Unterstützung behinderter Menschen am allgemeinen Arbeitsmarkt im Ökonomisierungstrend

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 46/47, 2 + 3/2008, Seite 21-25. impulse (46/47/2008)
Copyright: © Alexandra Kühn, Maike Rüter 2008

Unterstützung behinderter Menschen am allgemeinen Arbeitsmarkt im Ökonomisierungstrend

Der Arbeitsmarkt stellt wirtschaftliche Anforderungen an Beschäftigte in Form von kontinuierlicher Leistungsfähigkeit, steigender Belastbarkeit und Flexibilität, denen viele Menschen aufgrund von körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigungen ohne Begleitung und Arbeitsplatzgestaltung nicht standhalten können. Welche Anforderungen werden in diesem Zusammenhang an Soziale Arbeit gestellt?

SozialarbeiterInnen[1] im Bereich der beruflichen Rehabilitation begleiten Menschen in verschiedenen Arbeitsverhältnissen und Beschäftigungsformen auf dem so genannten dritten Arbeitsmarkt, der Werkstatt für behinderte Menschen und dem zweiten Arbeitsmarkt in Form von geförderten Beschäftigungsverhältnissen. Am Beispiel dieses Arbeitsfeldes wurde im Rahmen einer quantitativ und qualitativ ausgewerteten Untersuchung nachgewiesen (vgl. KÜHN/RÜTER 2008), dass ökonomische Bedingungen starken Einfluss auf Haltung, Aufgabe und Selbstverständnis von SozialarbeiterInnen ausüben können. Zunächst wurden in der Untersuchung vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten als Alternative zu den klassischen Werkstattarbeitsplätzen in den Untersuchungsregionen mit Hilfe eines Fragebogens erfasst und quantitativ ausgewertet. Ausgangslage hierfür waren die Bereiche: ‚Art der Beschäftigungsmöglichkeit' und ‚Art der der Unterstützung durch Soziale Arbeit'. Ziel der Befragung war es, Datenmaterial zu sammeln, um die Landschaft der beruflichen Rehabilitation in Hamburg und städtische Bereiche Niedersachsens bezüglich der Angebote außerhalb von klassischen Arbeitsgruppen in Werkstätten für behinderte Menschen abzubilden.

Insgesamt wurden 43 Träger in den Städten Hannover, Hamburg, Oldenburg, Osnabrück, Braunschweig und Wolfsburg befragt.

Ergänzend zu der quantitativen Untersuchung wurden ExpertInneninterviews bei den befragten Trägern durchgeführt und in Anlehnung an die Grounded Theory qualitativ ausgewertet. Diese insgesamt sechs Interviews verteilten sich auf SozialarbeiterInnen, die als Repräsentanten von verschiedenen Trägern mit unterschiedlichen Angeboten für behinderte Menschen fungieren. Dazu zählten zum einen Integrationsfachdienste und Integrationsprojekte, zum anderen Werkstätten mit Außenarbeitsplätzen in Betrieben oder angeschlossenen Integrationsbetrieben. (Eingefügte Zitate stammen aus den Interviews)



[1] Mit SozialarbeiterInnen sind in diesem Artikel alle MitarbeiterInnen von Fachdiensten der beruflichen Rehabilitation gemeint und zusammengefasst, egal ob sie in einer WfbM, einem IFD oder einer Integrationsfirma beschäftigt sind.

SozialarbeiterInnen unterliegen dem Wettbewerb in zweifacher Weise

Zum einen begleiten SozialarbeiterInnen ihre Klienten in einem Arbeitsmarkt, der steigende Anforderungen an ArbeitnehmerInnen stellt vor dem Hintergrund einer hohen Arbeitslosenzahl und einer Zunahme von prekären und atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Zum anderen müssen SozialarbeiterInnen selber in einem schärfer werdenden Wettbewerb des Marktes ´Soziale Dienste` bestehen.

