, als diejenigen, die lauthals lamentieren und genau wissen, wie sie aus ihrer Behinderung Kapital schlagen können?!

Der zuvor für mich zuständige "Autismus"-Professor (in Schweden), der mir bis dato jegliche Behandlungsoptionen versagt hatte, verweigerte die Zusammenarbeit mit meinem Somnologen in Deutschland, so daß erneut wertvolle Zeit verloren ging bzw. um ein Haar eine weitere Fehldiagnose gestellt wurde, was nur eine sehr beherzt eingreifende Dame von der DNG verhinderte.

Schon davor hatte man mir auch bei der hiesigen Autismus-Vereinigung zu verstehen gegeben, daß man dort "in erster Linie für die schwereren (d.h. auch geistig behinderten und oft nicht sprechfähigen) Fälle von Autismus zuständig sei" und nicht für solch "gut funktionierende" wie mich [12].

Daß es den oft im Verhältnis Personal-Behinderter 1:1 rund um die Uhr betreuten Betroffenen aber letztendlich besser (vor allem sicherer) erging als mir, die von einem körperlichen und psychischen Zusammenbruch zum nächsten taumelte und nicht mal das bißchen Hilfe erhielt, das ich so nötig für ein menschenwürdigeres Leben gebraucht hätte, übersah man dabei. (Abgesehen davon erhalten bei o.g. Verein auch durchaus sehr gut sprechende, ja regelrecht "intellektuelle Autisten" umfangreiche Betreuung - scheinbar hängt das damit zusammen, welche Beziehungen man hat und wer seine Eltern sind. All dieses ist mit der Grund, weshalb wir heute diese Diagnose nicht mehr akzeptieren, obwohl ich damals alle Kriterien dafür erfüllte.)

Ich brauche keinen ständigen Betreuer, aber jemanden, der mal bei Bedarf mit zum neuen Hausarzt (nachdem der ehemalige sich geweigert hatte, die Klinikbefunde anzuerkennen und Medikamente zu verschreiben), zur AOK oder in die Firma mitgegangen wäre für ein erklärendes Gespräch (oder auch mit ins Schwimmbad, weil ich da schon dreimal Hausverbot wegen "Gefahr für mich selbst und andere" erteilt bekommen habe). Jemanden vor Ort (optimal wäre in der Nachbarschaft), an den man sich im Notfall wenden kann, und das auch außerhalb der Geschäftszeiten von DRK und Psycho-Sozialem Dienst (also "Hilfe auf Abruf").

Mir ist nicht damit geholfen, daß, wenn ich mich hoffnungsvoll-verzweifelt an eine Hilfe versprechende Stelle oder einen Arzt wende, ich dort nur achselzuckend gesagt bekomme: "Sie wissen ja selbst doch mehr über Ihre Krankheit als ich".

Ich halte es außerdem für ein Armutszeugnis für die eigentlich zuständigen Stellen, daß z.B. der Chefarzt des Schlafforschungszentrums Deutschlands in seiner ohnehin kargen "Freizeit" noch hinter meinem Bademeister, Sprechstundenhilfen meines Hausarztes u.ä. Problemherden hinterher telefonieren oder seine selbst erstellten Gutachten dem Versorgungsamt neu bestätigen/rechtfertigen muß - daß meine Mutter oder Helfer von der DNG stundenlange Ferngespräche in Sachen "Susanne" führen müssen, daß meine Kollegen, die keinerlei akademische Ausbildung haben, die besseren "Psychotherapeuten" für mich darstellen als professionelle, und daß sich mein Apotheker zehnmal mehr für mich engagiert als ein Hausarzt.

Ich bräuchte außerdem etwas mehr Therapiemöglichkeiten zum Erhalt meiner körperlichen Funktionen; man hört immer wieder, wie wichtig das ist [13], bzw. ich merke das auch selbst. Man möge mir das nicht hier als Neid oder Mißgunst auslegen: Doch wieviele Stunden Kranken- oder Wassergymnastik könnte man auch nur für die 1:1-Betreuungskosten eines einzigen Tages bekommen?

Mit wie wenigen Kur- oder Krankenhaustage-Pflegesätzen wäre das für meinen Kollegen Karl dringend benötigte Hilfsmittel, ein orthopädischer Stuhl, auf den er seit 2 1/2 Jahren ein ärztliches Rezept hat, bezahlt?

Wäre es nicht klüger, den im Ansatz erkennbaren Schäden vorzubeugen statt zu warten, bis sie vollends durchbrechen?!

