Die konsequente Umsetzung des Persönlichen Budgets für die Teilhabe an Arbeit scheitert an zwei heiligen Kühen

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 48, 4/2008, S. 44-45. impulse (48/2008)
Copyright: © Monika Scholdei-Klie 2008

Die konsequente Umsetzung des Persönlichen Budgets für die Teilhabe an Arbeit scheitert an zwei heiligen Kühen

In den letzten Monaten ist viel über die Nutzung Persönlicher Budgets im Bereich Arbeit, insbesondere der Werkstattleistungen, diskutiert worden. Die Position des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist bekannt, wenn auch nicht unumstritten: So wird von Seiten des Ministeriums argumentiert, dass durch den Einsatz des Persönlichen Budgets außerhalb der Einrichtung WfbM ein neuer Leistungstatbestand geschaffen wird, der nicht durch das geltende Recht gedeckt ist. Werkstattleistungen können daher nur in Verantwortung und in Abstimmung mit einer WfbM durchgeführt werden. Ein Zitat aus unserem Schriftwechsel:

"Das Persönliche Budget ist keine neue Leistungsart, sondern eine neue Leistungsform. Es kann deshalb nur für eine Leistung erbracht werden, auf die der behinderte Mensch auch ohne Budget einen Anspruch hat. Einen Anspruch auf Werkstattleistungen haben aber behinderte Menschen, die zu ihrer Teilhabe am Arbeitsleben nicht auf eine Werkstatt angewiesen sind, nicht. Es kann auch nicht Ziel sein, nicht werkstattbedürftigen behinderten Menschen über einen Umweg über eine budgetierte Werkstattleistung den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen."

Nach meinem Verständnis dreht man sich hier argumentativ im Kreis. Selbstverständlich geht es um Personen, die "werkstattbedürftig" sind, und selbstverständlich kann man nur ein Persönliches Budget in Anspruch nehmen, wenn man auch dementsprechend leistungsberechtigt ist - das gilt für alle Bereiche der Nutzung des Persönlichen Budgets. Bei allen anderen Leistungen können sich die BudgetnehmerInnen jedoch die durchführenden Träger aussuchen (das ist ja gerade der Sinn des Persönlichen Budgets), bei extern angebotenen Werkstattleistungen soll dies nur in Verantwortung der Werkstatt möglich sein. Das Gesamtpaket "Werkstatt" ist damit nicht budgetfähig. Die Abhängigkeit von der Werkstatt bleibt bestehen. Das klassische Leistungsdreieck aus LeistungsträgerIn, LeistungserbringerIn und LeistungsempfängerIn wird in diesem Fall nicht aufgelöst.

Wir hatten uns vom Persönlichen Budget eine echte Wahlmöglichkeit zwischen ambulantem und stationärem System erhofft, weil wir im Laufe unserer jahrelangen Eingliederungsbemühungen[1] immer wieder erleben mussten, dass - trotz sozialer Integration von Jugendlichen in Firmen und trotz guter Einarbeitung von ihnen - die Einstellung in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze letztlich an der Hürde der Rentabilität, der Wirtschaftlichkeit scheiterte. Dass es auch immer wieder ArbeitgeberInnen gibt, deren soziales Gewissen über diese Hürde hinweg sieht, ist erfreulich; dass es in der Gruppe der Menschen mit so genannter geistiger Behinderung auch immer wieder Frauen und Männer gibt, die in den ihren Bedürfnissen entsprechend eingerichteten und strukturierten Arbeitsplätzen Leistungsstärke beweisen und sich deren Einstellung auch für die ArbeitgeberInnen finanziell lohnen kann, rechtfertigt Projekte zur Unterstützten Beschäftigung.

Aber was ist mit den Menschen, die nicht unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes arbeiten können? Was ist mit ArbeitgeberInnen, die in ihren Betrieben gerne einen Integrationsplatz zur Verfügung stellen möchten, dafür aber kein Geld haben und auch keinen entsprechenden finanziellen Ausgleich erhalten?

In den letzten Veranstaltungen zu diesem Thema musste ich nun vernehmen, dass unsere Erwartungshaltung möglicherweise zu hoch sei. Ach ja?

Auf den gleichen Veranstaltungen wird von Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verlautbart:

"Mit dem Persönlichen Budget wird das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen konkretisiert. Leistungen in der Leistungsform des Persönlichen Budgets können alle behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen erhalten, und zwar unabhängig von der Art und der Schwere der Behinderung und unabhängig von der Art der benötigten Leistungen".

Was kann da missverstanden werden?

Gemäß des Grundprinzips des Persönlichen Budgets wäre es einfach: Die nicht unerheblichen Kosten, die für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen an die WfbM fließen, könnten als Persönliche Budgets ausgezahlt werden. Diese könnten an ArbeitgeberInnen weitergereicht werden, die davon Lohn und die entsprechenden Sozialabgaben zahlen könnten; außerdem würde es vermutlich noch ausreichen, um eine personelle (inner- oder außerbetriebliche) Begleitung und Unterstützung zu finanzieren. Menschen mit Behinderungen wären damit Herren bzw. Frauen über ihr eigenes Budget. Sie könnten entscheiden, wo sie arbeiten möchten: in der WfbM oder in einem anderen Betrieb.

Dies scheitert jedoch an den beiden bisher wohl geordneten Arbeitsmärkten (allgemeiner und geschützter). Zum einen - so meine Vermutung - befürchtet man eine Aushöhlung des Leistungsund Lohnprinzips auf dem 1. Arbeitsmarkt, zum anderen unterliegen die WfbM einer so hohen Regelungsdichte, das man sich anscheinend handlungsunfähig gemacht hat.

