Unterstützte Beschäftigung

Teilhabe im Spektrum zwischen allgemeinem Arbeitsmarkt und der Arbeit innerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

Autor:in - Angelika Thielicke
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 34, Juli 2005, Seite 20 - 21. impulse (34/2005)
Copyright: © Angelika Thielicke 2005

Unterstützte Beschäftigung

Unterstützte Beschäftigung ist bezahlte Arbeit in einem regulären Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes für einen Menschen mit Behinderung, der, um in diesem Betrieb arbeiten zu können, der besonderen Unterstützung bedarf.

Es wäre jedoch falsch aus dieser Definition den Schluss zu ziehen, das Konzept Unterstützte Beschäftigung ließe sich auf eine sehr kleine, besonders leistungsfähige Gruppe von Menschen mit Behinderungen reduzieren.

Unterstützte Beschäftigung ist vielmehr offen für alle Menschen mit Behinderungen. Dies gilt unabhängig von der Art und Schwere ihrer Behinderung und ist nicht beschränkt auf die sogenannten Leistungsstarken, von denen mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sie irgendwann nach ausreichender Förderung und geeigneter Qualifizierung reguläre Arbeitnehmer des allgemeinen Arbeitsmarktes werden können. Unterstützte Beschäftigung -ein ursprünglich aus den USA stammender methodischer Ansatz -stellt den einzelnen Menschen mit seinen Fähigkeiten und Stärken in den Mittelpunkt, ohne dabei seine Behinderung aus den Augen zu verlieren. Der wesentliche Unterschied zu anderen Förder- und Qualifizierungsansätzen liegt darin, daß Unterstützte Beschäftigung von vorne herein in regulären Betrieben stattfindet. Es gibt keine überbetrieblichen "Trockenübungen" bis der potentielle "Schwimmer" für "schwimmfähig" erklärt wird und zum "Sprung ins kalte Wasser" ansetzen muß, sondern die vorhandenen Fähigkeiten werden von Anfang an in reale Arbeitsprozesse an realen Arbeitsorten eingebracht und dort systematisch weiterentwickelt.

Auch wenn ein Mensch mit seiner Behinderung erheblich eingeschränkt ist, geht es primär darum, seine erkennbaren Fähigkeiten und Stärken zu nutzen, einen geeigneten Betrieb zu finden und dort zunächst mit einigen wenigen, vielleicht nur einem einzigen kleinen Arbeitssegment sinnvolle Arbeit zu leisten. Mit der notwendigen Unterstützung werden diese Arbeitssegmente zunehmend, so weit es die Fähigkeiten des Betreffenden zulassen, ausgeweitet, um so konkreten an diesem Arbeitsort benötigten Anforderungen gerecht zu werden. Für die dort geleistete Arbeit erhält der Betreffende eine angemessene Entlohnung, die die Wertschöpfung und Wertschätzung seiner Arbeit deutlich macht und seine Motivation steigert. Je nach Art und Schwere der Behinderung kann es sich bei dieser angemessenen Entlohnung auch um vergleichsweise geringe Beträge handeln (z.B. in Höhe des Mindestlohns der WfbM), so dass zusätzlich zum Lohn zur Sicherung des Lebensunterhalts Grundsicherung beantragt werden muss.

Wenn gemeinhin von Arbeitsplätzen im allgemeinen Arbeitsmarkt die Rede ist, so verbindet man damit in der Regel einen möglichst im Stellenplan erfassten, sozialversicherungspflichtigen, tariflich entlohnten Arbeitsplatz, der neu zu besetzen ist. Für viele Menschen mit Behinderungen bleibt diese Hürde jedoch angesichts eines Arbeitsmarktes mit mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, der zunehmend Leistungseffizienz, Mehrfachqualifikationen und Flexibilität fordert, zu hoch. Wenn im Zusammenhang von Unterstützter Beschäftigung von Arbeitsplätzen die Rede ist, so ist damit zunächst nichts anderes gemeint als ein Platz in einem regulären Betrieb, an dem sinnvolle Arbeit geleistet werden kann, ohne dass der behinderte Mensch, der diesen Platz ausfüllt in jedem Fall gleichzeitig im rentenrechtlichen Sinne erwerbsfähig, im regulären Rahmen sozialversichert oder tariflich entlohnt sein muss.

Natürlich ist ein reguläres sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis das anzustrebende Ziel bei der beruflichen Eingliederung. Realistischerweise ist jedoch davon auszugehen, dass dies bei Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf (z.B. Abgänger der Schulen für geistig Behinderte, Beschäftigte aus einer WfbM oder Menschen nach Schädel-Hirn-Verletzungen) oft nur im Einzelfall -und sicher auch in Abhängigkeit regionaler Unterstützungsstrukturen -gelingen kann. In den Fällen, in denen dieses Ziel (vorläufig) nicht zu erreichen ist, ist es jedoch möglich, mit dem Status eines WfbM-Mitarbeiters im Rahmen eines ausgelagerten Beschäftigungsplatzes der WfbM mit der notwendigen Unterstützung in dem Betrieb zu bleiben.

Es gibt deshalb seit Jahren in vielen Orten der Bundesrepublik Kooperationsbeziehungen zwischen Werkstätten für behinderte Menschen und Fachdiensten -das "ambulante Arbeitstraining" der Hamburger Arbeitsassistenz war hier Anfang der neunziger Jahre nur das vielzitierte Schlagwort - die den Ansatz von Unterstützter Beschäftigung auch konsequent für einfache Teilqualifikationen verfolgen. Denn ein sinnvoller Büroarbeitsplatz kann auch nur aus einfachen Kopierarbeiten bestehen. Ein sinnvoller Arbeitsplatz an einer Tankstelle kann lediglich aus Autowaschen und Gartenpflege bestehen. Ein sinnvoller Arbeitsplatz in einem Altenheim kann mit einfachen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und zuhörenden Gesprächen ausgefüllt werden. Ein sinnvoller Arbeitsplatz kann aus einer einzelnen, sehr einfachen, sehr langsam, aber zuverlässig verrichteten Tätigkeit bestehen.