"Wir müssen uns mehr und mehr positionieren (...), wir sorgen für Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Und ich glaube, dass ich in Zukunft einen Job haben werde, wo ich nicht mehr ein festes Büro haben werde, sondern eigentlich nur noch mit dem Auto und ein Handy und einem Laptop durch die Gegend flitze. Weil immer mehr ambulantisiert wird. (...) Der Kostendruck wird steigen. Das ist vollkommen klar. Das tut er schon seit 10 Jahren" (I2, Beispiel WfbM).

Vor dem Hintergrund der wachsenden ökonomischen Einflüsse besteht die Gefahr, dass das politische Mandat der Sozialen Arbeit sowie reflektierte lebensweltorientierte und ethische Bezüge an Gewicht im subjektiv wahrgenommenen Anforderungsprofil verlieren. In der Darstellung des Berufsfeldes der befragten SozialarbeiterInnen nehmen ökonomische Aspekte und Strategien viel Raum ein.

"Bei ehemals psychisch Kranken ist es sehr schwankend, das Leistungsvermögen. Also schlecht berechenbar. Nicht wie bei geistig behinderten Menschen in einer Werkstatt. Das kann man dann auch besser rechnen. Ja, und das bringt es zwangsläufig mit sich, dass eigentlich nur noch Integrationsprojekte überlebensfähig sind, die voll am ersten, am normalen Arbeitsmarkt mitmischen und da in Konkurrenz stehen" (I6, Beispiel IP).

Die befragten Fachkräfte betrachten sich als KonfliktgestaltInnen zwischen bipolar wahrgenommenen Anforderungen: Ökonomische Anforderungen werden zum Teil als Widerspruch zu Ansprüchen der Sozialen Arbeit gesehen. Ursachen werden zum großen Teil an schlechten Rahmen- und Finanzierungsbedingungen festgemacht.

"Wir müssen uns schützen, um eine qualitativ hochwertige Arbeit anbieten zu können, indem wir individuell auf die Person eingehen können. Und das ist nur möglich, wenn die Fallzahlen entsprechend so gestaltet sind, dass auch eine individuelle Begleitung noch (...) möglich (d.V.) ist, und nicht das derjenige, der einen hohen Bedarf an Begleitung hat, nur noch hinten runter fällt" (I1, Beispiel IFD).

Ergebnisse der qualitativen Untersuchung machen deutlich, dass Soziale Arbeit sich ökonomischen Anforderungen stellt, indem sie Menschen mit Beeinträchtigungen bildet und fördert. Hierbei sehen SozialarbeiterInnen ein Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der ArbeitgeberInnen sowie den Einschränkungen der AdressatInnen bezogen auf deren Leistungsfähigkeit.

Tendenziell weniger Gewicht wird der Bedeutung der Veränderung der Rahmenbedingungen und des Umfeldes in Form von Anpassung des Arbeitsplatzes oder durch den Versuch, strukturelle Veränderungen der beruflichen Rehabilitation oder der Bedingungen des Gemeinwesens herbeizuführen, zugeschrieben. SozialarbeiterInnen fühlen sich häufig als Vermittler zwischen Betrieb und behinderten Menschen. Hierbei finden sie sich zum Teil zwischen dichotomisch wahrgenommenen Interessenfeldern wieder.

"(...) aber auch dahin wirken, dass Arbeitgeber auch wieder mehr dahin tendieren, wieder mehr sozialer Arbeitgeber zu sein und auch behinderten Menschen eine Chance zu geben" (I4, Beispiel IFD).

"Der Sozialarbeiter muss zum Unternehmer werden, er muss Produktionsziele erfüllen, er muss für Kostendeckung sorgen. Und er gerät dann in Konflikt, wenn die Leistungsfähigkeit der Person, für die der Betrieb eigentlich gemacht wurde, nicht ausreicht. Er ist zwei Personen in einer. Betreuer und Vorgesetzter. Und das ist ein Konflikt (...). Also ist er eigentlich nur noch Sozialarbeiter, um den Hintergrund zu verstehen, um für sich selber zu wissen, warum mache ich das hier eigentlich. Und wie ist mein Verhalten dadurch beeinflusst" (I6, Beispiel IP).

