"Am liebsten die Taube in der Hand"

Berufliche Wünsche planvoll unterstützen

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 33, März 2005, Seite 3 - 7. impulse (33/2005)
Copyright: © Susanne Göbel, Maik Kasang 2005

Am liebsten die Taube in der Hand

"Was willst du einmal werden?" - Diese Frage kennen wir sicher alle. Entweder hat man uns die Frage als Kind oder Jugendliche bzw. Jugendlichen -zigfach gestellt. Oder wir haben selbst andere Personen gefragt, welche Berufswünsche sie denn so haben. Darauf zu antworten ist gar nicht so einfach: Manche Menschen haben (erst einmal) keinen Berufswunsch. Anderen wieder fällt es schwer, sich auf einen Berufswunsch festzulegen. Und bei den wenigsten Menschen bleibt es letztendlich bei einem Berufswunsch. Oft gibt es mehrere Arbeiten, die spannend erscheinen. Und viele Menschen haben einfach auch unterschiedliche Fähigkeiten und interessieren sich deshalb für verschiedene Tätigkeiten. Daraus dann (den) einen passenden Beruf und (die) eine passende Arbeit herauszufiltern, fällt uns allen oft schwer.

Für Menschen mit Behinderungen, besonders für Menschen mit Lernschwierigkeiten[1] stellen die Entwicklung von Berufswünschen[2] sowie deren anschließende Umsetzung oft besondere Herausforderungen dar:

Zum einen fällt es noch immer vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten schwer, ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken zu sehen, ihren Unterstützungsbedarf zu formulieren und daraus dann letztendlich ihre Berufswünsche zu entwickeln. Auch das (familiäre und professionelle) Umfeld vieler Menschen mit Lernschwierigkeiten tut sich dabei oft noch schwer. Der Blick auf all die Dinge, die jemand nicht kann und die nicht möglich sind, steht noch zu oft im Vordergrund und beschränkt damit in aller Regel einen Denkprozess, im Laufe dessen kreative Ideen entwickelt werden könnten.

Zum anderen sind die Berufswahlmöglichkeiten von Menschen mit Lernschwierigkeiten scheinbar, in der heutigen Zeit aber auch tatsächlich eingeschränkt. Und so erscheinen viele Berufswünsche dann doch all zu oft als "unrealistisch" und werden, mit der Begründung, Enttäuschungen vorbeugen zu wollen, von vornherein klein gehalten oder erst gar nicht geweckt. Angeboten wird in aller Regel nur das, was gerade machbar erscheint und gegebenenfalls auch schon erprobt wurde.

Deshalb stellt sich die Frage: Wie können Menschen - gerade auch Menschen mit Lernschwierigkeiten - sinnvoll und praktisch dabei unterstützt werden, eigene Berufswünsche zu entwickeln und diese (ganz oder teilweise) umzusetzen? Das Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung bietet hierfür Anregungen und hält für den Prozess der Ideensammlung und Planung kreative Methoden bereit. In der Arbeitsgruppe "Lieber die Taube in der Hand - Berufliche Wünsche planvoll unterstützen" während der Jahrestagung der BAG UB 2004 hatten wir[3] es uns zum Ziel gesetzt, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Einblick in die Hintergründe, Ideen und Methoden, vor allem aber in die praktische und machbare Umsetzung der Persönlichen Zukunftsplanung zu geben.



[1] Das Netzwerk People First Deutschland e.V. - eine Interessenvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten für Menschen mit Lernschwierigkeiten - lehnt die Bezeichnung "geistig behindert" als verletzend und diskriminierend ab. Die Betroffenen bezeichnen sich selbst als Menschen mit Lernschwierigkeiten, da ihnen einerseits in aller Regel in ihrer Schulzeit das Lernen erschwert wurde und sie andererseits anders lernen als viele andere Menschen, sich eben auch schwerer damit tun. Der Begriff Menschen mit Lernschwierigkeiten ist die wörtliche Übersetzung des, von fast allen englischsprachigen Selbstvertretungsgruppen weltweit genutzten Begriffes "people with learning difficulties" und darf nicht mit dem Begriff "Menschen mit Lernbehinderungen" verwechselt werden. Der Begriff "Menschen mit Lernschwierigkeiten" schließt für die People First-Bewegung alle Menschen ein, die als geistig behindert oder mehrfachbehindert bezeichnet werden.

