Beruflich Bildung für alle!

Aktuelle politische Entwicklungen in der Schweiz

Autor:in - Susanne Aeschbach
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 69, 02/2014, Seite 16-21. impulse (69/2014)
Copyright: © Susanne Aeschbach 2014

Abbildungsverzeichnis

    Berufliche Bildung für alle!

    In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung sind das Recht auf Bildung wie auch das Recht auf Arbeit verankert. Hingegen ist das Recht auf berufliche Bildung in der Schweiz nach wie vor nicht gesetzlich festgelegt. Insbesondere schwächere Jugendliche mit Behinderung drohen gänzlich von der Berufsbildung ausgeschlossen zu werden. Trotz vieler politischer Vorstöße besteht bei diesem Thema nach wie vor Handlungsbedarf. Im folgenden Artikel werden in einem ersten Schritt die aktuellen bildungs- und sozialpolitischen Entwicklungen nachgezeichnet und in einem zweiten Schritt erfolgversprechende Modelle thematisiert.

    Bildungspolitik: die Revision des Berufsbildungsgesetzes

    Der Handlungsbedarf in der beruflichen Bildung von Jugendlichen mit Behinderung hat sich mit dem neuen Berufsbildungsgesetz (BBG), welches 2004 in Kraft getreten ist, verschärft. Eine große Änderung bestand in der Abschaffung der früheren „Anlehren“. Neu wurden dafür die zweijährigen beruflichen Grundbildungen mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) ins Leben gerufen. Diese neue Berufslehre ist eine Errungenschaft, da sie auch schwächeren Lernenden, die den Anforderungen an eine berufliche Bildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) nicht oder noch nicht genügen, eine gute Ausbildung ermöglicht. Gleichzeitig verursacht dieses neue Gefäß Ausschluss nach unten, denn weit weniger Jugendliche sind den Anforderungen an eine zweijährige berufliche Grundbildung gewachsen, als dies früher bei der „Anlehre“ der Fall war. Die Anlehre besaß den Vorteil, dass sie ein sehr flexibles Ausbildungsgefäß war, welches den individuellen Ressourcen der Jugendlichen gerecht wurde. Gleichzeitig war die Anerkennung auf Arbeitgeberseite umstritten, da es sich eben um einen individuellen Abschluss handelte. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, weshalb die Anlehren abgeschafft worden sind.

    Schon bald nach Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes zeigte sich jedoch, dass mit der zweijährigen beruflichen Grundbildung ein Problem gelöst und gleichzeitig ein neues geschaffen worden ist. Denn was ist nun mit den Jugendlichen, die den Anforderungen dieses Bildungsgefäßes nicht genügen, aber zu wenig „invalid“ sind, als dass sie eine berufliche Maßnahme finanziert über die Invalidenversicherung absolvieren könnten?

    Die Praktische Ausbildung nach INSOS schließt die Lücke im Berufsbildungssystem teilweise.

    INSOS hat die oben beschriebene Problematik ebenfalls erkannt, da ein beachtlicher Anteil von Jugendlichen, welche in einer spezialisierten Ausbildungsstätte über die IV berufliche Maßnahmen absolvieren, zwar in den Anlehren ihren Platz hatten, jedoch den Anforderungen für die Ausbildungen mit EBA nicht gewachsen sind. In den INSOS-Institutionen werden aber auch Jugendliche mit Behinderung ausgebildet, die selbst den Anforderungen an die früheren Anlehren nicht gewachsen sind, weil sie einen begleiteten Ausbildungsplatz i zweiten Arbeitsmarkt brauchen. INSOS hat somit 2007 die Praktische Ausbildung nach INSOS lanciert und damit drei Ziele verfolgt:

    • eine qualitativ hochwertige berufliche Bildung für Jugendliche mit Beeinträchtigung,

    • eine verbesserte berufliche Integration und

    • die Durchlässigkeit zu Ausbildungen mit EBA.

