Wirtschaft inklusiv

Nachhaltige und systematische Sensibilisierung und Unterstützung von Arbeitgebern

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 71, 04/2014, Seite 36–39. impulse (71/2014)
Copyright: © Manfred Otto-Albrecht 2014

Abbildungsverzeichnis

    1. Erfahrungshintergrund

    Seit 2001 werden in Hamburg im Auftrag des Integrationsamtes und in Ergänzung zur Tätigkeit der Integrationsfachdienste Projekte durchgeführt, die ausschließlich die Beratung und Unterstützung von Arbeitgebern zum Ziel haben. Diese Projekte finden in enger, engagierter und öffentlich erkennbarer Zusammenarbeit mit der UV-Nord - Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein e.V. statt. Seit dem Jahr 2001 wurden rund 600 Betriebe in Hamburg beraten und unterstützt. Über 2.500 Beratungen von Unternehmen haben stattgefunden, mehrheitlich mit Personalverantwortlichen und Führungskräften.

    Diese Projekte mit jeweils aktuellen arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkten (www.faw-biha.de ) sprechen unter Bezugnahme auf den Unternehmensverband insbesondere auch solche Betriebe an, die zuvor von den staatlichen Stellen nicht erreicht wurden. Immerhin geben rund 65 % der jeweils neu akquirierten Unternehmen an, dass sie zuvor mit den Fachstellen der Bundesagentur für Arbeit und/oder dem Integrationsamt in Sachen Beschäftigung schwerbehinderter Menschen noch keinen Kontakt hatten. Vielfach waren die Aufgaben dieser staatlichen Stellen und ihre Unterstützungsmöglichkeiten den Ansprechpartnern nicht bekannt. Parallel hat das Projekt besondere Netzwerke für Unternehmen aufgebaut, deren Ziel es ist, die Beschäftigungsfähigkeit gegenüber schwerbehinderten Menschen zu verbessern. In den verschiedenen Netzwerken arbeiten zeitweilig oder dauerhaft über 130 Unternehmen mit.

    Bei einem erheblichen Teil der Erstberatungen konnte das Projekt die entstandene Beratungsbeziehung ausbauen. Von zwei Dritteln der beratenen Unternehmen wurden die Dienstleistungen wiederholt, oft in Form kontinuierlicher Beratungen zu ausgewählten innerbetrieblichen Prozessen im Kontext der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in Anspruch genommen. Auch der erfolgreiche Aufbau des Unternehmensnetzwerkes „Runder Tisch - Netzwerk und Expertenforum“ mit den fachlichen Schwerpunkten „Betriebliches Eingliederungsmanagement“, „Demographischer Wandel“ und „Qualifizierung“, dokumentiert den Unterstützungsbedarf der Unternehmen und den funktionierenden Arbeits- und Kommunikationsprozess. (www.faw-biha.de/veranstaltungen.html )

    Eine statistische Auswertung der Beratungsgespräche zeigte insbesondere deutliche Informationsbedarfe der Arbeitgeber bei:

    • fachlichen Fragen

    • juristischen Fragen

    • bestehenden Unterstützungsstrukturen (Integrationsfachdienste etc.)

    • Fördermöglichkeiten.

    2. Projektdesign Wirtschaft inklusiv

    Träger des Gesamtprojektes (www.wirtschaft-inklusiv.de ) ist die Bundesarbeitsgemeinschaft ambulante berufliche Rehabilitation e.V., deren Mitglieder das Projekt in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein und Thüringen durchführen.

    Die beteiligten Mitglieder der BAG abR e.V. sind:

    • Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e.V.

    • Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) gGmbH

    • Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi ) gGmbH

    • Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e.V.

    • Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft gGmbH

    • Bildungswerk der Wirtschaft Sachsen- Anhalt e.V.

    • Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft e.V.

    • Fortbildungsakademie der Wirtschaft gGmbH

    Berater bzw. Inklusionslotsen sind in den jeweiligen Teilprojekten für die Beratung und Unterstützung der Arbeitgeber zuständig.