[2] Auch wenn in diesem Text immer nur von Berufswünschen die Rede ist, so steht dieser Begriff auch stellvertretend für die Begriffe Arbeitswünsche und / oder Wunsch nach sinnvoller Beschäftigung. Jeder Mensch mit Behinderung - unabhängig davon, wie hoch der Unterstützungsbedarf ist - trägt die Fähigkeit in sich, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen und zu arbeiten. Die Herausforderung besteht darin, den passenden Ort zu finden sowie die notwendige Unterstützung zu organisieren. Wenn hier also von Berufswünschen die Rede ist, so ist damit als Ziel zwar auch aber eben nicht nur an fair entlohnte Arbeitsstellen gedacht, sondern vor allem an Arbeit, die den Fähigkeiten und Wünschen der Person entspricht und die Person befriedigt.

[3] Maik Kasang, 18 Jahre alt: "Ich wohne in der Hansestadt Lübeck. Meine Interessen sind Rolli-Bike fahren, mit dem Computer spielen und arbeiten, nette Leute kennen lernen, mit ihnen telefonieren und Vorträge über meine Persönliche Zukunftsplanung halten. Ich bin elf Jahre gerne zur Schule gegangen und habe viel gelernt. Ich wohne noch zu Hause bei meinen Eltern. Meine zwei Jahre jüngere Schwester geht immer noch auf die Gesamtschule, die ich auch besucht habe. Mein zwei Jahre älterer Bruder ist ebenfalls auf dieselbe Schule gegangen und studiert jetzt in Stuttgart. Er war in meinem letzten Schuljahr mein zwölfter und letzter Zivi. Zuhause haben wir eine liebe Hovawart-Hündin, mit der ich auch gerne spazieren fahre. Susanne Göbel, 40 Jahre alt: Ich lebe und arbeite als "ausgewanderte" Schwäbin in Kassel/Nordhessen. Meinen Berufswunsch Journalistin habe ich nach meinem Deutsch- und Geschichtsstudium erst einmal an den Nagel gehängt und bin als Quereinsteigerin in der Behindertenarbeit gelandet. Durch und seit meiner beruflichen und privaten Zeit in Oregon/USA arbeite ich als Unterstützerin für Menschen mit Lernschwierigkeiten. In meinem Gepäck habe ich damals die Ideen der Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten (People First) und der Persönlichen Zukunftsplanung mit nach Deutschland gebracht. Seit 1994 erzähle ich so vielen Menschen wie möglich von diesen Ideen. Mein Ziel ist es, die Grundgedanken von Selbstvertretung und Persönlicher Zukunftsplanung weiträumig zu verbreiten. Seit 2001 bin ich beim Netzwerk People First Deutschland e.V. als Unterstützerin für Menschen mit Lernschwierigkeiten angestellt.

Was ist Persönliche Zukunftsplanung?

Die Ideen der Persönlichen Zukunftsplanung kommen aus Nordamerika. Dort werden Zukunftsplanungen bereits seit über 15 Jahren von Menschen mit und ohne Behinderung durchgeführt. In Deutschland kennen viele Menschen die Ideen der Persönlichen Zukunftsplanung noch nicht.

Persönliche Zukunftsplanung ist eine Sammlung verschiedenster kreativer Ideen und Methoden, um mit einer Person über ihr Leben und ihre Zukunft nachzudenken, Träume und Wünsche zu entdecken, Ziele festzulegen und anschließend Umsetzungsschritte zu entwickeln. Bei einer Persönlichen Zukunftsplanung muss die planende Person nicht alles alleine machen, sondern wird bei ihrer Ideensammlung und Planung, aber auch bei der Umsetzung ihres Plans von anderen Menschen unterstützt. Man könnte Persönliche Zukunftsplanung mit einer Schatzkiste vergleichen: Anhand einiger Kernfragen im Verlauf der Planung und mit Hilfe verschiedenster kreativer Methoden gilt es, "die Schätze", die jede Person in sich trägt, zu entdecken und daraus mit der Person eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Wichtig ist dabei, dass es nicht die eine richtige Form einer Persönlichen Zukunftsplanung gibt, die an allen Orten mit allen Menschen und für alle Situationen unverändert durchgeführt werden kann oder muss. Ganz im Gegenteil: Persönliche Zukunftsplanung ist eine sehr individuell einsetzbare und veränderbare Methode, die geradezu dazu einlädt, sich ganz speziell auf den jeweiligen Menschen, dessen Lebensumstände, die verfügbare Zeit für die Planung und die Inhalte, für die geplant werden soll, einzustellen. Unveränderbar sind nur die Kernfragen während des Planungsprozesses, die sich jede planende Person stellen sollte. Die Fragen bilden sozusagen das Fundament für eine erfolgreiche Zukunftsplanung, bei der die planende Person im Mittelpunkt steht.