Unterschiedliche Bedingungen nehmen Einfluss auf SozialarbeiterInnen

Widerstände und Barrieren für unterstützte Arbeitsplätze in Betrieben liegen in der wirtschaftlichen Situation, genauer in einer hohen Arbeitslosenquote und in der fehlenden Erfahrung über Unterstützte Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen sowie dessen flächendeckende Finanzierung. Zudem fehlt ArbeitgeberInnen nicht selten die Bereitschaft, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. In Betrieben sind nur geringe Vorstellungen über deren Kompetenzen vorhanden.

"Es gibt schon klassische Einwände, diese Angst davor, dass die eben gar nichts können. Die können dem kein Messer in die Hand geben. Aber das ist ja relativ schnell auch wieder aus der Welt geschafft. Wenn wir den Fuß in der Tür haben und im Praktikum sind, erleben wir erst mal eine große Offenheit und Neugierde" (I4, Beispiel IFD).

Unterstützte Beschäftigte brauchen unter Umständen dauerhafte Assistenz und manchmal auch Pflege während der Arbeitszeit, ihre körperliche und/ oder psychische Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt. Darüber hinaus kann das Nichterreichen des Beschäftigtenstatus nach Tariflohn eine Hürde sein, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Es fehlen Unterstützungssysteme außerhalb von (teil)stationären Einrichtungen. Um eine Veränderung herbeizuführen, ist eine langfristige Strukturveränderung auf mehreren Ebenen der Gesellschaft nötig (vgl. DOOSE 1997, 28ff).

Verstärkt Bedingungen in eine reflexive und fallübergreifende Soziale Arbeit einzubeziehen ist eine Schlussfolgerung der Forschungsarbeit. Hierzu gehört neben individuellen Bedingungen auch der kritische Einbezug wirtschaftlicher, gesellschaftlicher sowie theoretischer Entwicklungen für die Soziale Arbeit. Die Untersuchung bestätigt die zum Teil schwierigen ökonomischen Bedingungen für Soziale Arbeit und weist nach, dass Soziale Arbeit trotz des Eingebundenseins in differenzierte institutionelle Bedingungen ein ähnliches Anforderungsprofil wie privatwirtschaftliche Unternehmen aufweist. So sind die zunehmende Ökonomisierung und der Umgang mit ihr in der beruflichen Rehabilitation eine Herausforderung an die Professionalisierung der Sozialen Arbeit. Zum einen geht es um Theoriewissen, um Haltung und Menschenbilder sowie um die Wechselwirkung zwischen theoretischem Wissen und praktischer Arbeitsgestaltung.

In betriebsnahen Settings wie der Begleitung durch den Integrationsfachdienst ist in der Befragung der Trend zu beobachten, dass Soziale Arbeit sich eher ökonomischen Interessen anpasst. Um wirtschaftlichen Zuweisungen an ArbeitnehmerInnen zu entsprechen, versuchen SozialarbeiterInnen, Menschen mit Behinderung an ökonomischen Ansprüchen anzupassen. Ethische Überlegungen treten hierbei in den Hintergrund. Im häufig durch Konkurrenz und Trägerinteressen geprägten System der beruflichen Rehabilitation wird an diesem Beispiel deutlich, dass Menschen mit Behinderungen unter Umständen von Dienstleistungen ausgeschlossen werden.

Wenn berufliche Rehabilitation nur das Ziel hat, die individuelle Leistungsfähigkeit optimal auszugestalten, geht das Arbeitsprinzip der Unterstützten Beschäftigung mit Ihrem Anspruch über die rechtliche Zielsetzung der beruflichen Rehabilitation hinaus. Ihr geht es um die positive Veränderung der Lebenssituation behinderter Menschen sowie darum, die ständige Unterstützung von Menschen mit hohem Hilfebedarf am Arbeitsplatz in Betrieben zu erreichen (vgl. DOOSE 1997, 31ff).

Soziale Arbeit in der beruflichen Rehabilitation kann ihren individuumszentrierten Blick erweitern

Im Professionsmodell nach Heiner, Soziale Arbeit als intermediäre Vermittlungsinstanz zu entwickeln, wird Abstand genommen von einer reinen bipolaren Betrachtungsweise. Handlungsansätze in den Mittelpunkt stellend, versteht sich Soziale Arbeit als Vermittlungsinstanz, die mit den gegebenen Bedingungen versucht umzugehen, ohne sie zu verschweigen oder als unüberwindbar zu betrachten (vgl. HEINER 2005, 29f).