    Abbildung 1. Ohne Titel

    Dekobild

    Foto: Andrew Lin wikicommons CC-BY-SA-2.0

    Seit der Lancierung wurde die Praktische Ausbildung kontinuierlich weiterentwickelt[1]. Nachdem seitens des Schweizerischen Gewerbeverbandes und der Organisationen der Arbeitswelt (OdA) Kritik an den Berufsbezeichnungen für Praktische Ausbildungen geäußert wurde, da INSOS die EBA-Bezeichnungen übernommen hatte, wurden neue Bezeichnungen eingeführt und damit gleichzeitig der Grundstein für eine konstruktive Beziehung zu den OdA gelegt. Eine weitere große Änderung besteht darin, dass die Ausbildungsinstitutionen in der Definition der Fachkompetenzen ursprünglich frei waren, während heute das erste standardisierte Ausbildungsprogramm für die PrA Schreinerei vorhanden ist, welches sich eng an den betrieblichen Fachkompetenzen des EBA-Bildungsplans anlehnt. Die Entwicklung für die weiteren PrA-Richtungen ist aufgegleist. Auch mit dieser Maßnahme ist INSOS den OdA entgegen gekommen und hat einen wichtigen Schritt in Richtung Anerkennung der individuellen Kompetenzen getan.



    [1] Eine umfassende Dokumentation befindet sich unter www.insos.ch > Praktische Ausbildung.

    Der Nachteilsausgleich in der Berufsbildung fördert die Chancengleichheit

    Im Rahmen der regulären Berufsbildung gibt es das Instrument des Nachteilsausgleichs für Menschen mit Behinderung. Darunter fallen spezifische Maßnahmen im Ausbildungsprozess wie auch beim Qualifikationsverfahren, die zum Ziel haben, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Für Jugendliche mit Lernbehinderung kann z. B. eine mögliche Maßnahme sein, die Ausbildungsdauer zu verlängern. Mit der im Herbst 2013 erschienenen Publikation „Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderung“ (SDBB, 2013) kann das Instrument Nachteilsausgleich sicher noch besser ausgeschöpft werden, als dies heute der Fall ist, und somit für einen Teil der Jugendlichen mit Behinderung der Zugang und der erfolgreiche Abschluss einer beruflichen Bildung mit eidgenössischer Anerkennung erreicht werden. Für Jugendliche, welche außerhalb der Schweizerischen Berufsbildungssystematik ihre berufliche Bildung absolvieren, kommt dieses Instrument leider nicht zur Anwendung. Für diese Zielgruppe gibt es jedoch das Projekt der individuellen Kompetenznachweise, mit dem ebenfalls ein innovativer Weg beschritten worden ist.

    Anerkennung individueller Kompetenzen: ein Pilotprojekt

    Eine Evaluation der Praktischen Ausbildung nach INSOS (2010)[2] hat gezeigt, dass die PrA ein gut passendes und auch flexibles Ausbildungsgefäß für Jugendliche mit Beeinträchtigung darstellt. Gleichzeitig wurde der Handlungsbedarf für die Anerkennung der PrA auf Arbeitgeberseite deutlich. INSOS hat daraufhin ein Projekt für die Anerkennung der individuell erworbenen Kompetenzen lanciert. Nach zahlreichen Gesprächen und dem Einbezug aller relevanten Akteure ist es schließlich gelungen, beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) erfolgreich ein Gesuch für die Finanzierung des Projektes einzureichen, welches gemeinsam vom Schweizerischen Gewerbeverband, der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz und INSOS Schweiz getragen wird. Mit diesem Projekt sollen Jugendliche, die über keinen eidgenössischen Berufsabschluss verfügen, einen Nachweis ihrer individuell erworbenen Kompetenzen erhalten, welcher in der Arbeitswelt anerkannt ist. INSOS denkt da vor allem an die Absolventinnen und Absolventen von Praktischen Ausbildungen, während die Berufsbildungsämter in erster Linie diejenigen Jugendlichen im Auge haben, welche eine Ausbildung mit EBA abbrechen. Bis im Frühjahr 2014 sollen nun für die Branchen Schreinerei, Logistik und Kaufmännischer Bereich solche Kompetenznachweise entwickelt werden. Resultierend aus diesen Erfahrungen soll ein Instrument für die Entwicklung von Kompetenznachweisen erarbeitet werden, welches dann auf alle Berufsrichtungen anwendbar sein sollte. Ein derartiger Kompetenznachweis, der von den OdA anerkannt ist, wäre für die PrA eine große Errungenschaft.