Diese Fragen sollte sich die planende Person, auch mit Hilfe ihres Unterstützungskreises, stellen:

- Was soll einmal aus mir werden? Welche Wünsche und Träume habe ich?

- Was kann ich gut? Was sind meine Stärken?

- Wobei brauche ich Unterstützung?

- Welche Hindernisse gibt es? Wie kann ich die Hindernisse überwinden?

- Wer kann mich auf meinem Weg unterstützen?

- Wie komme ich Schritt für Schritt meinem Ziel näher? - Erforderliche Handlungsschritte

Für wen ist Persönliche Zukunftsplanung?

Persönliche Zukunftsplanung ist besonders gut für Menschen, die nicht alleine über ihre Zukunft nachdenken wollen. Sie ist eine passende Methode für Menschen, die Unterstützung wollen oder brauchen. Für Persönliche Zukunftsplanung spielt es keine Rolle, ob eine Person behindert oder nicht behindert ist. Es ist egal, ob jemand sprechen kann oder sich anders mitteilt, ob eine Person sehen kann oder nicht sehen kann. Allein wichtig ist, dass sich die planende Person auf den Prozess einer Persönlichen Zukunftsplanung einlassen will und dass sich der Prozess an den Möglichkeiten dieser Person orientiert.

Persönliche Zukunftsplanung bietet sich immer dann an, wenn eine Person nicht mehr zufrieden ist und / oder ihr Leben verändern will bzw. muss, zum Beispiel, weil Lebensabschnitte wechseln. Eine Persönliche Zukunftsplanung kann für die verschiedensten Lebensbereiche gemacht werden: Wohnen, Arbeit oder Freizeitgestaltung. Die Methode bietet sich zum Beispiel auch dann besonders an, wenn das Thema Berufswünsche für eine Person neu oder wieder ansteht, vielleicht aufgrund des Übergangs Schule - Beruf oder beim Übergang aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen auf einen Außenarbeitsplatz oder einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ein Ziel einer Persönlichen Zukunftsplanung könnte dann zum Beispiel die Entwicklung und anschließende Umsetzung eines bestimmten Berufswunsches sein.

Und wie ist das mit dem Unterstützungskreis?

Auf ihrem Weg in Richtung selbst gestecktem Ziel ist es für die planende Person gut, den vielleicht langen und auch steinigen Weg bis zum Erreichen des Ziels nicht alleine gehen zu müssen und deshalb von verschiedenen Menschen unterstützt zu werden. Die Unterstützungspersonen helfen der Person, die sich verändern will, bei ihrer Zukunftsplanung. Sie unterstützen sie zum Beispiel dabei, überhaupt erst einmal eigene Ideen zu entwickeln und diese Ideen dann so weit wie nur möglich in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Unterstützungspersonen können Vorschläge machen oder von ihren Ideen erzählen. Sie bringen aber auch ihre Kontakte mit ein, die für das Erreichen des Ziels wichtig sein können und sie unterstützen die planende Person bei der Umsetzung des Plans. Wichtig ist dabei jedoch immer, dass die planende Person für sich selbst entscheidet, was sie möchte. Sie entscheidet, welche Ideen ihr gefallen. Und sie entscheidet auch, welche Schritte letztendlich gegangen werden. Es geht um ihr Leben, deshalb muss die planende Person sagen, was sie will.

Genau das hat Maik Kasang im Rahmen seiner Persönlichen Zukunftsplanung gemacht. Hier seine Geschichte:

Abb.1: Maik Kasang und Stefan Doose schreiben, auf dem Boden liegend, am PATH

"Wie habe ich meine Zukunftsplanung gemacht?!"