Nun wird auf der einen Seite immer wieder kritisch vermerkt, dass es zu wenige Anträge auf Persönliche Budgets im Arbeitsbereich gibt, auf der anderen Seite werden jedoch Kriterien festgelegt, die eine verstärkte Nutzung des Persönlichen Budgets in diesem Bereich gar nicht erlauben. Auch die beiden speziell aufgelegten Projekte zum Persönlichen Budget im Arbeitsbereich in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz und Niedersachsen werden - meine Prognose - die Anzahl persönlicher Budget nicht eklatant erhöhen können, weil beide Modelle an der grundlegenden Struktur der zwei getrennten Arbeitsmärkte nichts ändern: Sie zielen beide auf eine Übernahme in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt; ArbeitgeberInnen können in Rheinland-Pfalz 70% Lohnausgleich zum Tariflohn erhalten, in Niedersachsen bis zu 100%.

Positiv zu werten ist bei diesen Modellen, dass Berufliche Teilhabe und Gleichstellung verwirklicht wird. Menschen mit Behinderung erhalten einen Tariflohn, sie sind im Besitz der üblichen Arbeitnehmerrechte. Was ist aber mit den Menschen in den Werkstätten, bei denen die Fachleute zu dem Ergebnis gekommen sind, dass sie die Eignung für den Übergang nicht besitzen (Rheinland- Pfalz)? Was ist mit den Menschen, die es nicht schaffen, einen Arbeitsvertrag zu erhalten (Niedersachsen)? Denn, wenn man mal von einigen Fehlbelegungen absieht, handelt es sich schließlich um einen Personenkreis, der eben nicht unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes arbeiten kann (sonst wären sie ja nicht in einer WfbM). Kommt für sie das Ziel: Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes nicht einer Quadratur des Kreises gleich?

Nicht nur nach Ansicht der BAG Gemeinsam leben - gemeinsam lernen wird man damit nicht mit einer deutlichen Steigerung der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets rechnen dürfen; auch Werkstätten teilen die Einschätzung, dass dieses Instrument nur für einen geringfügigen Anteil aller Werkstattbeschäftigten eine echte Chance zur Integration bietet.

Daran wird sich - so meine Einschätzung - auch nichts durch die neue Maßnahme der Unterstützten Beschäftigung ändern, so lange diese auf Beschäftigungen unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes zielt. So lange ArbeitgeberInnen tariflich entlohnen müssen und dafür keine adäquate Leistung, bzw. keinen hinreichenden Ausgleich erhalten, werden sie stark eingeschränkte Personen nicht einstellen. Notwendig wäre bei dieser Zielgruppe langfristig ein voller Lohnausgleich und ein den individuellen Bedürfnissen angepasstes job coaching, um nachhaltige Erfolge bei der beruflichen Integration zu erreichen. Aber da höre ich schon wieder die Gegenseite der Argumentation: Wettbewerbsverzerrung, Aushöhlung des Leistungsprinzips...

Notwendig wäre die Beschreitung neuer Wege, wenn man Selbstbestimmung und ein Leben nach dem Wunsch- und Wahlrecht wirklich umsetzen möchte, und dazu muss man wohl an beide "heilige Kühe" rühren: den allgemeinen Arbeitsmarkt und das Werkstatt-Recht. Auf dem ersten Arbeitsmarkt muss man sich - wenn man die Integration von Menschen unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung Ernst nehmen will - auf ihre individuellen Bedarfe einstellen und endlich damit aufhören, sie an einem wie auch immer normiertem Leistungsvermögen zu messen.

Und das Werkstättenrecht, das institutionell geprägt ist, fördert mit seinen teilstationären Einrichtungen die "Rundum-Sorglos-Pakete". Was für manche Eltern, Kostenträger, Verwaltungen, Träger der Einrichtungen und vielleicht auch für die Geschäftspartner aus der Wirtschaft angenehm ist, passt nicht mehr zu den neuen Paradigmen der Selbstbestimmung, Wahlmöglichkeiten, der individuellen personenzentrierten Hilfen, der Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderung.

Davon, dass jeder Mensch mit Behinderung sein Päckchen schnüren und wirklich selbst bestimmen kann, wohin es mit ihm gehen soll, sind wir leider noch immer weit entfernt; es liegt aber auch keine kleine Aufgabe vor uns.

Monika Scholdei-Klie



[1] Die LAG Gemeinsam leben - gemeinsam lernen führt in Frankfurt seit fast 10 Jahren eine Berufsvorbereitende Maßnahme für Jugendliche mit umfangreicher Lernbehinderung, Autismus oder geistiger Behinderung nach der Methode der Unterstützten Beschäftigung durch und hat seitdem ca. 85 Jugendliche beruflich orientiert, qualifiziert und zu ca. 1/3 in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse vermittelt.

Kontakt

Monika Scholdei-Klie

BAG Gemeinsam leben - gemeinsam lernen

Falkstr. 106, 60487 Frankfurt

Fon: 069 / 71916948

E-Mail: scholdei-klie@gemeinsamlebengemeinsamlernen.de

Quelle:

Monika Scholdei-Klie: Die konsequente Umsetzung des Persönlichen Budgets für die Teilhabe an Arbeit scheitert an zwei heiligen Kühen

erschienen in: impulse Nr. 48, 4/2008, S. 44-45.

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Stand: 07.02.2011

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