    [2] http://www.bsv.admin.ch/praxis/forschung/publikationen/index.html?lang=de&vts=praktische+ausbildung&bereich[]=1&mode=all&anzahljahre=5#pubResult

    Sozialpolitik: die Nachwehen der NFA?

    Auch auf sozialpolitischer Ebene gab es in den vergangenen Jahren viel Bewegung. Eine Neuerung, welche weitreichende Konsequenzen im Behindertenbereich mit sich bringt, ist die Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA). Vor der NFA war die Finanzierung der Sonderschule, der beruflichen Maßnahmen wie auch der Werkstätten auf Bundesebene geregelt. Seit Inkrafttreten der NFA (1.01.2008) werden nur noch die beruflichen Maßnahmen über die Invalidenversicherung (IV) finanziert, währenddessen die Sonderschulen wie auch die Werkstätten in kantonale Hoheit übergegangen sind. Interessant ist, dass die berufliche Bildung von Jugendlichen mit Behinderung vor der NFA nicht in Frage gestellt war. Die Vermutung liegt nahe, dass es für den Bund keinen großen Unterschied machte, ob er einem Jugendlichen eine berufliche Bildung oder einen Werkstattplatz finanzierte. Es lässt sich die These formulieren, dass der Bund nun ein Sparpotenzial wittert, indem er den Zugang zu beruflichen Maßnahmen einschränkt. Im erläuternden Bericht zur IV-Revision 6b wurde denn auch die IV-Anlehre respektive die Praktische Ausbildung nach INSOS unter dem Titel «Sanierungsmaßnahmen» mit einem prognostizierten Sparvolumen von 50 Millionen jährlich abgehandelt (http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/19604.pdf ; S. 75f.). Von diesen ursprünglich avisierten hohen Eintrittshürden ist heute glücklicherweise nicht mehr die Rede. Hingegen bleibt die Absicht des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bestehen, die Zusprache beruflicher Maßnahmen an Wirkungen zu koppeln. Dem ist grundsätzlich nichts entgegen zu halten, nur stellt sich die große Frage, was als Wirkung definiert wird. Während es zum Beispiel aus Sicht von INSOS ein Erfolg ist, wenn Jugendliche mit Beeinträchtigung mit einer ganzen Rente über eine Anstellung im ersten Arbeitsmarkt verfügen, so ist dies aus Sicht des BSV nur eine soziale, nicht aber eine berufliche Integration, da kein «return on investment» erreicht wird. Die Diskussion der Wirkung sollte aber auf anderen Ebenen geführt werden: Gilt es nicht auch als ein Erfolg, wenn ein Jugendlicher mit Behinderung dank beruflicher Bildung gestärkt durchs Leben gehen kann, Routine in der Mobilität erlangt und grundlegende Kompetenzen in fachlicher, sozialer und personaler Sicht erworben hat, welche die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen?