In der achten Klasse wurde ich vor die Frage gestellt, was kann ich nach der Schule arbeiten. Um das herauszufinden, habe ich viele Praktika durchgeführt. Dabei ist mir klar geworden, dass ich am Besten in einem Büro-Job arbeiten kann. Aber wie sollte das nur möglich werden? Das war eine sehr schwierige Aufgabe, denn für diesen Job konnte ich keine allgemeine Ausbildung machen. Auch in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung gab es für mich keinen Ausbildungsplatz für diesen Job.

Über meinen Kontakt zum Integrationsfachdienst "integra" ist mir durch die Beratung deutlich geworden, dass es keine andere Alternative für mich gibt, als mit Unterstützung anderer Menschen diese Arbeitsmöglichkeit in Lübeck neu zu schaffen. So wurde die Idee geboren zusammen mit einem Unterstützerkreis an diesem Ziel intensiv zu arbeiten.

Ich musste erst einmal herausfinden, wer mich überhaupt unterstützen will und dann auch noch die Zeit dafür hat. Über ein Kooperationsseminar von mixed pickles e.V., mittendrin e. V. und dem Arbeitskreis Integration an der Geschwister Prenski Schule wurde das Thema Persönliche Zukunftsplanung in Lübeck über eine Veranstaltung mit Stefan Doose vorgestellt. Ich habe mich gleich dafür interessiert, auch einmal eine Persönliche Zukunftsplanung für mich zu machen. Auch über diese Veranstaltung waren andere Leute daran interessiert, so etwas auch mal in Lübeck auszuprobieren. So fand ich nette Leute, die Interesse an einer Einladung für mein erstes Treffen hatten. Stefan Doose hatte sich für die Moderation bereiterklärt. Nun konnte es losgehen!

Als Erstes überlegte ich, wen ich alles einladen wollte. Natürlich erst einmal meine Eltern. Dann meine Lehrerin und drei Mitschüler/-innen. Es sollten Leute sein, denen ich vertraute und die mich gut kennen. Dazu gehörten natürlich auch mein Zivi und meine Krankengymnastin, die mich schon kurz nach meiner Geburt kennen gelernt hatte. Auch Caroline und Angela, gute Freundinnen der Familie, waren dabei. Natürlich war auch "integra" eingeladen und ein Betreuer aus dem Jugendzentrum. Ich habe zum Teil mit den Leuten telefoniert und allen eine persönliche Einladung per Mail geschickt. Besonders habe ich mich darüber gefreut, dass meine Praktikumsbetreuerin aus meinem ersten Büropraktikum in einer Serviceabteilung eines großen Betriebes gekommen ist.

Für die Einladung habe ich mir eine Telefonliste erstellt und nach den Mail-Adressen der Leute gefragt. Die Einladung aber war nicht alles. Das Schwierigste war die Terminabstimmung.

Ich musste mich auch auf das Treffen vorbereiten. Dazu habe ich drei intensive Gespräche in Form eines Interviews mit meinem Vater geführt. Ich sollte mir erst einmal klar werden, was ich selber wirklich machen will. Dann haben wir auch die Begrüßung und die Vorstellung für das Treffen vorbereitet. Auch mussten wir uns mit meinem Moderator absprechen und klären, wer die Dokumentation schreibt.

Wir mussten natürlich einen geeigneten Raum für unser Treffen finden. Gute Verpflegung mit Keksen, Knabbersachen und Getränken gehörte auch dazu. Wir brauchten auch ein Flipchart, Metaplanpapier, Karten, eine Stellwand, Kreppband, Filzschreiber und Stecknadeln. Schließlich war alles geklärt und wir konnten uns das erste Mal am 12. Februar 2002 treffen.

Zuerst habe ich gesagt, was ich gerne mag und was ich nicht mag. Dann haben wir meine Stärken und Fähigkeiten aufgeschrieben. Anschließend ging es um meine beruflichen Wünsche, Träume und Ziele. Wichtig waren auch meine ersten Praktikaerfahrungen mit ganz verschiedenen Tätigkeiten. Zum Schluss wurden erste Ideen für meine Zukunft gesammelt. Diese wurden dann einen Monat später am 12. März mit Hilfe des PATH-Prozesses[4] weiter bearbeitet. So haben wir Schritt für Schritt meine Zukunftsplanung erarbeitet und umgesetzt.