    Ein Koordinationsprojekt steuert und bündelt auf Bundesebene die Arbeit der Teilprojekte.

    Das Projekt wird von einem Beirat begleitet, der die Zusammenarbeit mit wichtigen bundesweiten Einrichtungen und Organisationen der Inklusion und der beruflichen Teilhabe im ersten Arbeitsmarkt abbildet. Die Mitglieder des Beirates begleiten Wirtschaft inklusiv mit ihrer fachlichen Expertise und mit dem unabhängigen Blick von außen. Als Gesprächs- und Diskussionspartner beraten sie das Projekt in strategischen und operativen Fragen. Dem Beirat gehören an:

    • Bundesagentur für Arbeit

    • Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

    • Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE)

    • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

    • Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

    • Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund)

    • Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

    • Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) gemeinnützige GmbH

    • Verein der zertifizierten Disability-Manager Deutschlands e.V. (VDiMa)

    Abbildung 1. Logo – Wirtschaft inklusiv

    Logo – Wirtschaft inklusiv

    Ein Lenkungsteam, das sich aus Ansprechpartnern der Teilprojekte zur regionalen Projektsteuerung zusammensetzt, trifft sich mehrmals im Jahr zum Erfahrungsaustausch und zur Weiterentwicklung des Projektes, so werden länderspezifische Bedingungen und regionale Besonderheiten aufgegriffen und einbezogen.

    Workshops für Berater und Inklusionslotsen zum Erfahrungsaustausch und zur Weiterentwicklung der Beratungs- und Fachkompetenz finden regelmäßig statt.

    3. Konzept

    Die zwei wichtigsten Säulen für das Fachkonzept von Wirtschaft inklusiv sind

    1. die umfassende Kompetenz der Mitglieder der BAG abR e.V. im Bereich der ambulanten beruflichen Rehabilitation und in der Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern und ihren Verbänden

    2. die Erfahrungen aus der über 10-jährigen Beratung von Arbeitgebern zur Teilhabe in den Hamburger Projekten BIHA

    3.1. Arbeitgeberorientierung

    Strategisch betrachtet ermöglicht eine enge, strukturelle und auch operative Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Wirtschaft und den Arbeitgeberverbänden einen besseren Zugang zu Betrieben und Unternehmen. Unsere Berater bzw. Inklusionslotsen wenden sich dabei direkt an die Personalverantwortlichen in den Unternehmen und Betrieben.

    Neben einem besseren Zugang zu Betrieben erfordert diese Zusammenarbeit zum zweiten eine permanente Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Erfordernissen und Möglichkeiten der Betriebe und mit der Frage nach dem betrieblichen Nutzen von Beratungsarbeit. Unsere Aktivitäten werden im Alltag systematisch rückgekoppelt mit unseren Ansprechpartnern in den Arbeitgeberverbänden, die somit ein wichtiges und entscheidendes Korrektiv unserer Arbeit bilden.

    Zum dritten führt die enge Verankerung unserer Teilprojekte in den Einrichtungen und Verbänden der Arbeitgeber dazu, dass die Projekte und auch die einzelnen Berater ein eindeutiges Profil der Arbeitgeberorientierung entwickeln und eine dementsprechende Haltung einnehmen. Dies ist im Kontext der Inklusion, Teilhabe und Rehabilitation ein besonders wichtiger Punkt der Identität und der Haltung unserer Berater. Wir richten uns nicht an Beschäftigte oder Arbeitslose mit einer Schwerbehinderung, nicht an Rehabilitanden, nicht an Betroffene oder ihre Vertretungen: die Berater von Wirtschaft inklusiv richten sich direkt an die Verantwortlichen in den Betrieben. Die Berater machen keine Vermittlung, sie machen keine Begleitung am Arbeitsplatz. Sie sind Fachleute und Spezialisten für die Erfordernisse der Inklusion aus Sicht der Arbeitgeber.