    Zugang zu beruflicher Bildung für Schwächere wird eingeschränkt

    Nach dem Aufruf zur Wirkungskontrolle seitens des Bundesamts für Sozialversicherungen wurde im Mai 2011 das IV-Rundschreiben 299 publiziert. Mit diesem Rundschreiben wurde eine restriktivere Praxis eingeläutet: Neu werden seitens der IV nur noch einjährige Verfügungen gesprochen. Das zweite Jahr wird davon abhängig gemacht, ob die lernende Person nach Abschluss der Ausbildung voraussichtlich eine Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt antreten können wird, auch wenn diese vorerst nicht rentenreduzierend sein muss. Dieses Rundschreiben hat aus der Sicht von INSOS Schweiz viele negative Auswirkungen. Eine Konsequenz besteht darin, dass schwächere Jugendliche nur noch ein Jahr berufliche Bildung absolvieren können. Ferner stellt INSOS fest, dass die Auslegung des Rundschreibens und die Definition der «voraussichtlichen Erwerbsfähigkeit im ersten Arbeitsmarkt» durch die IV-Stellen sehr unterschiedlich ausfallen. Während es IV-Stellen gibt, die aus der Sicht der Jugendlichen mit Beeinträchtigung sehr kulant sind, indem z. B. der Nachweis eines Entwicklungspotenzials und grundlegende soziale Kompetenzen für ein zweites Ausbildungsjahr reichen können, so gibt es IV-Stellen, welche die rentenreduzierende Erwerbsfähigkeit fordern. Im Kanton Zürich gibt es erste Gerichtsurteile zugunsten von Jugendlichen mit Behinderung, in denen die IV für ihre zu restriktive Praxis kritisiert wird (vgl. Sozialversicherungsgericht ZH, Prozessnummern IV.2012.00848/ IV.2012.00809).

    Ferner beobachtet INSOS Schweiz, dass die neue Praxis große Unruhe mit sich bringt: Schon wenige Monate nach Ausbildungsbeginn muss bereits Bilanz gezogen und die Prognose über ein allfälliges zweites Jahr gestellt werden. Es mutet zynisch an, dass gerade bei Jugendlichen mit Beeinträchtigung, wobei es sich häufig um Lern- oder kognitive Beeinträchtigungen handelt, schon nach wenigen Monaten über den weiteren Verlauf der Ausbildung entschieden wird. Zudem ist es eine unbefriedigende Situation, dass die Jugendlichen eine berufliche Bildung beginnen, aber noch gar nicht klar ist, um welche Ausbildung es sich handelt. Denn nur wer zwei Jahre absolvieren kann, erlangt den Ausweis Praktische Ausbildung. Einjährige Ausbildungen haben keine einheitliche Bezeichnung. Sie werden z. B. „IV-Anlehre“ oder „interne Ausbildung“ genannt.

    Erschwerter Zugang zur IV-Rente

    Eine weitere problematische Tendenz, die sich in der Praxis beobachten lässt, besteht darin, dass es einzelne Fälle gibt, in denen das mögliche Einkommen der Jugendlichen nach Abschluss einer PrA von der IV viel zu hoch eingeschätzt wird. Diese Jugendlichen werden damit gänzlich von der IV-Rente ausgeschlossen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich eine Stelle haben. Faktisch stehen diese Jugendlichen ohne Job und ohne IV-Rente da. Auch seitens der Sozialhilfe wird der restriktivere Zugang zu IV-Renten mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Es wird moniert, dass die IV zwar die Anzahl Neurenten von 2003 – 2013 fast halbiert habe. Aufgrund der Erfahrungen der Sozialhilfe liege jedoch die Vermutung nahe, dass lange nicht all diese Personen nachhaltig und existenzsichernd integriert seien, sondern zum Teil Klientinnen und Klienten der Sozialhilfe werden (vgl. Brotschi, 2013).

    Teilhabe und Inklusion: neues Paradigma in der Behindertenhilfe

    Den politischen Prozessen steht ein radikaler, positiver Wandel in der Behindertenarbeit gegenüber. Die Themen Teilhabe und Inklusion wurden insbesondere durch die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung maßgeblich beeinflusst bzw. verbreitet und stellen einen Paradigmenwechsel zur Integrationsdebatte dar. Inklusion, welche auf der Basis von Bürgerrechten argumentiert, fordert das gleiche und volle Recht aller Menschen auf individuelle Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe. „Inklusion bedeutet, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen alle BürgerInnen eines Gemeinwesens ihre selbstbestimmte Teilhabe verwirklichen können. Und das wiederum bedeutet, Zugang zu allen materiellen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten und Prozessen einer Gesellschaft zu haben“ (Fink, 2011, S. 21).