Mein 10. Treffen war dann am 1. September 2003. Einige Teilnehmer/-innen sind bis heute dabei geblieben, einige sind nicht mehr dabei. Leider ist eine Lehrerin verstorben. Einige sind als Unterstützer/-innen neu hinzugekommen: mein jeweils neuer Zivi, eine Lehrerin von der Sehschule, ein Praktikantenbetreuer der Groneschule, eine Vertreterin der Vorwerker Werkstätten, auch mein neuer Lehrer aus der Schule für Körperbehinderte, in die ich 1 1⁄4 Jahre gegangen bin. Es kamen immer meine Betreuer/innen aus meinen Praktika und aktuell sind meine beiden Job- Coaches und eine Betreuerin aus der Berufsschule in den Vorwerker Werkstätten dabei.

Im Rahmen dieser Zusammenarbeit gab es immer wieder kleine und größere Schwierigkeiten zu überwinden. Im Rahmen unserer guten Zusammenarbeit sind immer Lösungen gefunden worden. So habe ich z.B. allein Busfahren gelernt, um zu meinen beiden Ausbildungsstellen zu kommen und um die Berufsschule besuchen zu können. Das ist für einen Rollstuhlfahrer nicht so einfach. Dank der tollen Unterstützung durch die Busfahrer der Lübecker Verkehrsbetriebe ist es mir aber möglich geworden.

In 2004 gab es sechs Treffen und einen ganz wichtigen Erfolg: Ich habe jetzt seit dem 18.10.2004 einen Ausbildungsplatz im Rahmen eines ambulanten Arbeitsplatzes des Berufsbildungsbereiches der Vorwerker Werkstätten. Für die Begleitung und Betreuung ist der Integrationsfachdienst "integra" zuständig. Vom Arbeitsamt erhalte ich ein Ausbildungsgeld. Ich habe zwei Ausbildungsplätze bei der Hansestadt Lübeck - in den Fachbereichsdiensten und im Umweltamt.

Mein Dank für die tolle Unterstützung geht an all die lieben Leute, die mir das ermöglicht haben!



[4] Der PATH-Prozess ist eine bestimmte Vorgehensweise, eine Persönliche Zukunftsplanung durchzuführen und darzustellen. Der PATH-Prozess wurde Anfang der 90er Jahre maßgeblich von John O'Brien, Marsha Forest und Jack Pearpoint entwickelt. PATH steht für "Planning Alternatives Tomorrows with Hope", was übersetzt so viel wie "Die Planung alternativer und hoffnungsvoller Zukunft" bedeutet. Path ist aber auch das englische Wort für Weg bzw. Pfad und steht damit sinnbildlich auch für den Weg, auf den man sich bei einer Persönlichen Zukunftsplanung macht. In der Kurzinformation, Heft 2 (erhältlich bei der BAG UB oder dem Netzwerk People First Deutschland e.V.) wird die Vorgehensweise PATH ausführlicher beschrieben. Sie finden die Kurzinformationen auch im Internet (www.persoenliche-zukunftsplanung.de).

Wie kann Persönliche Zukunftsplanung in die Praxis umgesetzt werden?

Die von Maik Kasang vorgestellte Persönliche Zukunftsplanung ist eine von vielen Möglichkeiten, wie die Methode in die Praxis umgesetzt werden kann. Festzuhalten bleibt, dass die von Maik Kasang gewählte Form des Planungsprozesses eine Erfolgsgeschichte ist, die sich in jedem Fall gelohnt hat und nur zur Nachahmung empfohlen werden kann, die aber von ihm, seinem Unterstützungskreis und dem Moderator auch ein recht hohes Maß an Engagement, Zeiteinsatz und Durchhaltevermögen verlangt.

Realistisch angemerkt, haben zurzeit noch viel zu wenige Menschen mit Behinderungen wie Maik Kasang die Gelegenheit, so umfassende Planungsprozesse für sich zu machen. Zum einen ist Persönliche Zukunftsplanung als Planungsinstrument noch zu wenig bekannt und so gibt es auch noch nicht allzu viele Moderatorinnen und Moderatoren, die durch die Planungen führen können. Zum anderen stehen sehr viele an Persönlicher Zukunftsplanung Interessierte (gerade auch Fachleute der Behindertenhilfe, wie zum Beispiel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Integrationsfachdiensten, WfbMs oder Wohneinrichtungen) vor der Herausforderung, nicht genügend Zeit oder finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung zu haben, um umfassende Planungsprozesse selbst initiieren bzw. begleiten zu können.