Eine fall- und situationsweise Analyse macht eine generelle Verortung in einer Interessenlage überflüssig. Die Grundlage für die Arbeit als Vermittlungsinstanz erfordert, mögliche Spannungsfelder zwischen AuftraggeberInnen und InteresseninhaberInnen, vor allem Menschen mit Behinderung, transparent zu machen, sich den Konflikten zu stellen und konstruktiv damit umzugehen. Durch den dreigeteilten Anspruch Heiners an Soziale Arbeit (fallspezifisch, fallunspezifisch und fallübergreifend) wird der bisher individuumsbezogene Ansatz der Behindertenhilfe ergänzt durch den Handlungsansatz der fallübergreifenden Arbeit, einem klassischen Auftrag der Stadtteil- oder Gemeinwesenarbeit. Das Handlungskonzept der unterstützten Beschäftigung integriert beispielsweise die Umgebung von Menschen mit Behinderung in ihre Qualifizierungsbemühungen in sofern, dass es davon ausgeht, dass das private Umfeld Einfluss auf eine Beschäftigungssituation hat und umgekehrt. SozialarbeiterInnen haben hierbei die Aufgabe, den Integrationsprozess zu kommunizieren und Unterstützer zu aktivieren (vgl. HORIZON-Arbeitsgruppe 1999, 74ff).

"Jedenfalls wie ich sie (die Soziale Arbeit, d.V.) verstehe, würde ich mich auch noch mit der (...) Lebenssituation auseinandersetzen. Wo kann ich noch was ändern. Und arbeiten gehen hängt ganz viel mit: Dann habe ich auch eine eigene Wohnung, dann organisiere ich mir mein Leben selbst, dann mache ich Tagesstruktur, dann muss ich mit Kollegen umgehen. Also es sind ganz viele Felder, die so in die Soziale Arbeit mit rein greifen. Natürlich jemanden auch bei der Bewältigung von Alltagsanforderungen, welcher Art auch immer, zu unterstützen" (I2, Beispiel WfbM).

Fallübergreifend tätig zu werden bedeutet darüberhinaus zum Beispiel, sich zu vernetzen und in (lokalen) Gremien, im Sozialraum oder im Stadtteil mit oder für die Menschen mit Behinderung Lebensbedingungen zu verbessern (Vgl. HEINER 2004, 157). Für den Bereich Wohnen bereits bekannte Forschungs- und Handlungsansätze mit den Zielperspektiven Teilhabemöglichkeiten und Inklusion sollten anschlussfähig sein an den Bereich Arbeit. Den Sozialraum behinderter Menschen einbeziehend, kann Behindertenhilfe bekannte gemeinwesenbezogene Handlungsansätze entwickeln sowie kommunale Sozialplanung und Behindertenhilfe verknüpfen (vgl. SEIFERT 2007, o.S.). Für die berufliche Rehabilitation spielen beispielsweise Firmen oder öffentliche ArbeitgeberInnen und deren Akzeptanz, nicht isolierte Beschäftigungsmöglichkeiten für behinderte Menschen zu schaffen, eine wichtige Rolle für die Infrastruktur und das Zusammenleben eines Stadtteils.

Im Zusammenhang mit Sozialraumorientierung wurden bereits in der Jugendhilfe und der Jugendarbeit Prinzipien der Gemeinwesenarbeit aufgegriffen und in Verbindung mit den Schlagwörtern "offene bzw. flexible Hilfen" (vgl. z.B. KOCH u.a. 2002) oder "vom Fall zum Feld" (HINTE u.a. 1999) diskutiert. Im Zentrum steht neben dem Einbezug von Gemeinwesenarbeit die Orientierung an Maximen der Lebensweltorientierung. Der achte Kinder- und Jugendbericht stieß in einer breiteren Diskussion einen Perspektivenwechsel an, der die Kinder- und Jugendhilfe auffordert, neue Handlungsformen zu erproben und zusätzliche Aufgaben in fallübergreifenden Feldern wahrzunehmen (vgl. WOLFF 2002, o.S.).