    Abbildung 2. Ohne Titel

    Dekobild

    Foto: GeorgHH wikicommons

    In der Schweiz sind wir meilenweit von einer „inklusiven Gesellschaft“ entfernt. Das Thema löst noch viel Argwohn, Unsicherheit aber auch Angst aus. Inklusion zu Ende gedacht, bedeutet auch ein Loslassen und ein Auflösen bestehender hierarchischer Strukturen. Menschen mit Behinderung sind in diesem Paradigma Expertinnen und Experten für ihr Leben und vor allem in erster Linie Bürger und Bürgerinnen mit Bedürfnissen, Ansprüchen, Träumen und Wünschen wie sie alle Menschen haben. Obwohl Inklusion in unserem Kontext momentan noch als Vision zu verstehen ist, so gibt es doch vielversprechende Konzepte und Ansätze, welche im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

    Gesellschaftliche und berufliche Teilhabe: Modelle für die Zukunft

    Ein erfolgversprechendes Konzept für die nachhaltige Teilhabe am Erwerbsleben ist Supported Employment[3]. Dieses Konzept findet unter dem Stichwort „Supported Education“ zunehmend auch in der beruflichen Bildung von Jugendlichen mit Behinderung Eingang, wobei Supported Education sich auf dieselben konzeptionellen Grundlagen wie Supported Employment stützt, jedoch im Kontext der begleiteten beruflichen Bildung im ersten Arbeitsmarkt zur Anwendung kommt.

    Ein weiterer Ansatz, der zunehmend auch in der Schweiz Beachtung findet, ist die Persönliche Zukunftsplanung (vgl. Zahn, 2013, S. 34). Dieses innovative Konzept umfasst mehrere methodische Planungsansätze, um gemeinsam mit Menschen (mit oder ohne Behinderung), ihren Familien und Freunden positive Veränderungsprozesse auf der Ebene der Person, der Organisation sowie des Gemeinwesens zu gestalten und über die persönliche Zukunft nachzudenken, Visionen für eine positive Zukunft zu entwickeln, Ziele zu setzen und diese mit Hilfe eines Unterstützerkreises Schritt für Schritt umzusetzen[4]. Dabei ist Inklusion, dass heißt die Teilhabe von Mitbürgerinnen und Mitbürgern am sozialen und kulturellen Leben der Gemeinde oder des Quartiers, Ausgangspunkt und Ziel der Persönlichen Zukunftsplanung. Ein Kernelement der Persönlichen Zukunftsplanung sind die Unterstützerkreise. Indem Freunde, Bekannte, allenfalls Lehr- oder Betreuungspersonen etc. – all diejenigen Personen, welche die betroffene Person in ihrem Unterstützerkreis dabei haben möchte – basierend auf den Stärken, Wünschen und Visionen der betroffenen Person mögliche Ziele und Wege entwickeln, ist sehr viel mehr möglich und öffnen sich Perspektiven, die in einem «klassischen Setting» nicht denkbar wären. Beispiele im Ausland zeigen, dass dieser Ansatz sehr erfolgversprechend ist.[5]

    Sowohl Supported Employment als auch der Persönlichen Zukunftsplanung ist gemein, dass es eine Flexibilisierung und Individualisierung der Unterstützung für Menschen mit Behinderung braucht: Die Unterstützung muss individuell für den einzelne Menschen und in seinem jeweiligen Kontext definiert werden. Dies steht häufig im krassen Gegensatz zu den klar definierten, abgegrenzten Leistungen der Sozialversicherungen wie z. B. der IV. Zudem gibt es einen Zielkonflikt: Denn in den beschriebenen Ansätzen geht es in erster Linie um Teilhabe und – im Gegensatz zu den Leistungsfinanzierern – nicht um eine Reduktion der Transferleistungen (vgl. Schaufelberger, 2013, S. 21).