Aber diese Realität ist kein Grund zu resignieren und Persönliche Zukunftsplanung als Methode für ein paar wenige Glückliche abzutun. Die Grundprinzipien der Persönlichen Zukunftsplanung[5] können von vielen in der Behindertenarbeit Tätigen tagtäglich, aber auch immer dann eingesetzt werden, wenn Veränderungen im Leben einer Person anstehen. Das Recht auf Selbstbestimmung und Mitbestimmung gilt jederzeit und für jeden. Eigentlich müssten die Grundprinzipien der Persönlichen Zukunftsplanung - herauszufinden, was eine Person wirklich will und gemeinsam mit Verbündeten nach der Umsetzung der Wünsche der Betroffenen zu streben, gekoppelt mit dem Angebot echter Wahlmöglichkeit - das Herz aller Aktivitäten in der Behindertenarbeit sein.



[5] Die wichtigsten Grundprinzipien sind: Die betroffene Person steht im Mittelpunkt aller Planungen. * Welche Fähigkeiten und Stärken hat die Person? * Was sind die Träume und Wünsche der Person? * Welche Ziele hat die Person? * Welche Menschen unterstützen sie? * Planungen sind Prozesse, die sich ausschließlich an der planenden Person orientieren sollen. *

Einige Ideen zur praktischen Umsetzung

Hier jetzt einige Ideen, wie die Grundprinzipien der Persönlichen Zukunftsplanung auch in kleinen Schritten in der Praxis Einzug halten können, zum Beispiel als planvoller Teil von Beratungssituationen (sei es als (Haus-)Aufgabe für eine Person oder als Bestandteil eines Gesprächs), vor allem aber als Grundhaltung der Arbeit mit Menschen mit Lernschwierigkeiten (und anderer Personenkreise natürlich auch):

1. "Nichts über mich ohne mich!" - Jeder Mensch hat das Recht, über sein Leben selbst zu bestimmen und bei Entscheidungen mitzubestimmen.

Fragen Sie immer nach, was jemand will. Nennen und erklären Sie der Person alle vorhandenen Wahlmöglichkeiten - und nicht nur die, die Ihnen passend erscheinen. Akzeptieren Sie die Wahl der Person, auch wenn Sie sich eine andere Entscheidung gewünscht hätten.

Wenn eine Person ihre Wünsche und Entscheidungen nicht oder nur schwer verbal bzw. mit Hilfsmitteln mitteilen kann, entscheiden Sie nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Person (beziehen Sie andere Menschen ein, die die Person auch gut kennen) und erklären Sie der Person Ihre Entscheidung. Auch wenn wir meinen, eine Person versteht die Entscheidung nicht, hat sie ein Anrecht darauf zu erfahren, weshalb eine Sache so und nicht anders gemacht wird.

2. "Wir alle haben Träume und Wünsche." - Träume und Wünsche können am ehesten in Erfüllung gehen, wenn wir darüber sprechen und uns auf den Weg machen, ihnen näher zu kommen.

Erkunden Sie die Träume und Wünsche zusammen mit der Person. Erfragen Sie ihre Träume und Wünsche: Manche liegen tief verschüttet, andere sind ganz offensichtlich. Hinterfragen Sie die Träume: Was genau meint die Person? Was verbirgt sich hinter einem bestimmten Wunsch? Nehmen Sie die Träume und Wünsche ernst, tun Sie diese nicht als unrealistisch ab: Natürlich gibt es Träume und Wünsche, die sich nie erfüllen werden, es gibt andere, die sich leicht erfüllen lassen und wieder andere, denen man nur Schritt für Schritt näher kommen kann. Aber als Träume haben sie alle ihre Berechtigung. Ihnen allen ist außerdem gemein, dass sie lebensbestimmend sind, ähnlich einem Leitstern, nach dem man sich richtet.