    Zum vierten führt dieses eindeutige Profil der Arbeitgeberorientierung dazu, dass wir in der Landschaft der Rehabilitation und der staatlichen Unterstützungsangebote von den Betrieben tatsächlich als „ihr“ Partner, als Partner des Arbeitgebers wahrgenommen werden, der nicht „von Amtswegen“ tätig wird. Wir haben nicht zwei oder mehrere „Hüte auf“ bei unserer Arbeit, was die Wahrnehmung von außen und das Selbstverständnis „von innen“ erschweren oder verwischen würde.

    3.2. Aktivitäten und Projektschwerpunkte

    Alle Teilprojekte haben vier gemeinsame Arbeitsschwerpunkte, die sich in der Beratungsarbeit von Unternehmen als zielführend erwiesen haben. Im Mittelpunkt, quasi als Anfang von allem, steht das persönliche Beratungsgespräch im Betrieb. Dabei geht es, ausgehend von der spezifischen und individuellen Situation des Betriebes und den vorliegenden Erfahrungen mit der Beschäftigung von Menschen mit einer Schwerbehinderung, um die fachlichen und juristischen Fragen, die für den jeweiligen Betrieb von Interesse sind. Information und Sensibilisierung der Ansprechpartner stehen dabei im Mittelpunkt. Ziel ist es, einen stabilen Beratungsprozess aufzubauen, in dem die für den Betrieb wichtigen Themen, Aufgaben und Informationen geklärt werden.

    Um einen dauerhaften und strukturieren Arbeits- und Kommunikationszusammenhang mit den Arbeitgebern aufzubauen und um deren Vernetzung untereinander und mit den bestehenden Einrichtungen und Organisation der Teilhabe schwerbehinderter Menschen zu verbessern, werden in Ergänzung zur Beratungsarbeit Runde Tische als Netzwerk und Expertenforum eingerichtet. Für komplexere Fragestellungen werden eigens in Abstimmung mit den Integrationsämtern und Arbeitgeberverbänden kurze, prägnante Fortbildungen entwickelt und durchgeführt, die sich vom Umfang und der Terminierung her an den Möglichkeiten auch kleiner Betriebe orientieren. Für übergreifende personalpolitische und arbeitsmarktpolitische Themen, die einerseits für Unternehmen wichtig sind und andererseits Anknüpfungspunkte für betriebliche Inklusion bieten, werden gesonderte Fachveranstaltungen durchgeführt, mit denen auch neue Impulse für Inklusion gesetzt werden können. Dazu gehören unter anderem Themen wie Führung, demographischer Wandel, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Qualifizierung oder Diversity Management.

    All diese Aktivitäten haben zum Ziel, unabhängig von einem konkreten Anlass und unabhängig von einem bestimmten Einzelfall, die Bedingungen für Inklusion in den Betrieben zu verbessen, in dem das Knowhow der Betriebe und ihre Zusammenarbeit mit den bestehenden Strukturen und Akteuren der Inklusion verbessert werden und in dem wichtige betriebliche Prozesse und Strukturen teilhabefreundlicher gestaltet werden. Das betrifft zum Beispiel alle personalrelevanten Prozesse wie Stellenausschreibungen, Recruiting, Bewerbungsverfahren, Personalauswahl, interne und externe Qualifikation, Einarbeitung, Personalentwicklung, Gesundheitsmanagement, Arbeitsplatzgestaltung etc.

    Als ein besonders wichtiges Thema bei der Frage, wie Inklusion funktionieren kann, hat sich in den Betrieben auch immer wieder das Thema Führung herausgestellt, so dass auch dies in die Arbeit der Berater und Inklusionslotsen einbezogen wird.

    3.3. Regionale Schwerpunkte

    In jeder Projektregion entscheiden sich die Projekte zudem zusätzlich für eigene, regionale Schwerpunkte und arbeiten eng mit den jeweiligen regionalen Akteuren der Teilhabe zusammen. So vermeiden sie Doppelstrukturen, unterstützen lokale Partner und berücksichtigen die Gegebenheiten vor Ort. Zu den regionalen Schwerpunkten gehören zum Beispiel der Übergang von der Schule in den Beruf, die Verbesserung der Bewerbersituation oder etwas die Ermutigung von Arbeitgebern, neue Berufsfelder für Menschen mit einer Schwerbehinderung zu entdecken.