(Ich rede hier nur über die die Kosten - welches Leid das für den einzelnen Menschen bedeutet, interessiert die Ämter ja sowieso nicht.)



[12] Blohm, H. (1996-1998): Persönlicher Briefwechsel mit der Verfasserin.

[13] Henneberg, A. (1997): Parkinson - zu neuem Gleichgewicht finden. VerlagHerder, Freiburg i.B.: 46 -49 und 83-95.

Ohne meinen Arbeitsplatz würde ich zum "Pflegefall"!

Für mich selbst gibt es keine perfekte Lösung: Ich weiß nur, solange ich meine Mutter und meinen Arbeitsplatz habe, dazu die gelegentlichen Kontakte zur DNG und zum Chefarzt, so lange habe ich eine Chance, es weiterhin zu schaffen. Ich wüßte aber nicht, was wäre, fiele auch nur eine dieser vier "stützenden Säulen" aus.

Mein Arbeitsplatz bedeutet mir sehr viel; es wäre sehr schlimm, wenn die Firma in Konkurs ginge oder ich auch nur die Abteilung wechseln müßte, weil evtl. meine uralten Maschinen wegrationalisiert würden.

Es ist nicht nur, daß ich eine Beschäftigung, ein Einkommen und einen Platz in dieser Gesellschaft habe. Ohne das Motiv, mich weiterhin arbeitsfähig zu halten, gäbe es ja gar keinen Grund mehr, gegen die Krankheit zu kämpfen, immer neue Behandlungsmöglichkeiten zu testen, sich für die Forschung zu engagieren und zu versuchen, sich durch vernünftige Ernährung und Bewegung (soweit möglich) zusätzlich fit zu halten.

Würde ich aber aufhören zu kämpfen und nach einem Lebenssinn zu streben, dann würde das direkten Einfluß auf den Krankheitsverlauf haben - und zwar einen sehr negativen!

Die Stimulation, die nötig ist, um mich wach und beweglich zu machen, wird nicht von den Medikamenten allein bewirkt: Ohne den zusätzlichen äußeren Reiz wie durch die Anforderungen der Arbeit und durch die Menschen in meiner Umgebung wären auch die stärksten zentralstimulierenden Medikamente fast wirkungslos [14].

Abgesehen davon, es gäbe ja auch gar keinen Grund mehr, welche einzunehmen (und Nebenwirkungen und diätische Einschränkungen dafür in Kauf zu nehmen):

Wenn ich nicht arbeiten gehe, dann kann ich ja ruhig zu Hause herumgammeln, dafür brauche ich keine so teuer erkaufte Wachheit und ich würde immer steifer und initiativeloser, dann vielleicht tatsächlich ein "Pflegefall".

Einen "Vorgeschmack" auf solche Zustände hatte ich bereits mehr als einmal. Und wenn ich so betrachte, wie junge Menschen, die es mit etwas Hilfe auch "draußen" schaffen könnten, durch das bequeme Leben in gewissen Heimen nur noch mehr jede Chance auf ein selbständiges Leben verbaut bekommen, dann danke ich dem Schicksal, daß mein Leben so verlaufen ist, wie es ist - und wenn es noch so hart war - und daß ich heute an dem Platz bin, an dem ich bin unter Leuten, die noch ein gesundes Verhältnis zur Realität haben und mich eigentlich "ganz normal" behandeln.

Mein Arbeitsplatz gibt mir also den Grund "für den es sich lohnt, wach bleiben zu wollen"!

Mögen wir beten zu Gott und dem Universum, daß die Kitt-Loh und meine lieben Menschen mir noch lange erhalten bleiben werden!



[14] Schäfer, S. (1998a): Die "Schlafkrankheit" NARKOLEPSIE - ein Erfahrungsbericht über Lachschlag, Schrecklähmung und Pennen in Pappkartons. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

Literatur:

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Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.V. (1995-1998): diverse "Der Wecker"-Hefte und Sonderdrucke.

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Schäfer, S. (1997): Sterne, Äpfel und rundes Glas. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

Schäfer, S. (1998a): Die "Schlafkrankheit" NARKOLEPSIE - ein Erfahrungsbericht über Lachschlag, Schrecklähmung und Pennen in Pappkartons. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

Schäfer, S. (1998b): Parkinson-Medikamente in der Behandlung der Narkolepsie - vom "vergessenen" L-Dopa bis zum neuartigen COMT-Hemmer. Eigenverlag.

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Quelle:

Susanne Schäfer: Jeder Tag ein Kampf ums Überleben

Erschienen in: impulse Nr. 11 / Jän. 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet (oder Erstveröffentlichung)

Stand: 07.11.2006

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