Lassen Sie die Person ihre Träume und Wünsche gestalten, zum Beispiel als gemaltes Bild oder als erzählte Geschichte. Geben Sie der Person einen Ort, an dem sie ihre Träume und Wünsche "los werden kann", zum Beispiel in Form einer Traummappe oder einem schön gestalteten Schuhkarton, in dem die Träume gesammelt werden können. Geben Sie der Person den Raum, über Träume nachzudenken und zu erzählen, zum Beispiel in Form bestimmter Zeiten, in denen sie darüber sprechen kann. Ausgesprochene Träume und Wünsche bieten die Chance, in Erfüllung zu gehen oder sich damit auseinanderzusetzen, welcher Teil denn tatsächlich möglich ist. Verborgene Träume lassen einen in aller Regel mit der Frage zurück, ob eine Verwirklichung möglich gewesen wäre. Und nur weil Träume und Wünsche unausgesprochen geblieben sind, verschwinden sie nicht. Erkunden Sie mit der Person gemeinsam den Kern des Traumes: Was verbirgt sich tatsächlich hinter dem Traum? Welche Ideen können aus dem Traum geschöpft werden und lassen sich dann vielleicht in einem anderen Zusammenhang aufgreifen und umsetzen?

3. "Ich kann was!" - Jeder Mensch besitzt Stärken und Fähigkeiten, sie müssen nur bewusst entdeckt werden.

Gerade Menschen mit Behinderungen erleben es immer wieder, dass ihre Defizite begutachtet und unter Umständen noch besonders hervorgehoben werden. Das hinterlässt Spuren: Spuren bei den betroffenen Menschen selbst, die nicht selten von sich sagen: "Ich kann das nicht", aber auch Spuren bei der Umwelt, die Menschen mit Behinderungen eher daran misst, was sie nicht können, denn an den verschiedensten Fähigkeiten, die in ihnen stecken.

Deshalb auch hier die Ermunterung, erkunden Sie mit der planenden Person zusammen ihre Stärken und Fähigkeiten. Was macht ihr Spaß, für was interessiert sie sich, was macht sie gerne, was kann sie gut, was treibt sie an? Ähnlich den Träumen und Wünschen kann es sehr hilfreich sein, einen Ort für Stärken und Fähigkeiten zu finden, vielleicht eine Collage aus Fotos zu erstellen, eine Mappe der besten Werke und Werkstücke einer Person zusammen zu stellen oder einfach eine Liste von Dingen zu machen, welche die Person gut kann. Noch ein Tipp: Versuchen Sie zusammen mit der Person auch einmal "den anderen Blick" auf den Punkt Stärken und Fähigkeiten zu werfen. Sehr oft fällt es ja leichter, eine Liste der so genannten Defizite zusammen zu stellen. Mit dem "anderen Blick" auf diese Liste entpuppt sich das eine oder andere so genannte Defizit dann aber vielleicht als Stärke. Zum Beispiel: Wenn eine Person andauernd Papier zerreißt - Schmierpapier, wichtige Dokumente, Zeitungen, eben alles, was ihr in die Quere kommt - ist das dann ein Defizit und ein Verhalten, das geändert werden muss? Oder ist dieses Verhalten eine Fähigkeit, die nur in die richtigen Bahnen gelenkt werden muss, indem die Person zum Beispiel als sehr sorgfältige Schredderin arbeitet?

4. "Gemeinsam sind wir stark - gemeinsam wissen wir mehr!" - Unterstützungskreise helfen dabei, Ziele zu erreichen.

Manche Menschen haben ein sehr ausgeprägtes und stabiles soziales Netzwerk, bei anderen gibt es nur wenige Menschen, die Rückhalt bieten. Und trotzdem: Jeder Mensch lebt in sozialen Bezügen. Erkunden Sie diese Bezüge mit der planenden Person: Welche Menschen sind der Person wichtig? Gibt es Familie, mit wem ist die befreundet, in welchen Gruppen macht sie mit, mit wem trifft sie sich gerne? Überlegen Sie mit der Person, warum ihr die einzelnen Personen wichtig sind, was sie mit den Personen gerne macht. Alle diese Menschen sind mögliche Mitglieder von Unterstützungskreisen.

Lassen Sie die planende Person zum Beispiel ein Fotoalbum mit Fotos der ihr wichtigen Personen zusammenstellen oder ein Plakat mit Bildern der Personen gestalten. Und überlegen sie dann mit der Person, bei was diese Menschen sie unterstützen könnten. Oder nutzen Sie das Fotoalbum oder Plakat dazu, herauszufinden, wen die Person gerne als Unterstützerinnen und Unterstützer zu einem Treffen einladen würde, um zum Beispiel über ihre berufliche Zukunft zu sprechen.