Worum es hier geht, beschreibt Schröer, wenn er sagt, dass sich Hilfen um das Richtziel ansiedeln, Wirkungen im Sinne einer Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erzielen und positive Lebensbedingungen zu schaffen (vgl. SCHRÖER 2003, o.S.).

Gemeinwesenarbeit (vgl. HINTE 2006, o.S.) orientiert sich an den geäußerten Interessen von BewohnerInnen eines Stadtteils. Sie unterstützt Selbsthilfekräfte und Eigeninitiative und geht von Ressourcen der Menschen eines Sozialraums aus. Nicht der Blick auf den Einzelfall ist entscheidend, sondern ein zielund bereichsübergreifender Ansatz. Ein gemeinwesenbezogener Ansatz Sozialer Arbeit aktiviert und initiiert die Kooperation sozialer Dienste. Konsequenz eines solchen Ansatzes ist beispielsweise die Schaffung von mehr ambulanten Unterstützungsmöglichkeiten sowie deren Kooperation im Gemeinwesen.

Stadtteilarbeit als Arbeitsprinzip aufzufassen bedeutet, zwischen den Handlungsebenen z.B. von Sozialräumen, Lebenswelten, Bürgerorganisationen, Trägerorganisationen, Kommunalpolitik sowie lokaler Ökonomie zu arbeiten und sich zu bewegen. SozialarbeiterInnen fällt dabei die Funktion zu, aufzuklären und Informationen weiterzugeben. Da Konfliktpotential bei der Anzahl der Beteiligten kaum auszuschließen ist, müssen Fachkräfte den Willen zur Kooperation vermitteln und mit Konflikten umzugehen wissen (vgl. RÜTER 2004, 40f).

Klöck betont, dass Soziale Arbeit nur ein Teilbereich des Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit ist (vgl. KLÖCK o.J., o.S.). Für die berufliche Rehabilitation kann es deshalb darauf ankommen, dass sich SozialarbeiterInnen z.B. im Teilbereich der lokalen Ökonomie mit weiteren Fachkräften vernetzen und ihr Handlungsrepertoire mit fallunspezifischer Arbeit bereichern.

"Es entstehen oft über die Praktikumsverhältnisse in der regionalen Wirtschaft Anknüpfungspunkte. Da man als Sozialarbeiter jemanden kennt, ein gutes Verhältnis zu dem hat (...) und gelernt hat: Was wollen die eigentlich, was brauchen die, was haben die für eine Produktion, und die dann jemand anderes anbieten" (I6, Beispiel IP).

Für fallunspezifische Arbeit kann das Arbeitsprinzip ein Qualitätsmerkmal sein und bedeutet, dass gewohnte und möglicherweise bisher ausreichende Handlungsbereiche der Sozialen Arbeit in der Behindertenhilfe überschritten werden. Dafür bedarf es zukünftig der Akzeptanz sowie dem Ausgestaltungswillen durch die Profession und der Träger sowie der Finanzierungsmöglichkeit durch die Kostenträger.

Soziale Arbeit bewegt sich in einem Netz unterschiedlicher Erwartungen und Interessen

Welche Spannungsfelder und Widerstände zurzeit im Feld der beruflichen Rehabilitation auftreten, die im Falle eines lebensweltorientierten und stadtteilbezogenen Ansatzes überwunden werden müssen, wird in der Befragung deutlich. Soziale Arbeit befindet sich in einem Netz aus unterschiedlichen Anforderungen, die zum einen von Seiten des Kostenträgers gespeist werden und zum anderen von Seiten des Leistungsträgers in der Rolle des eigenen Arbeitgebers.

Die sich verschärfende Marktsituation sozialer Dienste ist darüber hinaus eine Situation, die mögliche Kooperationsbereitschaften zwischen Trägern schwächen kann. Darüber hinaus bestehen Ansprüche aus Sicht des (potentiellen) Arbeitsgebers der behinderten Menschen, sowie von behinderten Menschen und deren Bezugssystemen selbst. Es werden sehr differente Anforderungen an das Fähigkeitsprofil der SozialarbeiterInnen gestellt, die, wie in den Interviews angeführt, von einer Person häufig kaum zu leisten sind. Soziale Arbeit versteht sich als "Zauberer, der Hilfen erfinden"[2] muss.