Der übliche Weg der beruflichen Rehabilitation sieht vor, jemanden an einem besonderen (überbetrieblichen) Ort in einer allgemeinen und möglichst umfassenden Ausbildung zum Bürogehilfen, zum Tankwart oder zum Altenpfleger zu qualifizieren und ihm danach, sofern er den Anforderungen genügt, einen Arbeitsplatz in einem Betrieb zu suchen. Oftmals scheitern jedoch Menschen - behinderte wie nicht-behinderte -bei der Übertragung außerbetrieblich gelernter Fertigkeiten in die betriebliche Wirklichkeit. Oder ihre Fähigkeiten sind nicht hinreichend an die betrieblichen Bedingungen angepasst. Unterstützte Beschäftigung geht einen anderen Weg, indem man bei jedem einzelnen Menschen schaut, welche Leistungsfähigkeit er hat, anschließend einen Betrieb sucht, in dem diese (u.U. auch geringe) Leistung akzeptabel ist und geschätzt wird, und an diesem Ort und unter den dortigen Bedingungen mit einem individuellen Training (Job Coaching) versucht, diese Leistung soweit wie möglich und erforderlich zu steigern.

Unterstützte Beschäftigung ist im Prinzip nichts anderes, als die Fähigkeiten und Stärken eines Menschen und die Anforderungen eines ganz bestimmten Arbeitsplatzes in einem ganz bestimmten Betrieb in einem sehr individuellen Prozess von beiden Seiten aneinander anzupassen. In diesem Zusammen hang wird auch die fördernde Funktion unterstützender Rahmenbedingungen in den Bereichen Wohnen und Freizeit beachtet. Am Ende dieses individuellen Prozesses kann erst die Frage beantwortet werden, ob der neue Mitarbeiter als regulärer Arbeitnehmer oder als Mitarbeiter mit WfbM-Status im Betrieb weiterarbeiten kann.

Die folgenden Grundsätze Unterstützter Beschäftigung machen die Breite des Konzeptes deutlich:

  1. Das Konzept "Unterstützte Beschäftigung" zielt auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung. Unterstützte Beschäftigung fördert zudem die Inklusion in den Bereichen Wohnen und Freizeit.

  2. Im Mittelpunkt aller Bemühungen steht der einzelne Mensch mit seinen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Die Angebote sind an diesen Fähigkeiten und Bedürfnissen auszurichten und zu differenzieren. Oberstes Ziel ist die weitgehende Selbstbestimmung, dies setzt die Entwicklung von Entscheidungsfähigkeit und die Schaffung von Wahlmöglichkeiten voraus.

  3. Dieser Ansatz weist den vorberuflichen Einrichtungen eine besondere Verantwortung zu. Frühförderung, Kindergarten und Schule sollten sich dem Ziel der weitgehenden Selbstbestimmung verpflichtet fühlen und ihre Angebote entsprechend strukturieren. Auch hier gilt "Prävention vor Kuration" sowie "so viel Hilfe wie nötig" und nicht "so viel Hilfe wie möglich"!

  4. Bestehende Systeme haben sich durchaus bewährt. Sie sollten sich kontinuierlich unter den Zielsetzungen Teilhabe bzw. Inklusion sowie Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten weiter entwickeln und sich als gleichberechtigte Partner in das Hilfesystem einbringen. Nach dem Grundsatz "ambulant vor stationär" müssen ambulante Teilhabesystem flächendeckend ausgebaut werden.

  5. Personen, die von ambulanten Systemen unterstützt werden, müssen Personen in stationären Einrichtungen in allen Bereichen mindestens gleich gestellt werden. Die Unterstützung ist personen- statt institutionsgebunden zu leisten.

  6. Die Zugänge zu den Hilfesystemen müssen vereinfacht und gleichwertig gestaltet werden. Hilfesysteme sind als "offene" Systeme zu planen und einzurichten. Je nach Bedürfnislage muss ein Wechsel in ein anderes System einfach zu bewerkstelligen sein.

  7. Die gesetzlichen Grundlagen sind konkreter und verbindlicher zu gestalten. Bei der Umsetzung müssen die Leistungsträger lösungsorientierter und transparenter als bisher miteinander kooperieren. Durch eine strukturierte Vernetzung der regionalen Angebote können Leistungen effektiv und effizient bereitgestellt werden.

Bei der Konkretisierung und Umsetzung dieser Grundsätze und Forderungen sind behinderte Menschen auf die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten angewiesen. Hier sucht die BAG UB innerhalb zersplitterter Zuständigkeiten und spezialisierter Dienste die Kooperation mit allen, die sich diesen Grundsätzen verpflichtet fühlen. Denn es geht nicht um ein "entweder - oder", sondern um ein "sowohl - als auch", weil Menschen mit Behinderungen wählen können sollten, was der für sie persönlich richtige Weg ist.

Kontakt

Angelika Thielicke - Vorstand BAG UB

Hohe Leuchte 24,

35037 Marburg

Fon: 06421 / 93 17 77

eMail: angelika@thielicke.de

Quelle:

Angelika Thielicke: Unterstützte Beschäftigung. Teilhabe im Spektrum zwischen allgemeinem Arbeitsmarkt und der Arbeit innerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

erschienen in: impulse Nr. 34, Juli 2005, Seite 20 - 21.

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Stand: 27.08.2007

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