Diese wenigen ausgesuchten Praxisbeispiele verdeutlichen, dass es bei der Umsetzung der Grundprinzipien Persönlicher Zukunftsplanung besonders auf drei Punkte ankommt:

  • Die Person, um die es geht, steht immer im Mittelpunkt und wird zur aktiven Mitgestalterin ihres Lebens.

  • Die Grundprinzipien der Persönlichen Zukunftsplanung sind auch und gerade im Kleinen und einzeln umsetzbar. Jeder umgesetzte Schritt ist eine Chance dafür, dass sich das Leben und die Lebensqualität der Person, um die es geht, verbessert.

  • Kreativität ist gefragt! Es gibt nicht die eine richtige praktische Umsetzung; jeder Mensch ist anders und so muss sich die Umsetzung auch immer an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Person orientieren.

Abb. 2: Maik Kasang arbeitet am Schreibtisch

Herausforderungen

Abschließend noch eine Zusammenstellung verschiedenster Herausforderungen, kritischer Fragen sowie ermunternder Äußerungen und Ideen, die sowohl während des Workshops aufgetaucht sind als auch allgemein im Zusammenhang mit Persönlicher Zukunftsplanung immer wieder zur Sprache kommen, für die es zum Teil schon Antworten gibt, die uns aber zum Teil sicherlich auch noch in Zukunft beschäftigen werden:

  • Ja, aber die Umsetzung von Persönlicher Zukunftsplanung ist doch utopisch.

  • Und wie soll das mit Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf gehen? Die können sich doch nicht äußern. Und die können nicht selbst bestimmen. Dann wird ja wieder von anderen bestimmt.

  • Ist es in Ordnung, nach Wünschen und Träumen zu fragen? Die Realität sieht doch ganz anders aus. Es gibt doch kaum Arbeitsplätze. Da weckt man doch Wünsche, die dann wieder enttäuscht werden.

  • Wie kann man das alles mit der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit machen? Man hat doch für jeden Kunden oder jede Kundin sowieso schon zu wenig Zeit.

  • Kommen Unterstützerinnen / Unterstützer wirklich zu so einem Treffen? Ist das nicht komisch für sie?

  • Kann man Zukunftsplanung auch mit jüngeren Schülerinnen und Schülern machen?

  • Eigentlich ist Zukunftsplanung etwas für jeden Menschen!

  • So ein Bild mit Stärken und Fähigkeiten könnte Bestandteil eines Hilfeplans sein.

  • In der Werkstatt gibt es immer mal wieder keine Arbeit für die Gruppe. In der Zeit könnte man doch so eine Traumkiste basteln.

  • Man fragt seine Kunden und Kundinnen wirklich viel zu selten, was sie wollen.

  • Man sollte Zukunftsplanung einfach einmal ausprobieren!

Stimmt, denn "es geht nicht an, das als utopistisch zu bezeichnen, woran man seine Kraft noch nicht erprobt hat." (Martin Buber)

In diesem Sinne wünschen wir vielen von Ihnen viel Kraft und Spaß beim Anstoßen und Umsetzen kleiner und großer Zukunftsplanungsschritte. Und vielleicht wagt sich in Zukunft der eine oder die andere dann auch einmal daran, für sich selbst einen Persönlichen Zukunftsplanungsprozess zu machen.[6]



[6] Wer jetzt neugierig geworden ist und mehr zur Persönlichen Zukunftsplanung wissen will, kann bei der BAG UB oder dem Netzwerk People First Deutschland e.V. verschiedenste Arbeits- und Informationsmaterialien bestellen oder sich auf der Homepage www.persoenliche-zukunftsplanung.de informieren.

Kontakt

Susanne Göbel

Netzwerk People First Deutschland e.V.

Kölnische Str. 99, 34119 Kassel

Fon: 0561 / 72885-55, Fax: -58

eMail: susanne.goebel@people1.de

Internet: www.Lebenshilfe.de

Quelle:

Susanne Göbel, Maik Kasang: "Am liebsten die Taube in der Hand". Berufliche Wünsche planvoll unterstützen

erschienen in: impulse Nr. 33, März 2005, Seite 3 - 7.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 09.07.2007

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