Die Befragten entwerfen zwei unterschiedliche Bilder von Sozialer Arbeit. Zum einen der managementorientierte, ökonomisch denkende Sozialarbeiter, der nur untergeordnet anwaltlich für die Interessen der Adressaten eintritt. Dieses Bild steht das fürsorgerische, überbehütende Modell von Sozialer Arbeit entgegen.

Die Ergebnisse lassen insgesamt fordern, dass Soziale Arbeit sich verstärkt mit gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Bedingungen auseinandersetzen sollte und diese in Reflexionsprozesse einordnen muss. Angesprochen ist hiermit auch die Selbstreflexion der SozialarbeiterInnen, weil die eigene Person als Werkzeug gesehen wird (vgl. VON SPIEGEL 2004, 84), um mit den dahinter liegenden bewussten Haltungen und Theoriebezügen Soziale Arbeit professionell zu gestalten. Nach dem theoretischen Professionsentwurf von Heiner ist es beispielsweise möglich, sich den ökonomischen Bedingungen zu stellen, ohne die Interessen der Adressaten aus dem Blick zu verlieren.

Soziale Arbeit benötigt Reflexionskompetenz und Reflexionswissen (vgl. VON SPIEGEL 2004, 80ff), um Interessenslagen und Bedingungen immer wieder neu zu analysieren, und um stellvertretend für Menschen mit Behinderung handeln zu können oder um deren Mitbestimmung zu unterstützen. Mit einem gemeinsamen Bewusstsein über Spannungsfelder, einfließenden hemmenden sowie fördernden Rahmenbedingungen und mit Kenntnissen über handlungsleitende Modelle von Professionalität in der beruflichen Rehabilitation könnte Soziale Arbeit ein gemeinsames und stärkeres Professionsverständnis aufbauen.

Die Untersuchungsergebnisse belegen, dass in der beruflichen Rehabilitation stark individuumszentriert gearbeitet wird. Unter dem ökonomischen Druck auf Menschen mit Behinderung und SozialarbeiterInnen und mit dem erklärten Ziel der Sozialen Arbeit, Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt umzusetzen, dürfen jedoch weitere Ziele und Bewältigungsanforderungen nicht ausgeblendet werden.

Hier zeigt sich ein Bedarf an Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation und der sie umgebenden Gesellschaft, Inklusion umzusetzen und umsetzbar zu machen. Dass Sozialraumorientierung und Gemeinwesenarbeit beispielsweise nicht nur ein neu entdecktes Thema der Jugendhilfe und Jugendarbeit ist, die die Aufgabe haben, ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen, sondern auch einen wichtigen Aspekt für Menschen mit Behinderung darstellt, deckt sich mit der dringlich werdenden Forderung nach Inklusion für Menschen, deren Teilhabemöglichkeiten entscheidend durch das Verhalten und durch die Ausgestaltung ihrer Umwelt beeinflusst werden.

Eine dies bedenkende professionelle Soziale Arbeit bezieht neben der individuumszentrierten Tätigkeit deshalb die Veränderung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung in ihr Handeln ein (vgl. HEINER 2004, 157), wobei Menschen mit Behinderung darin unterstützt werden, als gleichberechtigte Bürger mit Rechten und Pflichten im Gemeinwesen ihre Anliegen einbringen zu können.



[2] Zitat aus einem Interview

Literatur

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Kontakt

Alexandra Kühn

Lehmbarg 31a, 27721 Ritterhude

Tel.: 04292 / 992944

E-Mail: alexandrakuehn@gmx.net

Maike Rüter

Deichstr. 87, 27318 Hoya

E-Mail: maike.rueter@gmx.net

Quelle:

Alexandra Kühn, Maike Rüter: Unterstützung behinderter Menschen am allgemeinen Arbeitsmarkt im Ökonomisierungstrend

erschienen in: impulse Nr. 46/47, 2 + 3/2008, Seite 21-25.

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Stand: 06.10.2010

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