    [3] vgl. z. B. Doose (2007) oder www.supportedemployment-schweiz.ch

    [4] vgl. www.persoenliche-zukunftsplanung.ch

    [5] vgl. z. B. Institut für Sozialdienste Vorarlberg, Spagat: http://www.ifs.at/spagat.html

    Schlussfolgerungen

    Am Anfang steht die Frage nach der Haltung: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ Die Frage danach, ob jemand z. B. arbeitsmarktfähig ist oder nicht, ist das Gegenteil des personen-zentrierten Ansatzes. Wenn jemand selbstbestimmt die Entscheidung getroffen hat, dass er oder sie im ersten Arbeitsmarkt arbeiten möchte, dann stellt sich die Frage, was diese Person an Unterstützung braucht, um dieses Ziel zu erreichen. In diesem Zusammenhang gibt es sehr beeindruckende Erfahrungen von Menschen mit (erheblicher) Behinderung, die ihre Wünsche über den Prozess einer Zukunftsplanung realisieren konnten. Wünsche, die uns mit unseren alten Bildern als vollkommen unrealistisch erscheinen.

    Integration ist ein Recht und keine Pflicht

    Aktuell lässt sich ein enormer «Integrationsdruck » beobachten. Sowohl bei der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe als auch bei der IV ist die Arbeitsmarktintegration das oberste Ziel. INSOS stellt diesbezüglich negative Konsequenzen fest, wenn z. B. Menschen mit psychischer Beeinträchtigung unter Druck gesetzt werden, im ersten Arbeitsmarkt zu bestehen, oder wenn PrA-Lernende schon nach wenigen Monaten in ein Praktikum im ersten Arbeitsmarkt gedrängt werden, auch wenn sie noch nicht so weit sind.

    Interinstitutionelle Zusammenarbeit als erfolgversprechender Weg

    Die berufliche Bildung von Jugendlichen mit Behinderung ist ein Querschnittthema, das verschiedene Bundesämter bzw. auf kantonaler Ebene verschiedene Departements betrifft. Solange die einzelnen Akteure ihre Leistungen noch enger definieren und damit Ausschluss schaff en, wird die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung für viele Betroffene ein frommer Wunsch bleiben. Vielmehr braucht es die interinstitutionelle Zusammenarbeit, so wie es z. B. die Autoren Lindenmeyer und Walker in der SECO-Studie (2010, S. 84) für die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung vorschlagen: eine „One- Window“-Struktur, d. h. eine Anlaufstelle für Menschen mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf, mit einem gemeinsamen Finanzpool. Denn Fakt ist: Junge Menschen mit Beeinträchtigung gibt es, und es ist gut, dass es diese Menschen gibt!

    Abbildung 3. Susanne Aeschbach

    Portraitfoto von Susanne Aeschbach

    Susanne Aeschbach ist Diplom Sozialarbeiterin und seit Herbst 2013 an der Hochschule Luzern Projektleiterin zu den Themen Arbeitsintegration, berufliche Bildung von Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf.

    Kontakt und nähere Informationen

    Hochschule Luzern - Soziale Arbeit

    Werftestrasse 1, Postfach 2945, 6002 Luzern

    Tel: +41 41 367 48 67

    Mail: susanne.aeschbach@hslu.ch

    Internet: www.hslu.ch

    Der Artikel ist bereits in der Schweizerischen Zeitschrift für Heilpädagogik (SZH) in der Ausgabe 11-12/2013 erschienen. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck.

    Quelle

    Susanne Aeschbach: Beruflich Bildung für alle! Aktuelle politische Entwicklungen in der Schweiz. Erschienen in: impulse Nr. 69/2014, Seite 16-21.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 29.06.2016

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