    4. Erste Ergebnisse

    In den ersten Monaten, die Teilprojekte haben am 1.2.2014 ihre Arbeit aufgenommen, standen zunächst der Aufbau mit allen regional schon bestehenden Einrichtungen und Organisationen im Vordergrund – darauf haben alle Teilprojekt besonderen Wert gelegt, um Ressourcen optimal einsetzen zu können und um im Nachgang möglichst viele Betriebe gut erreichen zu können, ohne dass eine unkoordinierte Zusammenarbeit mit Arbeitgebern erfolgt.

    Dieses Ziel, eine noch bessere Zusammenarbeit der bestehenden Einrichtungen mit Unternehmen zu erreichen, drückt sich in insgesamt 453 Arbeitstreff en mit den entsprechenden Akteuren in den Regionen aus. Darunter waren unter anderem 109 Arbeitstreffen mit Initiativen der Länder, Kreise und Kommunen, 85 Arbeitstreffen mit Agenturen, Job-Centern und Rentenversicherung, 46 Arbeitstreffen mit Integrationsämtern und Integrationsfachdiensten und 40 Arbeitstreffen mit verschiedenen Kammern und ihren Initiativen. Darüber hinaus wurden 398 persönliche Beratungen von Betrieben durchgeführt, bei denen insgesamt 291 offene Stellen für die Besetzung mit Bewerbern mit einer Schwerbehinderung akquiriert werden konnten, die jeweils an die für Vermittlung zuständigen Partner gemeldet wurden.

    In sechs Bundesländern konnten bereits die ersten Runden Tische durchgeführt werden, insgesamt wurden 36 Veranstaltungen durchgeführt, an denen 862 Teilnehmer aus 554 Betrieben teilnahmen. (Stand: 1.2.2014 bis 31.10.2014).

    5. Resümee

    Mit Wirtschaft inklusiv wollen wir als Projekt „aus der Wirtschaft für die Wirtschaft“ erreichen, dass Unternehmen „ohne Behinderungen“ die Kompetenzen und Fähigkeiten von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen bzw. mit einer Schwerbehinderung nutzen können. Dazu verbinden wir das Instrumentarium einer sozialverantwortlichen Unternehmensberatung mit der Fachlichkeit und der sozialpolitischen Aufgabenstellung eines Fachdienstes.

    Unsere Erfahrungen seit 2001 aus vergleichbaren Projekten und die Erfahrungen der ersten neun Monate von Wirtschaft inklusiv zeigen uns, dass wir damit auf einem richtigen Weg sind. Betriebliche Erfordernisse und Rehabilitationsstrukturen sind nicht (ohne weiteres) kompatibel. Es braucht betriebsnahe, profilierte Projekte, die eine arbeitgeberorientierte Unterstützung anbieten, um als Scharnier und Vermittler zu wirken.

    Abbildung 2. Manfred Otto-Albrecht

    Portraitfoto von Manfred Otto-Albrecht

    Manfred Otto-Albrecht ist Diplom-Pädagoge und Organisationsprogrammierer. Seit 2003 leitete er Projekte zur Beratung von Unternehmen für die Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) gGmbH. Seit 2013 leitet er das Projekt Wirtschaft inklusiv.

    Kontakt und nähere Informationen

    Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) gGmbH

    Wirtschaft inklusiv

    Spohrstraße 6, 22083 Hamburg

    Tel.: 040 - 28 00 66 -521, Fax: 040 - 63 64 62 -75

    Mail: manfred.otto-albrecht@faw.de ,

    Internet barrierefrei: www.faw.de ; www.bagabr.de;

    www.wirtschaft-inklusiv.de

    Quelle

    Manfred Otto-Albrecht: Wirtschaft inklusiv. Nachhaltige und systematische Sensibilisierung und Unterstützung von Arbeitgebern Erschienen in: impulse Nr. 71/2014, Seite 36–39.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 12.01.2017

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